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Das Haiku-Jahrbuch 2016. Eine Auswahl deutschsprachiger Haiku, für das Projekt „Haiku heute“ herausgegeben von Volker Friebel. Aus tausenden Texten ausgewählt 596 Haiku von 115 Autoren sowie 10 Tan-Renga. „Haiku heute“ ist ein Projekt zur Förderung des deutschsprachigen Kurzgedichts. Die Netzpräsenz Haiku heute erstellt aus der Vielzahl an eingereichten Texten jeden Monat eine Auswahl nach literarischen Gesichtspunkten. Die Jahrbücher, von denen hier das vierzehnte vorliegt, versammeln davon die interessantesten Haiku jedes Jahres und geben so einen Überblick zum Stand der deutschsprachigen Haiku-Dichtung. Zusätzlich werden im Jahrbuch auch in anderen Foren veröffentlichte Haiku und nur für das Jahrbuch eingereichte Haiku aufgenommen.
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Haiku heute
Südwind
Haiku-Jahrbuch 2016
Herausgegeben von Volker Friebel
Edition Blaue Felder, Tübingen
Haiku heute ist ein Projekt zur Förderung des deutschsprachigen Kurzgedichts. Die Netzpräsenz www.Haiku-heute.de erstellt aus der Vielzahl an eingereichten Texten jeden Monat eine Auswahl nach literarischen Gesichtspunkten. Die Jahrbücher, von denen hier das vierzehnte vorliegt, versammeln davon die interessantesten Haiku jedes Jahres und geben so einen Überblick zum Stand der deutschsprachigen Haiku-Dichtung. Zusätzlich werden im Jahrbuch auch in anderen Foren veröffentlichte Haiku und nur für das Jahrbuch eingereichte Haiku aufgenommen.Alle Rechte bei den Autoren.
Edition Blaue Felder,
Volker Friebel, Denzenbergstraße 29, 72074 Tübingen (Deutschland).
www.Volker-Friebel.de
www.Haiku-heute.de
Redaktion und Gestaltung: Volker Friebel.
Umschlagfoto: Schmelzender Schnee auf dem Silvaplanersee, März 2017, Volker Friebel.
Veröffentlichung: Mai 2017.
Inhalt
Vorwort
Haiku
Tan-Renga
Autoren
Vor dem Haus fallen Kirschblüten ... Ich nehme sie wahr, wende mich ihnen zu, und sie entstehen neu auf dem Papier, als Skizze, als Gemälde mit Worten, als Auseinandersetzung mit dem Vergehen und der Tiefe der Welt.
Worauf ich schaue, was ich höre, womit ich mich beschäftige, sagt nicht nur etwas über mich selbst aus, es verändert mich auch.
Es verändert mich, ob ich mich Kirschblüten zuwende oder Börsennachrichten, Kriegsberichten, ziehenden Wolken, Flüchtlingselend, Gedränge in der Straßenbahn, Auslagen in der Fleischereiabteilung eines Supermarkts. Es liegt zumindest in Teilen an mir, wohin ich mich verändere, wohin ich mich verändern will. Das sind auch Entscheidungen.
Das Haiku ist so eine Entscheidung. Es hat eher mit Achtsamkeit zu tun als mit Zerstreuung, eher mit Werden und Vergehen als mit Statik, eher mit offener Wahrnehmung und Betrachtung als mit abstrakten Ideen, eher mit dem Kleinen als mit dem Großen.
Eindeutige Zuordnungen sind fast immer problematisch. Und jeder, der ein Haiku verfasst, legt damit auch etwas von sich selbst hinein, auch wenn er „objektiv“ bleiben möchte – und jeder, der ein Haiku liest, tut dies genauso.
Wie die meisten interessanten Dinge, ist ein Haiku kaum zu definieren – aber zu erleben. In unser Erleben gehen auch all unsere bisherigen Erfahrungen ein, es kann nie vorurteilsfrei sein – und doch eröffnet es die Möglichkeit, uns zu verändern, wenn wir es offen zu gestalten versuchen. Und die Texte dieser Sammlung bieten reichlich Gelegenheiten, sich auf das Haiku einzulassen, in seiner Vielgestaltigkeit, in der oft ganz unterschiedlichen Auffassung seines Konzepts.
Welches Konzept liegt diesem vierzehnten Jahrbuch des Projekts Haiku heute zu Grunde? Die Verbreitung des Haiku in der deutschsprachigen Welt soll beobachtet und dokumentiert werden. Die Vielfalt und die Breite der Ausdrucksformen ist dabei ausdrücklich erwünscht. Literarische Qualität und Inspiration sind die wichtigsten Kriterien. Natürlich stellt sich auch manchmal die Frage, was noch als Haiku gelten kann und was nicht, eine Frage, auf die eine klare Antwort nicht möglich ist.In das Jahrbuch sind 596 Haiku von 115 Autoren und zehn Tan-Renga aufgenommen. Erstveröffentlicht wurden viele der Texte in den Monatsauswahlen von Haiku heute, im Sommergras (der Vierteljahresschrift der Deutschen Haiku-Gesellschaft), in Chrysanthemum (Halbjahres-Zeitschrift zu Haiku und Verwandtem), in den Werkstätten des Hamburger Haiku Verlags, auf VerSuch (Projekt Gendai-Haiku), auf Tageshaiku, in der Facebook-Gruppe Haiku-like. Weitere Texte wurden von den Autoren auf die Ausschreibung des Jahrbuchs hin eingereicht. Für die Aufnahme war Bedingung, dass die Texte im Jahr 2016 geschrieben oder in diesem Jahr erstveröffentlicht worden waren. Alle Texte wurden durch den Herausgeber ausgewählt und von ihm zusammengestellt, kritisch unterstützt durch Elisabeth Menrad.Wie sich die deutschsprachige Haikuwelt weiterentwickelt, wird sich zeigen. Wir sind, als Leser wie als Autoren, bei dieser Gestaltung dabei. „Mögest du in interessanten Zeiten leben”, lautet ein chinesischer Fluch. In der Literatur interessante Zeiten können beglückend sein.Volker Friebel
Tübingen, 22. April 2017
Klemens Antusch
eintauchen in die Mondspur vor uns
auf den Wellen
tanzt eine Boje
Sylvia Bacher
winterabend
über dem ofen ein
schmetterlingsmobile
unerreichbar
zwischen licht und dunkel
du am horizont
dunkle tage
zu kurz
für all die fragen
Marita Bagdahn
Nach dem Krankenbesuch
zurück in die Sonne –
fallende Blätter
In der S-Bahn
leere Werbeflächen
ich sehe – mich
Warten am Bahnhof
der Zug der Wolken
ohne Verspätung
Dimitri Banick
Meine Oma
betrachtet mich schweigend –
nur der Rahmen glänzt.
Christa Beau
Tränen
in einer Weihnachtskugel
verschwimmt das Licht
Tag der Arbeit
ein Meisenpärchen
beim Nestbau
Kirschblüten
der Klang seiner Worte
nach dem Streit
Geschwistertreffen
auch bitterer Wermut
steht auf dem Tisch
Streitgespräch
wir rühren
im kalten Kaffee
beim Stricken
in den Wollschal schlüpft
Sommerwärme
Im Restaurant
die Zugabe des Kellners
ein Lächeln
Martin Berner
Friedhofsbesuch
sie legt ein Foto des toten Katers
aufs Grab
Ostermarsch
der Alte
mit hängenden Schultern
Klassentreffen
kein Wort
von den Erniedrigungen
harte Motorradkerle
einer weint
am Grab
ordnet
die Küchengewürze
der Neurentner
„Opa tomm“
keine Zeit
für Sinnsuche
Flüchtlingshetze
die Schläge der einheimischen
Dorfjungen damals
das Loch
in der Seite
mit den Todesanzeigen
Begräbnis
die Enkelin will
ein Selfie mit dem Pfarrer
dieses Lied
die Jahre
fallen ab
Wolfgang Beutke
Dämmerung ...
flach wurzeln die Pinien
in meinen Träumen
Puccinis Garten –
ein Schmetterling steigt auf
ins schwindende Licht
Christof Blumentrath
Schlehenernte
aus spitzem Gezweig
den Sommer zupfen
Fußgängerzone
Strich für Strich das Lächeln
der Mona Lisa
ich bin ich bin nicht Sand der durch meine Hände rieselt
Tony Böhle
Nocturne –
die Farbe
der schwarzen und weißen Tasten
Jetlag –
ich verstecke
meine Abendlatte
Gerald Böhnel
„Weißt du noch?“
– sein spitzbübisches Lächeln
im faltigen Gesicht
wartezimmer
ein kind singt hinein
ins schweigen
verirrt im nebel
ihr handy
klingelt
Gerd Börner
Bergkapelle
Spinnweben in den Fenstern
gefroren
einen Steinwurf –
am Rande des Kirchspiels
leben die Fremden
am Rande der Lichtung
der Meister malt
das Zittern der Zweige
Wie der Wind klingt
in den Dünen –
als gähne das Meer
kaum die Lider gesenkt
der Geschmack
verbrannter Worte
Nachtkino
ganz nahe ihr Gesicht
kirschblütenhell
Reiner Bonack
Fjordblaue Stunden
Nicht an die Zeit denken
die uns noch bleibt
Ein letzter Gruß
Das Leuchten der Blumen
verglimmt unter Schnee
Alt wie ein Baum ...
summe ich – nah am Grab
des toten Dichters
Sommertheater
Sie tanzt
bis in den Traum
Elke Bonacker
Abschied
auf dem Bahnsteig
heult ein Hund
Claudia Brefeld
von Dämmerung zu Dämmerung die Sterne im Fenster
Brigitte ten Brink
Sonntagsfrühstück
das Haus flüstert
in unsere Stille
zwanzig Geheimnisse
alle vergessen
Großmutters Rosenkranz
walking on sunshine
die Scheibenwischer
nicht im Takt
Vogelschrei
der Tag schüttelt
Dunkelheit aus den Federn
unwegsames Gelände
ständig stolpern
über deine Worte
lauschen
auf die Stille zwischen
den Sätzen
Mauersegler
ich träume nicht mehr
vom Fliegen
Ralf Bröker
ein langer Brief
in das frühe Dunkel
dieser Tage
aus Versehen
auf sein Auto getreten
jetzt herrscht Ruhe
vor der Prüfung
das endlose Papier
auf dem Klo
die Ästhetik
eines brutalen Fouls
in Zeitlupe
nach dem Streit
ich wandere durch
gekrümmte Räume
auf allen Fluren
allein die Kraniche
der Entlassschüler
an der See sitzen
das Salz erreicht
meine Seele
Horst-Oliver Buchholz
Die Äpfel
heute ganz blau
Atelierbesuch
Ihrer gedacht
irgendwo
fällt eine Tür zu
... und bist doch
über uns
Neumond
Verdrängst ein Stück Welt
kleine Tasse
halbvoll grünem Tee
Reisezug
alle die Orte
ohne Halt
Kraftlos
am Grab der Freundin
der Wind
Silvesterböller
in meiner Tasse Tee
ein leichtes Zittern
Renate Buddensiek
Musikdampfer,
Lieder und Saxophonklang
verrauschen im Meer.
Pferde im Regen,
still wie Skulpturen im Park,
plötzlich ein Schnauben.
Pitt Büerken
Strandpromenade
ein Segelboot verbindet
zwei Schulterblätter.
der Kirschenpflücker
schaut hoch in die Wolken
die Leiter schwankt
Herzklopfen
St. Nikolaus öffnet
sein dickes Buch
Weiße Weihnacht!
Eine Kehrmaschine räumt
Schnee beiseite
auf dem Wochenmarkt
deine funkelnden Augen
hinter den Äpfeln
Simone K.