Vier Pfoten für Julia - Fehlentscheidung - Katja Martens - E-Book

Vier Pfoten für Julia - Fehlentscheidung E-Book

Katja Martens

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Beschreibung

Heiß geht es her zwischen Julia und Marc. Ihre Beziehung wird immer enger und schon bald stehen beide vor einer Entscheidung, die ihr Leben verändern könnte. Auch beruflich scheint es gut zu laufen, denn ein neuer Einsatz wartet auf Dr. Sperling. Diesmal in der Wolfsregion Lausitz. Der idyllische Landstrich zieht die Tierärztin rasch in ihren Bann. Hier scheint die Natur noch unberührt. Schier endlose Wälder und Heideflächen laden zum Wandern ein. Wölfe streifen durch das Land. Sind es gefährliche Killer, die geschossen werden müssen? Oder ein Teil der schützenswerten Natur? Während sich die Anwohner darüber streiten, gerät ein kleiner Junge zwischen die Fronten. Und ein nächtlicher Angriff stellt Julias Fähigkeiten auf eine harte Probe.

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Kurzbeschreibung:

Heiß geht es her zwischen Julia und Marc. Ihre Beziehung wird immer enger und schon bald stehen beide vor einer Entscheidung, die ihr Leben verändern könnte. Auch beruflich scheint es gut zu laufen, denn ein neuer Einsatz wartet auf Dr. Sperling. Diesmal in der Wolfsregion Lausitz. Der idyllische Landstrich zieht die Tierärztin rasch in ihren Bann. Hier scheint die Natur noch unberührt. Schier endlose Wälder und Heideflächen laden zum Wandern ein. Wölfe streifen durch das Land. Sind es gefährliche Killer, die geschossen werden müssen? Oder ein Teil der schützenswerten Natur? Während sich die Anwohner darüber streiten, gerät ein kleiner Junge zwischen die Fronten. Und ein nächtlicher Angriff stellt Julias Fähigkeiten auf eine harte Probe.

Katja Martens

Vier Pfoten für Julia

Fehlentscheidung

Edel Elements

Edel Elements

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2017 Edel Germany GmbH Neumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2017 by Katja Martens

Covergestaltung: Marie Wölk, Wolkenart

Lektorat: Tatjana Weichel

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-049-5

www.facebook.com/EdelElements/

www.edelelements.de/

Der Wolf ist weder ein Heiliger noch ein Sünder – außer für die, die ihn dazu machen. David Mech

1. Kapitel

Der Nachtwind strich über die Heide und trug den melancholischen Ruf eines Fleckenkauzes weit in die Dunkelheit hinaus. Der Boden war staubtrocken, denn es hatte seit Tagen nicht mehr geregnet. Sandschwaden waberten über die hügelige Landschaft hinweg.

Eine Gestalt huschte durch das Unterholz. Die kräftige Statur verriet, dass es sich um einen Mann handelte. Er war von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet und hatte seine Kapuze so tief in die Stirn gezogen, dass sie sein Gesicht verbarg. Nicht, dass er erwartete, erwischt zu werden, aber er wollte kein Risiko eingehen. Lautlos bewegte er sich zwischen den Ginsterbüschen hindurch. Dabei ging er so geschickt vor, als hätte er den unwegsamen Landstrich schon zahllose Male des Nachts durchmessen. Nur einen Steinwurf von ihm entfernt verlief eine staubige Fahrstraße, deren Spurrillen sich tief in den sandigen Boden eingegraben hatten, aber er zog die Deckung des Dickichts vor. Falls der Ranger eine nächtliche Kontrollfahrt unternahm, würde er ihn zwischen dem Grün nicht so schnell entdecken.

Der Mond stand voll und rund am Himmel und spendete genug Licht, um sich zu orientieren. Einmal blieb der Mann mit dem Ärmel an einem Ginsterbusch hängen und fluchte leise. Mit einer schnellen Bewegung zog er sein Jagdmesser aus der Scheide, befreite sich aus dem Gestrüpp und eilte weiter. Er trug ein Gewehr quer über dem Rücken und hatte festes Schuhwerk an den Füßen, das ihn sogar vor Schlangenbissen schützen könnte.

Das Naturschutzgebiet Königsbrücker Heide wurde früher als Truppenübungsplatz genutzt. Vor über einhundert Jahren war das Gelände für die Königlich Sächsische Armee angelegt und ständig erweitert worden. Ganze Dörfer hatten dafür weichen müssen. Otterschütz, Rohna, Sella und Steinborn – von diesen Orten erzählten inzwischen nur noch uralte Landkarten. Die Bewohner mussten ihre Gehöfte aufgeben und waren umgesiedelt worden. Noch heute fand man hier und da Reste der Siedlungen: alte Steinmauern, verwilderte Obstbäume und Brücken über dem Otterbach, die seit Jahrzehnten verwitterten und von niemandem mehr benutzt wurden, denn das Betreten des Gebietes war strengstens untersagt.

Sächsische Soldaten und später auch die Sowjets waren durch das Gelände gerobbt, hatten Exerzieren und Panzerschießen geübt und Chemiewaffen getestet. Nach dem Abzug der sowjetischen Armee im Jahr 1992 war das Gelände gesperrt worden. Der Boden war seitdem mit Altlasten gespickt, vor allem mit Resten von Sprengmitteln und Waffen. Die Soldaten hatten alles vergraben, was sie beim Abrücken nicht mitnehmen wollten. Selbst ganze Panzer sollen in der staubigen Erde zu finden sein.

Der nächtliche Wanderer glaubte sich nicht in Gefahr. In monatelanger Suche waren die Wege nach dem Abzug der Truppen von Hilfskräften geräumt und nach Munition abgesucht worden. Wenn man nicht gerade mitten im Gelände zu einem Spaten griff und anfing zu graben, war man sicher. Er hatte es nicht auf Munition oder andere militärische Souvenirs abgesehen. Trotzdem durfte er sich nicht erwischen lassen. Wenn die Ranger einen unbefugten Besucher erwischten, hagelte es nicht nur eine saftige Ordnungsstrafe, sondern auch jede Menge Ärger. Vor allem, wenn man eine Waffe bei sich trug.

Sein Gewehr schlug bei jedem Schritt gegen seinen Rücken, als er die Königshöhe erklomm. Er musste die Kuppe überwinden, um tiefer in das Gebiet vorzudringen. Auf der Anhöhe gestattete er sich eine kurze Verschnaufpause. Er blieb stehen und ließ den Blick über die scheinbar endlose Botanik schweifen, die sich vor ihm ausstreckte. Der Truppenübungsplatz war zum Naturschutzgebiet erklärt worden. Das Gelände durfte sich ohne menschliche Eingriffe weiterentwickeln, deshalb holte die Natur es sich allmählich zurück. Gras und Moos rissen die Asphaltwege auf. Fledermäuse besiedelten die Überreste der alten Bunker und über die Pulsnitz kehrten die Biber und Fischotter zurück, um sich anzusiedeln. Selbst Elche waren hier schon gesichtet worden. Und vor allem ein Raubtier, das in Deutschland als ausgestorben galt: der Wolf!

Gänsehaut rieselte dem einsamen Wanderer über den Rücken, aber er empfand nicht etwa Angst, sondern eine gespannte Erwartung. Wölfe waren scheu und gingen dem Menschen aus dem Weg. Aus diesem Grund war es höchst unwahrscheinlich, einem Wolf in freier Wildbahn zu begegnen. Der Vermummte wusste jedoch genau, wo er suchen musste. Sein kleiner Einbruch in das Kontaktbüro Wölfe in Sachsen hatte sich gelohnt. Die Forscherinnen dort führten nicht nur akribisch Aufzeichnungen über jede Wolfssichtung, nein, sie hatten auch Tiere mit Sendern ausgestattet und verfolgten ihre Routen. Auf diese Weise hatte er herausgefunden, wo sich ihre Höhle befand. Zielstrebig marschierte er weiter.

In Sachsen hielten sich ganze zwölf Rudel auf. Auf dem Truppenübungsplatz lebte ein Paar mit seinen Jungen. Er wusste, dass seine Mission hier Erfolg haben würde.

Königsbrück war weit genug von seinem Wohnort entfernt, sodass niemand den Angriff mit ihm in Verbindung bringen würde. Lautlos eilte er weiter und achtete darauf, dass ihm der Wind weiterhin entgegenkam. Wölfe spürten ihre Beute ebenso wie Gefahren über den Geruch auf. Sie konnten eine Witterung auf über zweieinhalb Kilometer Entfernung aufnehmen, deshalb durfte er nicht riskieren, sich durch seinen Körpergeruch zu verraten.

Sein Weg führte ihn nun bergab durch die Wüstung Quasdorf, die ebenfalls dem Übungsplatz hatte weichen müssen und von der nur noch wenige Steinmauern standen, von Gras und Moos überwuchert. Der Boden unter seinen Füßen wurde nun schlammiger. Vermutlich hatten die Biber in der Nähe den Fluss angestaut, dadurch legten sie auch das Gelände unter Wasser.

Er marschierte weiter gen Norden, bis er eine Heidefläche erreichte. Das war der Ort, den er aufsuchen wollte. Die Wölfe hielten sich häufig hier auf, weil sich ihre Wurfhöhle in der Nähe befand. Der Mann bewegte sich jetzt langsamer, sorgsam darauf bedacht, nicht das leiseste Geräusch zu verursachen.

Suchend blickte er sich um. Er brauchte ein Versteck – einen Ort, von dem aus er Ausschau halten konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Sein Blick fiel auf eine Sandgrube, die von Heidebüschen umgeben tief genug war, um einem Erwachsenen Deckung zu bieten. Kurzentschlossen glitt er hinein und kniete sich hin, sodass er seine Umgebung im Blick behalten konnte. Danach legte er das Gewehr auf seinen Oberschenkeln ab. Nun hieß es warten. Er musste sich in Geduld üben und hoffen, dass sich die Wölfe in dieser Nacht zeigen würden. Sie durchstreiften auf ihrer Suche nach Beute ein großes Gebiet. Es konnten Stunden vergehen, bis sie zu ihrem Lager zurückkehrten. Er richtete sich auf eine lange Wartezeit ein – und wurde angenehm überrascht, als er nur eine halbe Stunde später aus dem Augenwinkel eine Bewegung bemerkte. Ein Tier näherte sich: Hochbeinig. Grau. Schwarze Schwanzspitze und gelbgrüne Augen. Canis lupus, der Europäische Grauwolf.

All seine Sinne waren mit einem Mal hellwach. Nahezu lautlos brachte er sein Gewehr in Anschlag und zielte auf das Tier, das an seinem Versteck vorbeitrabte. Die Zitzen waren im Mondlicht nur schwach zu erkennen, doch es genügte, um das Tier als Fähe zu identifizieren. Sie hielt einen Rehlauf zwischen den Zähnen. Zum Spielen für ihre Jungen?

Er kniff die Augen zusammen und nahm das Tier ins Visier. Sie war schlank und bewegte sich geschmeidig. Ein junges Exemplar. Perfekt! Die Härchen auf seinen Armen stellten sich auf und sein Herz schien reines Adrenalin durch seine Adern zu pumpen. Er war kurz davor, sein Ziel zu erreichen. So kurz davor!

Er wollte gerade abdrücken, als er hinter der Wölfin eine Bewegung wahrnahm. Wer zum Teufel trieb sich noch hier herum? Es war eine Frau. Sie bewegte sich ebenso lautlos wie die Wölfin und war noch nicht von dem Tier bemerkt worden, aber es war nur eine Frage von Sekunden, bis sie es aufschrecken und vertreiben würde. Das durfte doch nicht wahr sein. Nicht jetzt!

Er kniff die Augen zusammen und sah genauer hin. Verdammt, er kannte die Frau! Sie war eine von den Wolfsforscherinnen. Sie kam den Weg entlang und hielt einen Ausrüstungskoffer in der Hand. Jeden Moment würde die Wölfin sie wahrnehmen und flüchten. Dann war die Gelegenheit verpasst. Ihm blieb nur eine Wahl: Er verkniff sich einen Fluch, zielte auf die Wölfin und drückte ab.

Das Geschoss zischte durch die Nacht. Volltreffer! Die Wölfin kippte zur Seite weg. Mit zuckenden Pfoten sank sie auf den Sandboden. Die Frau stieß einen Schrei aus. Er schwenkte den Lauf der Waffe nun auf sie. Für den Bruchteil einer Sekunde empfand er Bedauern, dann krümmte er den Finger am Abzug. Ein weiterer Treffer. Das Betäubungsmittel tat augenblicklich seine Wirkung. Wie schon die Wölfin kurz zuvor stürzte nun auch die Frau auf den sandigen Boden nieder und blieb bewusstlos liegen.

Er hatte sein Ziel erreicht, aber anstelle des erwarteten Triumphes empfand er nur Leere. Der fiebrige Rausch der Jagd war verflogen. Er ließ sein Gewehr sinken und starrte auf die beiden reglosen Körper. Der Nachtwind wehte Staub und Sand über sie hinweg. Bald würden die Spuren von allem verwehen, was hier geschehen war. Niemand würde ihm je auf die Schliche kommen. Wirklich niemand.

2. Kapitel

»Sag mal, was hast du denn da drin, Julia?« Schnaufend wuchtete Marc Reuther die Umzugskiste von dem Lieferwagen, stellte sie auf seinem Hof ab und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Sind das Ziegelsteine?«

»So ähnlich.« Ein Lächeln flog über Julia Sperlings Gesicht. »Bücher! Ich mochte sie nicht daheimlassen.«

»Und in den anderen Kisten?«

»Da sind meine Sachen drin: Klamotten, Schuhe, Unterlagen und CDs. Was man halt so braucht.«

»Ich hätte nicht erwartet, dass du so viel Zeug besitzt. Bist du sicher, dass nicht auch noch ein paar Freunde von dir bei mir einziehen?« Zahllose Lachfältchen gruben sich um die Augen des Polizisten ein, als er ihr nun zuzwinkerte.

»Keine Sorge«, lachte sie. »Außer mir wird nur noch Raudi mit hier wohnen.«

»Dann ist es ja gut. Apropos: Wo ist der Kleine eigentlich?«

»Vermutlich auf der Suche nach einem Paar Schuhe, das er noch nicht angenagt hat. Seine Vorliebe für Fußbekleidung konnte ich ihm leider noch nicht abgewöhnen.« Julia hatte kaum zu Ende gesprochen, als die Französische Bulldogge aus dem Bauernhaus gesprintet kam. Zwischen den Zähnen trug Raudi etwas, das unverkennbar die Überreste eines Herrenpantoffels waren. Die dunklen Knopfaugen des Hundes blitzten. Offenbar war er durchaus zufrieden mit seinem Fund.

»Ist das etwa mein Pantoffel?« Marc kniff die Augen zusammen.

»Jetzt nicht mehr, fürchte ich.«

»Das geht ja gut los. Sag mal, was ist eigentlich in der Riesenkiste dort hinten auf der Ladefläche?«

»Mein Laufband.«

»Herrje! Warum hast du das denn mitgebracht? Das brauchst du hier nicht. Wir haben so etwas bereits. Es nennt sich Waldwege!« Marc wich grinsend zur Seite aus, als sie nach ihm griff. »Hilfe, nicht kitzeln … Ich lade es ja gleich ab. Versprochen.« Er zog Julia in seine Arme und küsste sie. Prompt wurden ihr die Knie weich. Sie verschränkte die Hände in seinem Nacken und spürte die Kraft und die Wärme, die von ihm ausgingen. Marc war Polizist und hielt sich mit täglichem Lauftraining und Sport fit, und das merkte man seinem durchtrainierten Körper auch an. Sie strich durch seine dichten, dunklen Haare und über die Narbe, die seine rechte Augenbraue kerbte. Es war eine Erinnerung an einen Einsatz vor einigen Jahren. Seine braunen Augen blickten freundlich, aber auch forschend in die Welt. Ihm schien kein Detail zu entgehen.

»Mein Liebling«, raunte er. »Habe ich dir eigentlich schon gesagt, wie sehr ich mich freue, dass du bei uns einziehst?«

»Ich freue mich auch«, gestand Julia. Ihr Großvater lebte auf dem Darß und stand ihrem Umzug in den weit entfernten bayerischen Wald mit gemischten Gefühlen gegenüber. Julia hatte ihm versprochen, ihn so oft wie möglich zu besuchen, aber das hatte seine Zweifel nicht gemildert.

Ihr kennt euch erst seit wenigen Monaten, hatte er argumentiert. Durch deine Arbeit bist du oft wochenlang unterwegs. Wollt ihr wirklich schon zusammenziehen?

Natürlich wollten sie das. Seit Wochen sprachen Marc und sie von nichts anderem. An diesem Tag war es nun endlich so weit: Der Lieferwagen mit Julias Habseligkeiten parkte im Hof vor Marcs Haus und wartete nur darauf, ausgeladen zu werden.

Mit klopfendem Herzen blickte Julia an dem Bauernhaus hoch, das von nun an ihr Zuhause sein würde. Es bestand aus einem Haupthaus und einem Anbau. Die untere Etage war weiß gestrichen, während das obere Stockwerk eine Holzverkleidung besaß. Üppige Geranien blühten vor dem Balkon. Ein Bach plätscherte an dem Anwesen vorbei und mündete in einem Teich, an dem eine Bank stand. Julia freute sich schon darauf, abends dort zu sitzen und zu lesen. Wie entspannend das sein musste! Sie würde die Frösche quaken hören und vielleicht kam hin und wieder ein Reh aus dem nahen Wald zu Besuch.

Das Haus stand am Rand von Philippsreut, einem Dorf an der bayerisch-tschechischen Grenze. Ganz in der Nähe erhob sich der Almberg. An diesem Tag wölbte sich der Himmel so unfassbar blau über dem Bayerischen Wald, dass Julia das Herz weit wurde. Der Sommer zeigte sich von seiner schönsten Seite.

Aus dem Haus trat ein Mädchen von fünf Jahren. Es hatte einen dicken blonden Zopf und strahlte über das ganze Gesicht.

»Kann ich helfen, Vati?«

»Freilich, Krümel. Bring das hier ins Haus, ja?« Marc lud einen Rucksack ab und drückte ihn seiner Tochter in die Hand. Sie wirbelte damit herum und sauste davon.

Lächelnd blickte Julia ihr nach. Die kleine Lotta war ein Wirbelwind, wie er im Buche stand. Auch wenn sie noch nicht zur Schule ging, wusste sie genau, was sie wollte, und das war eine neue Mami! Sie hatte vom ersten Tag an Julia gehangen, und das beruhte auf Gegenseitigkeit, denn die junge Tierärztin liebte das kleine Mädchen bereits von ganzem Herzen.

Julia schnappte sich eine Umzugskiste mit der Aufschrift Bekleidung und trug sie ins Haus. Das Schlafzimmer würden Marc und sie sich teilen. Er hatte eine Hälfte des Kleiderschranks sowie zwei Schubladen für sie freigemacht. Sie stellte den Karton ab und begann ihn auszupacken. Marc kam ihr nach und stellte ebenfalls eine Kiste ab.

Julia deutete auf die CDs, die in einem Regal über dem Bett vor sich hin staubten. »Was hältst du davon, wenn wir die auf den Dachboden räumen? Wir können sie in einer Kiste lagern.«

»Die CDs?« Eine Falte grub sich zwischen seinen Augenbrauen ein. »Warum sollten wir sie denn forträumen?«

»Weil du sie dir nie anhörst und mich kannst du mit Musik von Julio Iglesias jagen. Ich wundere mich ein wenig über deinen Musikgeschmack. Hast du etwa irgendwo auch noch Räucherstäbchen und rosa Zierkissen versteckt?«, neckte sie ihn.

Marc blieb ernst. »Die CDs sind noch von meiner Frau. Sie mochte den Sänger, weißt du. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, die Sachen herzugeben.«

»Oh, Marc.« Bestürzt sah sie ihn an. »Davon hatte ich keine Ahnung. Es tut mir leid. Ich wollte nicht …« Sie stockte.

»Ist schon gut. Wir können die CDs ruhig wegräumen. Du hast recht, ich höre sie mir wirklich nie an. Sie stehen nur herum und setzen Staub an.«

»Nein, ist schon gut. Lassen wir sie stehen. Sie nehmen ja nicht viel Platz weg.« Julia fühlte sich mit einem Mal unsicher.

»Was ist?« Marc trat neben sie und legte ihr eine Hand an die Wange. »Du siehst mit einem Mal so traurig aus.«

»Ich habe mich nur gefragt, ob ich hierher passe. Lotta und du seid ein eingespieltes Team.«

»Aber sicher passt du zu uns.« Ein Lächeln erhellte sein gebräuntes Gesicht. »Wir beide gehören zusammen. Alles andere findet sich schon. Das Einzige, was zählt, ist doch, dass wir zusammen sind.«

»Bist du sicher?«

»Ganz sicher.« Marc griff nach ihrer Hand. »Komm mit nach oben. Es gibt da etwas, das ich dir gern zeigen würde.«