Der Tod spielt falsch - H.C. Scherf - E-Book

Der Tod spielt falsch E-Book

H.C. Scherf

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Beschreibung

Zeigt sich der Schatten des Todes, verändert er die Prioritäten im Leben Als die blutleeren Körper junger Frauen gefunden werden, ahnt keiner aus dem Team um Gordon Rabe, welch schreckliches Geheimnis sich dahinter verbirgt. Doch das allein bildet nicht die tödliche Gefahr, die auf alle lauert. Ein Rachefeldzug gilt einem alten Fall, der längst vergessen schien. Wieder einmal ist der Tod in seiner gesamten Grausamkeit allgegenwärtig und nicht greifbar. Eine Story, die brutal beweist, wie wichtig menschlicher Zusammenhalt für unser Leben sein kann.

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DER TOD SPIELT FALSCH

 

 

Von H.C. Scherf

 

 

Thriller

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im

Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

DER TOD SPIELT FALSCH

 

© 2020 H.C. Scherf

Ewaldstraße 166 – 45699 Herten

http://www.scherf-autor.de

[email protected]

 

Alle Rechte vorbehalten

 

Aktives Mitglied im Selfpublisher-Verband e.V.

 

Covergestaltung: VercoDesign, Unna

Bilder von:

Art Konovalov / shutterstock

36clicks / clipdealer.com

majdansky / clipdealer.com

dgool / clipdealer.com

 

Lektorat/Korrektorat: Heidemarie Rabe

[email protected]

 

Dieses E-Book ist geschützt und darf ohne Genehmigung des Autors nicht

vervielfältigt oder weitergegeben werden.

 

DER TOD

SPIELT FALSCH

 

Von H.C. Scherf

 

 

 

 

 

Wer auf Rache sinnt,

der träufelt unbemerkt auch

ein schleichendes Gift

in den eigenen Becher

 

© Dieter Uecker (*1970)

 

1

Nur das monotone Quietschen einer angerosteten Kette über ihm, die vom stetigen Wind in Bewegung gehalten wurde, zerrte an seinen Nerven. Das Sonnenlicht drang nur an wenigen Stellen durch die fast blinden Scheiben, die der Verwitterung bisher standhalten konnten. Dichte Spinnweben dämpften zusätzlich selbst das bisschen Licht und verlieh dieser einstigen Werkhalle etwas Gespenstiges. Vor vielen Jahren war dieses ehemalige Zementwerk aufgegeben worden, folgte damit den zahlreichen Betrieben, die als Letzte die Industrialisierung der Ruhrgebietsregion symbolisierten. Das Gebäude zählte in dieser Region zu den sogenannten Lost Places.

Nur dem eingeschossenen Adrenalin verdankte Hauptkommissar Gordon Rabe, dass ihm die unsäglichen Schmerzen nicht sofort die Sinne raubten. Immer wieder versuchte er, sich von den eng anliegenden Fesseln, die um seine Handgelenke geschlungen waren, zu befreien. Sein Blick irrte zum gefühlt tausendsten Mal rauf zu seinen Fußgelenken, in die diese verdammten Kettenglieder tief einschnitten. Schon lange war ihm jegliches Gefühl daraus entwichen. Selbst ihn bewegte der Wind leicht, während er kopfüber in diesen dunklen Schacht sah, der in einem riesigen Haufen Müll tief unter ihm mündete. Die Schritte seines Peinigers waren schon längst verklungen, nachdem er ihm einen letzten verächtlichen Blick zugeworfen hatte. Nichts auf dieser Welt würde Gordon noch retten können, da niemand wusste, wo man ihn zu suchen hatte. Dieses Schwein hatte sie alle in die Irre geführt, sodass sämtliche Spuren in die falsche Richtung führten. Der Drecksack sollte recht behalten mit der Bemerkung, dass an dieser Stelle Gordons Leben ein unrühmliches Ende finden würde. Das Grausame daran bestand in der Tatsache, dass es lange dauern konnte, bis ihn der Tod endlich befreite. Gordons einzige Hoffnung lag darin, dass ihm der steigende Druck auf das Gehirn vorher die Besinnung rauben würde und er das endgültige Aus nicht mehr mitbekam.

Aus weiter Ferne vernahm er schwache Geräusche von Autos, die über die Landstraße rauschten, deren Insassen keine Ahnung davon hatten, welch tragische Entwicklung sein Leben gerade nahm. Sie beschäftigten sich eher mit der Frage, ob die Marinade das Grillfleisch schon zart genug gemacht hatte. Viele von ihnen würden heute Abend mit ihrer Familie und Freunden das Leben bei einem kühlen Bier und Leckereien genießen. Seine Lippen formten Worte, die ihm seine Gedanken vorgaben.

Es tut mir leid, Jonas. Ich wollte dir ein guter Vater sein. Hör auf deine Mutter, die dich wirklich liebhat. Sie hatte recht mit ihrer Angst, dass genau das eines Tages passieren würde. Ich weiß, dass sie es nicht immer zeigen konnte. Doch glaube ihr, denn sie hat die Enttäuschung über deine Beeinträchtigung jetzt überwunden. Ich weiß, dass ich dir vieles versprochen hatte, was wir gemeinsam hätten tun können. Doch es sollte nicht sein, mein Sohn. Ich habe dich sehr lieb. Pass auf dich und deine Mutter auf. Du wirst mich nicht mehr sehen können, ich dich aber sicherlich von einem anderen Ort.

Das Fiepen einer Ratte, die neugierig vom Rand einer Zwischenetage zu ihm herübersah, holte Gordon für einen Moment zurück in die erschreckende Realität. Das Gefühl war mittlerweile aus den unteren Extremitäten gewichen. Nun sorgte aber das in den Kopf einschießende Blut dafür, dass schwarze Flecken vor seinen Augen tanzten und sich mit bunten Ringen mischten. Verzweifelt straffte er die Bauchmuskulatur und bog den Oberkörper in Richtung der Oberschenkel, was ihm für einen Moment Erleichterung verschaffte und die drohende Ohnmacht verzögerte. Der aufziehende Schmerz in den Muskeln ließ ihn schnell wieder zurückfallen. Er spürte es mit erschreckender Deutlichkeit: Sein Körper gab auf, konnte diesen verzweifelten Kampf nicht länger weiterführen. Der Kampfgeist verließ ihn. Zunehmend wechselte Gordon in den Zustand der Apathie, der endgültigen Aufgabe.

Ohne jegliche Reaktion nahm er die Schritte wahr, die sich von irgendwoher näherten. Das Echo verteilte sich in der großen Halle und schuf ein Wirrwarr an Geräuschen. Sein letzter Gedanke war, bevor sich ein Nebel über sie legte, dass dieses Schwein zurückkommen würde, um sein Werk zu vollenden.

2

Zwei Wochen früher

»Na, das ist ja eine Überraschung!«

Leonie Felten sprang auf und eilte auf Polizeimeisterin Mia Richter zu, die abwartend in der offenen Tür stehen geblieben war. Sie schlang ihre Arme um die Kollegin, von der man mittlerweile wusste, dass sie die Rehabilitation gut überstanden hatte. Sie wollte unbedingt wieder in den Dienst zurückkehren, nachdem sie glaubte, das Geschehen um Pablo Gomez-Martinez überwunden zu haben. Vehement hatte sie sich geweigert, sich die Fotos der Spurensicherung vom Tatort anzusehen. Sie befürchtete, wenn sie das viele Blut sehen würde, dass dieses Trauma neu entstehen könnte. Leonie trat einen Schritt zurück und betrachtete Mia von oben bis unten.

»Du siehst prächtig erholt aus, Mädel. Jonas hat schon hundertmal nach dir gefragt. Der mag dich – das hat er mir oft gesagt. Der wird dir niemals vergessen, was du für ihn und seine Mutter gewagt hast. Der Chef müsste jeden Moment kommen. Der wird sich über deinen Besuch freuen. Bist du absolut sicher, dass du ...?«

»Aber natürlich, Frau Felten. Wir haben uns diesen Job irgendwann aus gutem Grund ausgesucht und mussten damit rechnen, immer mal in solche Situationen zu geraten. Außerdem muss ich zugeben, dass ich nicht einen Moment darüber nachgedacht habe, was ich da gerade tue. Es geschah einfach und ich lag mit einem Mal auf dem Boden. Das Schwein hat verdient, dass man ihm das Hirn weggepustet hat. Frau Rabe dürfte schlimmer dran sein als ich. Wie geht es ihr?«

Die Stimme hinter den beiden Frauen ließ sie zusammenfahren, bis sie erkannten, dass sie Gordon Rabe gehörte, der sich, unbemerkt von ihnen, genähert und die Frage mitbekommen hatte.

»Meine Frau hat vermutlich noch eine Weile damit zu tun. Sie benimmt sich allerdings für jeden, der sie nicht so genau kennt, völlig normal. Sie wacht manchmal nachts auf und schlägt um sich. Irgendwie kommt mir das bekannt vor. Doch das wird in den letzten Wochen immer seltener.« Gordon schob Mia in den Raum und erzählte weiter. »Ich finde es toll, dass Sie wieder zurückgefunden haben. Ich hörte davon, dass Sie nächste Woche Ihre erste Schicht beginnen. Richtig so, Frau Richter. Machen Sie nicht den gleichen Fehler wie ich und suchen beim Teufel Alkohol den scheinbaren Frieden. Das ist die Hölle. Kommen Sie doch rein in die gute Stube und erzählen uns, wie es Ihnen ergangen ist.«

Leonie war nicht entgangen, dass sich Mia Richter intensiv im Büro der Mordermittler umsah. Sie tastete sich mit ihrer Frage vorsichtig an die Frau heran, die womöglich durch ihren beherzten Einsatz einige Leben gerettet hatte.

»Worüber denken Sie nach?«

Mia zögerte einen Augenblick, bevor sie endlich mit der Wahrheit herausplatzte.

»Ich werde mich beruflich verändern, Frau Felten.«

»Sagen Sie Leonie – wir sind doch schließlich Kolleginnen«, unterbrach sie Mia Richter, die sich auf einen Stuhl am Besprechungstisch fallen ließ.

»Danke, das mach ich doch gerne. Aber ich wollte sagen, dass ich mich für den Dienst, das heißt, für eine Ausbildung bei der Kripo beworben habe. Die Verfolgung von Straftätern wäre eine Aufgabe, die mir nicht nur Spaß machen würde, sondern sogar eine innere Befriedigung schaffen könnte. Da ich schon die Grundausbildung der Schutzpolizei hinter mich gebracht habe und die Hochschulreife besitze, würde ich in den gehobenen Dienst eintreten. Immer vorausgesetzt, man stimmt ganz oben zu.«

»Na, das nenne ich mal eine Neuigkeit, Mia. Dann könnte es ja sein, dass wir eines Tages richtige Kolleginnen werden und gemeinsam ermitteln. In welches Dezernat möchtest du denn dann eintreten? Da hast du ja die freie Auswahl bei mindestens acht Abteilungen.«

»Die Frage stellst du doch nicht ernsthaft, Leonie? Natürlich will ich in die Abteilung für Kapitaldelikte wie Tötung, Raub, Erpressung und Brandstiftung. Wenn das nicht klappt, würde mich die Abteilung interessieren, die bei Delikten gegen Kinder und Jugendliche ermittelt. Ich bin es leid, mich nur auf der Straße rumzutreiben, um mich um Ehestreit und Krawalle zu kümmern. Ich lass mich überraschen, was passiert.«

»Hoho – die Konkurrenz bewegt sich direkt auf mich zu«, meinte Gordon, der dem Gespräch aufmerksam gefolgt war. »In einigen Jahren werde ich das hier an den Nagel hängen müssen und hoffe auf geeignete Nachfolger. Ich glaube, dass ich momentan zwei geeigneten Kandidatinnen gegenüberstehe. Frau Richter, ich glaube an Sie. Sollte Ihr Vorgesetzter noch einen Fürsprecher für Ihre Bewerbung benötigen, darf er sich gerne an mich wenden. Meine Stimme haben Sie sicher.«

Leonie legte ihren Arm um die Schulter der Kollegin, deren Gesicht eine zarte Verlegenheitsröte überzog. Als sich Gordon in sein Büro zurückgezogen hatte, zog Leonie ihre neue Freundin in die kleine Kochküche und begann damit, einen frischen Kaffee aufzubrühen. Die momentane Ruhe gestattete es ihnen, unbeobachtet typische Frauengespräche zu führen. Keine von beiden konnte in diesem Augenblick ahnen, was sich im Hintergrund zusammenbraute.

3

Martinas Hände glitten unbemerkt von ihrer galanten Eroberung am Steuer über das feine, sandfarbene Leder des Beifahrersitzes. Bereits, als sie am späten Abend quer über den Parkplatz auf die Diskothek zusteuerte, war ihr der goldfarbene Maserati aufgefallen, der sogar zwischen den anderen Nobelkarossen angenehm herausstach. Niemals hätte sie sich träumen lassen, dass ausgerechnet sie diesen verdammt gutaussehenden Besitzer an der Theke treffen würde. Eigentlich war sie mit Joel verabredet gewesen, der ihr jedoch über eine SMS eine Nachricht geschickt hatte, dass er beruflich aufgehalten wurde. So nannte er es, wenn er sich mit Geschäftsfreunden oder einer neuen Eroberung gewissen Freuden hingab. Es gab zwischen ihnen eine stille Vereinbarung, dass keiner den anderen unter Druck setzte – jeder seine Freiheiten innerhalb der Beziehung, wenn man das so nennen wollte, weiter besitzen durfte.

 

Der DJ sorgte in dem Augenblick für eine ruhigere Tanzphase, als Martina dieser so außergewöhnliche Duft in die Nase stieg. Eine Note, die augenblicklich bei ihr die Nervenbahnen reizte, die für den Hormonspiegel verantwortlich zeichneten. Bevor sie sich nach dem Verursacher dieser Sinnesreizung umsehen konnte, drang diese ungemein einschmeichelnde Stimme an ihr Ohr. Gleichzeitig stellte eine gutmanikürte Männerhand einen weiteren Erdbeer-Mojito neben ihr fast geleertes Glas.

»Darf ich Sie zu einem Glas einladen? Bitte halten Sie das nicht für eine billige Anmache, aber ich habe den Eindruck, dass man Ihnen nicht die Aufmerksamkeit zukommen lässt, die Sie verdient haben. Man sollte an solchen Abenden nicht allein in einer Diskothek sitzen und sich langweilen. Hat man Sie versetzt? Derjenige gehört verprügelt. Ich würde Sie niemals aus den Augen lassen.«

Obwohl das blaue Licht der umherstreifenden Scheinwerferkegel fast jedes Gesicht blass aussehen ließ, erkannte Martina, dass diese Haut eine angenehme Bräune besitzen musste, die diese makellos weißen Zahnreihen zwischen den sinnlich wirkenden Lippen noch stärker hervorhob. Neben ihr war das Gesicht eines Mannes aufgetaucht, das auf jedes Werbeplakat eines Kosmetikproduktes gepasst hätte. Mit klopfendem Herzen verfolgte Martina, dass sich dieses Prachtexemplar der Spezies Mann einen Barhocker heranzog und sich darauf niederließ – ohne nur eine Sekunde den Blick von ihr abzuwenden. Die schwarze Jeans passte perfekt zum weißen Blazer. Was wollte dieses Brad-Pitt-Double ausgerechnet von ihr?

»Sie trinken doch Erdbeer-Mojito? Oder habe ich mich geirrt? Ich kann Ihnen gerne etwas anderes ...«

»Nein, nein, ist schon in Ordnung. Kennen wir uns von irgendwoher? Sind Sie ein Freund von Joel?«

»Ohne Ihren Freund Joel zu kennen, möchte ich behaupten, dass er ein Glückspilz und gleichzeitig ein Trottel ist. War er es, der Sie hier allein sitzen ließ? Ein dummer Glückspilz, wenn ich das so frei sagen darf. Nein, Sie fielen mir auf, da Sie ... ja, Sie wirken etwas traurig. Dafür habe ich ein Gespür. Eine Frau wie Sie sollte niemals traurig sein müssen. Darf ich ...?«

Martina wusste nicht, was sie bewog, die ihr angebotene Hand spontan zu ergreifen und sich zu den Klängen von Michael Jacksons I Just Can´t Stop Loving You über die Tanzfläche führen zu lassen. Der Kerl tanzte verdammt gut.

 

Das sonore Brummen des V8-Motors erstarb erst, als sich bereits das Garagentor hinter ihnen wieder auseinanderfaltete und die übergroße Garage der Villa verschloss. Die laue Sommernacht blieb hinter ihnen zurück. Martina hatte die Fahrt in dem Gran-Turismo-Cabrio genossen und mit an die Nackenstütze gelehntem Kopf den sommerlichen Nachthimmel an sich vorbeiziehen lassen, an dem sich schon das erste Morgenrot am Horizont bemerkbar machte. Sie ahnte – nein, sie hoffte, dass diese Nacht noch nicht vorbei sein würde. Sie wollte die Hände dieses Mannes auf ihrer Haut spüren. Das Lächeln auf seinem Gesicht versprach Martina viel. Ab und zu erschien darauf ein Hauch von Nachdenklichkeit, was jedoch die Attraktivität nur verstärkte. Galant öffnete er ihr die Tür und führte sie durch die riesige Küche an die kleine Bar.

»Möchtest du hier einen Drink oder darf ich dir die Erfrischung im Pool reichen? Wenn dir danach ist, kannst du gerne eine Runde schwimmen, bevor du ...«

Martina lachte und folgte spontan der ausgestreckten Hand ihres Gastgebers, der auf eine Glastür zeigte, hinter der ein unruhiges Flackern erkennbar war, so wie es durch bewegtes Wasser erzeugt wurde.

»Geh schon einmal, Martina. Ich werde mir etwas Bequemeres anziehen und dann zu dir stoßen. Ich bringe uns was Erfrischendes mit. Geh nur.«

Nur mit dem winzigen Slip bekleidet zog Martina ihre Bahnen in dem Pool, der von unten beleuchtet wilde Ornamente an die Decke warf und der leicht beschwipsten Frau ein Glücksgefühl vermittelte, das sie in dieser Intensität bisher kaum kannte. War es diese kleine Prise Kokain, die bei ihr wirkte? Letztendlich war es ihr völlig egal. Es war einfach nur schön.

Leise Musik, deren Klänge ihr absolut unbekannt waren, begleiteten sie bei ihren wilden Fantasien, die sie während des Schwimmens auf den Sex vorbereiteten. Es sollte die Nacht der Nächte werden. Mit einem Mal tauchten sie vor ihr auf, diese tiefblauen Augen, die sie auf eine besondere Art anstarrten und wieder abtauchten in das glitzernde Wasser. Martina konnte ein Stöhnen nicht vermeiden, als sich zwei starke Arme von hinten um ihren Körper legten und sich die Hände schon fast zu fest um ihre Brüste schlossen. Dieser Schmerz ging unter in dem, der darauf folgte.

Ihr unmenschlicher Schrei hallte in dem großen Raum mehrfach nach. Er enthielt den gesamten Schmerz, den der kräftige Biss in ihren Hals bewirkte. Das Letzte, was sie bewusst wahrnahm, waren die wandernden Hände zum Hals und das Knirschen ihrer brechenden Nackenwirbel. Das austretende Blut, das nicht von dem hinter ihr schwimmenden Mann aufgesaugt wurde, verteilte sich auf der Wasseroberfläche und wurde allmählich von der Filteranlage eingefangen.

4

»Ausgerechnet ein kleiner Junge hat sie dort im Gestrüpp gefunden«, erklärte Kai Wiesner seine Gesichtsblässe. Dr. Klaus Lieken besah sich zuerst den sichtlich beeindruckten Kommissar, bevor er sich um die unter einer Folie versteckte Frauenleiche kümmerte. Leonie Felten, die gleichzeitig mit ihrem Kollegen am Fundort eingetroffen war, wandte ihren Blick ab, da sie schon zuvor vom Anblick der Leiche absolut beeindruckt wurde. Nie zuvor hatte sie einen Menschen betrachten müssen, dessen Haut sich nach dem Tod derart verändert hatte. Lieken legte die Folie zur Seite und damit einen nackten Körper frei. Seine spontane Sichtprüfung drückte er mehr im Selbstgespräch aus.

»Verdammt, was ist mit dieser Welt geschehen? Ist die Zeit gekommen, in der selbst das Morden sich verändert? Kann man die Gegner nicht wie früher einfach erschlagen oder erdolchen?«

»Was laberst du da vor dich hin, Klaus?«, meinte Gordon Rabe, der zwischenzeitlich eingetroffen war und die Worte des Freundes mitbekommen hatte. Dr. Lieken schien nicht überrascht davon, dass man seiner Äußerung mit Unverständnis begegnete. Er holte einen Teleskopstab aus der Seitentasche, den er auf volle Länge auseinanderzog und auf den Halsbereich der Frau richtete.

»Man könnte annehmen, dass wir es mit einer blassen Wasserleiche zu tun haben. Irrtum, mein Lieber. Die Frau ist blutleer!«

Sämtliche Gespräche, die bis dahin rundherum von Beobachtern geführt worden waren, verstummten augenblicklich. Gordon fand die Stimme zuerst zurück.

»Blutleer? Du meinst, dass man die Frau ...?«

»Ja, das meine ich, Gordon. Sieh her. Die Halsschlagader wurde zerrissen, besser gesagt, sie wurde durchgebissen. Und bevor wir lange darüber rätseln. Es war ein Mensch, der das getan hat. Diese Tatsache ist schnell belegbar, wenn man sich die typischen Merkmale betrachtet.«

Gordon, Kai und Leonie traten näher heran und folgten dem Teleskopstab des Rechtsmediziners.

»Hier können wir deutlich einen fast ovalen Bissring erkennen, der nur von einem Menschen stammen kann. Das beweisen die Blutunterlaufungen und Abschürfungen der Haut. Hätte das ein Tier getan, würden wir Zerfleischungsspuren und Abbildungen der Reißzähne vorfinden. Nagetiere erkennt man gut an den paarweise angeordneten Zahnspuren. Ein Mensch … definitiv.«

»Wer macht denn so was?«, meinte Leonie fragen zu müssen.

Wieder war es Lieken, der sich dazu äußerte.

»Ich würde sagen, dass wir es mit einem Fall von Vampirismus zu tun haben, so wie ich ihn bisher nie erlebt habe. Die Frau besitzt nur noch wenig Blut im Körper. Darauf möchte ich wetten. Aber ich möchte trotzdem behaupten, dass das Opfer den Tod im Wasser fand. Fragt mich bitte nicht, wie das im Zusammenhang zu sehen ist. Aber sie lag zumindest eine gewisse Zeit im Wasser. Das erklärt die leichte Waschhaut in der Hohlhand. Allerdings bezweifle ich, dass sie hier in der Ruhr zu Tode kam. Dass sie selbstständig den Fluss verließ und sich zum Sterben ins Gebüsch bewegte, dürfte mehr als abwegig sein.«

»Jemand hat sie dort platziert«, bestätigte Gordon die Annahme des Freundes, »Es sollte so aussehen, dass sie hier ertrunken ist. Ich denke, dass du die Flüssigkeit in der Lunge analysieren und uns dann Hinweise liefern kannst, wo sie tatsächlich den Tod gefunden haben könnte. Was ist das da, Klaus?«

Gordon nahm Lieken den Stab aus der Hand und wies auf stark ausgeprägte Hämatome im Nackenbereich. Mit einer energischen Handbewegung entriss ihm der Arzt wieder den Stab.

»Verdammt, sei nicht so ungeduldig. Immer eines nach dem anderen. Aber schön, dass dir das aufgefallen ist. Ich vermute mal, dass der Täter eine Gegenwehr im Keim ersticken wollte, indem er dem Opfer das Genick brach. Wenn ich mir die Male genau ansehe, würde ich behaupten, dass es mit bloßer Hand durchgeführt wurde. Der Täter ist darin geübt.«

»Wie erkennen Sie denn so schnell ohne nähere Untersuchung, dass ihr das Genick gebrochen wurde, Dr. Lieken«, unterbrach Leonie den Arzt. Der sah fast mitleidig hoch zu ihr.

»Ich nehme mal an, Frau Felten, dass Sie sportlich veranlagt sind. Dennoch versuchen Sie mal, Ihren Kopf in diese außergewöhnliche Position zu bringen, ohne dass sich Ihre Nackenwirbel mit einem hässlichen Knirschen bedanken würden. Die Nervenstränge wurden bei der Frau durchtrennt. Was man sonst noch mit ihr angestellt hat, werde ich im Institut untersuchen müssen. Mehr kann ich im Moment nicht für euch tun.«

Gordon half dem Freund auf die Beine, der sich dafür mit einem stummen Nicken bedankte. Bevor er sich mit seiner Tasche zurück zu seinem alten Ford Taunus schleppte, wandte er sich noch einmal an seinen Freund Gordon und flüsterte ihm zu: »Ich weiß nicht, ob du es noch weißt. Aber heute hat Mareike Geburtstag. Sie hat wieder Gott und die Welt zu einer Feier eingeladen. Gegen Gott hätte ich ja nichts einzuwenden, aber wenn ich von der Welt spreche, meine ich diese schmierigen Schmarotzer aus der Verwandtschaft und ihrem Freundeskreis. Du wirst wissen, was ich davon halte. Kannst du mir einen Gefallen tun und heute ...?«

»Wann soll ich da sein? Natürlich helfe ich dir und komme vorbei. Aber du sollst darauf vorbereitet sein, dass wir uns diesmal nicht besaufen werden, um die arrogante Bagage zu ärgern. Ich bin trocken. Ich bringe Blümchen mit. Wenn ich mich recht erinnere, mag Mareike Orchideen.«

»Danke dir, Gordon. Ein Kaktus reicht völlig aus. Der würde besser zu ihr passen. Um acht? Passt dir das? Und bestelle Denise einen Gruß von mir. Es ist ja nur dieser eine Abend, an dem sie auf dich verzichten muss.«

Sichtlich lockerer bewegte sich Dr. Lieken auf seinen Oldtimer zu und verschwand schließlich darin zwischen den vielen Polizeifahrzeugen. Kai und Leonie fand Gordon Rabe in einer intensiven Diskussion vor, die sie unterbrachen, als sie ihren Chef bemerkten.

»Das ist ja mal was Besonderes, liebe Leute«, richtete Gordon seine Ansprache an alle Umstehenden. Stummes, betretenes Nicken bestätigte seine Annahme.

»Toben hier neuerdings Vampire durch die Wälder? Ich dachte immer, dass dies nur Hirngespinste von sensationsgeilen Jugendlichen wären, die diese Vorstellung einfach cool finden. Dass diese sinnfreien Filme als Vorlage für reale Handlungen herangezogen werden, muss ich erst verarbeiten.«

Leonie fuhr sich mit der flachen Hand durch ihre stoppeligen Haare und sah nachdenklich auf die tote Frau, von der Lieken behauptete, dass man sie leergesaugt haben sollte. Sie konnte die Gänsehaut kaum vor ihren männlichen Kollegen verbergen, die jedoch nicht weniger beeindruckt dastanden. Erst das Zupfen einer der Bestatter an Gordons Ärmel riss ihn aus den Gedanken.

»Ins Institut zu Dr. Lieken?«

Gordon nickte nur und entfernte sich wortlos, um Denise über seine unerwartete Abendveranstaltung zu informieren.

5

»Komm ruhig rein Gordon, die junge Dame von gestern habe ich noch nicht in die Kühlkammer geschoben. Ich denke, dass du weitere Fragen dazu hast.«

Dr. Lieken zog seinen Mundschutz unter das Kinn und nahm einen Schluck von seinem kalten Kaffee, um gleichzeitig angewidert das Gesicht zu verziehen.

»Na, schmeckt dir die Brühe nicht? Hast du etwa noch einen Kater von gestern? Es tut mir immer in der Seele weh, wenn ich mitansehen muss, dass sich erwachsene Männer vor lauter Frust besaufen, obwohl sie genau wissen, dass sich das spätestens am nächsten Morgen rächt.«

Gordon ignorierte den vorwurfsvollen Blick des Freundes und drehte sich ab, um nicht das Grinsen auf seinem Gesicht zu offenbaren. Er wusste, was folgen würde.

»Das sagst ausgerechnet du? Weißt du noch, wie oft ich dich aus dem Marktbrunnen geholt habe, weil du nicht einmal mehr deinen Namen buchstabieren konntest? Du bist der erbärmlichste Heuchler vor dem Herrn. Jetzt kannst du klug reden, wo du dich wieder gefangen hast.«

»Okay, okay ... beruhige dich wieder. Das war nur ein Scherz. Was ist mit der Dame? Gab es eine Vergewaltigung? Bist du so nett und klärst mich auf?«

Gespielt beleidigt näherte sich Klaus Lieken und zog das Laken zurück, unter dem jetzt ein gesäuberter, frisch zugenähter Körper einer Frau zu sehen war. Gordon musste zugeben, dass es sich um ein besonders gut gelungenes Exemplar der menschlichen Rasse handelte. Auffällig war ihre extrem helle Haut, unter der nur vereinzelt Adern erkennbar waren.

»Dieses Prachtweib wurde nicht vergewaltigt, um deine erste Frage zu beantworten. Aber ...« Hier zögerte Lieken einen Moment. »Ich konnte an verschiedenen Stellen ihres Körpers Spermaspuren feststellen.«

»Du meinst, dass man sie nicht ...?«

»Genau das will ich damit sagen, Gordon. Da hat sich jemand, besser gesagt, da haben sich mehrere Kerle selbst befriedigt.«

Gordon starrte seinen Freund verständnislos an. Bevor er eine Frage stellen konnte, ergänzte Lieken seine Ergebnisse.

»Es wurden Spermaspuren von mindestens drei Männern gefunden. Du hörst richtig. Die Tat ist nicht die eines Einzelnen. Zu deinem besseren Verständnis muss ich etwas erklären. Ich habe mich auch gefragt, wieso dieses Sperma nicht abgespült worden ist, zumal sie im Wasser gelegen haben muss. Meine These ist, dass sie zwar im Wasser den Tod fand, später jedoch missbraucht wurde. Ihr wurde das Blut aus dem Körper gesaugt und zusätzlich hat man auf ihren Körper onaniert. Bei dem Wasser, das ich in der Lunge fand, konnte ich noch Chloranteile herausfiltern. Sie muss also in einem Pool gelegen haben.«

Fast belustigt beobachtete Lieken seinen Freund, in dem es kräftig arbeitete. Gordon, das wusste er seit Jahren, besaß die Gabe, sich Situationen klar vor seinem geistigen Auge vorzustellen. Schon oft hatte ihm das bei der Lösung eines Falles geholfen. Er ließ Gordon Zeit und zog das Laken weiter herunter. Der Blick wurde frei auf die Beine des Opfers. Stumm wies Klaus Lieken auf die Stelle, an der ein weiterer Bissring und eine geöffnete Schlagader zu sehen waren.

»Die Wahnsinnigen haben der Frau zusätzlich die Schlagader am Oberschenkel geöffnet, da der Blutkreislauf ja durch den fehlenden Puls eingestellt wurde. So konnten sie mehr Blut entnehmen. Eine für mich mehr als eklige Vorstellung. Die Riten des Mittelalters leben wieder auf. Wenn du mich fragst, existiert mitten unter uns eine Sekte, deren Mitglieder Blutopfer fordern und gleichzeitig ihre sexuellen Lüste befriedigen. Wir sollten uns nach einem geeigneten Exorzisten umsehen.«

»Wenn wir hier nicht ein Opfer zu beklagen hätten, das entsprechende Merkmale aufweist, würde ich dich für durchgeknallt halten. Hier und da hört man von zumeist jungen Leuten, die den fiktiven Vampiren aus der Twilight-Szene huldigen. Doch das ist Kinderkram und endet letztendlich mit falschen Zähnen und entsprechender Kleidung. Noch nie hörten wir hier in Deutschland davon, dass diese verklärten Typen tatsächlich Menschen anfielen. Das blieb bisher beim Kino.« Gordon begann eine Wanderung zwischen den Tischen und versteckte seine Hände in den Taschen seiner Jeans. »Ich will einfach nicht glauben, dass sich plötzlich eine oder mehrere kranke Personen dem Satanismus verschrieben haben, obwohl es selbst hier nur selten Hinweise zum Vampirismus gibt. Wenn du mir nicht von den verschiedenen Spermaspuren erzählt hättest, würde ich sagen, dass wir es mit einem einzelnen verirrten Geist zu tun haben.«

»... was die Sache umso schwieriger gemacht hätte«, ergänzte Dr. Lieken Gordons Vermutung. »Eine Gruppe müsste doch eher auszumachen sein als eine einzelne Person. Oder liege ich da völlig falsch? Viele Mitwisser, mehr Spuren und die Chance auf Verräter würde ich meinen. In der entsprechenden Szene dürfte sich so was rumsprechen. Ich beneide dich nicht um deinen Job. Ich finde das alles ziemlich gruselig.«

»Wenn ich den anderen davon erzähle, erklären die mich für verrückt. Ich sehe mich schon mit einer Reihe Knoblauchknollen über der Bürotür.«

»Zur Sicherheit solltest du dir schon einmal Hammer und Holzpflock zurechtlegen«, spottete Lieken, »das könnte eine blutige Angelegenheit werden. Du wirst ja schon davon gehört haben, dass normale Munition nichts bringt. Diese Wiedergänger, wie man sie auch nennt, lachen sich darüber kaputt und hauen dir die Zähne in den Hals. Warte mal ... ich müsste hier noch irgendwo ein Kruzifix rumliegen haben.«

Lachend zog er die Schublade auf, in der er normalerweise seine Brotdose aufbewahrte. Die Kopfnuss, die er von Gordon erhielt, steckte er kommentarlos weg. Ein Besucher hätte kaum Verständnis für die skurrile Szene aufbringen können, als sich zwei erwachsene Männer neben dem Leichnam einer Frau vor Lachen krümmten.

6

Seine Augen verbargen sich hinter dünnen Schlitzen, durch die er die vielen Zeitungsausschnitte betrachtete, die weit über den Holztisch ausgelegt worden waren. Die zusammengekniffenen Lippen zeugten von einer aufgestauten Wut, die durch die tiefen Stirnfalten noch deutlicher zum Ausdruck kam. Immer wieder glitten die Finger über Abbildungen eines jungen Mädchens, das glücklich lächelnd in die Kamera blickte, auf verschiedenen anderen Abbildungen jedoch mit geschlossenen Augen und tiefen Wunden im Gesicht dargestellt wurde. Daneben immer wieder der Kopf eines Mannes, dessen zynisches Grinsen in dem Augenblick entstand, als der Richter das Urteil verkündete. Der Angeklagte wird wegen Mangel an Beweisen vom Vorwurf der Vergewaltigung und des Mordes freigesprochen! Von diesem Augenblick an fraß sich dieses Grinsen förmlich auf seinem Gesicht fest, wurde zur ständigen Maske. Besonders stark zeigte er es, als er beim Verlassen des Gerichtssaales an ihm, dem Bruder des Opfers, vorbeiging. Der Rechtsanwalt hielt den zuvor Angeklagten Rudolf Fokus im letzten Augenblick davon ab, dem Bruder der Getöteten seinen Triumph ins Gesicht zu schreien.

Die Presse und sämtliche Zuhörer, die dem Prozess gegen den brutalen Vergewaltiger gefolgt waren, empörten sich direkt nach dem Urteil über die himmelschreiende Ungerechtigkeit. Für alle war im Laufe der Beweisaufnahme klar, dass diese Bestie ein gerechtes Urteil erhalten würde. Erst als der Richter feststellte, dass ein Beweismittel, das als das einzig Überzeugende erachtet wurde, nicht anerkannt werden konnte, fiel die gesamte Beweiskette in sich zusammen. Dem Staatsanwalt wurde das so wichtige Geständnis als nicht zulässig abgelehnt, da es nachweislich unter Androhung von Gewalt vom Angeklagten eingeholt worden war. Der ermittelnde Hauptkommissar hatte den Beschuldigten beim Verhör bedroht, sogar leicht verletzt. Das Geständnis wurde im Laufe der Verhandlung zurückgenommen. Weitere Beweise gegen den Mann gab es nicht. Das Biest hatte keinerlei verwertbare Spuren am Tatort hinterlassen, sodass man ihm sogar glauben musste, dass er am Tatabend seine Wohnung nicht verlassen hatte.

In der Hand hielt der Mann den so wichtigen Zettel, für den er einige tausend Euro hat hinlegen müssen. Der schmierige Privatschnüffler hatte die Adresse von Rudolf Fokus relativ schnell herausgefunden, doch leider auch die Kenntnisse über den damaligen Prozess besessen. Es war sozusagen Schweigegeld, das er verlangte. Zähneknirschend war ihm die hohe Summe in einem Umschlag im Austausch mit der Adresse ausgehändigt worden.

Begleitet von einem Seufzer griff der Mann neben sich und hob die Aktentasche hoch, die er bereits eine Weile neben seinem Stuhl deponiert hatte. Ein letztes Mal überprüfte er den Inhalt und schob sämtliche Bilder und Zeitungsberichte zusammen, verstaute sie in einer Blechdose. Ein langanhaltender Hustenanfall, der ihn dazu zwang, sich auf den Stuhl zu setzen, überfiel ihn wieder. Soeben schaffte er es, die Dose wieder in einer Schublade verschwinden zu lassen. Den blutigen Schleim, der sich in seinem Hals gesammelt hatte, spuckte er, begleitet von einem wilden Fluch, in die Toilette. Mit den Händen stützte er sich auf dem Waschbecken ab. Seine vom Husten rotgefärbten Augen blickten traurig in den Spiegel, der ihm einen Mann zeigte, dessen tiefes Leid unverkennbar viele Falten geschaffen hatte. Von dem einst dichten Haar war nur ein Kranz von weißen Strähnen geblieben. Die Medikamente fraßen ihn förmlich auf und zerstörten nun noch seine restlichen Organe. Jetzt endlich nach elf Jahren war die Zeit gekommen, in der er sich an den Menschen rächen wollte, denen er die Schuld an all dem Leid zuwies. Die Ärzte gaben ihm maximal drei Monate. Es blieb ihm genug Zeit.

Sorgfältig schloss er die Tür von dem Haus ab, in dem er bereits vierundfünfzig Jahre lebte. Als die Eltern starben, hinterließen sie ihm und der kleinen Schwester das kleine Häuschen mit dem umgebenden Gärtchen.

---ENDE DER LESEPROBE---