Buntes Allerlei - Hahmann Ernst-Ulrich - E-Book

Buntes Allerlei E-Book

Hahmann Ernst-Ulrich

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Beschreibung

Es ist ein Sammelsurium von Geschichten, die Wahres, Geschichtliches, Phantastisches, Esoterisches aber auch Schicksalhaftes zum Inhalt haben. Sie sind im Laufe der Zeit entstanden und dies spiegelt sich auch in der unterschiedlichen Erzählweise der einzelnen Geschichten wieder. Es geht nicht nur um das Spektrum des menschlichen Lebens, sondern auch um das Phantastische, was uns umgibt. Die Welt ist voller Geschichten. Ein kleiner Teil davon wartet darauf, entdeckt zu werden. So findest du in diesem Buch Kurzgeschichten, Gedichte, Geschichten und romanhafte Erzählungen unterschiedlichen Genres. Das ganze Spektrum von Freud und Leid ist hier zu entdecken. Begebt Euch auf eine Bildungsreise, in ein Leseabenteuer beim Durchstöbern dieses Buches. Sucht die Geschichte heraus, die zu Eurer augenblicklichen Stimmung passt. Lasst Euch trösten, fühlt mit oder jubelt. Freud und Leid liegen dicht beieinander.

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INHALTSVERZEICHNIS

„Die Hexe! - Sie soll brennen!“

Die Vision

Der Alptraum

Der Lietebaum

(Gedicht)

Kameraden der Landstraße

Der Anschlag

Space Shadow

Ein Engel auf Erden

(Gedicht)

Die Hölle Unter Tage

Der Banküberfall

Ein rätselhafter Unfall

Rudolf, der Schreckliche wurde er genannt

(Gedicht)

Der Foliant

Der Geizhals

Die Begegnung

Schmetterlinge - Boten der Götter

(Gedicht)

Eine böse Überraschung

Ende einer Ausfahrt

Gesundheitsratschläge zum Radfahren - und Spaß macht's auch noch

Land aus Feuer und Eis

(Gedicht)

Die wandernden Steine

Insel Helgoland

Schatten der Vergangenheit

Alte Geschichten und Sagen

(Gedicht)

Tropenromantik - nicht ohne Gefahr

Venedig

Weniger ist oft mehr

Die Bibliothek

(Gedicht)

Der Brand

In der Todeszelle

Eine Busfahrt mit Tücken

Gedanken eines Freundes!

(Gedicht)

Der Engel nach Weihnachten!

Otto bleibt Otto!

Der erste Deutsche im Weltall – ein ehemaliger DDR-Bürger

Zärtlichkeit

(Gedicht)

Die Krähe - eine der bekanntesten Vogelarten unserer Heimat

Die Sonne auf die Erde holen

Jenseits der Lichtschwelle

Mecki - der Igel

(Gedicht)

Eine stürmische Nacht

Feuertanz

Der Pummpälz

Lilly Groß und Klein

(Gedicht)

Von Paulus, dem Räuber am Beyer

Positives Denken

Eva und der Teufel Alkohol

Alles ist Klang

(Gedicht)

Eine andere Welt

Der Urschmerl

Der Kampf um die Burg auf dem Frankenstein

Wunderschöne Augen

(Gedicht)

Ein sinnloser Tod

Abkürzungen / Erläuterungen

Quellennachweis der Bilder

Genutzte und weiterführende Literatur

„DIE HEXE! - SIE SOLL BRENNEN!“

„Hexe! ... Hexe! ...“ ging es anfangs leise, dann immer lauter durch die Menschenmenge, die sich auf der staubigen Straße entlang wälzte.

„Schlagt sie tot! Verbrennt die Brut!“

Äste wurden aus den angrenzenden Hecken gerissen, Latten aus Gartenzäunen herausgebrochen, Steine vom Boden aufgehoben und aus den naheliegenden Hütten Äxte, Dreschflegel und Mistgabeln geholt.

Nur mühsam konnten die Stadtsoldaten die rasende Menge im Zaum halten.

Geradezu führte der Weg die aufgebrachte Menschenmenge, voran ein Schwarzgekleideter und die Stadtsoldaten bis an das Ende des Ortes Schwabach. Hier stand, hinter hohen Haselnusshecken ein armseliges Häuschen versteckt. Das morsche Strohdach schimmerte durch das buschige Gestrüpp.

Ein verrufener Ort.

„Hexe! ... Hexe! ... Schlagt sie tot! ... Schlagt sie tot!“

Eine junge Frau, mit feuerroten Haaren, öffnete die Tür und schaute erschrocken auf die tobende Menge.

Stöcke, Steine, Erdbrocken, alles, was zur Hand war, wurde gegen die junge Frau geschleudert.

„Da ist sie ...! Die Hexe! Schlagt sie tot!“

Ein Stein traf die Frau an den Kopf. Tropfen Blutes traten aus der entstandenen Wunde auf ihre Stirn und rannen als dünner roter Faden über die rechte Wange herunter. Die Frau wankte und musste sich am Türrahmen festhalten, um nicht zu stürzen.

Der Schwarzgekleidete und zwei Stadtsoldaten drängten die Frau in das Haus zurück.

„Wir müssen das Haus durchsuchen. Du bist der Hexerei beschuldigt“, wandte sich der Schwarzgekleidete an die leicht verletzte.

Mit hochgezogenen Brauen und mit erstaunen verfolgte die Frau die Durchsuchung der einzelnen Zimmer, ja des ganzen Hauses durch die Stadtsoldaten. Diese rissen die Schränke auf, räumten Schubladen aus und schufen ein wüstes Durcheinander.

Empört wollte die Frau sich auflehnen. Sie ließ ein Schimpfkanonade nach dem anderen auf die Köpfe der Soldaten los und beschuldigte sie mit Herrenknecht.

„Halts Maul!“ wurde sie barsch angefahren. „Du wirst noch dein blaues Wunder erleben, du Hexe!“

Als die Soldaten ins Schlafzimmer polterten, richtete sich ein Mädchen mit langen blonden Zöpfen im Bett auf, ließ sich aber gleich wieder zitternd niedersinken und zog die dünne Bettdecke bis zum Hals.

„Raus aus dem Bett, du Göre!“

Mit angstvollem Gesicht sprang das Kind aus dem Bett und lief nur bekleidet mit einem dünnen Nachthemdchen zur Mutter, die schützend die Hände um die Kleine legte.

Was konnte sie auch anderes machen?

Nichts.

Sie musste sich alles gefallen lassen, ob sie es wollte oder nicht.

Vor dem Haus tobten die Menschen und verlangten immer wieder die Hexe zu erschlagen oder zu verbrennen.

Vor lauter Wut, dass die Soldaten in der Wohnung nichts gefunden hatten, befahl der Schwarzgekleidete. „Nehmt die Brut mit. Bringt sie zum Verhör ins Rathaus. Dort werden wir die Wahrheit schon aus ihr rauskriegen.“

Die junge Frau nahm all ihren Mut zusammen und trat mit der Tochter an der Hand aus dem Haus, ins Freie. Aber all ihre Beherztheit sank vor dem Geschrei, dem Geheul, mit dem sie empfangen wurden. Das Blut wich aus ihren Wangen und flutete ängstlich in wilder Hast nach dem Herzen zurück.

Das kleine Mädchen begann zu weinen und hielt krampfhaft die Hand der Mutter fest. Durch eine nahende Ohnmachtschauer vernahm das Kind dumpf das widrige abscheuliche Geheul und die schrecklichen Rufe: „Hexe! Hexe! Hexe! Schlag sie tot!“

Die Stadtsoldaten bahnten einen Weg durch die Menschenmenge um die junge Frau, mit dem Kind auf dem Arm, zum Stadtgefängnis führen zu können.

Die Zelle war dunkel und düster.

Durch das vergitterte Fenster konnte man in der grellen Sonne den Marktplatz liegen sehen. Das bunte Treiben fesselte die Aufmerksamkeit der Eingesperrten und lenkte sie von den schlimmsten Gedanken ab. Männer und Frauen, Alte und Junge traten an die Verkaufsstände und Buden. Ware und Geld wurden geprüft, bis sie schließlich den Besitzer wechselte.

Am nächsten Tag, es war bereits in den Mittagsstunden, ging es mit der jungen Frau zum Verhör.

Zurück in der Gefängniszelle blieb die kleine Tochter. Bevor sich die Zellentür schloss, rief das Mädchen mit weinerlicher Stimme: „Komm bald wieder Mama? Ich habe allein solche Angst.“

„Sei unbesorgt, ich bin bald wieder da“, und sie strich ihr zärtlich über den blonden Haarschopf.

Der Himmel war strahlend blau, die Sonne brannte heiß vom Firmament. Selbst die Steine der Häuser strahlten Hitze aus, und die Luft in den Gassen flimmerte wie dunstiger Nebel und ließ die Augen schmerzen.

Die Vorhalle des Rathauses, die Treppen und die Korridore waren bereits überfüllt. Männlein und Weiblein drängten in lebhafter Erregung zur Gerichtshalle hin.

Im kühlen Gerichtssaal erhob sich an der Schmalseite des langen, schweren eichenen Tisches der bärtige, vom Alter gekrümmte Richter in seiner schwarzen Amtstracht. Sein dickes, rotes Gesicht vergrub sich halb in der steifen Krause, die sein Hals umgab.

„Ruhe!“ gebot jetzt dieser und richtete sich in seiner ganzen Würde auf.

Es wurde wirklich still in der Halle, selbst das Gemurmel der Menschen verstummte.

„Bekennt ihr, euch der Hexerei schuldig?“ wandte sich der Richter dann mit barscher Stimme an die junge Frau.

„Nein“, schluchzte diese und schaute den vor ihr stehenden mit rot verweinten Augen an.

„Wisst ihr“, fuhr der Richter im strengen Ton fort, „dass wir genug Zeugen haben, denen ihr durch eure Hexerei Schaden zugefügt habt?“

„Ich bin unschuldig“, beteuerte kleinlaut die junge Frau.

Dem Richter riss der Geduldsfaden und er rief zugleich die Zeugen auf. Diese kamen alle aus der Nachbarschaft der Frau, und wie es nicht anders sein konnte, beschuldigten sie, sie der Hexerei.

In den Aussagen ging es immer wieder darum, dass die Frau sich ständig bei ihnen Geld geborgt hätte und auf die Aufforderung hin das Geld wieder zurückzuzahlen keine Anstalten dazu gemacht habe. Im Gegenteil, sie stieß noch wüste Beschimpfungen und Verwünschungen aus. Geld hätten sie jedoch keines wieder gesehen.

Ein alter Mann glaubte sich bestimmt zu erinnern, dass in derselben Nacht, in der er verhext worden war, ein schwerer und rätselhafter Druck auf ihm gelegen habe und er in einen tiefen Schlaf gesunken sei. Mitten daraus sei er erwacht, als hätte eine ferne und klagende Stimme seinen Namen gerufen. Am nächsten Morgen konnte er dann seinen Arm nicht mehr bewegen. Wenn er den Arm in die Höhe hob, fiel er wie ein unnützes und kraftloses Ding nieder, gleich als wäre er in der Wurzel verdorrt.

Weil der Mann aber bisher immer ganz gesund gewesen war, munkelte man allerlei von Zauberei, und als man gar hörte, dass es Streit zwischen ihm und der Hexe gegeben habe, war die Sache klar - es musste Zauberei gewesen sein.

Eine Nachbarin sagte aus, dass die Hexe ihr die Gicht an den Hals gewünscht habe, und sie auch wirklich die Gicht noch am gleichen Abend bekam.

Anschuldigung auf Anschuldigung folgte.

Bedächtig und wie nach jedem einzelnen Wort tastend, begann der Richter schließlich zu sprechen: „Bekennt ihr euch jetzt der Hexerei schuldig?“

„Nein! Ich bin unschuldig!“

Der Richter begann zu lächeln und sprach mit zynischer Stimme: „Du Hexe, du weißt wohl, wie das elfte Gebot heißt, bei mir bist, du Biest, aber an den Falschen geraten. Der Spaß wird dir noch vergehen.“

Er ließ die junge Frau zur Folter bringen. Hier setzten die Folterknechte ihr Daumen- und Beinschrauben an, hängten sie an ihren Armen auf und belasteten ihre Beine mit schweren Gewichten. Auf dem Streckbett konnte sie die Traktur nicht mehr aushalten, sie gab alles zu.

In dem finsteren Kerker fand sie sich bei ihrer Tochter wieder. Den Körper zerschunden und Schmerzen in den Gliedern.

„Müssen wir jetzt sterben?“, flüsterte das Mädchen ängstlich.

Die junge Frau sah trotz der Finsternis die großen dunklen Augen ihrer Tochter leuchten, und den Schrecken darin.

Das Kind rückte, ohne ein Wort zu sagen noch näher.

„Sag ein Vaterunser“, gab die Mutter nach langem Zögern als Antwort zurück.

Dann lagen beide still. Die junge Frau immer bedacht, das Kind mit dem eigenen Körper zu zudecken und zu wärmen.

„Dass du da bist, Mama“, hauchte das Mädchen einmal zärtlich.

Die Zeit verrann, nur die Dunkelheit blieb sich immer gleich. Das Flackern der Kerzen erhellte ab und zu den Kerker bis in seine Spitzen mit mattem Schein, bis sie zuckend verloschen. Und mit dem Verlöschen des fahlen Lichtes schwand wieder ein bisschen Mut, ein Stückchen Hoffnung.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht im Lande, dass in Schwabach eine Hexe brennen sollte.

Am Tag der öffentlichen Gerichtsverhandlung und der Urteilsverkündung mussten die Stadtsoldaten den kurzen Weg vom Gefängnis bis zum Richtplatz ständig von Schaulustigen freihalten.

Seit den frühen Morgenstunden riss der Menschenstrom, der in die Stadt strömte, nicht mehr ab.

Den Baumeister Veit Stoß aus Nürnberg zog es ebenfalls in das rund 12 km entfernte Schwabach, um die Hexe brennen zu sehen. Er führte seinen Gaul aus dem Stall und spannte ihn vor den Leiterwagen, der unter dem großen Hoftor stand.

Da ging im Nachbarhaus eines der oberen Fenster auf und ein bärtiger Mann fragte: „Wohin, Herr Nachbar?“

„Nach Schwabach, dort wird heute eine Hexe verbrannt. Wenn du mitfahren willst, es ist noch Platz!“

Der Nachbar verschwand schnell im Zimmer und bald saßen beide in der Schoßkelle des Wagens.

Veit Stoß schnalzte und schwippte mit der Peitsche einen kunstvollen Triller in die Luft.

Die Pferde zogen an und nickten mit den Köpfen, dass die Messingbeschläge in der Sonne blitzten. Sie fuhren in südlicher Richtung aus der Stadt, in einen schönen luftigen Augusttag hinein.

Die bunten Blätter des Mischwaldes rauschten rechts und links des staubigen Weges. Eine Meise schwang sich von Zweig zu Zweig und trällerte ein Lied.

Als sie eine Weile, schweigsam nebeneinandersitzend, den Gesang der Waldvögel gelauscht hatten, konnte der bärtige Nachbar seine Neugier nicht mehr zügeln und fragte: „Was hat die Hexe eigentlich angefangen?“

„O, die ist so unschuldig wie wir zwei!“, antwortete Veit Stoß mit nachdenklicher Miene.

Der Nachbar schüttelte ungläubig den Kopf und meinte erstaunt: „Etwas muss doch dahinter sein, sonst wird sie doch nicht als Hexe verbrannt.“

„Nichts ist dahinter!“, fuhr der Baumeister fort. „Es ist nur schade um diese junge Person.“

„Das kann doch nicht sein?“

„Doch! Ihr Mann ist ein armer Teufel, ein Tagelöhner und ein Kind haben sie auch, ein Töchterchen.“

„Was hat das mit der Hexe zu tun?“

„Das Geld, was der Mann nach Hause brachte, reichte oft nicht aus um die Familie satt zu kriegen. Um zusätzliches Essen kaufen zu können, borgte sich die Frau Geld in der Nachbarschaft.“

„Das kann doch jedem Menschen passieren.“

„Du hast recht. Jetzt kommt aber das Übel an der ganzen Sache. Die Nachbarn forderten das Geld zu ungelegenen Zeiten zurück, und die Frau konnte es nicht zurückzahlen. Sie hatte kein Geld.“

„Deswegen ist sie doch keine Hexe!“

„Warte ab. Da die Nachbarn nicht nachließen ihr Geld zurück zu fordern, wart die Frau hitzig und fluchte ihnen allerlei in ihrem Jähzorn an den Hals.“

„Na und?“

„Als sie wieder einmal einer Nachbarin, in ihrer Unbesonnenheit, die Gicht an den Hals wünschte, da traf es sich, dass diese tagsüber schwer auf dem Felde arbeiten musste. Abgespannt und erhitzt kam sie nach Hause. Unvorsichtig zog sie an diesem Tag, noch dazu, ein dünnes Kleid in der Abendkühle an, und wie es nicht anders sein konnte erkältete sie sich. Das Ende vom Liede war, sie bekam die Gicht durch ihre eigene Schuld.“

„Jetzt verstehe ich. Nun muss es ihr die arme Tagelöhnerfrau mit ihrem dummen Gerede angehext haben.“

„Genau.“

Klipp, klapp, klipp, klapp ... ertönte das Geklapper einer Mühle, erst leise, dann immer lauter. Nach der nächsten Wegbiegung sahen sie die Mühle vor sich liegen. In der Tür des Gebäudes stand, schräg an einen Türpfosten gelehnt, der Müller. Eine Hand steckte in der Hosentasche, mit der anderen hielt er den Pfeifenkopf aus Eichenholz. „Wohin des Weges?“, rief er den beiden auf dem Wagen zu.

„Nach Schwabach! Dort soll heute eine Hexe verbrannt werden!“

Sie konnten die Antwort des Müllers nicht verstehen, denn das stürzende Wasser und das Geklapper des Mühlrades übertönte nicht nur die Stimme des Müllers, sondern auch den Hufschlag der Pferde.

Der schöne lichte Mischwald wurde durch Föhren- und Fichtenbäume abgelöst. Sie fuhren durch den Wald und atmeten in tiefen Zügen die reine Luft. Nicht lange dauerte es, bis sie wieder in das offene Land kamen. Vorbei ging es an Wiesen, Äckern und weiten Feldern. In langen Reihen standen hier zahlreiche Kirschbäume. Auf den Schafweiden wuchsen rosenrote Plattererbsen, blaue Gauchheil, blutrote und zitronengelbe Adonisröschen.

Die Straße nach Schwabach wurde immer belebter.

Das Rumpeln der Räder und Pferdegetrappel der Fuhrwerke wurde noch übertönt durch das Schimpfen, Fluchen, Schreien und Lachen derjenigen, die zu Fuß nach Schwabach unterwegs waren.

In der Stadt herrschte bereits Chaos und es wurde von Stunde zu Stunde größer. Überall drängten sich, angespült von der Woge der Neugier die Schaulustigen. Selbst in den schmalen Nebengassen herrschte ein buntes Treiben.

Ausrufer und Gaukler sorgten für Unterhaltung.

Als die beiden Nürnberger mit ihrem Pferdefuhrwerk zum Stadttor hineinfuhren, war kaum noch ein Vorankommen in dem Gedränge und Menschengewühl.

Vor dem Wirtshaus standen Wagen an Wagen, unter ihnen Kutschen und Leiterwagen.

Durch Zufall fanden sie noch einen freien Platz, ganz am Ende der Reihe, wo sie ausspannen konnten.

Um den redseligen Gastwirt hatte sich eine Menschentraube gebildet, gespannt hingen die Blicke der Menschen an den Lippen des Wirtes. Der erzählte mit blumenreichen Worten von den Taten der Hexe, die heute verbrannt werden sollte. Er berichtete von der ungewöhnlichen Krankheit eines Mannes und dass diese Krankheit von der Hexe gekommen sei, weil sie dem Manne Übles wollte.

Veit Stoß und sein Nachbar fragten sich nach dem Gerichtsplatz durch. Je näher sie ihm kamen, desto dichter wurde das Menschengewimmel.

Man winkte sich zu. Namen wurden gerufen. Fragen schwirrten durch die Luft. Ganz Schwabach und Umgebung schien auf den Beinen zu sein, um dem seltsamen Schauspiel beizuwohnen. Mit großer Spannung sah man der Verbrennung der Hexe entgegen. Jeder wusste, dass es auf „Zauberei“, nach der Bamberger Halsgerichtsordnung, nur die Todesstrafe geben konnte.

Etwa in der Mitte der Stadt weitete sich die Straße links und rechts zu einem eckigen Platz aus - dem Gerichtsplatz. Noch war es nicht zwei Uhr, und es wimmelte hier bereits von Neugierigen. Die Zuschauer standen Kopf an Kopf. Es war ein Gemurmel und Gesumme wie in einem Bienenkorb.

Ein Schmied, ein schon bejahrter Mann mit runden flinken und lebensfrohen Augen in einem bartlosen runzligen Gesicht, begrüßte sie wie alte Bekannte. Über dem rußigen Hemd trug er einen nicht mehr ganz sauberen Lederschurz.

In der Zwischenzeit, nach der Armensündermahlzeit im Stadtgefängnis, hörte die junge Frau wie sich im lauter werdenden Schritte der Zelle nähernden.

Ein Schlüssel drehte sich knarrend im Schloss.

Die schwere hölzerne Tür schwenkte auf.

Mehrere Männer traten ein. Einer von ihnen ein riesiger Kerl mit rundem Schädel und einem Stiernacken war ganz in Rot gekleidet. Um das rote Wams trug er an einem breiten schwarzen Gürtel ein kurzes Messer geschnallt, und auf dem Kopf eine spitze rote Mütze. Er wurde von zwei kleineren Männern begleitet, ähnlich gekleidet wie er, aber sie wirkten längst nicht so furchterregt. Hinter ihnen sah sie mehrere Männer, die Kutten trugen. Mönche waren es.

Ängstlich fuhr die Frau zurück und hob abwehrend die beide Arme vor das Gesicht.

Der Riese im roten Wams lachte und sprach mit dröhnender Stimme: „Mach sie keine Geschichten Gevatterin. Es hilft ihnen doch nichts. Gleich wird sie dahin geschickt, wo sie hingehört, zu ihrem Herrn, dem Teufel.“

Einer der Mönche trat heran. Er streifte ihr ein langes Gewand aus Sackleinen über, das bis auf die Füße reichte.

Die Henkersknechte banden sie am Hals, in der Mitte des Leibes und an den Händen.

„Los jetzt!“, befahl dann der rotgekleidete Riese.

Die Mönche gingen als Erste hinaus. Sie sprachen irgendwelche Litaneien.

Zwei Stadtsoldaten mit Hellebarden schritten rechts und links von der Rothaarigen, der Riese mit seinen zwei Helfern beschlossen den Zug.

So verließen sie die Zelle.

Der Weg führte durch einen langen Gang mit gewölbter Decke, ging eine steile Wendeltreppe hinauf, durchquerte einen weiten Gang und mündete schließlich im hellen Sonnenschein.

Brutal ergriffen die Henkersknechte die junge Frau und schmissen sie auf den bereitstehenden Karren, auf eine Kuhhaut.

Holpernd fuhr das Fuhrwerk zwischen einem Spalier von Zuschauern hindurch. Händler, Handwerker, Arbeiter, Bettler, Marktweiber und elegante Damen und Herren säumten den Weg.

War der Wagen vorbei, folgten ihr Verwünschungen wie: „Lass dir zeigen, wo der Eingang zur Hölle ist, Hexe!“, „Ins Feuer mit ihr!. vorwärts!“ und „Keine Schonung mit der Hexe!“

Als der offene Karren, auf dem die junge Frau mit roten Haaren saß, in den Gerichtsplatz einbog, verstummte für einige Sekunden der Lärm. Die Menschen schauten sie an, als wäre sie ein wildes Tier.

Allzu nahe greifende Arme stießen die Henkersknechte zurück.

Die Sonne zeichnete die scharfen Schatten des Holzgerüstes des Leiterwagens auf das holprige Pflaster. Hühner pickten eifrig nach den Futterresten zwischen den Beinen der Schaulustigen. Ein kleiner Junge fiel mit seinem nackten Hintern ungeschickt auf die Steine und fing an zu weinen. Die Mutter hob ihr Kind auf und wiegte es, beruhigende Worte murmelnd, in ihren Armen.

So also sah eine „Hexe“ aus, feuerrotes Haar, den Blick starr, die Schultern schmal und geneigt, die Hände gebunden.

Beim Anblick der „Hexe“ lief Veit Stoß ein Schauer über den Rücken. In den Augen des jungen Weibes lag Traurigkeit. Kein Schimmer von Angst war in ihren Zügen, nur diese bedrückende Stummheit.

Mitten auf dem Gerichtsplatz stand eine hölzerne Tribüne, auf der die prächtig gekleideten Würdenträger der Stadt, Adlige und einige Kirchenfürsten saßen.

Der bärtige, vom Alter gebeugte Richter in seiner schwarzen Amtstracht erhob sich von seinem Platz, doch bevor er etwas sagen konnte, flehte ihn die junge Frau an: „Lieber Herr, ich bitte euch, fristet mir mein Leben um Gottes willen. Ich bin unschuldig!“ Auch an den Weinküfer Reck von Nürnberg und zu allen, die sie kannte, sagte sie so.

Keiner von ihnen zeigte eine menschliche Regung, im Gegenteil sie würdigten ihr keines Blickes oder schauten sie voller Ekel und Abscheu an.

„Schweigt Hexe!“, fuhr der Richter, dessen Miene kalt und hart wirkte, sie an und begann ein langes Schreiben laut vorzulesen: „Sie hat bekannt, sich von einer Nachbarin fünfzehn Pfennig, von einer anderen acht Pfennig geborgt zu haben. Und wenn diese ihr Geld zurückforderten, so hat sie den Frauen die Gicht angehext, desgleichen auch wegen anderer Feindschaft, so dass sie wohl fünfzehn Menschen die Gicht angehext hat. Sie hat bekannt, dass der Teufel mit zwei schwarzen Pferden zu ihr gekommen ist und sie und ihre Tochter über die Mauer hinaus führte.“

Während man all die Bekenntnisse verlass, da war es, als sackte die junge Frau auf dem Wagen zusammen. Stumm saß sie da, mit geschlossenen Augen, ein Schluchzen schüttelte ihren Körper. Die Worte des Richters drangen wie ein entferntes Rauschen an ihr Ohr. Plötzlich hob sie mit einem Ruck den Kopf und sprach mit gepresster Stimme: „Nein, nichts davon gestehe ich! Ich hab’s der großen bitteren Marter wegen alles bekannt. Ich habe nichts davon getan!“

Der Richter rief daraufhin zwei Zeugen auf, die beim Verhör dabei gewesen sein sollten, und sprach zu ihnen: „Schwört auf die Bibel, dass ihr die Wahrheit sagt, und nichts als die Wahrheit.“

„Wir schwören!“

„So sprecht.

„Was der Herr Richter verlesen hat, entspricht in allen Punkten der Wahrheit“, sprach der erste Zeuge.

„Und was hast du zu sagen?“ wandte sich der Richter an den Zweiten.

„Sie hat all die Sachen bekannt, ohne Marter.“

Nun verlas der Richter mit langsamen bedächtigen Worten das endgültige Urteil. „Die Hexe, sie hat den Feuertod zu sterben und ist auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen.“ Dann wandte er sich noch einmal an die Hexe mit der Frage: „Habt ihr noch etwas zu sagen?“

Kein Wort kam aus dem Mund der Frau, und alle glaubten der Teufel hätte ihr den Mund verschlossen.

Langsam fühlte die Frau den Bann, der um sie lag, die Bürde des Schweigens. Es würde ihr doch sowieso keiner Glauben schenken.

Schon gar nicht die hohen Herren.

In ihren Augen lag Traurigkeit. Kein Schimmer von Angst war in Ihren Zügen, nur diese bedrückende Stummheit.

„Das Urteil ist gesprochen!“, verkündete der Richter mit lauter Stimme. „Die Hexe muss brennen! Henker waltet eures Amtes!“

Die ganze Zeit, während er sprach, hatte auf dem Platz völlige Stille geherrscht. Tumultartiger Lärm erhob sich nun und die Menge brüllte: „Auf den Scheiterhaufen mit ihr! Verbrennt die Hexe!“

Neben sich hörte Veit Stoß den Schmied murmeln: „Sie hat sicherlich alles gestanden, nur damit man sie nicht noch mehr martert vor ihrem seligen End.“

Unterdessen hatten die Henkersknechte aus trockenem Holz einen Scheiterhaufen mit einer Sitzgelegenheit errichtet. Zuletzt setzte der Henker, der eine rote Kapuze über den Kopf gezogen hatte, sich zur Probe selbst auf den Holzsitz und überprüfte durch Auf- und Niederschaukeln der Beine die Festigkeit.

Die arme Frau, auf den Karren, die bisher wortlos die Arbeit des Henkers verfolgt hatte, sah mit andächtiger Gebärde gen Himmel, als ob sie verlange, das Feuer solle vom Himmel fallen und sie im Vorhinein verbrennen.

Die Henkersknechte stiegen auf den Karren, banden die schweigsame Frau los und führten sie herunter in den Kreis, den die Stadtsoldaten gebildet hatten. Hier legte ihr der Henker seine riesige Pranke auf die Schulter, denn kein anderer war der große rotgekleidete Kerl.

Einen Schrei von tierischer Wut und rasender Lust erhob die verblendete Masse. Immer enger schlossen sich die Menschen um den Scheiterhaufen zusammen.

Der Henker ergriff die Frau, als wäre sie leicht wie eine Feder und setzte sie auf die Sitzstatt. Die Henkersknechte packten ihre Arme und banden sie fest. Rissen ihr die weiten, herabhängenden Ärmel des Kleides ab, aus denen der Henker einen Ring anfertigte, den er ihr, wie einen Turban auf die feuerroten Haare setzte. Aus einem Fässchen nahm er Schießpulver und schüttete es von oben auf das Haupt und auch einen guten Teil auf ihren weißen Busen.

Veit Stoß verfolgte mit weit aufgerissenen Augen das Schauspiel. Sein Blut erstarrte in den Adern. Jeder, der einmal in einem menschlichen Gesicht den Ausdruck fürchterlichen Entsetzens wahrgenommen hat, wird wissen, was er empfand. Und genau das empfand Veit Stoß in diesen schrecklichen Minuten.

Schreck, qualvolles Entsetzen entstellten und verzerrten die an sonst gleichmäßigen Gesichtszüge der Frau.

Niemals hatte Veit Stoß im Antlitz eines lebenden Wesens Ähnliches erblickt. Ein Gespenst, ein Nachtgebilde, ein Schatten - und dennoch die tödliche Angst.

Vereinzelt begannen alte Weiber zu schluchzen, sie weinten voll erbarmen und hatten Mitleid mit dem Wesen da vorn.

Ehe der Henker das Feuer an den Scheiterhaufen legte, traten drei Geistliche zu ihr und einer, der Pater die Bibel in der Hand sprach zu ihr: „Liebe Frau, seid beständig im christlichen Glauben und sterbet als eine Christin!“

„Ich will sterben als eine Christin“, antwortete die Frau mit zitternder Stimme.

„Wenn man das Feuer anzündet, so schreit mit Andacht und mit lauter Stimme mit uns: ‘Jesus von Nazareth, König der Juden, erbarme dich über mich ‘“, redeten die Geistlichen auf sie ein.

Nachdem sie das Kreuz über der Unglücklichen geschlagen hatten, traten die Geistlichen zurück und der Henker begann sein Werk. Ein Henkersknecht reichte ihm die brennende Fackel, die er an den Scheiterhaufen hielt.

Das trockene Holz begann zu glimmen und zu knistern. Hell zuckte es auf, wurde größer und griff rasch um sich. Das dürre Geäst hatte sofort Feuer gefangen. Die Flammen züngelten gierig nach der Frau, leckten nach ihren Füßen.

Als die ersten Flammen emporzüngelten, erhob sich ein triumphierendes Geschrei in der Menge, die den Richtplatz umstand. Die Absperrung wurde durchbrochen, und das Volk drängte herbei, um den Anblick der Qual der jungen Frau aus nächster Nähe erleben zu können.

Rauch stieg in die Höhe, wurde dichter und dichter.

„Herr, erbarme dich!“, hörte man unter dem Knistern und Prasseln des Feuers immer wieder die Geistlichen mit tiefer Stimme beten.

„Herr, erbarme dich über mich!“, antwortete es aus dem Feuer.

Höher und höher schlugen die Flammen und die Antwort aus dem Feuer wurde bald leiser und seltener, bis die Frau vor Rauch und Hitze nimmer zu sprechen vermochte.

Veit Stoß empfand die Wärme des nahen Feuers und ein widerlicher Brandgeruch raubte ihm den Atem.

Eine grelle zischende Stichflamme zuckte im Scheiterhaufen auf.

Grässliches, herzzerreißendes Geschrei, der Verzweiflungsschrei eines Menschen ließ die Zuschauer erstarren. Wie unter einem Peitschenhieb zuckten sie zusammen. Der Schrei ging ihnen durch Mark und Bein. Betreten schauten sich die Schaulustigen an, das hatten sie nicht erwartet. Viele von ihnen hielten sich die Ohren zu, sie konnten das schreckliche Schreien nicht mehr hören.

Das Geschrei ging in ein Wimmern über, bis auch das stille wart.

Mit bedrückten Gesichtern verließen viele der Zuschauer den Gerichtsplatz. Es gab unter ihnen aber auch welche die noch fröhlich lachen und scherzen konnten.

Auf dem Weg zum Wirtshaus schritt Veit Stoß schweigsam neben seinem Nachbarn her. Genauso wortlos spannte er die Pferde ein. Sie setzten sich in die Schoßkelle und schweigsam wurde der Weg nach Nürnberg genommen.

Zurück blieb die glimmende Glut eines Menschen, ein Häuflein Asche.

Die Priester aber sagten: „Die Frau habe bis zur letzten Sekunde ihres Lebens gezeigt, dass sie eine gute Christin war und christliche Andacht gehabt habe.“

Ihr Töchterchen saß immer noch im Kerker, weil jedermann glaubte, es hätte ebenfalls Zauberei getrieben. Der Feuertod sollte ihr gleiches Schicksal werden.

Aber eine barmherzige Frau, die Markgräfin bat, das Kind nicht zu verbrennen, sondern es ihr in die Obhut zugeben. Sie wollte mit dem Kind reden, ehe es der Gerichtsbarkeit übergeben würde.

So wurde das kleine Mädchen vor dem Feuertod gerettet.

DIE VISION

Die Hitzewelle, die schon seit Tagen das Land knechtete, wollte und wollte kein Ende finden. Der rotglühende Ball am azurblauen Himmel sandte seine heißen Sonnenstrahlen mit konstanter Boshaftigkeit auf die Erde herab. Erbarmungslos heiß wie tausend brennende Fackeln verwandelte sie die Stadt in einen glühenden Kessel.

Über den zahlreichen Häusern der Großstadt, die in einem weiten Tal lagen, hing flimmernd eine Dunstglocke. Zwischen den engen Straßenschluchten schwebten Hitzeschleier, die das Gefühl zurück ließen sich in einem Backofen zu bewegen. Bereits beim Nichtstun trieb es den Schweiß aus allen Poren des Körpers.

Ein Strom von Fahrzeugen, hektisch hupend, rollte durch die hitzeflimmernden Straßen.

Wen wunderte es da, das ein jeder dem sich die Gelegenheit dazu bot, der brütenden Hitze zu entfliehen, in den nahen Wäldern wenigstens etwas Kühlung vor dem glühenden Hauch der Lichtflut suchte.

Zu diesen Glücklichen gehörten Will und Usch. Sie waren bereits in den frühen Mittagsstunden mit ihrem PKW losgefahren. Die Straße, auf der das Auto mit surrendem Reifen dahin rollte, führte sie vorbei an mit verdorrtem Gras bedeckten Wiesen, an überreifen goldgelben Feldern und erreichte schließlich den Frische spendenden Wald. Dann und wann drang hier das sanfte Gurren der Waldtauben an ihr Ohr oder sie sahen tief im raschelnden Farn die braun glänzende Brust des Fasan’s.

Wieselflinke Eichhörnchen schauten neugierig von den dichtbelaubten Rotbuchen hinab, unter denen die Straße hinführte.

Hier und dort hatten Hasen oder waren es wilde Kaninchen Schutz vor der Affenhitze im kühlen Schatten der Bäume und des Gesträuchs gesucht. Sie hatten sich zu Pelzkugeln zusammengerollt, von denen sich nur die Ohren abhoben. Vom Geräusch des Motors aufgeschreckt ergriffen die Kaninchen die Flucht. Sie hasteten, die weißen Schwänze hoch in die Luft, über bemooste Wurzeln durchs dichte Unterholz.

Nichts Böses ahnend brach am Waldrand Mutter Wildschwein durch das Dickicht. Sieben ringelschwänzige, zebrastreifige Frischlinge, erst wenige Tage alt, trabten im Gänsemarsch hinterher.

Pralles Leben überall.

Bienen summten und Hummeln brummten auf den Sommerwiesen. Hier in der Nähe der Kühle des Waldes war die Luft erfüllt vom Fiedeln und Schnarren, Zirpen und Knarren der Heuschrecken. Aufgeregt flatterten bunte Schmetterlinge von Blume zu Blume. Dort labte sich ein leuchtend gelber Zitronenfalter an der rosaroten Kleeblüte. Mit Riesensprüngen hetzte Meister Lampe über die blumenübersäte Wiese und flüchtete in Richtung des Waldes.

Über den Wiesen kreisten zwei Mäusebussarde. Ihre langgedehnten „Hia“ - Schreie waren weit zu hören. Unermüdlich segelten sie im sonnigen Himmelsblau.

Wie ein schlängelndes Band wand sich die Straße durch die Landschaft in Richtung eines mit Nadel- und Laubbäumen bewachsenen Hügels.

Das eintönige Gebrumm des Motors und die leichten Erschütterungen des Sitzes, wenn der Wagen durch Unebenheiten der Straße fuhr, machte Usch schläfrig. Ob sie es wollte oder nicht, immer wieder fielen ihr die Augen zu.

Zusehends näherte sich das Auto den bewaldeten Hügel auf dessen Kuppe ein altes Haus, wie eine mittelalterliche Burg thronte. Die letzten Strahlen der untergehenden Abendsonne vergoldeten die Zinnen des Daches.

Am Horizont begannen sich dicke schwarze Wolken am Abendhimmel zusammenzuballen, die schnell näher kamen. Es waren die drohenden Vorboten eines heraufziehenden Wärmegewitters.

Eine sonderbare Stille schien der Luft mit einmal den Atem abzudrücken.

Drückende Schwüle.

Lautlos schwebte ein großer Schwarm Krähen über dem Auto dahin. Wie böse Geister, fast lautlos und mit sanftem Schlagen der schwarzen Schwingen ließen die boshaften Vögel sich im Geäst der nahen Bäume nieder.

Will konnte nicht sagen, was auf einmal mit ihm los war. Eine innere Unruhe bemächtigte sich seiner, die immer beklemmender wurde je näher sie dem bewaldeten Hügel kamen. Und nicht nur das, plötzlich fing der Motor des Autos an zu stottern. Es folgte ein dumpfes Geräusch, das Will durch Mark und Bein ging. Er konnte den Wagen gerade noch an den Straßenrand lenken, bevor der Motor seinen Geist ganz aufgab.

„Verflucht! Das hat uns bei dem heraufziehenden Unwetter gerade noch gefehlt!“

„Was ist los?“, fragt Usch, die erschrocken aus dem Halbschlaf aufschreckte.

Will zuckte mit den Schultern. Seine Augenbrauen hatte er zusammengezogen und sah skeptisch auf die Anzeigen des Armaturenbrettes. „Ich weiß es nicht. Der Motor ist einfach ausgegangen. Beinahe so, als wäre kein Benzin mehr im Tank ... Und dann das dumpfe Geräusch.“

„Aber das ist doch nicht möglich! Du hast doch erst getankt!“

„Ich weiß ... Das seltsame Geräusch, du hast es doch auch gehört, macht mir Kopfzerbrechen ... Hoffentlich springt die Karre wieder an, ich möchte bei dem heraufziehenden Sauwetter hier nicht übernachten.“

„Ich auch nicht“, antwortete Usch mit zitterndem Unterton in der Stimme.

Will drehte den Zündschlüssel herum und versuchte zu starten. Das Schnurren des Anlassers ertönte, der den Motor durchzog. Nur der Motor machte keine Anstalten anzuspringen, er gab nicht einmal ein gurgelndes Geräusch von sich. Immer und immer wieder versuchte Will das Auto zu starten. Aber alle seine Bemühungen waren vergeblich, er erreichte nur, dass die Fahrzeugbatterie schwächer und schwächer wurde.

Schweiß bildete sich auf Wills Stirn. Plötzlich wurde ihm bewusst, wie heiß es im Wagen war. Mit dem Unterarm versuchte er den Schweiß von der Stirn zu wischen. Aber bei der Hitze, die im Auto herrschte, war dies ein vergebliches Unterfangen. Der Schweiß lief ihm schließlich über die Stirn in die Augen. Er musste blinzeln, um noch etwas erkennen zu können.

Ungeachtet dieser Situation versuchte er verzweifelt immer wieder den Motor in Gang zu bringen. „Nichts“, resignierte Will schließlich, „ich verstehe das nicht ...“

„Komm lass uns aussteigen. Hier drinnen ist es ja vor Hitze kaum noch auszuhalten.“ Usch’s Worten folgte sofort die Tat. Sie öffnete die Beifahrertür und stieg aus.

Bevor Will das Auto verließ, löste er die Verriegelung der Motorhaube.

„Will! ... Mach schon ..., das Unwetter muss jeden Moment losbrechen!“

Als Will beim Aussteigen einen Blick zum Himmel warf, verstand er Usch’s Sorge. Er öffnete die Motorhaube.

Usch trat neben ihn und schaute, als wenn sie Ahnung von Motoren hätte, interessiert zu.

„Ich verstehe das nicht.“ Will schüttelte den Kopf. „Genug Öl ..., genug Wasser ..., Benzin ist genügend vorhanden ... Auch sonst scheint alles in Ordnung. Der Motor müsste eigentlich anspringen.“

„Er tut es aber nicht.“

„Setz dich ans Steuer und versuch noch mal zu starten.“

Usch nickte. Setzte sich hinter das Lenkrad und drehte den Zündschlüssel herum.

Nichts.

Kein Laut.

Der Motor gab keinen Mucks von sich.

„Es scheint alles wie verhext zu sein!“, fluchte Will vor sich hin.

Nach einem weiteren Versuch meinte Usch: „Ich werde wohl den nächsten Reparaturdienst anrufen müssen.“ Sie öffnete das Handschuhfach, griff nach dem Handy und wollte die eingespeicherte Rufnummer suchen.

„Warte noch Usch!“

Usch hörte, wie Will am Motor herumhantiert, aber irgendwie klang das nicht erfolgversprechend.

Langsam begann Usch die Geduld zu verlieren und stellte gereizt die Frage: „Kann ich endlich anrufen?“

„Ja, ruf schon an!“

Sie schaute auf das Display des Handys. Seltsam, das Telefon schien ausgeschaltet zu sein, nur konnte sie sich nicht erinnern, wann sie dies getan haben sollte, noch dazu, wo sie kurz vor ihrer Abfahrt noch telefonierte. Sie schaltete das Gerät ein und wollte den PIN-Code eingeben, da stutzte sie.

Das Gerät war völlig tot!

Irgendwie schien sich das Schicksal gegen sie verschworen zu haben. Manchmal kommt auch alles auf einmal ging es Usch ärgerlich durch den Kopf.

„Ich verstehe das nicht“, meinte sie ratlos. „Nichts scheint zu funktionieren ..., der Wagen ..., das Handy ...“

„Nicht einmal das Autoradio ...“, ergänzte Will, der sich mittlerweile wieder hinter das Steuer gesetzt hatte und an den Bedienelementen herumhantierte. „Irgendwie scheint hier, wer etwas gegen uns haben.“

„Was machen wir jetzt?“, fragte die Frau mit bangem Unterton in der Stimme.

„Irgendwo muss es doch hier in der Gegend eine Ortschaft geben.“

Die Raben hoch in den Bäumen blickten hinab auf den Wagen, der kaum ein Dutzend Meter von ihnen entfernt stehen geblieben war. Mit ihren kalten Augen registrierten die Vögel, was dort unten geschah.