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AM UFER WINKT UNENDLICHKEIT ist ein phantastischer Erzählband von den Autoren Herbert W. Franke, Gerd Maximovic und Peter Schattschneider, die hier mit einer kleinen Auswahl ihrer Prosatexte bedacht werden.
Alle drei Autoren sind im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus seit Jahrzehnten bestens bekannt. Sei es Peter Schattschneider, dessen Erzählungen genau wie die des geschätzten Kollegen Gerd Maximovic die Phantastische Bibliothek des Suhrkamp Verlages bereicherten, oder Herbert W. Franke, der viele Jahre die Science-Fiction & Fantasy-Reihen des Heyne Verlages als Herausgeber mitbetreute.
Die hier vorgelegte kleine Auswahl kann natürlich nur dürftig das weite Feld phantastischer Erzählungen skizzieren und inhaltlich spannt sich der Bogen von der Science-Fiction bis zum Grenzbereich der Weird-Fiction.
In diesem Band sind folgende phantastische Erzählungen enthalten:
› Der dunkle Planet – von Herbert W. Franke;
› Frankenstein und Co. – von Gerd Maximovic;
› Der Traum des Philosophen – von Peter Schattschneider;
› Warum schießt du nicht auf Peggy? – von Herbert W. Franke;
› Das Ding, das vom Himmel fiel – von Gerd Maximovic;
› Selbstgespräch mit Protoplasma – von Peter Schattschneider;
› Sprung ins Nichts – von Herbert W. Franke;
› Problemfall Großer Hundeplanet – von Gerd Maximovic;
› Pflegeleicht! – von Peter Schattschneider;
› Kursänderung – von Herbert W. Franke;
› Expedition in die Vergangenheit – von Gerd Maximovic;
› Scotty – von Peter Schattschneider;
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Herbert W. Franke / Gerd Maximovic / Peter Schattschneider
Am Ufer
winkt
Unendlichkeit
12 ausgewählte phantastische Erzählungen
Illustrierte Sonderausgabe
Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv
Cover: © by Steve Mayer nach Motiven, 2022
Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang
Erzählungen von Herbert W. Franke mit freundlicher Genehmigung von p.machinery/Michael Haitel, Werksausgabe AndroSF
Die Erzählungen von Gerd Maximovic sind den Erzählbänden der Gesamtausgabe in der Edition Bärenklau und dem Romankiosk entnommen.
Die beiden Erzählungen Der Traum des Philosophen und Scotty von Peter Schattschneider sind Erstveröffentlichungen mit freundlicher Genemigung des Autors.
Die Handlungen dieser Geschichten sind frei erfunden sowie die Namen der Protagonisten. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht gewollt.
Hinweis: Die von dem Künstler Steve Mayer beigesteuerten Illustrationen zwischen den Texten stehen in keinem Zusammenhang zu den jeweiligen Erzählungen.
Alle Rechte vorbehalten
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Das Buch
Der dunkle Planet
Frankenstein und Co.
Der Traum des Philosophen
Warum schießt du nicht auf Peggy?
Das Ding, das vom Himmel fiel
Selbstgespräch mit Protoplasma
Sprung ins Nichts
Problemfall Großer Hundeplanet
Pflegeleicht!
Kursänderung
Expedition in die Vergangenheit
Scotty
Zusätzliche Quellenangaben zu den Beiträgen
AM UFER WINKT UNENDLICHKEIT ist ein phantastischer Erzählband von den Autoren Herbert W. Franke, Gerd Maximovic und Peter Schattschneider, die hier mit einer kleinen Auswahl ihrer Prosatexte bedacht werden.
Alle drei Autoren sind im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus seit Jahrzehnten bestens bekannt. Sei es Peter Schattschneider, dessen Erzählungen genau wie die des geschätzten Kollegen Gerd Maximovic die Phantastische Bibliothek des Suhrkamp Verlages bereicherten, oder Herbert W. Franke, der viele Jahre die Science-Fiction & Fantasy-Reihen des Heyne Verlages als Herausgeber mitbetreute.
Die hier vorgelegte kleine Auswahl kann natürlich nur dürftig das weite Feld phantastischer Erzählungen skizzieren und inhaltlich spannt sich der Bogen von der Science-Fiction bis zum Grenzbereich der Weird-Fiction.
In diesem Band sind folgende phantastische Erzählungen enthalten:
› Der dunkle Planet – von Herbert W. Franke
› Frankenstein und Co. – von Gerd Maximovic
› Der Traum des Philosophen – von Peter Schattschneider
› Warum schießt du nicht auf Peggy? – von Herbert W. Franke
› Das Ding, das vom Himmel fiel – von Gerd Maximovic
› Selbstgespräch mit Protoplasma – von Peter Schattschneider
› Sprung ins Nichts – von Herbert W. Franke
› Problemfall Großer Hundeplanet – von Gerd Maximovic
› Pflegeleicht! – von Peter Schattschneider
› Kursänderung – von Herbert W. Franke
› Expedition in die Vergangenheit – von Gerd Maximovic
› Scotty – von Peter Schattschneider
***
von Herbert W. Franke
In ihren unförmigen Raumanzügen standen sie inmitten einer kahlen Landschaft. Der flache, gesinterte Boden war von Meteoriteneinschlägen durchpflügt. Manche der Löcher, wie Wunden von Krustenrändern umgeben, reichten in unbestimmte Tiefen hinab. Bei jedem Schritt, den sie mit weichen Knien versuchten, knirschte es unter den Sohlen. Sie hörten es kaum, aber sie spürten das Reiben und Mahlen.
Brock sprach als Erster. »He, Culler, hörst du mich?«
Keine Antwort. Der andere bewegte sich nicht, schien starr in die Ferne zu blicken – auf die Ebene hinaus, hinüber zu den aufgeworfenen Kratern.
»Hallo, Culler!« Brock fiel ein, dass er die Sprechtaste in seinem Handschuh drücken musste. Jetzt kam die Antwort sofort.
»Bist du endlich wach, Alter? Wie fühlst du dich? Bei mir ist alles in Ordnung. Ein bisschen wirr im Kopf – als wäre ich betrunken.«
»Mir geht es ebenso. Ein seltsamer Zustand. Nicht gerade angenehm! Vielleicht gewöhnt man sich daran.«
Er blieb sachlich, aber eine Welle der Sympathie schwang in ihm hoch. Es war gut, mit jemand sprechen zu können.
Wie auf ein Zeichen wandten sie sich dem grauen Kasten zu, der auf drei Beinen neben ihnen stand. Culler schaltete auf Sendung, zählte zur Abstimmung – der grüne Lichtring schloss sich, ein paar Zeiger schlugen aus.
»Jetzt bleibt uns nichts übrig, als zu warten.« Brock blickte auf die Armbanduhr, die er durch eine durchsichtige Manschette an seinem Ärmel ablesen konnte. »Drei Stunden noch.«
Irgendwo am Himmel über ihnen hing der Planet. Sie konnten ihn nicht sehen; er war zu weit von der dunkelrot glühenden Sonne entfernt, die als riesige Scheibe am Horizont zu liegen schien. Selbst hier, in ihrer Nähe, reichte der Schein nur für eine matte Dämmerung. Felsflächen mit rotem Samtbelag, grauschwarze, verschwimmende Schatten – ein unheimliches, drohendes Gemälde.
»Dass es gerade hier Leben gibt!«, murmelte Culler und deutete vage nach oben. »Wie ernähren sie sich? Wie konnten sie eine Zivilisation aufbauen? Es sind doch kultivierte Wesen – oder nicht?«
»Wenn wir Glück haben, werden wir es bald wissen … in ein paar Stunden.«
Die Zeit verlief langsam. Sie hatten sich auf eine Stufe gesetzt, eine zusammengesinterte Masse, fladenartig erstarrt, der Auswurf eines Vulkans oder auch ein Lavaklumpen, durch einen Meteoriteneinschlag aus der Tiefe gerissen, emporgeschleudert, herabgestürzt, verformt, verfestigt.
Dreißig Grad absolut.
Eineinhalbfache Schwerkraft.
Die beiden Menschen waren müde. Sie hatten eine anstrengende Schulung hinter sich. Und einen ungewöhnlichen Stress.
»Woran erinnerst du dich noch, Alter?«, fragte Culler. Er war nur zwei Jahre jünger als Brock, aber er nannte ihn ›Alter‹.
»Ich weiß nicht recht …«, antwortete Brock. Er durchforschte sein Gehirn. Gewiss – er erinnerte sich an Worte, an Handgriffe, an Verhaltensweisen. Er kannte Zahlen, Daten, Formeln, konnte Sender bedienen und den Kommunikator programmieren. Er konnte logisch denken, wusste, worauf er achten musste, um richtig zu handeln, kannte Warnsignale, Anzeichen für Gefahr. Er wusste die Botschaft auswendig, die zu überbringen war, die Vorschläge für den Austausch an technischem Wissen, er konnte verhandeln. Und natürlich kannte er seinen Freund Culler … aber was wusste er wirklich von ihm? Er war nett, hilfsbereit – aber woher kam er, was hatten sie zusammen erlebt? Mit Bestürzung stellte er fest, dass Culler eigentlich ein Fremder war.
Und er selbst? Wer war er selbst? Wo war er zu Hause? Hatte er Freunde, Familie? Plötzlich war ihm, als hätte man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen. Sein Gedächtnis war leer, ausgehöhlt. Eine beängstigende Unsicherheit erfasste ihn, ein Schwindelgefühl. Er klammerte sich mit den steifen Handschuhen an den rauen Fels, um Halt zu finden.
»Was ist mit dir los?«, hörte er Culler aus weiter Ferne. »Du atmest so laut. Fühlst du dich nicht wohl?«
Nichts merken lassen, befahl sich Brock. Vielleicht empfindet er es nicht, und das ist gut so. Du wirst dich zusammennehmen, und gleich ist es vorbei!
Der Kugelhelm Cullers erschien vor seinen Augen, eine blinkende Glaswölbung, dahinter das breite Gesicht des Gefährten.
»Bist du jetzt erst draufgekommen, dass wir völlig abgeschnitten sind? Ich musste schon vorhin dran denken. Plötzlich empfindet man es. Aber es ist wie Schwerelosigkeit … ein paar Stunden ohne Halt, und dann ist alles wie vorher. Ich habe mich gleich wieder beruhigt. Ich weiß auch nicht mehr, was vorher war, aber an eins erinnere ich mich: Wir haben uns auf unsere Aufgabe gefreut!«
Er hat recht, dachte Brock. Sie hatten sich gefreut … ja, sie hatten sich sogar freiwillig gemeldet, jetzt fiel es ihm wieder ein. Konnte er noch weitere Erinnerungen herbeizwingen? Er strengte sich an, Schweißperlen wuchsen auf seiner Stirn. Vergebens. Er stieß ins Leere. Die Vergangenheit war tot.
»Vielleicht gelingt es uns, ein Abkommen zu schließen«, drängte Culler. »Denk daran: Zum ersten Mal treffen wir Intelligenzen, die nicht menschenartig sind. Was für Aussichten für die Zukunft!«
»Du hast recht«, sagte Brock laut. Er wollte sich selbst überzeugen, und er fühlte, dass ihm die Worte Cullers guttaten. Allmählich überwand er den Anfall von Beklemmung. Wieder konzentrierte er sich: die Funksignale aus dem Raum; die Zeichenmuster, die sie aussandten, und das Echo, das sie auffingen; die Ortung des dunklen Planeten; die Fortschritte in der Kommunikation …
Jetzt merkte er, dass die Vergangenheit nicht tot war – nur ein Teil von ihr, und das hatte seinen Grund. Die Wissenschaftler hatten die Strategie eines Kontakts mit fremden Intelligenzen minutiös ausgetüftelt. Ihr erstes Gebot war Vorsicht.
»Es ist nicht unbedenklich, das Gedächtnis von Unterhändlern zu löschen. Es bringt uns Nachteile bei der Verhandlung. Wie sollen wir wissen, ob wir uns richtig verhalten?«
»Du warst einverstanden«, erinnerte Culler. »Ob es nötig ist, weiß niemand. Aber wir dürfen nicht leichtsinnig sein. Wir dürfen nicht von vornherein annehmen, dass uns fremde Wesen freundlich gesinnt sind.«
»Vielleicht doch«, widersprach Brock. »Wesen, die eine gewisse Kulturstufe erreicht haben, können keine zerstörerischen Absichten haben. Sie müssen wissen, dass jeder Konflikt auf die Dauer allen Beteiligten schadet. Kybernetische Überlegungen beweisen …«
»Aber, Alter«, unterbrach ihn Culler, »jetzt ist es mit der Theorie vorbei. Der Realfall ist eingetreten. Und wenn du recht hast – umso besser. Dann wissen wir morgen wieder, wohin wir gehören.«
»Das ist richtig«, sagte Brock. »Entschuldige. Ich war etwas durcheinander. Es ist schon vorbei.«
Sie schwiegen wieder.
Von Zeit zu Zeit blickten sie hinauf. Das schwache Licht konnte die Sterne nicht überdecken. Auf einem grauen Himmel saßen die trüben Lichtpunkte wie hingeklebt. Keine Strahlen, kein Gefunkel, von einer bewegten Atmosphäre angeregt. Brock vermisste etwas in den glimmenden Mustern, aber er wusste nicht was.
Culler stand auf, ging ein paar Schritte über den durchlöcherten Boden. Er hob ein paar Splitter auf und warf sie wieder weg. »Keine Spur von Leben. Alles tot. Eruptivgestein. Sinterdecken. Das muss einmal eine Seelandschaft gewesen sein. Aber kein Wasser – Lavalachen.«
Seine Stimme kam laut und deutlich aus Brocks Helmlautsprecher. Die Regulation des Verstärkers arbeitete fehlerlos.
»Wie stellst du sie dir vor?«, fragte Brock.
Culler wusste, wer gemeint war. »Ich kann sie mir nicht vorstellen. Sicher sehen sie völlig anders aus als wir. Schon wegen der Schwerkraft … fünf g – sie dürften gedrungen sein. Ich glaube nicht, dass sie aufrecht gehen. Vielleicht kriechen sie. Kräftige, plumpe, kriechende Wesen, das ist das Wahrscheinlichste.«
»Aber woraus bestehen sie? Ihr Metabolismus? Kohlenstofforganisch … unmöglich. Der Planet ist radioaktiv – für uns eine Hölle. Und ihr Metabolismus? Sie haben kein Sonnenlicht. Ein Leben im Dunkel – eine entsetzliche Vorstellung. Vielleicht orientieren sie sich durch Geräusche … Echolotung, wie die Fledermäuse – das wäre möglich.«
»Wenn sie andere Sinne haben, vielleicht denken sie auch anders? Die Vorstellungswelt ist durch die Wahrnehmung bestimmt. Vielleicht finden wir überhaupt keine Verständigungsbasis.«
»Es wird nicht leicht sein. Über den Austausch mathematischer und physikalischer Formeln sind wir bisher nicht hinausgekommen. Und dennoch – da waren schon ein paar dicke Brocken dabei: der große fermatsche Satz, die Zeitabhängigkeit der Gravitationskonstante. Und ihre Fassung der Relativitätstheorie – Respekt!«
»Wichtiger ist, dass sie weder Wasser noch Methan oder Ammoniak erwähnten. Dagegen scheinen sie Experten in Festkörperphysik zu sein.« Culler stieß ein Stück Bimsstein mit dem Fuß beiseite. Er drehte sich um und kam langsam zurück.
Auch Brock stand auf und reckte sich. Das erhöhte Gewicht störte beim Sitzen mehr als beim Stehen und Gehen. »Das alles ist beachtlich. Viel interessanter aber wäre ihre Psychologie, ihre Sozialstruktur. Wie werden sie sich uns gegenüber verhalten?« Er forschte nach Anhaltspunkten. Besaßen sie überhaupt keine Informationen über die Geisteshaltung der Fremden? Diese hatten prompt geantwortet, waren auf alle Anregungen zur Verständigung eingegangen. Sie waren intelligent, aber … Brock merkte, dass ein vages Unbehagen in ihm aufstieg. War da nicht etwas Beunruhigendes gewesen, etwas Bedrohliches? Jetzt, da er diesen Rest einer Erinnerung aufgespürt hatte, wurde es langsam deutlicher … da gab es doch einen schwerwiegenden Tatbestand … Hatten nicht schon welche vor ihnen …
Culler war wieder an den Kommunikator getreten. Er prüfte die Spannung, stellte auf Sendung, auf Empfang: Im Kopfhörer wurde ein unangenehmes Rauschen und Prasseln laut. Wie ein Wasserfall klang es, und im Hintergrund hörte man etwas wie menschliche Stimmen. Aber es war eine Täuschung. Der Sprachtransformator war nicht eingestellt.
Brock drückte den Knopf »… derzeit kein Empfang, kein Empfang, nur Untergrund, kein Empfang …«
Es klang unpersönlich wie eine Ansage … ja, wo? Brock wusste es nicht, und in einem ärgerlichen Impuls stellte er hastig ab.
»Jetzt könnten sie bald kommen«, meinte Culler mit einem Blick auf die Uhr. Er deutete hinaus auf die Ebene – dort lag die Landefläche, die Koordinaten waren genau vereinbart. Der raue Fels schimmerte weißlich-rot, auch dieses Areal war nicht frei von Löchern, aber es gab keine größeren Krater und Risse. Eine Sonde hatte den Platz ausgesucht, und es bestand kein Zweifel – er war der bestmögliche.
Fünfhundert Meter vor ihnen sollte das Raumschiff aufsetzen. Sie mussten hier warten, bis das Zeichen kam – ein Signal über Funk. »Die Sicht ist nicht gut«, bemerkte Culler. »Ich möchte wissen, warum wir gerade hier warten müssen. Dort drüben, von dem flachen Hügel aus, könnte man die Landung besser beobachten. Gehen wir einmal hinüber? Ein Überblick über das Landefeld könnte nicht schaden.«
Sie brachen auf, hintereinander. Sie hatten es nicht eilig, sie stapften über die brüchigen Krusten, sprangen mühsam, aber zielsicher über Klüfte, wichen Einbrüchen aus. Sie waren geübt, sie merkten es, obwohl sie nicht hätten sagen können, woher ihre Erfahrungen stammten. Die Behandlung ihrer Gehirne musste mit größter Akribie erfolgt sein – sie hatten ihre Fähigkeiten, die allgemeinen Kenntnisse behalten, nur das historische und persönliche Wissen war gelöscht. Oder handelte es sich um einen Psychoblock, um eine Sperre? Brock glaubte es nicht – eine hoch entwickelte Biotechnik könnte über Methoden verfügen, um Information aus den Speichermolekülen zu holen – selbst wenn der Weg zum Bewusstsein gesperrt war. Aber bedeutete das nicht, dass sie ganz von vorn anfangen mussten – zu lernen, Freunde zu finden, Vertrauen zu fassen? Hoffentlich lohnte sich der Einsatz!
Sie langten am Hügel an, stiegen die Schräge eines Felsdachs hinauf. Jetzt dehnte sich die Landefläche unter ihnen – sie glich einer Schießscheibe mit unzähligen Einschüssen. Weiter hinten lag ein Gebirgszug, ein schwarzes, gezacktes Sägeblatt unter einem Saum von Gegenlicht.
»Komm her, Alter! Schau dir das an!«, rief plötzlich Culler. Er war einige Schritte weitergegangen und hielt nun vor einer Mulde im Hang, zu der die Einsicht bisher versperrt gewesen war. Darin stand ein metallisches Gebilde, ein Gehäuse, auf einem Betonsockel verankert, ein kurzes Rohr ragte schräg in die Höhe, gegen die Ebene gewandt.
»Was ist das?«
Die beiden wussten es nicht, aber der Fund brachte in ihnen eine missklingende Saite zum Schwingen. Culler kletterte auf einen Block und verfolgte die Richtung des Rohres. Es zeigte genau auf den Landeplatz der Fremden vom dunklen Planeten.
Schweigend kehrten sie zum Sender zurück.
»Da – sie kommen!«, rief Culler. Er hob den Arm.
Das fremde Raumschiff näherte sich. Es war nicht als Körper zu erkennen, aber es verdeckte die Sterne; nacheinander verschwanden sie längs eines weit gespannten Bogens und tauchten wieder auf. Dann erschien ein Schatten vor dem staubgrauen Himmel. Langsam senkte er sich.
Brock blickte auf die Uhr. Sie waren pünktlich. Er stellte auf Empfang.
»… in fünf Minuten landen wir … in vier Minuten fünfzig Sekunden … vierzig Sekunden …«
»Wir erwarten euch«, erwiderte Brock. Beide standen aufrecht auf dem breiten Sockel, auf dem sie vorher gesessen hatten, und beobachteten die Landung. Das Schiff war flach, ein klobiger Körper, von einer Art Doppelreifen umgeben. Nichts ließ darauf schließen, dass etwas Lebendiges hinter diesen Wänden steckte. Nichts regte sich – kein Düsenstrahl, kein Licht. Das Raumschiff sank rasch, aber es setzte nicht auf, sondern schien knapp über dem Boden zu halten.
»… Landung beendet … fertig zur Kontaktaufnahme … bitte Annäherung wie vereinbart …«
Wie vereinbart: An das Raumschiff herangehen; in einer Entfernung von hundert Metern stehen bleiben; Verständigungsprobe über den Kommunikator der Fremden; und dann, wenn alles wie erwartet verlief, Einstieg in das Raumschiff, Flug zum dunklen Planeten.
Brock und Culler gingen los, wieder hintereinander, Brock voran, Culler dahinter. Brock spürte jetzt keine Nervosität mehr. Er war kalt und entschlossen. Im starren Gehäuse des Raumanzugs hörte er sein Herz schlagen, vielleicht etwas schneller als sonst, aber kräftig und gleichmäßig. Sein Blick hing am dunklen Schatten des Raumschiffs, das unbeweglich über dem Boden zu hängen schien. Noch immer rührte sich nichts. Sie gingen nicht langsam, aber auch nicht schnell, ruhig, vorsichtig, nach allen Seiten sichernd. Jetzt lief die Aktion, und nichts hielt sie mehr auf. Würden im Raumschiff die Voraussetzungen für menschliches Leben gegeben sein? Sie würden es prüfen – in ihre Raumanzüge eingebaut trugen sie alle erforderlichen Messgeräte. Aber was war schon zu befürchten? Die anderen wussten, dass sie auf eine Schwerebeschleunigung von einem g angelegt waren und dass die Hitze nicht viel über dreihundert Grad Celsius absolut gehen durfte. Alles andere würden notfalls die Raumanzüge ausgleichen.
Das Schiff war größer als sie erwartet hatten. Als sie die vorgeschriebene Entfernung von hundert Metern erreicht hatten, ragte es hoch über ihnen auf. Es schwebte nicht, es lag auf einem Kranz spinnwebdünner, weit ausladender s-förmiger Federn.
Sie hielten.
»Verständigungsprobe … bitte kommen!«
»Wir verstehen gut … wir bereiten den Einstieg vor.«
Noch immer blieb es dunkel, aber es entrollte sich ein Band – man sah nun Konturen –, es näherte sich ihnen auf wenige Schritte. Eine Treppe? Eine Rollbahn?
»Bitte, auf die Schiene treten! Wir öffnen die Luke.«
Der Augenblick war da, auf den sie so lange gewartet hatten. Sie mussten sich einen inneren Ruck geben, um vorzutreten … Und dann kam es, was sie unterbewusst befürchtet hatten … Die Geigerzähler schlugen aus. Nicht allmählich ansteigend, sondern sofort auf einen Pegel springend, der hart an der Messgrenze lag. Es war ein tödlicher Hagel von Strahlung, der auf sie einschlug, durch die Bleifütterung der Anzüge zwar gedämpft, aber nur wenige Sekunden, höchstens eine halbe Minute erträglich …
Alarm!
Brock fühlte, dass das Bewusstsein des Angriffs eine Sperre in ihm öffnete. Er hatte einen posthypnotischen Befehl bekommen: im Fall eines Angriffs – eine letzte Rückversicherung … Sein Körper krümmte sich, sein Arm streckte sich aus, um die Verbindung zwischen dem Metallnippel am Handrücken und der Kontaktplatte in der Kniebeuge herzustellen und das in der Mulde versteckte Geschütz zum Feuern zu bringen – da blitzte ein Gedanke auf, ein Film logischer Schlüsse: radioaktives Milieu – Anpassung – Nutzung der Gegebenheiten – Sinnesorgane – Wahrnehmung … es ist das Medium ihrer Wahrnehmung: Sie sehen mit der Gammastrahlung, die aus dem Innern ihres Planeten dringt … sie beleuchten unseren Weg … sie haben Licht eingeschaltet!
»Strahlung abstellen! Sofort! Sie ist lebensgefährlich! Abstellen …« Er stand gebückt da, die Hand in Kniehöhe, bereit, den Feuerstoß auszulösen.
Er zählte die Sekunden … er gab ihnen zehn …
Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs …
Unvermittelt hörte das Knattern des Geigerzählers auf. Sie hatten verstanden! Es war kein Überfall – sie waren ihnen freundlich gesinnt … es war nur ein Versehen, eine Unachtsamkeit. Zweifellos würde es weitere geben, Missverständnisse, Irrtümer, aber sie konnten lernen. Beide konnten lernen.
Brock atmete tief ein. Die dumpfe Luft aus dem Reiniger wirkte plötzlich herrlich belebend. Er berührte Culler am Arm. Sie traten auf die Schiene. Ein Ruck – und sie glitten bergan.
Sie standen in einem dunklen Raum. »Willkommen!«, klang es im Lautsprecher.
Wenig später spürten sie einen leichten Andruck – das Raumschiff hatte sich erhoben.
ENDE
von Gerd Maximovic
Professor Doktor Barnabas Feinstein (seines Zeichens zerstreuter Erfinder) war ganz aus dem Häuschen, nachdem ihm die Schaffung des Frankenstein-Ungeheuers getreu nach dem Lehrbuch der Mary Shelley gelungen war. Das Ungeheuer nämlich hatte sich in seinen Stricken bewegt, mit den Augen geblinzelt, mit den Ohren gewackelt und ein Kusshändchen angedeutet. Und darum hatte der Professor den Laborschlüssel in hohem Bogen durch die Luft geworfen und war auf den Boden niedergefallen, um denselben – wie weiland der Papst den Boden der Venus – zu küssen.
Als er wieder zu sich kam (denn er hatte nicht im Entferntesten mit solch einem raschen Erfolg seiner weitgespannten Experimente gerechnet), sagte das Ungeheuer mit tiefer Stimme, die noch etwas durch die weichen Bandagen gedämpft war, zu ihm: »Barnabas, sei doch so gut, mich von diesen Hüllen, in die du mich geschnürt hast, zu befreien. Dort drüben liegt eine Schere. Es dürfte mit ihr nicht schwer sein, mir mein Los ein wenig zu erleichtern.«
Das stimmt, dachte der Professor, der noch immer mit offenem Mund vor seinem Werk kniete, und er kam sich vor wie Gott, der Schöpfer, nachdem er den ersten Prototypen des Menschen in die Welt gesetzt hat.
»Mach rasch«, sagte das Ungeheuer, jetzt schon gebieterisch, »die Riemen kneifen.«
»Ja, ja«, gab der Professor zur Antwort, der anfing, seine Brille zu suchen.
»Aber sie sitzt doch auf deiner Nase«, sagte das Monstrum.
»Ah, wie recht du hast«, brummte Feinstein.
Er kratzte sich am Kopf, ergriff die Schere und ging zu einem Bottich, in dem Salzlösungen, Tinkturen und schwarze Äzmaterialien kochten, um sie dort hineinzutauchen, weil sie so geschmeidiger schneiden würde. Da der Rand des Bottichs aber so hoch war, dass der verhältnismäßig kleingewachsene Professor nicht in ihn hineingreifen konnte, kletterte er auf den Rand des Zubers, und da geschah das Unglück.
Der Rand war schlüpfrig von den vielen schwefligen Blitzen, die schon über ihn gezuckt waren. Der Professor verlor die Balance, stieß einen spitzen Schrei aus und stürzte in die Fluten, die aufdampften und zischten und Blasen über dem fast kahlen Schädel des Professors schlugen – die aber zugleich den Vorteil hatten, dass sie den Professor infolge ihrer Nahrhaftigkeit vor dem Ertrinken bewahrten.
Das Ungeheuer hatte den Vorgang mit Entsetzen beobachtet und rüttelte an seinen Riemen und versuchte erst, die Gazestreifen von seinem Gesicht fortzublasen. Als das aber nichts nützte, wurde es wütend und sprengte mit mehreren gewaltigen Rucken die ersten Fesseln, gleich darauf die nächsten. Es machte erst den einen Arm frei, dann den andern, kratzte sich auf dem gewaltigen Brustkasten, der von dem elektrischen Strom, mit dem der Professor das Ungeheuer zum Leben erweckt hatte, ganz verbrannt war. Aber wenige Augenblicke später stand es schon vor dem Kessel, in dessen trüben Fluten es den Professor erkennen konnte, wie er abwechselnd an seinen beiden Daumen lutschte. Feinstein hatte offensichtlich durch den Schock zeitweilig den Verstand verloren.
Als das Ungeheuer seine riesigen Arme in den Mahlstrom des Kessels tauchen wollte, erschrak es, denn diese liefen rot an und hätten im nächsten Augenblick begonnen zu brennen, hätte es sie nicht rasch zurückgezogen. Nun war guter Rat teuer.
Das Ungeheuer kratzte sich also am Schädel, wie es das gerade beim Professor gesehen hatte, kratzte sich noch einmal, musste niesen, schüttelte einige Tröpfchen aus den Ohren und trank dann – als es im Labor hilfesuchend umherging – einige Schlucke aus der großen Regentonne, die gerade richtig in der Ecke stand, um seinen Durst zu stillen. Danach spielte es an einigen Schaltern, an die es sich unbewusst erinnerte – denn sie waren es ja gewesen, die ihm Kraft, Saft und Leben eingehaucht hatten. Ja, das Monstrum elektrisierte sich selber noch ein wenig, als es versehentlich den Haupthebel berührte.
Wenig später durchstöberte es das Labor, betastete die Knochen eines Elefanten, den der Professor bei einem missglückten Experiment in einer Hefelösung gezüchtet hatte, und warf einige bauchige Weinflaschen, deren schäumender roter Inhalt seine Begehrlichkeit geweckt hatte, von ihrem Ständer – zumal des Ungeheuers Lippen und Körper von den zurückliegenden elektrischen Strapazen brannten.
Es tauchte – nachdem es mit staunenden Augen die Flüssigkeit, die auf dem Boden noch moussierte, betrachtet hatte – einen Finger in das Rinnsal, um davon zu kosten – und fühlte ein Prickeln auf der Zunge, gleich darauf am Gaumen, ein herrliches Rinnen in der Kehle, endlich eine ungeahnte Wärme in seinem Magen.
Es hüpfte ein wenig in seinen schweren metallenen Schuhen. Dann trat es vorsichtig an ein unversehrtes Regal heran, in dem ein Dutzend Weinflaschen gewichtig ihre Bäuche spreizten. Sachte hob es eine der kostbaren Flaschen, um die eine Hülle von Bast geschlungen war, vom Ständer, zog mit gelben Zähnen den Korken, schnüffelte an der Flasche und setzte sie – als es den Inhalt für gut befunden hatte – an die Kehle und trank sie (es waren wohl fünf Liter) mit einem mächtigen Schluck aus, sodass ihm der rote Wein von der Venus über den Hals auf die Brust hinablief.
Das Ungeheuer rülpste. Es rülpste wieder und nahm noch eine der Flaschen aus dem Ständer. Bei der dritten Flasche saß es auf seinem breiten Hintern, denn die Beine waren – wohl infolge der schwierigen Geburt – ein wenig schwer geworden. Und auch der Keller, der auf schwankendem Boden errichtet worden sein musste, hob und senkte sich – und überhaupt konnte das Ungeheuer (womit nicht zu rechnen gewesen wäre) die Sterne an der Decke, die sonst von Neonröhren erhellt war, kreisen sehen.
»Prost!«, sagte das Ungeheuer zu den Sternen, die sich zunehmend blau verfärbten.
»Und Prost!«, grüßten zurück die Sterne, von denen der größte wie das Gesicht des Professors aussah.
*
Ein ungewohnter Lärm aus den oberen Etagen des Hauses ließ das Ungeheuer zusammenzucken. Es lallte etwas, als es sich im Selbstgespräch fragte, wer das wohl sein mochte. Wieder rumpelte es über seinem Kopfe, als ob ein Schrank zu Boden falle oder als ob man dort schwere Teppiche entfernen würde und die Gardinen herabriss.
Schwankend war es auf die Beine gekommen und – nach einem bedauernden Blick auf den Bottich mit dem Professor – stützte sich dann auf den großen elektrischen Hebel, um nicht umzufallen, denn die Erdenschwere zog entsetzlich an seinen Gliedern. So war es kein Wunder, dass sich der Hebel unter seiner unsicheren Hand senkte, und Blitze – blau und schäumend – fuhren durch den Keller. Und hinter einem Vorhang aus Plexiglas schwebten Nebel, aus denen sich eine Gestalt, ganz ähnlich der des Ungeheuers, schälte.
Die Gestalt – mit langen Haaren, goldenen Augen und schweren großen Brüsten – begann zu leben, nachdem sie ein wenig gezuckt hatte. Mit verschwimmenden Augen sah das Ungeheuer starr hinüber, und es war – mehr noch, als es entzückt war – ganz betroffen von der reinen Schönheit, die sich dort präsentierte. Jetzt fühlte es, wie sich etwas in seiner Brust regte, das es aber auf den genossenen Wein zurückführte. Doch dieses Gefühl wurde stärker, als das Wesen hinter der Plexischeibe – das kleiner als das Monstrum selbst schien, und auch zierlicher, und mit Rundungen versehen, über die seine Augen taumelnd jagten – ihm einen feurigen Blick zuschoss.
Ja, das Wesen hatte ihn, das Ungeheuer, angesehen. Ah! Frankenstein zog einen Kamm aus der linken Rocktasche und aus der anderen einen kleinen Taschenspiegel und begann, sich seine wirren und wilden Haare zu kämmen. Ah! Er tänzelte ein wenig, kniff sich in die linke Wange, kniff sich in die rechte, schlug die Hacken zusammen und summte ein Liedchen, das etwa so ging: »Wenn der Hund mit der Wurst über den Eckstein springt und der Eckstein …«
Aus den begehrlichen Augenwinkeln sah er, wie das Wesen, das alle seine Körperproportionen hinter der Scheibe dehnte, das Lied mitsang. Ah! Über seinem Kopf war wieder dieses fatale Rumpeln. Aber das sollte ihn nicht stören, so wenig wie der Professor, den er in seiner trunkenen Verliebtheit schon fast vergessen hatte. Er ging hinüber und presste sein Gesicht auf die Plexischeibe und stopfte seine Zunge zurück in den Mund, aus dem sie sich ganz unfreiwillig entrollt hatte. Ah!
Er kratzte über die Scheibe, während das weibliche Wesen in dem Käfig ein wenig tänzelte und hüpfte, die Hüften schwang, das Becken drehte. Wieder hing ihm die Zunge zum Hals heraus, und in der Pleximasse waren schon raue Striemen von seinen Fingernägeln. Es brannte in seinem Körper, als ob der Strom wieder zurück sei. Ah, das war eine Lust, zu leben!
Endlich hatte er die Plexischeibe unter Anspannung aller Kräfte angehoben und hielt sie krampfhaft fest, dass ihm fast die Adern auf der Stirne platzten. Dann stemmte er sein Kreuz unter die Scheibe und langte mit riesigen Händen nach den Bandagen des Mädchens und riss sie herunter, bis sie frei von ihren Fesseln, aber auch ganz nackt war.
Sie schüttelte sich, ob der ungewohnten Freiheit, ein wenig, schaute ihn mit honigsüßen Augen an, schlabberte ein wenig mit der Zunge. Dann schlüpfte sie neben ihm ins Freie, während er sich vorsichtig zurückzog und den Deckel endlich losließ, der mit einem furchtbaren Krachen herabfiel und die letzten Bandagen einklemmte, die das Mädchen hinter sich hergezogen hatte, sodass dieselben aussahen wie die Brautschleppe einer Jungfrau, die unter plumpe Füße geraten war.
Oben krachte es wieder.