Stiller Tod - Angelika Friedemann - E-Book

Stiller Tod E-Book

Angelika Friedemann

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Beschreibung

Es gibt keine großen Entdeckungen und Fortschritte, solange es noch ein unglückliches Kind auf Erden gibt. Grausamkeit gegen Tiere ist eines der kennzeichnendsten Laster eines niederen und unedlen Volkes. Alexander von Humboldt Die Ärztin Alina Cinar geht für 18 Monate nach Kenia, um so ihre Karriere zu puschen, dafür nimmt sie selbst die Trennung von ihrem Lebensgefährten hin. Schnell findet sie dort eine neue Liebe: Elefanten. Die grauen, gutmütigen Riesen haben es ihr sofort angetan. Sie verbringt mehr Zeit bei ihnen, als in dem Gesundheits-Center. Ärger ist damit vorprogrammiert. Den jedoch schiebt sie beiseite, übertüncht alles mit Arroganz, Lügen. Als sie sich in Deutschland wie auch in Kenia mit mehreren Straftaten schuldig macht, schlägt sie verbal um sich. Ihre Märchen werden immer gruseliger. Der Untergang kommt schnell näher und viele fragen sich, schafft sie es, sich endlich dem zu stellen? Hilft ihr dabei die Liebe?

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Impressum

Angelika Friedemann

Stiller Tod

Ndovu wawili wakisongana,

ziumiazo ni nyika.

Wenn sich zwei Elefanten stoßen, ist es das Gras, was leidet.

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Alina Cinar war aufgeregt, lief nervös hin und her, rückte da ein Bild zurecht, schob ein anderes gerade, wie sie dachte.

„Hör auf!“, lachte der Inhaber der Galerie. „Du machst alle nervös. Es wird ein voller Erfolg und du bekommst das Geld für deine Elefanten. Es ist bald Weihnachten und da sind viele Menschen spendabel, suchen das passende Weihnachtsgeschenk, auch für sich selbst.“

„Horst, du bist so zuversichtlich – ich nicht. Wie oft hat man schon diese Tiere fotografiert?“

„Sicher, da ich von meiner Materie Ahnung habe. Denkst du, ich würde mich sonst darauf einlassen? Traumtänzerin! Ich bin Geschäftsmann, will verdienen, wenn hierbei auch wenig für mich rumkommt, da nur wenig Bilder verkauft werden. Ein kleiner Teil deine Bilder sind anders, völlig anders. Schau, hier die Muttertiere. Niemand hat sie je so aufgenommen, zumal noch vor so einem Hintergrund.“

Sie lachte, drehte ihre langen hellbraunen Haare oben am Kopf zusammen. Eine Geste, die sie immer machte, wenn sie verunsichert war. „Da lag ich wirklich in der Matsche, sah hinterher wie die tembo aus.“

„Hast du auch ein Staubbad genommen?“, fragte Karin, Horsts Frau, lachend, reichte ihr einen Becher Kaffee, danach ihrem Mann.

„Danke! Du glaubst es nicht, aber mir war danach, da meine Klamotten nass, dreckig waren und fürchterlich stanken.“

Alle drei lachten und das löste auch ihre Anspannung ein wenig.

„Mir gefallen die zwei Bullen am besten. Sie kämpfen und trotzdem sind sie bemüht, sich nicht ernsthaft zu verletzen. Sollten die Menschen von lernen“, löste Horst ihren Haarknoten.

„Danke! Es gibt ein afrikanisches Sprichwort. Wo Elefanten kämpfen wird das Gras verletzt. Das bedeutet bei ihnen so viel wie, wenn Leute streiten, kommen andere Menschen zu Schaden. Zum Beispiel leidet bei militärischen Auseinandersetzungen die Zivilbevölkerung oder zwei Personen streiten und eine Dritte muss es ausbaden. Das sind oftmals die Kinder oder Frauen.“

Die Glastür öffnete sich und Gabriele kam mit einem Berg Pappkartons herein. Horst von Mühlen eilte auf sie zu, nahm ihr die ab. „Pizza! Hatte ich diese Woche dreimal. Trotzdem danke!“, amüsierte er sich und erneut erklang von allen Gelächter.

„Hunger habe ich trotzdem. Essen wir, bevor der große Ansturm beginnt. Morgen Abend, vor dem Konzert, werde ich es mir richtig schmecken lassen. Das Essen soll dort vorzüglich sein. Maike erzählte, sie hätten dort einen exzellenten Rosé. Sie dachte dabei sofort an dich.“

Seine Frau deckte schnell den Tisch hinten, dann ließen es sich die vier schmecken. Das Geplauder drehte sich nicht um die Ausstellung, sondern um Alltägliches, besonders um die Elphi, die Elbphilharmonie, die sie morgen besuchen wollten. Abends würde sie dort ein Konzert hören. Wie fast jeder Hamburger, waren auch sie mächtig stolz auf den Bau, welcher in diesem Jahr trotz all der Widrigkeiten endlich eröffnet worden war. Alina freute sich riesig darauf, alles von innen zu sehen.

„Jetzt fehlt nur noch, an wen die Gelder gehen“, trank er Wasser. „Beginnen wir.“

„Horst, die kennt hier niemand.“

„Irrelevant, da das benannt werden muss. Die Behörden prüfen das sehr akribisch nach, da du die Zertifikate vorlegen musst. Kann sonst ja jeder kommen, sagen, ist gemeinnützig. Ansonsten musst du die Einnahmen versteuern, selbst wenn du derzeit in Kenia lebst, und ich muss es generell dem Finanzamt melden. Ein Interessent will ferner wissen, was mit den Spenden passiert. Ohne den gibt niemand so viel Geld für ein Foto aus. Also, wohin gehen die Gelder?“

„Also meinetwegen.“ Sie nannte ihm vier Ortsnamen und den KWS.

„Danke! Melde ich so den Finanzbehörden. Du musst dann Entsprechendes nachweisen. Bringe ich die Tafel an.“

Sie betrachtete aufmerksam die Besucher. Es war ein ständiges Kommen und Gehen. Sie interessierte aber mehr, ob ihre Fotos gekauft wurden. Sie benötigte viel Geld. Nur das war es nicht allein. Sie wollte wissen, ob ihre Bilder gut waren, sie den richtigen Blick hatte. Ja, sie wollte die Anerkennung, Bewunderung bei den Betrachtern sehen. Noch fehlte das bei den Besuchern. In letzter Sekunde nahm sie die Hände runter, da sie gerade ihre Haare zusammendrehen wollte. Mit langen Haaren sah sie noch schöner, jünger, femininer aus, nicht so streng. Horst nickte ihr zu, verschwand mit einem Paar nach hinten. Ihm war sie besonders dankbar, dass er ihr diese Präsentation ermöglichte. Wäre er nicht der Schwager ihrer Mutter, hätte es nie diese Ausstellung gegeben.

Ein Mann schlenderte auf ihr Lieblingsbild zu, blieb davor stehen, betrachtete es lange, neigte dabei den Kopf einmal nach rechts, dann nach links. Sie hingegen hatte nur Augen für ihn. Ihr Herz schlug schneller und alles andere war Vergessen, als sich ihre Blicke trafen. Es war einer dieser magischen Momente, wie sie es nannte. Die gesamte Umgebung war ausgeblendet, sie sah nur ihren Gegenüber, als wenn man mit ihm allein auf der Welt wäre, hatte sie es einmal bezeichnet. Gut, dass derjenige nie erfuhr, dass sie in solchen seltenen Augenblicken, die nur Sekunden dauerten, alles um sich herum vergaß, es nur diesen Fremden gab. Dreimal war ihr das schon passiert und sie fand es im Nachhinein trotz allem schön, wenn auch ein wenig crazy. Der jeweilige Mann hatte sie vermutlich nur angesehen, weil er spürte, dass ihn jemand dusselig angaffte.

„Diese Aufnahme ist unvergesslich“, wurde sie angesprochen und landete in der Gegenwart.

„Schön oder schlecht?“

Der ältere Herr guckte sie nicht verstehend an.

„Ich meine unvergesslich schön, sehr beeindruckend oder unvergesslich scheußlich?“

Nun lachte er. „Gut natürlich. Ich bin Biologe, besser war es früher, Solche Bilder, jedenfalls einige wenige davon, sah ich noch nie. Wunderschön. Das Bild werde ich kaufen, da es zeigt, was wir Menschen schützen müssen, damit auch unsere Enkel noch Freude an deren Schönheit genießen können. Freude findet man an den Tieren nie im Zoo, sondern nur in der freien Wildbahn.“

„Danke, Herr …“

„Schneider. Professor Doktor Max Schneider.“

„Vom hiesigen Zoo?“

„Sie kennen mich?“

„Ihre Bücher. Sehr interessant und lehrreich.“

„Danke! Darf ich Ihren Namen erfahren?“

„Alina Cinar, die Fotografin und Ärztin“, reichte sie ihm die Hand.

„Sehr angenehm, dass ich Sie sogar persönlich kennenlerne. Sie haben einen Blick für die tembo. Ich war drei Jahre in Tansania und Botswana, sah sie fast täglich. Nur solche Bilder nahm ich nie wahr, weil mir wahrscheinlich der gewisse Blickwinkel dafür fehlte. Wie kommt eine Ärztin zu solch einem Blick für die Tierwelt?“

„Ich liebe Elefanten, arbeite zurzeit in Kenia. Im Laufe der Zeit, welche ich bisher dort verlebte, bemerkte ich die Faszination, die diese stillen Riesen auf mich ausüben. Ich finde ihre Fürsorglichkeit, den liebevollen Umgang der Kühe mit den Lütten toll. Da kann man einfach nicht anders, als sie beschützen zu wollen. Wir bringen, falls ein wenig Zeit ist, den Dorfbewohnern bei, mit den Elefanten zu leben, nicht gegen sie vorzugehen. Dafür benötigen wir jedoch viel Geld, da Zäune gebaut und gesetzt, andere Abschreckungsmaßnahmen mit dem KWS abgesprochen werden müssen. Teilweise ersetzen wir ihnen den Ausfall der Ernte und so weiter. Ich hoffe daher, einige der Fotos verkaufen zu …“ Sie unterbrach sich, schaute zu der schwarzhaarigen jungen Frau. „Ja, sie haben etwas, besonders durch die Art der Präsentation.“

Alina freute sich über das Kompliment. Die Dame schien Geschmack zu haben.

„Wie viel Prozent gehen an die Dörfer, die Ranger?“

Irritiert blickte sie den weißhaarigen Mann an. „Alles natürlich“, empörte sie sich. „Steht alles vorn angeschrieben“, lächelte sie. Der Kerl wollte es eben genau wissen.

Die Dame kam näher, lachte, wandte sich an ihre Begleiterin, deutete auf ein Foto. „Sieh dir das an. Die ndovu marschieren wie die Enten hintereinander her. Ich muss jedes Mal lachen, wenn ich solche Fotos sehe. Davon gibt es unzählige mit allen möglichen Tieren. Strauße, Enten, Rinder, Schafe, Ziegen, Zebus, sogar Zebras und Gnus. Lustig, deswegen auch so oft fotografiert. Dafür mit 350 Euro etwas zu teuer“, gluckste sie. Der Mann, der sie so fasziniert hatte, sagte etwas zu ihr, gab ihr einen Kuss auf die Wange, wie es aussah, hielt sie um die Taille gefasst. Sofort waren bei ihr alle Schmetterlinge verschwunden. Karin von Mühlen hastete auf das Paar zu. „Entschuldigen Sie mich bitte kurz, Professor Schneider. Ich muss ein wenig schlichten.“

„Manche Menschen nehmen leider wenig Rücksicht, reden wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Auch wenn die Dame recht hat, sollte man da etwas diplomatischer vorgehen. Gehen Sie, obwohl es da nichts zu schlichten gibt, da wir Meinungsfreiheit haben. Frau Doktor Bucher würde nie ausfallend, äußerte lediglich ihre Sichtweise. Mit dieser hatte sie übrigens recht.“

Sie drehte sich um, rief nicht sehr laut: „Karin!“ Die blieb kurz vor dem Paar stehen. Alina hastete zu ihr, nahm sie am Arm. „Lass sie labern“, raunte sie ihr zu, setzte lauter nach. „Es ist unnötig, solche blöden, schmutzigen Proleten belehren zu wollen. Das sind welche ohne Verstand, die aus der Gosse kommen, sich anscheinend verirrt haben oder etwas erbetteln wollen. Den Tussis sieht man an, was für armselige Dirnen das sind, so wie die stöckeln. Peinlich!“

„Ich hasse Menschen, die null Anstand besitzen.“

„Komm, darüber stehen wir. Es sind eben nur Huren. Ich lernte gerade Professor Schneider kennen.“

„Seine Bücher habe ich alle gelesen. Faszinierend.“

Jemand in ihrem Rücken räusperte sich. Sie drehten sich um, sah sich dem Mann gegenüber, der sie zuerst so aus dem Konzept gebracht hatte. Er starrte sie an.

Alina nahm den Arm von Karin, wollte weg, bevor ihr etwas Unpassendes herausrutschte.

Er wandte sich an Karin. „Dominik Bucher, Frau von Mühlen, ich wollte mich für meine Begleiterin entschuldigen. Sie plaudert stets das aus, was sie denkt, sieht. War gewiss nicht böse gemeint, sondern lediglich beweisbare Tatsachen.“

„Benehmen hat man oder nicht. Ist gut. Diese Ausstellung ist wohl nicht das richtige für diese … eh Frau. Alina, gehen wir.“

„Ich würde gern eines der Bilder kaufen.“

„Nein, alle sind unverkäuflich. Meine Aufnahmen gehen gewiss nicht an solche Nu… Personen, die von nichts Ahnung haben. Schaffen die für Sie an, dass Sie sich das leisten können?“, Alina brüsk, ließ ihn stehen. Im Rücken hörte sie die Frau sagen. „Herr von Mühlen, gut, hätte ich nicht sagen sollen, aber es entspricht der Wahrheit. Sie kennen mich, dass ich mit meiner Meinung nie hinter dem Berg halte. Ein Teil ist gut, aber zwei Drittel sind Aufnahmen, die jeder schon Hunderte Mal sah. Dafür bezahlt man, selbst wenn man die als guten Zweck deklariert, nicht so viel Geld.“

„Frau Doktor Cla…“

„Sina, wir gehen. Horst, ich überlege, rechtliche Schritte gegen deine Möchtegern-Fotografin einzuleiten, da ich es mir als Professorin nicht leisten kann, von einer kleinen Ärztin, die wir ablehnten einzustellen, weil zu schlecht, dermaßen beleidigt zu werden. Mich betitelt niemand als Nutte, Dirne. Das war heute mein letzter Besuch in deiner Galerie. Auch unsere Freunde werden diese in Zukunft meiden. Bilder können wir auch woanders erstehen, ohne dermaßen beleidigt zu werden, übrigens auch von deiner Frau.“

Was Horst erwiderte, hörte sie nicht, aber er nahm die drei Personen mit nach hinten. Was bedeutete das denn?

Sie schlenderte zu dem Professor zurück, der sich gerade eine Herde anschaute, die sich an einem Wasserloch austobte. Er guckte sie kurz an. „Durch das Sackleinen bekommen die Aufnahmen gleich einen Touch mehr von Afrika. Das ganz Kleine vorn, hatte gewiss Schwierigkeiten, herauszukommen.“

„Allerdings. Mutter und zwei Tanten musste reichlich Hilfestellung geben. Wir dachten schon, wir müssten eingreifen. Das Loch geht an drei Stellen sehr abrupt abwärts. Schon einige Male halfen wir mit Brettern aus, weil selbst erwachsene Tiere aller Gattungen die Orientierung verloren, aufgeregt hin- und herrannten, den matschigen Boden noch mehr aufwühlten. Ganz in der Nähe wohne ich, höre bisweilen ihre Schreie, Laute. Kommt eine große Herde, bebt der Holzboden in der Station.“

„Ja, das kenne ich aus Botswana. Meine Frau sagte danach immer, wenn unsere Enkel tobten, eine Herde Elefanten ist unterwegs.“

Kurz darauf verabschiedete er sich, allerdings ohne das Bild gekauft zu haben. Dösbaddel!

So zogen sich die nächsten drei Stunden hin. Sie erklärte, plauderte, lachte und freute sich, wenn eine ihrer vergrößerten Aufnahmen verkauft wurde.

Horst kam zu ihr, zog sie beiseite. „Es sind nur noch die Allerweltfotos übrig. Hätten wir mehr von guten Bildern, würden die eventuell teilweise weggehen. Ich konnte wenigstens einige Käufer überreden, die Kunstwerke noch hängen zu lassen, da wir die am Montag ausliefern, sonst wäre es ein wenig kahl und zu wenig attraktiv. Keiner würde noch reinkommen.“

Ein älterer Mann kam auf sie zu, reichte ihr eine Visitenkarte und bat sie, am Montag um 11.00 Uhr bei ihm im Büro zu erscheinen, da er gern über eine geschäftliche Idee mit ihr sprechen würde. Mit „Ihre Aufnahmen sind teilweise sehr ausdrucksstark und ungewöhnlich. Wir könnten eine auch für Sie lohnende Kooperation eingehen“, verabschiedete er sich, spazierte zu Horst, dabei immer den Blick auf die Bilder gerichtet. Mit Horst sprach er, lachte. Verdutzt blickte sie zu ihm.

Ihre Eltern und ihr Bruder mit seiner Freundin erschienen. „Was hast du denn mit dem Ahrends?“, fragte Arvid, ihr Bruder gleich, als er ihr einen Kuss auf die Wange gab.

„Mit wem?“, guckte sie ihn irritiert an.

„Verleger Ahrends. Der Mann, mit dem du eben sprachst.“

Sie guckte erst jetzt auf die Visitenkarte. Tatsächlich! „Er bat mich übermorgen um ein Gespräch in seinem Büro.“

„Nun kommst du ganz groß raus“, spöttelte Arvid.

Sie boxte ihn leicht in die Seite. „Lästere ruhig. Trotzdem sind fast alle Fotos verkauft.“

„Wusste ich. Mir gefallen die Bilder auch, aber besonders meine große Schwester“, gab er einen Kuss. Jasmin trat zu ihnen. „Ich wollte das Bild mit den zwei Bullen kaufen und nun ist es weg“, beschwerte sie sich.

„Du hast ja mich“, nahm ihr Bruder seine Freundin in den Arm, aber sie machte sich frei. „Sei einmal ernst. Das Bild drückte die ganze Schönheit der Tiere aus und hätte gut ins Esszimmer gepasst.“

„Jasmin, du bekommst es“, schlichtete Alina. „Ich lasse es für dich nochmals aufziehen. Wie groß soll es sein? Ach, hast du ein Esszimmer?“, erkundigte sie sich hämisch.

„Unseres natürlich“, antwortete Arvid.

Die Spinnerei würde sie ihm ausreden. Sauer war sie jedoch, dass niemand von ihren vielen Freunden gekommen war, obwohl ihre Mutter an alle Einladungen verschickt hatte. Keiner sah nun ihre tollen Kunstwerke, kaufte welche. Selbst Piet, ihr Ex-Freund, war nicht erschienen, was sie am meisten ärgerte. Sie versuchte, ihn zu erreichen, aber er meldete sich nicht. Schon die ganze Woche war der nicht ans Telefon gegangen, hatte auf ihr Klingeln nicht geöffnet.

Es wurde noch ein netter Abend, da Doktor Burkhard Cinar alle zum Essen einlud. Horst hingegen verschwand schnell, nachdem er einen Anruf erhielt. Er warf einen 50-Euro-Schein auf den Tisch, meckerte sie an: „Ihr habt mich alle nur für eure verlogene Scharade missbraucht. Das hat ein Nachspiel, da ich das anzeige, dem Amt melde, ihr Betrüger.“ Dann eilte er davon.

Alina war verblüfft, aber stinkwütend gewesen, lachte dann gekünstelt. „Der Stress!“ Karin stimmte ein und keiner sprach mehr darüber.

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Alina spazierte allein durch die weite Halle, trat auf die Aussichtsplattform, blickte über ihre Heimatstadt. Sie war noch ganz überwältigt von dem Gesehenen. Die Plaza zwischen dem Backsteinsockel und dem gläsernen Neubau der Elbphilharmonie war übervölkert, wie sie fand. Sie hätte das gern ohne das ständige Stimmengemurmel allein genossen. Sie blickte kurz zu ihrer Familie, die vor dem Konzert noch einen Kaffee tranken, schlenderte weiter. Piet war immer noch nicht da. Was sollte der Mist? Etwa auf der Mitte der Längsseite öffnet sich die Plaza zu beiden Seiten bogenförmig bis zu acht Meter hoch, zwei große Fassadenausschnitte ermöglichen den Blick auf Innenstadt und Hafen, las sie. Sie wollte einmal die Elbphilharmonie komplett umrunden, da sie nicht wusste, wann sie wieder herkam. Der Bau hatte sie all die Jahre begleitet und jetzt wollte sie ihn fertig sehen. Vom Eingangsbereich des Gebäudes an der Ostseite führt eine 82 Meter lange, gebogene Rolltreppe aufwärts durch den Speicher. Die Fahrt führt die Besucher direkt zum Panoramafenster im 6. Obergeschoss, das ihr den Blick auf den Hafen bot. Da war auch der Eingang zu dem, wo sie vorhin vorzüglich gespeist hatten. Von dort waren sie über eine zweite, kürzere Rolltreppe auf die Plaza im 8. Obergeschoss gekommen. An den Wänden hatte sie die rund 8.000 Pailletten, die im Licht funkelten, bestaunt. Nun schlenderte sie außen entlang, genoss den Geruch das Wasser, dazu den Blick auf ihr Hamburg. Leise Wehmut breitet sich in ihr aus, wenn sie daran dachte, dass sie in wenigen Tagen schon wieder abfliegen musste.

„Frau Cinar, Sie zu treffen, ein Zufall. Moin!“, wurde sie von Dominik Bucher angesprochen.

Alina starrte den Mann überrascht an. „Moin!“

„Sehen Sie sich unsere Elphi das erste Mal an?“

„Ja, aber eigentlich besuche ich gleich das Konzert. Sie entschuldigen mich daher“, antwortete sie kurz angebunden, obwohl die Schmetterlinge ein wenig in ihrem Bauch flatterten.

„Ich auch. Darf ich Sie daher zurückbegleiten?“

„Meinetwegen, da ich erwartet werde.“ Sie fühlte sich geschmeichelt, dass er ihr gleich seine Aufmerksamkeit schenkte. Seine Frau oder was die Tussi war, schien nicht hier zu sein.

„Das meine Fotos nicht allen gefallen, nur normal. Es wurden jedoch alle verkauft und mehrere in Auftrag gegeben. Die Nachfrage ist enorm.“

„Sie äußerte nicht, dass ihr die Fotos generell missfallen, nur das ihr das Foto wenig sagte, wenig ausdrückte. Eine Tieraufnahme, wie man sie unzählig findet. Kein Grund, Menschen gleich zu beleidigen. Sind Sie öfter in Afrika?“

„Ja!“, antwortete sie kurz angebunden, da er sich seinen Lobgesang auf diese Person hätte sparen können. Nun würde er bestimmt feststellen, wie toll sie aussah, ihr Kleid bewundern.

„Warum gerade Elefanten?“

„Nur so!“

„Sehr gesprächig“, stellte er nüchtern fest. „Verabschiede ich mich. Einen schönen Abend noch.“

Alina musste schmunzeln, als sie seinen Blick sah. Er hatte wunderschöne Augen und die langen Wimpern. Da war bestimmt jede Frau neidisch.

„Elefanten faszinieren mich, weil sie so Familien verbunden sind, sich sehr liebevoll, fürsorglich, rücksichtsvoll um die Kinder kümmern. Könnten auch Menschen etwas davon lernen.“

„Beantworten Sie auch noch meine Frage, ob Sie öfter in Afrika sind?“

„Ich lebe seit Längerem dort, fliege in Kürze wieder nach Kenia.“ Der hatte angebissen, war völlig von ihr fasziniert, richtig weg, total verliebt. Gleich flatterten die Schmetterlinge aufgeregt, wenn sie an das mehr nachher dachte.

„Oh, und wohin da?“

„In der Nähe von Nakuru. Ich leite dort die Afya-Gesundheitsstation mit einem großen Krankenhaus.“

Er lachte. „Sie leiten waaass?“

„Schatz, da bist du ja. Ich dachte, du bist noch auf dem Klo, wäschst dich“, eilte diese Schwarzhaarige auf ihn zu, musterte dabei Alina, hängte sich an seinen Arm. „Moin! Entschuldigung, aber wir müssen“, lächelte sie Alina an. Sie wandte sich an ihn. „Das ist doch diese Ärztin mit den Bildern, oder? Egal! Komm, wir wollten noch ein Glas Champagner trinken gehen. Nach dem Sex habe ich Durst, mein wilder Stier“, zog sie an ihm.

Alina verabschiedete sich rasch, vor Zorn kochend, dass er es wagte, sie so abzuservieren. Langsam, auch um sich abzuregen, spazierte sie zum Tisch mit ihrer Familie. Sie hörte Dominik lachen. „Du bist unmöglich, aber ich liebe dich.“

„Sage ihr, dass sie nicht dein Typ ist.“

„Ich werde sie hoffentlich nie mehr sehen. Ich hasse Betrüger, die sich das Mäntelchen der Wohltätigkeit umhängen, um zu Geld zu gelangen. Diese Person ist ganz weit unten angekommen, da bald eine vorbestrafte Kriminelle, die jeden betrügen will, weil sie eine hässliche, dümmliche Niete ist. Weißt du, was sie eben ...“

Ihre Familie erhob sich, wobei Horst fehlte, wie sie bemerkte, als man sie sah. „Alles angeschaut?“, fragte Arvid.

„Genial! Ist Piet noch nicht gekommen?“

„Sie sind doch gar nicht in Hamburg, sondern weggeflogen, wollen mal ein paar Tage für sich haben.“

„Aber …“

Arvid schaute sie prüfend an und sie schlenderte den Übrigen nach. War der immer noch mit dieser blöden Tussi zusammen?

Nun besuchten sie das Herzstück der Elbphilharmonie, nämlich den großen Konzertsaal. Die Sitzreihen waren rund um das Podium angeordnet. Orchester und Dirigent standen und saßen mitten im Saal. Das sollte allen Besuchern hervorragende Sicht- und Hörverhältnisse bieten. Alina war überwältigt, als sie den Saal betraten, sie die spitz nach oben zulaufende Saaldecke gewahrte. Dazu gesellten sich die Lichter, die alles reflektieren ließen. Sie hatte gelesen, dass das gesamte Zusammenspiel für eine überragende Akustik sorge. Der Japaner sollte da etwas Einmaliges erschaffen haben. Nun war endgültig Dominik Bucher vergessen und sie freute sich auf das Konzert.

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Montagmorgens stand sie sehr früh auf, da Horst weitere Fotos von ihr vergrößert haben wollte. Um acht Uhr hatte sie daher einen Termin in dem Fotostudio, da sie das dort professionell und schnell erledigten. Bis auf zehn Bilder, unter anderem die Aufnahme, welche die blöde Tussi so schlecht machte, waren alle verkauft. Horst meinte, dass positive Echo solle sie ausnutzen, weitere Bilder schnellsten zu ihm bringen. Nur keine, die bereits verkauft waren, da es alle Unikate sein sollten. Dass es am Samstag deswegen zu einem Eklat kam, sie ihn nicht mehr sah - vergessen. Nun saß sie am Tisch bei einer Tasse Kaffee, suchte auf ihrem Laptop Bilder aus, speicherte sie auf einem Stick, auch die Aufnahme für Jasmin. Die Auswahl fiel ihr schwer. Doch schließlich war auch das erledigt, da ihre Mutter das letzte Bild sofort wusste. Dieses und kein anderes, war ihr Kommentar. Sie schmunzelte, kannte das Faible von Anna Cinar für die kleinen Elefanten, die mit ihrem Büschel Haaren auf dem Kopf allerliebst aussahen. Sie wirkten irgendwie frech, übermütig, als wenn sie nur Unfug im Kopf hätten.

Nebenbei erzählte ihre Mutter, was sie in der Zeitung über die Fotos gelesen hatte. Man äußerte sich lobend, wie sie dadurch Geld für die bedrohten Elefanten sammelte, berichtete weiter über ihre Fotos. Ein Journalist habe sich diese angesehen und war teilweise begeistert, zumal auch gerade das grobe Leinen auf der Pappe aufgezogen, dem jeweiligen Foto etwas wirklich Afrikanisches gab. Zudem erwähnte er, dass es wirklich Unikate wären, da jedes Bild nur einmal verkauft würde. Nichts sagte sie über die anderen zwei Artikel, wie man ihre Tochter kritisierte, als arrogant bezeichnete, eine Frau, die keine Kritik ertragen könnte. Sie wäre ausfallend geworden, hätte einen Herrn, eine Professorin und eine Ärztin als blöde, schmutzige Proleten ohne Verstand betitelt, die aus der Gosse kämen, sich anscheinend verirrt hätte oder was erbetteln wollten. Die Tussis sieht man an, was für armselige Dirnen sie sind, so wie die stöckeln. Peinlich! Ein Benehmen, was für eine Ärztin eher bedenklich wäre, bei aller Enttäuschung, dass nicht alle ihre Bilder mochten, viele ohne zu kaufen wieder gingen. Sie waren den meisten Interessenten zu teuer, da das Sackleinen, ein wenig Pappe und ein vergrößertes Foto, was man auf jedem Kalender fand, für 350 Euro einfach zu teuer war. Das hatte ihr der Besitzer aber bereits im Vorfeld gesagt, daher einige Bilder billiger abgegeben, damit die Fotografin Geld für die Elefanten zusammen bekam. Nun würden wohl viele aus der Hamburger Oberschicht die von-Mühlen-Galerie meiden, da auch seine Frau wie ihre Nichte über null Benehmen, Anstand verfügte.

In dem anderen Artikel bezeichnete man ihre Tochter sogar als Lügnerin und Betrügerin, da es keine Zusammenarbeit mit dem Kenya Wildlife Service gebe, nie über ein Projekt betreffs Elefanten mit ihr gesprochen wurde. Die Frau kannte dort niemand. Ferner hätte man die massiven Beleidigungen von drei Personen angezeigt, der Besitzer der Galerie sei ebenfalls von der Familie hintergangen worden, da ihm alle die Gemeinnützigkeit dieser Fotografin beteuert hätten. Nur deswegen habe er eingewilligt. Er nehme allerdings die Bilder zurück und erstatte die Gelder, würde sich bei den betreffenden Personen selber entschuldigen. Auch Professor Doktor Schneider habe als er den skandalösen Eklat mitbekam Abstand von einem Kauf genommen, zumal er bereits da eine Gemeinnützigkeit anzweifelte.

Sie seufzte unhörbar. Alina war zu empfindlich. Ja, die kleine Prinzessin war stets zu sehr verwöhnt worden. Über all ihre kleinen Macken, die Tobsuchtsanfälle, wenn sie nicht das bekam, was sie wollte, die kleinen Lügengeschichten hatten sie alle stets hinweg geschaut.

„Du siehst, Erfolg auf der ganzen Linie. Wir sind auch alle sehr stolz auf dich, Alina.“

„Danke! Ohne euch, hätte ich das nie geschafft“, umarmte sie ihre Mutter.

„Und wer küsst mich?“

Sie sah ihren Vater hereinkommen, sprang auf und wieder erfolgte eine Umarmung, Küsschen auf die Wange.

Pünktlich betrat sie das Büro des Verlegers Ahrends. Der kam auf sie zu, reichte ihr die Hand, bat sie in eine Sitzecke. Auf einem kleinen Tisch standen Kaffeetassen, Kaffeekanne, Gebäck und es lag eine Mappe neben seinem Platz.

Nun erläuterte er, was er sich von ihr wünschte und wie die Zusammenarbeit aussehen sollte. Zunächst einen Vertrag für einmalig zwei Kalender. Würde das ein Erfolg werden, bekäme sie die Option auf einen Vertrag für die Zeit, in der sie in Afrika arbeitete, für drei Tierkalender jährlich. Zuerst war sie zornig, dass er überhaupt infrage stellte, dass das ein Erfolg werden würde. Er erklärte ihr genauer, er würde wirklich einmalige Aufnahmen erwarten, keine Allerweltsbilder, wie einige ihrer Fotos, die jeder kannte, kalt ließen, weil zig Mal so gesehen. Einige Tiere, die im Sonnenunter- oder Aufgang wie aufgereiht hintereinander herliefen, gebe es zu Tausenden und waren generell völlig uninteressant, langweilten nur. Der Vertrag könne jedoch jederzeit gekündigt werden, wenn sie sich, so wie am Tag der Ausstellung nochmals dermaßen gegenüber Personen daneben benehme. Da wäre selbst eine Nicht-Ausgebildete-Fotografin völlig unakzeptabel für seinen Verlag. Sie könne froh sein, wenn die Herrschaften oder der Professor sie nicht anzeige. Auch dann wäre der Vertrag sofort nichtig.

Alina hörte gar nicht zu, rechnete, was sie dafür alles kaufen konnte. Der Zaun für die Dörfer mit dem Geld ein Klacks.

Nach genaueren Erläuterungen, drei Tassen Kaffee unterschrieb sie den Vertrag für die Kalender. Alles andere musste sie erst überlegen, da sie derzeit keine Zeit dafür hatte.

Am Mittwoch brachte ihre Mutter die fertigen Bilder zu Horst, kam mit 3.200 Euro zurück, da ein Teil schon verkauft war. Sofort gab sie der Mutter den Auftrag weitere Bilder aufziehen zu lassen, da die auch alle verkauft würden. Mindesten 50 sollte sie in Auftrag geben. Alina schwebte auf Wolke sieben, da sie nun reichlich Geld im Gepäck hatte, wenn sie morgen nach Kenia zurückflog. Nachmittags jedoch machte sie erst einmal einen großen Einkaufsbummel durch die Modegeschäfte.

Als Arvid sie zum Flughafen fuhr, redete sie auf ihn ein, sich endlich von Jasmin zu trennen, da die mit jedem Kerl flirtete, nicht gerade sehr schlau wäre und ihn nur ausnehmen wollte. Siehe das Bild, welche sie so umsonst ergaunern wollte. Ihr Bruder meckerte sie grob an, behalte es, hast du vierzig herumliegen, die aufgeblasene Betrügerin. Er brachte sie nicht einmal bis zum Gate, ließ sie zum Beginn des Airports aussteigen. Mit ihren drei Reisetaschen voll Kleidung musste sie nun allein das Gate suchen.

<>März<>

Alina wischte mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn. Seit vier Stunden stand sie unter einer Sonnenplane und operierte ohne Unterbrechung. Die große Regenzeit war dieses Jahr früher gekommen und brachte nicht nur reichlich Regen, sondern auch die Schwüle mit. Das Einsetzen des Regens brachte für die Krankenstation ein weiteres viel größeres Problem, da der Anbau mit dem Operationssaal noch nicht fertig war, sie deswegen gezwungen waren, Eingriffe mehr oder weniger unter freiem Himmel durchzuführen. Die Sonnenplane war der einzige Schutz.

„Maria, fahre sie hinein. Ich komme gleich nach. Karubi, ihr räumt alles rüber und macht sauber.“

„Memsaab, wann können wir nun das Dach machen?“

Sie schaute den Mann böse an. „Wir räumen ja schon auf. Daktari Kenneth kommt gleich. Klärt es mit ihm. Unanielewa?“, antwortete sie gereizt. Diese ständigen Bauarbeiten waren ein zusätzliches Übel. Permanent Staub, Krach, Dreck und die Frage, wann können wir. Nicht einmal abends herrschte Ruhe, da die Männer bis zum Einbruch der Dunkelheit arbeiteten.

Sie blickte raus, als sie einen Wagen hörte. Es war der Doktor und Leiter der Afya-Station aus Nyahururu und er brachte eine Überraschung mit. Sie ließ alles stehen und liegen, rannte hinaus und fiel dem älteren Mann, der nun ausstieg, um den Hals. „Armin, das ist ja eine Überraschung“, jubelte sie.

„Sollte es ja sein, min Lütte“, gab er ihr rechts und links zwei Küsse auf die Wange. „Die sind von deinen Eltern und Arvid. Lass dich anschauen“, musterte er sie. „Gut siehst du aus, ausgeruht und du hast zugenommen.“

„Dieser Anbau kostet mich meine letzten Nerven.“ Nun ging sie zu dem Arzt, reichte ihm die Hand.

„Alina, am Wochenende ist alles fertig. Gleich kommt eine Firma aus Nyeri, die das schleunigst fertigstellt. Nur noch zwei Tage. Also höre auf zu meckern, dich permanent zu beschweren. Du nervst nur, du arrogante kizee. Wenn dir etwas nicht passt – gehe. Dich hält niemand. Kwa heri! Nasim, Zuri, kommt her und ladet alles aus“, brüllte Doktor Kenneth Kohoma nun über den Hof. „Vorsichtig, sonst landet ihr im Slum. Stellt alles in den Behandlungsraum. Piga mbio! Danach fahrt diese mchawi mit ihren stinkenden Klamotten zur Bushaltestelle. Guck aber nach, dass sie nicht wieder gestohlen hat.“

„Was ist da drinnen?“, fragte sie sofort neugierig, überhörte die Frechheiten des Schwarzen.

„Von jedem etwas. Die Kartons bleiben alle zu. Unanielewa? Wage es nicht noch einmal, diese einfach zu öffnen, sonst melde ich das. Die Afya-Station gehört nicht dir! Du tust, was ich anordne, da ich dein Vorgesetzter bin, du nur eine kleine unbedeutende Daktari, die sich als große Ärztin aufspielt. Unanielewa? Ich habe wahrlich genug andere Probleme, als mich permanent mit dir Aufschneiderin herumzuärgern, Streit zu schlichten, mich für dich bei allen möglichen Leuten zu entschuldigen. Du bornierte Ausländerin bist weder das Nonplusultra der Welt noch eine große, allwissende Ärztin. Gehe endlich deinen Dreck packen.“

„Ist ja schon gut“, antwortete sie pikiert. „Es ist nur, weil ständig etwas fehlt und ich nachsehen wollte, ob das dabei ist.“

„Hapana, weil du vor Neugier platzt, alles allein managen willst. Du lügst nur, du Kriminelle. Nur zusätzliche Arbeiten kamen dabei heraus, da alles wieder eingeräumt werden musste. Was du benötigst, ein wenig Verbandsmaterial ist alles reichlich da. Spiel dich doch nicht auf. Selbst zum Impfen bist du zu dumm. Du kannst nichts, nicht einmal ordentlich putzen, du faules Stück. Deswegen haben sie dein Gehalt erheblich gekürzt.“

„Armin, das alles macht mich langsam fertig. Im Februar werde ich mitten in der Nacht geweckt. Lkws und Bauarbeiten stehen draußen, noch ehe es hell war. Einer sagte, wir fangen an zu bauen. Das und das muss leer geräumt werden.“

Er lachte, tätschelte ihre Hand. „Freue dich, wurde alles größer und schöner. Du bist zu ungeduldig, noch nicht wirklich in Afrika angekommen. Die Uhren ticken hier anders, aber trotzdem teilweise nicht weniger produktiv. Alina, sieh dir einmal an, was die Dorfbewohner alles leisten. Da würde in Deutschland jeder sagen, und besonders gerade du, mache ich nicht. Ich will Feierabend haben, nicht sieben Tage in der Woche täglich bis zu 15 Stunden teilweise schwer arbeiten. Machen sie nichts, meckerst du, weil alles zu eng ist. Bauen sie, wird über den Lärm, den Dreck gemeckert. Räumst du den weg? Nein, das erledigen die Schwestern nebenbei. Sie stört es nicht, deswegen zwei Stunden täglich mehr zu arbeiten, deswegen weniger die Familie zu sehen, weniger Schlaf zu bekommen. Sie machen es gern, weil sie sich auf das Neue freuen.“

„Trotzdem ist es nervig“, beharrte sie.

Ihr Chef schüttelte den Kopf. „Armin, sie muss immer das letzte Wort haben. Kennen wir! Sie erzählt jedem ihre Lügen, was sie alles macht, operiert. Nichts davon ist wahr, da sie nichts, wirklich nichts kann. Sie behandelt Brüche, Kleinigkeiten und das auch noch schluderig. Nach fünf Stunden geht sie einfach zu iiihhrem Haus, hat Feierabend, stöhnt, was sie als Leiterin der Afya-Station alles erledigen muss. Nairobi zieht ihr jetzt die vielen Fehlstunden ab und sie bekommt drei Monate keinen Lohn, da sie nichts getan hat, sogar noch Medikamente stahl, die man uns extra per Express für ein mtoto schickte. Mich belog sie, es wäre nichts gekommen. Nur die watoto sagten mir die Wahrheit. Der Junge sollte sterben. Am besten nimmst du sie mit nach Hamburg. Wir haben andere Sorgen, als uns dumm anreden zu lassen, ihr alles nachzutragen, ihre Launen hinzunehmen, dazu ihre Frechheiten, die Beleidigungen, die Raubzüge. Sie geht selbst in fremde Häuser, um zu stehlen. Zudem ist sie als Ärztin eine riesengroße Niete. Endlich sind wir diese boshafte Angeberin los. Ich rufe gleich in Nairobi an“, ging er telefonierend davon.

Sie ging zu ihrem Haus, ohne etwas zu erwidern. Der Kerl spielte sich heute wieder auf. Egal! Sie freute sich auf die nächsten Wochen mit dem Freund ihres Vaters.

Abends saßen sie in dem kleinen Wohnzimmer, da es draußen in Strömen goss, wie man hörte.

„Armin, erzähl mir, was es Neues gibt“, drängelte sie.

„Wenig. Arvid und Jasmin haben endlich die passende Wohnung gefunden, wollen Ende des Jahres heiraten.“

„Das hat doch noch Zeit. Die ist eine alte häss…“ Sie brach ab, als sich seine Miene änderte.

„Entscheidest gewiss nicht du. Piet wurde Stationsarzt. Er läuft, seit er seine Mia hat, nur noch strahlend durch die Gegend. Sie hat sich jetzt eine Eigentumswohnung im Kristall gekauft, in die sie gezogen ist. Sie ist so eine liebe, wunderschöne Frau, der man nicht ansieht, wie reich sie ist, dass sie jedes Jahr Millionen verdient. Endlich hat er die Richtige gefunden. Karin arbeitet im Alsterhaus in der Porzellanabteilung, fand eine kleine Wohnung. Sie hatte ja immer noch gehofft, dass Horst einlenkte. Nur er hat bereits eine neue Frau, zog jetzt mit der Galerie in die Alsterarkaden. Es geht rasch aufwärts, besonders nach eurer Verurteilung. In der Zeitung und im Gerichtssaal erwähnten sie, dass ihr beiden Weiber die drei Personen schwer beleidigt, angepöbelt, ordinär verunglimpft habt, er nichts damit zu tun hatte. Das nahmen die oberen Hamburger zur Kenntnis, kaufen wieder bei ihm. Er hatte zwei neue Ausstellungen von jungen Künstlern, die alle ein riesiger Erfolg waren.“

„Fein, da werden von mir wahrscheinlich auch wieder Bilder verkauft.“

Armin lachte schallend. „Bist du so dumm oder tust du nur so? Alina, von dir verkauft er oder ein anderer Galerist gewiss kein Foto mehr. Das bedeutete für jeden der Bankrott. Wer kauft von einer Vorbestraften, einer Person, die dermaßen borniert ist, Ladys der oberen Gesellschaft als dreckige Huren, Nutten in der Öffentlichkeit bezeichnet, ein Bild? Wer kauft von einer Betrügerin etwas, die jeden belog, um sich zu bereichern, Kleidung dafür zu kaufen? Abschaum nennt man solche Leute, die die Menschen betrügen. Nichts da, mit gemeinnützig. Das Geld hast du für Klamotten, Schuhe und so ausgegeben, um angeben zu können, wie reich du bist. Wird im nächsten Strafverfahren verhandelt, da auch der Kenya Wildlife Service Anzeige wegen Betruges gegen dich stellte, du mit ihren Namen die Leute bescheißt. Alles nur, weil du keine Wahrheiten verträgst. Das kostete deine Eltern wieder einmal eine Stange Geld. Nun bist du eine Vorbestrafte. Ob du nach dem nächsten Strafverfahren noch auf freiem Fuß bleibst, glauben die wenigsten. Dann heißt es wohl eher – Gefängnis. Dazu hast du einen riesigen Berg Schulden nicht nur hier abzubezahlen. Gemein von dir, deine Tante mit hineinzuziehen. Alina, deine Eltern haben nun alle Fotos zu Hause stehen, da lediglich eins verkauft wurde. Die 8.000 Euro, die dir deine Mutter gab, kamen von ihr, da alle die paar Bilder zurückgaben, nachdem du dich wie eine Proletin benommen hast. Sie wollte den Elefanten den Zaun ermöglichen, ahnte nicht, dass du selbst sie, nur belogen und hintergangen hast.“

„Armin, so war das alles nicht. Diese Weiber wurden kess, frech, unverschämt.“

„Belüge mich nicht! Es gab 17 Zeugen, die alle hörten, was da vorgefallen war. Alle sagten das Gleiche aus, selbst Karin. Du bist verbal auf die mieseste Art auf die drei Personen losgegangen, hast sie verleumdet, beleidigt, mit deinem ordinären Vokabular beschimpft. Deswegen gaben viele ja auch die Fotos zurück, da es jeden zeigte, wie weit unten du angesiedelt bist. Schlimmer wie die Straßendirnen. Von so einer Person hängen sich doch nur wenige ein Bild irgendwohin. Nur als Vorbestrafte wirst du nur dein ganzes Leben gelten. Traurig, wenn man sich nicht benehmen kann. Morgen werden wir die beiden Männer operieren und du kannst helfen. Hast du dich schon mit den Fällen vertraut gemacht?“, lenkte er ab.

„Natürlich. Kenneth brauchen wir nicht, da ich ja da bin.“

„Ich gehe zu Jioni rüber, da du mich nervst, mit deiner Überheblichkeit. Die Männer sollen überleben, Angeberin. Das Haus gehört der Familie Mulala und nicht dir. Du darfst es lediglich bewohnen. Du spinnst dir alles zurecht, könntest dir nie ein Grundstück und ein Haus leisten, nicht einmal, wenn du nur Miete zahlen müsstest.“

Sie saß allein da und nun weinte sie. Sie hatte sich so auf den Abend gefreut und nun verdarb Kenneth ihr den, weil er Armin aufgehetzt hatte. Alle waren so gemein zu ihr.

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Sie strich die nassen Haare aus ihrer Stirn. Im fahlen Licht der langsam nahenden grauen Morgendämmerung hockte sie sich nieder. Sie streichelte dem toten Tier über den Körper. Verdammt – zu spät! Sie fühlte die Tränen in den Augen. Es tat weh, diese grauen Kolosse so zu sehen. Gestern noch liefen sie gemächlich zu dem Wasserloch, welches sich gerade neu füllte.

Sie fühlte eine Hand auf ihrem Rücken, guckte den Mann an. „Ich bemühe mich, die Nässe in meinen Klamotten zu vergessen, verdränge, dass mir langsam kalt wird, denke an heißen Kaffee und ein Stück Kuchen. Ich versuche, das erneute Massaker zu verdrängen. Ich denke, dass ihr nichts findet. Der Regen in der Nacht hat alle Spuren weggeschwemmt“, probierte sie burschikos zu klingen. „Außerdem hilft es den tembo generell nicht mehr. Vorher müsst ihr aufpassen, da sein, mehr zu ihrem Schutz tun“, klang ihre Stimme leicht schrill und anklagend.

„Gut, dass wir dich haben. Jetzt machst du auch schon unsere Arbeit. Regen macht schön“, lästerte Kidogo. „Sagst du doch immer, Memsaab, damit dich alle anstarren sollen. Wie nennt ihr das? Lachzahl oder so! Du interessierst hier keinen watu.“

„Na, da steht Alina lange darunter, nur geholfen hat es bisher nicht, auch wenn sie sich etwas anders einredet. Alina, deine dusseligen Bemerkungen über die Wilderei, hättest du dir sparen können, da es nur jedem Menschen zeigt, wie breesig du bist, nicht denken kannst. Wie willst du dumme Angeberin hunderttausend Tiere überwachen? Halte lieber den Mund, da bemerkt nicht jeder, deine Dusseligkeit.“

„Armin, Falten machen erst einen Menschen interessant und ich habe welche“, stand sie auf, ignorierte den Rest, ergriff dankend seine Hand. Nun holte sie ihren Fotoapparat und begann zu knipsen. Das waren keine schönen Fotos, aber sie waren Realität und auch die wollte sie zeigen.

„Ja, stimmt. Gehen wir. In meinen Stiefeln steht die Brühe, in den Kragen läuft das Wasser hinein, mir ist kalt und ich habe nicht gefrühstückt. Warum kann ich nicht irgendwo im sonnigen Süden arbeiten? Sonne, Wärme, Palmen, Sand, Meer, Frauen in knappen Bikinis.“

Alle lachten, nur der ältere Arzt nicht.

„Du bist ja morgen Nachmittag wieder daheim“, hängte sich Alina bei ihm ein.