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Im ersten Teil der Vorgeschichte zu Emily Brontes 'Wuthering Heights - Sturmhöhe' geht es los mit den Enthüllungen in spannender Form. Hier werden die Geheimnisse gelöst, die von der Autorin in ihrem einzigen Roman nur angedeutet werden konnten. Sie verstarb ein Jahr nach der Veröffentlichung und hinterließ mit 'Sturmhöhe' keineswegs einen Liebesroman, sondern vielmehr einen 'Verschlüsselungsroman' mit zahlreichen düsteren Andeutungen. Da ist die Rede von Vampiren, düsteren Taten aus der Vergangenheit der Hauptpersonen, Selbstmord und vielem mehr. Tomos Forrest, Autor von zahlreichen historischen Romanen und Kriminalfällen, ist der Sache nachgegangen und zeigt hier auf überzeugende Weise, dass nur ein Zeitreisender in der Lage sein könnte, alle Geheimnisse um Emily Bronte zu lüften. Lassen Sie sich mit dieser Trilogie in eine faszinierende Welt entführen...
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Tomos Forrest
Das Zeichen der Sieben
Geheimakte Emily Brontë Bd. 1
© 2022 Copyright by Author
© dieser Ausgabe: Edition Corsar, D. u. T. Ostwald
Braunschweig, 2022
Tomos Forrest
Das Zeichen der Sieben
Geheimakte Emily Brontë Bd. 1
Die Wahrheit über Emily Brontës Roman
Wuthering Heights – Sturmhöhe
Prolog
Haben Sie Emily Brontës Roman Wuthering Heights, deutsch unter dem Titel Sturmhöhe, gelesen? Haben Sie sich nicht auch über die vielen, nur angedeuteten Ereignisse gewundert? Warum wurde z.B. der Findling, den der alte Earnshaw aus Liverpool mitbringt, mit Vor- und Zunamen Heathcliff genannt? Warum wird auch der Vorname des alten Earnshaw nie erwähnt? Und letztlich – warum veröffentlichte die Autorin ursprünglich unter dem Namen Ellis Bell?
Nun – die Vorgeschichte bis zum Zusammentreffen zwischen dem alten Edgar Earnshaw und dem Jungen Riley Heathcliff erzählen wir hier zum ersten Mal. Und vielleicht wird dann auch verständlich, weshalb der junge Heathcliff immer als „Zigeunerkind“ bezeichnet wird. Seine Mutter war ein Mischling von einem englischen Vater und einer marokkanischen Mutter.
Und vielleicht wird auch klar, weshalb sich Riley Heathcliff oft so seltsam verhält …
Auslöser für meinen neuen Einsatz im Auftrage des Institutes für kosmologische Konstante war der Fund eines handschriftlichen Zettels, der im Innenfutter eines Bucheinbandes steckte. Der Buchbinder fand ihn beim Restaurieren. Ich hatte das Buch in einem Antiquariat erstanden und es wegen seiner zahlreichen, wunderbar ausgeführten Stiche englischer Landschaften zu einem günstigen Preis erstanden, trotz des stark beschädigten Einbandes.
Folgende Zeilen fanden sich dort auf dem Zettel:
‚Mein Name ist Ellis Bell, ich wurde in Marokko geboren und als Sklavin nach Liverpool verkauft. Glückliche Umstände fügten sich, sodass ich bald meine Freiheit erhielt. Mein Retter war der Steuermann Allan Heatcliff, wir wollten heiraten, aber seine Reederei verbot diese Ehe. Obwohl ich schwanger war, wollte uns kein Geistlicher trauen. Erst nach fast sechs Jahren fand Allan einen anderen Arbeitgeber, der sich nicht an meiner Person störte. Nach seiner Rückkehr aus Nordamerika wollten wir endlich heiraten.
Dann jedoch kam alles vollkommen anders. Ebenezer Franklin, ein schrecklicher Verbrecher mit unglaublichen Maschinen, die menschenähnlich und dabei sehr stark sind, alles vernichten konnten, was sich ihnen in den Weg stellte, kreuzte unseren Weg. Obwohl wir so gut wie nichts über seine Machenschaften wussten, verfolgte er uns und tötete meinen Allan, noch bevor wir heiraten konnten.
Seine Maschinenmenschen …‘
Hier wird die Schrift unleserlich, dann fehlt der Rest der Seite. Auf der Rückseite geht es nur kurz weiter:
‚… lebe ich jetzt wenigstens in seiner Nähe, arbeite auf einem Bauernhof in der Nähe von Wuthering Heights, darf aber meinen Riley, mein geliebtes Kind …‘
Erneut mehrere unleserliche, verwischte Zeilen, dann schließlich:
‚Meine Aufzeichnungen werde ich gut verstecken. Nach meinem Tod sollen sie durch eine Freundin von mir der Familie Earnshaw übergeben werden, damit sie wissen, dass mein Sohn …‘
Was mich aufhorchen ließ, waren zwei Namen.
Wuthering Heights war mir als Roman von Emily Brontë durchaus bekannt. Und die Erstveröffentlichung erfolgte unter dem Pseudonym Ellis Bell mit der Begründung, dass ein Männername für einen Verlag besser geeignet sei. Nun ist aber Ellis, abgeleitet von Elias, keineswegs nur als Männername gebräuchlich. Die weibliche Form lässt sich vom englischen Ellice oder vom hebräischen Elisabeth (elischewa – Gott schwört) ableiten.
Die ganz unterhaltsame Geschichte hatte mich nicht sonderlich berührt. Anders verhielt es sich mit den wenigen Zeilen, die offenbar von der echten Ellis Bell geschrieben wurden. Allerdings war es die Bemerkung über die Maschinenmenschen, die meinen Auftrag zu einer Zeitreise ermöglichten.
Henry Logan
1.
Die Rose of Sharon machte gute Fahrt, nach Auskunft des Kapitäns etwa acht Knoten. Erleichtert trat ich an die Reling und schaute über die Wellen zum Horizont in der Hoffnung, dort bereits die englische Küste zu erkennen. Doch das war nicht möglich, in der Ferne lag Dunst über dem Wasser, der zusammen mit dem darauf fallenden Sonnenlicht verhinderte, schon jetzt etwas von dem ersehnten Albion zu erkennen.
Ich war mit dem Reiseverlauf zufrieden, wenn ich auch gestehe, dass ich lieber mit einem Dampfer gefahren wäre. Aber daran war natürlich zu dieser Zeit nicht zu denken. Mein Auftrag hatte mich nach Boston geführt, wo ich mich mit Benjamin Franklin traf. Der geniale Erfinder und spätere Staatsmann hatte mir vielversprechende Pläne vorgelegt, mit denen ich mich längere Zeit beschäftigte.
Der Vorstand des Institutes für kosmologische Konstante (IKK) hatte mich gebeten, einen Blick auf diese Pläne zu werfen. Immerhin hatte Franklin eine im Grundsatz gute Idee für einen Ofen entwickelt, den er 1744 Pennsylvania Fireplace nannte und der den Ansatz von Wärmerückgewinnung des Rauches aufzeigte. Mit meinem Wissen des 21. Jahrhunderts hätte ich ihm die Fehler aufzeigen können, aber natürlich verzichtete ich darauf, denn der eigentliche Grund meines Besuches lag viel tiefer. Ich komme später darauf zurück, denn eben wurden meine Gedanken unterbrochen, weil Kapitän William Bartram mich erneut ansprach und ich an seiner Miene erkannte, dass ich seine erste Frage überhört hatte.
Ich räusperte und entschuldigte mich, und Kapitän Bartram schenkte mir ein freundliches Lächeln aus seinem gebräunten und vom Wetter gegerbten Gesicht. Der Mann war mit John Bartram verwandt, ebenfalls ein Quäker, aber keineswegs ein Mitglied der von Bartram und Franklin gegründeten American Philosophical Society.
Wir hatten uns während der wochenlangen Überfahrt von Boston bei den gemeinsamen Mahlzeiten in der Kapitänskajüte ein wenig angefreundet, und ich lernte ihn als einen aufrichtigen Mann kennen, der sich von den politischen Diskussionen und gewissen demokratischen Kreisen in seiner Heimatstadt Boston fernhielt. William Bartram war das, was man als amerikanischen Loyalisten bezeichnen konnte – dem englischen Königshaus treu ergeben. Das war in dieser Zeit nicht ungewöhnlich, denn der spätere Riss, hervorgerufen 1776 durch die Verkündung der amerikanischen Unabhängigkeit, ging durch ganze Familien und zerstörte zahlreiche, langjährige Freundschaften.
„Ich hatte mich erkundigt, ob Sie in Liverpool ein bestimmtes Ziel haben, Professor. Sie hatten ja berichtet, dass es interessante Gespräche mit Benjamin Franklin gab, die Sie bei Ihren eigenen Erfindungen weiterbringen könnten“, wiederholte der Kapitän seine Frage. „Ja, das habe ich, Kapitän. Ich werde mich dazu wohl einige Zeit in Liverpool aufhalten und anschließend weiter nach London reisen.“
„Liverpool ist nicht ganz ungefährlich, Professor Logan!“, sagte der Kapitän mit leiser Stimme, griff in seine Tasche und holte eine bereits gestopfte Pfeife hervor. Er entzündete sie unter seiner aufgeklappten Jacke mit einem Steinschlossfeuerzeug, das ähnlich wie eine Pistole funktionierte.
Ich hatte sie schon häufig bei ihm in Gebrauch gesehen, denn die Technik des 18. Jahrhunderts hatte mich fasziniert. Bei unserer ersten Begegnung fragte ich mich verwundert, warum der Kapitän eines Handelsschiffes wohl im Gürtel eine Pistole trug, bis ich den wahren Zweck erkannte. Drückte man den Abzug, schlug der vorher gespannte Hahn gegen eine L-förmige Batterie mit einem Scharnier. Wie beim Schießen wird dadurch ein Funke erzeugt, der auf einen Feuerschwamm fällt und ihn entzündet – wie bei einer Waffe das Pulver.
In eine dichte Rauchwolke gehüllt, wandte sich Kapitän Bartram mir wieder zu und nickte in die Richtung, in der ich die englische Küste vermutete.
„Ein Mann wie Sie sollte insbesondere die Hafengegend meiden, vor allem in den Abendstunden. Ich weiß aus sicherer Quelle, dass in den letzten Monaten fast täglich eine Leiche gefunden wurde – ermordet und ausgeraubt. Nie fand man bei den Toten irgendwelche Ausweispapiere, Geld oder Taschenuhren. Dabei trugen sie anständige Kleidung, die den Schluss zulässt, dass sie den besseren Kreisen angehörten.“
Ich nickte nachdenklich.
Mich verwunderte die Tatsache, dass der aus den Kolonien stammende Kapitän diese Nachrichten aus Liverpool kannte, denn in den vergangenen Monaten hatte er sich nach eigener Aussage nur in Boston und Philadelphia aufgehalten, wohin ihn seine Geschäfte geführt hatten.
„Na, dann werde ich mich vorsehen müssen“, erklärte ich mit einem Lächeln. „Mein Weg wird mich in jedem Fall in den Hafen führen, denn nach meinen letzten Informationen befindet sich dort das Atelier von George Stubbs.“
„Stubbs?“ Kapitän Bartram nahm die Pfeife aus dem Mund und wiederholte: „Stubbs? Wer soll das sein?“
„Ein Genie, Kapitän. Maler und zugleich Anatom.“
Der Seemann schüttelte bedächtig den Kopf.
„Nie gehört, Professor. Aber was es alles heutzutage gibt! Maler und – Anatom? Wie vereinbart sich das denn? Für mich hört es sich so an wie – Seemann und …“ Der Kapitän überlegte kurz einen passenden Vergleich und setzte dann fort: „Wie Seemann und Bäcker.“
Ich lachte.
„Naja, Stubbs ist sogar noch mehr, auch noch Kupferstecher. Und Erfinder. Eine sehr interessante Persönlichkeit. Und Benjamin Franklin hat ihn mir sehr ans Herz gelegt!“
„So? Naja, ich wünsche Ihnen jedenfalls viel Erfolg. Und passen Sie auf sich auf!“
Damit wollte er sich schon abwenden, als sein Blick auf den Steuermann fiel, der gerade den Blick seines Vorgesetzten aufgefangen hatte und grüßend die Hand an seine Mütze legte. Kapitän Bartram drehte sich noch einmal zu mir um und sagte dann mit einem verschmitzten Lächeln:
„Vielleicht sollten Sie sich einmal mit Steuermann Allan Heathcliff unterhalten. Er ist in Liverpool geboren, kennt die Stadt wie seine Westentasche und wird leider wieder abheuern, um zu seiner Familie zurückzukehren. Endlich kann er die Mutter seines Sohnes heiraten!“
„Oh, das wusste ich ja gar nicht. Heathcliff stammt aus Liverpool?“
„So ist es, Professor. Sprechen Sie mit ihm, er hat jetzt ohnehin wachfrei! So verpassen Sie nichts, denn ich gehe davon aus, dass wir übermorgen im Hafen von Liverpool festmachen!“
Damit nickte mir der Kapitän noch einmal zu und stapfte breitbeinig über das Deck, warf noch einen prüfenden Blick zu den geblähten Segeln und verschwand dann am Niedergang.
Ich nutzte diese Gelegenheit, schlenderte mit langsamen Schritten zur Brücke und grüßte den Steuermann. Der bärtige Seemann verkörperte, wie sein Kapitän, das Urbild eines alten Fahrensmannes für mich. Schweigsam saß er beim Essen an unserer Tafel, sofern er wachfrei war, erklärte mir aber stets gern die Position unseres Schiffes und blühte förmlich auf, wenn ich ihn nach den Segelstellungen oder dem Brassen einer Rah befragte.
„Haben Sie einen Moment Zeit für mich, Steuermann?“
Ich stand am Aufgang zur Brücke und rief meine Frage etwas lauter, denn durch das Knarren der Masten und das Knattern der Segel sowie das laute Klatschen der Wellen am Bug war es nicht sonderlich leise auf dem Deck.
„Sofort, Sir! Ich übergebe das Steuer an den Zweiten, und bin gleich bei Ihnen!“, kam die Antwort.
Der zweite Steuermann stand schon bereit, die beiden klopften sich freundschaftlich auf die Schulter, und gleich darauf kam der kräftige, breitschultrige Steuermann die Holzstufen heruntergesprungen, grüßte mich abermals freundlich und war offensichtlich überrascht, als ich ihm die Hand bot.
Doch ohne zu zögern packte der Seemann zu und ich spürte eine harte, schwielige Hand in meiner und einen sehr kräftigen Händedruck. Dabei lachte mir der Steuermann ins Gesicht und seine hellblauen Augen schienen regelrecht aufzuleuchten.
„Professor Logan, Sie freuen sich sicher schon, dass die lange Seereise endlich zu Ende geht, was? Nach der Flaute, in der wir fast eine Woche vergeblich kreuzten, um endlich wieder eine Mütze Wind in die Leinwand zu bekommen, hätte nicht viel gefehlt, und die Mahlzeiten müssten durch Schiffszwieback ergänzt werden!“
Wir lachten beide, denn das war ein typischer Witz des Steuermannes. Ständig tat er so, als würden die Vorräte nicht ausreichen, dabei war neben dem mit Waren wohl gefüllten Schiffsbauch noch reichlich Pökelfleisch an Bord, das ich allerdings nicht sonderlich schätzte. Bei allem Verständnis für die jeweilige Epoche, in die mich meine Zeitreisen versetzten – mein Gaumen gewöhnte sich immer nur schwer an die jeweiligen Essgewohnheiten. Und das, obwohl es zu unserer Einsatzvorbereitung gehörte, im Institut entsprechende Gerichte der jeweiligen Zeit zu essen. Nun – wir verfügten in unserem digitalen Archiv natürlich über ausreichend Rezepte, die sogar bildlich dargestellt wurden. Es gab einmal eine Zeit lang ausschließlich Reisen von Agenten, die aus aller Welt nicht nur die Rezepte, sondern auch die Zutaten mitbrachten, die dann nachbereitet und in die entsprechenden Kühlreihen eingegliedert wurden, um auf Zuruf zur Verfügung zu stehen.
Bei dem Gedanken an die damit beauftragten Agenten musste ich schmunzeln. Einer jungen Kollegin, die unter dem Namen einer bekannten ägyptischen Herrscherin agierte, unterlief dabei ein gravierender Fehler. Sie hatte erst beim Erreichen ihres QRV-Punktes, dem Portal für die Rückkehr in das 21. Jahrhundert, den Verlust ihrer Kamera bemerkt. Gewarnt durch den Kollegen, der eine Kamera in einer bis dahin noch nicht entdeckten Pyramide vergessen hatte, kehrte sie unter erheblichen Schwierigkeiten in den Palast zurück und konnte in buchstäblich letzter Sekunde die Entdeckung des unzeitgemäßen Gegenstandes verhindern.
Aber: Gepökeltes Rindfleisch!
Die dicke Salzlake, in der sich das Fleisch befand, roch beim Öffnen eines Holzfasses schon sehr eigentümlich, und das Fleisch befand sich keineswegs in einem sonderlich Appetit anregenden Zustand. Die Farbe bewegte sich von hellgrau zu leicht grünlich, und bevor man es überhaupt kochen konnte, musste es stundenlang im Meerwasser liegen, das tatsächlich dafür sorgte, dass sich nach dem Wässern weniger Salz im Fleisch befand. Das Wässern mit Trinkwasser wäre da natürlich besser gewesen, aber aufgrund der geringen Vorräte an Bord auch undenkbar, nur einen Tropfen für das Gepökelte zu verwenden.
Also musste ich mich immer überwinden, bevor ich etwas von dem durch das Kochen womöglich noch grauer gewordenem Fleisch anschnitt und dann in den Mund führte, um lustlos darauf herumzukauen. Alles andere hätte mich aber in einem seltsamen Licht an der Kapitänstafel erscheinen lassen, und so machte ich wieder einmal eine gute Miene zum bösen Spiel.
Doch ich schweife ab und wollte mich gerade mit dem Steuermann unterhalten, der sich schon halb abgewandt und ebenfalls unter Deck gehen wollte.
„Ach, Mr. Heathcliff“, begann ich deshalb erneut, und ärgerte mich zugleich, dass ich innerhalb weniger Minuten zum zweiten Mal einen Gesprächspartner einfach stehen gelassen hatte. „Wenn es Ihre Zeit erlaubt, würde ich gern noch etwas mit Ihnen besprechen!“
Der Steuermann drehte sich auf dem Absatz um und sah mich erstaunt an.
„Ich erfuhr gerade vom Kapitän, dass Sie in Liverpool von Bord gehen, weil Sie dort geboren sind und Ihre Familie dort lebt. Vielleicht können Sie mir ein gutes und einfaches Hotel empfehlen. Ich möchte mich einige Zeit in Liverpool aufhalten und den Künstler George Stubbs aufsuchen, der wohl sein Atelier in der Hafengegend hat.“
„Oh, das ist gut, Professor! Stubbs habe ich schon vor Jahren einmal kennengelernt. Er hat tatsächlich ein sehr großzügiges Atelier in einem riesigen Haus, nur wenige Häuser von meinem entfernt!“
„Sie haben mit Ihrer Familie ein Haus im Hafen?“
„Nur ein ganz kleines“, winkte der Steuermann ab. Mir kam es vor, als würde seine braune Gesichtshaut plötzlich rötlich schimmern. Tatsächlich senkte der Mann den Blick, als er mit leiserer Stimme fortfuhr: „Und Familie – ja, das ist richtig, ich lebe dort mit meiner Frau Ellis und meinem sechsjährigen Sohn Riley. Hm …“ Er unterbrach sich setzte gleich darauf hastig hinzu: „Ellis und ich sind bislang noch nicht verheiratet. Mein bisheriger Reeder hat mir die Hochzeit verboten, weil Ellis … aus Marokko stammt und … farbig ist. Schließlich warf man mich sogar hinaus, weil ich mich weigerte, mich von Ellis zu trennen. Kapitän Bartram ist … Quäker mit strengen Auffassungen. Als ich bei ihm anheuerte und er von meiner Frau erfuhr, war es für ihn selbstverständlich, mir aus der Verlegenheit zu helfen. Durch die beiden Fahrten von Liverpool nach Boston und wieder zurück habe ich das fehlende Geld zusammen, um nun endlich eine rechtmäßige Ehe schließen zu können und Ellis von ihrer … Schande zu erlösen, mit mir im gleichen Haus und ohne Ehepapiere zu leben.“
„Die Reederei hat Ihnen die Ehe mit einer Marokkanerin verboten, Mr. Heathcliff? Wie ist das möglich? Wir leben im 18. Jahrhundert, und ich habe England für ein aufgeklärtes Land gehalten!“, warf ich empört ein.
Erneut schaute der Steuermann verlegen auf das Deck.
„Ellis ist … war … mohammedanischen Glaubens. Auch von der religiösen Seite wäre ihr eine Heirat mit einem Christen verboten. Die Scharia, verstehen Sie, Herr Professor, verbietet solche Ehen.“
„Hm, das verstehe ich schon, aber … jetzt gibt es keinerlei Schwierigkeiten bei Ihrer Rückkehr?“
„Das will ich nicht hoffen, Sir. Ich gehöre der anglikanischen Kirche an, der auch Ellis beitreten wird. Wir haben vor meiner Abreise schon mit einem Geistlichen gesprochen, der sowohl die Taufe wie auch die anschließende Heirat vollziehen wird.“
Ich streckte spontan die Hand aus.
„Dann wünsche ich Ihnen schon jetzt alles Glück der Erde, Mr. Heathcliff. Wenn es meine Zeit noch gestattet, werde ich gern bei dieser Zeremonie mit dabei sein, wenn Sie es erlauben!“
„Das wollen Sie wirklich tun, Herr Professor? Aber gern, sehr gern! Sie müssen uns vorher auch unbedingt besuchen, bevor Sie Stubbs aufsuchen, versprechen Sie mir das?“
„Natürlich, Heathcliff, ich suche Sie auf, sowie ich mein Hotel bezogen habe!“
„Entschuldigen Sie, das war ja Ihre Frage. Ja, es gibt ein, zwischen Hafen und Innenstadt gelegenes, gutes und sauberes Haus, das ich Ihnen empfehlen kann. Sie können dort sogar zur Table d’hôte speisen und haben überdies nur einen kurzen Weg zum Hafen hinunter. Der Name des Gasthauses ist allerdings sehr übertrieben. Es nennt sich Zur spanischen Krone. Angeblich soll vor sehr langer Zeit dort einmal ein spanischer König abgestiegen sein, der sich für ein paar Tage inkognito in Liverpool aufgehalten hatte und seine amourösen Abenteuer dort auslebte.“
Ich lachte, und der Steuermann verschwand im Niedergang.
Als ich mich umdrehte, um zur Reling zurückzukehren, fing ich den Blick eines Matrosen auf. Der Mann drehte sich zwar sofort wieder ab, hatte mich aber mit einem so hasserfüllten Blick gemustert, dass ich kurz stutzte und überlegte, was ich mit dem Burschen zu schaffen hatte.
Dann erinnerte ich mich an ein Ereignis in Boston.
Ich war in den Frachtraum hinuntergestiegen, um mich davon zu überzeugen, dass eine von mir aufgegebene Kiste mit Instrumenten dort ordnungsgemäß gelagert und vertäut war. Die Rose of Sharon wurde noch beladen, und ständig schwebten neue Lasten am Arm eines Kranes in die offenen Ladeluken herunter.
Trotzdem konnte ich vollkommen gefahrlos im ersten Bereich entlanggehen, wie mir der Bootsmann versicherte. Hier war die Ladung bereits vollständig und mit dicken Tauen gesichert, während bei den anderen Luken immer wieder Säcke, Ballen und Kisten heruntergelassen wurden. Der Bootsmann deutete auch auf die Steuerbordseite, wo ich meine Kiste entdeckte. Neugierig trat ich etwas näher, denn mir waren zwei andere Frachtkisten aufgefallen, die ebenfalls laut Beschriftung nach Liverpool gehen sollten.
Als Absender waren große Buchstaben mit einem Brandeisen in das Holz gedrückt worden: BF und HS las ich und kombinierte sofort, dass BF für Benjamin Franklin stehen konnte. Wer konnte aber HS sein? Ich würde später, in meiner Kabine, mithilfe meines dort verborgenen History screen manual (HSM), der Geschichtskamera, weitere Informationen finden. Doch wer beschreibt mein Erstaunen, als ich einen Papieraufkleber entdeckte, der mit sorgfältiger Handschrift einen Empfänger in Liverpool vermerkt hatte? Und dieser Name sagte mir allerdings etwas, denn ich wollte ihn ohnehin aufsuchen. Es handelte sich bei dem Empfänger um George Stubbs. Damit musste ich meine HSM nicht mehr bemühen.