Unfrieden im Elternhaus - Anne Alexander - E-Book

Unfrieden im Elternhaus E-Book

Anne Alexander

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Beschreibung

Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. »Warum kann ich nicht mit zum Flughafen fahren?« maulte die fünf-jährige Heidi Holsten, das jüngste der Dauerkinder in Sophienlust. »Immer werden alle mitgenommen, nur ich muß andauernd zu Hause bleiben.« Mißmutig schob sie die Unterlippe vor. »Das ist ungerecht!« »Und wer hat mich neulich nach Baden-Baden begleitet?« fragte Denise von Schoenecker. Mit gespielter Strenge sah sie den kleinen Trotzkopf an. »Heute sind nun Angelika und Vicky an der Reihe.« »Angelika und Vicky fahren ja schon jeden Tag in die Schule«, argumentierte Heidi. »Sie brauchen nicht zum Flughafen mitkommen.« »Pfui, wie kann man nur so ein Egoist sein, Heidi!« rief Fabian Schöller aus. »In die Schule zu fahren ist doch etwas anderes als nach Echterdingen.« »Was ist ein Egoist?« fragte das kleine Mädchen. »Ein Mensch, der immer nur an sich selbst denkt«, erklärte die zwölf-jährige Angelika Langenbach bereitwillig. »Dann bin ich das nicht!«

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Sophienlust – 450 –

Unfrieden im Elternhaus

Unveröffentlichter Roman

Anne Alexander

»Warum kann ich nicht mit zum Flughafen fahren?« maulte die fünf-jährige Heidi Holsten, das jüngste der Dauerkinder in Sophienlust. »Immer werden alle mitgenommen, nur ich muß andauernd zu Hause bleiben.« Mißmutig schob sie die Unterlippe vor. »Das ist ungerecht!«

»Und wer hat mich neulich nach Baden-Baden begleitet?« fragte Denise von Schoenecker. Mit gespielter Strenge sah sie den kleinen Trotzkopf an. »Heute sind nun Angelika und Vicky an der Reihe.«

»Angelika und Vicky fahren ja schon jeden Tag in die Schule«, argumentierte Heidi. »Sie brauchen nicht zum Flughafen mitkommen.«

»Pfui, wie kann man nur so ein Egoist sein, Heidi!« rief Fabian Schöller aus. »In die Schule zu fahren ist doch etwas anderes als nach Echterdingen.«

»Was ist ein Egoist?« fragte das kleine Mädchen.

»Ein Mensch, der immer nur an sich selbst denkt«, erklärte die zwölf-jährige Angelika Langenbach bereitwillig.

»Dann bin ich das nicht!« entschied Heidi. »Ich denke auch an Schneeweißchen und Rosenrot. Die habe ich nämlich sehr lieb.« Sie schmiegte sich an Denise. »Und wenn ich mich ganz dünn mache, Tante Isi? Angelika und Vicky würden gar nicht merken, daß ich zwischen ihnen sitze.«

Es fiel Denise von Schoenecker schwer, ernst zu bleiben. Sie hätte die Bitte des kleinen Mädchens so gern erfüllt, aber es war unmöglich. »Irmela hat auch noch Gepäck, das untergebracht werden muß. Außerdem braucht auch Henrik einen Platz«, sagte sie. »Und du weißt, daß ich ihm ganz fest versprochen habe, ihn mitzunehmen, wenn wir Irmela vom Flughafen abholen.«

Schwester Regine kam mit einem Karteikasten aus dem Büro. Sie wußte, worum es ging. Heidi hatte sie schon den ganzen Vormittag mit dem Flughafen gequält. »Warum pflückst du für Irmela nicht einen Blumenstrauß?« sprang sie Denise von Schoenecker bei. »Darüber würde sie sich bestimmt riesig freuen.«

Heidi nagte an ihrer Unterlippe. Sie seufzte hörbar auf. »Gut, pflücke ich eben Blumen«, erklärte sie. »Ich will gar nicht mit zum Flughafen. Aber wenn ich groß bin, dann fliege ich auch nach Indien.« Sie sah Fabian an. »Aber du darfst mich niemals abholen!«

»Okay!« Der Elfjährige schlug dem kleinen Mädchen leicht auf die Schulter.

Heidi schüttelte die Hand des Jungen ab und rannte aus der Halle. Erst als sie bereits auf der Freitreppe war, fiel ihr ein, daß sie sich gar nicht von Denise von Schoenecker verabschiedet hatte. Sie lief zurück, schlang ihre Arme um Denise Beine und schaute zu ihr empor. »Bist du mir böse, Tante Isi?« fragte sie mit einem schelmischen Lächeln.

»Aber nein, Heidi, ganz gewiß nicht«, erwiderte Denise gerührt. Sie beugte sich zu dem blonden Mädchen hinab und küßte es auf die Stirn.

»Ich habe dich ganz schrecklich lieb, Tante Isi«, bekannte Heidi. Mit sich und der Welt zufrieden, hüpfte sie danach durch die Halle nach draußen.

Denise von Schoenecker blickte auf ihre Armbanduhr. »Es wird Zeit«, meinte sie zu Schwester Regine. »Wo steckt eigentlich mein Sohn? Er wollte doch nur eben mal auf die Toilette gehen.«

»Bin schon da!« Henrik von Schoenecker, ein neunjähriger Junge mit braunem Wuschelkopf und grauen Augen, rutschte das Treppengeländer herab. Kurz vor der letzten Stufe streckte er die Arme in die Luft und sprang gekonnt vom Geländer herab.

»Henrik!« rief Denise erbost. Sie hatte ihm schon unzählige Male verboten, das Geländer hinabzurutschen.

Henrik senkte schuldbewußt den Kopf. »Es kam so über mich, Mutti«, gestand er.

»Paß auf, daß es nicht über mich kommt, dich zu Hause zu lassen«, erwiderte Denise. Sie ergriff ihn am Schlafittchen und schob ihn in Richtung Portal. »Angelika, Vicky!«

»Schon bereit!« rief Angelika Langenbach. Mit ihrer Schwester an der Hand rannte sie an Denise und Henrik vorbei. »Wiedersehen!« Die beiden Mädchen stürmten die Freitreppe hinab.

»Rasselbande!« Schwester Regine lachte. Sie nahm den Karteikasten unter den anderen Arm. »Gute Fahrt, Frau von Schoenecker! Ich freue mich richtig darauf, Irmela wieder bei uns zu haben«, bekannte sie.

»Wir freuen uns auch«, sagte Fabian. »Tschüs, Tante Isi!« Er stieg die Treppe zum ersten Stock empor, um Pünktchen Gesellschaft zu leisten, die gerade dabei war, Irmelas Bett frisch zu beziehen.

»Mutti, ich denke, wir haben es eilig!« quengelte Henrik.

»Ich komme ja schon«, sagte Denise. Sie fuhr ihrem Jüngsten durch die Haare. »Auf Wiedersehen, Schwester Regine!« Gezogen von Henrik, verließ sie das Haus.

*

Susanne Gerber schaute aus dem Fenster des Flugzeugs auf die langgestreckten Gebäude hinab die größer und größer wurden. Während des ganzen Fluges hatte sie kein bißchen Angst gehabt. Es machte ihr Spaß, neben ihrer Mama am Fenster zu sitzen und von den Stewardessen verwöhnt zu werden.

Jetzt drehte sie sich um, beugte sich über den Schoß ihrer Mutter und wandte sich an ihren Vater: »Padre, a qué hora…«

»Susi, hast du vergessen, daß wir Deutsch miteinander reden wollen?« fiel Rainer Gerber seiner viereinhalbjährigen Tochter ins Wort.

Die Kleine schüttelte so entschieden den Kopf, daß ihre kurzen dunkelblonden Haare nach allen Seiten flogen. »Wann sind wir wieder auf dem Boden, Papa?« wiederholte sie ihre Frage.

»In ein paar Minuten«, antwortete Rainer Gerber. Er wandte sich an seine bildhübsche Frau: »Glaube mir, Marcella, es wird dir in Deutschland gefallen. Karin und ich werden alles tun, damit du dich so schnell wie möglich bei uns heimisch fühlst.«

»Trotzdem habe ich Angst«, gestand Marcella. Sie strich sich nervös durch ihre dichten schwarzen Haare. Sie wollte ihren Mann nicht kränken. Deshalb sagte sie ihm nicht, daß sie sich vor allem vor seiner Stiefschwester Karin fürchtete. Er hatte ihr ab und zu einen Brief von Karin vorgelesen. Auch wenn die Schwägerin in den letzten Monaten nie mehr ein Wort gegen sie geschrieben hatte, den Briefen hatte die Herzlichkeit gefehlt, die Marcella von ihrer Familie gewohnt war.

»Bumm!« machte Susanne begeistert, als das Flugzeug auf der Rollbahn aufsetzte. Sie klatschte in die Händchen. »Ahora«, begann sie, verbesserte sich aber sofort und sagte: »Jetzt sind wir da!« Sie sah ihre Mutter mit strahlenden Augen an. »So weit ist Juanita noch nicht gereist. Wir waren Stunden und Stunden unterwegs. Sie wird bestimmt neidisch sein, wenn ich es ihr erzähle.«

»Vorläufig kannst du es ihr nicht erzählen, Susita«, erwiderte Marcella Gerber bedauernd. »Bis wir wieder nach Spanien kommen, wird eine Menge Zeit vergehen.«

»Wie lange?« fragte das kleine Mädchen. Es schaute wieder aus dem Fenster. »Das Flugzeug rollt noch immer«, stellte es fest. »Wohin fährt es, Papa?«

»Nur noch ein Stückchen die Rollbahn entlang«, erwiderte Rainer Gerber. »Siehst du, jetzt steht es still!« Er öffnete seinen Gurt und stand schon auf, während Marcella noch mit ihrem eigenen Gurt beschäftigt war. Schwungvoll nahm er das Bordcase aus dem Gepäckfach über den Sitzen.

Susanne drängte sich an ihrer Mutter vorbei in den Gang. »Kommt!« rief sie. »Alle steigen schon aus. Kommt!«

Rainer nahm seine Tochter auf den Arm. Wenige Minuten später verließen sie das Flugzeug. Susanne winkte vom Arm ihres Vaters, als er die Treppe zur Rollbahn hinabstieg. »Hasta la vista!« rief sie der Stewardeß zu, die die Fluggäste verabschiedete.

»Auf Wiedersehen, kleine Senorita«, antwortete die junge Frau.

Der Bus brachte die eben Angekommenen zum Flughafengebäude. Marcella hielt sich dicht an Rainer. Obwohl es ein heißer Sommertag war, fror sie. Die Angst vor der Zukunft schlug wie eine riesige Welle über ihr zusammen. In den fünf Jahren, die sie nun schon mit Rainer verheiratet war, hatte sie zwar Deutsch gelernt, doch sie dachte immer noch auf spanisch. Das Stimmengewirr um sie herum erfüllte sie mit Schrecken.

Nacheinander passierten sie Paß- und Zollkontrolle. Susanne lief jetzt an der Hand ihres Vaters. Mit der zweiten Hand schob Rainer einen Gepäckwagen. Marcella folgte einen Schritt hinter ihm.

»Rainer!« Karin Wieland eilte ihrem Stiefbruder entgegen. Sie war vierzig Jahre alt, wirkte aber durch den verkniffenen Zug um ihren Mund älter. Ihre schwarzen Haare hatte sie zu einem Nackenknoten gebunden.

Rainer Gerber ließ den Gepäckwagen los. Er hob Susanne hoch. »Schau, das ist Tante Karin, von der ich dir soviel erzählt habe«, sagte er zu ihr und wies auf seine Stiefschwester. Dann drehte er sich zu seiner Frau um und legte einen Arm um deren Taille. »Sie wird dich nicht fressen«, raunte er ihr zu.

Karin Wieland blieb vor ihrem Bruder und seiner Familie stehen. Sie war mit seiner Heirat nicht einverstanden gewesen und seiner Hochzeit mit Marcella Fernandez deshalb demonstrativ ferngeblieben. Doch nun zwang sie sich zu einem Lächeln.

»Du bist also die Susanne«, sagte sie und streckte die Arme nach dem Kind aus. »Ein hübsches Mädchen, Rainer, dir wie aus dem Gesicht geschnitten.«

»Das würde ich nicht sagen«, erwiderte der junge Mann. »Sie sieht Marcella ähnlicher als mir.«

»Aber sie ist dunkelblond wie du, und sie hat blaue Augen«, stellte Karin Wieland kategorisch fest. Sie berührte Susannes Gesicht. Das kleine Mädchen zuckte bei dieser Berührung zurück.

»So, und nun werde ich dich erst einmal mit meiner Frau bekannt machen«, erklärte Rainer. Er stellte Susanne auf den Boden. »Marcella, das ist Karin! So weit ich zurückdenken kann, hat sie sich um mich gekümmert – Karin, meine Frau Marcella! Ich bin überzeugt, daß ihr Freundinnen werdet.«

Wohl kaum, dachte Karin. Sie musterte Marcella kühl. »Willkommen in Deutschland«, sagte sie schließlich und reichte der jungen Frau die Hand.

»Danke!« Marcella lächelte ihr scheu zu. Sie spürte die Kälte, die von Karin ausging, beinahe körperlich. Die Stiefschwester ihres Mannes war ihr von diesem ersten Augenblick an unsympathisch.

»Susi, du hast deiner Tante Karin noch gar nicht guten Tag gesagt«, meinte Rainer Gerber. »Wo bleiben denn deine Manieren, Häschen?«

»Buenos dias, Tia Karin«, sagte Susanne. Sie deutete einen Knicks an.

»Kann das Kind denn nicht Deutsch?« fragte Karin entsetzt. »Rainer, warum hast du…«

»Natürlich kann Susanne Deutsch«, unterbrach Rainer sie. Er blickte seine Tochter streng an.

»Susita, bitte!« Marcella legte ihre Hände auf die Schultern des kleinen Mädchens. Sie fühlte, daß ihre Tochter Karin Wieland nicht mochte und sie deshalb absichtlich auf spanisch begrüßt hatte.

Susanne schaute zu ihr auf, dann sagte sie brav: »Guten Tag, Tante Karin!« Den Knicks wiederholte sie allerdings nicht.

»Wir werden uns schon gut vertragen, Susanne«, meinte Karin süßlich. Sie wandte sich an Rainer: »Ich werde Susanne ein wenig unter meine Fittiche nehmen. Sei unbesorgt!«

»Das wird nicht nötig sein, Frau Wieland«, warf Marcella ein. »Susita wird von Rainer und mir erzogen.« Sie war nicht bereit, sich die Erziehung ihrer Tochter aus der Hand nehmen zu lassen.

Karin Wieland wollte aufbrausen, beherrschte sich aber. Sie warf ihrem Bruder nur einen bedeutungsvollen Blick zu. »Wir sollten zum Wagen gehen«, schlug sie vor.

»Sofort!« sagte Rainer. Er sah von Marcella auf seine Schwester. »Wollt ihr beide euch nicht mit dem Vornamen anreden und duzen?« fragte er.

»An mir soll es nicht liegen«, erklärte Karin Wieland.

»An mir auch nicht«, sagte Marcella. Sie dachte an ihren Cousin Miguel. Er hatte sie davor gewarnt, ihrem Mann nach Deutschland zu folgen, aber etwas anderes war ihr ja nicht übriggeblieben. Schließlich hätte sie Rainer nicht allein in seine Heimat zurückkehren lassen können. Ich muß es schaffen, sagte sie sich.

Obwohl es Marcella im Moment unmöglich erschien, mit Karin Wieland auszukommen, wollte sie es um Rainers willen versuchen. Vielleicht konnte sie ihn später überreden, aus dem Haus, das ihm und seiner Schwester gemeinsam gehörte, auszuziehen.

Rainer fuhr den Gepäckwagen zum Ausgang der Empfangshalle. Die beiden Frauen folgten ihm mit Susanne in ihrer Mitte. Jede von ihnen umklammerte eine Hand des kleinen Mädchens.

»Fein, daß du wieder da bist, Irmela«, sagte in diesem Moment hinter ihnen eine Bubenstimme. »Du mußt uns unbedingt von Indien erzählen. Bist du auch auf einem Elefanten geritten?«

»Laß Irmela doch erst einmal etwas Zeit, zur Besinnung zu kommen, Henrik!«

Karin Wieland drehte sich um. »Frau von Schoenecker!« rief sie überrascht aus und bleib abrupt stehen. »Das ist aber eine Überraschung! Rainer, kannst du dich noch an Frau von Schoenecker erinnern?« Sie bot Denise, die mit den Kindern ebenfalls stehengeblieben war, die Hand. »Ich habe meinen Bruder und seine Familie abgeholt. Sie sind vorhin aus Malaga gekommen.«

»Guten Tag, Frau Wieland«, grüßte Denise.

»Ich kann Ihnen nicht sagen, wie ich mich freue, meine Familie endlich bei mir zu haben«, fuhr Karin fort. »Überhaupt die Kleine!« Sie legte die Hand auf den blonden Schopf ihrer Nichte.

Susanne schlüpfte unter der Hand ihrer Tante weg und lehnte sich an ihre Mutter.

»Bleiben Sie länger in Deutschand, Herr Gerber?« fragte Denise freundlich. Sie bot erst Marcella, dann Rainer die Hand. Sie hatte Rainer vor Jahren einmal kennengelernt, als sie in Rimstein, einem Nachbarort von Wildmoos, zu tun gehabt hatte.

»Das kommt ganz auf meine Firma an«, erwiderte Rainer. »So lange wie in Spanien war ich noch nirgends.«

»Haben Sie viele Kinder!« stellte Susanne fest. Mit schiefgelegtem Köpfchen schaute sie von Angelika auf Irmela, Vicky und Henrik.

»Susanne, man spricht nicht ungefragt«, tadelte Karin.

»Ich bin nicht dafür, Kindern den Mund zu verbieten«, sagte Denise. Sie wandte sich an das kleine Mädchen und erklärte ihm, daß nur Henrik ihr eigener Sohn sei, und die drei Mädchen in Sophienlust lebten.

»Ich mag dich!« Susanne lachte Denise an.

»Ich dich auch!« Denise fuhr ihr mit zwei Fingern durch die Haare.

»Dann wollen wir Sie nicht länger aufhalten, Frau von Schoenecker«, meinte Karin etwas säuerlich. »Schön, daß wir uns mal getroffen haben!« Sie stieß ihren Bruder an.

»Auf Wiedersehen!« wünschte Rainer und hakte Marcella unter. Mit der anderen Hand schob er den Gepäckboy weiter.

Karin ging mit energischen Schritten neben den anderen her. »Mit diesem Kinderheim hat sich Frau von Schoenecker vielleicht etwas aufgeladen«, sagte sie. »Dabei hat sie doch ihre eigene Familie. Und ihre Ansichten über Erziehung sind auch nicht gerade die besten.«

Marcella warf einen kurzen Blick zurück.

Denise war mit den vier Kindern stehengeblieben. Das älteste von ihnen, ein schlankes, blondes Mädchen, schien etwas Lustiges zu erzählen. »Aber sie liebt Kinder«, sagte sie versonnen.

»Das ist nicht das einzige, worauf es bei der Erziehung ankommt«, bemerkte Karin Wieland. »Kinder müssen eine feste Hand spüren.«

*

»Mama, komm mal ganz schnell!« Susanne hatte sich einen Stuhl ans Schlafzimmerfenster geschoben und war hinaufgeklettert. »Schau, da ist ein kleiner Hund!«

»Ich sehe keinen Hund, Susita!« Marcella Gerber trat hinter ihre Tochter. Mit der Hand berührte sie zärtlich Susannes Haare.

»Na dort, bei dem Busch! Schau, jetzt hebt er sein Beinchen. Mami, ich möchte auch so einen Hund haben, bitte, Mami!«

»Da mußt du schon den Papa fragen, Susita«, erwiderte Marcella. Sie glaubte allerdings nicht, daß ihr Mann mit einem Hund einverstanden sein würde. Seine Stiefschwester haßte Tiere. Sie duldete nicht einmal einen Kanarienvogel im Haus.

»Mama, was macht er denn jetzt?« wollte Susanne wissen, als der kleine Spitz mit den Vorderpfoten die Erde aufgrub. »Will er was verstecken? Du, darf ich zu dem Hundchen gehen? Vielleicht hat es Hunger!« Susanne drehte sich zu ihrer Mutter um. »Ich werde ihm einen Knochen bringen!« Sie wandte sich wieder dem Fenster zu. »Hundchen, warte, ich bringe dir was zu essen!« schrie sie und sprang dann schwungvoll vom Stuhl.

»Ich weiß nicht, Susita«, sagte Marcella. »Unten in der Küche ist Tante Karin bestimmt gerade dabei, das Abendessen zuzubereiten. Ich würde sie jetzt lieber nicht stören.«

»Du hast nur Angst vor der ollen Tante Karin«, meinte die Kleine in einem beinahe mitleidigen Ton. »Ich mag sie gar nicht leiden.«

»So was sagt man nicht, Susita!« Marcella wandte sich rasch um. Sie atmete erleichtert auf, als sie sah, daß die Schlafzimmertür fest verschlossen war.

Susanne ging zur Tür. »Ich hole jetzt den Knochen«, kündigte sie an. »Ich habe nämlich keine Angst! Ich habe nicht einmal Angst vor der Hexe im Märchenbuch.«

»Ich komme mit«, entschied Marcella kurz entschlossen. So weit kam es noch, daß sie sich von ihrer Tochter beschämen ließ. Wahrscheinlich hatte sie von Anfang an zuviel nachgegeben. Karin Wieland gebärdete sich in dem Haus, das ihr und ihrem Bruder gemeinsam gehörte, wie eine Königin.

»Fein, Mami!« Susanne hob ihr Gesichtchen der Mutter entgegen. »Papa sagt auch immer, du sollst keine Angst vor Tante Karin haben.« Sie schob ihr Händchen in Marcellas Hand. »Ich bin doch bei dir!«

»Natürlich, wie könnte ich das vergessen«, meinte die junge Frau lächelnd. Sie kniete sich vor ihre kleine Tochter. »Weißt du, daß du mein kleiner Sonnenschein bist? Du bist das Schönste, was es in meinem Leben gibt.«

»Ich hab dich lieb, Mama!« Susanne legte ihre Arme um Marcellas Hals. »Ganz, ganz lieb!«

Susanne ließ die Hand ihrer Mutter los und stürmte in die Küche. »Hast du einen Knochen, Tante Karin?« fragte sie ihre Tante, die am Herd stand und kochte.

»Wozu brauchst du einen Knochen?« erkundigte sich Karin. Sie legte den Löffel, mit dem sie die Französische Zwiebelsuppe gekostet hatte, auf ein kleines Tellerchen.

»Für den Hund, der im Garten ist«, sagte Marcella an Susannes Stelle. »Susita möchte ihn füttern.«

»Was, ein Hund ist in meinem Garten?« Karins Augen weiteten sich entsetzt. Sie riß die von der Küche in den Garten führende Tür auf. »Wo, Susanne?«

»Hinter dem Haus«, antwortete das Mädchen arglos. »Er ist so lieb!« Es folgte mit seiner Mutter der hinausstürzenden Tante.

»Tatsächlich, dieses Biest wühlt in meinen Kräutern!« schrie Karin Wieland auf. Sie bückte sich nach einem Stein. Bevor Susanne oder Marcella es verhindern konnten, warf sie ihn in Richtung des Hundes.

»Tante Karin!« schrie das kleine Mädchen entsetzt auf. Es rannte zu dem Hund, der erschrocken zur Seite gesprungen war, aber keine Anstalten machte, zu entfliehen.

Karin bückte sich erneut. »Nein!« Marcella schlug ihr auf den Arm, bevor sie zum zweiten Mal einen Stein schleudern konnte. »Das solltest du nicht tun. Das ist gemein!«