Tod im Ngorongoro - Angelika Friedemann - E-Book

Tod im Ngorongoro E-Book

Angelika Friedemann

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Beschreibung

Geld ist nicht das Wichtigste im Leben. Maja Steinert erhält in Deutschland die Mitteilung, ihr Ex-Mann Heiko wurde in Tansania von Elfenbeinschmugglern ermordet. Sie reist mit ihren Kindern in das afrikanische Land, um die Hinterlassenschaft zu übernehmen. Dort erlebt sie eine herbe Enttäuschung. Der grosse Geldsegen, den sie sich erhofft und immer gewünscht hatte, bleibt aus. Selbst von ihren ehemaligen Schwiegereltern erlangt sie nichts von Heikos Erbe. All ihre überkandidelten Pläne von einem Leben in Luxus zerplatzen und sie sinnt auf Rache. Arne, ihr 22-jähriger Sohn lernt eine völlige andere Welt kennen und lieben. Schliesslich wird auch er durch die hinterhältigen Machenschaften von Maja in den illegalen Elfenbeinschmuggel hineingezogen, dem bereits mehrere Menschen zum Opfer fielen.

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Seitenzahl: 429

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Tod im Ngorongoro

Freunde sind wie Stern, sie sind immer da.Prolog* - 1* - 2* - 3* - 4* - 5* - 6* - 7* - 8* - 9* - 10* - 11* - 12* - 13* - 14* - 15* - 16* - 17* - 18* - 19* - 20* - 21* - 22* - 23* - 24* - 25* - 26Impressum

Freunde sind wie Stern, sie sind immer da.

Prolog

Sie fuhren auf einer der spärlichen, breiten, gut ausgebauten Straßen aus der Stadt heraus. Der Autoverkehr wurde kontinuierlich dichter, war für Heiko Ole Steinert mehr als nervig. Alte klapprige Lastwagen, von denen keiner genau wusste, wieso die überhaupt einige Meter vorwärts rollten, so wie die Dinger zusammengebastelt aussahen, tummelten sich neben uralten, verrosteten Kleinwagen, modernsten, neusten Jeep-Modellen, luxuriösen Limousinen, überbevölkerten Kleinbussen, die auf dem Dach Kisten und Körbe gestapelt transportierten, so dass man Angst haben musste, der Kram flog gleich auf die Fahrbahn. Dazwischen Männer mit Handkarren, unzählige Fahrradfahrer, deren Räder eher an Gestelle mit zwei Reifen erinnerten. Erfinderisch waren die Menschen ja. Selbst wenige Fußgänger schlenderten gemächlich quer über die Fahrstreifen, ignorierten das Hupen.

Endlich hatten sie Arusha passiert. Obwohl der Verkehr relativ üppig war, das würde sich bald ändern, entspannte Heiko sich allmählich.

Er setzte die Sonnenbrille auf, da die ersten Sonnenstrahlen ihn streiften, schaute zu seinem Freund, der den Sitz weit nach hinten schob, die nackten Füße auf das Armaturenbrett legte. Eine Angewohnheit, die er nach jeder Safari so durchführte. Meine Fortbewegungsinstrumente benötigen frische Luft, sein Argument dazu.

„Jetzt genießen wir einige Tage Ruhe. Ich werde mich in der Zeit mit Kiki vergnügen.“

„War trotzdem eine angenehme Tour. Sie gehörten zu der netten Sorte. Ich beabsichtige, meine Inkera zu meinen Schwiegereltern zu schicken, um mich ganz meiner Bibi zu widmen“, grinste Clark breit. Die schneeweißen Zähne leuchteten förmlich in dem kaffeebraunen Gesicht.

„Ich wollte Liam und Siri ursprünglich zu euch bringen“, lästerte Heiko.

„Vergiss es! Ich verspüre riesigen Nachholbedarf.“

„Ich dito. Wir holen noch das Gemüse ab. Freut sich Ben.“

„Wieder eine Stunde später daheim.“

Heiko lacht. „Du scheinst es wirklich nötig zu haben.“

„Als wir weg sind, war sie bereits seit Tagen im Dorf. Nach drei Wochen Abstinenz - eh-eh, zumal die Entito meinen Appetit so richtig angestachelt hat.“

„Wäre sie meine Tochter, würde sie eingeschlossen, gewiss nicht auf die Touris losgelassen. Niedlich sieht sie aus, aber achtzehn war sie garantiert nicht.“

„Was denkst du, ein Mischling?“

„Habe ich gestern Abend schon versucht zu ergründen. Keine Ahnung! Auf jeden Fall stimmt die Figur. Schade um das Girl. In wenigen Jahren siehst du ihr an, mit was sie ihr Geld verdient.“

„Henry wird heute von seinen Freunden vermutlich einiges zu hören bekommen.“

„Die waren sauer, dass er bei ihr gelandet ist, sie abblitzten. Hoffentlich benutzte er Kondome, sonst freut sich seine Frau, wenn er eine kleine nette Krankheit mitbringt“, spöttelte Heiko.

„Wenn´s nur die ist, kann er noch froh sein. Schlimmer HIV. Deswegen nie mit einer von ihrer Sorte in die Kiste springen. Obwohl - süß sah sie aus.“

„Deine Bibi ebenfalls, ergo Träume beendet.“

„Wie hast du gesagt, Appetit darf man sich holen, danach essen wir zu Hause. Ob sie die ganze Palette beherrscht?“

Heiko lachte. „Will sie einigermaßen Shilingy in dem Gewerbe verdienen, wird sie die wohl draufhaben. Ich glaube, wir wechseln das Thema.“

„Wer sind die Nächsten?“, strich sich der 40-jährige Maasai über den Kopf. Die langen schwarzen Haare waren nach Maasaiart zu vielen Zöpfen geflochten, die ihm bis auf die Schulter baumelten.

„Kibo mit zwei Amis. Neue Kunden. Einer 54, sein Sohn 29 Jahre alt. Beide verfügen angeblich über Bergerfahrung. Gucken wir sie uns vorher an.“

„Kommen sie allein?“

„Ah-ah, mit ihren Ehefrauen, aber sie gehen nicht mit. Die Eltern logieren in der Makonde-Banda, die Jüngeren in der Haya-Banda. Sie treffen morgen Mittag ein. Sie verlebten bereits eine Woche am Meer.“

„Olnjere, trudeln sie mit Sonnenbrand an, kannst du sie vergessen.“

Sie schauten sich kurz verstehend, grinsend an.

Die asphaltierte Straße endete in Karatu und Heiko bog ab, fuhr nicht Richtung Lodge, sondern nahm einen Umweg, da sie Wild und Gemüse einkaufen wollten. Die Besorgungen waren flink erledigt, da das meiste vorbestellt war.

Vor ihnen breiteten sich die Ausläufer des Ngorongoro-Kraters aus. Auf der rechten Seite sah man die ersten Inkangìtie. Junge Maasai, Laiyoni, trieben magere Zebus und einige Rinder vor sich her. Für die begann nun eine Hungerperiode, da es kaum noch etwas Fressbares gab.

Heiko öffnete das Fenster, ließ die noch kühle Morgenluft herein, summte leise zu der Musik im Radio.

Riesige Baobabs und zahlreiche Akazienbäume waren auf der weitläufigen Savanne zu erkennen. Dazwischen gelbliche hochgewachsene Gräser, neben grünen Grasflächen, die allerdings in der Minderzahl auftauchten. Das wenige Gras war kurz abgefressen, verwandelte sich im Laufe von zwei, drei Tagen in braun-gelbe Flächen. Jetzt würde bald die Trockenzeit überall Einzug halten.

Er schaute zu einer Truppe Buschböcke, die sich rasch mit weiten, hohen Sprüngen entfernten.

„Irgendeins der Raubtiere scheint Hunger zu haben“, amüsierte sich Clark. „War wohl nichts mit Fressen diese Nacht. Nu haben duma oder simba Hunger.“

„Derweil bricht die karge Zeit für sie erst an.“

„Ein Scheiß Leben, wenn man nur die Hälfte vom Jahr dürftig etwas zwischen die Zähne kriegt, trotz zehn Weibern.“

„Bist ja kein simba“, lachte Heiko und Clark stimmte ein.

Vor wenigen Tagen liefen hier die großen Herden entlang, vorwärts, von ihrem Instinkt zum Mara-River getrieben. Die Herdenwanderung erfolgte sie so wie jedes Jahr in Richtung Maasai Mara nach Kenia, wo derzeit alles grün und saftig stand. Die Gnus trotteten dabei stets an vorderster Front, bevor Zebras, Antilopen, Impalas, Gazellen und andere Gruppen der Grasfresser folgten. Nur die Fleischfresser blieben zurück, zusätzlich zu den Kranken, Alten, wenigen Nachzüglern, die den Anschluss verpasst hatten. Nun waren sie die einzige Beute für die Raubkatzen. Die Bummler würden wahrscheinlich die nächsten Wochen und Monate nicht überleben. Ein ewiger Kreislauf.

Heiko bog nochmals ab, da die rotbraune, erdige Hauptstraße direkt ins Kratergebiet führte. Die Straße hatte man erst im vergangenen Jahr neu geebnet, damit es die Touristen bequemer hatten. Nun war der Weg nur noch ein schmaler, staubiger, steiniger Pfad, der von Autos, im Laufe der Jahre, platt gefahren war. Er kannte die Strecke im Schlaf, musterte daher die Umgebung. Die Trockenheit hielt sich derzeit in Grenzen - noch. Auch bei ihm in der Lodge würde in einigen Wochen das Wasser knapp werden, da es zu wenig geregnet hatte, es aber viel gegossen werden musste. Die Auffangbehälter waren nicht alle voll geworden und das bedeutete – Probleme.

„Die Tommys scheinen ebenfalls nervös zu sein“, wunderte er sich, um kurvte einige Bäume, die im Wege standen, fuhr einen kleinen Hügel hinauf, den auf der rechten Seite ein begrenzter Wald säumte, links hingegen ging es steil und felsig auf die Savanne hinunter.

„Die Jagd war letzte Nacht erfolglos und der Pascha schickt seine Weiber jetzt los. Er hat Hunger und da ist er ungnädig. Geht mir auch so.“

„Mearr enalubo likai orere, Olnjere. Sind wir oben, werden wir es sehen. Vielleicht ein Safari-Jeep, der die Viecher in Aufregung versetzt. Die Urlauber sind müde, wollen ins Bettchen.“

„Sind sie aber spät dran. Bald kommen die ersten Tagesausflügler.“

In Kürze würde die weite Grassteppe vor ihnen auftauchen, dahinter die schroffen Hänge des Ngorongoro, die teilweise mit viel Baumbestand bewachsen waren, bevor die eher kahlen Felsen auftauchten. Der Pfad führte abwärts. Gleich verschwand der dichte Baumbewuchs, um dem Gebüsch, den Sträuchern der verschiedenen Arten, Platz zu machen. Das Blätterwerk war gänzlich verschwunden, diente nach der Regenzeit den Tieren als Nahrung.

Clark reichte ihm eine gekühlte Flasche Wasser. Beide tranken.

„Kaffee wäre mir lieber“, Clark nahm Heiko die Flasche ab, schraubte sie zu.

„Mir ebenfalls. Es wird langsam wärmer.“

„Ihr mzungu friert zu schnell“, lästerte sein Freund, der in Shirt und Jeans neben ihm saß.

„Wir haben eben ein weniger dickes Fell wie du nugu“, lachte Heiko.

„Selber nugu!“

Das Wort Affe für den anderen war ein Scherz und nicht abwertend gemeint. Clark hatte am Anfang ihrer Freundschaft einmal gesagt: Ihr mzungu könnt nicht mit den nugu verwandt sein, da ihr unfähig zum Klettern seid. Heiko hatte ihm seinerzeit das Gegenteil bewiesen. Das er danach blutige Handflächen und schmerzende Fußsohlen hatte, erzählte er ihnen erst Monate später.

Den Wagen lenkte Heiko mit den Knien, da er den Pullover über den Kopf zog, dabei fiel sein Blick nach rechts.

„Damned!“, fluchte er in dem Moment. Clark griff danach, warf das Kleidungsstück nach hinten und erst infolge sah er, was sein Freund meinte.

Neben vielen toten Elefanten standen zwei Lastwagen und drei Jeeps. Sie luden gerade einen Stoßzahn ein. Viele lagerten bereits im Inneren.

„Damned!“, schimpften sie fast gleichzeitig. Clark nahm sein Handy, knipste einige Male. „Ich rufe Tom an und schicke ihm die Fotos.“

„Am Rande des Ngorongoro sind Wilderer zugange. Wazungu, sechs, jede Menge Schwarze.“ „Jetzt nicht. Wir müssen schnellstens weg“, hörte er Clark sagen. „Mindestens fünfzehn tembo liegen hier, eher mehr.“ „Asante und kwa heri.“ „Damned, dass wir nicht umlenken können. Sie haben uns gleich voll im Visier“, Clark leise, als wenn die Männer sie hören könnten. „Unsere Gewehre sind hinten.“

„Wir probieren es mit Geschwindigkeit. Unsere einzige Chance. Die müssen erst in die Jeeps springen, rumfahren. Vier Minuten Vorsprung.“

Kaum hatte er das ausgesprochen, erkannten sie die automatischen Gewehre in den Händen von zwei Männern.

„Damned! Clark, Kopf runter!“, donnerte Heiko, da bellten schon die Maschinengewehre, Kugeln schlugen ein, Fenster splitterten, trafen gedämpft aufschlagend das Metall des Autos. Heiko riss mit Schwung das Lenkrad herum, gab Gas, fluchte dabei, da er nicht schnell genug wegkam. Er fuhr quer über die Ebene, bevor er nach links lenkte. Nun hatten sie allerdings den Tank in der Schusslinie.

Der folgende Kugeleinschlag klang bedrohlich. Eine Salve folgte der nächsten.

„Wenn der Wagen in die Luft fliegt, sind wir dran. Clark, mach die Lehne …“

Er lugte rasch zu seinem Freund, der zusammengesunken neben ihm gegen die Tür gelehnt saß. Er schaute genauer hin, entsetzt, völlig aus der Fassung gebracht, Blut lief Clark im Gesicht herunter, tropfte auf das weiße Shirt. Die schwarzen Pupillen blickten starr. Er verriss das Steuer, ohne es zu bemerken.

„Clark!“, brüllte er. „Ah-ah!“ Der Kopf seines Freundes sackte seitlich weg, als er über eine Bodenwelle preschte und er sah die Einschüsse. Es war ein gruseliger Anblick, den er jedoch nicht wirklich registrierte.

Im gleichen Moment erlitt er den Schlag. Der Jeep schlitterte, da sie anscheinend einen Reifen getroffen hatten. Nochmals kam der Schmerz, trotzdem hielt er das Gaspedal durchgedrückt, raste über die weite Savanne, einfach nur gerade aus. Er wurde hoch und runter geschleudert, ächzte, fühlte den Schweiß, der in seinen Augen brannte. Der Mann neben ihm rutsche ein wenig hinunter.

Er presste die linke Hand an Clarks Hals, aber da war nichts mehr.

„Ah-ah! Clark!“, krächzte er laut, ignorierte die Tränen, die ihm über das Gesicht liefen. „Clark, nicht! Du darfst nicht sterben!“, brüllte er vor Wut, Schmerz, Fassungslosigkeit, obwohl er wusste, es war vorbei.

Die Schmerzen breiteten sich rasch in seinem Körper aus. Nun erst befühlte er seine rechte Seite, ertastete etwas Warmes, Klebriges und er wusste, sie hatten auch ihn erwischt. Es tat höllisch weh, dennoch stärker war die Qual, die in seinem Inneren wütete. Sein langjähriger Freund war tot, erschossen, ermordet. Er stöhnte leise, Tränen rollten über die Wangen, vermischten sich mit der Transpiration, tropften auf seine Kleidung. Er schloss kurz die Augen, aber das Brennen ließ nicht nach.

„Clark!“, ächzte er. „Warum? Damned, warum?“

Als er in den Rückspiegel schaute, sah er weit entfernt einen Jeep auftauchen.

Heiko, reiß dich zusammen, sonst bist du ebenfalls tot. Er riss das Steuer nach rechts, brüllte dabei, da das kolossal wehtat. Vor seinem Blickfeld verwackelte langsam alles. Er wischte über die feuchte Stirn, schob eine nasse Haarsträhne beiseite. Er raste nur geradeaus, aber bei der Geschwindigkeit, der Unebenheit, den Steinen, die überall lagen, Schwerstarbeit, die ihn ächzen ließ. Die bucklige Savanne führte zu einem ständigen Auf und Ab, zumal er die Steine, Dellen nicht mehr erkannte. All das verstärkte seine Qualen. Normalerweise war es verboten, nicht markierte Wege zu benutzen, da diese Gebiete nur den Wildtieren gehörten. Nur das registrierte er nicht mehr, genau so wenig, dass einige Tiere panisch wegrannten, da er ihnen sehr nahe kam.

Die Hände hielten das Lenkrad so fest umklammert, dass die Knöchel weiß hervortraten, auch sie schweißnass. Er musste es schaffen. Die Schmerzen wurden durch die fortgesetzte Holperei schlimmer. Er ächzte mehrmals, keuchte laut, versuchte, normal zu atmen, nur selbst das tat weh. Vor seinen Augen verschwamm peu á peu die Landschaft. Er wusste nicht, ob das von den Tränen, dem Schweiß, dem Blutverlust oder der Anstrengung kam. Jeder Atemzug, jede noch so kleine Delle in dem harten Boden, folterte ihn.

Nach einer Ewigkeit, wie es ihm vorkam, war er an dem Hügel angekommen. Auf der anderen Seite lag ein Dorf. Nur noch wenige Minuten und er war in Sicherheit. Er wollte nach seinem Handy greifen, aber er schaffte es nicht, sich weiter vorzubeugen. Er stöhnte nur, da die geringfügigste Bewegung Höllenqualen verursachte. Erst jetzt nahm er, wenn auch nur verschwommen, wahr, dass sein Shirt vorn rot verfärbt war.

Er gab Gas, da er schnell den niedrigen Höhenzug überqueren wollte. Er wusste, lange hielt er nicht mehr durch. Im gleichen Moment hörte er etwas laut metallisch klingen und der Wagen stand abrupt. Er wurde gegen das Steuer geschleudert, brüllte vor Schmerz.

Die nackte Felge hatte aufgesetzt, was er allerdings nicht wahrnahm. Er stieg mühsam aus. Die Qualen dabei unerträglich. Automatisch schloss er die Tür, ohne dass er das registrierte. Gebückt stolperte er schleppend davon, fiel hin, konnte nur noch stöhnen. Er nutzte einige Büsche, um sich zu verstecken, gleichzeitig um sich vorwärtszuziehen. Es war ein Vorwärtstasten, der Wille, dem Tod zu entkommen, ein zaghaftes Aufbäumen. Erkennen konnte er nichts mehr. Die letzten Reserven waren aufgebraucht. Er brach zusammen, wusste, es war vorbei. Das Letzte, was er hörte, war ein bellendes Maschinengewehr. „Clark, ich komme, anyorr oleng Kiki“, hauchte er mit letzter Kraft, dann rollte sein Körper ein Stück abwärts, blieb in einem Dornengebüsch liegen. Wie sich die länglichen, spitzen, scharfen Dornen in sein Fleisch bohrten, spürte er nicht mehr.

*

Arne erschien wie oftmals am späten Samstagnachmittag bei seiner Mutter. Er brachte seine schmutzige Wäsche mit.

„Kauf dir bloß eine Waschmaschine. Ständig habe ich die ganze Arbeit“, mäkelte sie.

„Ist ja nur einmal im Monat. Gib her, ich mach es allein. Ist wohl keine Arbeit, die Maschine anzuschalten und Waschpulver hineinzukippen. Stefans Mutter macht deswegen nie Zirkus.“

„Diese faule Kuh hängt auch den ganzen Tag nur daheim herum. Weißt du, was ich für eine anstrengende Woche hinter mir habe? Eine Kollegin ist ausgefallen und ich musste ihren Kram mit erledigen. Dazu die ganze übrige Arbeit. Ich musste alles kontrollieren, das Personal einweisen, die Gäste zufriedenstellen. Wir hatten einige ausländische Unternehmer da, und da keiner so gut Englisch kann, wie ich, kamen die andauernd zu mir und ich musste es managen. Daneben die Bestellungen, Meetings, die gesamte Koordination des Personals, und tausend andere Aufgaben, die ich ständig erledigen muss.“

„Ich kapiere. Es war das letzte Mal, dass ich die Wäsche mitgebracht habe. Fahre ich. Gib mir mein Kindergeld, sonst klage ich das ein. Es gehört mir, nicht dir.“

Entsetzt blickte sie ihren 22-jährigen Sohn an.

„Nein, bleib, da ich wie immer für dich gekocht habe. Du sollst nur einmal hören, wie viel ich schuften muss. Ergo vergleiche mich nicht mit so einer faulen, stupiden Hausfrau. Die musste nie allein zwei Kinder großziehen, weil er arbeitet und das Geld nach Hause bringt. Ich musste alles allein für euch bezahlen, hatte nie Hilfe oder bekam irgendwoher Gelder. Wärst du bei uns wohnen geblieben, würdest neben deinem Studium arbeiten, hättest du mich und deine Schwester etwas unterstützen können und deine Wäsche wäre sauber. Da müsste ich nicht auch noch am Wochenende ackern. Aber nein, wir sind dir gleichgültig, deswegen eine eigene Wohnung, wo du mein Geld verschleuderst. Du kommst nur, wenn du meine Hilfe benötigst.“

Arne zog die Stirn kraus: Jetzt kam die Leier wieder. Wäre ich bloß nicht hergefahren, dachte er wütend. Jedes Mal der gleiche Zirkus. Stefan hatte es mir vorher gesagt, dass ich mir ihr Gesülze ersparen soll. Nein, ich bin wieder so blöd gewesen.

„Von dir bekomme ich nichts, sondern arbeite für Miete, für mein Studium, mein Leben. Lüge nicht. Sicher und ich penne mit Pia in einem Raum. Meine Freundin gleich mit. Du spinnst. Ich benötige nicht deine Hilfe, weil ich allein eine Waschmaschine anstellen kann.“

„Eine Freundin kommt mir nicht ins Haus. Du bist noch viel zu jung dafür. Deswegen willst du mir mein Geld wegnehmen?“, keifte sie laut.

„Dein Geld? Du klaust es mir, da es mir zusteht. Ich war nämlich beim Amt und habe mich erkundigt. Du kassierst überall nur ab, bescheißt sogar deine Kinder. Ich jobbe für mein Studium, weil du unbedingt ständig neue Klamotten kaufst, wohlgemerkt von Pias und meinem Geld. Na ja, hat sich in Zukunft erledigt. Antrag ist gestellt.“

Sie unterdrückte eine Erwiderung, wollte ihn nicht noch mehr reizen. Sie benötigte sein Geld, sonst reichte es überhaupt nicht mehr.

Sie saßen am Esstisch, genossen das Abendessen.

„Arne, dieser Kerl, also dein Vater, ist gestorben.“

„Waaass? Wieso?“ Die Gabel viel klirrend auf den fast leeren Teller, das die Tomatensoße von dem Miraácoli, welche es ständig gab, hoch spritzte. Entsetzt schaute er sie an. Er hat ja Heikos Augen, fiel ihr auf.

„Sie wissen es nicht genau. Man hat seinen Leichnam irgendwo in der Walachei gefunden.“

„Wurde der von Schwarzen ermordet?“

„Logischerweise! Die Schwarzen sind alle Kannibalen, Mörder, Verbrecher und Diebe. Das erlebe ich tagtäglich bei meinem Personal: faul, frech, blöd.“ Regina, dieser schwarzen Hexe, würde sie am Montag persönlich stecken, dass sie nun Millionärin war.

„Na ja, hat der Kerl verdient“, nuschelte Pia mit vollem Mund. „Wer zieht schon zu den Wilden?“

„Mama, lass sie quatschen. Erzähle weiter.“

„Er besaß dort eine sogenannte Lodge. Mit vier Touristen ist er zum Kilimanjaro hoch, hat die Männer danach nach Arusta oder so ähnlich gefahren. Dort hat man ihn wohl das letzte Mal gesehen. Als er nicht in dieser Lodge erschien, hat man sich Tage später Gedanken gemacht. Einheimische haben ihn tot gefunden.“

„Woran ist er denn gestorben?“

„Na eben ermordet und beklaut. Kehle durchgeschnitten. Sogar seine Klamotten haben die Schwarzen ihm geklaut. Hörst du nicht zu?“

„Wer hat dir das geschrieben?“

„Sein Rechtsanwalt.“ Sie räusperte sich. „Er hat mir diese Lodge vererbt.“

„Waaass? Ich gehe doch nicht nach Afrika.“

„Pia, sei einmal still. Du nervst“, blaffte Arne seine Schwester an.

„Ich fliege nächste Woche hin, habe bereits einen Flug gebucht und mit dem Anwalt geredet“, log sie.

„Mama, was willst du da? Was ist überhaupt eine Lodge?“

Maja erhob sich, kam mit ihrem Laptop zurück, schaltete ihn ein.

Nach einer Weile schob sie das Geschirr ein wenig beiseite.

„Das ist sie. Die Eskiki-Lodge eures Vaters. Blöder Name!“

Die zwei starrten auf den Monitor. Sie betrachtete die so unterschiedlichen Geschwister. Pia hatte fast blonde Haare, viel heller als ihre Eigenen. Die blauen Augen konnten zuweilen so wie eben, kalt wie Eis blicken. Ein Zeichen für schlechte Laune oder weil sie ihren Willen nicht bekam. Die Oberlippe war zu schmal, aber das bemerkte man nur, wenn sie nicht geschminkt war. Sie war wesentlich kleiner als Arne, auch vom Wesen unterschieden sie sich sehr. Pia war lebhaft, allerdings faul, hatte die Schule gehasst, jetzt ihre Lehrstelle als Friseurin. Sie liebte alles, was mit Mode und Schmuck, Luxus zu tun hatte, wollte stets wie ein Modepüppchen gekleidet sein, was natürlich nicht ging, da Heiko nie für sie zahlte und obwohl sie sehr gut verdiente, reichte es dafür nicht. Deswegen gab es zwischen ihr und der Tochter regelmäßig Streit, da deren üppiges Taschengeld, welches sie ihr gab, am Zehnten des Monats bereits weg war. Das Ausbildungsgeld kassierte sie ein, damit Pia mit Geld umgehen lernte.

Arne war groß, muskulös, war ein ruhiger, sehr sportlicher Mensch. Er hatte fast alles von seinem Vater geerbt, selbst dessen Liebe zur Natur. Mit den braunen Augen und Haaren konnte man ihn als gut aussehend bezeichnen. Er war strebsamer, nicht so oberflächlich wie seine knapp zwei Jahre jüngere Schwester. Eigentlich hatten sie völlig andere Eigenschaften, konnten andersartiger nicht sein.

Maja seufzte leise.

„Blöder Name, aber echt cool“, Pia nun, während Arne nur darauf starrte. Sie schauten die Fotos an, lasen die Beschreibung.

Maja räumte den Tisch ab, setzte sich zu ihren Kindern.

„Anscheinend hatte er dort seine Traumwelt gefunden“, murmelte Arne leise. „Wunderschön. Ich komme mit, Mama.“

„Hast du keine Vorlesungen?“

„Halb so tragisch. Ich möchte wissen, wie sie war, seine Welt.“

„Dann will ich auch mit.“

„Pia, ich weiß nicht, ob das außerhalb der Ferien geht. Du hast Berufsschule.“

„Och, ich will auch mit. Einmal schwänzen geht doch.“

„Rede am Montag mit Herrn Reichelt.“

„Bleib hier, da ist es ruhiger.“

„Blöder Kerl!“

„Hört ihr auf, sonst fliege ich allein. Das ist keine Urlaubsreise. Begreift ihr das? Euer Vater ist tot.“

„Mensch Mama, den haben wir seit Jahren nicht gesehen, noch etwas von ihm gehört. Der hat sich einfach verpisst. Du hast jahrelang nur über ihn gemeckert, ihn beschimpft, als Idioten, miesen Kerl und was weiß ich alles betitelt. Also spiel jetzt nicht trauernde Witwe.“

„Du blöde Pute kapierst nichts. Er war mein Vater und ich kann mich noch gut an ihn erinnern. Bleib bloß hier.“

„Hat der blöde Kerl für uns bezahlt? Mal 200 Euro sind hin und wieder für uns beide zusammengekommen. Er hätte uns ja in den Ferien alle beide einladen können. Hat er nicht gemacht. Meinst du, den haben wir je interessiert? Wahrscheinlich hat der vergessen, dass es uns gibt. Brüderchen, du spinnst. Früher habe ich mich oft gefragt, wie mein Papa ist. Alle in der Klasse hatten einen Vater, nur ich nicht. Zu meinen Geburtstagen habe ich mir gewünscht, es würde klingeln und er würde plötzlich vor der Tür stehen, einfach so, nicht wegen irgendwelcher blöden Geschenke. Irgendwann war es vorbei, weil ich kapiert habe, er wollte und will uns beide nicht. Wir sind dem scheißegal.“

Arne guckte seine Schwester verdutzt an. So erlebte er sie nur selten.

Pia hingegen schaute ihre Mutter an und wusste plötzlich, der Tod dieses Mannes hatte sie nicht getroffen, da sie förmlich vor Freude strahlte.

„Solltet ihr mitfliegen, müsstet ihr euch impfen lassen. Das ist ganz wichtig. Arne, was ist so eine Hotelanlage dort wert?“

„Mama, egal. Du wirst die ja wohl nicht verkaufen?“

„Natürlich will ich. Deine Schwester hat recht, auch wenn sich das pietätslos anhört. Endlich kriege ich von dem etwas Geld. Vielleicht hat er ja noch andere Wertgegenstände, ein dickes Bankkonto. Außerdem steht mir jetzt die Hälfte von Opas Vermögen zu, sein Erbanteil und das wird nicht wenig sein. Da kann ich …“

„Was seit ihr nur für ekelhafte Geschöpfe?“, verzog Arne angewidert das Gesicht, stand auf.

„Nicht in diesem Ton, mein Sohn. Ich werde mir diese Lodge ansehen und mich erkundigen, was ich noch alles erbe und wie viel das wert ist. Wenigstens einmal in seinem Leben hatte der Kerl Verantwortungsbewusstsein gezeigt und an mich gedacht.“

„Mama, diese Lodge wird nicht verkauft. Ich rede mit Opa und Oma. Ihr beide seid schrecklich geldgierig. Abstoßend!“

„Sie wird verkauft, weil sie mir gehört. Ich erbe alles und du nichts!“, keifte sie.

Er nahm die nasse Wäsche und knallte die Wohnungstür zu.

Mutter und Tochter hingegen schmiedeten bis weit nach Mitternacht Pläne, was sie mit dem plötzlichen Reichtum alles kaufen würden. Am Montag wollte man einen Sportwagen bestellen, einen Makler mit dem Kauf eines großen Anwesens beauftragen. Nun würde sich ihr Leben gänzlich verändern. Maja, völlig im Freudentaumel, schlug Pia vor, sie solle die Ausbildung abbrechen, da sie nie arbeiten brauchte, so reich, wie sie sein würden. Sie erhielt ja alles von ihr. Als Pia äußerte, sie wolle darüber nachdenken, gab es erneut Streit, weil sie ihrem Ruf schaden würde, wenn sie weiterhin arbeiten ginge.

Irgendwann in der Nacht stellten sie fest, es gab ja so viel zu erledigen.

*

Das Flugzeug flog einen kleinen Bogen, bevor es zum Landeanflug auf dem Arusha Airport ansetzte. Maja schaute aus dem Fenster. Sie war aufgeregt und voller Vorfreude. Jetzt betrat sie gleich sein vermutliches Traumland. Sein Traumland, welches sie nun zur Millionärin werden ließ.

Ihr Blick schweift durch die Abfertigungshalle, da sie warten musste, bis sie an der Reihe waren. Es war warm, aber interessanter fand sie die Menschenvielfalt, die unterschiedlichen Hautfarben. Irgendwie herrschte er merkwürdiges Gemurmel in der Luft. Ihr Blick blieb an einem tansanischen Beamten hängen, der die Reisenden mit einem grimmigen Blick musterte. Es sah so aus, als wenn er sie am liebsten alle von dannen jagen würde.

Sie legte ihren Pass vor, nickte dem Schwarzen nur zu. Der Mann schaute sie kurz böse an, kontrollierte genau den Ausweis und reichte ihn ihr wortlos zurück. Diese primitiven Schwarzen schienen sehr unfreundlich zu sein.

Sie holten das Gepäck und durchquerten die kleine Halle. Sie schmunzelte. Ein Schwarzer, in einem weißen langen Nachthemd hielt ein Schild hoch, New Arusha Hotel.

„Da müssen wir hin“, sagte sie leise zu ihren Kindern.

„Sehr schön, dass doch jemand da ist. Konntest du nicht weiter vorn warten?“, blaffte sie den Schwarzen an, der mit keiner Wimper zuckte.

„Jambo“, grüßte Arne freundlich, dem der Auftritt seiner Mutter peinlich war.

„Jambo. Family Steinert?“

„Sagte ich doch!“

„Mensch Maja, benimm dich wenigsten hier“, raunte Arne ihr zu, froh, dass der Mann ihr deutsches Gewäsch nicht verstand.

„Please, follow me.“ Er winkte und ein anderer Mann nahm ihnen das Gepäck ab.

Draußen erwartete sie ein angenehmes Klima, obwohl die Sonne hell vom Himmel brannte. Er führte sie zu einem großen Jeep. Die Fahrt ging los, sobald sie alle saßen. Sie schauten aus dem Fenster.

Die Fülle der Eindrücke, welche auf sie einprasselte, waren enorm und kamen ihr surreal vor. Diese schwarzen Menschen in seltsamer Kleidung, daneben Autos, die fast auseinanderzufallen schienen. Aber es gab die andere Seite: Moderne Gebäude, modisch gekleidete Weiße. Sogar Schwarze im Anzug mit Krawatte liefen herum, und sie fragte sich, wem sie diese Kleidung wohl geklaut hatten. Die Häuser wirkten hell und freundlich in dem strahlenden Sonnenschein. Die Palmen und blühende Büsche, an denen sie vorbei fuhren, leuchteten und zeigten an, dass sie im Süden weilten.

Endlich hielt er vor dem Hotel. Gleich riss ein Mann die Tür auf, reichte ihr die Hand und begrüßte sie. Sie liefen hinten dem Mann her und betraten wenig später die Suite, die sie gebucht hatte. Man zeigte ihnen alles und dann waren sie allein. Aufatmend ließ sie sich auf den Sessel fallen.

„Da unten sieht man einen Pool“, jubilierte Pia.

„Ja, ich weiß. Ich habe wie immer nur das Beste für uns herausgesucht, auch wenn mich das ein kleines Vermögen kostet. Ihr könnt gern schwimmen gehen. Ich bleibe hier, möchte mich akklimatisieren.“

„Alles in Ordnung, Mama?“

„Sicher. Es ist zwar sehr einfach, fast primitiv, aber wahrscheinlich gibt es nichts Besseres. Es ist komisch, dass ich jetzt in so einem Land bin, obwohl der Tod ist. Na ja, ist ja unwichtig, Hauptsache wir kriegen …“ Sie unterbrach sich, als sie bemerkte, wie Arne das Gesicht angewidert verzog.

„Jamhuri ya Muungano wa Tansania. Uhuru na Umoja“, murmelte er vor sich hin, während er seinen Blick über die Stadt gleiten ließ.

„Was heißt das?“

„Das ist in Swahili der Name für Tansania und ihr Slogan, für Freiheit und Einheit. Ich habe mich gerade gefragt, ob er hier die ersehnte Freiheit gefunden hat.“ Man hörte ihm an, wie traurig er war.

„Jedenfalls ist es hier warm und regnet nicht“, Pia burschikos. „Los gehen wir schwimmen. Bis nachher.“

„Viel Spaß. Nehmt nichts weiter mit, da sie euch sonst alles klauen.“

Maja setzte sich mit einem Ächzen auf den Balkon und atmete die fremdartige Luft tief ein. Was für ein anstrengender Tag. Sie guckte die Umgebung an, sah Bäume, Sträucher, in der Ferne einige Berge.

Was würde sie bei diesem Anwalt und in seiner Lodge erwarten? Wie hatte er hier gelebt? Hatte er womöglich eine Frau, Freundin, weitere Kinder? Wieso hatte er ihr diese Lodge vererbt? So viele Fragen, die sie seit Tagen beschäftigten. Es war für sie noch so unwirklich, dass er nicht mehr lebte. Er war doch nur ein Jahr älter als sie. Was war passiert, dass man nur sein Skelett gefunden hatte? Irgendwie hatte sie das Schreiben dieses Anwalts nicht richtig verstanden, aber morgen würde sie mehr erfahren, auch wie viel diese Lodge wert war. Die würde sie Schnellsten verkaufen, daneben hatte Heiko seinerzeit eine Lebensversicherung gehabt und auch das musste sie mit dem Anwalt klären. Sie war ja auch da als Erbnehmer eingetragen.

Sie musste das nur noch Arne schonend beibringen. Der war fest davon überzeugt, dass sie diese Lodge behielt. Er war genauso ein dusseliger Träumer wie sein Vater. Egal, sie war reich und veranstaltete er weiter Zirkus, ging der leer aus. Sie war die Erbin und die Kinder hatten sich zu fügen. Das Studium musste er abbrechen, damit er sich um den großen Garten kümmern konnte. Pia musste sich um das Innere kümmern. Endlich nie mehr putzen. Sie konnte und würde ihr Leben nur noch genießen, sich verwöhnen lassen.

Sie rief an der Rezeption an, damit man sie mit diesem Anwalt verband. Es dauerte ewig, bis der blöde Schwarze sie verstand. Dass das Personal nicht einmal englisch konnte, schüttelte sie den Kopf. Deutsch verstand generell keiner. Das Telefonat mit dem Anwalt verlief ebenso problematisch und genervt legte sie auf. Sie hatte nichts von diesem Kauderwelsch verstanden, nur dass sie um zehn Uhr zu ihm in die Kanzlei kommen sollte. Nicht einmal abholen konnte der Mann sie und das, obwohl sie Millionen geerbt hatte. Unfreundlich! Aber wahrscheinlich waren diese Menschen hier alle etwas blöd. Logisch! Wer würde sonst in Afrika leben?

*

Sie ließ sich von einem Taxi zu der Adresse des Rechtsanwalts fahren, der sie hereinbat. Sie war erstaunt, da sie eigentlich einen Weißen, eben einen richtigen Anwalt, erwartet hatte.

„Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Miss Steinert.“

„Mister Sansikari“, nickte sie ihm hoheitsvoll zu, ging an ihm vorbei in ein Büro, sah sich dort um.

„Möchten Sie Kaffee, Tee oder lieber etwas Kühles? Es wird einen Moment dauern.“

„Nehme ich Kaffee, schwarz.“

Sie nahmen auf Rattanmöbel Platz.

„Mister Sansikari, ich habe zunächst eine Frage. Wie ist Heiko umgekommen? Man hat dort nur ein Skelett gefunden, wie ich nachgelesen habe. Wieso sind Sie oder die Behörden sicher, dass er es ist? Wieso konnte die Todesursache nicht festgestellt werden?“, radebrechte sie die eingeübten englischen Sätze.

„Wie ich höre, habe Sie recherchiert. Miss Steinert, bevor ich mehr dazu sage, benötige ich von Ihnen ein Versprechen, das Sie niemanden, wirklich keiner Person von diesem Gespräch berichten. Nicht einmal zu Ihren Kindern, Ihren Eltern, Geschwistern ein Wort. Warum ich dieses Versprechen benötige, werden Sie später verstehen. Es hängt davon das Leben von einigen Menschen ab, daneben das Überleben und der Erhalt der Esiankiki-Lodge.“

„Ich verstehe nicht? War er in etwas Illegales verwickelt? Hat der mein Vermögen etwa geklaut? Will man mir das nun entwenden? Diese Lodge wird sowieso verkauft. Wie viel bekomme ich dafür?“, fragte sie in einem Gemisch aus Deutsch und Englisch.

Der Mann verzog irgendwie komisch das Gesicht. „Erst Ihr Wort. Ich habe das nicht gesagt, um Sie zu erschrecken, zu ängstigen.“

Eine Frau stellte Kaffee und Geschirr ab, während sie überlegte, was das alles bedeutete. Hatte sie den Kerl falsch verstanden? Der redete so undeutlich, konnte kein normales Englisch.

Tom Sansikari wartete auf ihre Antwort.

Sie sagte nur ja, da sie nicht genau verstand, was der Mann von ihr wollte.

„Ich kenne Heiko seit vierzehn Jahren. Er kam aus Amerika und war bereits seit einigen Monaten im Land. Er wollte das Gebiet der heutigen Esiankiki-Lodge kaufen. Ich sollte und habe das für ihn abgewickelt. Wir haben uns vom ersten Augenblick an sehr gut verstanden und daraus wurde Freundschaft. Er baute die Lodge auf und wurde damit sehr erfolgreich. Er sagte bisweilen, es ist philiströs das Fleckchen Erde, welches ich immer gesucht habe. Es gibt nichts Schöneres für mich, als mit der Natur, der Tierwelt Geld zu verdienen. Er ist bei den Einheimischen, den dort nahe gelegenen Dörfern sehr beliebt, obwohl er ein mzungu ist. Seine Mitarbeiter würden für ihn durchs Feuer gehen, deswegen möchte er, dass die Esiankiki-Lodge weiter Bestand hat.“

Er trank einige Schluck Kaffee.

„Sie reden von ihm, als wenn der leben würde? Was soll das heißen? Will man mir das Geld etwa vorenthalten?“ Obwohl sie nicht alles verstanden hatte, das war ihr aufgefallen.

Der Mann sah sie mit seinen schwarzen Kulleraugen eine Weile an, strich kurz über seine schwarzen Haare. Wieso waren die eigentlich nicht kraus? Alle Schwarzen hatte da so eine verfilzte Wolle auf dem Kopf, selbst Regina, dieser blöde Mischling.

„Hören Sie die Geschichte bitte erst zu Ende an. Vor einiger Zeit war er mit Kunden unterwegs. Auf der Rückfahrt von Arusha zur Esiankiki-Lodge sind er und einer seiner Angestellten zufällig einigen Wilderern ins Gehege gekommen. Als diese das bemerkten, schoss man auf sie. Diese Leute benötigen keine Mitwisser. Davor hatte der Beifahrer mit mir telefoniert, davon berichtet und ließ mir einige Fotos zukommen. Sein Mitarbeiter war sofort tot, er schwer verletzt. Er fuhr einige Kilometer weiter, brach dann zusammen. Als er sich nicht mehr meldete, habe ich einige Leute mobilisiert, damit sie Heiko suchen. Sie fanden Reste des toten Mitarbeiters in dem ausgebrannten Jeep. Etwas weiter entfernt – Heiko. Er war sehr schwer verletzt. Sie brachten ihn in eines der Dörfer. Er wurde operiert. Tage später erzählte er mir, was geschehen war. Ich fuhr daraufhin zur Esiankiki-Lodge und stellte fest, dass die Wilderer ihn bereits dort gesucht hatten. Zurück in Arusha verbreitete ich das Gerücht, dass er tot sei. Nur diese Männer glaubten das nicht, stellten weitere Erkundigungen an. Das alles zog sich über Wochen hin. Heiko wurde gesund, aber er kann nicht so ohne Weiteres zurück. Sein Leben ist immer noch in Gefahr. Als Mitarbeiter der Wildschutzbehörde ein Skelett fanden, hieß es sofort, das sind die Überreste von ihm. Wir dachten, nun wäre die Angelegenheit erledigt. Nur vor zwei Wochen war ein Mann bei mir, gab sich als Freund von Heiko aus und fragte nach ihm. Da ich die Bilder kenne, wusste ich sofort, wer er war. Ich erzählte ihm, dass er verstorben sei. Er wollte weiter wissen, wer nun die Lodge erhalten würde. Es wäre merkwürdig, da noch keine Erben anwesend wären. So sind wir auf Sie gekommen.“

„Der lebt? Ich kriege nichts? Ich bin umsonst hierhergereist, habe dafür Geld ausgegeben?“, fragte sie fassungslos. Tränen der Niedergeschlagenheit, folgend der Wut, traten ihr in die Augen. „Nichts? Kein Geld? Warum ist der Kerl nicht tot? Ich habe ein Auto bestellt, wollte eine Villa …“, redete sie wie mit sich selbst in Deutsch. „Das kann dieser blöde Kerl doch nicht machen? Keine neue Kleidung? Keinen Schmuck? Nichts? Einfach nichts kriege ich?“

Er sprach plötzlich Deutsch. „Den Flug und die Unterkunft haben Sie und Ihre Kinder bezahlt bekommen, dazu 500 Euro für Ihre Ausgaben. Ergo ist es falsch, was Sie äußern. Zeigte man die Mörder und Wilderer an, würde keiner sie verhaften. Ohne eindeutige Beweise – keine Verurteilung. Heiko würden sie sofort umbringen. Miss Steinert, bei diesen miesen Geschäften, geht es um sehr viel Geld und das lassen diese Banden sich nicht versauen. Ein Menschenleben ist da völlig bedeutungslos.“

„Na und? Bei mir geht es auch um viel Geld. Was geht mich dieser Kerl an? Ich soll nur die Erbin spielen?“ Sie schnappte nach Luft. „Was, wenn die sich an mir vergreifen?“, empörte sie sich. Die Enttäuschung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie hatte damit gerechnet, dass man das verkaufen könnte und das sie mit dem Geld, dazu der Auszahlung der Lebensversicherung ... Mist, das Geld bekam sie nun ebenfalls nicht.

„Warum sollten das jemand tun? Man möchte nur sicher wissen, ob er tot ist. Haben sie die Gewissheit, ist das Thema für sie abgehakt. Sie wollen nicht die Lodge, sie wollen keine weiteren Komplikationen, sondern ihren Geschäften nachgehen. Deswegen müssen wir denen Erben präsentieren. Niemand kommt auf den obskuren Gedanken, Sie zu ermorden. Sie können allerdings Nein sagen. Heiko möchte dort in Ruhe leben, sobald man die Männer dingfest gemacht hat. Nur bevor das geschieht, muss man sie in Sicherheit wiegen.“

„Ich habe keine Ahnung, wie man so eine komische Lodge führt.“

„Benötigen Sie nicht, da er ein Auge darauf hat. Sie sollen nichts tun, außer anwesend sein. Allerdings darf dort keiner von seinem Leben erfahren. Wissen Sie, wir sind ein armes Land und für einige Tausend Shilingy wird da eventuell einer zum Judas. Die Hotelbranche ist Ihnen nicht gänzlich unbekannt. Deswegen würde es nicht weiter auffallen, wenn Sie sein sogenanntes Erbe antreten. Dass Sie nur als Reinigungshilfskraft beschäftigt sind, weiß hier kein Mensch, da die Exfrau generell irrelevant war.“

„Eine Frechheit, da ich als Managerin arbeite. Ich weiß nicht, wie Sie sich das vorstellen, Mister Sansikari? Ich habe einen Job, zwei Kinder, die in der Ausbildung stecken, und kann nicht eben für einige Wochen oder Monate sagen, ich gehe nach Tansania.“

„Miss Steinert, Sie haben ja einige Tage Zeit, es sich zu überlegen. Es wären maximal zwei, drei Wochen, aber sehr wahrscheinlich weniger. Ihr Visum wäre dann generell abgelaufen, da dieses nur vier Wochen Gültigkeit besitzt.“

Sie grübelte, war zornig, enttäuscht, aber nun war sie hier und eventuell konnte sie …

„Ich möchte mir das dort ansehen. Heiko und ich haben früher davon geträumt, ein anderes Leben zu führen. Nur es ist mit Kindern nicht so einfach, alles kurzfristig hinter sich zu lassen, alle Brücken abzubrechen. Meine Kinder waren von der Lodge sofort begeistert, nur sie sehen sie so, wie es Urlauber sehen. Safaris, Spaß, Ferien. Dass sie ihr gesamtes Leben umstellen müssten, ist ihnen nicht wirklich klar. Hier können sie nicht eben einkaufen gehen, zu McDonalds, ihre Freunde treffen. Es würde Arbeit bedeuten und nicht nur acht Stunden, daneben Wärme, irgendwelche Viecher, Staub, keine Freunde, keine Discos, dafür nur mordende, faule und klauende Schwarze um uns …“ Sie brach ab, als sie seinen Blick bemerkte.

„Es geht nicht um Jahre, sondern um ein, zwei, maximal drei Wochen. Sie verstehen? Zwei, drei Wochen. Sie würden einfach Ihren Urlaub nach vorn verlegen, den im schönen Tansania verleben. Was hat das mit den Kindern zu tun? Sie sind inzwischen Erwachsene, alt genug, allein ihren Weg zu gehen. Arne wohnt bereits in einer eigenen Wohnung. Pia könnte das theoretisch ebenfalls. Heiko hat all die Jahre seine Kinder großzügig finanziell unterstützt und das würde er weiter tun, bis sie die Ausbildungen abgeschlossen haben. Es ändert sich nichts an Ihrem Leben, wenn Sie in Urlaub fahren. Nochmals, Frau Steinert, da Sie es anscheinend nicht richtig verstehen, es ist für maximal drei Wochen und danach kehren Sie nach Deutschland zurück und können von einem schönen Urlaub erzählen. Heiko wünscht gewiss keinen weiteren Kontakt zu Ihnen.“

„Ja, dank ihres Vaters haben sie beide ein kleines Vermögen, da ich nie Geld davon verwendet habe. Trotzdem wäre es für mich eine Umstellung. Ich würde Freunde, meine Familie, eventuell meine Kinder zurücklassen müssen. Ein völlig anderes Leben käme auf mich zu. Wenn man irgendwann die Wilderer hat, benötigte man mich nicht mehr. Ich stehe folgend ohne Wohnung, ohne Arbeit da.“

Er lächelte nun, dass seine weißen Zähne blitzten. „Warum so ein Abschied, weil man in Urlaub fährt? Noch einmal, es ist nur ein Urlaub von zwei, drei Wochen. Sie verreisen ansonsten auch, falls ein Herr sie einlädt, ohne dass deswegen die Welt untergeht, Sie keine Wohnung oder Arbeit mehr haben. Was soll das Gerede? Wollen oder können Sie es nicht begreifen?“, fragte er sie bereits ungehalten. „Urlaub, Holiday, Ferien, vacation. Sie verstehen es?“

Sie schaute ihn nur an, erwiderte nichts. Allein der Gedanke mit Heiko zu leben, brachte sie völlig durcheinander.

„Ich unterbreite Ihnen einen Vorschlag. Wir fahren morgen wie geplant zur Lodge. Dort schauen Sie sich einige Tage um und danach reden wir.“

„Einverstanden! Ich möchte ihn aber sehen, mit ihm reden.“

„Ich werde ihn fragen.“

„Entweder oder, sonst sage ich gleich Nein. Ich möchte wissen, ob er wirklich lebt, ob es ihm gut geht“, erklärte sie schnippisch. „Das begreifst du? Kann ja sein, der Kerl ist tot und du willst mich bescheißen.“ Sie würde sich doch nicht von einem Schwarzen dumm kommen lassen.

„Nicht in diesem Ton. Es heißt für Sie Doktor Sansikari. Ich habe im Gegensatz zu Ihnen studiert, nicht nur einen Hauptschulabschluss. Ich denke, wir lassen es. Sie fliegen morgen zurück“, konterte er barsch. „Heiko hatte recht. Sie dramatisieren alles, machen aus einem Urlaub einen Weltuntergang, wollen eine Lodge leiten, obwohl Sie nichts damit zu tun haben, generell nicht die Fähigkeiten dazu besitzen würden. Da reicht es nur zum Putzen, selbst das nur mittelmäßig. Deswegen verloren Sie mehrfach die Stellung. Sie begreifen mutmaßlich einige Tatsachen nicht oder hören nicht zu. Kürze ich das unproduktive Gefasel ab: Es gibt kein Geld für Sie. So direkt ausgedrückt begreifen Sie es. Das Wort Geld verstehen Sie immer sofort. Asante, für das Gespräch und kommen Sie gut nach Hause. Sie haben bis übermorgen Zeit das Land zu verlassen, da wir für alle anderen Kosten nicht aufkommen werden. Kwa heri.“ Er öffnete die Tür, wartete.

Nun blickte sie ihn entsetzt an, wollte ihm am liebsten die Augen auskratzen, diesem schwarzen Affen. „Entschuldigung, aber ich mache mir große Sorgen um meinen Mann.“

„Hören Sie mit dem Blödsinn auf. Er ist nicht Ihr Mann und das bereits seit 17 Jahren. Sorgen machen Sie sich, weil Sie Geld wittern und das haben wollen. Ersparen Sie mir das Gerede, da ich bestens über Sie informiert bin. Sie haben es eben selber gesagt, warum ist der Kerl nicht tot.“

Wütend blickte sie den Mann an. Eine Frechheit, was sich so ein primitiver Schwarzer herausnahm. „Ich schaue mir die Lodge an und Sie probieren, ob er mich treffen möchte“, lenkte sie rasch ein.

Er musterte sie eine Weile, schien zu überlegen. „Ich werde darüber nachdenken. Kwa heri. Falls Sie es schaffen, reden Sie bitte mit keinem über Heiko. Asante.“

„Ich habe es versprochen.“ Sie erhob sich und fuhr nachdenklich zum Hotel zurück, wo sie gleich von den Kindern ausgefragt wurde.

„Wir fahren morgen zu dieser Lodge und danach sehen wir weiter“, log sie. „Sein Rechtsanwalt holt uns ab. Wir müssen ungefähr 30 Kilometer bis zum Rand des Nongoro zurücklegen.“

„Heißt das nicht Ngorongorokrater?“

„Ngorongoro Conservation Area lautet die offizielle Bezeichnung. Die Lodge liegt am Rande des Kratergebietes am Lake Eyasi“, Arne nun. „Das müssen wesentlich mehr Kilometer sein. Maja, du hast da etwas falsch verstanden.“

„Habt ihr Lust euch die Stadt anzusehen? Ich wollte mir noch einen Hut kaufen“, lenkte sie rasch ab.

Sie verließen das Hotel und überall sahen sie Touristen herumlaufen, wie sie stehenblieben, fotografierten.

„Das ist der Clock-Tower und wohl sehr berühmt.“

„Ich dachte, in Afrika ist es nicht so grün, so schön. Irgendwie habe ich mir alles nur sandig und trocken vorgestellt. Sie haben sogar richtig schöne Häuser.“

„Pia, es wurde alles von uns Deutschen gebaut, da der Staat eigentlich uns gehört. Die haben damals nur einen Teil der Schwarzen abgeknallt, das war ein Fehler. Die anderen sind nämlich auf die Barrikaden gegangen und haben uns aus dem Land gejagt. Die haben sich dann ins gemachte Nest gesetzt.“

„Maja, du verdrehst die Geschichte. Wir sind hier auf 1400 Meter Höhe, und da ist es nicht so trocken, vermute ich. Ich finde das Klima sehr angenehm. Es sieht alles sehr gepflegt aus, fast wie die Parks bei uns“, erklärte Arne. „Weißt du Maja, es ist komisch, wenn ich mir vorstelle, dass er hier in der Nähe gelebt hat. Er ist hier entlang gelaufen, so wie wir jetzt. Ich frage mich, wie er das wohl gesehen hat?“

„Es wird ihm gefallen haben, sonst hätte er nicht in diesem Land gelebt“, antwortete Pia. Sie wirkte irgendwie traurig. Die schnoddrige Art war verschwunden, wie Maja irritiert bemerkte.

„Er wollte immer außerhalb einer Stadt wohnen, mehr Natur um sich haben. Weißt du noch, als wir damals in Dänemark waren? Er sagte, stellt euch vor, man steht morgens auf und sieht so wie hier Schafe, grüne Wiesen und dahinter die Nordsee. Da kann der Tag nur Gutes bringen.“

„Ja, er hat immer die Natur sehr geliebt. Hier hatte er sie gefunden. Viel unberührte Natur.“

Sie liefen schweigend an einer kleinen Grünanlage vorbei.

„Schaut mal, wie klar die Luft ist. Dort sieht man den Mount Meru. Er ist 4.565 Meter hoch und ein erloschener Vulkan. Da war Dad bestimmt oben. Schade, hätte ich gern mit ihm unternommen oder den Kilimanjaro bestiegen.“

Sie schaute ärgerlich ihren Sohn an und sie war fast geneigt, ihm die Wahrheit zu erzählen. In was für eine Situation brachte Heiko sie? Nun musste sie schon die Kinder belügen. Etwas, was sie noch nie getan hatte. Zorn keimte in ihr hoch.

„Was würdest du sagen, wenn ich die Lodge übernehmen würde und hier leben möchte?“

„Wäre toll. Sie müssen ihn dort gut gekannt haben und können uns gewiss eine Menge von ihm erzählen.“

„Mama, das meinst du nicht wirklich?“

„Pia, ich spiele mit dem Gedanken. Weißt du, euer Vater und ich haben immer davon geträumt, viele ferne Länder zu bereisen, die Welt kennenzulernen, um dort zu leben, wo es uns gut gefällt. Eventuell gefällt es mir dort so sehr wie eurem Vater.“

„Mama, was willst du in der Wildnis? Du bist keine zwanzig mehr.“

„Danke für das Kompliment. Ich weiß, wie alt ich bin. Eben 39. Das ist für mich jedoch kein Grund, dass ich nun Rentnerin spielen muss. Dort kann ich ebenfalls arbeiten, Geld verdienen. Diese Lodge hat euer Vater aufgebaut, soll ich die nun einfach weggeben? Eventuell möchte einer von euch sie in einigen Jahren übernehmen, weil es ihm hier gefällt.“

„Da wohnen lauter Schwarze und du als weiße Frau?“

„Pia, wir leben doch nicht mehr in der Steinzeit. Du laberst nur Mist daher. Ich könnte mir schon vorstellen dort zu leben, wenn es da so aussieht, wie auf den Bildern. Ich führe die Gäste herum, unternehme mit ihnen solche Touren, zeige ihnen die Viecher und so. Dad schaffte es allein, warum also wir nicht? Maja, du bist übrigens 46. Schummel och nicht ständig.“

„Vielleicht war er verheiratet oder hatte eine Freundin, die ihm geholfen hat. Die kann sogar dort wohnen.“

„Das hätte mir der Anwalt gesagt, wenn sie dort wohnte. Außerdem würde sie dort nicht mehr wohnen, weil jetzt alles mir gehört und ich so eine Schlampe sofort wegjage.“

Arne schüttelte den Kopf. Dieses Gerede von seiner Mutter und Pia war primitiv. „Du denkst doch wohl nicht wirklich, dass mein Vater all die Jahre ohne eine Frau gelebt hat? Einfach Schwachsinn, und wenn er eine Freundin hatte, die dort lebt, dann kann man das normal regeln. Manchmal redest du, als wenn du irgendwo im Ghetto aufgewachsen wärst.“

„Heiko hat nur mich geliebt, und wenn es dort so eine ... eh Frau gibt, dann war sie nur für Sex, und wie man solche Weiber nennt, müsstest auch du wissen“, blaffte sie wütend zurück.

„Die jagen wir gleich von unserer Anlage. Sie hat dort nichts zu suchen“, stimmte Pia zu.

„Wir werden die Lodge sowieso sofort umbenennen. Sie wird natürlich nach mir benannt werden. Die schöne und exquisite Maja-Lodge. Arne muss das sofort im Internet ändern.“

„Ihr beide seid widerlich. Kein Wunder, das bei euch kein Mann länger als eine Woche geblieben ist.“

„Schaut mal, da vorn gibt es Hüte. Gehen wir stöbern“, lenkte sie ab, fragte sich: Hauste da tatsächlich so ein Weib? Blödsinn, dann hätte Heiko die als Erbin genommen. Nein, er wollte sie zurück, weil er sie immer geliebt hatte.

Die Frauen kauften breitkrempige Hüte, danach erkundeten sie weiter die Stadt, mieden das Thema Heiko und die Lodge.

*

Sie fuhren auf einer gut ausgebauten Straße aus der Stadt heraus.

„Inzwischen haben sie die Asphaltstraßen in der einen Richtung bis Nairobi und bis zum Ngorongoro Conservation Area fertiggestellt. Vorher waren hier nur staubige holprige Wege. Gerade in der Regenzeit, wir nennen sie masika, kaum passierbar“, erläuterte Tom Sansikari. „Hier ist das Terrain des Arusha Nationalparks“, heute sprach er Englisch. Maja fluchte. Warum konnte er nicht Deutsch mit ihnen reden? Aber wenigstens verstand das Arne und so viel es nicht auf, dass sie sich vieles zusammenreimen musste.

„Der Wald sieht wie bei uns aus“, stellte Arne in fast perfektem Englisch fest.

„In dem Bergwald findet man Diademmeerkatzen. Schrecklich neugierige Viecher und frech. Daneben gibt es Turakos, Trogons und natürlich die schwarz-weißen Colobusaffen. Sie sehen wunderschön aus. Auf der Lodge eures Vaters leben drei. Sie sind sehr zutraulich, da er sie großgezogen hat.“

„Gibt es dort noch mehr Tiere?“

„Momentan sind da zwei Zebras, einige Antilopenarten und natürlich Tira, eine Leopardin. Er fand sie als Baby. Sie war fast verhungert und keiner hatte eigentlich damit gerechnet, dass sie den chui durchbringen. Jetzt lebt sie seit fünf Jahren bei ihnen. Sie verschwindet hin und wieder, kommt allerdings nach einigen Tagen zurück. Sie ist besser als jede Alarmanlage. Sie lebt in seiner Banda, passt auf, dass da keiner hingeht, wenn er nicht da ist.“

„Waren Sie oft bei ihm, Doktor Sansikari?“, erkundigte sich Arne.

„Fast jedes Wochenende sind wir dort, falls er nicht unterwegs ist. Ich habe zwei Söhne, und sie lieben die Tiere, meine Frau mehr den Pool und ich die Gespräche mit Heiko.“

„Kennen Sie ihn schon länger, Doktor Sansikari?“

„Sage einfach Tom. Wir sind hier nicht so förmlich. Einige Monate, nachdem er ins Land kam. 13 Jahre und 8 Monate. Er wollte damals Land kaufen und ich habe das Vertragliche geregelt. Es wurde sehr schnell Freundschaft daraus, da wir in vielem die gleichen Ansichten haben. Mitten in diesem Wald erhebt sich der spektakuläre Ngurdoto-Krater, dessen steile, felsige Wände von einem Sumpfgebiet umschlossen sind. Dort leben Büffel und Warzenschweine. Das Kratergebiet liegt von uns aus gesehen zwischen Meru und Kilimanjaro. Der große Berg da vorn ist der Mount Meru. Im Park selbst findet man Flusspferde, Büffel, Stachelschweine, Hyänen, Schakale und wie man sieht Giraffen. Dort hinten das sind Buschböcke. Vereinzelt sieht man sogar Elefanten.“

„Ist das toll. Richtige Giraffen“, jubelte Pia und deutet zum Fenster hinaus.

„Hier heißen sie twiga. Elefanten nennen sie tembo.“

Riesige Baobabs und zahlreichen Akazienbäumen waren auf der weiten Savanne zu erkennen. Dazwischen Gräser, die hochgewachsen waren, neben flachem, grünem Gras.

„Hinter uns sieht man jetzt das Kilimanjaro-Massiv. Dessen höchste Stelle, der Uhuru Peak, liegt auf dem Berg Kibo und ist 5 895 Meter hoch. Euer Vater und ich waren einige Male oben. Einfacher ist der Meru zu besteigen. Wenn man den Meru erklimmt, wandert man zuerst durch bewaldete Savanne. Es folgen Wälder voller Fackellilien und hängendem Tillandsia, besser bekannt als Spanisches Moos. Angrenzend eine Heidelandschaft, wo man unzählige Riesenlobelien vorfindet. Dort oben tummeln sich die Klippspringer. Es geht folgend bergauf, vorbei an Felsformationen und schließlich steht man auf dem zerklüfteten Gipfel des Meru und man sieht sich dem Kilimanjaro gegenüber. Da das meistens abends ist, sieht er besonders imposant aus. Die weiße Kuppe ist in das rötliche Licht der untergehenden Sonne getaucht. Wenn man das einmal erlebt hat, vergisst man es nie wieder. In der Lodge von Heiko werdet ihr davon zwei Fotos sehen. Er ließ die Bilder damals vergrößern. Weiter nördlich findet man die schönen Lake Momela. Bisweilen stehen dort Tausende von Flamingos im flachen Wasser, neben zig anderen Wasservögeln.“

„Gibt’s hier Löwen?“, fragte Pia.

„Ah-ah, eh … nein, nur Leoparden. Die bekommt man jedoch sehr selten zu Gesicht und wenn nur am späten Abend. Sie jagen überwiegend nachts und dösen am Tag meistens in den Bäumen.“

„Was unternahm Dad mit den Touristen?“, wollte Arne wissen.

„Wanderungen zur Wildbeobachtung, zuweilen nachts. Exkursionen über die Büffelwiese zu den Tululisia-Wasserfällen, Pirschfahrt zum Ngurdoto-Krater, obwohl er das seltener ausführt, weil ihm das zu langweilig ist. Er liebt mehr Kanufahrten auf dem Little Momela Lake, die Aufstiege zum Meru oder Kibo. Das richtete sich unter anderem nach den Urlaubern. Sind zum Beispiel Frauen dabei, gibt er das an Kidogo oder Peter weiter. Der eine ist ein Maasai, der andere ein Chagga.“

„Warum mochte er keine Frauen dabei haben?“

„Weil sie nerven, seine Meinung. Weißt du Arne, euer Dad sieht sehr gut aus und Urlauberinnen haben ihn schon öfter angebaggert, wollten ein Urlaubsabenteuer. Das bringt nur Ärger, sagte er. Generell kann er nicht permanent unterwegs sein, da er zudem dort einiges zu erledigen hat. Schaut, diese kleinen braunen Hüpfer sind Dikdik. Sie haben ein sehr zartes Fleisch und schmecken ähnlich dem Impala.“

„Es werde solche süßen Tiere gegessen?“ Pia nun entsetzt.

„Memsaab, was dachtest du? Isst du zu Hause kein Fleisch?“

„Doch Schwein, Rind und so. Sagen Sie ruhig Pia. Ich darf dann Tom sagen?“

„Gern“, lächelte er, schaute dabei in den Rückspiegel. „Hier essen wir Wild, Geflügel, Rind, Ziege und je nach Gebiet Fisch. Die Einheimischen essen generell wenig Fleisch, weil sie sich das nicht leisten können.“

Er schwieg und trank, forderte auch die anderen dazu auf. Maja ignorierte das. Als wenn sie sich von einem Schwarzen etwas sagen lassen würde.

„Links fährt man Richtung Tarangire Nationalpark. Dort gibt es einige Elefanten, allerdings nur in kleinen Verbänden. Der See vor uns ist der Lake Manyara. So heißt auch das Schutzgebiet. Wir werden hier kurz halten und uns ein wenig die Füße vertreten. Ich muss Obst mit zur Lodge nehmen. Der Ort heißt Mto wa Mbu, übersetzt Fluss der Moskitos.“

„Warum halten wir?“, fragte Maja verblüfft, als er einparkte.

„Hat Tom gesagt. Hörst du nicht zu?“, Arne unwirsch.

„Entschuldigung, ich habe vor mich hingeträumt, nicht zugehört“, redete sie sich heraus, hörte diesen Schwarzen leise lachen.

Sie schlenderten an den zahlreichen Obstständen vorbei, bis er stehenblieb. Er schob seine Sonnenbrille auf die Haare und begrüßte eine alte, dicke Frau. Sie stand dabei, schaute auf das Obst, während Tom vermutlich in Swahili mit ihr redet. Es sah alles so dreckig, vergammelt, ekelhaft aus, stellte Maja fest. Den Abfall setzten die den Gästen vor? Sie musste unbedingt sofort Lebensmittel aus Deutschland bestellen. Zwei Fliegen umflogen sie, und hastig ging sie einige Schritte zurück, prallte gegen einen Mann. „Blöder Nigger“, sprach sie ihn an. Der lächelte, bummelte weiter.

„Arne, würdest du mir bitte tragen helfen?“

„Logo!“

Tom drückte der Frau ein Bündel Geldscheine in die Hand, welches die Alte achtlos einsteckte, nicht nachzählte. Er reichte Pia einen Korb mit Obst, deutete auf drei Kisten und ergriff selber den anderen Stapel.

„Das reicht für einige Tage.“

Tom stellte den Stapel ab, öffnete die Autotür.

„Mama, kannst du nicht helfen, wenigstens die Tür öffnen?“, blaffte Pia sie an, Arne grinste noch dazu.

„Woher soll ich wissen, dass man hier was kauft? Das sieht alles so widerlich aus. Fressen das dort irgendwelche Viecher?“

„Wazimu“, murmelte Tom, während Pia feststellte: „So wie bei uns auf dem Markt. Mama, du spinnst. Riech mal, echt lecker!“

„Kennt ihr diese roten Bananen?“, lenkte Tom ab, bevor es Streit gab.

Als alle den Kopf schüttelten, holte er einige heraus und reichte jedem eine. Maja lehnte das ab.

„Die essen die Einheimischen zuhauf, weil sie billig sind. Probiert einmal.“

„Nein, ihr esst diesen vergammelten Dreck nicht!“, keifte sie. „Morgen liegt ihr alle krank in einer Hütte. Ärzte gibt es hier nicht.“ Sie wollte die Pia wegnehmen, aber die schlug ihr leicht auf die Finger. „Mama, du drehst durch.“

„Hhmmm, schmeckt gut“, stellte Pia fest und Arne nickte nur.

„Fahren wir weiter. Jetzt sind es nur noch ungefähr 50 Kilometer bis zur Lodge“, setzte er die Sonnenbrille wieder auf. Sie fluchte, da sie ihre vergessen hatte. Der blöde Schwarze gab nur damit an und man brauchte eigentlich keine. Nicht einmal die Tür konnte der Neger ihr aufhalten.

„Sind dort viele Leute?“, erkundigte sich Arne.