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Sabotage an Bord der Enterprise!
Wir schreiben das Ende des 22. Jahrhunderts. Das Kolonisten-Schiff
Rosenberg wird durch einen Ionensturm schwer beschädigt, der Besatzung droht der Strahlentod. Nur ein einziges Schiff wäre schnell genug, die
Rosenberg rechtzeitig zu erreichen. Es hat noch keinen Namen, und der hyperlichtschnelle Antrieb wurde noch nie getestet. Captain April ist bereit, das Risiko zu wagen. In seiner Mannschaft befindet sich auch George Kirk, der nicht ahnt, dass sein Sohn Jim dieses Schiff einmal befehligen wird. Als die Warp-Triebwerke zum ersten Mal gezündet werden, spielt plötzlich der Navigationscomputer verrückt, und April und seine Crew landen mitten in romulanischem Gebiet. Während die Crew nach dem Saboteur sucht, muss April versuchen, das kriegerische Volk davon zu überzeugen, dass die
Enterprise in friedlicher Absicht kommt.
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Seitenzahl: 653
Wir schreiben das Ende des 22. Jahrhunderts. Das Kolonisten-Schiff Rosenberg wird durch einen Ionensturm schwer beschädigt, der Besatzung droht der Strahlentod. Nur ein Schiff wäre in der Lage, die Kolonisten rechtzeitig zu retten. Doch dieses Raumschiff ist noch nicht einsatzbereit. Der hyperlichtschnelle Antrieb wurde nie getestet, das »Starship« hat keine Besatzung und auch noch keinen Namen.
Doch Captain Robert April ist zum Risiko bereit. Mit unkonventionellen Mitteln trommelt er eine Crew zusammen. Darunter befindet sich auch sein Freund, ein Starfleet-Offizier namens George Kirk. Dieser George Kirk ahnt nicht, dass sein Sohn Jim einmal dieses Raumschiff befehligen wird. Aber er gibt dem ersten Schiff der Constitution-Klasse seinen Namen: Enterprise.
Captain April will beweisen, dass die Enterprise ausschließlich friedlichen Zwecken dient. In seine Crew haben sich jedoch Saboteure eingeschlichen. Als die Warptriebwerke zum ersten Mal gezündet werden, spielt der Navigationscomputer verrückt. Die Enterprise
DIANE CAREY
DIE LETZTE GRENZE
Star Trek™
Die Anfänge
Dem Forschungsgeist gewidmet.
Ein unbekannter Sektor, in dem viele Gefahren lauerten. Plötzlich erschien ein Raumschiff. Der Vulkanier schrie …
Nun, vielleicht auch nicht.
Als mich Diane bat, das Vorwort zu Die letzte Grenze zu schreiben, erhob ich keine Einwände und tröstete mich mit dem Gedanken, dass sie rund 127 000 Worte zu Papier bringen musste, bevor es Zeit wurde, mein Versprechen einzulösen. Bestimmt fiel mir bis dahin irgend etwas ein.
Doch mein Optimismus ließ allmählich nach.
Jetzt trennen uns nur noch wenige Tage vom Ablieferungstermin des Manuskripts, und ich fühle mich in meine Zeit als Student zurückversetzt: Es ist nicht sehr angenehm, sich am späten Sonntagabend daran zu erinnern, dass am Montagmorgen eine wichtige Prüfung auf dem Programm steht. Nun, damals nahm ich bei solchen Gelegenheiten ein leeres Blatt Papier zur Hand und notierte darauf mehrere Themen, in der vagen Hoffnung auf eine Inspiration.
Ein Punkt auf der Auswahlliste lautet Rache. Ich könnte es Diane heimzahlen, mich in eine solche Lage gebracht zu haben, indem ich meine Situation als Ehemann und Mitarbeiter schildere. Aber bei ›Conventions‹ hört man so viele Geschichten über exzentrische Autoren, dass solche Beschreibungen nichts Neues hinzufügen können. Ich möchte mich daher mit wenigen Angaben begnügen. Psychologen vertreten die Ansicht, ein bedeutendes Kindheitstrauma führe dazu, dass die Betroffenen zu Dieben, Mördern, Drogenabhängigen, Prostituierten oder Schriftstellern werden. Normalerweise bin ich froh, dass sich Diane für die letzte Option entschieden hat. Doch wenn sie mitten in der Nacht aufsteht, weil ihr Captain Kirk irgend etwas ins Ohr flüstert, gewinnt die Vorstellung von Dieben und Mördern eine gewisse Attraktivität.
Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, unser gemeinsames Phantasie-Universum aus einer humorvollen Perspektive zu betrachten. Ich könnte zum Beispiel irgend eine Szene aus den Fernsehfolgen oder Filmen nehmen und sie nach Belieben verändern. Welche Handlungssequenz käme dafür in Frage? Nein, vielleicht sollte ich besser auf so etwas verzichten. Echte Trekkies beschäftigen sich gern mit Star Trek-Parodien, aber wer nicht zur imaginären Föderation der Vereinten Planeten gehört (die ›Unreinen‹, sozusagen), versteht häufig nicht, was es damit auf sich hat.
Wie wäre es, auf einige der technischen und wissenschaftlichen … Freiheiten einzugehen, die man sich bei der Fernsehserie nahm, um den Plot voranzubringen? Nein, dann besteht die Gefahr, dass dieses Vorwort länger wird als der Roman, der ihm folgt.
Versuchen wir's auf eine andere Art und Weise.
Häufig wird die Frage gestellt, wie eine inzwischen mehr als zwanzig Jahre alte, fürs Fernsehen entwickelte SF-Serie eine so große und treue Anhängerschaft gewinnen konnte. Selbst die Fans bieten verschiedene Antworten an. Einige von ihnen meinen, die Star Trek-Protagonisten – man bezeichnet sie oft als ›die Vier von der Enterprise‹ – verkörperten eine klassische und daher zeitlose Mischung aus Anteilnahme, Humor und Konflikt. Andere weisen darauf hin, die Serie sei weitaus anspruchsvoller als andere TV-Produktionen, die nur deshalb hohe Einschaltquoten erzielten, weil der Intelligenzquotient des entsprechenden Publikums nicht über den von gehirnoperierten Mücken hinausginge. Zwar bin ich gern bereit, solche Standpunkte zu teilen, aber meiner Meinung nach besitzt Star Trek noch einen anderen wichtigen Aspekt, der häufig übersehen wird.
Mehrere tausend Jahre lang behaupteten Philosophie und Religion, der Mensch sei im Grunde genommen ein bösartiges Tier. Als Star Trek in den sechziger Jahren entstand, schien alles auf eine Bestätigung solcher Thesen hinzudeuten. Immer wieder brachen lokal begrenzte Kriege aus. Rassenunruhen waren an der Tagesordnung; Umweltverschmutzung und Überbevölkerung führten zu weiteren Problemen. Hinzu kam die Gefahr eines weltweiten Atomkriegs. Selbst zuversichtliche Gemüter blickten ziemlich betroffen in die Zukunft und sahen eine überbevölkerte, verseuchte und arme Welt, in der Gewalt die moralische Bedeutung einer neuen Tugend gewinnt und ein täglicher Überlebenskampf stattfindet. Solche Aussichten sind natürlich sehr deprimierend. Star Trek bot jedoch keine neue Version der Apokalypse an, sondern vermittelte Hoffnung.
Genau das ist der springende Punkt. Star Trek zeigt, dass uns eine erstrebenswerte Zukunft bevorsteht. Ja, sie wird uns mit neuen Problemen konfrontieren, und einige von ihnen erwecken zunächst den Eindruck, als seien sie unlösbar. Doch die Menschheit ist eben nicht ein fehlgeschlagenes Experiment der Natur, sondern sie hat durchaus die Kraft, über sich selbst hinauszuwachsen. Star Trek teilt uns mit, dass wir einzigartig sind und unser Schicksal selbst bestimmen können. Die Konflikte der Gegenwart dürfen uns nicht dazu verleiten, die Zukunft aus den Augen zu verlieren. Diane und ich erachten es als Ehre, zum Star Trek-Universum zu gehören. Wir sind fest entschlossen, uns den Respekt der Menschheit gegenüber zu bewahren, der Star Trek zu einer außerordentlich stimulierenden Kraft im heutigen sozialen Bewusstsein macht.
Die letzte Grenze ist ein historischer Star Trek-Roman, der Ereignisse beschreibt, die fünfundzwanzig Jahre vor den Abenteuern des Captains James T. Kirk stattfanden. (Die James Kirk betreffenden Szenen sind kurz nach der Fernsehfolge ›The City on the Edge of Forever‹ angesiedelt, auf die sich der Leser beziehen mag.) Diane und ich haben uns Mühe gegeben, Technik und Philosophie zu einem Punkt zurückzuentwickeln, der den Star Trek-Ursprung und die daraus folgenden Entwicklungen verdeutlicht. Dieser Roman spielt zu einem Zeitpunkt, als die von der Enterprise her bekannte Technologie gerade erst entstand, als der Föderationspolitik einheitliche Richtlinien fehlten, als Raumschiffkommandanten noch nicht wussten, wie sie auf das Fremde und Unbekannte reagieren sollten. Es geht dabei um die unausweichlichen Konfrontationen zwischen verschiedenen Philosophien und Zukunftserwartungen, um die manchmal unbarmherzig erscheinenden Auseinandersetzungen zwischen Intelligenz und Intelligenz. Es gibt viele Menschen, die das Leben nur für ein sinnloses Etwas zwischen Geburt und Tod halten, und wenn sie die von Star Trek übermittelte Botschaft verstehen, rufen sie vielleicht mit uns zusammen: »Da muss doch noch mehr sein!«
Gregory Brodeur
ERSTER TEIL
Eine Vergangenheit, in der es keine Sternzeit gab. Und ein Captain nutzte sein Privileg, dorthin zurückzukehren.
Jim Kirk beobachtete weite Kornfelder, über denen sich der Himmel wölbte, und er nahm den Geruch von frischem Heu wahr. Doch das Summen seines Kommunikators wies ihn darauf hin, dass er der Realität nicht ganz entrinnen konnte. Aus einem Reflex heraus tastete er nach dem Instrumentengürtel, an dem Phaser und Kom-Gerät befestigt waren, wenn er sich nicht an Bord der Enterprise befand. Eine Sekunde später erinnerte er sich daran, dass er keine Uniform trug. »Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten, Pille«, murmelte er, als er das kleine Instrument aus der Tasche einer Segeljacke zog und es mit einer Lässigkeit aufklappte, die fast widerstrebend wirkte. Nach kurzem Zögern hob er den Kommunikator vor die Lippen. »Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten, McCoy. Ich habe Urlaub.«
»Offenbar hast du deinen Urlaub genutzt, um Hellseher zu werden«, erwiderte eine vertraut klingende Stimme.
»Wer außer dir ist so dreist, einen direkten Befehl zu missachten?« Kirk nahm das Gerät in die linke Hand, und mit der rechten bemühte er sich, ein schmales Segment in der Scheunenwand beiseite zu schieben. Es fiel ihm nicht leicht. Wie lange war es her, seit er das Fach zum letzten Mal geöffnet hatte? Er verzichtete darauf, die Jahre zu zählen, dachte an die Stromschnellen im Fluss der Zeit. Derzeit stellten die darin verborgenen Strudel eine nicht unerhebliche Gefahr für ihn dar …
»Was willst du?«, fragte er und griff durch die Öffnung im uralten Holz. McCoy gab nicht sofort Antwort, und Kirk hielt das für ein Anzeichen von Schuldbewusstsein.
»Ich dachte, vielleicht möchtest du Gesellschaft beim Abendessen.«
»Ein besserer Vorwand fiel dir nicht ein?«
»Nun, wenn man sich in einem Raumdock befindet, kann man wohl kaum auf einen Notfall an Bord hinweisen. Ich habe gehofft, dich mit einem gefüllten Truthahn in Versuchung führen zu können. Oder mit einem saftigen Steak. Himmel, ich bin Arzt und kein … kein … was weiß ich. Meine Phantasie gibt einfach nicht mehr her.«
»Dann solltest du deine Vorstellungskraft schleunigst erweitern«, erwiderte Jim scharf. »Im Augenblick liegt mir nichts an irgendwelchen Aufmunterungen. Kirk Ende.«
Er klappte den Kommunikator zu und ließ ihn zusammen mit all den Dingen, die er repräsentierte, in der Jackentasche verschwinden. Vor seinem inneren Auge beobachtete er, wie das kantige Gesicht McCoys eine Mischung aus Niedergeschlagenheit und Enttäuschung zeigte. Kirk wusste natürlich, dass er seinem alten Freund gegenüber unfair war, aber die bittere Wirklichkeit zeichnete sich ohnehin durch einen eklatanten Mangel an Fairness aus. Wo stand geschrieben, dass Raumschiffkommandanten Ausnahmen bilden mussten? Nein, dieser Tag gehörte ihm allein, und er wollte ihn mit niemandem teilen. Sein Wunsch bestand nur darin, mit jenem Erinnerungsbild zu verschmelzen, das ihm einen schlanken, blonden Jungen mit großen Zukunftserwartungen und einer geradezu schmerzhaft pragmatischen Imagination zeigte. Er hatte das Gefühl, nur die Tür des Heubodens öffnen zu müssen, um seine Mutter zu sehen, die aus dem Fenster des Farmhauses blickte: Vermutlich fragte sie sich, welche Gedanken ihrem Sohn durch den Kopf gingen, und wie üblich brachte sie nicht den Mut auf, um die Scheune zu betreten und ihn zu fragen. Vielleicht schwieg sie auch nur deshalb, weil Taktgefühl in ihrem Wesen eine wesentlich größere Rolle spielte als in McCoys Charakter.
Pille brachte der Privatsphäre anderer Personen ebenso großen Respekt entgegen wie Bakterien, die einen guten Nährboden witterten.
Kirk entschied sich dagegen, den Kopf zu drehen und in Richtung Haus zu starren. Statt dessen klappte er die metallene Schachtel im Wandfach auf. Behutsam entnahm er ihr ein zusammengeschnürtes Bündel aus fransigen und vergilbten Briefen. Wie in Trance betrachtete er es und entsann sich an den Knaben namens James, der das Starfleet-Briefpapier für einen kostbaren Schatz hielt. Seine Lippen zitterten kurz, als er mit dem Daumen über die blasse Tinte strich, deren gewölbte Linien handgeschriebene Buchstaben, Worte und Sätze bildeten.
»Botschaften aus einer Zeit der Träume und Hoffnungen«, murmelte er und brach sofort wieder ab, als ein Kloß in seinem Hals entstand. Kirk straffte die Gestalt – vor fünfundzwanzig Jahren war ihm das wesentlich leichter gefallen –, schritt zur Tür des Heubodens und ließ sich dort im Sonnenschein nieder.
Echtes Sonnenlicht fiel auf seine Wangen und verlieh ihnen einen rötlichen Glanz. Er spürte, wie die Farbe in seine Haut zurückkehrte und dachte daran, wie blass man wurde, wenn man sich längere Zeit an Bord eines Raumschiffes befand, obgleich die künstliche Beleuchtung alle Spektralbereiche berücksichtigte. Kirk verglich sie mit Proteintabletten anstelle von Mahlzeiten. Sie versorgten den Körper mit allen notwendigen Kalorien und Vitaminen, aber dennoch fehlte etwas. Vielleicht war das der Grund, warum das Licht in einem Raumschiff keine Wärme vermittelte.
»Raumschiff«, wiederholte er leise. Aus welchem Grund klang das so düster? Die Tragödie, die ihn wie mit einem jähen Gravitationssog auf die Erde geschleudert hatte – sollte man die Enterprise dafür verantwortlich machen? Wohl kaum. Auch McCoy traf keine Schuld, obwohl seine Gefühle etwas anderes behaupteten. Selbst Spock brauchte sich nichts vorzuwerfen; er hatte versucht, seinen Freunden und Gefährten zu helfen – ohne Erfolg. Also ist es meine Schuld, überlegte Kirk. Es ist meine Schuld, weil ich der Captain bin. Und nun büßt du für deinen Ehrgeiz, Jim.
Er zwinkerte im hellen Sonnenschein, öffnete das Bündel Briefe und bildete zwei Hälften daraus, um allein den Zufall bestimmen zu lassen. Dann nahm er einen Brief zur Hand und begann zu lesen.
10. Mai 2183
Lieber George, lieber Jim,
bestimmt wartet Ihr schon seit einer ganzen Weile auf Antwort, und das tut mir leid. Es dauerte ziemlich lange, bis ich Euren letzten Brief erhielt, weil er zunächst die falsche Starbase erreichte. Typisch Starfleet: Wir schicken Raumschiffe durch die ganze Galaxis, aber wenn es um die Zustellung von Briefen geht, sind wir immer noch im Postkutschenzeitalter.
Ich fühle mich nicht ganz wohl in meiner Haut, wenn ich an den vergangenen Monat denke, Jungs. Ich weiß, dass ich versprochen habe, Euch zu besuchen, aber Ihr sollt ruhig erfahren, dass Versprechen manchmal Probleme mit sich bringen. Gelegentlich können sich nicht einmal von Vätern eingelöst werden. George, ich bin sehr stolz auf das grüne Band, dass Du bei der Wissenschaftsmesse gewonnen hast. Du weißt bereits mehr über Biologie, als ich jemals in Erfahrung bringen konnte. Ich habe das Band über den Zugang des hiesigen Freizeitdecks befestigt, so dass es jeder sehen kann, und ich soll Dir im Namen vieler Besatzungsmitglieder der Starbase gratulieren.
Was die andere Sache betrifft, Jimmy: Ich halte sie für keine besonders gute Idee. Der Weltraum ist ziemlich langweilig, wenn man ihn dauernd sieht. Eines Tages wird es Dir weitaus lieber sein, auf einem Planeten zu stehen, während Du die Sterne beobachtest. Nun, wahrscheinlich stellt Dich diese Antwort nicht zufrieden …
»Damit hast du völlig recht«, murmelte Kirk und seufzte. »Aber das spielt keine Rolle. Damals war ich ohnehin zu jung, um gewisse Dinge zu verstehen.« Er lehnte sich an die Wand aus grauem Holz, überkreuzte die Beine und trank einen Schluck von dem Kaffee, den er mitgebracht hatte. Honig und Milch verliehen ihm den Geschmack einer flüssigen Zuckerstange – so wie damals, als meine Tante glaubte, ich könne noch keinen schwarzen Kaffee vertragen. Der Geschmack der Nostalgie.
Erneut griff er nach dem Brief, schob das alte Papier in den Schatten zurück und wandte sich an die stumme Handschrift: »Sprich weiter. Ich höre zu.«
Der Sicherheitsoffizier ließ den Stift sinken, berührte den Kontrollsensor der visuellen Überwachung und sah zu den Monitoren auf. Jeder Bildschirm war so geneigt, dass er ihm ein klares Spiegelbild anbot. Es ärgerte ihn, ständig an einem Burschen mit rostrotem Haar und strenger Miene vorbeizusehen; das verschlossene, maskenhaft starre Gesicht erschien ihm wie ein wortloser Vorwurf. Er zwinkerte, um sich von diesem Eindruck zu befreien, konzentrierte sich auf die einzelnen Projektionsfelder. Sie zeigten verschiedene Bereiche der Starbase. Um zwei Uhr in der simulierten Nacht herrschte zumindest vorübergehende Ruhe.
Der Mann schaltete die automatische Kontrolle des Computers ein, hob den Stift und schrieb weiter.
Natürlich könnt Ihr mich besuchen, wenn die Schulferien beginnen. Aber ein längerer Aufenthalt in Starbase Zwei kommt nicht in Frage. Immerhin hat auch Eure Mutter berufliche Verpflichtungen, und als Leiter der Sicherheitssektion könnte ich nicht genug Zeit für Euch erübrigen. Daher rate ich Euch dringend davon ab, mit dem Gedanken zu spielen, Euer gewohntes Leben aufzugeben. Hier gibt es keine Wiesen, Teiche, Frösche oder Rennbahnen, nur Laboratorien, Studienzimmer, Simulatoren und Sporthallen, die nicht einmal groß genug sind, um Baseball darin zu spielen.
Der Mann zögerte und dachte voller Unbehagen an die verhüllte Wahrheit seiner Formulierungen. Nein, dieser Ausdruck traf nicht ganz den Kern der Sache. Es handelte sich um verhüllte Lügen, mit denen er das zarte, kindliche Vertrauen schützen wollte, dem seine Sätze galten. Inzwischen bedeutete dies ihm weitaus mehr als die Wahrheit. Seltsam: Ganz gleich, welche Lichtjahrdistanzen ihn von der Erde trennten – nie konnte er dem inneren Schmerz seiner Integrität entkommen.
Er begrüßte die Ablenkung, als er ein plötzliches Summen hörte, das von einem der Monitore stammte. Sofort beugte er sich vor und betätigte eine Taste. Der linke Bildschirm reagierte wie ein Lügendetektor auf verdächtige physiologische Hinweise und zeigte das Billardzimmer. Die entsprechenden Sensoren registrierten eine Zunahme individueller Infrarot-Emissionen und stellten andere Stressfaktoren fest, die der Computer als eine mögliche Gefahrenquelle erachtete. Drei Männer standen an einem der Tische und umringten eine vierte Gestalt. Einer der drei Burschen – er war besonders kräftig gebaut – packte den vierten Typ recht unsanft am Kragen.
Der Sicherheitsoffizier spürte, wie sich etwas in ihm versteifte, und kniff die nussbraunen Augen zusammen. Er erkannte die drei Männer als freie Händler. ›Satan‹ Jones und seine raubeinigen Kumpane. Berüchtigte Unruhestifter, die das Gesetz sehr großzügig auslegten. Allerdings hüteten sie sich, die Grenze zur Illegalität offenkundig zu überschreiten, denn in einem solchen Fall hätten sie die Erlaubnis verloren, an der Starbase anzudocken, Treibstoff sowie Vorräte aufzunehmen und ihre fragwürdigen Dienstleistungen all denen anzubieten, die dafür bezahlten. Doch der Mann mit dem lohfarbenen Gesicht und umbrabraunen Haar, dem sie zusetzten, gehörte zur Besatzung der Starbase – und hatte um diese Zeit eigentlich gar nichts im Billardzimmer zu suchen.
»Seid doch vernünftig«, sagte er mit einem westindischen Akzent. »Zweimal musste ich bereits eine Niederlage hinnehmen. Ich bin besser als ihr, habe heute nur einen schlechten Tag. Den schlechtesten seit langem. Wenn ich mir wirklich Mühe gebe, spiele ich euch glatt an die Wand.«
»Klar, Reed«, erwiderte einer der anderen Männer. »Das behauptest du dauernd, und langsam reicht's mir. Ich warte noch immer auf eine echte Herausforderung.«
Satan Jones schloss die Hände fester um den Kragen seines Opfers. »Wie wär's, wenn du endlich mal zeigst, was du drauf hast, hm? Ich schlage vor, du setzt einen Monatssold gegen unser Einkommen.«
»Das ist eine ausgezeichnete Idee, aber leider muss ich jetzt gehen. Wisst ihr, ich bin im Dienst. Wenn jemand sieht, dass ich hier mit euch 'ne ruhige Kugel schiebe, droht mir die Entlassung.«
»Er muss gehen«, brummte der dritte Händler. »Was für ein Zufall.«
»Wirklich bedauerlich«, knurrte Satan Jones.
Drake Reed versuchte, die hundert Kilo schwere Muskelmasse zu ignorieren, die ihn nach wie vor an den Billardtisch presste, holte seinen Kreditchip hervor und legte ihn auf die Bande. Er hatte schon zwei Spiele verloren, und die Burschen vor ihm freuten sich bereits über einen hohen Gewinn, als sie ebenfalls in den Taschen kramten und ihren eigenen Einsatz hinzufügten. Er bestand aus diversen Schuldscheinen, Föderationsobligationen und elektronischen Verrechnungskarten.
Jones lächelte, ließ Reed los und nickte seinem bärtigen Gefährten zu. »Erteil ihm eine Lektion, Kettensäge.«
Reed zuckte mit den Schultern. »Mann, du brauchst ein Warp-Queue, um es mit mir aufzunehmen.«
»Halt den Schnabel und fang an.«
Reed schüttelte den Kopf und fing die Stange auf, die ihm Jones zuwarf.
Der Sicherheitsoffizier tastete unwillkürlich nach seinem Waffengürtel, während er auf den Monitor starrte und beobachtete, wie Reed unter dem roten Uniformpulli die Schultern straffte und sich über den Billardtisch beugte. »Jetzt steht den Amateuren eine Überraschung bevor«, brummte er leise. Reeds Queue zuckte plötzlich nach vorn, und einen Sekundenbruchteil später explodierte ein buntes Dreieck am anderen Ende des Tisches.
Satan Jones und seine Leute rissen verblüfft die Augen auf, als die Hälfte der Kugeln in den Löchern verschwand. Bisher hatte sich Reed nicht annähernd so geschickt angestellt, und der Sicherheitsoffizier wusste, dass sich daraus Schwierigkeiten ergeben mussten.
Das Klacken der Kugeln verklang, und Kettensäge wandte sich mit einem dumpfen Grollen an Reed. »Jetzt kannst du die Augen öffnen«, sagte er spöttisch.
Reed hatte sie keineswegs geschlossen, und in seinen braunen Pupillen funkelte es. Einmal mehr zuckte er betont unschuldig mit den Achseln. »Eine kurze Fluktuation im künstlichen Gravitationsfeld der Starbase«, erwiderte er. »Reines Glück.«
»Das hoffe ich für dich«, sagte Jones drohend. Er zog einen rigelianischen Dolch und drehte ihn wie beiläufig hin und her. »He, wir warten auf deinen nächsten Stoß …«
Der Sicherheitsoffizier justierte den Bildschirm auf Automatik, verließ die Kontrollkammer und eilte zum Lift. Hinter ihm schloss sich das Schott mit einem leisen Zischen.
Nach den beiden nächsten Stößen rochen Jones und seine Freunde den Braten, aber jetzt war es zu spät: Der Einsatz lag am Rande des Tisches und harrte der Feststellung, ob Reed nur unverschämtes Glück hatte oder tatsächlich so gut war, wie er von sich behauptete.
Drake gab eine bemerkenswerte Vorstellung, mied die einfachen Stöße und stellte sein ganzes Können unter Beweis. Die weiße Kugel prallte an mehreren Banden ab, und mit einer an Magie grenzenden Zielsicherheit traf sie ihre farbigen Geschwister. Es dauerte nicht lange, bis sich auf dem Tisch nurmehr leeres Grün erstreckte. Die Art und Weise, in der Reed den Sieg errang, ließ nicht mehr den geringsten Zweifel an seiner Kompetenz: Der Stoßball berührte drei Banden und schickte die Nummern Drei und Sieben in gegenüberliegende Löcher.
»Der Kerl hat uns reingelegt, Satan«, sagte der dritte Händler.
»Ich habe euch gewarnt«, verteidigte sich Reed.
»Diese Sache stinkt nach Betrug«, brummte Jones, als Drake das Queue beiseite legte und seinen Gewinn in den Stiefelschäften verstaute. »He, nicht so hastig mit der Kohle. Auf den Tisch damit. Du schuldest uns eine Revanche. Und diesmal trittst du gegen mich an.«
Reed richtete sich auf und winkte vorsichtig ab. »Nein, nein, ihr Nieten, tut mir echt leid. Ich muss jetzt wirklich los. Himmel, ich bin im Dienst, erinnert ihr euch? Wenn man mich erwischt, sitze ich bis zum Hals in der Tinte.«
Er wich ein wenig unbeholfen zur Tür zurück, kam jedoch nicht sehr weit. Kettensäge sprang auf ihn zu, und erneut wurde er am Kragen gepackt.
Reed schnitt eine Grimasse. »Nicht so fest, Mann, sonst brauche ich eine neue Kehle.« Er wand sich hin und her.
»Hast du was dagegen, wenn wir gleich mit der Operation beginnen?«
Jones hob den rigelianischen Dolch dicht vor Reeds Augen. Hier und dort bildete geronnenes Blut hässliche dunkle Flecken auf der Klinge und erinnerte an eine andere Auseinandersetzung, die zumindest für einen der Beteiligten fatal geendet hatte. Ein Kampf. Und es spielte keine Rolle, wann, wie und wo er stattgefunden hatte. Jemand war gestorben; nur darauf kam es an.
Blut. Sehr wahrscheinlich stammte es von einem Menschen.
Der Dolch schien noch immer durstig zu sein.
Jones holte aus, und im gleichen Augenblick zischte etwas. Die Tür öffnete sich, und jemand stürmte herein, rammte Reed die Faust in die Rippen, drehte ihm den Arm nach hinten. Eine großkalibrige Projektilschleuder hielt Jones und die anderen Händler in Schach. »Wer sich von der Stelle rührt, schmeckt Blei!«
»Er hat uns betrogen!«, platzte es aus Kettensäge heraus.
»Ich sehe nur ein Messer, das jemanden bedroht«, entgegnete der Sicherheitsoffizier scharf. »Wenn euch daran gelegen ist, dass ich diesen Anblick vergesse, solltet ihr die Starbase innerhalb der nächsten zehn Minuten verlassen!«
Reed drehte sich zur Seite und sah zu dem Neuankömmling auf. »Ich kann alles erklären …«
»Ihr Name!«
»Francis Drake Reed, Sir. Ich …«
»In der Arrestzelle haben Sie Zeit genug, einen ausführlichen Bericht zu verfassen. Es ist Ihnen gelungen, praktisch alle existierenden Vorschriften zu verletzen. Zur Tür!«
Jones trat einen Schritt vor. »Aber er hat unser …«
Die Mündung der Projektilschleuder neigte sich ein wenig nach oben und erinnerte ihn deutlich genug daran, dass ein leichter Druck des Zeigefingers genügte, um in seiner Brust ein hässliches Loch entstehen zu lassen.
»Zehn Minuten!«, wiederholte der Offizier. »Und keine Sekunde länger!«
Das Schott glitt auf, und Reed spürte, wie er grob in den Korridor gezerrt wurde. Hinter ihm schloss sich die Tür wieder. Satan Jones fluchte lautlos, hob ein Queue und zerbrach es wütend.
Reed schnappte erleichtert nach Luft, als ihn der Sicherheitsoffizier zum Turbolift führte. In der kleinen Kabine lehnte er sich an die Wand und betastete seine Rippen.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte der Commander.
»Bei allen Heiligen, George«, brachte Reed hervor und verzog das Gesicht. »Du hast mich geschlagen.«
George strich sich eine rote Strähne aus der Stirn und beugte sich ein wenig vor. »Alles – in – Ordnung?«
»Abgesehen davon, dass ich dich etwas eher erwartet habe … Ich glaube schon.«
»Dann halt die Klappe. Und her mit meinem Anteil.«
Reed zuckte schmerzerfüllt zusammen, als er sich bückte und das Geld aus dem Stiefelschaft holte. George zählte es rasch. »Offenbar hatte Jones einen guten Monat«, sagte er und hob anerkennend die Brauen.
»Er ist ein typisches Beispiel dafür, dass Muskelkraft und Intelligenz einander ausschließen«, erwiderte Drake verächtlich. »Warum hast du so lange auf dich warten lassen, George? Der Kerl wollte mit einem Messer an mir herumspielen!«
»Hier ist deine Hälfte. Den Rest im anderen Stiefel kannst du ruhig behalten.«
Drake gab sich beleidigt. »Glaubst du etwa, ich hätte dir nicht alles gegeben?«
George versuchte, ein wissendes Lächeln von seinen Lippen zu verbannen. »Du bist nicht ehrlich, Drake.«
»Ach, komm schon. Es gibt verschiedene Arten der Ehrlichkeit. Zum Beispiel habe ich Jones von Anfang an die Wahrheit gesagt.«
»Ja, aber du hast sie so formuliert, dass er dir nicht glaubte.«
»Zu einer derartigen Heimtücke wäre ich gar nicht fähig. Ich bin ein Mann mit schlichtem Gemüt.«
»Du bist ein Opportunist, der sich hinter einer Unschuldsmiene verbirgt«, erwiderte George und klopfte Reed auf die braune Wange. »Du lügst, dass sich die Balken biegen.«
»Ich protestiere.«
»Du bist ein Gauner, der seinen Akzent geschickt als Werkzeug verwendet. Gib es ruhig zu. Du klingst wie ein Priester aus Trinidad, und das nutzt du voll aus.«
»Und das behauptet jemand, für dessen Brieftasche ich mein Leben riskiere.«
George betrachtete die Schuldscheine und die in der ganzen Föderation gültigen Kreditkarten. In einem entlegenen Winkel seines Selbst regte sich ein Gefühl der Schuld, und einige Sekunden lang bedauerte er es, das Geld genommen zu haben. Doch die Zweifel verflogen rasch. Jones und seine Leute hatten wohl kaum auf ehrliche Weise eine solche Summe verdient. Wenigstens wurde sie jetzt nicht für billigen Fusel ausgegeben, sondern diente dazu, jemandem eine große Freude zu bereiten. »Danke, Drake. Dies bedeutet mir eine Menge. Ohne deine Hilfe hätte ich bis zum nächsten Monat nicht annähernd soviel Geld zusammenbringen können.«
»Schon gut, George. Eine Hand wäscht die andere. Wir sind ein tolles Team, nicht wahr? Als Profis könnten wir es sicher weit bringen.«
»Soll das ein Vorschlag sein? Meine Güte, ich bin Sicherheitsoffizier!«
»Um so besser.« Reed grinste. »Das gibt uns einige Vorteile.«
Die Lifttür öffnete sich, und die beiden Männer schritten durch den Gang, der zum Kontrollraum der Sicherheitssektion führte. Dort warf George sofort einen prüfenden Blick auf den Monitor, der das Billardzimmer zeigte. Die Händler hatten ihn ernst genug genommen, um tatsächlich zu verschwinden. Leute wie Jones wagten es nur selten, sich mit hochrangigen Angehörigen der Sicherheitsabteilung von Starfleet anzulegen. Wenn ihnen die Genehmigung entzogen wurde, an einer Starbase anzulegen, war der Verlust weitaus größer als das Monatseinkommen von drei Männern.
George seufzte zufrieden. »Ich rate dir, deine Uniform anzuziehen, bevor jemand hereinkommt und dich in dieser Aufmachung sieht«, sagte er.
»Und wenn schon«, gab Reed zurück. »Mein bester Freund ist Sicherheitsoffizier. Darauf hast du mich eben selbst hingewiesen.«
»Verlass dich nicht zu sehr auf dein Glück, Raumpirat.«
Drake Reed ging zum Wandschrank und kleidete sich um, aber selbst mit dem Waffengürtel sah er noch immer wie ein karibischer Priester aus. »Du hast mir noch nicht verraten, wozu du das Geld brauchst, Geordie.«
George nahm in seinem Sessel vor den Bildschirmen Platz und griff nach der magnetischen Schreibtafel. Mattes Licht glühte durch mehrere Blätter, und er gewann den Eindruck, als sprängen ihm Worte und Sätze entgegen. »Ich beabsichtige, Jimmy ein Geburtstagsgeschenk zu kaufen. Das weißt du doch.«
»Ich erinnere mich vage daran, dass du davon gesprochen hast. Was für ein Geschenk?«
»Nun …«
»Eine hübsche Frau?«
»Er ist noch kein Fähnrich«, entgegnete George und lächelte.
»Was möchte er dann zu seinem zehnten?«
George zögerte. »Ein Segelboot. Vermutlich ist es meine Schuld. Ich habe ihn in zu vielen Seefahrts-Museen herumgeführt.«
»In Iowa braucht er ein Pferd, um das Ding zu ziehen«, sagte Drake und setzte sich ebenfalls an die Konsole. »Hast du daran gedacht?«
George hob den Kopf. »Bestimmungsort ist nicht etwa Iowa, sondern Ontario. In jedem Sommer besuchen die Jungs ihre Tante an der Georgian Bay. Und in diesem Jahr, du Unschuldslamm, wird sie dort ein hübsches kleines Segelboot erwarten, das Jimmys Namen trägt.«
»Ich hoffe nur, dass auch der Besuch einer Segelschule auf dem Programm steht.«
George ließ die Schreibtafel sinken und blickte ins Leere. »Ach, was würde ich geben, um zur Stelle zu sein und die Leine zu halten, wenn meine beiden Söhne eintreffen …«
»Die Leine?«
»Das Seil, Tau oder was weiß ich. Bring mich nicht durcheinander.«
Drake hob einen mahnenden Finger. »Für Inselbewohner sind solche Einzelheiten sehr wichtig. Übrigens: Was wird Geordie junior davon halten, hm?«
George wölbte die Brauen. »Was schon? Er braucht sich nicht zurückgesetzt zu fühlen – immerhin trägt die ganze Bucht seinen Namen. Außerdem sind meine Jungen keine Rivalen. Geordie ist in erster Linie praktisch veranlagt, wie ich. Er hat überhaupt keine Phantasie und möchte nur immer feststellen, wie gewisse Dinge funktionieren. Der Idealist in unserer Familie heißt Jimmy. Seiner Ansicht nach muss alles im Universum seine Ordnung haben.« Die Erinnerungen fluteten zurück und veranlassten George dazu, erneut nach dem Stift zu greifen. Stille herrschte, während er noch einmal die letzten Zeilen des Briefes las.
Drakes Stimme weckte ihn aus seinen Träumereien. »Warum machst du das?«
»Was meinst du?«
»Warum schreibst du Briefe? Wäre es deinen Söhnen nicht lieber, ihren Vater auf einem Videoschirm zu sehen, ihm direkt zuzuhören? Es kostet dich doch ein Vermögen, solche Botschaften zur Erde zu schicken. Warum fertigst du nicht einfach eine audiovisuelle Aufzeichnung an?«
George seufzte. »Ach, ich kann einfach nicht gleichzeitig denken und sprechen.«
Vielleicht erscheint es Euch seltsam, dass ich Briefe statt Speicherkassetten schicke, aber dafür gibt es einen guten Grund. Erinnert Ihr Euch an das Seefahrt-Museum, in dem wir das aus dem Jahre 1910 stammende Logbuch eines Handelsschiffes lasen? Wisst Ihr noch, wie nahe wir uns dem Kapitän fühlten, als wir seine Handschrift sahen? Wir konnten fast nachempfinden, was er damals empfand. Wer lange auf dem Meer unterwegs ist, wird von Einsamkeit begleitet und muss sich früher oder später seinen Emotionen stellen, ob ihm das nun gefällt oder nicht. Wer etwas schreibt, gewährt Einblick in seine private Welt. Ich entsinne mich an Euer fast ehrfürchtiges Staunen. Vielleicht begegnet Ihr meinen Briefen irgendwann einmal mit einer ähnlichen Einstellung, selbst wenn ich nie von mir behaupten kann, den Ozean mit einer Nussschale überquert zu haben. Vielleicht streicht Ihr dann mit den Fingern übers Papier und denkt daran, dass ich es ebenfalls angefasst habe. Und ich werde wissen, dass es Euch berührt …
»Achte darauf, dass es kein trauriger Brief wird.«
George sah auf und blickte in Drakes Augen; sie glänzten unter dichtem, dunkelbraunem Haar, das deutlich auf seine Abstammung hinwies. Reed schlüpfte erneut in die Rolle des westindischen Priesters, doch diesmal wirkte sein Gesicht ernst.
»Wieso kommst du darauf, dass es ein trauriger Brief ist?«, fragte George und schauderte plötzlich.
Drake beugte sich vor und musterte ihn eingehend. »Es steht in deinem Gesicht geschrieben.«
Auf den pfirsichblassen Wangen des Sicherheitsoffiziers bildeten sich Verlegenheitsflecken. »Zum Teufel mit dir.«
»Beende den Brief, bevor er traurig wird, George«, drängte Reed.
Lange Falten bildeten sich in Georges Stirn, und die Brauen bildeten ein angedeutetes V. Einige Sekunden lang bedachte er Drake mit dem gleichen drohenden Blick wie zuvor Jones. Halt dich aus meinem Privatleben heraus, warnten seine Pupillen. Mehr ist mir nicht geblieben.
»In Liebe, Vater«, beharrte Drake und deutete aufs Papier.
Die Erkenntnis, dass man so leicht in ihn hineinsehen konnte, erfüllte George mit Ärger und Scham. Er wandte den Blick von Reed ab und konzentrierte sich wieder auf die Tafel. Wenn es ihm doch nur möglich gewesen wäre, sich auch seiner Familie so offen zu zeigen …
Mit sonderbar steifen Fingern schrieb er die letzten Worte.
Kümmere Dich um die Familie, George. Du bist mein Stellvertreter. Ich lasse von mir hören, wenn Ihr an der Georgian Bay eingetroffen seid. Und was Dich betrifft, Jim: Spiel nicht verrückt, wenn Dich Tante Ilsa Yiemie nennt.
Mit herzlichen Grüßen
Euer Vater
Sofort faltete George das Blatt, und dann gleich noch einmal, als wolle er auf diese Weise eine gewisse Distanz zwischen sich und dem Bedeutungsinhalt der Sätze schaffen. Er spürte, dass Drake ihn beobachtete, als er den Brief in einen Starfleet-Umschlag schob, den er anschließend rasch adressierte und ins Postkom-Fach legte. Die Klappe schloss sich wieder, und ein leises Zischen deutete darauf hin, dass seine Botschaft ins Verteilersystem gelangte. Jetzt war es zu spät, den Brief zurückzuholen und Änderungen am Text vorzunehmen. Die Endgültigkeit machte ihn nervös. Eine Zeitlang starrte er betroffen ins Nichts und strich sich mit einer kühlen Hand über Wange und Lippen. Seltsam, wie erschöpfend es sein konnte, einige Sätze zu Papier zu bringen.
»Du wirst immer verdrießlich, wenn du deinen Söhnen schreibst, Geordie«, sagte Reed und verschränkte die Arme. »Du hast das Temperament eines dösenden Alligators. Warum gestehst du das nicht endlich ein?«
George warf ihm einen kurzen Blick zu und kämpfte gegen seine Verärgerung an. Stumm sah er auf die Monitore, und nach einer Weile erwiderte er: »Eher stiege ich mit einer Romulanerin ins Bett.«
»Vielleicht hast du bereits ein solches Erlebnis hinter dir. Du weißt ja nicht einmal, wie Romulanerinnen aussehen.«
»Das ist mir auch völlig gleichgültig.«
»Ich fürchte, manchmal weißt du nicht, worauf du dich einlässt.«
»Da hast du vermutlich recht.«
Plötzlich glitt die Tür auf, und allein das war schon eine Überraschung. Nur Angehörige der Sicherheitsabteilung durften die Kontrollkammer betreten, und die drei Personen, die George und Reed nun sahen – zwei Männer und eine Frau –, trugen keine Codeplaketten, mit denen sich das elektronische Schloss entriegeln ließ. Wie hatten sie es geschafft, die Überwachungssensoren zu überlisten? George drehte seinen Sessel herum und sah die Frau an, die vor ihren beiden Begleitern stand. Ihm blieb gerade noch Zeit genug, jadegrüne Augen und schulterlanges Haar zu bemerken. Es glänzte so gelb wie ein Weizenfeld kurz nach dem Sonnenuntergang.
Selbstsicher kam sie herein, gefolgt von zwei unauffälligen Männern. Nach einigen Schritten blieb sie stehen und fragte: »George Kirk?«
Er reagierte instinktiv. »Ja?«
Einen Sekundenbruchteil später sprangen die Männer vor. Einer stürmte auf George zu, und der andere griff Reed an.
Drake war so verblüfft, dass er nicht rechtzeitig handelte. Der Gegner blockierte seine Arme, bevor er die Projektilschleuder ziehen konnte. Die Frau trat sofort näher und presste ihm ein feuchtes Tuch auf Nase und Mund. Reed riss entsetzt die Augen auf und keuchte, als er einen strengen, beißenden Geruch wahrnahm. Unmittelbar darauf spürte er, wie seine Knie nachgaben. Vergeblich trachtete er danach, sich der Schwärze zu widersetzen, die nach seinen Gedanken tastete.
George nutzte die Gelegenheit, den Platz an der Konsole zu verlassen. Sein Fuß traf den Unterleib des Mannes, der es auf ihn abgesehen hatte, und unmittelbar darauf ließ er sich fallen. Rasch rollte er zur Seite, kam wieder auf die Beine, zerrte die Waffe aus dem Halfter, schwang sie in einer fließenden Bewegung herum und rammte ihren Kolben gegen das Kinn des Angreifers. Vielleicht wäre es George gelungen, mit den Eindringlingen fertig zu werden, aber Drakes Stöhnen lenkte ihn für einen Sekundenbruchteil ab. Als Reed zu Boden ging, wandte sich der zweite Mann zum Sicherheitsoffizier um, holte aus und versetzte ihm einen harten Schlag in die Nierengegend. George taumelte benommen, und um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, musste er sich mit der Waffenhand abstützen. Man packte ihn an den Armen, und aus den Augenwinkeln sah er, wie die Frau das Tuch hob.
George Kirk glitt durch eine Sphäre aus matten, konturlosen Visionen, die ihm keinen Halt boten. Er besann sich auf seine Empfindungen, die einzige Brücke zur Realität, und allmählich gewann der Traum soviel Substanz, dass er harten Boden unter den Schulterblättern fühlte. Ein seltsames Prickeln tastete an seinem Rückgrat entlang, und allein das Gewicht der Luft erschien ihm unerträglich.
Langsam kam er wieder zu sich. Er versuchte, die Arme zu heben, aber sie rührten sich nicht von der Stelle. Selbst die Lider gehorchten ihm nicht. Das feuchte Tuch … Hatte ihn die Droge gelähmt?
Keine Panik, dachte er. Mit Panik stellt man sich nur selbst eine Falle. Bleib kühl. Denk nach. Er konzentrierte sich auf die rechte Schulter, den rechten Arm, die rechte Hand, besann sich auf seine ganze Willenskraft. Nach einer Weile geriet der Arm endlich in Bewegung und rutschte über etwas Hartes. Das Prickeln nahm zu, gewann eine fast schmerzhafte Qualität, aber George achtete nicht darauf. Einige Sekunden später stießen die Finger an einen festen Gegenstand, und behutsam schloss er sie darum. Ein Arm. Vielleicht auch ein Bein. Warm.
»Drake«, flüsterte er und bemühte sich, die Augen zu öffnen. Nichts geschah. In Gedanken schloss er sie wieder, und kurz darauf gehorchten ihm die Lider. Die Finsternis wich, und erste Umrisse formten sich. George glaubte, am Deckenrand den gelben Schein von Bordlampen zu erkennen. Das erklärte die Vibrationen des Bodens: Triebwerke.
Neuerliche Besorgnis regte sich in ihm. Man brachte ihn gegen seinen Willen fort. Das bedeutete, er musste etwas unternehmen, und zwar so schnell wie möglich.
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