Der Tod kommt auf Bestellung - H.C. Scherf - E-Book

Der Tod kommt auf Bestellung E-Book

H.C. Scherf

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Beschreibung

„Gib und es wird dir gegeben“ Dem Bibel-Spruch folgend erhält Lisbeth Schöning ein lebensrettendes Organ. Gerne hätte sie der Spenderin dafür gedankt. Zu spät erfährt sie, dass brutale Händler im Bereich des weltweiten Organhandels die Finger im Spiel haben. Ein todbringender Fall, der dem Team um Gordon Rabe alles an Recherche abverlangt. Damit nicht genug. Drohbriefe der Russenmafia gegen seine Familie führen den Hauptkommissar an die Grenze des Ertragbaren. Er muss seine Liebsten schützen und gleichzeitig den Verräter in den eigenen Reihen entlarven. Ein Katz- und Maus-Spiel beginnt.

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DER TOD KOMMT AUF BESTELLUNG

Gordon Rabes fünfter Fall

 

 

Von H.C. Scherf

 

 

Thriller

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im

Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

DER TOD KOMMT AUF BESTELLUNG

Gordon Rabes fünfter Fall

 

© 2020 H.C. Scherf

Ewaldstraße 166, 45699 Herten

[email protected]

 

Alle Rechte vorbehalten

 

Aktives Mitglied im Selfpublisher-Verband e.V.

 

Covergestaltung: VercoDesign, Unna

Bilder von:

majdansky / clipdealer

dgool / clipdealer

ostill / clipdealer

ammentorp / clipdealer

Lolostock / Shutterstock

 

Lektorat/Korrektorat: Heidemarie Rabe

[email protected]

 

Dieses E-Book ist geschützt und darf ohne Genehmigung des Autors nicht

vervielfältigt oder weitergegeben werden.

DER TOD

KOMMT AUF BESTELLUNG

– Gordon Rabes fünfter Fall –

 

Von H.C. Scherf

Die Menschen fürchten den Tod sogar mehr als den Schmerz.

Es ist komisch, dass sie den Tod fürchten.

Das Leben schmerzt viel mehr als der Tod.

Im Moment des Todes ist der Schmerz vorbei.

Ja, ich glaube, er ist ein Freund.

 

© Jim Morrison (*1943)

 

1

Der Himmel über dem Essener Baldeneysee hatte sich bedrohlich zugezogen und kündigte ein Unwetter an. Aus der Ferne schallte das erste Grollen herüber, was Mia Richter unwillkürlich zum Mantelkragen greifen ließ, den sie mit einem Ruck hochschlug. Kommissarin Leonie Felten, die versuchte, neben der Kollegin Schritt zu halten, war diese Geste nicht entgangen. Mehr zu sich selbst beschrieb sie ihr augenblickliches Unwohlsein: »Dreckswetter, verdammtes!«

In einiger Entfernung tauchten die ersten Gruppen auf, die darauf hindeuteten, dass sie sich nicht mehr weit vom Fundort der Leiche entfernt befinden konnten. Automatisch beschleunigte Mia noch einmal ihr Tempo. Leonie hielt sie am Ärmel des Mantels zurück.

»Hoppla, junge Frau, jetzt mach mal halblang. Ich bin auch nicht mehr die Jüngste und wollte meine Trainingseinheit eigentlich auf den Abend verlegen. Stehst du etwa auf Wasserleichen? Also, ich werde mich niemals an den Anblick gewöhnen. Die haben etwas an sich, das mich immer wieder erschauern lässt. Hoffentlich ist Dr. Lieken schon da. Seinen alten Taunus habe ich zumindest nicht auf dem Parkplatz gesehen.«

»Da kann ich dich beruhigen, Leonie. Ganz rechts steht Dr. Lieken doch zwischen den Kollegen von der Spurensicherung. Also bitte keine Panik.«

Die beiden Kommissarinnen befanden sich nur noch zehn Meter vom Fundort entfernt, als sich Lieken aus der Gruppe löste und ihnen entgegenkam.

»Wollte mir Gordon heute mal eine Freude bereiten, indem er mir den attraktiveren Teil des Morddezernates schickte? Das tut meinen alten Augen gut. Allerdings werden Sie beide das nicht behaupten können, wenn Sie das Opfer gesehen haben. Kommen Sie mit, ich zeige Ihnen das, was der Täter uns serviert hat.«

Beide Frauen glaubten, diesen besonderen Unterton in der Stimme des Rechtsmediziners herausgehört zu haben, der erfahrungsgemäß auf ein beeindruckendes Erlebnis vorbereitete. Es kam jedoch schlimmer, als sie es sich vorgestellt hatten. Dr. Lieken zögerte noch einen Moment, bevor er die Plane endgültig zurückzog und den Blick auf das freigab, was einmal eine lebenslustige Frau gewesen sein musste. Mia schlug beide Hände vor das Gesicht und krallte dieselben danach in Leonies Jackenaufschläge. Die versuchte zumindest, tapfer dem Schock zu begegnen, der sich rasend schnell in ihr ausbreitete. Fast hilfesuchend wechselte ihr Blick zu Lieken, der nur die Schultern hochzog und das Gummiband neu richtete, das seine langen grauen Haare im Nacken als Pferdeschwanz zusammenhielt.

»Tut mir leid, Ladys, aber das konnte ich euch leider nicht ersparen. Das Wasser kann gnadenloser sein, als der Täter selbst – wie man sieht. Derjenige, der diese Frau ins Jenseits beförderte, war schon grausam genug, doch so schlimm wird die Frau vor dem Aufenthalt im See nicht ausgesehen haben. Doch lasst mich erklären, was mir das Opfer bisher andeuten kann.«

»Einen Moment noch, Dr. Lieken. Ich glaube, meiner Kollegin Richter geht es momentan nicht so gut.«

Leonie löste sanft Mias Hände von ihrem Revers und schob sie etwas zurück. In ihren Augen war die Sorge um die Kollegin deutlich zu erkennen. Dankbar griff sie zu, als Dr. Lieken ihnen eine kleine Schachtel entgegenhielt, in der er ständig seine Lieblingsdrops mitführte. Einen davon steckte sie Mia zwischen die Lippen und legte die Hand darüber, um zu vermeiden, dass sie den wieder ausspuckte.

»Lutsch darauf herum. Das hilft und beruhigt, glaube mir.«

Mias stummes Nicken sorgte dafür, dass sowohl Leonie als auch Lieken erleichtert aufatmeten. Es wirkte wie eine Trotzreaktion, als sich Mia der toten Frau zuwandte, deren Pupillen direkt auf die Besucher gerichtet schienen. Es hatte den Anschein, als wollten sie Klage erheben gegen die Menschen, die eigentlich nur um die Aufklärung der Todesursache bemüht waren. Einen Moment zögerte Mia noch, bevor sie sich endgültig bückte und das Laken komplett zurückzog. Auch Leonie bemerkte die Besonderheit an dem Opfer, bevor Dr. Lieken eine Erklärung dazu abgab.

»Ich sagte ja bereits, dass der Täter gnadenlos war. Aber die Wunden an den Beinen und im Gesicht stammen nicht von ihm. Da bin ich mir ziemlich sicher. Das sieht mir danach aus, dass der Leichnam über eine lange Strecke der Strömung ausgesetzt war und des Öfteren an der Böschung und an Steinen anschlug. Zusätzlich muss die Frau in die Schraube eines Motorbootes geraten sein. Seht ihr diese Wunden, die ein Wellenmuster zeigen?«

Beide Kommissarinnen nickten und warteten auf weitere Erklärungen.

»Das Opfer muss mindestens drei Wochen im Wasser gelegen haben beziehungsweise dort getrieben sein. Die Haut hat sich bereits gelöst und kann hier an der Hand handschuhartig abgezogen werden inklusive der Fingernägel. Davon brauchbare Fingerabdrücke zu erhalten dürfte schwierig werden. Trotzdem werden wir versuchen, mithilfe einer schwachen Seifenlösung oder einem 3%igen Natriumsulfidbad etwas Brauchbares herauszuholen. Viel Hoffnung habe ich jedoch nicht.«

»Warum finden wir denn die Hypostase, also die Leichenflecken nicht nur auf einer Seite?«, wollte Leonie wissen und wies auf die oberen Hautschichten.

»Das erklärt sich dadurch, dass das Opfer nach seinem Tod keine lange Liegezeit in einer festen Position hatte. Das absinkende Blut, woraus die Leichenflecken bekanntlich entstehen, blieb noch weiter in Bewegung. Das führe ich darauf zurück, dass der Täter das Opfer schon recht früh im Wasser entsorgte.«

Dr. Lieken öffnete die wetterfeste Weste, die die Frau noch immer trug und zeigte auf die Brust.

»Hier erkennt man die lange Verweildauer im Wasser sehr gut. Im Brustbereich ist das Venennetz sehr stark durchgeschlagen. Doch für euch wird wichtiger sein, wen wir hier vor uns sehen. Die Bestimmung der DNA sollte kein Problem darstellen. Allerdings bringt das ja nur was, wenn wir DNA zum Abgleichen besitzen. Mehr kann ich derzeit nicht für euch tun. Kann ich die Frau ins Institut bringen lassen?«

»Natürlich, Dr. Lieken. Ich denke, dass Sie sich melden, wenn Sie mit den Laboranalysen durch sind. Danke für den Augenblick.«

Leonie erhob sich und zog Mia zur Seite.

»Geht es dir wieder besser? Wir müssen noch mit den Kollegen von der Spurensicherung sprechen und Gordon einen telefonischen Zwischenbericht liefern.«

»Lass uns rübergehen, Leonie. Ich habe für den Augenblick genug gesehen. Verdammt, das war so kurz nach dem Frühstück gar nicht gut.«

»Hallo, liebe Kollegen«, eröffnete Leonie die Kommunikation mit der Gruppe weißgekleideter Männer. »Habt ihr schon was Brauchbares gefunden? Wer hat uns den Fund gemeldet?«

»Tja, liebe Kolleginnen, das war nicht so optimal. Die Jungs stehen da hinten bei dem Mann von der Schutzpolizei. Die sind ganz schön fertig.«

Leonie drehte sich in die Richtung, in die der Kollege zeigte. Für einen Moment erstarrte sie und wechselte einen Blick mit Mia, die ähnlich reagierte.

»Ach du Scheiße. Das sind ja noch Kinder. Wir sollten sofort einen Psychologen hinzuziehen. Komm, gehen wir rüber und sondieren die Lage.«

Wieder legte Mia ein flottes Tempo vor, als sie auf die Gruppe zuliefen. Leonie hatte Mühe, ihr zu folgen. Die Jungengruppe bestand aus sechs Personen, von denen zwei auf dem Boden saßen und stumm auf das Ufergebüsch starrten. Sie sahen nicht einmal auf, als sich Leonies Hand auf eine der Schultern legte. Ein Blick von ihr signalisierte Mia, dass sie augenblicklich den Psychologen anfordern sollte, was sie auch zeitnah erledigte. Leonie unterbrach die angeregte Unterhaltung der anderen Jungen. Ihr Dienstausweis, den sie hochhielt, ließ augenblicklich Ruhe einkehren.

»Mein Name ist Kommissarin Felten. Das ist meine Kollegin Kommissarin Richter. Es wird gleich jemand eintreffen, der sich vor allem um die beiden Freunde von euch kümmern wird. Ich hoffe, dass ihr mir ein wenig helfen könnt.«

Leonie blickte in gespannte Gesichter, die jedoch keinerlei Angst oder Zurückhaltung erkennen ließen.

»Man sagte uns, dass ihr das Opfer gefunden habt. Wie war das? Kann mir einer Näheres erklären?«

Alle Blicke vereinten sich auf einen Jungen, der sich schon zuvor still im Hintergrund gehalten hatte. Leonie konzentrierte sich auf den langen Schlaks, der sich in seiner Segeljacke unwohl zu fühlen schien, zumal sich alle auf ihn konzentrierten.

»Ich ... ich habe die ... ich meine, die Frau zuerst gesehen.«

»Dann erzähle mal der Reihe nach. Aber zuerst brauche ich deinen Namen.«

»Speyer ... Maximilian Speyer. Wir hatten heute die Segel-Tour bis zum Wehr geplant. Es sollten Wendemanöver geübt werden. Unser Boot liegt vorne am Steg. Klaus und ich standen Steuerbord und hatten gerade keine Aufgabe, als was Schweres gegen die Bordwand stieß. Zuerst dachten wir an einen abgerissenen Ast oder einen Holzbalken. Ich habe mich runtergebeugt, um das Hindernis wegzuziehen, da ...«

Leonie spürte, wie die Erinnerung dem etwa sechzehnjährigen Jungen die Stimme raubte. Ihre Hand legte sich beruhigend auf seinen Arm.

»Lass dir Zeit, Maximilian. Ganz ruhig. Was habt ihr dann getan?«

»Klaus meinte, dass wir unbedingt nachsehen sollten, da sich der Körper so nah am Ufer teilweise unter den Rumpf geschoben hatte und das Ruder blockierte. Ich habe mich dann runtergebeugt und daran gezogen. Als dieser Kopf, dieses grauenhafte Gesicht aus dem Wasser auftauchte, habe ich sofort wieder losgelassen. Ich konnte das nicht ...«

»Ist schon gut, Maximilian. Das kann ich sehr gut verstehen. Was war dann?«

Leonie drehte sich einem anderen Jungen zu, der jetzt ausreichend Mut gefunden hatte, die Erzählung fortzuführen.

»Es waren ja nur noch zwei Meter bis zur Böschung. Wir sind alle raus aus dem Boot und ab ins Wasser. Sven blieb und hat das Boot zum Steg da vorne gelenkt und vertäut. Dann haben wir die Polizei gerufen. Die ... die Frau hatte sich hier vorne im Gestrüpp verfangen. Man hat sie dann rausgezogen.«

Mia schaltete sich dazwischen und griff in die Kleidung des Sprechers.

»Jeden Moment kommt auch der Rettungswagen. Der wird euch mit warmen Decken versorgen. Mensch, eure Plörren sind ja klatschnass. Das Wasser dürfte wohl nur sechzehn Grad bei dem Wetter haben. Ich schlage vor, dass wir uns alle zum Haus Scheppen bewegen, damit wir ein Dach über den Kopf und was Warmes zum Trinken bekommen. Es wird jeden Moment anfangen zu schütten.«

Ihr besorgter Blick richtete sich zum Himmel, der genau in diesem Moment mit einem Grollen vermischt die Schleusen öffnete.

2

»Besteht überhaupt ein hinreichender Verdacht, dass der Tod durch äußere Gewalteinwirkung eintrat? Was meint Dr. Lieken dazu?«

Hauptkommissar Gordon Rabe blickte von einer zur anderen, bevor Leonie fast resigniert die Schultern hob.

»Dazu konnte dein Freund bisher noch nichts Genaues sagen. Wenn du die Frau mit eigenen Augen gesehen hättest, wüsstest du, dass die Aussage so schnell nicht zu tätigen ist. Das war nur noch aufgedunsenes Gewebe, das in Kleidung steckte. Erkennbare Verletzungen waren nach Liekens Auffassung durch eine Schiffsschraube entstanden. Weitere Ergebnisse wollte er im Laufe des Tages liefern. Mit ihm möchte wohl keiner von uns tauschen.«

Das Telefon unterbrach in diesem Augenblick das Gespräch. Als Gordon auf das Display schielte, formten seine Lippen stumm den Namen Lieken in Richtung von Leonie und Mia.

»Haben bei dir die Ohren geklingelt, oder warum rufst du genau in diesem Moment an? Wir zogen gerade über dich her und kamen zu der Ansicht, dass du jetzt im hohen Alter deinen silbergrauen Pferdeschwanz abschneiden solltest. Eine altersgemäße Kurzfrisur stünde dir bestimmt besser und würde deinem Status als Mediziner gerechter. Was hältst du davon?«

Zwischenzeitig hatte Gordon auf Lauthören umgestellt und grinste die beiden Kolleginnen an.

»Übrigens sitze ich gerade mit meinen beiden besten Ermittlerinnen zusammen, mit denen ich den Leichenfund von gestern diskutiere.«

»Das ist das Beste, was du für deine Bildung tun kannst, Gordon. Allein würdest du wahrscheinlich kaum einen Fall lösen können. Doch möchte ich dir einen Vorschlag unterbreiten. Ich schneide mir den Zopf ab, wenn du im Gegenzug den Rasierapparat ansetzt und dein hässliches Gesicht freilegst. Haben wir einen Deal?«

Nur einen kurzen Augenblick stockte Gordon, während er in die feixenden Gesichter der Kolleginnen blickte.

»Lass uns zum Grund deines Anrufes zurückkommen. Hast du schon Ergebnisse?«

»Habe mir schon gedacht, dass mein Vorschlag wieder einmal bei dir auf taube Ohren trifft. Egal. Dann stellt bitte einmal die Lauscher auf. Ich habe versucht herauszufinden, ob die Frau vor ihrem gewaltsamen Tod noch Geschlechtsverkehr hatte. Keine Chance mehr.«

»Moment«, unterbrach Gordon sofort, »du sprichst von einem gewaltsamen Tod. Was bringt dich darauf?«

»Warte doch bitte mal ab, Gordon. Deine Ungeduld treibt mich noch in den Wahnsinn. Ich hatte zuerst gehofft, über den Mageninhalt Erkenntnisse darüber zu erlangen, ob sie ertrunken sein könnte. Dazu habe ich auf die sogenannten Wydler-Zeichen, einer Dreischichtung des Mageninhaltes, gehofft. Die bildet sich normalerweise aus Feststoffen, darüber einer Schicht Flüssigkeit und dann Schaum. Ist bei der Frau allerdings komplett vermischt, was die Vermutung untermauert, dass sie schon tot ins Wasser geworfen wurde.«

»Ist das der einzige Hinweis auf äußere Gewalteinwirkung. Wie wurde sie getötet, Herr Dr. Lieken?«

Leonie konnte ihre Ungeduld ebenfalls nicht mehr verbergen und stöhnte. Durch die Telefonanlage war ein schwaches Lachen zu vernehmen, bevor der Mediziner fortfuhr.

»Es ist spürbar, dass Ihr Chef, liebe Frau Felten, einen schlechten Einfluss auf Sie ausübt. Ungeduld treibt den Menschen oft zu Fehlentscheidungen. Ich habe da noch etwas für euch. Die Frau wurde definitiv erwürgt. Das gebrochene Zungenbein bestätigt das eindeutig. Allerdings kann ich, wie ich anfangs schon ausführte, nicht mit Bestimmtheit sagen, ob sexuelle Handlungen vorgenommen wurden. Die diversen Knochenbrüche könnten auch darin begründet sein, dass sie Kontakt mit der Schiffsschraube und mit den Steinen im Flusslauf hatte. Noch Fragen?«

»Zumindest haben wir Sicherheit darin, dass wir in einem Mordfall ermitteln müssen.« Mia hatte sich mit dieser Feststellung in die Diskussion eingebracht. »Jetzt sollten wir herausfinden, wo die Frau möglicherweise ins Wasser entsorgt wurde. Wo sind Staustufen, wie hoch ist die Fließgeschwindigkeit und wo werden Frauen als vermisst gemeldet?«

»Das, ihr Lieben«, erwiderte Lieken, »wird euer Part sein. Ich habe Gewebe entnommen und lasse die DNA ermitteln. Mein Bericht kommt noch heute. Viel Erfolg dabei. Und noch ein weiterer Service aus der Rechtsmedizin: Vergesst bitte nicht den Geburtstag eines gewissen Gordon Rabe, der in der nächsten Zeit ansteht. Diese Person versteht sich ausgezeichnet darauf, diesen Tag unerwähnt zu lassen. Böse Zungen behaupten, dass das auf angeborene Sparsamkeit zurückzuführen wäre. Ich nenne so was einfach Geiz. Noch einen schönen Tag.«

Gordon hatte den Mund schon zu einer Erwiderung geöffnet, als das Besetztzeichen verdeutlichte, dass Dr. Lieken eingehängt hatte. Die Tür zum Büro öffnete sich und der kahle Schädel des Kollegen Wiesner erschien durch den entstandenen Spalt.

»Habe ich was verpasst, Leute?«

»Hast du, Kai«, antwortete Leonie und erhob sich. »Soeben wurde ein offenes Geheimnis gelüftet. Dienstag in drei Wochen müssen wir uns auf eine Riesenparty vorbereiten. Gordon will seinen Geburtstag diesmal groß feiern.«

»Das wusste ich doch schon. Haben wir was über die Frau von gestern?«

An dieser Stelle mischte sich Gordon wieder ins Gespräch.

»Setz dich, Kai. Ich kläre dich auf. Die beiden Kolleginnen haben ein ausreichendes Programm, um das sie sich kümmern möchten.«

Auch Kai war Minuten später mit allen Fakten vertraut und überlegte, welchen Part er bei der Recherche übernehmen konnte.

»Werde mal als Erstes die Vermisstenlisten durchgehen. Vielleicht haben wir Glück und es handelt sich nicht um eine alleinlebende Frau, die keiner so schnell vermisst. Ich denke, dass wir bald die DNA haben und dann Abgleiche möglich werden. Die Kleidung sollten wir zumindest fotografieren und an die Presse weitergeben. Die Bilder mit der Leiche wären keine gute Lösung für eine Veröffentlichung, denke ich. Das könnte anschließend zu Alpträumen führen.«

Erneut meldete sich Gordons Telefon und Liekens Nummer erschien auf dem Display.

»Was gibt es, Klaus? Wolltest du nachfragen, ob du auch zur Party eingeladen bist?«

»Warum fragst du das, Gordon? Ich komme auch ohne Einladung. Aber Spaß beiseite. Ich habe gerade noch Verletzungen gefunden, die nicht auf einen Zusammenprall mit einem Boot zurückzuführen sind. Das Opfer hat nur noch eine Niere. Solltet ihr Zweifel an der Identität der Frau haben, so hilft euch möglicherweise diese Tatsache. Entweder hat sie die irgendwann gespendet oder man hat ...«

»... sie ihr gegen ihren Willen entnommen«, beendete Gordon den Satz. »In den letzten Monaten hatten wir schon einen Fall von illegalem Organhandel, bei dem der Spender ein armes Schwein war. Wohin die Niere ging und wer sie entnommen hat, ist bis heute nicht geklärt. Man hat den Mann einfach mit provisorisch vernähter Wunde in seiner Wohnung abgelegt. Dort verstarb er elendig. Die Bochumer Kollegen kommen in dem Fall nicht weiter. Sollte der Frau das Organ legal in einer Klinik entnommen worden sein, besteht die Möglichkeit, dass die DNA gespeichert wurde. Ich gehe der Sache nach. Sollte ich sonst noch was wissen, Klaus?«

»Ich bin in diesem Bereich zwar kein Fachmann, aber so richtig glaube ich nicht an die Spenderaktion. In der zweiten Niere habe ich eine große Zyste ausmachen können. Es ist für mich kaum vorstellbar, dass der Frau eine Niere entnommen wird, wenn die zweite bereits stark geschädigt ist. Die Sache stinkt, wenn man mich fragt.«

Kai und Gordon wechselten einen stummen Blick, nachdem Lieken aufgelegt hatte. Gordon nippte an seinem kalten Kaffee und teilte sein bisheriges Wissen mit Kai.

»Als ich im letzten Monat mit den Kollegen in Bochum sprach, erfuhr ich so ganz nebenbei, welch Wahnsinnssummen oftmals auf dem Schwarzmarkt für Organe gezahlt werden. Wo wir gerade bei Nieren sind - es heißt, dass man sich in ärmeren Ländern die Not der Menschen zunutze macht, um eine Spenderniere zu erhalten. Nimm mal das Beispiel Moldawien, wo das Durchschnittseinkommen bei ca. 30 US-Dollar liegt. Da verkaufen junge Menschen ihre Organe für 2500 bis 3000 Dollar. In gewissen Kreisen ist man dagegen bereit, für ein Spenderorgan bis zu 250.000 Dollar zu bezahlen. Ein Geschäft, dass in manchen Ländern die Kriminellen auf die perversesten Ideen kommen lässt.«

»Du sprichst jetzt bestimmt die Kindesentführungen in Rio an, wo man Menschen sogar dafür tötet.« Kais Gesicht drückte Empörung aus, als er fortfuhr. »Könntest du dir vorstellen, dass so was hier bei uns passiert? Da gibt sich doch kein Arzt für her.«

»Gott erhalte dir deinen Optimismus, Kai. Wenn ich eines im Leben gelernt habe, ist es die Tatsache, dass der Mensch zu allem bereit ist, wenn der Profit stimmt. Bei einer Viertelmillion pro Organ wird auch ein Mediziner nachdenklich. Das wird sicherlich nicht in der Klinik passieren. Da wären zu viele Mitwisser, die außerdem mitverdienen wollen. Aber so mal nebenbei in der gut ausgerüsteten Praxis? Warum soll das nicht möglich sein? Ich bin da weniger optimistisch als du. Ich lass mir mal die Akten zum Bochumer Fall kommen. Falls es dort Parallelen gibt, könnte man zusammenarbeiten. Nimm das mal in die Hand, Kai. Ich muss heute früher Feierabend machen. Jonas habe ich einen Besuch im Folkwang-Museum versprochen. Der hat mir was erzählt von der Ausstellung einer Aenne Biermann – Fotografien und so‘n Zeugs. Da muss ich jetzt durch, da ich ihn selbst ermutigt habe, sich fortzubilden.«

3

»Gut, dass du endlich kommst, Gordon. Ich will dir nichts vormachen. Ich habe Angst.«

»Was ist passiert, Denise? Hattest du wieder diesen Traum mit Pablo Martinez? Schatz, der ist tot. Er wird dir nichts mehr tun können. Beruhige dich bitte. Hast du deine Tabletten nicht eingenommen?«

Gordon legte seinen Arm um die Schulter seiner Frau und schob sie in die Küche. Seine Augen suchten nach der Schachtel, in der er die Medikamente wusste, die Denise immer noch einnehmen sollte. Sie blieben an einem Umschlag hängen, der sich deutlich von der schwarzen Oberfläche des Induktionsherdes abhob. Er spürte augenblicklich, warum Denise von diesen Ängsten erfüllt wurde. Auch er war sich sicher, dass sich darin etwas verbarg, das ihr Leben erneut grundlegend verändern würde. Wie sehr er recht behalten sollte, konnte er in diesem Moment noch nicht ahnen. Er löste sich vorsichtig von Denise und griff nach dem Umschlag, nachdem er sich die Latexhandschuhe übergezogen hatte. Mit der freien Hand tastete er nach einem Messer und verschwand in sein Arbeitszimmer. Obwohl er es nicht mit Bestimmtheit wusste, ahnte er, dass sich in diesem Umschlag mindestens eine Drohung befinden würde. Die Möglichkeit, dass es sich sogar um ein Haftgift handeln könnte, verdrängte er für den Moment, schloss es dennoch nicht aus. Auf jeden Fall durfte er seine Familie nicht gefährden. Als er endlich am Schreibtisch saß und mehrmals tief durchgeatmet hatte, betrachtete er den Brief eingehender. Adressiert war er an ihn persönlich, der Absender fehlte. Mit der Messerspitze trennte er das Papier und warf einen Blick in das Innere. Zumindest bemerkte er keinerlei verdächtige Pulverspuren, sodass er mutig geworden das innen liegende Schreiben herauszog. Enttäuscht warf er einen Blick auf die kyrillischen Schriftzeichen, deren Bedeutung er nicht erkennen konnte. Was sich jedoch augenblicklich in ihm festsetzte, war die Tatsache, dass die russische Mafia seine Adresse kannte und nun seine Familie bedrohen könnte. Gordon schrak zusammen, als er die Stimme in seinem Rücken vernahm, in der eine tiefsitzende Angst mitschwang.

»Habe ich recht? Fängt es wieder an, Gordon? Was steht da? Kannst du das lesen? Sage mir bitte die Wahrheit.«

Stockend kamen die Fragen über Denises Lippen und lösten in Gordon eine Starre aus. Er musste sich entscheiden, ob er ihr die Wahrheit darstellen sollte, die er selbst noch nicht kannte, oder sie mit Phrasen ablenken sollte. Sie schien bereits zu wissen, dass von diesem Schreiben große Gefahr für Gordon, aber auch für sie alle ausging.

»Das ist von den Russen. Habe ich recht? Jonas wird es dir übersetzen können – soll ich ihn rufen?«

»Nein, auf keinen Fall, Denise!« Gordon sprang auf und griff Denise an die Schultern. »Wir können den Jungen doch nicht damit belasten. Ich werde den Brief mit ins Präsidium nehmen und jemanden finden, der das übersetzen kann. Ich möchte dich nicht belügen, Schatz. Ich denke, dass es sich um eine Drohung gegen mich handelt. Bisher weiß ich aber noch nicht, ob ich mir Sorgen um euer Wohl machen muss. Sei mit deshalb bitte nicht böse, wenn ich euch ab sofort unter Schutz stelle. Es werden wieder einmal Kollegen auf euch achten müssen. Das muss ich tun, verstehst du? Euch darf nichts passieren.«

Überrascht von der Reaktion musste Gordon nach dem Gleichgewicht suchen. Denise verschaffte sich mit einem heftigen Stoß vor seine Brust Abstand.

»Uns darf nichts passieren, sagst du? Und was ist mit dir? Hältst du dich noch immer für unsterblich, nachdem du bei der Geiselnahme dieses Mörders Fokus nur knapp dem Tode entronnen bist? Sollen wir uns deshalb keine Sorgen machen? Ich fass es einfach nicht, wie gleichmütig du mit diesen Bedrohungen umgehst. Du scheinst eine Todessehnsucht zu durchleben. Komm zu dir und werde wach. Dein Leben ist in ständiger Gefahr. Ich kann das nicht mehr lange aushalten. Hör auf damit. Schmeiß den verdammten Job endlich hin. Es gibt auch ein Leben ohne Gewalt und Mord.«

Mit beiden Händen fuhr sich Denise durch die Haare und wollte schon aus dem Raum fliehen, als sie Gordons Stimme aufhielt.

»Ich weiß es, Liebes. Ich werde damit Schluss machen.«

Wie in Zeitlupe drehte sich Denise um und kam langsam auf Gordon zu. Ihr Blick drückte klar die Zweifel an seinen Worten aus. Erst kurz vor ihm blieb sie stehen und legte den Kopf schief.

»Ist das wieder eine von deinen vielen Beteuerungen, denen ich in der Vergangenheit viel zu oft nachgegeben habe? Ich will nicht wieder mit einer Enttäuschung leben müssen. Hörst du, Gordon? Ich halte dieses Leben nicht mehr aus, das mich ständig in der Angst leben lässt, ob du abends zurückkommst oder stattdessen plötzlich einer deiner Kollegen vor der Tür steht und mir diese verfluchte Nachricht überbringt. Das ist genau die Hölle, der ich entfliehen möchte.«

Jetzt drückten sich doch Tränen der Hilflosigkeit aus ihren Augen und liefen durch das sorgsam aufgetragene Make-up. Gordon küsste ihr die Tränen von der Wange und drückte sie fest an die Brust.

»Ich habe geplant, es den anderen an meinem Geburtstag mitzuteilen. Ich bin schon viel zu lange dabei. Vielleicht bekomme ich den Job, den man mir angeboten hat, falls ich bei der Kripo aufhöre. Du erinnerst dich, dass man mich als Ausbilder für eine Sicherheitsfirma haben möchte. Doch das geht nicht von heute auf morgen. Außerdem haben wir gerade einen aktuellen Fall hereinbekommen, der unserer vollen Aufmerksamkeit bedarf. Das hier ...«, Gordon wies auf den Brief, der jetzt auf dem Tisch lag und zu glühen schien, »... muss ich ebenfalls zu Ende bringen, falls es sich tatsächlich um eine Drohung handelt. Tue ich es nicht, wird es uns für den Rest des Lebens im Nacken sitzen. Das darf ich euch nicht antun. Du musst noch etwas Geduld haben.«

Denises Körper zuckte, während sie sich verzweifelt an den Mann drückte, mit dem sie ihr gesamtes Leben verbringen wollte. Schließlich trennte sie sich von ihm und bewegte sich zur Treppe. Dort drehte sie sich noch einmal um und beobachtete ihn, während er sich wieder die Jeansjacke überstreifte.

»Ich erkläre Jonas, warum du wieder fortgegangen bist. Er wird es verstehen, da bin ich mir sicher. Tu, was getan werden muss. Ich stehe immer hinter allem, was du für richtig hältst. Nur – bitte enttäusche mich nicht und halte dein Versprechen.«

Ohne ein weiteres Wort von Gordon abzuwarten, verschwand Denise in Jonas‘ Zimmer.

4

Erstaunt blickten Mia, Leonie und Kai auf ihren Chef, der plötzlich in der Tür auftauchte und grußlos auf sein Büro zusteuerte. Ohne sich ihnen zuzuwenden, rief er den dreien zu, dass sie sich in seinem Büro einfinden sollten.

»Hattest du heute nicht deinen Ausflug mit Jonas geplant? Ist er krank?«

Kai zeigte echte Besorgnis, als er sich mit der Frage an Gordon wandte. Der strich statt einer Antwort einen Zettel mit der Handfläche glatt, nachdem er sich wieder die Handschuhe übergestreift hatte, und blickte einen nach dem anderen an.

»Kennt ihr jemanden im Haus, der den russischen Text übersetzen kann?«

»Scheiße«, platzte es aus Leonie heraus, »hast du schon wieder einen Drohbrief erhalten? Sag bloß nicht, dass dich die verdammten Russen bedrohen.«

»Ob es ein Drohbrief ist, kann ich euch bisher noch nicht sagen. Ich kann das hier nicht lesen.«

»Aber Jonas kann doch ... Oh, sorry, vergiss es«, unterbrach sich Leonie selbst, als sie den vorwurfsvollen Blick Gordons bemerkte. »Das habe ich nicht überlegt. Aber mir fällt da unser polnischer Kollege Michal Nowak ein. Die sprechen doch häufig auch russisch. Ich glaube, der arbeitet im Raubdezernat. Soll ich ...?«

Leonie huschte zu ihrem Telefon, als sie Gordons stummes Nicken bemerkte. Minuten später gesellte sie sich wieder zu den anderen und informierte ihren Vorgesetzten.

»Ich habe auch jemanden aus der Spurensicherung angefordert. Vielleicht finden die was auf dem Brief.«

Kaum war wieder Ruhe in Gordons Büro eingekehrt, entstand Bewegung am Eingang zum Großbüro des Morddezernates. Zwei Männer erschienen gleichzeitig, die sich in einem regen Meinungsaustausch befanden. Sie verstummten erst, als sie Gordons Büro betraten.

»Ist das der Brief?«

»Ja«, antwortete Gordon dem fast als dürr zu bezeichnenden Mann mit dem fettigen Haar, das er zu einer Seite gekämmt hatte und das ein Auge halb bedeckte. »Und Sie sind wohl Michal Nowak. Ich hoffe, dass Sie mir das übersetzen können. Haben Sie Handschuhe dabei, sonst kann ich Ihnen welche geben.«

Wortlos hob Michal die Hände, über die er bereits den nötigen Schutz gezogen hatte. Aufmerksam verfolgten alle im Raum befindlichen Personen Michals Lippen, die sich vorerst stumm bewegten und den Text übersetzten. Erst als sich Gordon räusperte, begann er zu sprechen.

»Wie ich das sehe, handelt es sich bei diesem Schreiben um eine eher versteckte Drohung. Haben Sie Familie, Herr Rabe?«

»Ja, habe ich. Aber was soll das? Sagen Sie mir doch endlich, was da geschrieben steht.«

»Nun gut. Ich übersetze mal so, wie das hier steht. Der hellste Kopf war das sicher nicht, der das verfasst hat.

Du hast Scheiße gebaut und in unsere Suppe hast du gespuckt. Das darf niemand so einfach. Unser Geschäft hat jetzt Fehler und kostet viel Verlust. Wir haben deine schöne Frau gesehen und wissen, wo sie läuft. Pass gut auf sie auf, denn ihr Arsch bringt uns viel Geld.«

Hier endete Michal und gab das Schreiben an den Kollegen weiter, der mit ihm den Raum betreten hatte. Das allgemeine Schweigen zeugte davon, dass jeder im Raum eigene Gedanken über Sinn und Zweck dieses Briefes anstellte. Das Fazit brachte Kai auf den Punkt.

»Die wollen Denise entführen. Da bin ich mir sicher. Doch eines geht mir noch nicht so recht ein: Warum haben die das noch nicht längst getan? Warum warnen die vorher?«

Nur schwach war Gordons Stimme, als er versuchte, die passende Erklärung zu liefern.

»Das nennen die Dreckskerle psychologische Kriegsführung. Sie wissen genau, dass wir ab sofort Denise und Jonas unter starken Schutz stellen. Und genau das wollen sie. Die Bande will uns beweisen, wie mächtig sie sind und wie leicht es ihnen fällt, trotz Bewachung ihren Plan durchzuführen. Ich bin mir sicher, dass mir selbst momentan noch keine Gefahr droht. Sie wollen, dass ich leide und diese Angst um meine Familie durchlebe. Es soll eine Demonstration ihrer Macht werden. Ich sage euch ehrlich: Mir geht der Arsch auf Grundeis. Aber wir müssen jetzt auf jeden Fall tätig werden. Es braucht einen Plan, wie wir die beiden schützen.«

»Was soll diese Scheiße, Gordon?«, ereiferte sich Leonie und stützte beide Hände auf Gordons Schreibtischkante. Ihre Augen besaßen plötzlich ein Feuer, das Gordon bisher noch nie bei ihr gesehen hatte. »Natürlich müssen wir Denise und den Jungen aus der Schusslinie bringen. Aber was ist mit dir? Wirfst du dich den Mördern zum Fraß vor? Ihr müsst alle drei in Sicherheit gebracht werden – nicht nur ein Teil von euch. Und ich will dir mal was sagen, was du scheinbar vergessen hast. Nicht nur du hast den Fall allein gelöst. Denkst du, die werden uns verschonen, die ihnen ebenfalls das Geschäft versaut haben? Jeder von uns befindet sich auf deren Abschussliste. Sieht das jemand anders?«

Leonie schnellte herum und sah jedem Einzelnen ins Gesicht. Der Erste, der dazu Stellung bezog, war Jan Schelder, der Kollege von der Spurensicherung.

»So ganz kann ich mich der Argumentation der Kollegin Felten nicht entziehen. Es hat sich im Präsidium herumgesprochen, was in eurer Abteilung abging. Alle fanden das großartig, wie ihr als Team vorgegangen seid.

---ENDE DER LESEPROBE---