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»Können wir wieder zu den anderen gehen, Rafael? Und – wirst du es ihnen sagen?« »Möchtest du es denn, oder willst du, dass wir es vorerst für uns behalten?“ Die Sonderkommission unter Leitung von Hauptkommissar van Almsick wählt den Namen URIEL, da der Erzengel mit dem Flammenschwert einst den Garten Eden bewachte. Diese Aufgabe scheint ein Serienmörder übernommen zu haben, der sich grausamster Methoden bedient, um Straftäter hinzurichten. Und doch muss er gestoppt werden, da die Gefahr besteht, dass er sein Opferfeld irgendwann auf Unschuldige ausweitet. Die Freundschaft dreier Freunde wird währenddessen auf eine harte Probe gestellt, als sich Änderungen in den Persönlichkeiten abzeichnen. Plötzlich geht es sogar zwischen ihnen um Leben und Tod. Wer als Sieger daraus hervorgeht, steht von vornherein fest.
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H.C. Scherf
Tödliche Wandlung
Psychothriller
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im
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1. Auflage / August 2023
Copyright © 2023 by H.C. Scherf
Ewaldstraße 166, 45699 Herten
www.scherf-autor.de
Alle Rechte vorbehalten
Covergestaltung: VercoDesign, Unna
Bilder von:
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Lektorat/Korrektorat: Heidemarie Rabe
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Tödliche Wandlung
von H.C. Scherf
Zuerst ignorieren sie dich,
dann lachen sie über dich,
dann bekämpfen sie dich,
und dann gewinnst du.
Mahatma Gandhi
Indischer Freiheitskämpfer
1
»Worüber denkst du nach, Eugenio?«
Der Angesprochene schrak zusammen und hob den Kopf wieder, nachdem der ihm vor Stunden in völliger Verzweiflung auf die Brust gefallen und er in einen unruhigen Schlaf gefallen war. Er war eingenickt, obwohl die Angst ihn lange davon abgehalten hatte. Das Blut, das sich an seinem Kinn gesammelt hatte, war zwischenzeitlich geronnen und löste sich nur widerwillig von der behaarten Brust. Nackt hatte ihn der Fremde mit Panzerband an den kargen Holzstuhl gefesselt und immer wieder ins Gesicht geschlagen. Sein Kiefer, das spürte er, war teilweise zertrümmert und ließ es kaum zu, dass er Worte formen konnte. Wenn er es doch tat, wurde das von höllischen Schmerzen begleitet. Eugenio versuchte durch die Schlitze der angeschwollenen Augen etwas in seiner Umgebung zu erkennen. Nur ein schmaler Spalt der geöffneten Tür ließ ein wenig Licht in den Kellerraum fallen, was ihm erneut ins Gedächtnis rief, dass er sich in einem kalten, unmöblierten Raum befand, der nicht einmal ein kleines Fenster nach draußen besaß und einen unangenehmen Modergeruch verströmte. Seine Schmerzensschreie, die er vor Stunden schon ausgestoßen hatte, konnte niemand gehört haben. Er war diesem Mann ausgeliefert, dessen Motiv für diese Entführung ihm noch immer schleierhaft blieb. Das Wenige, was er bisher von sich gegeben hatte, war die Andeutung, dass er in Auftrag eines anderen handelte. Eugenio war sich sicher, dass der Kerl log und er diesen Raum nicht lebend verlassen würde. Schon deshalb hatte er sich vorgenommen, nichts über sich und seine Hintermänner der Familie preiszugeben. Tat er es doch, würde ihn dieser Fremde trotzdem umbringen. Spätestens jedoch würde er sein Leben verlieren, wenn der Don von seinem Verrat erfuhr. Er versuchte, den Kopf zu drehen, um seinen Entführer anzusehen. Als der ihn gefährlich leise von hinten ansprach, zuckte er erneut zusammen und zog fröstelnd die Schultern hoch.
»Hast du eigentlich gewusst, dass dein Vorname von edlem Geschlecht und wohlgeboren vom Ursprung her bedeutet? So wie du dein Leben bisher gestaltet hast, muss ich das allerdings anzweifeln, oder ist es in diesen Kreisen üblich, zu morden und zu vergewaltigen? Das kann und will ich mir nicht vorstellen. Aber das nur mal so am Rande.« Hier legte der Fremde eine Pause ein, bevor er weiter dicht neben Eugenios Ohr weitersprach. Der Gepeinigte wollte den Kopf wegdrehen, was ihm jedoch nicht gelang. Auf der anderen Seite des Kopfes bemerkte er das Aufblitzen einer Messerklinge. Diese Waffe kannte er gut, denn sie befand sich zuvor in seinem Besitz und hatte so manches Leben ausgelöscht. Da es sich in der Regel um ausgestoßene Familienmitglieder handelte, die selbst schon getötet hatten, hatte ihn das nie sonderlich belastet. Sein Gewissen war rein. So zumindest war sein Verständnis bezüglich seiner Tätigkeit. Jeder innerhalb der Mafia wusste, dass, wenn er bei ihnen auftauchte, das Lebenslicht erlöschen würde. Irgendwer musste es schließlich tun. So war das Gesetz innerhalb der ‘Ndrangheta.
»Oh, entschuldige bitte. Ich wollte dich nicht erschrecken mit dieser Waffe. Aber eigentlich sollte sie dich doch beruhigen, da sie sich so lange in deinem Besitz befand. Wie oft hast du damit eigentlich Leben ausgelöscht? Wie viele Menschen mussten dadurch sterben? Lass mich teilhaben an deinem Leben, denn ich möchte gerne nachvollziehen können, was jemand empfindet, wenn er die Spitze der Klinge an den Hals ansetzt. Etwa so.«
Eugenios Körper erstarrte, als er den kalten Stahl an seiner Halsschlagader spürte. Er wagte nicht zu atmen. Genau da setzte auch er immer das Messer an, um es dann später tief in den Hals zu stoßen. Das Opfer verblutete, während er gleichzeitig die Luftröhre durchtrennte. Er selbst fühlte irgendwann nichts mehr, wenn er diese Arbeit ausführte, da sie zur Routine geworden war. Manchmal wendete er jedoch die Garrotte an. Das war immer abhängig davon, warum die Person sterben sollte. Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als die Klinge wieder zurückgezogen wurde. Er atmete rasend schnell und versuchte, die Lungen wieder mit Luft zu füllen. Die Hand, die sich in sein gegeltes Haar gekrallt hatte, riss seinen Kopf nach hinten und er blickte in das Gesicht, in die momentan sogar belustigt dreinblickenden Augen seines Entführers. Und genau diese unschuldig wirkenden Augen ließen panische Angst in ihm aufsteigen. Diese Person schien Lust daran zu spüren, andere zu quälen. Für ihn war es Geschäft – für den Fremden mochte es die Befriedigung von Lust bedeuten, wenn er andere quälen konnte. Eugenios Puls raste. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er in das Gesicht des Fremden, während sein Mund versuchte, einen kompletten Satz zustande zu bringen.
»Was ... warum ich ... ich kenne dich nicht einmal ... sag mir ...«
»Du möchtest wissen, warum ich ausgerechnet dich von der Straße geholt habe, warum ich dich in diesem netten Keller eingesperrt habe? Ist das wirklich so schwierig zu verstehen? Dabei ist das so einfach, mein Freund. Du hast getötet und das Privileg ist nicht jedem gegeben worden.«
Eugenio war sich mittlerweile sicher, dass er es mit jemandem zu tun hatte, dem er einmal auf die Füße getreten war, möglicherweise durch ihn einen Verwandten verloren hatte.
Dieser Kerl war kein Italiener, konnte also in keiner Beziehung zu einem Opfer gestanden haben. Warum also macht er das?
Er nahm sich vor, trotz seiner Ungeduld, eine Erklärung abzuwarten und versuchte, seine Angst dem anderen weniger deutlich zu zeigen. Allerdings konnte es nicht schaden, einen Vorschlag zu unterbreiten. Trotz der Schmerzen, die ihm das Sprechen bereitete, startete er den Versuch.
»Hör zu. Ich habe Geld gebunkert – viel Geld. Das kannst du haben, wenn du mich freilässt. Außerdem wirst du wissen, dass jedes meiner Opfer den Tod mehr als verdient hat.«
Der erneute Schlag ans Kinn ließ Eugenio aufschreien.
»Auch die drei Frauen und die zwei Kinder, die in dem Haus verbrannten, das du angezündet hast, um Spuren zu verwischen? Was sagst du zu diesen Toten? Zählst du das zu notwendigen Kollateralschäden?«
Eugenio spuckte das frische Blut auf den Boden.
»Das passiert. Und das weiß jeder, der gegenüber der ‘Ndrangheta den Treueeid abgelegt hat. Ich habe das nicht gerne gemacht. Das musst du mir glauben.«
Der Mann stieß Eugenios Kopf mit einem kräftigen Nackenschlag wieder nach vorne und ließ für einen Moment von ihm ab. Langsam kam er um den Stuhl herum und verschwand für einen Moment in der Dunkelheit. Schließlich tauchte er bewaffnet mit einem weiteren Stuhl wieder vor ihm auf und setzte sich verkehrt herum darauf, sodass die Lehne in Eugenios Richtung zeigte. Eine lange Zeit musterte der Fremde sein Opfer und zeigte eine Miene, die keinerlei Rückschlüsse auf den Gemütszustand zuließ. Nicht ein Zucken verriet seine Gedanken. Wieder verkrampfte sich Eugenios Herz, denn genau das erzeugte in ihm Todesangst. Eine solche Kälte konnte nur jemand zeigen, der sich schon häufiger in dieser Situation befunden hatte. Er saß vor einem kranken Psychopathen. Er schloss die Augen und gleichzeitig mit seinem Leben ab.
Hoffentlich macht er es kurz und lässt mich nicht so lange leiden. Heilige Maria hilf mir in meiner Not.
Als hätte der Entführer diese Gedanken lesen können, ließ er ein leises Kichern hören, bevor er sich weiter äußerte.
»Gottes Heerscharen können dir nicht helfen. Und erwarte nun von mir keine Absolution für das, was passiert ist. Beschreibe mir stattdessen dieses Gefühl der Angst deiner Opfer, Eugenio Fasetti. Spürst du sie zuerst in den Gedanken oder in deinen Gliedern? Was macht diese Angst mit dir? Komm, verrate es mir und ich werde mir überlegen, ob ich dich doch verschone – obwohl du es nicht verdient hast. Das musst du doch zugeben. Hast du diese Angst bei deinen Opfern auch gespürt und sie genossen? Gefällt es dir, wenn sie sich einnässen so wie du momentan? Mach endlich dein Maul auf!« Nur für einen Moment wurde er lauter und schrie sein Opfer sogar an, bevor er sich wieder fing und auf das gewohnte Flüstern umstieg. »Verdammt, was ist los mit dir? Zeige mir gegenüber etwas Respekt und erzähle mir aus deinem Leben als bezahlter Mörder.«
»Ich ... ich weiß nicht, was du hören willst«, begann Eugenio zögernd und schluckte wieder einen Klumpen geronnenes Blut hinunter, das sich in der Mundhöhle gesammelt hatte. »Nichts ... gar nichts habe ich gespürt. Natürlich hatten die Angst. Das ist doch ganz natürlich. Mir war es aber scheißegal, ob sie leiden. Beim ersten Mal vielleicht etwas. Ja, das kann sein.« Eugenio verfiel in ein Jammern und versuchte, sein Tun ein weiteres Mal zu rechtfertigen. »Aber die haben doch alle den Tod verdient. Sie ... sie haben der Familie Schande bereitet. Das bedeutet, dass ...«
»... dass sie dafür mit dem Tode bestraft werden müssen. Das will ich nicht von dir wissen, du Schwachkopf. Dass es miese Mörder wie du waren, ist mir bekannt und es tut mir um sie nicht wirklich leid. Sage mir nur, was in dir vorging. Hast du eine besondere Erregung gespürt? Bekamst du eine Erektion, wenn du ihnen den Hals durchtrennt hast und sie nur noch zuckten? Verflucht, muss ich dir jede einzelne Silbe aus der Nase ziehen? Es kann doch wohl nicht so schwer sein, das Gefühl zu beschreiben. Also? Raus mit der Sprache.«
Eugenio bereitete es sichtlich Probleme, sich auf dieses Gespräch einzulassen, da es ihm immer deutlicher ins Bewusstsein drang, dass er einem Irren gegenübersaß, der anders als er ohne für ihn erklärbare Logik tötete. Außerdem bereitete es ihm unsägliche Schmerzen. Das vor ihm war ein Psychopath, der wohl nur aus der Lust am Töten das hier veranstaltete. Eine bisher unbekannte Kälte kroch in ihm hoch und lähmte sogar seine Zunge. Es war ihm nicht mehr möglich, ein Wort über die Lippen zu bringen, die nun sichtbar zitterten und ein Eigenleben führten. Eugenio wollte schreien, was ihm jedoch nicht gelang. Fast gelangweilt spielte der Fremde mit dem Stilett und wechselte es immer wieder von einer Hand in die andere. Die Augen hatten sich zwischenzeitlich verändert und zeigten nun deutlich seine Ungeduld. Ansatzlos und mit einem wilden Schrei stieß er die spitze Klinge tief in das Knie des Opfers und drehte sie genussvoll.
»Ich bin die Rache, du Unwürdiger! Mich haben die Toten beauftragt, Gerechtigkeit zu üben«, war das Einzige, was Eugenio noch bewusst wahrnahm. Sein Verstand drohte die Arbeit zu verweigern. Als ein weiterer irrer Schrei durch den Kellerraum hallte, zog der Mann das Messer wieder heraus und versenkte es mindestens ein Dutzend Mal in Eugenios Körper. Wahllos stach er auf ihn ein. Sein Lachen erfüllte gleichzeitig mit dem Schreien seines Opfers den Raum. Seine Augen zeigten nun pure Lust. Erst nach mehreren Minuten ließ er von seinem Opfer ab, verteilte das verspritzte Blut auf seinem eigenen Gesicht und setzte sich schwer atmend und schwitzend in eine Ecke des Raumes. Seine Hand hatte er tief hinter den Hosengürtel im Schritt versenkt, während seine Augen fest zur Decke gerichtet waren und ein genießerisches Stöhnen aus seinem Mund drang.
2
Laslo wusch sich die verschmutzten Hände im Bad, als er sich nach der Gartenarbeit wieder ins Haus begab. Das Shirt hing wie ein nasses Tuch an seinem Körper. Eine kurze Dusche erfrischte ihn und das saubere Hemd machte wieder den gepflegt aussehenden Mann aus ihm, als den man ihn kannte. Endlich hatte er sich überwunden, die etwas heruntergekommene, leicht von Steinen durchsetzte Fläche hinter dem Haus umzugraben und mit Mutterboden aufzufüllen. Irene wollte doch endlich ihren Kräutergarten. Nun ging er ins Wohnzimmer.
»Die Hitze macht mich fertig, Irene. Hast du die Wäsche aus der Maschine geholt und in den Trockner gepackt?«
Ohne dass die Angesprochene den Kopf hob, erfolgte prompt die Antwort, während sie weiter die auffällig gefleckte Katze auf ihrem Schoß streichelte.
»Es gab eine Zeit, in der du das selbst erledigt hast. Seitdem du den Job im Beerdigungsinstitut ausübst, verwechselst du mich scheinbar mit einer Sklavin. Nur ausnahmsweise habe ich das erledigt«, bemerkte sie mit einem verschmitzten Lächeln. »Doch das wollen wir nicht auf Dauer einreißen lassen. Du nimmst sonst die bescheuerten Allüren eines Machos an. Doch davor habe ich dich schon vor Jahren gewarnt – nicht mit mir, mein Freund.«
Abwehrend hob Laslo Richter beide Hände und versuchte, sein gewinnendstes Lächeln zu zeigen. Mit beiden Händen auf dem Rücken näherte er sich der dunkelroten Wohnzimmercouch, auf der es sich Irene mit Katze Möhrchen bequem gemacht hatte. Beide gönnten Laslo nur einen kurzen Blick, bevor sie sich wieder dem Faulenzen hingaben. Zumindest Irene verfolgte eine Tierdokumentation im TV, ohne den Ton eingeschaltet zu haben. Erst als Laslo direkt vor ihr stand und ihr damit den Blick auf den Bildschirm verwehrte, sah sie zu ihm auf. Nun endlich entdeckte sie die flache, in Geschenkpapier eingeschlagene Schachtel, die er ihr entgegenhielt. Zögernd griff sie danach, ohne den Blick vom Gesicht ihres Partners zu wenden.
»Was hast du angestellt? Das muss doch einen besonderen Grund haben. Seit vier Jahren ist es das erste Mal, dass du mir was schenkst. Gestehe deine Tat und es gibt zwei Jahre weniger für dich.«
Jetzt grinste Laslo verschmitzt, ließ sich neben Irene auf die Polster fallen und übergab sein Geschenk. Bevor sie es öffnen konnte, erhob sich Möhrchen und schnupperte daran. Erst als es sich wieder zufrieden schnurrend an Frauchens Seite legte, begann Irene damit, das Päckchen vorsichtig zu öffnen. Ihre Stirn zeigte Falten, die noch immer ihre Skepsis verdeutlichten.
»Nun mach schon auf«, feuerte Laslo sie an, dem das Ganze zu lange dauerte. »Es ist keine Bombe drin und vergiften werde ich dich auch nicht. Nur eine kleine Anerkennung für die schönen Jahre mit dir. Du hast es dir redlich verdient, mein Schatz.«
»Jetzt glaube ich erst recht daran, dass du was angestellt hast. Ist dir etwa die Tasse von Oma ...?«
»Nein, nein, verdammt. Die blöde Tasse ist heil und ich werde mich hüten, die überhaupt anzufassen. Es ist wirklich ein Geschenk für dich, weil du immer zu mir gehalten hast. Basta.«
Nun endlich schien Irene zu begreifen, dass es Laslo ernst meinte mit dem, was er ihr angedeutet hatte. Sie legte das halbgeöffnete Päckchen zur Seite und umfasste fest seine Hand. Er glaubte sogar, eine kleine Träne in ihren Augen gesehen zu haben, als sie ihn näher heranzog, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben.
»Warum heute, Laslo? Es ist doch schon so lange her.«
»Vierzehn Jahre. Es ist vierzehn lange Jahre her, in denen du mir gezeigt und bewiesen hast, dass die Liebe zueinander jedes Hindernis überstehen und manchmal sogar beseitigen kann. Niemals kann ich dir das zurückgeben, was du für mich getan hast. Niemals. Und das hier ist nur eine winzige Kleinigkeit, die du dir allemal verdient hast. Und nun mach endlich auf. Es ist nicht viel, aber es kommt von Herzen.«
Noch einmal strich Irene liebevoll über Laslos Wange und widmete sich wieder dem Geschenk. Als sie den flachen Karton aufklappte und das Seidenpapier zur Seite schob, schloss sie ihn sofort wieder, um entsetzt in das erwartungsvolle Gesicht ihres Mannes zu blicken. Der stieß sie gegen den Arm und forderte sie aufgeregt auf, sich das Geschenk näher anzusehen.
»Was ist los, Schatz? Gefällt es dir nicht? Du hast es dir ja nicht einmal richtig angesehen. Ich kann es jederzeit umtauschen, falls ...«
»Das ist es nicht, Laslo. Das ... es ist viel zu viel und zu teuer, um es einfach so zu verschenken.« Irene öffnete die Schachtel erneut und betrachtete die beiden Schmuckstücke genauer. Sie suchte nach Worten. »Das muss doch ein Vermögen gekostet haben, denn die Ketten sind so ... sie sind ungeheuer schwer und dürften aus massivem Gold sein.«
»Das sind sie, Schatz. Das hat mir der Juwelier versichert.«
»Wie kamst du darauf, mir ausgerechnet eine so schwere goldene Königskette zu kaufen, die man doch nur in der besseren Gesellschaft und zu besonderen Anlässen trägt? Passt die überhaupt zu mir? Und dann noch diese feingliedrige Kette mit dem Kreuz. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
»Die Kette hat vierzehn Karat und besteht aus 585er Gold. Das Kreuz übrigens auch. Und mach dir darüber keine Gedanken, ob du sie tragen kannst. Du bist schließlich eine Königin – meine Königin.«
Nun konnte Irene ihre Tränen nicht mehr zurückhalten, schob die Schachtel vorsichtig zur Seite und legte beide Arme um Laslos Hals. Lange saßen beide eng umschlungen und ließen zu, dass ihre Körper bebten. Erst als Kater Möhrchen sich eifersüchtig zwischen sie drängte, trennten sie sich mit einem verlegenen Lachen.
»Dann kann ich den Schmuck ja schon am Samstag beim nächsten Treffen tragen. Ruth und Sybille werden staunen und wissen wollen, warum du mir so was scheinbar ohne Grund schenkst. Mein Geburtstag liegt doch schon drei Monate zurück.«
Laslo fuhr sich mit der Hand durch die dichten Haarstoppeln und überlegte. Schnell schien er eine Lösung gefunden zu haben.
»Erzähl den beiden einfach, dass ich mir eine meiner Lebensversicherungen habe auszahlen lassen. Die Wahrheit geht niemanden etwas an. Hier und da eine kleine Notlüge ist schließlich erlaubt. Den Männern erzähle ich das Gleiche. Außerdem werden die es kaum an dir bemerken. Das sind eben Männer, denen höchstens auffallen würde, wenn ich das falsche Bier zum Grillen eingekauft hätte. Es freut mich, dass es dir gefällt. Lass uns nun essen – ich habe Hunger.«
Irene machte noch keine Anstalten aufzustehen und besah sich intensiv und mit immer noch feuchten Augen die Ketten. Immer wieder glitten ihre Finger über das glänzende Gold, drehten sie ständig, um schließlich alles wieder wie einen Schatz zurück in die Schachtel zu legen.
»Du willst aber partout nicht, dass ich erfahre, wo du den Schmuck gekauft hast. Nirgends finde ich Werbung des Juweliers. War das Absicht?«
Laslo Richter blieb im Türdurchgang stehen und schien zu überlegen. Er bückte sich, um den Kater, der schnurrend um seine Beine strich, auf den Arm zu nehmen. Erst dann wandte er sich wieder Irene zu.
»Das hat einen guten Grund, Irene. Der Händler hat mir die beiden Ketten unter der Hand besorgt. Er hat Kanäle, um für bestimmte Kunden besonders günstige Preise zu schaffen. Also mal kurz gesagt: Die Ketten laufen nicht über seine Kasse, sondern am Finanzamt vorbei. Ich musste ihm versprechen, dass ich das niemandem erzähle. Ich denke, dass du das nicht an die große Glocke hängen wirst. Ist das für dich ein Problem?«
Irene winkte ab und erhob sich lachend.
»Ach, was denkst du von mir? Dann bist du also ein schlimmer Finger – ein Kleinkrimineller, der mit Steuerbetrügern Geschäfte macht. Dass mir so was nicht einreißt, mein Lieber. Irgendwann landest du noch wegen Hehlerei im Knast. Es gibt übrigens Nudelsalat mit grünem Spargel. Den habe ich aber ganz legal im Supermarkt gekauft«, fügte sie immer noch lachend hinzu und hakte sich bei Laslo unter.
3
»Laslo, könnten Sie Ihre beiden Kollegen begleiten. Wir haben einen schweren Fall. Und das meine ich diesmal wörtlich. Die Verstorbene soll mindestens einhundertsechzig Kilo wiegen. Ich komme sofort nach, sobald ich die Papiere zusammen habe. Die beiden warten schon im Wagen auf dem Hof.«
»Geht klar, Chef. Muss nur noch vorher kurz zur Toilette.«
Laslo wollte sich schon abwenden, als ihn sein Vorgesetzter zurückhielt.
»Was ich noch nebenher loswerden wollte, Laslo. Wir betreiben hier ein sehr seriöses Gewerbe und unsere Kunden achten ein wenig auf das Äußere. Bitte nehmen Sie mir nicht übel, wenn ich Sie darum bitte, die Haare ein wenig kürzer zu tragen. Ich weiß, dass ich das nicht verlangen kann. Schließlich gibt es dafür Gesetze, die Ihnen diese Freiheit garantieren. Doch hinterlässt es bei unserer Kundschaft möglicherweise einen falschen Eindruck, wenn die Angestellten den einstigen Blumenkindern ähneln. Das wirkt irgendwie ... wie soll ich mich ausdrücken? Ich finde es ein wenig weibisch. Außerdem sind Sie ja mittlerweile in einem Alter, in dem man ...«
»Schon gut, Chef, ich habe verstanden, was Sie sagen wollen. Bisher habe ich noch nicht darüber nachgedacht. Doch Sie haben sicherlich recht damit. Werde das ändern.«
Mit gesenktem Kopf verschwand Laslo auf der Toilette und starrte minutenlang in den Spiegel. Er konnte die Verärgerung über den Hinweis kaum zurückhalten. Ihm wurde wieder einmal deutlich vor Augen geführt, dass längeres Haar heutzutage bei Männern nicht unbedingt en vogue war. Aber es gleich als weibisch zu bezeichnen, fand er unangemessen. Außerdem störten die ersten grauen Strähnen, die sich trotz seiner erst sechsunddreißig Jahre nun immer häufiger zeigten. Zaghaft strich er über die Augenbrauen, die er sich regelmäßig zupfte, um sie nicht so buschig wirken zu lassen. Nachdenklich betrachtete Laslo seine vollen Lippen, um die ihn so manche Frau beneidet hätte. Mit einer geübten Bewegung warf er das lange, dunkelbraune Haar nach hinten und nahm sich vor, die Zusage an Herrn Plaszek noch einmal zu überdenken.
Ich sehe weibisch aus. Ist das so? Was denkt sich dieser Kerl bloß dabei, wenn er solchen Mist loslässt? Selbst wenn es so wäre, geht ihn das schließlich einen Scheißdreck an. Ich muss mit Irene darüber reden.
Der Ton seines Smartphones holte ihn aus seinen Gedanken. Er hatte ganz bewusst die berühmte Szene des Gefangenenchors aus Nabucco gewählt, da die Musik dezent und tragend war und niemanden schockieren würde.
»Störe ich dich, Laslo? Hier ist Rafael.« Der Anrufer wartete die Antwort nicht ab und fuhr fort. »Ist aber auch egal. Wir müssen uns sehen. Und das kann nicht bis Samstag zum Grillfest warten. Hast du Zeit heute Abend am üblichen Ort? Es ist sehr wichtig. Manfred weiß schon Bescheid und ist auch da.«
Das Freizeichen erklang, bevor Laslo überhaupt reagieren konnte. Rafael hatte bereits abgebrochen. Laslo startete empört den Rückruf und erwischte seinen Gesprächspartner in starker Erregung.
»Was soll das, Rafael? Ich will wissen, was passiert ist. Sonst komme ich nicht.«
»Verdammt, Laslo. Es ist möglich, dass wir aufgeflogen sind. Ich muss gleich zum Kriminalrat. Die Kollegen munkeln, dass der ziemlich sauer auf mich ist und mir einen einschütten wird. Es geht um den Dreckskerl Fasetti. Mehr kann ich dir momentan nicht am Telefon sagen, da ich selber nichts weiß. Heute Abend sollten wir klarer sehen. Ich muss los, der Alte wartet nicht gerne.«
Wieder brach Rafael das Gespräch ab und ließ Laslo ratlos zurück.
Achselzuckend empfing Monika Schaber Hauptkommissar Rafael van Almsick. Als Sekretärin war sie in der Regel mit allen Vorgängen vertraut, die ihren Chef, Kriminalrat Keuschling, betrafen. Doch heute war selbst zu ihr nichts durchgedrungen.
»Kaffee?«
»Für mich nicht. Danke Frau Schaber.«
Die Tür öffnete sich mit einem Ruck und ließ den Kriminalrat in voller beeindruckender Größe in der Füllung erkennen.
»Würde sich der Herr van Almsick nun endlich in mein Zimmer bemühen? Frau Schaber wird es auch nach unserem Gespräch noch geben. Und um eine Frage nicht unbeantwortet zu lassen: Ich hätte gerne einen Kaffee.« Er wandte sich wieder an den Hauptkommissar und zog ihn schließlich am Arm in sein Büro. »Und jetzt zu Ihnen, lieber Kollege. Setzen Sie sich und hören Sie genau zu.«
Rafael van Almsick befiel ein ungutes Gefühl, da er seinen Boss bisher noch nie so ernst und leicht erregt erlebt hatte. Trotzdem glaubte er nicht, dass sich seine Wut gegen ihn richtete, sondern gegen jemand anderen.
»Sagt Ihnen der Name Coletti etwas? Ich spreche von Andrea Coletti.«
»Natürlich ist mir Coletti geläufig. Ich ermittle seit Jahren in seine Richtung, da wir ihm Prostitution, Hehlerei, Waffen-, Drogen- sowie Menschenhandel nachweisen wollen. Ich unterstelle ihm sogar Mordaufträge. Bisher gilt er als Saubermann und versteht es hervorragend, seine Geschäfte als legal erscheinen zu lassen. Ab und zu erwischen wir einen kleinen Dealer. Aber keiner von denen gibt auch nur den kleinsten Hinweis auf den großen Boss. Der Saukerl macht Geschäfte mit der Angst und droht mit den Gesetzen der Mafia. Die ‘Ndrangheta ist, wie wir wissen, bei Verrätern gnadenlos.«
»Das ist mir alles bekannt, van Almsick. Andrea Coletti hat einen seiner treuesten Mitarbeiter verloren. Und aus diesem Grund hat er den Polizeipräsidenten angerufen. Der rief mich an und nun sitzen wir beide uns gegenüber, um den Mord an einem mutmaßlichen Mörder aufzuklären. Ist das nicht der helle Wahnsinn?«
Rafael lief es kalt den Rücken hinunter, denn er wusste nur zu genau, über wen sie gerade sprachen. Eugenio Fasetti war für ihn kein Unbekannter, denn er zählte zu den engsten Vertrauten des großen Don Coletti. Es handelte sich dabei um den bezahlten Profikiller der örtlichen Mafia. Sein Tod würde Unruhen und eine Menge Fragen in die Familien bringen.
»Was genau ist passiert, Chef?«
»Bevor es durch die Presse geht oder Sie es durch die ermittelnden Kollegen erfahren, will ich Ihnen die Hintergründe erklären. Dadurch, dass dieser miese Hund im Moor vor Bremen gefunden wurde, sind die Kollegen dort mit den Ermittlungen betraut worden. Doch spielt der Fall auch in unsere Ermittlungen rein.« Keuschling wühlte in Unterlagen und beförderte schließlich ein Foto an die Oberfläche. »Sehen Sie sich das an, van Almsick. Da muss sich jemand richtig ausgetobt haben. Die KT listet insgesamt dreizehn Messerstiche auf. Halten Sie das für die Tat eines anderen Profikillers? Für mich sieht das nach einer Tat eines kranken Psychopathen aus. So arbeitet die Mafia nicht, zumal die ihre Toten für immer verschwinden lassen. Die wollen keine Öffentlichkeit. Warum also tut jemand so was Schreckliches?« Hier machte Keuschling eine Pause, um noch eine weitere Bemerkung anzufügen. »Nicht, dass wir uns falsch verstehen, Kollege. Ich finde, dass dieser Mörder seine Strafe verdient hat. Aber Coletti will das nicht einfach hinnehmen. Er erwartet von uns jetzt eine lückenlose Aufklärung. Und das Fatale an der Sache ist, dass unsere Behördenspitze sich von dem Dreckskerl und seinen Anwälten unter Druck setzen und auf der Nase rumtanzen lässt. Setzen Sie sich bitte mit den Kollegen in Bremen in Verbindung. Wir sollten uns darum bemühen, den Fall von hier aus weiter bearbeiten dürfen. Das kann in Abstimmung geschehen. Ich habe schon mit dem Kollegen, also dem Dezernatsleiter vor Ort telefoniert. Er hat nichts dagegen und wird das seinen Kommissaren sogar empfehlen.«
Als van Almsick mit seiner Antwort zögerte und sogar nachdenklich aus dem Fenster blickte, hakte Keuschling nach.
»Haben Sie Einwände oder Bedenken?«
»Nein, nein, Chef. Alles in Ordnung. Ich frage mich nur, warum der hiesige Killer in Bremen gefunden wurde. Dort arbeitet ein ganz anderes Familienoberhaupt, das einen eigenen Vollstrecker hat. Die kommen sich niemals in die Quere, da das sonst Krieg bedeuten könnte. Ist es denn sicher, dass der Fasetti dort getötet wurde? Möglicherweise ist Fund- nicht gleich Tatort. Es kann doch sein, dass man bewusst einen solchen Krieg anzetteln will. Das müssen wir bedenken. Aber ich kümmere mich darum. Gibt es sonst noch etwas, was ich wissen sollte?«
»Eigentlich wäre das schon alles. Übrigens hat die Rechtsmedizin vor Ort schon herausgefunden, dass Fasetti ausschließlich mit einem Stilett getötet wurde, das der Mörder scheinbar wahllos in ihn hineingerammt hat. Würde mich nicht wundern, wenn es auch noch seine eigene Waffe war, denn die hat man neben der Leiche gefunden. Vorher muss man ihn geschlagen, besser gefoltert haben.« Keuschling zögerte einen Moment, bevor er mit gesenkter Stimme weitersprach. »Der Staatsanwalt möchte den Fall diskret, aber auch zügig behandelt wissen. Sie wissen, was das für uns bedeutet? Keine Presse und nichts darf nach draußen dringen. Ich kann mich auf Sie verlassen?«
Van Almsick nickte lediglich und erhob sich. Fast wäre er mit Monika Schaber zusammengestoßen, die den bestellten Kaffee für den Kriminalrat ins Büro balancierte.
»Vorsicht heiß, Herr van Almsick. War es schlimm?«
Ohne Antwort, lediglich lächelnd ging der Hauptkommissar an ihr vorbei, zückte auf dem Flur sein Telefon und drückte die Schnellwahltaste.
»Man hat Fasetti gefunden. Da ist was schiefgelaufen. Wir müssen was unternehmen. Bis nachher.«
4
Die leicht zugewucherte Gartenlaube war eingebettet in einer ansonsten gepflegten Parzelle einer Kleingartenanlage und fügte sich unauffällig in die Umgebung ein. Bei leicht bewölktem Himmel und relativ niedrigen Temperaturen hielt sich kaum jemand hier auf. Die Saison ließ noch einige Wochen auf sich warten. Rafael van Almsick, Manfred Heger und Laslo Richter parkten ihre Autos jeweils weit außerhalb der Anlage, sodass niemand sie zusammen sehen konnte. Erst am Eingangstor der Parzelle trafen sie aufeinander und verschwanden sofort im Inneren der Laube. Ratlosigkeit und Verärgerung war in den Gesichtern erkennbar, denn sie wollten diese Treffen eigentlich nur in absoluten Notfällen durchführen. Entsprechend gereizt war die Stimmung. Der groß gewachsene Rafael ergriff das Wort, bevor die anderen ihren Unmut äußern konnten.
»Ich bin stinksauer. Das will ich schon einmal loswerden. Wir hatten verabredet, dass nichts ohne gemeinsamen Beschluss geschieht. Wieso findet man diesen Eugenio Fasetti jetzt kurz vor Bremen tot im Moor? Der stand noch unter Beobachtung und es lag kein unwiderlegbarer Beweis für seine Schuld vor. Wer von euch hat voreilig gehandelt?«
Manfred Heger, dem seine Körperfülle hinter dem kleinen Tisch Probleme bereitete, versuchte, eine günstigere Sitzposition einzunehmen, wobei er sich mit dem Taschentuch den Schweiß vom fast kahlen Schädel rieb. Egal welche Temperatur herrschte – Manfred schwitzte immer, sobald Unvorhersehbares auf ihn einstürzte. Und genau das geschah in diesem Augenblick. Seine Schweinsaugen huschten von einem zum anderen. Wie immer saß er schräg auf dem Stuhl, da sein schmerzendes Bein keine andere Position zuließ. Schmerzhafte Durchblutungsstörungen machten ihm seit Wochen massiv zu schaffen.
»Bist du so nett, Rafael, und erzählst uns ausführlich, was geschehen ist? Bisher verstehe ich nur Bahnhof. Oder geht es dir anders, Laslo?«
Rafael van Almsick verdrehte die Augen, da auch Laslo bestätigend nickte.
»Was ist daran so schwer zu verstehen, Leute? Jemand hat diese Bestie kaltgemacht. So einfach ist das. Und nun stellt sich mir die Frage, ob einer von euch die Finger im Spiel hatte. Also? Hat sich jemand von euch zum einsamen Racheengel emporgeschwungen, ohne die anderen mit einzubeziehen? Wenn ja, warum?«
Die beiden Angesprochenen wechselten einen Blick und schienen übereingekommen zu sein, denn Manfred stellte eine Gegenfrage.
»Bevor du solche Mutmaßungen und Anschuldigungen in den Raum stellst, wäre es angebracht, wenn du vorher mal ausführlicher berichtest. Was treibt dich an, was dich so unhöflich uns, deinen Freunden gegenüber agieren lässt? Hast du etwa die Ermittlungen am Hals, obwohl dieser Mistkerl woanders gefunden wurde?«
»Wenn man dich so angepfiffen hätte, wie es mir heute passierte, würdest du wohl nicht anders reagieren. Aber das wirst du bei deinem Job im Finanzamt wohl kaum erleben. Euch kann man höchstens mit einem lauten Furz aus dem Schlaf reißen.«
Laslo hob beide Hände, um die Kampfhähne zu beruhigen, die jede Gelegenheit nutzten, aufeinander loszugehen.
»Ho, ho, ruhig mit den jungen Pferden. Es gibt bisher keinen Grund, sich gegenseitig die Schädel einzuschlagen. Wir sind Freunde und sollten zusammenhalten. Jeder macht seinen Job und damit soll es gut sein. Wo liegt also der Grund, Rafael, dass du uns hierher bestellst. Das würde mich auch brennend interessieren.«
Noch ein giftiger Blick in Richtung Manfred Heger, bevor Rafael endlich mit der Sprache herauskam.
»Bei unserer letzten Zusammenkunft sprachen wir ausführlich über die Machenschaften von dem Mafiaboss Coletti und seinem mutmaßlichen Handlanger Eugenio Fasetti. Und genau den hat man nun im Moor in der Nähe von Friesoythe gefunden. Wie die Bilder gut erkennen lassen, hat den jemand übel zugerichtet. Im Bericht steht was von mindestens dreizehn Messerstichen. Und jetzt gebe ich euch beiden zu raten, wer den Fall und die Ermittlungen übernehmen darf. Ja, Freunde, ich weiß, dass es schwer für euch ist – ich darf jetzt nach Bremen gurken und mir die Sache vor Ort ansehen. Wisst ihr jetzt, warum ich stinkig bin?«
»Da gebe ich dir ausnahmsweise mal recht«, meinte Manfred, seinen Freund beruhigen zu müssen. »Aber wieso bringt dich das auf den Gedanken, dass einer von uns ...?«
»... weil wir diesen Mistkerl schließlich auf unserer Liste haben. Da liegt doch der Gedanke nahe, dass einer von euch nicht abwarten konnte. Allerdings, wenn ich mir seinen Tod vor Augen führe, wäre das ja schon harter Tobak. Jemandem das Licht ausblasen, weil er es verdient hat, ist eine Sache, aber hier muss jemand ziemlich sauer auf den Saukerl gewesen sein. Zu sterben wie Fasetti hat keiner verdient.«
Manfred nickte und bestätigte die Meinung von Rafael.
»Eigentlich wäre es ja dumm, wenn einer von uns das angerichtet hätte. Abgesprochen war ganz klar, dass wir es im Fall der Fälle wie einen Mord innerhalb der Mafia aussehen lassen. Das wird jetzt wohl kaum mehr möglich sein, denn die Version kannst du der Staatsanwaltschaft kaum verkaufen, Rafael. Jemand hat uns ins Handwerk gepfuscht und den Rachegott gespielt. Nun musst du den Täter tatsächlich aufspüren, obwohl man ihm den Verdienstorden verleihen müsste. Das gefällt mir gar nicht. Wie siehst du das, Laslo? Du sagst ja nichts.«
Laslo war dem Gespräch aufmerksam gefolgt und wiegte den Kopf nachdenklich hin und her. Geduldig warteten die beiden Freunde auf seine Meinung, denn in der Regel war er es, der stets besonnen und klug handelte.