Spatzenbescherung - Brigitta Rudolf - E-Book

Spatzenbescherung E-Book

Brigitta Rudolf

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Beschreibung

24 Advents- und Weihnachtsgeschichten, familienfreundlich

Das E-Book Spatzenbescherung wird angeboten von BoD - Books on Demand und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Lesefreundlich, Advent, Adventsgeschichten, Weihnachten, besinnlich, Weihnachten, Weihnachtsgeschichten, Familienfreundlich

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Inhaltsverzeichnis

Die alte Weihnachtskugel

Der traurige Teddy

Das Weihnachtsmannkostüm

Der Pausenengel

Weihnachtsfreude

Marie überlistet den Nikolaus

Single-Weihnacht

Erinnerungen eines Rauschgoldengels

Der wirklich echte Weihnachtsmann

Mr. und Mrs. Cat

Ole wartet auf den Weihnachtsmann

Heiligabend im Schützengraben

Eingeschneit

Spatzenbescherung

Der Herrgottschnitzer

Die Weihnachtskarte

Sternschnuppenwünsche

Das letzte gemeinsame Weihnachtsfest

Ida und die Weihnachtsmaus

Mit Volldampf in ein neues Leben

Alte Liebe rostet nicht

Ein ungewöhnliches Geschenk

Besuch im Baumhaus

Jona, der kleine Hirte

Die alte Weihnachtskugel

Jedes Jahr zum Weihnachtsfest wurde sie vorsichtig aus ihren vielen Lagen Seidenpapier befreit und an den Tannenbaum gehängt. Darauf war die mit einem Engelmotiv bemalte Glaskugel sehr stolz. Leider gingen die Festtage immer viel zu schnell vorüber, der Weihnachtsbaum wurde abgeschmückt, und sie musste den Rest des Jahres wieder in ihrem Pappkarton verbringen. Das fand die alte Weihnachtskugel sehr traurig. Wie gern hätte sie etwas von der großen, weiten Welt gesehen. Davon träumte sie schon recht lange und beschloss, dass sie es in diesem Jahr endlich wagen würde, sich zu verstecken, bevor man sie wieder einpacken konnte. Als das Glöckchen erklang und die Bescherung eingeläutet wurde, stürmten alle sofort ins Wohnzimmer. Wie immer strahlten die hell leuchtenden und süß duftenden Kerzen an dem hohen geschmückten Weihnachtsbaum. Sie verbreiteten eine sehr festliche Stimmung und Gemütlichkeit. Die Weihnachtskugel freute sich – das war ihre große Stunde. Allerdings musste sie später am Abend zu ihrem Schrecken mit anhören, wie eines der Kinder sagte: „Ich finde, wir haben diesen uralten Weihnachtsschmuck doch schon so lange. Wir sollten uns im nächsten Jahr endlich neue Kugeln in einer modernen Farbe kaufen!”

Zwar wurde das an diesem Abend noch nicht endgültig beschlossen, aber es bestärkte die Weihnachtskugel in ihrem Entschluss. Sonst würde sie womöglich auf dem Müll landen, befürchtete sie; so wie das achtlos zerrissene Geschenkpapier und das Schleifenband. Nein, lieber würde sie freiwillig zerspringen, bevor sie diese Demütigung ertrug. Sie erinnerte sich noch gut daran, dass sie vor langer Zeit einer jungen Dame als Geschenk überreicht worden war. Das war die Urgroßmutter der Mutter der heutigen Kinder. Sie hatte die zarte, bemalte Glaskugel von ihrem Verlobten bekommen und sich sehr darüber gefreut. Seitdem war sie von Generation zu Generation weitervererbt worden und darauf war die Weihnachtskugel sehr stolz. Zu jedem Fest wurde sie an den Weihnachtsbaum gehängt, und jahrelang bekam sie einen Ehrenplatz, gut sichtbar in der Mitte des Baumes. Aber mit der Zeit änderte sich der Geschmack der wechselnden Besitzer, und sie wanderte immer weiter zu den unteren Zweigen. In diesem Jahr hatte man sie sogar auf der Rückseite der Tanne platziert. Und jetzt sprach die Familie sogar davon den kompletten Weihnachtsschmuck, der so vielen Menschen Freude gemacht hatte, komplett auszutauschen. Ein schrecklicher Gedanke, fand die alte Weihnachtskugel. Eifrig überlegte sie, wie sie ihren mutigen Plan in die Tat umsetzen konnte. Also wackelte sie an ihrem Zweig so lange hin und her, bis sie sich endlich auf den weichen Teppich fallen lassen konnte. So, das wäre geschafft, dachte sie erleichtert. Aber was nun? Zunächst musste sie dafür sorgen, dass sie niemand sah und zurück an den Baum hängte. Also rollte sie mühevoll in eine Ecke und versteckte sich dort.

Am nächsten Tag kam Besuch. Eine alte Dame aus der Nachbarschaft war von der Hausfrau auf eine Tasse Kaffee eingeladen worden. Pflichtschuldigst bewunderte sie zuerst den geschmückten Weihnachtsbaum, indem sie sagte: „Wie nett, Sie haben den Baum so schön nostalgisch geschmückt, das gefällt mir sehr!”

„Ja, finden Sie? Unsere Tochter hat am Heiligen Abend davon gesprochen, dass wir uns endlich andere, moderne Kugeln und eine Lichterkette, statt der Honigkerzen zulegen sollten.”

„Aber nein”, widersprach die nette alte Dame. „So einen wunderschönen, kostbaren, alten Weihnachtsschmuck dürfen Sie doch nicht so einfach ersetzen. Soweit ich weiß, ist vor allem die große bemalte Glaskugel schon seit Generationen in ihrer Familie. Sie wissen ja, ich war mit Ihrer Großmutter befreundet und bewundere besonders diese herrlich bemalte Kugel seit jeher. Aber wo ist sie denn? Ich sehe sie gar nicht?”

Daraufhin wurde ihre Gastgeberin sehr verlegen. Sie sagte: „Wir haben sie in diesem Jahr nach hinten gehängt.”

„Ach...”, antwortete die alte Dame und schwieg.

Die Weihnachtskugel horchte auf. Das war ihre Chance. Sie wollte – hier bin ich – rufen, aber natürlich hörte sie niemand. Daraufhin nahm sie ihre ganze Kraft zusammen und rollte aus ihrem Versteck, direkt vor die Füße der alten Dame. Zum Glück blieb das nicht unbemerkt.

„Ach, da ist sie ja”, rief sie.

„Wissen Sie was? Wenn Sie sich darüber freuen, dann schenke ich sie Ihnen”, sagte ihre Gastgeberin spontan.

„Aber nein, das kann ich nicht annehmen.”

„Doch, das können Sie ganz sicher! Mich würde es freuen, wenn Sie die Kugel mitnehmen. Sie passte nie so recht zu den anderen, weil sie viel größer ist. Und Sie haben völlig recht, wir sollten uns keinen anderen Christbaumschmuck kaufen. Mir gefällt der Baum auch so wie er ist, denn solange ich denken kann, wurde er mit dieser Garnitur und echten Kerzen dekoriert. Natürlich sind im Laufe der vielen Jahre mehrere Kugeln zerbrochen, deshalb haben wir einige Strohsterne mehr an die Zweige gehängt, um die Lücken zu schließen. Das werden wir auch weiterhin tun. Manchmal braucht es nur einen kleinen Anstoß von außen, damit man wieder zu schätzen weiß, was man hat.”

„Da haben Sie völlig recht. Wenn Sie mir die Glaskugel wirklich schenken möchten, dann nehme ich sie sehr gern – herzlichen Dank! Ich werde sie gewiss immer in Ehren halten!”, versprach die alte Dame.

Die Weihnachtskugel war ausgesprochen erleichtert. Sie fühlte regelrecht wie ihr kleines Herzchen zu pochen begann. Es machte ihr nichts aus, erneut vorsichtig in Seidenpapier verpackt zu werden, denn in ihrem neuen Zuhause wurde sie sofort ausgepackt und als Fensterschmuck aufgehängt. Was gab es dort auf der Straße nicht alles zu sehen – Langeweile kannte die Christbaumkugel nun nicht mehr, zumal sie das ganze Jahr über dort hängenbleiben durfte.

Der traurige Teddy

Der graue Teddy war eines der wenigen Plüschtiere, die noch im Regal saßen. Wie sehr hatte er sich gewünscht, zum Weihnachtsfest von liebenden Kinderhänden in den Arm genommen zu werden. Aber niemand war gekommen, um ihn zu kaufen. Dicke Tränen kullerten über sein Gesicht, bei dem Gedanken womöglich nie verkauft zu werden. Heute war Heiligabend. Das wusste er aus den Gesprächen der Mitarbeiter der Spielzeugabteilung, die sich freuten, dass sie am heutigen Tag nur bis Mittag arbeiten mussten.

„Aber diese Stunden werden sicher noch extrem stressig”, hörte er Marion sagen.

Das war seine Lieblingsverkäuferin und die Leiterin der Spielzeugabteilung. Sie hatte ihn schon einige Male in den Arm genommen, ihm den zerzausten Pelz gestreichelt und ihm versprochen, dass er sicher bald ein schönes Zuhause finden würde. Ach ja, das war doch auch sein Wunsch. Aber immer hatten die Leute nach einem anderen Stofftier gegriffen. Woran lag es nur? Womöglich störten sich die Mamas und Papas oder die Großeltern daran, dass sein linkes Ohr ein wenig zu kurz geraten war. Das gab ihm allerdings ein interessantes Aussehen, hatte Marion gemeint. „Du bist sozusagen einzigartig, nicht wie die anderen Teddys, die aussehen wie vom Fließband”, hatte sie tröstend gesagt.

Einige Male hatte sie ihn sogar regelrecht angepriesen, aber trotzdem saß er immer noch hier. Dann wurde das Kaufhaus geöffnet und etliche Kunden strömten in den Laden, die noch in allerletzter Minute ein Geschenk für ihre Lieben ergattern wollten. Auch in der Spielzeugabteilung ging es äußerst hektisch zu. Die Kassen ratterten, und viele Puppen, Spiele und auch Stofftiere gingen über den Ladentisch. Aber den grauen Teddy sah kaum jemand an. Als endlich ein Aufruf ertönte, dass sich doch bitte alle Besucher zum Ausgang begeben sollten, weil das Kaufhaus schließen wollte, wurde der Teddy immer trauriger. Doch dann stand plötzlich ein kleiner Junge vor ihm. Er trug einen blauen Anorak und eine rote Pudelmütze. Der Kleine kam dem Teddy bekannt vor. Vielleicht war er mit seinen Eltern schon mal hier gewesen. Aber er sah sehr traurig aus, fand der Teddy.

„Bist Du auch so allein wie ich?”, fragte der Junge.

„Ja, mich wollte niemand haben” antwortete der Bär. „Und Du musst doch sicher jetzt auch nach Hause gehen.”

Seltsamerweise schien der Junge ihn zu verstehen, denn er antwortete:

„Meine Mama hat ganz tüchtig mit mir geschimpft, weil ich gerade heute eine teure Vase zerbrochen habe. Ich bin oft etwas ungeschickt, weißt Du, und deshalb bin ich weggelaufen. Ich möchte bei Dir im Kaufhaus bleiben. Sie kommt sicher nicht so schnell auf die Idee, mich hier zu suchen. Außerdem ist es hier warm und trocken. Wenn ich Glück habe, kann ich mir sogar irgendwo etwas zu essen besorgen. Komm mit!”

Mit diesen Worten griff er nach dem Teddy und versteckte sich schnell hinter einem Vorhang, als er die Stimmen der Angestellten hörte. Hinter dem Vorhang war eine Tür, die in den Aufenthaltsraum der Verkäuferinnen und ins Lager führte. Dorthin kam heute sicher niemand mehr. Oje, dachte der Teddy, wenn der Junge erwischt würde, das gäbe sicher mächtig Ärger.

„Aber, das Kaufhaus wird abgeschlossen, dann kommst Du nicht mehr heim, und Deine Eltern machen sich doch bestimmt Sorgen um Dich”, wandte er ein.

„Das ist mir egal”, kam es trotzig zurück. „Sollen sie mich doch suchen, aber ich bin froh, dass Du bei mir bist.”

„Hast Du denn keine Freunde?”, staunte der Teddy.

„Wir sind erst vor Kurzem hierhergezogen und als Neuer hat man es in der Schule nicht leicht. Nein, ich habe noch keinen Freund gefunden”, erklärte ihm der Junge.

Täuschte der Teddy sich? Er hatte den Eindruck, dass es in den Augen seines neuen Freundes verdächtig zu glitzern schien, als er das sagte.

„Wie heißt Du eigentlich?” fragte er.

Dabei schmiegt er sich ganz eng an den Jungen, um ihn durch seine Gegenwart ein wenig aufzumuntern.

„Ich bin Lasse”, schniefte der Junge.

Er tat dem Teddy von Herzen leid, aber wie konnte er ihm helfen? Dann hörten beide, wie sich die Tür zum Lager öffnete und sahen dass Marion ihren Kopf hereinsteckte, um ein letztes Mal zu schauen ob alles in Ordnung war. Sofort verschwand Lasse hinter einem Regal, um sich erneut zu verstecken. Da sah der Teddy seine Chance, denn er wusste, was Lasse vorhatte, konnte nicht in Ordnung sein. Schnell stieß er eines der Spiele, die im Regal lagen, um. Durch dieses Poltern wurde Marion aufmerksam und betrat den Raum. Natürlich hatte sie Lasse, der hinter einigen Kartons kauerte, schnell gefunden.

„Was machst Du denn hier?”, staunte sie.

Lasse begann zu weinen, und Marion nahm ihm tröstend in den Arm.

„Heute ist doch Weihnachten, da soll niemand traurig sein. Willst Du mir nicht erzählen, was Dich bedrückt?” fragte sie.

So liebevoll angesprochen fasste Lasse Mut und erzählte ihr ebenfalls die ganze traurige Geschichte.

„Meine Mama war so sauer, dass ich mich gar nicht mehr nach Hause traue”, schluchzte er.

„Ich bin sicher, dass Deine Mama gar nicht mehr böse auf Dich sein wird. Ganz bestimmt hat sie es nicht so gemeint. Weißt Du, wir Erwachsenen haben vor Weihnachten oft so viel zu tun, da fühlen wir uns manchmal überfordert und dann passiert so etwas. Wir rufen sie jetzt an, dann kann sie Dich abholen und alles wird wieder gut”, redete sie ihm zu.

„Weißt Du Eure Telefonnummer?”

„Aber den schönen Teddy, den möchte ich mitnehmen!”, darauf bestand Lasse.

„Sonst sage ich Dir nicht, wie Du Mama erreichen kannst.”

Marion seufzte. Notfalls würde sie das auf ihre Kappe nehmen, falls seine Mutter sich weigern sollte den Teddy zu bezahlen.

„Also gut, aber sag mir jetzt bitte Eure Telefonnummer.”

Lasse schniefte noch einmal und dann murmelte er einige Zahlen: „Das ist die Handynummer meiner Mama.”

Sofort griff Marion zu ihrem Smartphone und wählte. Der graue Teddy fühlte sich unendlich erleichtert. Ob er am Ende vielleicht bei Lasse ein Zuhause finden würde? Der hatte ihn die ganze Zeit fest an sich gedrückt und schien ihn wirklich behalten zu wollen. Beide hörten gespannt zu, wie Marion mit Lasse´s Mama sprach.

„Nein, nein, er hat nichts angestellt, machen Sie sich keine Sorgen. Können Sie Ihren Sohn abholen? Wo wohnen Sie denn?”, hörten sie Marion sagen.

„Ach, das trifft sich ja gut, das ist ohnehin auf meinem Heimweg. Wenn es Ihnen recht ist, bringe ich Lasse vorbei. Nein, das macht mir wirklich keine Mühe!”

Mit diesen Worten legte sie auf und wandte sich wieder Lasse zu.

„So, und jetzt bringe ich Dich nach Hause. Deine Mama ist schon halb verrückt vor Sorge. Das darfst Du ihr nie wieder antun, hörst Du? Welch ein Glück, dass ich Dich gefunden habe, sonst hättest Du mehrere Tage hier verbringen müssen. Was hast Du Dir nur dabei gedacht?”

Lasse wurde ganz kleinlaut und senkte beschämt den Kopf. Offensichtlich war er doch froh, dass er wieder heimkonnte. Gehorsam ging er mit Marion zu deren kleinem Auto und nahm auf dem Rücksitz Platz.

„Einen Kindersitz habe ich nicht, aber schnallt Euch bitte an”, sagte sie zu ihm und Teddy. Nach wenigen Minuten standen sie vor dem Haus, in dem Lasse mit seinen Eltern wohnte. Die hatten schon gewartet, denn kaum hatte Marion das Auto geparkt, kamen sie nach draußen gerannt.

„Lasse, wie gut, dass Du wieder da bist!”, wurde er von seinem Vater begrüßt. Und in den Augen seiner Mutter schimmerte es verdächtig feucht, wie der Teddy bemerkte. Sie bedankte sich zunächst bei Marion und wandte sich dann ihrem Sohn zu.

„Wie ich höre, möchtest Du den Teddy behalten. Verdient hast Du ihn eigentlich nicht, aber heute ist Weihnachten, da wollen wir mal ein Auge zudrücken”, sagte sie lächelnd, in dem Bemühen streng zu wirken. Dem grauen Teddy polterte ein riesiger Stein vom Herzen – endlich hatte auch er ein schönes Zuhause gefunden!

Das Weihnachtsmannkostüm

Irma Seiler wollte umziehen, in eine kleinere Wohnung. Schon vor Monaten hatte sie sich für ein Appartement in einer Einrichtung für betreutes Wohnen beworben. Nun wurde es höchste Zeit, sonst würde sie den Umzug nicht mehr bewältigen können, das wusste sie. Es fiel ihr sehr schwer, die vertrauten vier Wände, in denen sie mit ihrem Mann Walter so viele Jahre glücklich gelebt hatte, zu verlassen. Von vielen liebgewordenen Sachen musste sie sich trennen, auch das war nicht leicht. Beim Sortieren und Einpacken kamen ihr etliche Erinnerungen in den Sinn; schöne, lustige und natürlich auch einige wehmütige. Man konnte fast sagen, dass ein großer Teil ihres Lebens im Zeitraffer noch einmal an ihr vorbeizog. Als sie dabei den uralten roten Weihnachtsmannanzug, den Walter so oft getragen hatte, in den Händen hielt, stand sie auf, um sich einen Tee zu kochen und eine kurze Pause zu machen. Mit diesem Kostüm verband sie einige ganz besondere Erlebnisse, deshalb hatte sie es auch nicht fertiggebracht, es nach Walter´s Tod zu entsorgen. Sie und Walter hatten sich immer Kinder gewünscht, nachdem er, zum Glück halbwegs unversehrt, aus dem Krieg heimgekommen war, aber leider war dieser Herzenswunsch nicht in Erfüllung gegangen. Daher kümmerten sie sich regelmäßig um die Kinder in einem städtischen Waisenheim und suchten sich einige gemeinsame Hobbys. So hatten sie sich unter anderem auch einer Laienspielgruppe in der Nähe angeschlossen, was ihnen viel Freude machte. Aber die Stunden, die sie mit den Kindern verbrachten, waren ihnen am liebsten. Im Sommer luden sie die Mädchen und Jungen in kleinen Grüppchen zu sich in den Schrebergarten ein, damit sie sich nach Herzenslust an dem frischen Obst gütlich tun konnten. Natürlich gab es bei dieser Gelegenheit auch jede Menge Kakao und Kuchen - von Irma selbst gebacken. Im Dezember jeden Jahres spielte Walter für die Kinder den Weihnachtsmann. Irma hatte sich ein Engelskostüm genäht und begleitete ihn. Die Kinder von damals hatten noch recht bescheidene Wünsche, wie einen Fußball, einen Teddybären oder eine neue Puppe. Bis zum ersten Advent durften alle Kinder einen Wunschzettel abgeben, den einer von ihnen heimlich abholte. Es hatte beiden so viel Spaß gemacht, den Kindern ihre Wünsche zu erfüllen, denn von der Heimleitung gab es für ihre Schützlinge zum Weihnachtsfest leider überwiegend praktische Geschenke, wie neue Kleidung und dergleichen. Solange Walter es gesundheitlich noch konnte, zog er am Heiligen Abend das Weihnachtsmannkostüm an, Irma holte ihr Engelsgewand aus dem Schrank und schnallte sich die goldenen Flügel um. Alle Geschenke waren liebevoll verpackt und mit bunten Anhängern versehen, auf denen der Name des Kindes stand, das es erhalten sollte. Die Freude und Dankbarkeit der Kinder war ihr schönster Lohn, darin waren Walter und Irma sich einig. Natürlich unterhielten sich „Engel Irma” und auch der „Weihnachtsmann Walter” mit den Kindern. Die Begegnung mit einem Waisenjungen, er mochte an diesem Weihnachtsfest etwa sieben oder acht Jahre alt gewesen sein, war Irma noch heute, mehrere Jahrzehnte später, äußerst lebhaft in Erinnerung. Peter war sein Name und als er neben ihr saß, vertraute er ihr an, dass er oft sehr traurig war, weil er seine Eltern so vermisste.

„Schau, das sind sie”, erzählte er, wobei er ein zerknittertes Foto aus der Hosentasche zog, auf dem er zusammen mit einem sympathisch aussehenden jungen Paar zu sehen war, das fröhlich in die Kamera blickte. „Wenn ich im Bett liege, denke ich immer an sie. Meine Mama hat mir früher jeden Abend eine schöne Gute-Nacht-Geschichte erzählt oder etwas vorgelesen, aber die Tanten hier haben nur selten Zeit dazu”, setzte er hinzu.

Dabei glitzerten heiße Tränen in seinen blauen Augen. Unwillkürlich hatte Irma schlucken müssen. Tröstend sagte sie: „Deine Mama war eine sehr hübsche Frau und sie hat Dich bestimmt sehr lieb gehabt, genauso wie Dein Papa.”

„Ich weiß, deshalb vermisse ich sie ja so”, schluchzte er. „Kannst Du sie bitte ganz doll von mir grüßen, wenn Du zurück in den Himmel fliegst?”, bat er.

„Aber natürlich mache ich das”, versprach Irma ihm.