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Das Schicksal der St. Johanniskirche zu Ellrich war und ist mit der wechselvollen Geschichte der Stadt verbunden. Sowohl die Kirche als auch der Ort erlebten seit ihrer Entstehung unzählige freudige Momente und wohl ebenso zahlreiche Tiefpunkte. In einer Urkunde aus dem Jahre 927 wird die St. Johanniskirche das erste Mal erwähnt. Die Kirche fiel mehrfach Stadtbränden zum Opfer und wurde immer wieder aufgebaut. Nach einem Blitzeinschalg in das Gotteshaus brannte der Kirchturm nieder, auch das Kirchenschiff wurde in Mitleidenschaft gezogen. Unzulänglichkeiten beim Wiederaufbau veranlassten die Behörden, den markanten Glockenturm der St. Johanniskirche, der fast 1000 Jahre lang die Silhouette der Stadt bestimmte abtragen zu lassen. Immer wieder bauten die Ellricher ihre Kirche auf. So ist einem Förderverein die Erhaltung der St. Johanniskirche und die Sanierung des Kirchenschiffs zu verdanken. Auch für den Wiederaufbau des doppelspitzigen Glockenturms gibt es bereits von der Stadt, der Kirchengemeinde und dem Förderverein recht konkrete Pläne. Vielleicht gehört ja eines nicht mehr allzu fernen Tages, dieser Turm wieder ganz selbstverständlich zum Stadt bild von Ellrich.
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Seitenzahl: 162
Gleich am Anfang des vorliegenden Buches, ein Dankeschön an die zahl
reichen Spender, die einen Obolus für den Wiederaufbau der Ellricher
St. Johanniskirche mit ihren zwei Glockentürmen spendeten.
„Lass‘ die Kirche im Dorf!“
Geschichte der St. Johanniskirche
Gebet für Ellrich
Dokumente
Veranstaltungen
Oberprediger
Diakonat der Stadt Ellrich
Abkürzungen
Quellennachweis der Bilder
Genutzte und weiterführende Literatur
Genutzte Archive
Bücher über Ellrich und Umgebung
Das geflügelte Wort: „Jetzt lass‘ doch aber bitte mal die Kirche im Dorf!“ kennt heutzutage fast jedes Kind. Es fällt zumeist, wenn wieder einmal heftig gestritten wird, und man versucht, dem anderen - gern auch wiederholt und besonders engagiert - seine Sicht der Dinge zu vermitteln. Sie können sich also denken, dass dieser Satz insbesondere im politischen Alltagsgeschäft einer parlamentarischen Demokratie, die ja ihre Energie aus dem zivilisierten Austausch von Meinungen zieht, besonders häufig sehr passend ist.
Doch weit jenseits der heutigen, umgangssprachlichen Benutzung verweist diese Redewendung auf einen jahrhundertelang als selbstverständlich geltenden Gemeinplatz - nämlich den, dass die Kirche im Ort, in den Grenzen der Gemeinde, zu bleiben habe. Kirchen bildeten seit Alters her den Mittelpunkt von Ortschaften. Mit ihren Kirchturmspitzen waren sie nicht nur religiöse Zentren, sondern gleichzeitig wichtige Orientierungspunkte in der Landschaft, die wir heute - verwöhnt durch den Luxus von GPS und anderen Navigationssystemen - kaum mehr als solche wahrnehmen. In der Vergangenheit jedoch waren diese Gotteshäuser zum einen sichtbare, durch ihr Geläut allerdings auch akustische Wegmarken, für Einheimische und Reisende. Apropos Akustik: Auch die täglich sich neu stellende Frage, wann denn wohl der Feierabend „eingeläutet“ werde, kann in diesem Zusammenhang wohl wieder besser verstanden werden.
All diese Assoziationen begleiten mich, wenn ich an die St. Johanniskirche in Ellrich denke. Als eine steinerne Zeugin kann sie von allerlei wechselvollen Geschichten berichten, die sie in den letzten 1000 Jahren erlebt hat - Geschichten von Blitzeinschlägen, vom Abbrennen, aber auch vom Wiederaufbauen, von reger Nutzung genauso, wie von langem Verlassen-Sein. Das Auf und Ab, das für die Geschichte insgesamt konstitutiv ist, lässt auch ihre Monumente nicht unberührt. Seit über 1000 Jahren hat die St. Johanniskirche das Stadtbild Ellrichs nachhaltig geprägt. Dies tut sie auch noch im Jahr 2020 - allerdings gegenwärtig ohne ihre stolzen Türme. Umso mehr habe ich den Kampf der Stadtgesellschaft bewundert, die mit einem enormen Einsatz für die Wiederaufrichtung dieser historischen Turmanlage streitet.
Als Ministerpräsident machte man mich auf diese Lage aufmerksam und ich beschloss, Ellrich zu besuchen und mir selbst ein Bild vor Ort zu machen. Ich wollte verstehen. Und ich verstand. Die Bürger berichteten mir von der Besonderheit des Baustoffes, von vielerlei Fehlern, die damit gemacht wurden, aber auch von dem festen Willen, dieses Wahrzeichen nicht aufzugeben, sondern wieder zu einem lebendigen Ort in der Mitte der Gemeinde zu machen. Und man hat Wort gehalten. Der Kirchenraum wurde restauriert und zur Benutzung hergerichtet. Einzig die Türme fehlen noch.
Auf meinem Schreibtisch in der Erfurter Staatskanzlei steht ein Stich der Johanniskirche. Jedes Mal, wenn ich dort arbeite, sehe ich die markante Doppelspitze der Kirche vor mir und werde daran erinnert, wie wichtig es nach wie vor ist, die engagierten Bürger auf ihrem Weg zu unterstützen, wo ich nur kann. Sie haben in den letzten Jahren Großes geleistet, unter anderem indem sie beim MDR den Eigenanteil eingeworben haben, um die Finanzierung der Türme zu ermöglichen. Wir müssen dort helfen, wo noch Fördermittel gebraucht werden, um endlich die Abrundung des wunderschönen Turmensembles zu ermöglichen.
Die prominente Platzierung St. Johannis‘ soll einen Blick ins weite Land ermöglichen und gleichzeitig - bei aller Schönheit der Landschaft - zum Nachdenken anregen. Denn auch in Ellrich hat die deutsche Teilung Wunden hinterlassen. Darüber sollten wir allerdings nicht das Gemeinsame vergessen und die große Freude, das Trennende überwunden zu haben.
Auch dafür steht St. Johannis und der mit ihrem Namen verbundene Kampf um die Wiedererrichtung eines wichtigen Symbols deutscher und europäischer Geschichte.
Bodo Ramelow
Ministerpräsident
Freistaat Thüringen
Ellrich umgeben von herrlichen Wäldern und Anhöhen liegt in einem lauschigen, weiten Südharztal 250 m über N. N. an einem Flüsschen, in dem das Wasser zwischen großen und kleinen Kieselsteinen langsam und an engen Stellen dann wieder wie wild dahinschießt - die Zorge.
Im Sommer eingebettet in das saftige Grün der Wiesen, Parzellen zahlreicher Gärten und das schon im hellen Gelb schimmernde Gewoge der Felder. In den Wintermonaten bedeckt ein weißes Schneekleid die Äcker und Grasflächen bis zu den schneebehangenen Bäumen des nahen Harzwaldes. Hin und wieder bläst dort ein kurzer Lufthauch, hier und da von den Bäumen etwas von ihrer weißen Pracht herunter. Der leise herabrieselnde Schnee hüllt den Waldboden ganz in weiß.
Weit sichtbar grüßten einst die zwei schlanken Türme der Johanniskirche in das weite Land, ergänzt von dem mit grünen Bäumen umrahmten alten Kirchlein auf dem Frauenberg. Das alte Wahrzeichen der Stadt, der Ravensturm, der sich immer mehr nach einer Seite neigte, und das Wernaertor geben dem Städtchen sein bekanntes Gepräge.
Gegen Osten grüßt der Riesenberg, dem sich anschließt der Galgenberg und das Zimmerbühl. Im Norden liegt der Frauenberg und aus der Ferne schauen die Harzberge herüber. Im Westen erblickt man die weite Aue. Sie dehnt sich bis an den Rand der grünen Harzwälder aus und bis zur Erhebung des Rain’s. Woran sich die Grenze zwischen der Ellricher und der Walkenrieder Flur hinzieht. Gegen Süden die Pontelteiche, hinter denen steile weiße Gipswände aufragen, welchen sich der Kammerforst anfügt.
Einst schützte den kleinen Harzort eine Stadtmauer. Sie zog sich vom Ravensturm nach Norden, der als Gefängnis diente, entlang dem Mühlengraben, der Zorge zum Mühlentor. Von dort führte die Mauer bis zum Ende der Kirchgasse. Hier bog das Gemäuer links ab und erreichte das Nordhäusertor. Etwas weiter schwenkte sie wieder nach links, um hier von einer Anzahl in gleichen Abständen errichteter Halbtürmen überragt zu werden. Längs der Hintergasse verlief die Mauer auf das Neue oder Wernaertor zu. Dort wandte sie sich dann abermals nach links und traf, nachdem diese den Stöckeys-Turm berührte, der gleichfalls ein grausiges unterirdisches Gefängnis besaß, wieder auf den Ravensturm.
Die paradiesische Natur der Ellricher Landschaft begeisterte den Heimatdichter Goeckingk und entlockte ihm folgendes Gelübde:
„Treu, Natur, verbleib ich dir,
bis ich deiner schönen Erde
Lebewohl einst sagen und mit ihr
eine Schönere tauschen werde.“
Ellrich besitzt vier evangelische Kirchen und Kapellen. Es sind dies die Marienkirche auf dem Frauenberg, die St. Johanniskirche, die Nikolaikirche und die Hospitalkirche zum Heiligen Geist.
Kommen wir zur Geschichte des größten Gotteshauses der Stadt, der St. Johanniskirche.
Kaiser Karl stellte nach der Niederlage des Sachsenkönigs Wittekind an das sächsische Volk die Bedingung, insgesamt zum christlichen Glauben überzutreten. Von dieser Zeit an nahm der römische Gottesdienst in der Gegend des Harzes immer mehr zu. Man baute Kirchen und Klöster.
Während die Entstehungszeit der Frauenbergskirche in Dunkel gehüllt ist, gibt es genauere Angaben von der Hauptkirche der Stadt Ellrich, der Pfarrkirche St. Johannis des Täufers.
Nach einer Urkunde aus dem Jahre 927 wurde der Neubau dieser Kirche durch Königin Mathilde, Gattin des ersten deutschen Königs Heinrich I, erwähnt. Gleichzeitig soll sie diese mit Gütern ausgestattet haben.
„Ecclesia nostra … quamque in honorem S.Joanis Baptiste aliorumque sanctorum a püssima olim MATHILDA imperatrice de novo extructam et dotatam …”, dies geht aus der Abschrift einer Urkunde im roten Buch des Pfarrarchivs hervor.
Da liegt die Vermutung nahe, dass vor dem Neubau der Kirche ein älteres Gotteshaus bestand.
Im 12. Jahrhundert ließ Graf Ludwig von Clettenberg das Gotteshaus durch einen neuen Chor - einen Vorgängerbau des heutigen Chores - erweitern und die Kirche restaurieren.
Graf Albert von Clettenberg schenkte der Kirche St. Johannis viereinhalb Hufen Land. Die Schenkungsurkunde dazu stellte er im Jahre 1229 aus.
Im Namen des Herrn Amen. Wir Albert von Gottes, Gnaden Graf von Clettenberg und - wollen allen gegenwärtigen und künftigen Getreuen zur Kenntnis geben, dass wir durch reifen Entschluss und mit Zustimmung des Bruders Berthold und unserer Erben zur Ehre des allmächtigen Gottes und seiner Allerheiligsten Mutter B. Maria sowohl zur Vergebung unserer Sünden als auch zu unserem und all unserer Nachkommen Seelenheil wie auch zum Gedächtnis unserer geliebten Adelheid in der Hoffnung auf ewige Belohnung im Himmel unserer Pfarrkirche in Ellrich, die einstmals unser Großvater seligen Andenkens wiederherstellen und vergrößern ließ und die nach unserem Wissen einst zu Ehre S. Johannes des Täufers und anderer Heiliger von der sehr gottesfürchtigen Gebieterin Mathilda von Neuem erbaut und beschenkt wurde, von unseren Feldern, die wir in dem genannten Ellrich besitzen, vier und eine halbe Hufe zu ruhigen und für alle Ewigkeit ungestörtem Besitz schenken, dafür, dass von dem jeweiligen Pfarrer der genannten Kirche jetzt und für alle Zeiten zum Gedächtnis unserer vorerwähnten Gattin Adelheid an ihrem Todestag jährlich Gottesdienste mit Vigilien und Messen nach rechten Brauch gefeiert werden. Und damit die Erinnerung an dieses Geschehen niemals aufhören möge, haben wir befohlen, dass diese Urkunde geschrieben und mit unserem Siegel bekräftigt wird. Geschehen in unserem Ort Ellrich im Jahre der Fleischwerdung des Herrn 1229 am Tage des Apostels S. Jacobs in Anwesenheit mehrerer vertrauenswürdiger Zeugen.
Quelle: Peter Kuhlbrodt „Das alte Ellrich - Geschichten einer Südharzstadt“, Verlag Neukirchner Nordhausen 2000, Seite 20/21.
Aus dieser Urkunde geht hervor, dass Alberts Großvater Ludwig die Ellricher Kirche wiederherstellen und vergrößern ließ.
Gleichzeitig schenkten der Graf von Clettenberg und seine Gemahlin Kunigunde der Kirche in Ellrich einen Kelch.
In dem Jahre 1229 erschien in einer Walkenrieder Urkunde ein Pfarrer - plebanus - Hermannus de Elriche - als Zeuge.
Ein Theodoricus, plebanus in Elriche und canonicus sancte Crucis in Northhusen, Pfarrer zu Ellrich und Kanoniker am Stift zum Heiligen Kreuz in Nordhausen wurde 1285 in einer Urkunde des Frauenberger Klosters Novi Operis genannt.
Im 13. Jahrhundert erfolgte die Errichtung der kleinen Kapelle zum Seelenheil der Bewohner des Hospitals. Der Pfarrer der St. Johanniskirche hatte die Pflicht, einmal wöchentlich in ihr Gottesdienst abzuhalten.
Bild 1: Das älteste Bild von Ellrich, dass aus der Zeit vor der Anfertigung des Stiches nach Merian, stammt (1578).
Im November 1307 ging die Erwähnung eines Pfarrers Conrad in Ellrich aus einer Urkunde der Grafen von Hohnstein hervor. Am 8. Juni 1318 soll Heynrich von Mulhusen als Schreiber des Grafen von Honstein zugleich Pfarrer in Ellrich gewesen sein. In den Jahren 1472 bis 1486 amtierte in Ellrich der Oberprediger Joachim Spangenberg.
Die Ellricher Kirche gehörte 1506 zum Archidiakonat Jechaburg, dass dem Dekanat Ober-Berga zugeordnet war. Für das Einsammeln der Steuergelder und deren Ablieferung an den Hauptkollektor wurde hier der Vikare Conradus Landgreffe genannt. Er war für die Vicaria Trium Regum in parochiali ecclesia (Pfarrkirche St. Johannis) zuständig und seine Einkünfte betrugen 6 Schock, 7 Groschen und 1 Scheffel Roggen.
Magister Johann Crusius, ein ehemaliger Walkenrieder Mönch, ließ sich 1525 als evangelischer Pfarrer in Ellrich nieder. Er war der erste Geistliche in Ellrich, der die Lehren Luthers vertrat. 1527 verheiratete er sich. Als er erblindete, geriet dieser in große Armut. Vom Walkenrieder Abt Holtegel, der im Überfluss schwelgte, erhielt er keine Unterstützung. Hilfe suchend wandte Crusius sich an Luther, worauf dieser 1542 einen zornigen Brief an Justus Jonas schrieb.
Der neue Glaube wurde unterdessen in der Grafschaft einstweilen nur geduldet. Der Graf von Hohenstein, Ernst V. blieb dem Papsttum ergeben. Er dachte nicht an eine allgemeine Einführung der lutherischen Lehren, besonders da ihm der Kaiser Ferdinand 1543 schrieb, die neue Religion nicht einzuführen, sondern die Alte zu erhalten.
Das Patronat über die Kirchen der Stadt stand dem Magistrat zu. Bei der Anstellung des ersten evangelischen Pfarrers Simon Kleinschmidt im Jahre 1551 heißt es dazu in einem Bericht:
„Damit nun eine gemeine Stadt mit einem rechtschaffenen evangelischen Pfarrherren wieder versorgt werde, hat ein ehrbar, ehrsamer und wohlweiser Rath durch viel und manichfaches demüthiges Ersuchen bei unserem gnädigen Herrn von Hohnstein so viel Gnade und Gunst erlangt, dass wir uns wieder können mit einem Pfarrherrn versorgen, denn seine Gnaden wüssten keinen zu bekommen; hat ein ehrbarer Rath darauf so viel Mittel und Wege gesucht und etliches Geld mit Mühe und Arbeit aufgebracht, damit ein evangelischer Pfarrerherr erhalten werden mochte.“
Quelle: „Chronik der Stadt Ellrich“ von K. Heine, Ellrich, Verlag der G.-Krause’schen Buchhandlung 1899.
Nach dem Tode des Grafen von Hohnstein, der im Jahre 1552 als Katholik starb, beriefen dessen Söhne, nachdem durch den Augsburger Religionsfrieden 1555 wenigstens den Regierenden die Freiheit des religiösen Bekenntnisses zugesichert wurde, am 27. März 1556 eine förmliche Synode nach Walkenried.
An der Synode in Walkenried, auf der die Einführung der evangelischen Religion nach der Augsburgischen Konfession in der Grafschaft beschlossen wurde, nahm Magister Simon Kleinschmidt, Pfarrer zu Ellrich teil. Er hielt der versammelten Geistlichkeit über Math. 5,31 eine Ermahnungsrede und dankte als Bevollmächtigter den Grafen von Hohenstein, wie dem Abt von Walkenried für die Bewirtung.
Am Sonntag Palmarum fand die Reichung des Abendmahles zum ersten Male unter beiderlei Gestalt statt. Zum Andenken daran läuteten ab sofort, immer an dem gleichen Sonntag in Ellrich, während der Kommunion die große Glocke der St. Johanniskirche und sang das Te Deum.
Mit den Kommentaren zu Luthers kleinem Katechismus, geboren heraus aus der schlechten Ellricher Bezahlung, bot Kleinschmidt den Auswüchsen mittelalterlichen Papsttums Paroli. Die Bezahlung der Kirchenbediensteten war so schlecht, dass diese nach einer Stiftung des Magisters Schmaling allsonntäglich zwei frischgebackene Semmeln erhielten.
Selbstverständlich blieben eine Reihe bisheriger Gebräuche bestehen, da sich die Gemeinde nicht so leicht von den hergebrachten Formen zu trennen vermochte. Nach wie vor feierte man viele Fest- und Aposteltage, hielt Vespern, Vigilien und Messen. Vieles sang man, namentlich die Epistel und das Evangelium lateinisch. Die Prediger erschienen im Messgewand und Chorröcken, die diesen auf Kosten der Kirche gestellt wurden. Beim Abendmahl waren weiß gekleidete Messknaben behilflich.
Da der Kleinodien Schatz der St. Johanniskirche nicht unbedeutend war, veräußerte man eine Reihe entbehrlich gewordener Gegenstände ohne Bedenken. So wurden im Jahre 1575 Messgewänder teils verkauft, andererseits zu Altardecken und ähnlichen Zwecken verwendet.
Besonders gut sollen sich die grünen Samtgewänder zur Anfertigung von Decken geeignet haben. Von dem Erlös wurden Bücher, und zwar in erster Linie Luthers Schriften angeschafft, so u. a. eine Bibelübersetzung vom Jahre 1555.
Johann Wagner, ein guter Freund Luthers war von 1575 bis 1588 Diakonus in Ellrich. Der Kirchenliederdichter Neander rühmte ihn als einen Mann von großem Verstand und großer Gelehrsamkeit.
Um die Reinheit der Lehre zu fördern, rief am 11. Dezember 1583 Graf Ernst VII. alle Prediger nach Walkenried um diese daran zu erinnern, „in ihrem Amte treu, in ihrer Lehre rein, in den Kirchenbräuchen übereinstimmend und im Wandel unsträflich zu sein“.
Bild 2: Blick auf Ellrich, hier hat die St. Johanniskirche noch zwei Türme.
Im Jahre 1589 folgte die Aufstellung einer Gedenktafel im Hospital Sankt Spiritus, gemalt für die verstorbene Ehefrau des Diakonus Paul Maltzkasten. Das Bild zeigte am Fußende des Grabes Christi kniend die Heimgegangene mit zwei Töchtern sowie ihren Gatten in Gesellschaft von zwei Söhnen. Gemalt als Verzierung um die Tafel biblische Sprüche und die Daten der Familie.
1593 wurden wieder alle Prediger nach Walkenried berufen. Hier befahlen Heinrich, den Abt zu Ringelheim und Dr. Basilius Sattler, Hofprediger und Generalsuperintendent in Braunschweig den Priestern, sich genau nach den beschlossenen Satzungen zu richten.
Im folgenden Jahr bekam der Ellricher Rat mit den Geistlichen der Stadt Streit. Er wollte diesen bürgerliche Lasten aufbürden, wogegen die Geistlichen sich wehrten.
Bild 3: Ansicht der Johanniskirche mit Doppelturm-Westwerk, schmalem Schiff ohne Querhaus und größeren Chor mit Dachreiter.
Weil aber der Rat trotzdem auf seine Forderungen beharrte, klärte der Landesfürst in seinem Schreiben vom 4. Juli 1595 das Problem.
Die Ellricher Kirche blieb von den bürgerlichen Lasten verschont.
Nach dem Bau der neuen Orgel im Jahre 1600 erfolgte deren Erweiterung um ein Rückpositiv durch Nicolaus Köppel aus Nordhausen.
Am 15. April 1627 wurde Basilius Damius, Diakon in Bleicherode, Pfarrer in Ellrich. Mit seiner Amtstätigkeit begann die sorgfältige Führung der Kirchenbücher, die bis heute erhalten sind.
Vor Pfingsten, am 12. Mai 1627 erhielt der Ratskeller, eine der beliebtesten Schänken des Ortes, in den späten Abendstunden Besuch von einer Horde Harzschützen.
Geräusche erwachten hier und dort in der nächtlichen Stadt.
Fensterläden klapperten, Türen fielen leise schnappend in ihre Schlösser und dazwischen immer wieder gedämpfte Stimmen. In einzelnen Häusern flackerte hinter den Fensterscheiben Kerzenschein auf und aus den erleuchteten Fenstern schauten fragende Gesichter heraus.
Von Haus zu Haus wanderten leises Raunen und Rufen. Aber niemand wusste genau, was los war.
Mit einmal ging es wie ein Lauffeuer durch den Ort: „Die Harzschützen sind in der Stadt!“
Es verging keine Stunde, da erhielt ein jeder Harzschütze von Sympathisanten, die sich unter der Ellricher Bevölkerung befanden, ein geschnürtes Bündel, das er sich mit Hilfe von Tragebändern auf den Rücken schnallte.
Die Harzschützen gingen, wie sie gekommen waren. Lautlos verschwanden sie in dem nahe liegenden dichten Wald des Harzes.
Der nächtliche Aufenthalt der Harzschützen in der Stadt sollte nur kurze Zeit geheim bleiben. Irgend so ein Lump, der sich bei den Kaiserlichen lieb Kind machen wollte, wurde zum Verräter.
Es war der 14. Mai 1627 (2. Pfingsttag) gegen acht Uhr in der Frühe. Die Gemeinde war in der St. Johanniskirche zum Festgottesdienst versammelt und der Pfarrer verlas auf der Kanzel gerade das Pfingstevangelium. Da drangen wie der Wirbelwind kaiserliche Soldaten, oder waren es Tyllische Landsknechte, in die nordwestliche Vorstadt, nahe dem Aue Tor ein.
Einige der mehr als ein Dutzend Reiter trugen hocherhoben blackende Fackeln in den Händen. Gleich hinter dem Auetor holten die Söldner mit den Armen weit aus und schleuderten die brennenden Wurfgeschosse über die Köpfe.
Pfeifendes Zischen!
Hart, klopfende Aufschläge!
Die tückischen Brandfackeln hatten ihr Ziel erreicht.
Auf das Dach eines kleinen Hauses waren die brennenden Kienspäne im hohen Bogen geflogen. Sofort züngelten blaugelbe Flämmchen empor, fraßen sich durch das Holz, wurden zu roten Flammenzungen, die sich gierig des morschen Gebälks bemächtigten. Die sich rasch knisternd ausbreitenden Flammen fanden in dem trockenen Holz der Verschalung reichliche Nahrung.
Lichterloh prasselte eine Flammensäule aus Valentin-Müllers-Haus in die Höhe.
Fahlroter Lichterschein zuckte über die Gesichter der Brandstifter, die Triumphgeheul ausstoßend weiter jagten.
Dann zerriss ein Schrei den Morgen: „Feuer! … Feuer! … Feuer! …“, dass das aufgeregte Bimmeln der Feuerglocken vom Nicolaiplatz unterstrich.
Überstürzt verließ die versammelte Gemeinde das Gotteshaus zu St. Johannis.
Da wälzte sich von der Judenstraße her schon eine gewaltige Rauchmasse nach dem Marktplatz zu.
Ohne nur eine Minute zu verlieren, eilten die Ellricher herbei, Alt und Jung, Groß und Klein, um sofort den Kampf gegen die Flammen aufzunehmen. Im Nu bildete sich eine Menschenkette, die trotz allen Unbill versuchte, gegen den Feuerteufel anzugehen. Eimer bis zum Rand mit Wasser gefüllt wanderten von Hand zu Hand. Bei jedem Schwapp Wasser, der im Feuer verschwand, stieg eine weiße Dampfwolke empor. Die Flammen zuckten zurück, wurden kleiner und erloschen.
Im selben Moment schlugen an zwei weiteren Stellen der Stadt die gelbrötlichen Flammen aus den Dächern. Ein Windstoß ließ die Glut des Feuers höher lodern, das immer schneller um sich griff. Durch den starken Westwind angetrieben, tobte es wie eine Furie durch die Straßen der Stadt.
Hier waren die Brandstifter erneut am Werk gewesen.
Ein Inferno aus hohen, gierig leckenden Feuerzungen sprang von Haus zu Haus und vollführte einen bizarren Tanz. Feuersäulen schossen hoch, sanken zusammen, züngelten gierig nach Nahrung und lohten dann wieder gelbrot auf.
Aus den Bränden entwickelte sich eine gewaltige Feuerwalze, die vom Westwind in den Ort weitergetragen, sich schnell ausbreitete. Die mit Holzschindeln gedeckten Fachwerkhäuser boten dem Flammenmeer eine leicht entzündliche Nahrung.
Dichter, immer dichter werdende Schwaden beißenden Qualmes zogen durch die Straßen und Gassen. Hustend stolperten die Menschen vorwärts, rangen nach frischer Luft und wischten sich immer wieder mit zitternden Händen über die schweiß- und rußverschmierten Gesichter.
Und bald stand fast das ganze Städtlein in Flammen und an ein Retten war kaum zu denken. Schauerlich schön wie Fackeln brannten die Türme der St. Johanniskirche.