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Die 35-jährige Lili Gray steht vor dem Nichts, als sie ihr Café in einem kleinen schottischen Küstenort schließen muss. Doch dann vermacht ihr ein Unbekannter ein altes Haus auf der Halbinsel Llyn in Nordwales. Die leicht verfallene Pilgerraststätte und der Garten an den Klippen ziehen Lili sofort in ihren Bann. Von dort blickt sie auf die Insel Bardsey, die eine unerklärliche Faszination auf sie ausübt. Aber Lilis Anwesenheit scheint jemanden zu stören, und die junge Frau ahnt nicht, wie sehr die Geschichte des Pilgerortes mit ihrer eigenen – und der des unbekannten Gönners verbunden ist ...
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Seitenzahl: 619
Buch
Lili Gray ist 35 und steht vor dem Nichts: Sie kann die Miete für ihr geliebtes Café im schottischen Küstenort Greenock nicht mehr zahlen und verliert so nicht nur ihre Arbeit, sondern auch ihr Zuhause. Als ihr der Brief einer walisischen Anwaltskanzlei ins Haus flattert, kann sie ihr Glück kaum fassen – ein Unbekannter hat ihr ein Haus in Aberdaron vermacht. Das Erbe ist jedoch mit einer Auflage verbunden: Lili muss die Erbschaft sofort antreten und das Haus bewirtschaften. Kurzentschlossen bricht sie ihre Zelte in Greenock ab und reist mit Fizz, ihrem Border Terrier, in den hübschen Ort auf der entlegenen Halbinsel Llŷn in Nordwales. Das alte Haus ist etwas heruntergekommen, aber es hat Potenzial, und Lili ist überzeugt, dass es sich zu einem Bed & Breakfast umbauen ließe. Vor allem aber hat es Lili der zum Anwesen gehörende große Garten direkt an den Klippen angetan.
Je länger Lili in Aberdaron ist, desto mehr ist sie von dem alten Pilgerort und der gegenüberliegenden Insel Bardsey fasziniert. Dann entdeckt sie neben dem Altar in der Kirche zwei alte Steine mit einer rätselhaften Inschrift. Der Historiker Collen Thomas, dem sie sich schon bald verbunden fühlt, erklärt Lili, dass es sich um keltische Gedenksteine handelt. Doch Lili ahnt nicht, dass die Geschichte dieser Steine mit ihrer eigenen und der ihres unbekannten Gönners verbunden ist …
Informationen zu Constanze Wilken
und weiteren Titeln der Autorin
finden Sie am Ende des Buches.
CONSTANZE WILKEN
Das Erbe von
Carreg Cottage
Roman
für Karola
In einer Vielzahl von Formen erschien ich,
bevor ich meine endgültige Gestalt annahm.
Ich war der fernste der Sterne,
ich war Wort in der Botschaft …
Lang irrte ich auf der Erde umher,
bevor ich Wissen erlangte.
Ich wanderte,
ich schlief auf hundert Inseln,
ich trieb mich an hundert Orten herum …
Taliesin,Der Kampf der Bäume (6. Jh.)
Hauptpersonen
Gegenwart
Lilian Gray – schottische Erbin von Carreg Cottage auf der Llŷn Halbinsel
Stanley Edwards – Anwalt aus Llanbedrog
Katie Edwards – Anwältin, Stans Tochter
Collen Thomas – Historiker in Nefyn
Marcus Tegg – Tischler mit Firma in Abersoch
Cheryl und Lewis Olhauser – Pfarrerehepaar von St. Hywyn in Aberdaron
Seth Raines – Cheryls Bruder
Miles Folland – Immobilienhändler
Emma und Dewi Stephans – Inhaber des »Tearooms« in Aberdaron
Elen Rynallt – Inhaberin des Pendragon Hotel in Aberdaron
Vergangenheit
(*historische Personen)
Meara/Lileas – Heilerin und Tochter des Druiden Ruan ap Bodnan
Nimne – Mearas Mutter
Cadeyrn – Mönch, Sohn des Jodocus up Dyfnallt
Elis – Mönch und Cadeyrns Freund in Bangor-is-y-Coed
Abt Dinoot – Abt im Kloster von Bangor-is-y-Coed am Fluss Dee
Braen – Mönch
Æthelfrith* – König von Northumbria (gest. 616 n. Chr.)
Alpin – Heerführer von Æthelfrith
Fercos – Soldat von Alpin
Brioc – römisch-katholischer Priester
Edwin* – im Exil lebender König von Deira (ca. 584–633 n. Chr.)
Raedwald* – König von East Anglia (lebte bis ca. 627 n. Chr.)
Fychan – Schäfer auf der Llŷn
Elffin – Fischer am Daron, Llŷn
Sessylt – Fischer am Daron, Llŷn
Abt Mael – Abt der Gemeinschaft auf Ynys Enlli/Bardsey Island
Tathan – Bruder Krankenwärter auf Ynys Enlli
Iago ap Beli* – König von Gwynedd
Cadfan ap Iago* – Sohn des Iago ap Beli
Prolog
Gelbe Blüten raschelten im warmen Sommerwind. Die junge Frau ging langsam durch den verwinkelten Klostergarten und ließ sich von der Wärme liebkosen. Ihre Haut hatte eine gesunde Bräune angenommen, ihre Wangen waren voller geworden und die dunklen Ränder unter den Augen verschwunden. Ihre schönsten Erinnerungen verband sie mit Gärten, ihre schlimmsten mit Ozeandampfern und Städten. Und hier stand sie nun, nach allem, stolz, allein und mittellos.
Sie konnte sich nicht sattsehen an dem prächtigen gelben Blütenrausch des Goldregens. So wunderschön und so giftig. Was für eine seltsame Laune der Natur war es, vollkommene Schönheit mit dem Tod zu verpaaren. Oder war es nicht vielmehr so, dass jedes glitzernde, verführerische Ding eine Schattenseite hatte, dass man für jedes kleine Glück, das man dem Leben abtrotzte, mit einem Stück seines Herzens bezahlen musste? Und irgendwann blieb nichts mehr übrig, denn ein Herz war kleiner, als man dachte, und es schmerzte mit jedem Stück, das ihm entrissen wurde, mehr.
Ihre kastanienbraunen Haare waren glanzlos geworden, und ihre Lippen, die ihn verführt hatten, trocken und rissig. Die kostbare Seide, in die er sie gekleidet hatte, die anfangs kühl und schmeichelnd gewesen war, hatte sich in ein scharfkantiges Netz verwandelt, das erst ihre Haut und schließlich ihre Seele zerschnitten hatte.
Ein Schmetterling umflatterte die goldenen Blütenstauden und schien sich nicht entscheiden zu können, wo er den süßen Nektar trinken sollte. Vielleicht sollte sie ihn auch kosten und vergessen, wer sie war und wie sie hierhergekommen war. Sie streckte eine Hand nach dem tödlichen Gold aus und wurde sanft zurückgezogen.
»Nicht. Du würdest nicht nur dich, sondern auch das Leben, das in dir wächst, töten. Kannst du dafür die Verantwortung übernehmen?«
Die junge Frau hob benommen den Blick und sah in die mitfühlenden Augen der Schwester, die in ihrem schwarz-weißen Habit wie ein seltsamer Vogel inmitten des Gartens wirkte.
Tränen schossen ihr in die Augen, und sie griff nach der Hand der Ordensschwester. »Es tut mir leid. Ich hatte sündige Gedanken, aber …«
Die Schwester drückte ihre Hand und führte sie zu einer Bank, auf der sie sich niederließen. Vor ihnen breitete sich eine ovale Rasenfläche aus, die von blühenden Sträuchern gesäumt wurde. In der Mitte plätscherte ein Brunnen, dahinter erhoben sich die grauen Mauern des alten Klostergebäudes. Spitze Giebel und schmale Fensterschlitze zeugten von der langen Geschichte des schottischen Ordenshauses.
»Du bist nicht die erste Frau, die in eine solche Situation geraten ist. Ein Kind ist ein Geschenk Gottes, und du solltest dankbar sein.«
»Das sollte ich, aber ich kann nicht, weil ich weiß, dass ich diesem armen Wurm nichts außer meiner Liebe geben kann, und das ist nun einmal nicht genug, denn davon wird es nicht satt werden.« Die junge Frau streichelte ihren gewölbten Leib, der sich deutlich unter dem blauen Kleid abzeichnete.
»Es gibt verschiedene Möglichkeiten, für die Zukunft des Kindes zu sorgen. Hast du dich einmal entschieden, gibt es kein Zurück. Vergiss das nicht.« Die Schwester erhob sich und machte das Kreuzzeichen über der Stirn der werdenden Mutter. »Gott segne dich.«
Sich die Tränen von den Wangen wischend sah die junge Frau der Nonne nach. Sie hatte ihre Entscheidung schon lange getroffen. Deshalb war sie nach Schottland zurückgekehrt.
I
Cop y Goleuni, Nordwales, Anno Domini 614
Hear the voice of the Bard
Who present, past and future sees
Whose ears have heard
The holy Word
That walked among the ancient trees …
William Blake, first »Song of Experience«
Der Morgennebel lag über Wald und Hügeln. Knorrige Eichen wanden ihre Zweige im Zwielicht des anbrechenden Tages. Auf den uralten Bäumen wuchsen die heiligen Misteln. Die junge Frau stand am Fuße des Hügels, kalte, feuchte Luft haftete schwer an ihrem Umhang, doch sie hing ihren Gedanken nach und sog den Duft von Gras, Erde und Wald ein. Sie war eine Tochter der Muttergöttin, eine Gefährtin des Windes, ein Geschöpf des Meeres. Langsam breitete sie die Arme aus und ließ die Kräfte der Elemente durch sich hindurchströmen. Heute Nacht begann die dunkle Zeit des Jahres, der Winter löste die Herrschaft des Sommers ab.
Eine prickelnde Vorfreude floss durch ihre Adern. Heute Nacht lösten sich Zeit und Raum auf und öffneten die Tore zur Zwischenwelt. In dieser einen Nacht gab es weder Sommer noch Winter, die Oberwelt kam mit der Anderwelt in Berührung, die Geister der Toten mischten sich unter die Lebenden. Sie feierten Nos Calan Gaeaf, die Nacht des Winteranfangs, die erste der drei Geisternächte.
In der Ferne erwachte der Weiler. Die Bewohner entzündeten die Torffeuer, deren Qualm aus den Hütten stieg, ein Hund bellte, und Schafe blökten. Die Menschen fürchteten die Geisternächte, denn sie hatten Angst vor dem Tod, der doch nur ein Übergang in eine andere Welt war.
Die junge Frau warf die Kapuze zurück und strich sich lange rotbraune Haarsträhnen aus dem Gesicht. Der Blick ihrer dunklen Augen heftete sich auf den heiligen Hügel, glitt über den Wald, kehrte sich nach innen, und sie sah die Felder, das Moor und endlich die Klippen, hinter denen das Meer toste. Ihre Lider senkten sich, und während das Meer in ihren Ohren rauschte, roch sie Salz und Seetang und spürte die Gischt auf dem Gesicht.
Ein heiseres Krächzen riss sie aus ihren träumerischen Gedanken. Vor ihr hatte sich auf dem Ast einer Eibe ein Rabe niedergelassen und beäugte sie.
»Was bringt uns dieser Winter?« Sie zog den wollenen Umhang enger um sich. An ihren Oberarmen wanden sich frisch gestochene Schlangen, die ihre Zugehörigkeit zur Druidenkaste symbolisierten.
»Krah!«, rief der Rabe, schüttelte den Kopf und schwang sich in die Luft. Zweimal kreiste er über der jungen Frau, bis er über den Hügel Richtung Küste davonflog.
»Lileas!«, ertönte eine helle Stimme, die ihrer kleinen Schwester Beca gehörte.
Zwei Mal war er über ihr gekreist, zwei Mal von rechts nach links. Das bedeutete Unglück. Lileas schlug die Kapuze wieder über die Haare, auf die sich bereits ein feuchter Nebelfilm gelegt hatte. Ihre ledernen Stiefel waren ebenfalls durchnässt, doch sie war es gewohnt, bei jeder Witterung in der Natur zu sein. Ihr Vater war ein Druide, der letzte einer langen Reihe von gelehrten Männern. Seit die fremden Priester die neue Religion verbreiteten, hatte sich alles verändert. Furcht ersetzte das Vertrauen in die alten Götter, die eins waren mit der Natur, aus deren Schoß sie alle stammten. Die Priester betrachteten das alte Wissen als Bedrohung, und die Menschen waren ängstlich und wandten sich den neuen Heilsbringern zu.
Es raschelte im Unterholz, und dann kam ein kleines Mädchen durch das hohe Gras gerannt. Ein Lächeln huschte über Lileas’ Gesicht. Ihre Schwester war zart wie ein Reh. Mit ihren goldblonden Locken war Beca wie ein Sonnenstrahl, der die Herzen wärmt, und ihre blauen Augen schauten voller Vertrauen in eine Welt, die im Umbruch begriffen war. Wenn es eine Verkörperung des Guten geben konnte, einen Ausdruck reiner Liebe, dann war Beca das Gefäß dafür.
Kleine Füße trampelten die Halme nieder, und mit einem Jauchzer warf Beca sich Lileas in die Arme. Lileas hielt den warmen Körper fest und begann sich zu drehen.
»Ja!«, quietschte Beca und bog den Kopf nach hinten, um ihre Schwester anzusehen. »Schneller!«
Die Mädchen drehten sich, bis sie lachend ineinander verknäult zu Boden taumelten. Bevor Beca sich losmachen konnte, drückte Lileas ihre Nase in die nach Honig und Äpfeln duftenden Haare. Ihre kleine Schwester würde einmal eine wundervolle Ehefrau abgeben. Aber bevor es dazu kam, würde sie mit ihrem Liebreiz und ihrer Schönheit viele Männerherzen brechen. Im Gegensatz zu mir, dachte Lileas und nahm die Hand ihrer Schwester, um sich auf den Weg zum Haus zu machen. Wir sind wie Licht und Schatten, wie Sonne und Mond. Ich bin die dunkle Seite, die stets Fragende, die Rastlose, deren Geist immer auf der Suche ist.
Sie war die Tochter ihres Vaters und Beca das Ebenbild ihrer Mutter – der sanften Nimne, einer Fürstentochter, die gegen den Willen ihres Vaters einen Druiden geheiratet hatte. Nimne hatte ihre Familie und ein Leben in Wohlstand aufgegeben und war dem Barden, der an ihrem Hof gesungen hatte, in eine ungewisse Zukunft gefolgt. Der gutaussehende Ruan war einer der obersten Druiden des alten Glaubens. Es gab nicht viele Orte in Wales, in denen sie unbehelligt leben konnten.
Nach dem Abzug der Römer vor zweihundert Jahren war das alte Britannien in eine Zeit der Dunkelheit und des Chaos gestürzt. Die Königreiche auf der Insel waren miteinander verfeindet und boten allzu leichte Beute für die Invasoren vom Kontinent. Die Völker der Angeln und Sachsen eroberten vom Süden her die Territorien, die einstmals von den Römern verwaltet worden waren. In Northumbria, den nördlichen Territorien, herrschte der kriegerische König Æthelfrith. Die Menschen in den westlichen Königreichen nannten sich Cymry, und immer öfter hörte man, dass das Land Cymru, Wales, genannt wurde.
Lileas schnaufte, und ihre Schwester sah sie fragend an. »Was ist? Du ziehst wieder eine krause Stirn. Mam sagt, das gibt hässliche Linien, und dann kriegst du überhaupt keinen Mann mehr.«
»Das ist mir egal. Ich heirate nicht, sondern werde eine Druidin. Außerdem mache ich mir Sorgen um unser Land.«
»Hast du ein Zeichen gesehen?« Becas Stimme zitterte. »Müssen wir wieder weiterziehen?«
Der Pfad führte sie durch einen Birkenhain, hinter dem ein Flussarm des vom Clwyd gespeisten, weit verzweigten Wassersystems lag.
»Der Rabe hat mir gezeigt, dass Unheil zu erwarten ist«, sagte Lileas unbestimmt. Schon tauchten die ersten Hütten der kleinen Siedlung unterhalb des heiligen Hügels, Cop y Goleuni, auf. Hier oben im unwirtlichen, kargen Norden, nur einen Fußmarsch von der Küste entfernt, hatten sie nach langer Wanderschaft ein Dorf gefunden, das sie willkommen geheißen hatte.
Das Gefühl drohenden Unheils wurde stärker, doch Lileas konnte nichts sehen. Manchmal trafen die Bilder sie mit voller Wucht, und sie wünschte sich, sie hätte die Zukunft nicht gesehen. Aber sie konnte die Visionen nicht kontrollieren, noch nicht. Und jetzt, da sie wissen wollte, was der Tag bringen würde, hob sich der Vorhang nicht. Aber etwas würde geschehen. Sie zitterte – und es waren nicht die Geister der Toten, vor denen sie sich fürchtete.
»Lileas!« Beca zerrte an ihrem Umhang. »Was denn? Sag mir, was du gesehen hast!«
Die junge Frau schüttelte die düsteren Ahnungen ab und tippte sich vielsagend an die Stirn. »Der Festbraten wird verbrennen, dein Festkleid wird zerreißen, und die Milch ist sauer …«
Beca lachte. »Du redest Unsinn! Mam!« Das Mädchen winkte und hüpfte auf die erste Hütte am Rande des Weilers zu.
Eine schlanke Frau mit weizenblonden Haaren kam mit zwei Händen voller Hühnereier vom Verschlag herüber. Nimne hatte die stolze Haltung einer Königin und trug das Gewand einer einfachen Frau. »Wo hast du nur gesteckt, Lileas? Ich brauche dich bei den Vorbereitungen für das Essen.«
Ziegen meckerten, zwei struppige Hunde sprangen um sie herum, und ein Huhn stob gackernd davon. Sie waren nicht reich, aber sie hatten alles, was man zum Leben benötigte. Nach mittlerweile zehn Jahren war Ruan ein geehrtes Mitglied der Gemeinschaft geworden. Seine Kenntnisse in der Heilkunst hatten sich herumgesprochen, und man dankte ihm seine Hilfe mit Geschenken.
»Ha, gleich bist du tot!« Ein kleiner Junge kam mit einem Holzschwert aus dem Haus und hätte beinahe seine Mutter zu Fall gebracht, welche die Hände mit den Eiern gerade noch fortziehen konnte. »Loel, Fioled, spielt draußen weiter!«
Ihre jüngeren Geschwister grinsten und rannten davon. Lileas trat hinter der Mutter in die schlichte Behausung, die aus einem zweigeteilten Raum im Untergeschoss und einem Schlafboden bestand. Eine Wand war mit Regalen bestückt, in denen ihr Vater seine Tinkturen, Pulver, Kräuter und Messer verwahrte. Über der Feuerstelle hing ein Kessel, und auf einem Rost stand ein Topf, in dem Lileas die morgendliche Graupengrütze zubereiten würde. Während sie ihren Umhang ablegte und die Ärmel aufschlug, fragte sie: »Wo ist Dafydd?«
Vorsichtig legte Nimne die Eier in einen Weidenkorb. »Beim Fischen.«
»Also mit Arven Schwertkampf üben.« Arven war der Sohn des Schmieds und Dafydds bester Freund.
Gemäß der Tradition hätte Dafydd bei Ruan in die Lehre gehen sollen. Die geheimen Lehren der Druiden wurden nur von Druidenmund zu Druidenohr weitergegeben, schriftliche Aufzeichnungen waren verboten. Nur so war es möglich gewesen, das Wissen der Gelehrten über Jahrhunderte vor den Feinden zu bewahren. Die Ausbildung eines Druiden dauerte zwanzig Jahre. Doch schon als Junge hatte Dafydd keinerlei Neigung zum Lernen der alten Weisheiten gezeigt. Lileas dagegen hatte ihren Vater schon als Kind angefleht, sie als seinen Lehrling anzunehmen. Und von dem Tag an, als Ruan endlich hatte einsehen müssen, dass sein Sohn zum Krieger bestimmt war, war Lileas ihrem Vater nie von der Seite gewichen und merkte sich jedes seiner Worte.
Nimne schlug die Eier in einer Holzschale auf. »Vielleicht ist es gut, einen Krieger in der Familie zu haben. Es gefällt mir nicht, wie uns die Leute seit dem Fortgang des Priesters ansehen. Ich mochte diesen Brioc nie. Etwas hat sich verändert.«
»Ich habe ein Vorzeichen gesehen, Mam«, sagte Lileas leise.
»Was, Kind?« Alarmiert hielt Nimne in der Bewegung inne. Alle in der Familie wussten, dass Lileas das zweite Gesicht hatte.
»Ich kann es nicht sehen. Aber das Gefühl von Gefahr ist stark. Wo ist Tad?«
»Er bereitet das Ritual für heute Nacht vor.«
Vor großen Festen begab sich Ruan in den Wald, um Kraft zu sammeln. Bäume besaßen besondere Kräfte und galten als Tore in die Anderwelt. Es hatte Zeiten gegeben, in denen die Übergänge zur Anderwelt durchlässiger gewesen waren. Damals zweifelte niemand daran, dass das Feenvolk in Hügeln und unter Bäumen lebte. Die Welt der Feen hatte ihren eigenen Raum und ihre eigene Zeit. Menschen konnten dorthin gelockt werden, und das Leben im Feenreich war sorglos. Doch ein Tag bei den Feen kam Jahren in der Welt der Menschen gleich. Lileas wusste, dass die Feen gern Schabernack trieben, aber nicht bösartig waren. Und trotzdem wetterten die Priester mit ihren Kreuzen gegen die kleinen Wesen.
Lileas rührte die Graupen in Wasser und ließ die Mischung langsam kochen.
Während Nimne mit geübten Handgriffen den Kuchen zubereitete, sagte sie zu Beca: »Lauf zu Fioled und sag ihr, sie soll den Ofen aufheizen.« Brot und Kuchen wurde draußen im Steinofen gebacken.
Als sie allein waren, wandte sich Nimne an ihre älteste Tochter: »Ich habe dir immer ein anderes Leben gewünscht, Lileas. Ein guter Mann, der dich versorgt und dir Sicherheit bieten kann. Aber ich sehe, dass das nicht dein Weg ist.«
»Mam, lass doch. Es ist entschieden.«
Nimne streichelte ihre Wange. »Das sind die Sorgen einer Mutter. Du bist klug, Lileas. Ruan und mich macht es stolz, so wie das alte Volk stolz auf seine starken, klugen Töchter war. Aber es hat sich vieles geändert. Sei vorsichtig.«
Lileas’ Augen leuchteten kämpferisch. »Ich soll mich verstecken? Es hat immer weibliche Druiden gegeben!«
»Kind, versteh doch, Brioc hat Einfluss auf die Menschen. Er verdammt alles, was gegen seine Religion ist – und dazu gehören auch weibliche Gelehrte. Und vergiss nicht, dass du Pyrs abgewiesen hast.«
»O nein, hör auf mit diesem dreisten Kerl!«, stöhnte Lileas. Der Schäfer Pyrs hatte sie umworben und auf einigen Festen bedrängt. In der Mittsommernacht dann hatte Dafydd sie vor dem liebestollen und gewalttätigen Schäfer bewahren müssen. Von Dafydds Schlägen hatte Pyrs eine schiefe Nase behalten und fluchte, wenn er sie oder ihren Bruder sah.
Fioled rief von draußen: »Der Ofen ist heiß genug!«
Die Sonne war seit Stunden untergegangen, und ein Fackelzug machte sich vom Dorf auf zum heiligen Hügel. Lileas stand stolz an der Seite ihres festlich gewandeten Vaters, der den Opferstein im Innern des Hügels geweiht hatte. Eine weiße Ziege sollte den Göttern geopfert werden, und weiß waren die Gewänder des Druiden und seiner Tochter.
»In der Stille, dem Schweigen, dem bloßen Sein siehst du alles. Ich sehe dich, und ich sehe auf den Grund aller Dinge«, murmelte Ruan, ein großer Mann von hagerer Statur, dessen langes Haupthaar und Bart von grauen Strähnen durchzogen war. Bis eben hatte Lileas keine Gelegenheit gehabt, mit ihrem Vater zu sprechen, der sich an wichtigen Festtagen in meditatives Schweigen vergrub. Sein Zorn über Missachtungen der Gebote war fürchterlich, und sie wollte sein Vertrauen nicht verlieren.
Plötzlich veränderte sich die Atmosphäre. Der Rauch der Fackeln und die in den Nachthimmel zuckenden Flammen vermengten sich vor ihren Augen zu einem wirbelnden Sog. Ein Rauschen und Murmeln erhob sich, schwoll an zu einem Schreien und Brüllen, das an ihren Sinnen zerrte, ihre Haut war dünn, und sie spürte, wie sich jedes einzelne Haar darauf schmerzhaft aufstellte. Als der erste Reiter auf sie zusprengte, in einer Hand ein blutiges Schwert, in der anderen einen abgeschlagenen Kopf, entfuhr ihr ein Schrei. Der Reiter hatte Briocs Gesicht, und in der Hand schwenkte er Dafydds Kopf.
Starke Hände packten sie und schüttelten sie unsanft. »Lileas! Sieh mich an!«
»Tad«, flüsterte sie und sah ihren Vater an. »Wir müssen fliehen! Sie werden uns töten!«
»Heute feiern wir den Winteranfang. Selbst die Römer haben das respektiert.« Zweifelnd sah er von ihr zu den näher kommenden Fackeln.
»Es ist der Priester, Tad. Ich habe es eben gesehen.« Die Stimme versagte ihr.
Ruans Lippen wurden schmal, und er sah zum Himmel. »Nackt stehen wir vor dir, große Göttin, und schenken dir unser Leben.«
»Nein!«, rief Lileas. »Komm, lass uns Mutter und die Geschwister warnen …«
Doch ihr Vater rief weiter die Götter an. »Nehmt unser Opfer und gewährt uns euren Schutz. Wir geben uns in eure Hand.«
Lileas verließ ihren Vater, dessen imposante Gestalt vom Hügel in den Nachthimmel aufragte. Dieses eine Mal widersetzte sie sich seinem Befehl und lief auf den Fackelzug zu, der zu einem unerwarteten Halt gekommen war.
Große Dôn, steh uns bei, dachte Lileas und rannte auf die Menschen zu.
1
Llŷn Peninsula, April 2016
Lilian Gray steckte den Stutzen zurück in die Tanksäule. Sie wollte nicht auf den letzten Kilometern ohne Benzin liegen bleiben. Seit Penygroes war die Landschaft einsamer und karger geworden. Der Blick von den Klippen auf das Meer war von jedem Aussichtspunkt spektakulär, aber zum Teufel, es war hier so ausgestorben wie auf den Hybriden.
»Das macht dreißig Pfund«, sagte der junge Mann hinter dem Tresen und riss den Kassenbon ab.
Sie zog ihre Kreditkarte hervor. »Wo ist die nächste Bank, bitte? Ich brauche Bargeld.«
Der junge Mann trug Jeans und ein ölverschmiertes Shirt. Das Basecap hatte er nach hinten gedreht. Grinsend hob er die Schultern. »Schottland, eh? In Pwllheli. Auf dieser Seite ist nicht viel los. Wo wollen Sie denn hin?«
Ihr schottischer Akzent war unüberhörbar. Lilian nahm die Karte entgegen und seufzte. »Nach Aberdaron. Ich bin zum ersten Mal hier und überhaupt in Wales.«
»Wer’s mag. Land’s End eben. Schreiben Sie ein Buch oder so was?«
»Lieber Himmel, das fehlte mir noch!« Sie strich sich über den Pferdeschwanz. Verwaschene Kakihosen, derbe Wanderstiefel, Shirt und eine Daunenweste waren ihre Standardbekleidung. Ihre Hände waren es gewohnt anzupacken und ihre Figur nicht mädchenhaft zart, sondern kräftig wie die einer Frau, die körperlich arbeitete. Sie konnte tischlern, Gemüse anbauen und zur Not einen Kurzschluss beheben. Wenn sie praktisch arbeitete, fühlte sie sich sicher, ein Schreibtisch war Lilians Vorstellung von Strafarbeit.
»Lassen Sie mich raten. Für einen Badeurlaub ist es zu früh. Ah!« Er nahm einen Schokoriegel aus einem Korb und riss die Verpackung auf. »Sie pilgern nach Ynys Enlli, ja? Pilgern ist der neue Trend und …«
»Nein!«, unterbrach Lilian den redseligen Tankwart, verstaute ihr Portemonnaie und griff nach den Autoschlüsseln. »Pilgern und womöglich beten? Phhh! Wenn Gebete helfen würden, wäre ich nicht pleite. Schönen Tag noch.«
Das Lachen des freundlichen Mannes im Ohr, stieg Lilian in ihren klapprigen Land Rover und streckte die Hand nach ihrem Beifahrer aus. »Aye, Fizz, dann lass uns mal sehen, was da auf uns zukommt.«
Der graubraune Border Terrier leckte ihr die Hand und sah sie aus intelligenten braunen Augen an. Kleine schwarze Knickohren und ein krauser Schnauzbart verliehen ihm einen weisen und verschmitzten Ausdruck. Ihre beste und einzige Freundin Tasha hatte ihr den Welpen vor drei Jahren geschenkt. Dr. Natasha Shaw war in allem das Gegenteil von ihr, und aus einem unerfindlichen Grund verband sie seit ihrer Kindheit eine tiefe, ehrliche Freundschaft. Und sogar diese Person hatte sie durch ihr unüberlegtes, stures Verhalten verprellt.
Lilian startete den Wagen und warf einen kurzen Blick auf die Landkarte. »Hinter Nefyn links abbiegen und dann nur noch runter bis zur Küste. Das dürfte nicht allzu schlimm sein.«
Fizz rollte sich gähnend in seiner Decke zusammen. Lilian stellte das Radio an und lauschte einem melancholischen Lied von Adele. Verlorene Liebe, wenn es nur das wäre, dachte Lilian. Mit fünfunddreißig Jahren stand sie vor dem Nichts. Sie hatte keine abgeschlossene Ausbildung, war in keiner Anstellung länger als sechs Monate geblieben und hatte ihr Café in Greenock verloren, in das sie all ihre Ersparnisse und ihre Energie investiert hatte. Vielleicht hätte ihr Plan aufgehen können. Doch dann war das Haus verkauft worden, der neue Besitzer hatte die Miete erhöht, und vom Gesundheitsamt war eine Klage wegen Nichteinhaltung diverser Vorschriften gekommen. Die Erfüllung der Auflagen hätte Unsummen gekostet, und nachdem Lilian ausgezogen war, ließ der Investor das Haus abreißen. Wenn das kein Zufall war. Da Lilian unerlaubterweise in einem Hinterzimmer des Cafés gelebt hatte, war sie auch noch obdachlos geworden. Ihre gesamte Habe befand sich in diesem alten Wagen.
Die Straßen wurden schmaler, die Hecken und Steinwälle zu beiden Seiten höher. Nach den Worten des Tankwarts hatte sie Ödnis erwartet, doch die Landschaft war abwechslungsreich und charmant: sanfte Hügel mit spärlicher werdendem Baumbestand, weiße Häuschen, die nach Ferienunterkünften aussahen, Farmhäuser und hier und dort ein Pub und eine Töpferwerkstatt in einem der kleinen Dörfer. Nach manch einer Kurve wurde sie mit einem weiten Ausblick auf die Klippen und das Meer belohnt.
Sie war in dem kleinen schottischen Küstendorf Skelmorlie aufgewachsen und hatte das Landleben immer der Großstadt vorgezogen. Ihre Kindheit war nicht unbedingt glücklich gewesen, aber es hätte schlimmer kommen können. Immerhin hatte sie ihre Großeltern gehabt. Fiona und Duncan Gray hatten sich mehr um sie gekümmert als ihre Mutter Maud, an die Lilian nur wenige gute Erinnerungen hatte. So war das Leben, man konnte sich nicht aussuchen, wer einen zur Welt brachte.
»Sarn Mellteyrn« stand auf einem Schild. Von hier waren es nur noch wenige Kilometer bis Aberdaron. Land’s End, hatte der Tankwart gesagt, und irgendwie passte das zu einer Gestrandeten wie ihr. In ihrem Wagen sah es so chaotisch aus wie in ihrem Leben. Sie warf einen Blick auf den zerknitterten Brief, der aus ihrer Umhängetasche ragte. Edwards & Jones prangte in goldenen Lettern auf dem Umschlag aus teurem Leinenpapier. Natürlich, Anwälte ließen sich nicht lumpen, der erste Eindruck zählte, obwohl vor Gericht am meisten gelogen wurde.
Sie kannte den Inhalt auswendig. Eine Erbschaft. Ausgerechnet sie erbte ein kleines Vermögen von einem unbekannten Gönner. Sie hatte keine reichen Verwandten, und sie kannte niemanden, der sie so ins Herz geschlossen haben könnte, um ihr ein Haus auf einer verdammten Landzunge in Nordwales zu vermachen. Fizz regte sich und gähnte.
Der Anwalt Stanley Edwards teilte ihr in gesetztem Juristenjargon mit, dass sie ein Haus in Aberdaron erbte. Natürlich gab es einen Haken, denn das Erbe war an Bedingungen geknüpft. Bei dem Haus handelte es sich um eine alte Pilgerraststätte. Der geheimnisvolle Erblasser verlangte, dass das Haus bewohnt und bewirtschaftet wurde. Da das Gebäude lange Zeit leer gestanden hatte, war es vermutlich in keinem guten Zustand. Eine geringe Summe Bargeld stand ihr zur Verfügung, sollte sie das Erbe antreten. Entschied sie sich dagegen, fiel der gesamte Besitz an den National Trust. Wäre Lilian nicht in der aussichtslosen Lage, in der sie nun einmal steckte, hätte sie den Brief zerrissen und auf die unverschämten Forderungen gepfiffen. Wer konnte erwarten, dass sie alles stehen und liegen ließ, um einen alten Schuppen irgendwo im Nirgendwo zu renovieren?
Allerdings gehörte zu dem Anwesen ein großer Garten direkt an den Klippen mit einem eigenen Zugang zum Strand. Womöglich hätte sie auch allein die Aussicht auf einen eigenen Garten überzeugt. Seit ihrer frühesten Kindheit verband sie die schönsten und friedlichsten Momente in ihrem Leben mit der Zeit, die sie im Garten ihrer Großeltern oder im Wald verbracht hatte. Sie war ein eigenartiges kleines Mädchen gewesen, zumindest hatte ihre Mutter das immer behauptet. Pflanzen und Tieren hast du mehr zu sagen als mir, hatte sich Maud oft beschwert.
Lilians Lippen wurden zu einem schmalen Strich. Sie hatte ihre Mutter in jeder Hinsicht enttäuscht. Ein hübsches, puppenhaftes Mädchen hatte die sich gewünscht und ein wildes, ungezähmtes Etwas erhalten. Es war nicht einmal so gewesen, dass sie ein Junge hätte sein wollen. Mode war ihr einfach gleichgültig. Sie benötigte nur robuste, wetterfeste Kleidung, um sich dort aufzuhalten, wo sie am liebsten war – in der Natur.
»Dabei wollte ich nur meine Ruhe«, murmelte Lilian und trat auf die Bremse, weil die Straße vor ihr plötzlich rechtwinklig und mit einem Gefälle von dreißig Grad verlief. Vor einer alten, einspurigen Brücke musste sie kurz anhalten, um einen Lastwagen passieren zu lassen.
Der Fahrer winkte, und Lilian setzte ihren Weg langsam fort. Aberdaron war tatsächlich nicht groß, wenn sich das hier als Zentrum bezeichnete. Zögerlich folgte sie der schmalen Straße, die vor einem weiß getünchten Hotel zu enden schien. Der winzige Dorfplatz, auf dem man nicht wenden konnte, wurde von windschiefen, historisch anmutenden Häusern gerahmt. Eines war ein Bed & Breakfast, gegenüber befand sich ein Tearoom. Ein kleiner Souvenirladen klebte am größten Hotel, dessen Front direkt auf den Strand zeigte. Die Straße machte eine scharfe Linkskurve und führte den Hügel wieder hinauf. Auf halbem Weg befand sich eine Kirche, deren Friedhof mit alten keltischen Kreuzen sich malerisch über den Hügel zur Bucht hinunter erstreckte.
Fizz schien die salzige Brise zu riechen, die selbst für eine rudimentär ausgestattete menschliche Nase zu spüren war. Der kleine Hund stellte die Pfoten auf die Armlehne und hechelte aufgeregt.
»Ich weiß sowieso nicht genau, wo wir hinmüssen. Wir parken, und du kannst dir die Pfoten vertreten.« Kurzentschlossen fuhr Lilian auf den engen Parkplatz vor der Kirche. Es war früher Abend und unwahrscheinlich, dass noch ein Gottesdienst stattfand.
Vor dem Wagen reckte sie die Arme, dehnte sich und sog die frische, salzige Luft ein. Immerhin, das schmeckte wie in Schottland. Und der Wind ließ sich auch nicht lumpen und fegte um die Hausecke. Das Meer brandete unter ihr auf den Strand, der mit feinem Sand und Steinen in der Nähe der Felsen gesäumt war. Fizz hatte einen Weg nach unten entdeckt und flitzte davon.
Ein kleiner Spaziergang würde auch ihr guttun, dachte Lilian und folgte ihrem Hund.
»St. Hywyn« stand auf einer Tafel. Lilian interessierte sich weder für Heilige noch für alte Kirchen, aber diese hier war zumindest hübsch. Während sie den steilen Klippenpfad hinunterlief, hörte sie ihr Mobiltelefon klingeln.
»Gray?«
»Schön, dass ich Sie erreiche, Miss Gray. Stanley Edwards. Sie erinnern sich?«
Lilian lachte rau. »Wie könnte ich Sie vergessen haben! Ihretwegen bin ich gerade acht Stunden gefahren und am Ende einer ziemlich einsamen Halbinsel angekommen.« Sie sprang auf den Sand. Etwa fünfzig Meter trennten sie noch vom Meer. Die Bucht zog sich hufeisenförmig um den Strand, eingefasst von Klippen, hinter denen grüne Hügel aufstiegen. Am dunkler werdenden Horizont ragten zwei kleine Inseln aus dem Meer. »Idyllisch ist es hier, das muss ich zugeben. Aber wenig los. Liegt das an der Jahreszeit?«
Edwards räusperte sich. »An den Wochenenden wird es voller, und im Sommer ist Aberdaron ein beliebter Badeort. Haben Sie Carreg Cottage schon gefunden?«
»Was habe ich gefunden?«
»Das alte Pilgerhaus. Carreg Cottage. Ach, hatte ich Ihnen den Namen nicht geschrieben?«
»Nein. Das ist aber nicht die Insel der Pilger? Die heißt Ynys Enlli, soweit ich weiß.«
Fizz sprang immer wieder bellend in das auflaufende Wasser und biss in die Gischt.
»O nein. Carreg Ddu wird der Fels in der Meerenge zwischen Ynys Enlli und dem Festland genannt. Man kann ihn von Ihrem Cottage aus sehen. Es liegt oben auf der Klippe, rechts von Ihnen, wenn Sie Richtung Meer schauen.«
Lilian drehte sich um und suchte die Hügelkette nach einem Haus ab. »Da ist nichts.«
»Von unten können Sie es nicht sehen. Die Insel liegt auf der anderen Seite der Klippen und das Haus quasi gegenüber. So konnten die Pilger die heilige Insel sehen und sich in ihre Gebete vertiefen«, erläuterte der Anwalt. »Carreg Ddu, der schwarze Felsen, liegt mitten in den gefährlichen Strömungen, die viele Schiffe zum Kentern gebracht haben. Noch heute ist die Überfahrt gefährlich und nicht immer möglich.«
»Klingt nach einem besonders romantischen Flecken … Wie komme ich also dorthin?« Lilian entdeckte zwei Strandwanderer, die von einem schwarzen Labrador begleitet wurden, und winkte ihnen ermutigend zu, denn Fizz hatte den Artgenossen ebenfalls entdeckt.
»Sie fahren über die kleine Brücke und biegen dahinter sofort scharf links ab. Dann folgen Sie der Straße den Hügel hinauf und biegen, wann immer möglich, links ab. Nicht zu verfehlen. Ich treffe Sie oben in einer Stunde, in Ordnung?«
»Okay. Dann kann ich noch etwas essen. Bis gleich, Mr Edwards.«
Als das Gespräch beendet war und sie das Telefon in ihre Hosentasche steckte, drehte sie sich langsam zum Friedhof um. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass sie beobachtet wurde. Und tatsächlich. Neben einem verwitterten keltischen Kreuz stand ein älterer Herr und sah unverwandt zu ihr hinüber.
Sie pfiff ihren Hund herbei und kletterte die Klippen wieder hinauf. Hier und dort musste sie sich am Fels festhalten. Oben wurde sie bereits von ihrem Beobachter erwartet. Der Mann musterte sie durch eine Hornbrille und wirkte verärgert. Graues Haar wurde ihm vom Wind um den Kopf geweht, während er anklagend mit einem hageren Finger auf ihr Auto deutete. »Ihrer?«
»Entschuldigung. Ich bin gerade erst angekommen und wusste nicht …«
»Interessiert mich nicht. Da steht ein Schild. Der Parkplatz ist Mitgliedern dieser Kirche vorbehalten. Sind Sie ein Mitglied?«, schnarrte der große Mann, dessen Glieder in einem grauen Pullover, Cordhosen und einem knielangen Mantel steckten. Sie schätzte ihn auf Ende sechzig.
Lilian verdrehte die Augen. »Du meine Güte. Da steht doch sonst keiner. Wozu die Aufregung …«
»Aber es hätte sein können, dass jemand von der R.-S.-Thomas-Society den Platz benötigt. Sie kennen natürlich den berühmten Reverend Thomas?«
»Ja, sicher. Ganz großes Licht. Dann noch einen schönen Abend. Komm, Fizz.« Sie ließ den empörten Mann stehen und stieg mit Fizz in ihren Wagen.
Wenn das ein Vorgeschmack auf die Bewohner hier war, musste das Haus schon ein Knaller sein …
2
Carreg Cottage
Lilian fuhr zurück auf den winzigen Marktplatz von Aberdaron und überquerte die alte Brücke, hinter der sie einen öffentlichen Parkplatz entdeckte. Der National Trust unterhielt direkt am Strand das Informationszentrum Porth y Swnt. Auf dem weitläufigen Parkplatz, der mit Sand und Steinen befestigt war, standen nur wenige Wagen. Ein Surferbus war darunter, davor pellten sich zwei Männer aus ihren Neoprenanzügen.
Fizz lief schwanzwedelnd auf die Surfer zu, die ihn freundlich begrüßten. »Hey, was bist du denn für einer …«
Der Ältere der beiden zog sich ein Kapuzenshirt über und strich sich nasse, dunkle Locken aus dem Gesicht.
»Fizz, lass sie in Ruhe!«, rief Lilian.
Doch der Mann lachte und sah zu, wie Fizz auf seinem Wellenreiter herumtappte. »Kann er surfen?« Der Mann sprach Englisch im weichen Singsang der Waliser.
»Keine Ahnung. Haben wir noch nicht versucht. Wie ich Fizz kenne, lernt er das sicher schnell. Ist der Tearoom gut für einen schnellen Imbiss?«
Der Jüngere der beiden rieb sich die Haare mit einem Handtuch trocken. »Emma macht die besten Sandwiches zu einem fairen Preis. Die beiden Hotels zocken dich ab. Bist nicht von hier, eh?«
»Nicht zu überhören, ich weiß. Okay, danke.« Lilian nickte den beiden Surfern zu. Wenn sie sich darüber wunderten, dass sie so kurz angebunden war, ließen sie es sich nicht anmerken.
Als sie mit Fizz die Tür zum Tearoom aufstieß, schlugen ihr Wärme, fröhliches Stimmengewirr und der Duft von Essen entgegen. Trotz der verlockenden Speisekarte beschränkte sie sich auf ein Käsesandwich mit Kresse und Chutney und ein Glas Leitungswasser. Sie gab Fizz, der sich artig unter den Tisch legte, einen Hundekeks und machte sich hungrig über das Essen her.
Der Tearoom wurde von einem jungen Paar geführt. Emma und Dewi schienen fast alle Gäste zu kennen und servierten abwechselnd Speisen und Getränke.
Emma trat mit einem strahlenden Lächeln noch mal zu ihr an den Tisch und fragte: »Haben Sie noch einen Wunsch? Darf ich Ihrem Hund etwas geben? Bei uns wird jeder Gast versorgt.«
Lilian erwiderte überrascht das Lächeln. »Fizz sagt sicher nicht nein. Das ist sehr freundlich. Für mich nur die Rechnung, bitte. Ich habe gleich noch eine Verabredung oben an Carreg Cottage. Scheint mir weiter als gedacht.«
»Da wollen Sie noch hin? Doch nicht wandern, oder? Es wird bald dunkel.« Emma trug ein buntes Strickkleid, unter dem sich eine leichte Wölbung abzeichnete. Und da sie immer wieder unbewusst über den leicht gerundeten Leib strich, nahm Lilian an, dass sie guter Hoffnung war.
Die Tür wurde aufgestoßen, und die beiden Surfer kamen herein. Als sie Emma mit Lilian sahen, winkten sie.
»Emma ist die Beste, oder? Nimm’s nicht tragisch, Dewi, aber ohne deine Frau …« Die restlichen Worte des jungen Surfers gingen in Gelächter und allgemeiner Begrüßung unter.
»Sie kennen Collen und Phil?«, erkundigte sich Emma.
»Wen? Äh, nein. Die beiden haben mir auf dem Parkplatz Ihr Restaurant empfohlen. Ich fahre mit dem Auto den Hügel hinauf.«
»Ah, das ist vernünftig. Die Entfernung täuscht von hier, und die Steigung ist erheblich, wenn man kein geübter Wanderer ist. Für jemanden wie mich ist momentan alles anstrengend.« Emma legte sich erneut die Hand auf den Bauch.
Lilian war so viel spontane Offenheit nicht gewohnt und nickte verlegen. »Gratuliere. Ja, ich muss wirklich los.«
»Ich rede immer zu viel. Natürlich wollen Sie weiter. Dewi!« Sie winkte ihrem Mann. »Alles Gute!«
Als Lilian wenig später den Parkplatz in ihrem Wagen verließ, war es bereits dunkel, und sie hatte Mühe, die Abzweigungen nicht zu verpassen, die sich oft hinter überhängenden Zweigen und schiefen Steinwällen verbargen. Für eineinhalb Kilometer brauchte sie über zehn Minuten, weil die Straße teilweise unbefestigt und so eng war, dass ihr Wagen an beiden Seiten von Gräsern und Zweigen gestreift wurde. Doch nun schien ihr Ziel endlich erreicht.
Die Scheinwerfer einer parkenden Limousine waren auf ein langgestrecktes Cottage gerichtet, dessen Dach dringend geflickt werden musste. Lilians Hoffnungen sanken. Sie stellte den Motor ab und öffnete die Tür, um zuerst Fizz hinauszulassen.
Eine Gestalt löste sich aus dem Schatten der Limousine. »Mrs Gray, nehme ich an? Ich bin Stanley Edwards.« Ein mittelgroßer Herr in Anzug und Mantel trat auf sie zu. Sein spärliches weißes Haupthaar war kurz geschnitten, freundliche Augen blitzten hinter einer Brille, und er trug einen weißen Kinnbart.
Eine Windböe fegte über den Hügel, und ganz in der Nähe hörten sie das Meer rauschen. Lilian schüttelte die dargereichte Hand. »Lilian Gray, freut mich.« Sie deutete auf das Haus. »Das ist es also?«
Fizz legte die Nase auf den Boden und lief schnüffelnd davon.
Der Anwalt nickte. »Kommen Sie, ich führe Sie kurz herum. Von hier wirkt es nicht besonders einladend. Und natürlich kann man in der Dunkelheit die spektakulären Ausblicke nicht würdigen. Glauben Sie mir, allein deswegen ist der Grund hier Gold wert.« Edwards schaltete eine große Taschenlampe ein und ließ den Lichtkegel vom Haus über eine Hecke zu ihrer Rechten wandern.
»Der Garten zieht sich vorn bis an die Klippen. Und von dort können Sie Ynys Enlli sehen oder Bardsey, wie die Engländer unsere Pilgerinsel nennen.«
Sie folgten einem kleinen Trampelpfad über eine Wiese. Das Haus, das von vorn wie ein kleines Cottage wirkte, erstreckte sich über zwei unterschiedlich hohe aneinandergefügte Bauteile. Einige Fenster hatten Läden, von denen einer im Wind klapperte. Die Rahmen waren aus Holz und landestypisch schwarz gestrichen, genau wie die Fachwerkbalken.
»Holzbalken, hm, wenn die nicht regelmäßig gestrichen wurden, können die ziemlich morsch sein«, merkte Lilian an.
»Es gibt ja noch den Fonds, mit dem Sie renovieren können. Dieses Haus ist etwas ganz Besonderes. Der vordere Bau wurde im zwölften Jahrhundert errichtet. Pilger kamen schon viel länger hierher. Haben Sie sich mit der Geschichte von Ynys Enlli befasst?«
»Nein. Es kam alles sehr überraschend. Ich hatte vor meiner Abreise noch eine Menge zu regeln.« Lilian stieß einen überraschten Laut aus, denn die Wolken rissen auf, und das Mondlicht schien auf die Klippen und das Meer vor ihnen. Unwillkürlich beschleunigte sie ihre Schritte und hielt erst inne, als sie steinigen Grund unter den Schuhen spürte.
Gebannt sah sie in die Ferne, wo auf dem Meer ein unförmiger Buckel auszumachen war. Unter ihr warfen sich die Wellen gegen die Felsen, Gischt brandete auf, und weiße Schaumkrönchen tanzten im silbrigen Mondlicht auf der schwarzen See. Ein unbestimmtes Gefühl nagender Sehnsucht machte sich in Lilian breit, verbunden mit dem seltsamen Bewusstsein, dass sie genau hier sein sollte.
»I would still go there, if only to await the once-in-a-lifetime opening of truth’s flower.« Stanley Edwards war neben sie getreten und schaute ebenfalls auf das Meer. »Das ist nicht von mir, sondern von R. S. Thomas. Ein großer walisischer Dichter und Reverend. Die Kirche in Aberdaron war seine.«
»Man wollte mich seinetwegen jedenfalls sofort vom Parkplatz der Kirche jagen.« Lilian beobachtete, wie Fizz die Felsen untersuchte.
Edwards lachte. »Dann haben Sie wohl schon Bekanntschaft mit Seth Rains gemacht. Er ist der Schwager des jetzigen Pfarrers und schreibt eine Ortschronik. Die Leute hier sind sehr stolz auf ihren Dichter.«
»Hm, gibt es von hier oben einen Weg hinunter? Sind die Pilger von hier mit dem Boot hinübergefahren?« Lilian hielt nach einem Abstieg Ausschau.
»O nein. Etwas unterhalb führt ein Wanderweg um den Hügel herum, aber nur von Porth Meudwy laufen Boote aus.« Der Anwalt deutete nach hinten, wo sich das Haus befand. »Wenn Sie zurückfahren und die erste Abzweigung nach rechts nehmen, kommen Sie zu einer kleinen Bucht, wo die Hummerfischer anlegen. Und einer von ihnen bringt auch die Besucher nach Enlli.«
Sie leckte sich das Salz des Meeres von den Lippen und richtete den Blick zur anderen Seite, wo ein Hügel massig und dunkel aufragte. Ein Schauer überlief ihren Körper, und in ihrem Innern glaubte sie ein dunkles Singen zu hören. Sie schüttelte sich. »Was ist dort hinten?«
»Der Berg Anelog.« Edwards Stimme klang feierlich. »Eigentlich ein Hügel von knapp zweihundert Metern. Aber wenn man dort steht, wirkt er wesentlich höher. In den alten Legenden heißt es, dass dort die Feen gelebt haben. Lange Zeit haben die Menschen den Berg nachts und besonders an keltischen Feiertagen gemieden.«
Das Profil des älteren Mannes neben ihr zeichnete sich scharf gegen das Mondlicht ab. Man brauchte nur etwas Phantasie, um ihn sich als Druiden mit langen weißen Haaren und einer Kutte vorzustellen. »Glauben Sie an solche Dinge?«
»Ich bin Anwalt. Die Märchen, die ich vor Gericht hören muss, sind mir genug. Tja, so sieht es hier aus. Ich zeige Ihnen noch das Innere des Hauses. Und danach wollen Sie sicher in Ihr Hotel.«
Daran hatte Lilian noch nicht gedacht, vielmehr hatte sie den Gedanken verdrängt, denn ein Hotel konnte sie sich nicht leisten. Sie räusperte sich. »Gibt es hier ein günstiges Bed & Breakfast, besser wäre noch ein Zeltplatz?«
Edwards warf ihr einen prüfenden Blick zu. »Das kommt nicht infrage. Da kommen Sie den ganzen Weg von Schottland herunter und sollen nach einem Zeltplatz suchen? Ich reserviere Ihnen ein Zimmer im Pendragon Hotel. Die Rechnung begleicht die Kanzlei.« Er zog einen Schlüssel aus der Manteltasche und öffnete eine Tür an der Längsseite des Hauses.
»Wie lange stand das Haus denn leer? Gibt es Strom?« Lilian fuhr mit der Hand durch die Dunkelheit, um ein Spinnennetz zu entfernen.
»Ah, hier ist es …« Es klickte, und eine Deckenleuchte erhellte den Eingangsbereich und das angrenzende Zimmer.
Ein alter Steinfußboden, Deckenbalken, weiß verputzte Wände, die stellenweise abbröckelten, und einfache Ferienhausmöbel fielen Lilian ins Auge. Über allem hing ein leicht modriger Geruch, und etwas Weiches flatterte an ihr vorbei ins Freie.
»Fledermäuse? Die haben ihre eigenen Ein- und Ausgänge. Gibt es vielleicht auch noch einen Hausgeist? Warum steht so ein Haus leer?« Sie trat in den größeren Raum, der sich über die gesamte Breite des Hauses erstreckte. Verschlissene Vorhänge mit Blumenprint verströmten Siebziger-Jahre-Flair.
Die Haustür war nur angelehnt und wurde von einer Windböe aufgestoßen. Fizz jaulte erschrocken und bellte in die Dunkelheit hinaus. Es war einsam hier draußen, aber das störte Lilian nicht.
»Es muss natürlich einiges getan werden. Aber Sie sind jung und haben gewiss viele Ideen für eine Neugestaltung. Schauen Sie, hier vorn könnten Sie einen Speiseraum einrichten, oben vielleicht selbst wohnen. Und im hinteren Gebäudeteil sind vier Gästezimmer. Klein, aber mit …«
»Einem großartigen Blick aufs Meer«, ergänzte Lilian. »Haben Sie Erkundigungen über mich eingezogen? Ich habe keinen Penny Eigenkapital. Das sage ich gleich. Aber ich bin nicht arbeitsscheu und handwerklich durchaus begabt. Der Garten interessiert mich. Dort könnte ich Kräuter anbauen. Das wollte ich immer schon machen …« Sie hielt inne.
Edwards hatte lächelnd zugehört. »Sie haben sich entschieden. Ich wusste es. Der alte Fuchs hatte den richtigen Riecher, wie immer.«
Verärgert runzelte Lilian die Stirn. »Na sicher. Sie wussten, dass ich pleite bin, oder? Das hier ist eine verdammt unglaubliche Chance für mich. Und trotzdem kann man mich nicht kaufen. Wenn ich nicht will, will ich nicht. So einfach ist das.«
»Das verstehe ich. Niemand will Sie zu etwas zwingen. Die Entscheidung liegt allein bei Ihnen.«
»Und wer ist denn nun mein unbekannter Gönner? Ist meine Mutter fremdgegangen, oder wie? Zugetraut hätte ich es ihr.« Lilian steckte die Hände in die Hosentaschen und wartete auf eine Antwort.
Der Anwalt schlenderte durch den Raum und rüttelte an einem Stützbalken. »Solide. Was siebenhundert Jahre überdauert hat, wird nicht morgen zusammenbrechen. Der Erblasser hat mich zur Wahrung seiner Anonymität verpflichtet. Wenn Sie morgen früh pünktlich um elf Uhr in meinem Büro erscheinen, verlese ich die Einzelheiten des Testaments. Mein Mandant war wohlhabend und exzentrisch. Ich genoss das Privileg seines Vertrauens und seiner Freundschaft. Sie werden verstehen, dass ich ihn auch nach seinem Ableben nicht enttäuschen möchte.«
Wahrscheinlich verdiente der Anwalt selbst eine hübsche Summe an dieser Erbschaftsgeschichte.
»Was ist mit dem Rest des Hauses?«
Edwards ging zur Haustür. »Wenn Sie annehmen, erhalten Sie morgen die Schlüssel. Es gibt keine bösen Überraschungen, falls Sie das befürchten.«
»Wenn Sie wüssten, wie oft ich das schon gehört habe. Na schön, komm Fizz. Pendragon Hotel?«
»Ja, Mrs Gray. Ich fahre mit Ihnen zurück, und Sie stellen Ihren Wagen auf dem großen Parkplatz vor dem National Trust Zentrum ab. Das Hotel liegt auf der anderen Seite der Brücke. Ich freue mich, Sie morgen bei mir empfangen zu dürfen!«
Bevor Lilian zu ihrem Wagen ging, drehte sie sich noch einmal um. Sie war gerade eben zum ersten Mal hier gewesen, und dennoch war ihr dieser Ort vertraut. Berichteten nicht immer wieder Menschen, dass sie irgendwohin kamen und sofort das sichere Gefühl hatten, dorthin zu gehören? Vielleicht lag es auch nur an ihrer verzweifelten Lage. Da würde sich jeder über einen alten Kasten freuen und sich Holzwurm, Wasserschaden und Fledermäuse schönreden.
II
Bangor-is-y-Coed, Nordwales, Anno Domini 614
»Cadeyrn! Hör auf, sie anzustarren! Wenn Bruder Braen das sieht! Er wird dich schlagen. Darauf wartet er doch nur.«
Der junge Mönch zog seine Angelschnur ein und blieb auf einem der großen Steine am Flussufer stehen. Auf den Feldern lag bereits Schnee, und der Frost biss ihnen in die nackten Füße und Arme. Seine Kutte war bis zu den Knien durchnässt und der dunkle Überwurf mit Schlamm verschmiert.
Cadeyrn lachte und sprang behände über drei Steine ans Ufer. »Sieh dich an, Elis. Das ist viel schlimmer! Wie willst du Braen deine verdreckte Kleidung erklären? Du hast ja noch nicht einmal einen Fisch gefangen.«
Die beiden Männer gehörten zum nahe gelegenen Clas von Bangor-is-y-Coed, dem größten Kloster im Norden Britanniens. Allerdings war nur einer von ihnen freiwillig dort. Während Elis aus einer Bauernfamilie stammte und auf die Gnade des Abtes angewiesen war, der ihn aufgrund einer Empfehlung und eines mitgebrachten Schweins aufgenommen hatte, wartete Cadeyrn auf eine Nachricht, die ihn von der erdrückenden Enge des Klosterlebens erlösen würde.
»Das ist leicht. Ich sage, dass ich dich aus dem Fluss retten musste, weil du dir den Hals nach Weiberröcken verrenkt hast.« Elis grinste. Er hatte ein breites, offenes Gesicht, war kräftig und eher gedrungen gebaut. Das Rad eines Karrens zu wechseln war für ihn keine Schwierigkeit, und er konnte Schafe so schnell scheren, dass sie gar nicht wussten, was ihnen widerfahren war. Was ihm an Lateinkenntnissen fehlte, machte er durch eine rasche Auffassungsgabe wett, und seine Handschrift war zwar ungelenk, aber auch darin wurde er besser.
In einiger Entfernung schlenderte ein blondes Mädchen mit verlockendem Hüftschwung davon. Bevor sie zwischen den Hütten des ersten Weilers verschwand, warf sie noch einen koketten Blick zurück.
Cadeyrn raufte sich die Haare und klopfte sich auf die Tonsur. »Wenn ich nicht bald eine Frau fühlen darf, werde ich verrückt! Das ist doch nicht normal! Wer denkt sich denn so ein Leben aus? Keuschheit, Askese, Selbstbeschränkung! Das ist doch nur etwas für vertrocknete alte Männer.«
Er bückte sich und hob eine Schnur mit zwei Fischen auf. Der größere war silbrig mit rötlichen Brustflossen. Cadeyrn wusste aus Erfahrung, dass die Fische im Winter träge waren und sich gern im stillen Wasser unter Ästen und Baumstämmen versteckten. »Hier, nimm du den fetten Döbel und gib ihn in der Küche Bruder Curig. Dann übersehen sie deine schmutzige Kutte.«
Elis sprang ans Ufer. Sein struppiges rotes Haar stand rund um seine Tonsur ab. »Du bist ein echter Freund.« Er schlug Cadeyrn kameradschaftlich auf die Schulter. »Nicht jeder ist so selbstlos wie du. Vor allem nicht die Eiferer, die von sich glauben, dass sie Gott näher sind als wir.«
Cadeyrn machte einen der Fische los und gab ihn seinem Freund. »Lass sie. Wenn sie dadurch zufriedener sind und uns in Ruhe lassen … Ich habe genug Probleme mit dem absoluten Gehorsam. Nicht sprechen, wenn einem doch so viele Fragen auf der Seele brennen, keine Regel hinterfragen, dieses dauernde Beten, bis einem die Knie schmerzen und die Augen vor Tränen brennen. Das soll uns Gott näherbringen? Er sieht doch, wie sehr wir uns anstrengen, wenn er tatsächlich so allmächtig ist, wie Abt Dinoot uns täglich versichert.«
Ängstlich sah Elis sich um, doch die verschneite Wiese bis zum Waldrand vor ihnen war menschenleer. »Hör auf, so zu reden, Cadeyrn. Ich weiß ja, dass du es nicht bös meinst, aber ich will ein guter Mönch werden und Heil für meine Familie erwirken.«
Ein eisiger Windstoß fegte vom oberen Flusslauf herunter, und Cadeyrn schlug seine Kapuze über. Er war es nicht gewohnt, Befehle klaglos hinzunehmen. Als Sohn eines Edelmanns hatte man ihm Respekt erwiesen, er hatte Latein und Griechisch gelernt und die Schriften von Platon und Aristoteles gelesen. Auch Priester waren an ihren Hof in Deira an der Nordostküste Northumbrias gekommen. Sein Vater, Jodocus up Dyfnallt, hing dem alten Glauben an, während seine Mutter Elen eine Christin war. Sie vertrat die Auffassungen des Augustinus von Hippo, doch zu Streitigkeiten war es deswegen nie gekommen. Vielmehr hatte auch Cadeyrns Mutter Verständnis für die Kraft und das Wirken der alten Götter. Wenn er an seine schöne Mutter dachte, lächelte Cadeyrn. Sie war so klug, dass sie den Bauern und Gefolgsleuten nicht in deren heilige Bräuche hineinredete. Das Leben war für alle schwer genug. Der Kampf gegen Naturkatastrophen, die Ernten und Viehbestände vernichteten, hörte nicht auf. Da musste man sich nicht auch noch das eigene Volk zum Feind machen.
Nebeneinander stapften die jungen Männer barfuß bis zu dem Felsen, auf dem sie ihre Schuhe abgestellt hatten. Notdürftig streiften sie den Flussschlamm im Schnee ab und zogen die Filzschuhe über. Immerhin hielten die unförmigen Gebilde warm, dachte Cadeyrn. Längst verfluchte er den Tag, an dem er Blane begegnet war. »Bei allen Göttern, verflucht soll er sein!«, murmelte Cadeyrn und stockte.
»Bruder, nicht, du musst besser aufpassen!«, ermahnte Elis ihn. Der einfache Bauernsohn war besonnener und weitsichtiger als Cadeyrn. »Wen verfluchst du? Aber erzähl es mir nur, solange wir durch den Wald gehen. Auf der anderen Seite werden wir beobachtet.«
Hinter dem schmalen Waldstück, das den Fluss in der Biegung vom Klostergrund trennte, erstreckten sich Wiesen und Felder, die zum Besitz des Clas gehörten. Mittlerweile hatten sich über eintausend Mönche und Mönchsanwärter am Fluss Dee eingefunden, die nach den strengen Regeln des heiligen Columban leben und arbeiten wollten.
»Du kannst es nicht verstehen, Elis, und eigentlich wollte ich dich damit verschonen. Aber du bist mir ein guter Freund geworden, der Einzige, dem ich mein Geheimnis anvertrauen kann.« Cadeyrn seufzte. In Gedanken weilte er oft in seiner Heimat, die seine Familie auch durch seine Unachtsamkeit hatte verlassen müssen.
»Ich werde dich nicht verraten, das weißt du, Bruder«, beteuerte Elis mit feierlichem Ernst.
»Ich habe dir nur erzählt, dass mein Vater ein Adliger ist, Elis, und dass ich hier eine einjährige Ausbildung absolvieren soll. Doch Cadeyrn ist nicht mein richtiger Name, zumindest nicht mein Rufname. Ich bin der Sohn von Jodocus up Dyfnallt. Mein Vater war einer der Edlen am Hof Edwins up Deira.«
Elis blieb stehen und sah ihn mit großen Augen an. »Der König Edwin, der ins Exil nach Gwynedd fliehen musste?«
»Ja, mein Freund, genau der. Ach, es waren gute Zeiten in Deira bis zu jenen unseligen Tagen. Mein Vater hatte König Edwin die Treue geschworen. Als der mit dem mächtigen König Æthelfrith in Streit geraten war und König Edwin um sein Leben fürchten musste, wurde eine Flucht unausweichlich. Mein Vater hätte seinen König niemals im Stich gelassen, aber es gab noch einen schwerwiegenderen Grund, aus dem wir Deira verlassen mussten. Ich habe große Schuld auf mich geladen, Elis.«
»Aber was sollst du getan haben? Was kann schlimmer sein als der Streit der Könige?«
»Durch meine Schuld ist der Sohn von Alpin, dem Heerführer Æthelfriths, ums Leben gekommen. Du kannst dir nicht vorstellen, was für ein grausamer Mann Alpin ist. Weit über die Grenzen hinaus eilt ihm der Ruf eines Schlächters voraus. Er trennt seinen Feinden mit Vorliebe Köpfe und Gliedmaßen ab, und wer sich ihm widersetzt, hat einen unerbittlichen Feind bis zum blutigen Ende.«
Erschüttert stand der junge Bauerssohn vor ihm. »Nur Gott darf richten. Kein Mensch darf solche Sünden auf sich laden.«
Bitter erwiderte Cadeyrn: »Alpin kennt nur die Rachegöttin und ist das todbringende Schwert im Namen König Æthelfriths. Ich wusste ja nicht einmal, wer dieser Blane war! Der Junge war im Tross einer wohlhabenden Reisegruppe unterwegs in die Nordreiche. Sie machten Rast an Edwins Hof.« Ein Falke erhob sich klagend in die Lüfte, und Cadeyrn zuckte unwillkürlich zusammen.
»Es war noch warm in jenen späten Sommertagen vor zwei Jahren, und wir Jungen wollten am Abend zum Strand. Wir machten uns oft einen Spaß daraus, wer von der höchsten Klippe in die See springt. Nun, Blane war schmächtig von Gestalt, aber schnell mit der Zunge. Er tönte, was für ein Kämpfer er doch sei, wie schnell er laufen könne und dass er tiefer tauchen könne als wir alle. Und irgendwie gerieten wir aneinander. Wir rauften, und ich forderte ihn heraus. Ich ging davon aus, dass er sich nicht von der Klippe wagen würde. Die See war rau an jenem Abend, und selbst mir war nicht ganz wohl, als wir dort oben standen. Aber ich kannte die Strömungen und die Felsen. Ich wollte ihn noch warnen, doch er stieß mich einfach zur Seite, schimpfte mich einen Feigling und sprang hinunter. Er hatte nur seine Schuhe ausgezogen.«
Elis schluckte. »Er ist ertrunken.«
»Wir haben ihn aus dem Wasser gezogen, aber er war tot. Seine Mutter schrie und tobte und schwor uns Rache. Wäre Alpin selbst dabei gewesen, er hätte mich und meine Familie sofort getötet.«
Die beiden jungen Männer gingen in ihr Gespräch vertieft durch den Wald und bemerkten nicht, dass sie auf der anderen Seite bereits erwartet wurden.
»Wir sind nach Gwynedd gezogen, wo König Iago ap Beli uns Zuflucht gewährt hat. Edwin und Iago waren über Jahre in Freundschaft verbunden. Auf dem Weg in unser Exil beschloss mein Vater, mich hier in Bangor zu verstecken. Er hielt es für besser, wenn mein Name nicht mehr genannt würde. Sie wollten sogar das Gerücht von meinem Tod streuen, damit Alpin seine Suche nach mir aufgibt.« Die letzten Worte sagte Cadeyrn mit gesenkter Stimme, so als fürchte er den rachsüchtigen Heerführer noch immer.
»Weiß der Vater Abt das?«
»Nicht die Geschichte mit Alpin, nur dass wir mit König Edwin ins Exil gegangen sind. Mein Vater hat dem Kloster ein großzügiges Geschenk gemacht: den Codex mit den Abschriften der platonischen und aristotelischen Aufsätze. Ich weiß, wie viel meinem Vater dieses Werk bedeutet. Wir konnten wenig genug aus Deira mitnehmen. Aber er hat den Codex gegen mein Leben eingetauscht.«
Was sind ein paar beschriebene Pergamentseiten gegen das Leben meines Sohnes, hatte sein Vater gesagt und seinen geliebten Codex in ein Tuch geschlagen.
Elis betrachtete seinen Freund mit neu gewonnener Ehrfurcht. »Dann bist du ein Prinz …«
»Aber nein! Mein Vater ist doch kein König«, lachte Cadeyrn, wurde jedoch sofort ernst. »Und jetzt kein Wort mehr darüber …« Er packte Elis am Arm, denn eine große, dunkle Gestalt hatte sich am Waldrand aufgebaut.
»Ich hab’s geahnt!« Schicksalsergeben sanken Elis’ Schultern herab.
»Lass mich das machen«, sagte Cadeyrn leise, um anschließend freudig seinen Fisch in die Luft zu halten. »Seht nur, Bruder Braen! Wir haben einen guten Fang gemacht!«
Der hochgewachsene Mönch stand wie der Racheengel schnaufend im Schnee. Unter buschigen Brauen starrte Braen den beiden jungen Männern entgegen. Er hatte seine groben Pranken in die Hüften gestemmt, und die nackten Füße steckten selbst im Winter nur in Sandalen. Widrigkeiten der Natur schienen dem knochigen Mönch nichts anhaben zu können, der sich nach dem Abt als wichtigsten Mann im Clas von Bangor verstand. Doch aus irgendeinem Grund hatte Abt Dinoot nicht Braen, sondern den bedächtigen alten Bruder Petrog zu seinem Stellvertreter ernannt. Braen bekleidete das Amt des Subpriors, aber es war deutlich, dass er nach Höherem strebte.
»Schweig!«, donnerte Braen, der im Kloster von Derry im Norden Irlands die Lehren des heiligen Columban studiert hatte. Nach diesen Regeln lebten auch die Mönche in Bangor.
»Ihr habt gefehlt. Zum wiederholten Male. Selbst der Abt kann euch nicht mehr beschützen.« Hämisch streckte Braen die Hand aus. »Die Fische!«
»Aber …«, protestierte Elis, wurde jedoch von Braens finsterem Gesichtsausdruck zum Schweigen gebracht.
»Ich weiß genau, was ihr vorhattet. In der Küche wolltet ihr euch beliebt machen, euch besserstellen, weil ihr Döbel fangen könnt, wenn es anderen nicht gelingt.« Braen deutete auf den Weg vor ihm. »Ihr geht voraus.«
»Und Novizen verfolgen, um sie vorzuführen, ist keine Art von Hervortun …«, murmelte Cadeyrn gerade so laut, dass Braen ihn noch hören konnte.
»Ich werde dir deinen Hochmut austreiben. Seit deiner Ankunft bist du mir ein Dorn im Auge. Und ich finde schon noch heraus, warum der Abt mit dir so nachsichtig ist.« Braen reckte das kantige Kinn. Kleine fleischige Ohren standen unter einem schmalen Haarkranz ab. Seine Augen lagen tief in den Höhlen, und Cadeyrn verglich den unliebsamen Bruder in Gedanken gern mit dem schwarzgesichtigen Herrn der Anderwelt.
Braens glühender Blick schien ihn von hinten zu durchbohren. »Durch die Mühe des Gehorsams werdet ihr lernen, zu Gott zurückzukehren, den ihr durch euren Ungehorsam verlassen habt!«
Cadeyrn verkniff sich Widerworte und stapfte mit gesenktem Haupt durch den Schnee. Das Clas von Bangor schmiegte sich in eine Biegung des Dee und dehnte sich mit Feldern, Weideland und den Behausungen der Kleinbauern, die für das Kloster arbeiteten, ständig weiter aus. Den Mittelpunkt des Ordenshauses bildete das große Skriptorium mit seiner Bibliothek. Hier waren Hunderte von Mönchen mit der Herstellung von Pergament, dem Kopieren alter Handschriften und dem Binden von Codices befasst. Die bescheidene Kirche, das Skriptorium und das Refektorium waren auf den Fundamenten und mit den Mauerresten eines ehemaligen Römerlagers errichtet worden. Alle übrigen Gebäude waren aus Schiefer oder Feldsteinen, Holz und Lehm gebaut, die Dächer mit Reet gedeckt. Aus den Löchern an beiden Enden der Firste quoll der Rauch. Die Klostermauer war stellenweise gerade mannshoch und hatte kaum wehrhafte Funktion, sondern diente den Mönchen lediglich als Abgrenzung zur Außenwelt. Militärischen Schutz erhielt das Ordenshaus im Kriegsfall von den Soldaten Selyf ap Cynans, dem König von Powys.
Vor dem Tor der Klostermauer war der Schnee schmutzig vom regen Durchgangsverkehr. Als er sie kommen sah, trat der Pförtner aus seiner Hütte, in der er auch nächtigte. »Sei gegrüßt, Bruder Braen. Der Vater Abt erwartet dich in seinen Räumen.«
Der Subprior schubste die Novizen vor und beugte sich zum Pförtner vor, der einen Kopf kleiner als er war. »Was ist los?«
»Ein Bote kam mit einer Nachricht aus Gwynedd. Er sah besorgt aus. Mehr weiß ich nicht, Bruder.«
Braen schnaufte, schien erst jetzt die Fische wieder zu bemerken, die er noch immer hielt, und zitierte Elis zu sich. »Hier, bring sie in die Küche. Anschließend erscheint ihr zum Mittagsgebet, und danach entscheiden wir über eure Strafe.«