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Ein Job wie jeder andere? Von wegen! Dr. Julia Sperling springt im Leipziger Zoo für einen Kollegen ein. Gleich an ihrem ersten Tag wird sie zu einem Notfall gerufen – ins Raubtiergehege! Eine weiße Löwin kämpft um ihr Leben, und die Tierärztin muss zu ungewöhnlichen Mitteln greifen, um der Raubkatze zu helfen. Dabei ahnt sie noch nicht, dass der Einsatz erst der Anfang einer Reihe unliebsamer Zwischenfälle ist. Julia forscht nach und kommt hinter ein gefährliches Geheimnis. Zu spät erkennt sie, dass sie dem falschen Freund vertraut hat ...
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Seitenzahl: 144
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Kurzbeschreibung:
Ein Job wie jeder andere? Von wegen! Dr. Julia Sperling springt im Leipziger Zoo für einen Kollegen ein. Gleich an ihrem ersten Tag wird sie zu einem Notfall gerufen – ins Raubtiergehege! Eine weiße Löwin kämpft um ihr Leben, und die Tierärztin muss zu ungewöhnlichen Mitteln greifen, um der Raubkatze zu helfen. Dabei ahnt sie noch nicht, dass der Einsatz erst der Anfang einer Reihe unliebsamer Zwischenfälle ist. Julia forscht nach und kommt hinter ein gefährliches Geheimnis. Zu spät erkennt sie, dass sie dem falschen Freund vertraut hat ...
Katja Martens
Vier Pfoten für Julia
Zoo-Alarm!
Edel Elements
Edel Elements
Ein Verlag der Edel Germany GmbH
© 2017 Edel Germany GmbH Neumühlen 17, 22763 Hamburg
www.edel.com
Copyright © 2017 by Katja Martens
Covergestaltung: Marie Wölk, Wolkenart
Lektorat: Tatjana Weichel
Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.
ISBN: 978-3-96215-048-8
www.facebook.com/EdelElements/
www.edelelements.de/
Dass mir mein Hund das Liebste sei, sagst du, o Mensch, sei Sünde. Mein Hund ist mir im Sturme treu, der Mensch nicht mal im Winde. Franz von Assisi
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
Was wird heute wohl noch alles schiefgehen? Britta Stettner zog ihre Kapuze tiefer in die Stirn und stemmte sich gegen den Sturm, der ihr mit aller Macht entgegenblies und das Atmen schwermachte.
In der Schule angekommen, hatte sie zu spät festgestellt, dass der Hefter mit ihren Physik-Hausaufgaben noch zu Hause lag. Das hatte ihr nicht nur einen Minuspunkt bei Herrn Eckstein, sondern obendrein eine Zusatzaufgabe eingebracht. Dabei musste sie an diesem Nachmittag schon das Porträt für Kunst malen. Das schob sie seit Tagen vor sich her. Egal, wie viel Mühe sie sich gab: Ihr Bild würde am Ende aussehen, als wäre ein Huhn kreuz und quer über das Blatt gehuscht. Im Umgang mit Pinsel und Farben hatte sie zehn linke Daumen. Da konnte sie sich noch so sehr anstrengen. Außerdem wartete daheim noch die Gedichtinterpretation für Deutsch auf sie. Vor den Winterferien wollten die Lehrer es noch mal so richtig wissen.
Bei dem Gedanken an die Ferien sank Brittas Laune noch weiter. Sie hatte sich für ein Praktikum im Leipziger Zoo beworben, aber eine Absage bekommen. Dabei träumte sie schon lange von einer Ausbildung zur Tierpflegerin. Daraus schien jedoch nichts zu werden. Ohne Praktikum würde man sie nicht einmal zum Bewerbungsverfahren zulassen.
Niedergeschlagen stapfte Britta den Waldweg entlang und wechselte die Leinen ihrer drei Schützlinge von der einen in die andere Hand. Sie jobbte neben der Schule als Hundesitter und sparte jeden Cent für die Fahrschule. Wenn sie im Herbst den Führerschein machen wollte, musste sie sich ranhalten.
An diesem Tag betreute sie einen Zwergspitz, einen Labrador und einen Mix, der halb Terrier und halb Wollknäuel war. Die Hunde zerrten an den Leinen und wollten losgelassen werden, aber das war im Naturschutzgebiet streng verboten. Es hieß, dass der Förster auf freilaufende Hunde schoss. Das wollte Britta auf keinen Fall riskieren.
Ein bitterkalter Wind fauchte durch die kahlen Bäume des Leipziger Auwaldes. Das Waldgebiet erstreckte sich im Südwesten der Stadt und wurde von der Pleiße und zahlreichen Wasseradern durchzogen. Im Sommer waren eine Menge Paddler auf dem Fluss unterwegs, aber jetzt im Winter traf man im Wald nur ein paar Jogger.
Mehrere Wege führten zum Cospudener See hinunter. So weit wollte Britta an diesem Tag nicht gehen, sonst würde sie bis in die Nacht über ihren Hausaufgaben sitzen. Außerdem war das neblige Winterwetter alles andere als einladend. Es war so grau, dass es überhaupt nicht richtig hell wurde. Der Schnee weichte allmählich den Stoff ihrer Chucks durch, und die Kälte kroch unter ihren Dufflecoat. Britta sehnte sich nach ihrem mollig warm geheizten Zimmer, einem Becher Kakao und dem Skypen mit ihrer besten Freundin. Sanne verbrachte ein Austauschjahr in Neuseeland und erzählte jeden Tag von neuen Abenteuern. Davon träumte Britta auch, aber damit stieß sie bei ihrem Vater auf taube Ohren. Seitdem ihre Mutter vor einem Jahr gestorben war, ließ er sie nur noch ungern weggehen. Abends nicht – und schon gar nicht für ein paar Monate ins Ausland. Sie wusste, dass er Angst um sie hatte. Manchmal blickte er ganz verloren ins Leere – als könnten seine Augen nie wieder einen frohen Ausdruck annehmen.
Cassy stürmte bellend voraus, sodass der Schnee unter ihren Pfoten aufstob. Britta schreckte aus ihren Gedanken und stutzte. Sie hielt nur noch zwei Leinen in der Hand! Wo war Pepper geblieben? Der Mischling hatte graumeliertes Fell und kluge dunkle Knopfaugen. Er musste ihr entwischt sein!
»Pepper?« Britta blieb stehen und sah sich um. »Wo bist du, Kleiner? Komm her!«
Cassy und Mister T drehten sich nach ihr um, als wollten sie fragen: Was soll der Lärm? Wir sind doch hier!
Britta kniff die Augen zusammen, als der Wind den Schnee von den Ästen über ihr fegte und ihn ihr in die Augen trieb. »Pepper? Komm schon, wir müssen zurück.«
Nur das Heulen des Sturms antwortete ihr.
Die Sechzehnjährige grub die Zähne in die Unterlippe. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie ganz allein im Wald unterwegs war, weit und breit kein Mensch zu sehen. Sie hatte seit zwanzig Minuten niemanden mehr getroffen. Auf einmal fühlte sie sich unbehaglich. Ein ungutes Gefühl ließ ihre Hände kribbeln und ihren Magen verkrampfen. »Pepper? Wo bist du?«
Wieder keine Antwort. Dabei wich ihr der aufgeweckte Mischling sonst nie von der Seite. Was hielt ihn nur fern?
Irgendwo rechts von ihr knackte es im Unterholz.
»Pepper?« Unwillkürlich tastete Britta in der Tasche nach ihrem Handy, fühlte jedoch nichts als Leere. Sie hatte das Mobiltelefon nicht eingesteckt. Es musste noch daheim neben ihrem Laptop liegen. An diesem Tag ging aber auch wirklich alles schief!
Was sollte sie nun tun? Warum hatte sie nicht besser auf Pepper aufgepasst? Sie wusste nicht einmal, wie lange der Kleine schon verschwunden war!
Am besten kehre ich um und laufe auf demselben Weg zurück, den wir gekommen sind, entschied sie. Dann muss ich ihn früher oder später finden. Britta wandte sich um und stapfte zurück. Dabei rief sie wieder und wieder nach dem Hund.
Allmählich sank ihr der Mut. Der Mischling gehörte einer Rentnerin, die auf dem vereisten Gehweg gestürzt war und sich den Fuß gebrochen hatte. Pepper war ihr Ein und Alles, seitdem ihr Mann nicht mehr lebte. Wenn Britta ihren Hund verloren hatte, würde sie untröstlich sein. Das war nicht auszudenken!
»Pepper, komm schon«, flehte sie.
Da hörte sie unvermittelt rechts von sich einen Hund bellen – so weit entfernt, dass es nur gedämpft zu ihr durchdrang. Das konnte Pepper sein, aber sicher war sie sich nicht. Da sie jedoch keine andere Spur hatte, blieb ihr nichts anderes übrig, als den Lauten zu folgen und auf das Beste zu hoffen.
Britta verließ den Weg und stapfte mit den beiden Hunden an der Leine quer durch den Wald. »Pepper?« Das Bellen wurde lauter und aufgeregter. Hoffnung durchflutete sie wie heller Sonnenschein ein dunkles Zimmer. Das musste Pepper sein. Er musste es einfach sein!
Sie lief schneller. Tiefhängende Zweige zerkratzten ihre Wangen und rissen ihr die Hände auf, aber dem schenkte sie keine Beachtung. Schnee rieselte von den Bäumen herab. Vermutlich würde sie nachher aussehen, als hätte man sie an einen Bus gebunden und kilometerweit durch Dreck und Schneematsch geschleift, aber das war ihr egal, solange sie nur Pepper wiederfand!
Das Bellen kam nun immer näher. Britta duckte sich unter den Zweigen einer Kiefer weg, deren Nadeln in ihre Hände stachen. Da tauchte endlich ein dunkles Fellbündel vor ihr auf und stürmte auf sie zu. Pepper! Die beiden anderen Hunde beschnupperten ihren Freund schwanzwedelnd wie einen lange vermissten Kameraden. »Da bist du ja!« Aufatmend bückte sich Britta und streichelte den Mischling. »Wo warst du nur? Du hast mir Angst gemacht, weißt du das?«
Pepper wedelte mit der Rute, ehe er sich umwandte und ein paar Schritte davonlief. Dann blieb er stehen und blickte sich nach ihr um.
Britta stutzte. »Was ist denn los? Willst du mir etwas zeigen?«
Pepper stürmte weiter. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihm mit den anderen beiden Hunden zu folgen. Er durfte sich nicht schon wieder aus dem Staub machen! »Warte! Pepper! Wo willst du denn hi… Oh nein!« Vor ihr tauchte etwas Dunkles im Schnee auf. Ihr Gehirn weigerte sich, das Bild zu erfassen. Erst allmählich sickerte die Erkenntnis in ihr Bewusstsein, dass etwas Furchtbares geschehen war. Etwas, das sich nicht wiedergutmachen ließ.
Unter den tiefhängenden Zweigen einer Fichte lag ein Mensch. Ein Mann, der kräftigen Statur nach zu urteilen. Er lag mit dem Gesicht nach unten und regte sich nicht. Sein rechter Fuß war nur mit einer Ringelsocke bekleidet. Schnee bedeckte seinen dunklen Mantel, dabei hatte es schon vor Stunden aufgehört zu schneien. Das ließ nur einen Schluss zu: Der Unbekannte musste schon länger hier liegen!
Britta war vor Entsetzen wie gelähmt. Die Gedanken jagten wie Blitze durch ihren Kopf. Was sollte sie nun tun? Ihm helfen? Konnte sie das überhaupt? Oder sollte sie besser fliehen? Was, wenn er umgebracht worden war? Hielt sich der Täter noch in der Nähe auf? Oder war er längst über alle Berge?
Schaudernd drehte sie den Kopf nach links und rechts. Niemand zu sehen, doch das musste nichts heißen.
Weg hier, trieb ihr erster Impuls sie an, aber sie zögerte. Falls der Fremde noch lebte, musste sie ihn umdrehen, sonst würde er mit dem Gesicht im Schnee unweigerlich ersticken!
»Hallo?«, wisperte sie und trat zaghaft einen Schritt näher an ihn heran. »Kann ich … Ihnen helfen?«
Der Fremde reagierte nicht. Mit wild pochendem Herzen bückte sich die Schülerin und streckte eine Hand nach ihm aus. Sie zitterte am ganzen Körper. Die Hunde bellten. Beherzt packte Britta den Fremden bei der Schulter und versuchte ihn so gut es ging auf den Rücken zu drehen, doch er war einfach zu schwer. Immerhin konnte sie für einen kurzen Moment sein Gesicht sehen. In der nächsten Sekunde machte sie jedoch einen Satz nach hinten, sodass sie in den Schnee stürzte. Nein, diesem Mann war nicht mehr zu helfen.
Britta hatte in die trüben Augen eines Toten geblickt.
Schäumend schlugen die Wellen der Ostsee an das Ufer. Der Sturm blies von Norden über den Darß, trieb das Meer auf und zerrte an den Kiefern, sodass sie sich ächzend neigten. Gischt sprühte. Die Luft war schneidend kalt und roch nach Salz und Tang.
Julia Sperling zog fröstelnd die Schultern hoch und vergrub die Hände tiefer in den Taschen ihres Mantels. Sie wünschte sich, sie hätte daran gedacht, ihre Handschuhe mitzunehmen, als sie zu ihrem Spaziergang mit Raudi aufgebrochen war. Der Französischen Bulldogge schien die Kälte nichts auszumachen. Raudi stürmte voraus und wühlte im Sand, sodass die Körner nach allen Seiten flogen. Dann hob er den Kopf und stellte seine Fledermausohren auf, als würde er in den Sturm hineinlauschen, nur um im nächsten Augenblick mit seiner Beschäftigung fortzufahren. Er hatte sichtlich Spaß daran.
Wehmütig sah ihm die Tierärztin beim Spielen zu. In wenigen Stunden würden sich ihre Wege trennen …
Schnee lag auf dem Darß schon seit Tagen keiner mehr. Die Meteorologen sagten allerdings für das Wochenende neue Niederschläge voraus, dann würde es sicherlich noch einmal weiß werden. Der bitterkalte Wind verriet, dass der Winter noch nicht bereit war, dem Frühling zu weichen. Doch wenn es wieder schneite, würde Julia schon nicht mehr hier sein.
Die Tierärztin blieb neben ihrem Hund stehen und zog ihr Mobiltelefon aus der Tasche. Vor dem nächsten Anruf grauste es ihr, aber das half nun alles nichts. Sie hatte noch nie etwas auf die lange Bank geschoben – und sie würde jetzt bestimmt nicht damit anfangen! Entschlossen drückte sie eine Kurzwahltaste und hörte das melodische Wählgeräusch im Hörer. Es klingelte zweimal, dann meldete sich die warme, ein wenig raue Männerstimme ihres Freundes, die Julia an heiße Schokolade mit dunklen Schokoladensplittern denken ließ.
»Wann soll ich dich abholen, Liebes?« Ein Lächeln schwang in Marcs Stimme mit. Der Klang war Julia so vertraut, als würden sie einander schon jahrelang kennen, dabei war sie dem Polizisten erst vor wenigen Monaten bei ihrem Einsatz im Bayerischen Wald begegnet. Gemeinsam mit Marc hatte sie eine Serie von Tiermisshandlungen aufgeklärt und sich dabei in ihn verliebt. Ihre Beziehung war jedoch nicht frei von Schwierigkeiten. Julias Einsätze führten sie in die entlegensten Teile der Republik. Dadurch sah sie ihren Freund oft wochenlang nicht. Außerdem hatte Marc den Tod seiner Frau noch nicht verwunden. Es fiel ihm schwer, wieder jemanden in sein Leben zu lassen – und in das Leben seiner Tochter. Einen wichtigen Schritt hatten sie jedoch schon getan: Zu Weihnachten hatte Marc sie überraschend gefragt, ob sie zu ihm ziehen wollte, und Julia hatte ja gesagt.
Zu dem Umzug war es allerdings noch nicht gekommen. All ihre Sachen und Bücher lagen noch hier in Prerow. Sie besaß noch nicht einmal einen Schlüssel für Marcs Haus.
»Julia?«, hakte er besorgt nach, als sie nichts sagte.
»Was? Oh. Ich … es tut mir leid, aber ich werde dich am Wochenende nicht besuchen können.«
»Schon wieder nicht?« Seine Enttäuschung war nicht zu überhören. »Was ist es denn diesmal?«
»Ich habe einen neuen Auftrag bekommen. In einem Tierpark ist kurzfristig der Tierarzt ausgefallen. Nun suchen sie händeringend nach einer Vertretung.«
»Und du hast schon zugesagt.« Er seufzte leise. »Ich dachte, wir machen uns ein paar schöne Tage, wenn du Lotta und mich besuchst. Ich wollte dir endlich deinen Schlüssel geben. Außerdem habe ich eine Überraschung für dich geplant.«
»Können wir das verschieben? Im Zoo werde ich dringend gebraucht. Dort werde ich eine Menge über exotische Tiere lernen können. So nah an Elefanten und Krokodile komme ich so schnell nicht wieder heran.«
»Ich verstehe schon. Wann kannst du dann herkommen?«
»Ich weiß noch nicht, wann ich freihaben werde. Nächste Woche vielleicht. Spätestens in zwei Wochen.«
»Du fehlst mir, Julia. Ich denke oft an dich und frage mich, wie es dir geht und was du gerade tust.«
»Ich vermisse dich auch.«
»Wirklich?«
»Zweifelst du etwa daran?«
»Es fällt mir gerade ziemlich schwer, das nicht zu tun. Du verschiebst deinen Besuch bei uns nun schon seit Wochen, ganz zu schweigen von deinem Einzug. Hast du es dir anders überlegt? Sag es mir bitte, Julia. Wir können über alles reden, aber ich muss wissen, was in dir vorgeht.«
»Es ist wirklich nur die Arbeit«, versicherte Julia und verspürte mit einem Mal einen Stich tief im Inneren. Stimmte das? Oder hatte sie etwa Angst? Fürchtete sie, sich auf einen Mann einzulassen und wieder verletzt zu werden? Wie von ihrem früheren Freund?
Sekundenlang schwiegen sie beide.
Die Stille wurde immer unangenehmer, je länger sie andauerte.
Schließlich hielt Julia es nicht mehr aus und räusperte sich. »Wie geht es Lotta?«
»Schon besser. Ihr Infekt ist fast weg. Morgen müssen wir noch einmal zum Kinderarzt, aber ich denke, das Schlimmste ist überstanden.«
»Das freut mich zu hören. Also ist sie wieder munter?«
»Wie man’s nimmt. Ihre Katze wird vermisst. Seit Tagen ist sie nicht nach Hause gekommen. Ich fürchte, sie ist weggelaufen oder wurde überfahren.«
»O nein! An Luna hängt ihr ganzes Herz. Lotta muss am Boden zerstört sein.«
»Und ob. Wir haben draußen alles abgesucht, aber die Mieze ist spurlos verschwunden. Mir ist klar geworden, es war zu früh für ein Haustier. Lotta ist einfach noch zu klein.«
»Glaubst du nicht, dass sie mit ihren fünf Jahren …«
»Nein. Ich hätte gar nicht erst nachgeben dürfen. Sie hat schon ihre Mutter verloren. Ich will nicht, dass sie noch einmal jemanden hergeben muss, den sie liebt. Vorerst kommt uns kein neues Haustier in die vier Wände.« Marc stieß hörbar den Atem aus. »Aber nun erzähl mal: Wohin führt dich dein neuer Auftrag?«
»Nach Leipzig. Der Zootierarzt ist krank geworden, und ich soll für ihn einspringen. Das ist eine große Herausforderung.«
»Ausgerechnet Leipzig? Ist das dein Ernst?«
»Was spricht denn dagegen?«
»In der Zeitung stand heute Morgen, dass eine Schülerin im Leipziger Stadtwald einen Toten gefunden hat. Die Polizei konnte bisher noch nicht ausschließen, dass ein Verbrechen vorliegt.«
»Willst du mir etwa Angst machen?«
»Ich will nur, dass du auf dich aufpasst. Möglicherweise läuft in der Stadt ein Mörder frei herum.«
»Vielleicht war es auch nur ein Unglücksfall.«
»Sei trotzdem auf der Hut, ja? Du bist manchmal zu leichtfertig, Julia.«
»Nur weil ich nicht ständig vom Schlimmsten ausgehe so wie du?« Julia krauste die Stirn. Sein Vorwurf traf sie. Leichtfertig? Sah er sie wirklich so?
Er lenkte sogleich ein, dass er sich nur Sorgen um sie machte. Trotzdem hatte sich ein Misston in ihr Gespräch geschlichen. Von Angesicht zu Angesicht hätten sie es vielleicht ausräumen können, aber am Telefon war das nicht so einfach.
»Telefonieren wir morgen wieder?«, fragte er. »Ruf mich an, sobald du in Leipzig angekommen bist, ja?«
»Das mache ich«, versprach sie ihm bedrückt. Sie würden sich am Wochenende wieder nicht sehen, was allein an ihr lag. In den vergangenen Wochen war ihr häufig etwas dazwischengekommen. Diesmal hatte sie fest vorgehabt, Marc zu besuchen, aber dieser Auftrag in Leipzig … den konnte sie sich einfach nicht entgehen lassen.
Sie verabschiedeten sich voneinander, aber das wirklich Wichtige schien ungesagt zu bleiben.