Vier Pfoten für Julia - Strandnächte - Katja Martens - E-Book

Vier Pfoten für Julia - Strandnächte E-Book

Katja Martens

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Beschreibung

Nein, so hat sich Dr. Julia Sperling diesen Sommer wirklich nicht vorgestellt! Anstatt wie geplant mit ihrem Freund zu verreisen, muss sie in der Pension ihres Großvaters einspringen. Rasmus Sperling liegt nach einem Unfall im Koma. Und die Anzeichen für eine schwere Erkrankung verdichten sich! Doch Julia bleibt nicht viel Zeit zum Grübeln. Der Sommer führt zahlreiche Urlauber auf den Darß, und so bekommt die Tierärztin bald alle Hände voll zu tun. Das Leben eines Ponys steht auf dem Spiel und sorgt für ein unerwartetes Wiedersehen. In einer sternenklaren Sommernacht muss sich Julia plötzlich zwischen zwei Männern entscheiden ...

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Seitenzahl: 140

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Kurzbeschreibung:

Nein, so hat sich Dr. Julia Sperling diesen Sommer wirklich nicht vorgestellt! Anstatt wie geplant mit ihrem Freund zu verreisen, muss sie in der Pension ihres Großvaters einspringen. Rasmus Sperling liegt nach einem Unfall im Koma. Und die Anzeichen für eine schwere Erkrankung verdichten sich! Doch Julia bleibt nicht viel Zeit zum Grübeln. Der Sommer führt zahlreiche Urlauber auf den Darß, und so bekommt die Tierärztin bald alle Hände voll zu tun. Das Leben eines Ponys steht auf dem Spiel und sorgt für ein unerwartetes Wiedersehen. In einer sternenklaren Sommernacht muss sich Julia plötzlich zwischen zwei Männern entscheiden ...

Katja Martens

Vier Pfoten für Julia

Strandnächte

Edel Elements

Edel Elements

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2017 Edel Germany GmbH Neumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2017 by Katja Martens

Covergestaltung: Marie Wölk, Wolkenart

Lektorat: Tatjana Weichel

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-050-1

www.facebook.com/EdelElements/

www.edelelements.de/

Inhalt

Hingabe

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

Der kleine Vogel im Sturm: Nichts vermag ihn zu erschrecken, weder Wind noch Regen. Er weiß, dass hinter den Wolken seine Sonne immer noch scheint.

Prolog

»Wann fahren wir endlich los, Julia?« Lotta wirbelte in die Küche, sodass ihr blonder Zopf hin und her schwang. Die Fünfjährige hüpfte unternehmungslustig von einem Fuß auf den anderen. »Ich hab‘ schon alles eingepackt!«

Julia Sperling ließ das Messer sinken, mit dem sie gerade die Kräuter für das Mittagessen kleinschnitt. »Unser Flieger startet in zwei Tagen.«

»Och, erst? Das dauert ja noch eeewig.«

»So lange ist das gar nicht mehr. Nur noch zweimal schlafen, dann verreisen wir alle zusammen.«

»Sag ich doch: noch eeewig hin«, beharrte Lotta und kräuselte die Nase, sodass ihre Sommersprossen im Gesicht tanzten. »Kann ich dir helfen? Vielleicht vergeht die Zeit dann schneller.«

»Ganz bestimmt sogar. Wie wäre es, wenn du die Himbeeren für den Nachtisch wäschst?«

»Okay.« Lotta holte die Schale mit den Früchten aus dem Kühlschrank und rückte sich die Fußbank zurecht, um an die Spüle zu gelangen. Dann machte sie sich an die Arbeit.

Die junge Tierärztin widmete sich indessen wieder den Kräutern, die sie im Garten selbst gezogen hatte. Manchmal konnte sie kaum glauben, wie sich ihr Leben in den vergangenen Monaten verändert hatte. Noch vor einem Jahr war sie in Berlin, um zu studieren. Nach ihrem Abschluss hatte sie eine gemeinsame Praxis mit ihrem damaligen Freund geplant. Doch dann war alles anders gekommen. Ein einschneidendes Ereignis hatte zu ihrer Trennung geführt und ihr gesamtes Leben auf den Kopf gestellt. Julias Entschluss, für Kollegen einzuspringen, die eine Zeit lang eine Vertretung benötigten, stand relativ schnell fest. Auf diese Weise konnte sie Erfahrungen sammeln, die ihr später in einer eigenen Praxis von Nutzen sein würden.

Ihr erster Einsatz hatte sie in den Bayerischen Wald gerufen. In Philippsreut, einem Dorf an der tschechischen Grenze, hatte sie es mit einer Bande von Tierschmugglern zu tun bekommen, die sie gemeinsam mit dem Polizisten Marc Reuther dingfest machen konnte. Der Polizist war verwitwet und lebte mit seiner Tochter in einem idyllischen Bauernhaus, nur einen Steinwurf vom Wald entfernt. Julia war aus Liebe vor wenigen Monaten zu ihnen gezogen, gemeinsam mit ihrem Hund Raudi, einem Wirbelwind auf vier Beinen. Nach ihrem letzten Einsatz in der Lausitz hatte Marc sie daheim mit einer Überraschung erwartet: Er hatte eine Urlaubsreise nach Spanien für sie alle gebucht! Zwei Wochen lang wollten sie gemeinsam wandern, schwimmen und die Seele baumeln lassen.

Die kleine Lotta sprach seit Wochen von nichts anderem als ihrer Ferienreise. Sie hatte schon vor Tagen alles Nötige eingepackt – und trug probehalber schon die Flossen an den Füßen, die ihr Vater für sie gekauft hatte.

»Tengo hambre«, ließ sie nun verlauten.

»Donnerwetter«, staunte Julia. »Wo hast du das denn her?«

»Von Opa. Er sagt, das bedeutet: ‚Ich habe Hunger‘. Außerdem kenne ich noch helado und galetta.«

»Verhungern werden wir in Spanien also keinesfalls. Wir können uns jederzeit Eiscreme und Kekse bestellen.«

»Genau!«, rief Lotta mit funkelnden Augen aus. »Und zwar uno dos tres, por favor!« Sie spülte die Beeren sorgfältig ab und stellte sie zum Abtropfen auf einen Teller. »Kann ich noch etwas tun?«

»Danke, ansonsten ist alles fertig. Geh und wasch dir die Hände, ja? Wir essen in zehn Minuten.«

»Ist gut.« Vergnügt watschelte Lotta auf ihren Flossen davon.

Julia erhitzte Fett in einer Pfanne, briet kleingeschnittene Zwiebeln an und gab anschließend mehrere Hände voll Pilze dazu. Es zischte, und wenig später breitete sich ein angenehmer Duft in der Küche aus.

»Das riecht ja gut«, stellte Marc fest, als er hereinkam. Er trat hinter Julia und setzte seine Lippen auf ihre Halsbeuge.

»Es gibt eine Pilzpfanne mit frischen Kräutern.«

»Ich meinte dich«, raunte er und fuhr damit fort, den sanften Schwung ihres Halses zu küssen. Schließlich fasste er sie um die Taille und drehte sie zu sich herum. Seine Lippen suchten nach ihren, eroberten sie und wurden dann sanfter. Etwas in Julia schien zu schmelzen, als er den Kuss vertiefte.

»Wollen wir nicht lieber gleich zum Nachtisch übergehen?«, murmelte er, und seine tiefbraunen Augen verrieten, dass ihm der Sinn nicht nach Essen stand.

»Das müssen wir verschieben. Lotta und ich sind am Verhungern«, erinnerte Julia ihn, während sie in der Pfanne rührte.

»Na gut, aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.« Sein Lächeln grub sympathische Fältchen gruben sich um seine Augen ein. Julias Herz machte unwillkürlich einen Satz. Als Polizist hielt sich Marc mit täglichem Sport für seine Einsätze fit. Er hatte eine durchtrainierte Statur, dunkle Haare und ein markantes Gesicht, in das das Leben und der Polizeidienst zwei Narben gegraben hatte. Sein Blick war stets freundlich und liebevoll, aber er konnte auch durchgreifen, wenn es nötig war. Marc nahm nie ein Blatt vor den Mund und sagte stets offen, was er dachte. Das war eines der vielen Dinge, die Julia an ihm liebte.

»Hast du fertig gepackt, Marc?«

»Das mache ich morgen. Wir fliegen doch erst in zwei Tagen. Bis dahin schaffe ich es locker. Und du?«

»Alles bereit. Meinetwegen könnte es sofort losgehen. Unser erster gemeinsamer Urlaub. Ich kann es kaum erwarten.«

»So geht es mir auch. Nur noch einmal Nachtdienst, dann habe ich endlich frei. Wie gut, dass du erst im nächsten Monat wieder einen Einsatz hast. Auf diese Weise haben wir endlich einmal Zeit für uns. Darüber bin ich froh. In den vergangenen Monaten haben wir uns für meinen Geschmack viel zu selten gesehen.«

»Für meinen auch! Ich hoffe nur, dass das Wetter an der Costa del Azahar besser als hier ist.« Julia schaute durch das Küchenfenster hinaus in den Garten. Es schüttete wie aus Kübeln. Regenwasser tropfte von den Bäumen, die sich unter der Nässe und dem Sturm neigten. Es war so trüb, dass der Wald hinter grauen Dunstschleiern verschwand. Selbst die Rosen ließen ihre Blüten hängen. Ein Regentief hielt sich hartnäckig über Bayern.

»Das wird schon«, erwiderte Marc zuversichtlich. »Was gibt es eigentlich zu den Pilzen?«

»Selbstgebackenes Ciabatta.«

»Kein Fleisch?«

Julia schüttelte den Kopf und stellte die fertiggebratenen Pilze zur Seite. Seit einem Praktikum im Schlachthof während ihres Studiums war sie Vegetarierin. »Fleischlos isst man gesünder, glaub mir.«

»Ich habe ja auch nichts gegen Gemüse. Vor allem nicht, wenn es neben einem Steak liegt.«

Julia rollte die Augen. »Warum versuchst du nicht ein paar Wochen, fleischlos zu essen, und siehst, wie es dir bekommt?«

»Das ist nichts für mich. Ich brauche hin und wieder ein Stück Fleisch oder einen Streifen Schinken zwischen die Zähne. Mir tun halt die armen kleinen Tofus leid …« Er wich lachend zur Seite aus, als sie spielerisch nach ihm griff. Schließlich packte er sie und zog sie in seine Arme. Sie spürte die Wärme, die durch sein Hemd drang, und schmiegte sich an ihn. Hungrig suchten seine Lippen die ihren und verschmolzen zu einem weiteren innigen Kuss - bis das Telefon in der Diele klingelte.

Eine Frauenstimme war zu hören. Kurz darauf kam Frau Kofler herein. Die Wirtschafterin kümmerte sich seit vielen Jahren um die Familie. Sie hielt Julia den Hörer hin. »Es ist für dich, Julia.« Ein Schatten schien auf ihrem faltigen Gesicht zu liegen. »Jemand von der Bodden-Klinik Ribnitz-Damgarten.«

Ein heißer Schreck fuhr Julia in alle Glieder. Der Ort lag in Mecklenburg – nicht weit vom Wohnort ihres Großvaters entfernt. Hatte der Anruf etwas mit ihm zu tun?

Mit der Gesundheit von Rasmus Sperling ging es seit einiger Zeit bergab. Noch kein Arzt hatte die endgültige Diagnose gestellt, die Julia so sehr fürchtete, aber sie spürte, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis das geschehen würde.

Ihr Großvater hatte sie bei sich aufgenommen, nachdem ihre Eltern bei einem Schiffsunglück ums Leben gekommen waren. Er führte eine Pension in Strandnähe und hatte stets alles getan, um Julia zu fördern und für sie da zu sein. In den vergangenen Monaten war er zerstreut und vergesslich geworden. Sein Hausarzt hatte ein Problem an seiner Schilddrüse entdeckt, das dafür verantwortlich sein konnte, und ihm Medikamente verordnet. Seitdem behauptete er, wieder kerngesund zu sein, aber Julia machte sich trotzdem Sorgen um ihn. Nun tauschte sie einen erschrockenen Blick mit Marc aus.

Er nickte ihr kaum merklich zu.

Beklommen nahm sie das Telefon entgegen und meldete sich. »Ja? Hier ist Julia Sperling.«

Am anderen Ende der Verbindung meldete sich eine Frauenstimme und unterrichtete sie darüber, dass ihr Großvater einen Unfall gehabt hatte. Weitere Auskunft durfte sie am Telefon nicht geben, sie drang jedoch darauf, dass Julia zum Krankenhaus kam - und das so schnell wie möglich!

Wie betäubt ließ Julia den Hörer sinken.

»Was ist denn passiert?«, forschte Marc mit rauer Stimme.

»Mein Großvater ist verunglückt. Die Krankenschwester wollte mir nichts weiter sagen, aber sie meinte, ich müsse sofort hinkommen.«

»Verunglückt? Wie denn? Und wie schlimm ist es?«

»Das weiß ich leider nicht. Mehr hat sie nicht gesagt.« Julia ballte die Hände zu Fäusten, weil sie plötzlich eiskalt waren und zitterten. »Ich muss zu ihm fahren, Marc.«

»Natürlich, und wir kommen mit dir mit.«

»Nein, das ist nichts für Lotta, und du musst noch arbeiten. Es ist besser, wenn ich allein fahre und schaue, was eigentlich los ist. Womöglich ist es gar nicht so schlimm.« Sie versuchte ein Lächeln, aber es gelang ihr nicht so wirklich.

»Bist du überhaupt in der Lage, die weite Fahrt auf dich zu nehmen?«, wandte Marc ein. »Du siehst so blass aus, als würdest du jeden Augenblick umkippen. Ich habe kein gutes Gefühl dabei, wenn du dich allein hinters Steuer setzt.«

»Ich schaffe das schon.« Julia schloss sekundenlang die Augen und kämpfte mit ihrer aufsteigenden Unruhe. Unter die Angst um ihren Großvater mischte sich die Ungewissheit, was die Zukunft für sie bereithalten würde. Eben noch hatten die nächsten Wochen sonnig und verheißungsvoll vor ihr gelegen – und nun war alles ein einziges großes Fragezeichen.

1. Kapitel

Hier hat sich nichts verändert.

Henriette van Kampen trat an das Geländer der Seebrücke von Prerow und sog tief die Seeluft ein, die nach Salz und Tang roch. Sie spürte die warmen Sonnenstrahlen auf ihrer Haut und den Wind, der an ihrem Strohhut zog und ihn vermutlich von ihrem Kopf geweht hätte, wenn sie ihn nicht festhalten würde.

Während der Wetterbericht für Süddeutschland anhaltende Regenfälle vorhersagte, war es hier an der Ostsee herrlich warm. Vom Brückenkopf aus konnte man wunderbare Sonnenuntergänge beobachten. Gerade tauchte die Sonne an der Spitze des Darßer Ortes ins Wasser und der Himmel färbte sich zartrosa und violett. Möwen tanzten über dem Strand und balgten sich kreischend um einen Leckerbissen.

Wie lange war ich nicht mehr hier in Prerow?, grübelte Henriette. Es müssen fast fünfundzwanzig Jahre sein. Damals waren Jan und ich gerade erst verheiratet. Es kommt mir fast so vor, als wäre es in einem anderen Leben gewesen. Wir waren jung und unbekümmert und haben wild gezeltet, bis der Förster uns entdeckte und dazu verdonnerte, ein Zimmer zu nehmen. Später wollte Jan seinen Urlaub nur noch im Ausland verbringen, in Fünf-Sterne-Ressorts. Schön war es da, aber so glücklich wie damals in unserem viel zu kleinen Zelt waren wir nie wieder. Jan hatte selten genug Urlaub, und jetzt ist er schon drei Jahre nicht mehr bei mir.

Die Erinnerung legte sich wie ein Schatten auf ihr Gesicht. Gedankenverloren spielte sie mit den Muscheln in ihrer Hand, die sie am Strand gesammelt hatte.

Ein weißes Ausflugsschiff steuerte in der Ferne über das Wasser und zog ihren Blick auf sich. Fernweh stieg in ihr auf. Wie schön es wäre, in ein Schiff zu steigen und allen trüben Erinnerungen davon zu segeln!

Neben Henriette hatte sich ihr Mops zusammengerollt. Hugo hatte seinen runden Kopf auf die Vorderpfoten gebettet und schnaufte zufrieden. Er war schon älter und schaffte keine allzu langen Spaziergänge mehr, aber nach dem unerwarteten Infarkt ihres Mannes hatte er ihr über so manche trübe Stunde hinweggeholfen. Nun legte er den Kopf schief und spähte aus seinen braunen Knopfaugen zu ihr auf, als wollte er fragen: Muss ich heute noch sehr weit laufen?

»Wir werden beide nicht jünger, was, Hugo?« Henriette wandte sich um. »Na komm, lass uns zurückgehen. Johannes wird schon auf uns warten. Ich bin gespannt, was er so heimlich zu besorgen hatte, dass wir nicht mitkommen durften.«

Hugo stieß nun ein energischeres Schnaufen aus, dann rappelte er sich von dem Holzsteg auf und trottete neben ihr her zurück zum Ufer. Wie immer um die Abendzeit leerte sich der Strand allmählich. Urlauber strebten ihren Quartieren oder einem der zahlreichen Restaurants zu. Am Prerower Strom war gerade eine Freiluftausstellung mit Cartoons zahlreicher Künstler. Henriette hatte sich die Bilder am vergangenen Tag angesehen und musste bei der Erinnerung an einen Cartoon schmunzeln. Auf dem Bild stand eine Lehrerin vor ihrer Klasse und fragte, was ihren Schülern zum Thema Mittelalter einfiel, und eines der Kinder rief spontan aus: „Gouda!“.

»Na warte, dich erwische ich noch!« Die verärgerte Männerstimme ließ Henriette zusammenzucken.

Nanu? Was war denn da los?

Am Ufer wurden Semmeln mit fangfrischem Fisch angeboten. Der Stand lockte tagsüber zahlreiche Urlauber an. Und nicht nur die! Henriette hatte schon mehrmals beobachtet, dass vorwitzige Möwen ahnungslosen Touristen Fischbrocken wegschnappten. Eine Möwe mit einem roten Ring am Fuß, Henriette hatte sie Emma genannt, stibitzte sogar halbe Fischsemmeln, wenn sich ihr die Gelegenheit dafür bot. Auch jetzt verriet der empörte Aufschrei, dass sie wieder erfolgreich auf der Jagd gewesen war. Als Opfer hatte sie diesmal Johannes Frey auserkoren – Henriettes Freund und Begleiter.

Sie und der Arzt waren sich vor zwei Monaten während einer Zugfahrt begegnet. Sie hatten sich nett unterhalten und dabei festgestellt, dass sie zahlreiche Gemeinsamkeiten teilten. Sie kamen beide aus Bremen, liebten alte Bücher und gutes Essen. Sie hatten sich auf Anhieb gut verstanden. Wenig später wurde sie von Johannes auf ein Wiedersehen eingeladen. Daraus hatte sich eine Beziehung entwickelt, die die Leere in ihrem Leben ausfüllte und Henriette guttat. Sie war gern mit ihm zusammen.

Johannes war Orthopäde und erwog, sich in den nächsten Jahren zur Ruhe zu setzen. Man sah ihm nicht an, dass er bereits auf die sechzig zusteuerte. Er war hochgewachsen, sportlich, und durch seine dunklen Haare zog sich kaum ein graues Haar. Lediglich die goldgerahmte Lesebrille, die er an einem Band um den Hals trug, war ein Zugeständnis an sein Alter. Johannes legte Wert auf gepflegte Kleidung. So waren sein Hemd und seine helle Leinenhose auch jetzt absolut faltenfrei, sie wirkten wie frisch gebügelt und nicht wie nach einem langen Urlaubstag. Dazu hatte er sich einen weißen Pullover um die Schultern gelegt.

Henriette lächelte, als er entrüstet zwischen der davonflatternden Möwe und seiner Semmel hin und her blickte. »Mach dir nichts draus«, tröstete sie ihn. »Wir essen nachher im Restaurant zu Abend. Dann kannst du dir ein Fischgericht bestellen, das dir garantiert nicht von einer Möwe verleidet wird.«

»Du hast recht.« Er lächelte schief. »Das werde ich machen. Unverschämt sind diese Vögel trotzdem.«

»Es liegt in ihrer Natur, sich einen Leckerbissen zu schnappen, wenn sie einen erwischen können.« Henriette trat neben ihn. »Hast du dein geheimnisvolles Geschäft abgeschlossen?«

»In der Tat. Ich habe ein Geschenk für dich gekauft. Hier, mein Schatz.« Er holte ein flaches Kästchen aus seiner Hosentasche und reichte es ihr. Sie hob den Deckel an und stieß sie einen entzückten Laut aus, denn auf einer dünnen Schicht Watte lag ein Mops – kunstvoll gearbeitet aus einem Stück Bernstein! Das Millionen Jahre alte Harz schimmerte geheimnisvoll im Abendlicht.

»Wie hübsch! Ich danke dir, Hannes!« Henriette fiel ihrem Begleiter um den Hals.

»Für dich alles, Liebling.« Er legte ihr einen Arm um die Taille. »Der Verkäufer hat mir übrigens eine Radtour nach Zingst und zu den Sundischen Wiesen empfohlen. Die Strecke soll sehr idyllisch sein. Wollen wir sie uns für morgen vornehmen?«