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Klug plant Edna, die Hollywood-Agentin, das Comeback ihres B-Film-Stars: Sie managt seinen Wechsel in die Landespolitik. Im 13. Stock des New Yorker Hotels zieht es Prinz, den Frontmann des Damenjournals, magisch in die Venusfalle. Ein starker US-Präsident sieht in anfliegenden Raketen das klare Ziel für den Gegenschlag. Der kalifornische Nervenarzt Miguel flieht nach einer tragischen Fehldiagnose vor der Asphaltpresse und wähnt sich von einer Reporterin verfolgt. Die Kunststudentin erliegt dem Werben eines reichen Mannes und wird zur geplagten Ehefrau. Kurz vor der Hochzeit treibt beruflicher Ehrgeiz Anne und Tony, Konfliktforscher aus Washington, auf die Karibikinsel Grand Cayman; aber was wird da aus ihrer Liebe? Aus sechs Skizzen entsteht so ein Zeitbild, authentisch und fesselnd erzählt, bis der Kreis sich um Filmindustrie, Wissenschaft, Medien und Weltgeschäft schließt.
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Seitenzahl: 265
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Wolfgang Schreyer
Die Verführung
ERZÄHLUNGEN
ISBN 978-3-96521-458-3 (E-Book)
Die Druckausgabe erschien erstmals 2010 im Verlag Das Neue Berlin.
Gestaltung des Titelbildes: Paul Schreyer unter Verwendung eines Fotos von Tito Wong
2021 EDITION digitalPekrul & Sohn GbR Alte Dorfstraße 2 b 19065 Godern Tel.: 03860-505 788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.de
(2009)
Mittags kam Sprühregen auf, die schlanken Palmen vor dem Writer's House bogen sich im Wind, der vom Pazifik wehte. Ein zerrissener Märzhimmel, aus dem es abwechselnd strahlte und troff, auf den glitzernden Asphalt des Gregory Peck Wegs. Dort stand ziemlich einsam der schwarzsilberne Cadillac, der ihn hergebracht hatte.
Michael Dewey trat vom Fenster zurück an seinen Schreibtisch, schwunglos fuhr er fort, den aufzuräumen. Da unterlag er einem Zwang; denn das Bild vom schlampigen Schauspieler, es passte nicht auf ihn. Er war ein Talent, kein wirres Genie, er brauchte Ordnung für seine Zufriedenheit. Alles musste Form und Struktur haben bei ihm. Ein Harmoniewunsch, über den er manchmal selber staunte. Es gab für ihn zwei Erklärungen: die Scheu vor Komplikationen und der heimliche Vorsatz, keine Spuren zu hinterlassen. Beides die Folge beruflicher Prägung. Zwei Jahrzehnte bei den Universal Studios hatten ihn geformt, durch die Rollen, auf die er festgelegt war.
Die letzte Nummer des Hollywood Reporter warf er in den Papierkorb. Es stand nicht viel mehr drin, als dass bei den Gouverneurswahlen im Nachbarstaat ein Desaster drohe, weil der demokratische Kandidat einen Infarkt erlitten habe, während der Star der Republikaner, außer daheim von der Steuerfahndung, auch noch in der Chicken Ranch ertappt worden sei, jener historischen Farm an der Grenze von Nevada, die sich keck „das beste kleine Hurenhaus im Westen“ nannte. Starker Tobak! Für den christlichen Wähler schied solch ein Mann aus.
Und natürlich klagte das Blatt wiederum, die Oscar-Verleihung sei in Gefahr: Der wochenlange Streik von 3775 Drehbuchautoren in New York und Los Angeles dauere an. Das war weder neu, noch sollte es ihn kümmern. Er merkte es an der Leere auf dem Parkplatz und hier im Haus, wo man ihm das kleine Büro gegeben hatte, wenn er aus Malibu heraufkam. Keiner der Filme, in denen er auftrat, war jemals oscarverdächtig gewesen.
Nun blätterte er in dem Drehbuch, das auf dem Tisch schließlich übrig blieb. Lautlos, das war der Titel – geistlos, wie er fand. Edna Foster, seine Agentin, hatte es ihm beschafft. Ihrem Einsatz verdankte er übrigens dieses Büro. So schäbig es auch war, erlaubte es ihm doch, das eng begrenzte Vetorecht auszuüben, das sie für ihn ertrotzt hatte. Noch keine Endfassung, wie er sah, also schien Mitsprache möglich. Schön, sie wollten seine Meinung hören. Nur erschloss sich ihm die Handlung nicht, die recht verzwickt wirkte, dabei den Titel an Einfalt sogar noch übertraf. Infantil, immer dasselbe, schlicht wie ein Kinderspiel à la Räuber und Gendarm.
Sein Blick glitt weg vom Papier zu dem Foto von Janie, seiner zweiten Frau. Das schöne Bild aus dem Mai 2004, als er sie, bald nach der Scheidung von Joan, in einem Fernsehspot entdeckt und versucht hatte, ihr den Weg nach Hollywood zu ebnen. Sie sah noch immer so blendend aus wie vor vier Jahren und saß trotzdem ohne Engagement herum, in dem Traumhaus am Strand von Malibu, das er ihr zu Füßen gelegt hatte, damals.
Unfassbar eigentlich. Doch die Konkurrenz war erdrückend und schlief nicht. Selbst Edna hatte sich vergebens um Rollen für sie bemüht. Gewiss, Janies Talent mochte dünn sein, sie bot der Kamera zu oft dieselbe Silhouette, denselben Blick. Aber das galt für fast alle, die im C-Film agierten. Für TV-Serien wie Rich &Beautiful oder die Desperate Housewifes hätte es durchaus gereicht. Denn immerhin, einen hübschen Trick verdankte er selber ja ihr. In ernsten Momenten nämlich begann ihr linkes Auge andeutungsweise zu blinzeln, während sie die rechte Braue etwas hob. Das wirkte seltsam suggestiv, es ergänzte inzwischen sein eigenes, bewusst sparsames mimisches Repertoire. Ansonsten baute Michael Dewey mehr auf Präsenz, die wachen Augen, das Magnetische der Erscheinung. Im Grunde, so sagte er sich, ist es doch leicht, beim Publikum anzukommen, wenn man ihm ähnlich ist – empfänglich für dieselben Reize und Seiten des Lebens, bewegt von den gleichen Dramen des amerikanischen Alltags. Darauf lässt sich eine Karriere gründen.
Bei Janie leider nicht. Und als wäre das ansteckend, verunsicherte es in gewisser Weise auch ihn. Manchmal streifte ihn schattenhaft ein Verdacht, das dunkle Gefühl, er habe den Gipfel bereits überschritten und ein harter Abschnitt seiner Laufbahn liege jetzt vor ihm. Wie es der Film den Leuten oft zeigt, konnte das Glück einem in vollem Lauf jäh den Rücken kehren. Die Geschichte Hollywoods strotzte von Treuebrüchen und Grausamkeiten. Manch fähigen Mann hatte das Studio von heute auf morgen kaum noch beschäftigt, ja ihn grundlos fallenlassen. Übrigens sagte man immer „das Studio“ und nicht etwa John Goldsmith, der oben im MCA-Tower auf David O. Selznicks geweihtem Sessel thronte, wenn es um absurde Entscheidungen ging. Ein Zufall? Wohl kaum. Der Mensch reize die Götter nicht.
Doch wieso plagte ihn das jetzt? Die gespenstische Stille im Haus, in dem es sonst von Drehbuchschreibern wimmelte – das war es wohl, was sich ihm aufs Gemüt legte. Er wandte sich wieder dem Szenarium zu und sah, etliche Dialoge waren gekürzt worden, und zwar immer bei seinem Part. Also dem des Ermittlers, der die Fäden in der Hand hat. Darunter tat er's längst nicht mehr. Seit seinem Durchbruch in Der lange Arm war er gut für Hauptrollen in den B-Filmen, die das tägliche Brot der Studios sind. Handfest, herzwärmend, für wenig Geld gedreht; und das geht durch viele Kassen, falls da dreierlei stimmt: die Story, der Schauwert und das Flair des Stars.
Mit Michael Dewey stimmte es. Die Leute mochten ihn, egal auf welcher Seite er stand – der des Gesetzes oder der Gauner. Das Publikum folgte dem Helden, verschmolz mit ihm, es liebte Nonchalance, den forschen Auftritt, die Glaubwürdigkeit. Er strahlte Kraft aus, lächelte selten und hasste Dialoge, die mehr als drei Sätze hatten. Geschwätz passte nicht zu ihm, das wussten die Autoren, sie hatten selbst schon ihr Zeug gekürzt. Er blätterte um und sah, auf die Floskel „Nun hör mir mal gut zu“ folgten ein paar Kraftausdrücke, dann sechs gestrichene Zeilen. Ersatzweise hatte jemand hingekritzelt: „Ich drohe dir nicht, mein Junge, ich sage es dir bloß.“
Dewey fixierte den Satz. Merkwürdig. Es sah nach seiner Handschrift aus, war auch sein Stil ... Doch er konnte sich nicht erinnern, das geschrieben zu haben. Es musste schon gestern passiert sein, beim ersten Hineinschauen. Seit einiger Zeit geschah ihm das, kleine Gedächtnislücken. Unwichtiges vergaß er schon mal, das merkte keiner, es blieb belanglos. Sonst hätte es ihn wohl alarmiert, ein Schwinden der Hirnsubstanz mit Ende vierzig – lachhaft! Aber, so fragte er sich, konnte das nicht lästig werden, peinlich am Set? „Ich drohe dir nicht, ich sage es dir bloß.“ Je länger er den Satz musterte, desto schärfer starrte der zurück.
Dewey klappte das Drehbuch zu. Entspanne dich! Grübeln bringt ja nichts. Schließlich war er Profi. An seinem Können im Fach war so wenig zu rütteln wie an seinem Patriotismus, dem Bekenntnis zur Demokratie und den Rechten des kleinen Mannes. Mit manch Befremdlichem, ob hier in Hollywood oder im fernen Washington, hatte er sich abgefunden. Auch das umtriebige Wesen Edna Fosters nervte ihn nur selten. Eine Agentin muss so sein – listig, drängend, aggressiv. Sonst wäre sie wohl kaum die zwölf Prozent wert gewesen, die sie von seiner Gage abbekam. Das halbe Leben war Arrangement.
Allerdings, es gab Grenzen. Wieder sah er auf das Foto. Das bezaubernde Partygirl, gerade mal halb so alt wie er. Janie war ebenso reizend wie flatterhaft, exakt der Gegentyp zu Edna. Uber die scherzte Janie gern, überzeugt, die könne ihr nicht gefährlich werden. Selber war sie ein Klasseweib, der die Kerle nachliefen oder gar verfielen. Keine Frau, die man daheim anbinden und ganz für sich allein haben kann. Was er hasste an ihr, war das Labile und Impulsive, die spontane Lügerei zum Tarnen ihrer Flirts ... Vermutlich brauchte sie die, man hätte wohl auch das Chaotische an ihr mögen müssen, um sie wirklich zu lieben, vorbehaltlos, eben ganz und gar. Nun, das ging über seine Kraft. Er wünschte, sie würde sich fernhalten von hohlen Figuren wie den Beachboys und Wellenreitern dort vor der Tür. Soweit ging seine Verblendung nicht, dass er hinnahm, wie die Beziehung aus dem Ruder lief. Im vierten Jahr seiner Ehe musste er der endlich Struktur geben, feste Form, ohne die im Leben kaum etwas Wert hatte für ihn.
*
Ach, die Hausaufgaben! Gelangweilt wandte er sich wieder dem Drehbuch zu, bis Ednas Anruf ihn unterbrach. Was er von Lautlos denn halte, wollte sie wissen. Und da er herumdruckste, kündigte sie ihm schlankweg ihr Kommen an. Wieder einmal sah er sich von ihr überrumpelt. Ihre Blitzbesuche, die häuften sich in letzter Zeit. Und nie wurde ihm richtig klar, was sie im Schilde führte. Ein diffuser Ausdruck von Besorgnis haftete ihr an, verdeckt durch die übliche Hyperaktivität, das begann ihn zu verunsichern. Was sich da einschlich zwischen ihnen, das schien der Reflex auf eine Art Konfusion in den Studios zu sein. Und die ging, soweit er's begriff, zurück auf kommerzielle Verstörung nach einer Reihe von Flops, mit denen er nicht das Geringste zu tun hatte. Was also sollte das ihm? Die meisten seiner Streifen, vom Langen Arm bis Unter Verdacht, hatten noch immer satten Profit eingespielt.
Edna Foster war erhitzt, sie atmete flach, als er sie einließ. Unter den stark gewölbten Brauen blitzten ihre Augen. Sie war wesentlich jünger als er, doch auf ihn wirkte sie wie alterslos. Ein biologisches Neutrum, dank ihrer Kompetenz und der nur knapp verdeckten Neigung, ihn zu lenken. Sie fiel ihm leicht ins Wort und trug gern Hosenanzüge, was ihren Drang, dominant zu sein, unterstrich. Weiß Gott kein Typ, auf den Dewey oder sonst ein normaler Mann abfuhr. Trotz ihrer langen Beine, des üppigen Haarschmucks und der kunstvollen Frisur. Das kühle Gesicht passte zu den gouvernantenhaft um den Kopf gezurrten rostbraunen Strähnen. Aber ihr Sachverstand, das Abgefeimte, die enorme Tüchtigkeit! Manchmal gab sie ihm das Gefühl, sein Aufstieg in den letzten acht Jahren sei zumindest halbwegs ihr Werk.
„Was liegt an?“, fragte er. „Nimm erst mal 'nen Schluck. Es gibt wenig, was ein Drink nicht in Ordnung bringt.“
Edna schüttelte den Kopf, fast hektisch; sie wollte sich nicht einmal setzen. „Schlechte Neuigkeiten, Mike. Das Studio zögert, deinen Vertrag zu verlängern; jedenfalls in der jetzigen Form.“
Dewey war perplex; das schlug ihm die Beine weg. „Wieso?“, würgte er heraus.
„Die sind nervös da oben, sie stehen unter Beschuss. Der Autorenstreik liegt ihnen schwer im Magen, und sie sind wütend, weil da Schauspieler dem Protest folgen und lauthals verkünden, sie stünden den mies bezahlten Schreibern bei.“
„Ich hab gar nichts gesagt, bloß unterschrieben.“
„Bei der Gewerkschaft! Zusammen mit Leuten, die ihr Geld kaum noch wert sind. Typen wie Brad Pitt, die können sich das vielleicht leisten. Dabei spielen sie neuerdings nicht mal mehr ihre Gage ein.“
„Ich schon! Wo ist bei mir das Problem?“
Sie setzte sich nun doch und trank von dem Highball, den Dewey ihr zur Beruhigung gab. Natürlich hatte er von all den Pleiten gehört. Der Thriller Invasion zum Beispiel mit Nicole Kidman hatte nur 15 Millionen erbracht, kaum die Gage der Kidman – daheim; und weltweit knapp die Hälfte der Produktionskosten. Noch weniger Angelina Jolies Entführungsoper Ein mutiger Weg. Auch Jolies Freund Brad Pitt war mit seinem Edelwestern, in Venedig gefeiert, an den Kassen gescheitert. Sogar das alte Rezept des Starensembles zog nicht mehr. In dem Politreißer Von Löwen und Lämmern waren Redford, Streep und Cruise, drei der Gefragtesten, total auf die Nase gefallen. Für Cruise, der den Film auch noch selbst produziert hatte, ein verdienter Sturz. Dafür, und nicht für die Rolle des Hitler-Attentäters in Walküre, fand Dewey, hätte ihm der Tapferkeitsorden gebührt: Kühnheit vorm Publikum, für dessen Götter sie sich hielten, das ihnen aber nun wegblieb. Sollten sie doch abstürzen, diese Blockbuster-Helden und Egomanen von der A-Klasse.
„Es schlägt leider auf uns durch, das Desaster“, sagte Edna. „Die Nervosität ist schlimm ... Filme sind nicht auf Träume gebaut, sondern auf handfeste Arbeit. Das hat Goldsmith mir eben gesagt, höchst persönlich.“
„Das heißt?“
„Deine Figur ist ihm zu statisch. Du lieferst stets den kernigen Sieger ab. Routine, Mike! Er wirft dir vor, monoton zu sein. Das hält er für Kassengift.“
Dewey schwieg, der Ärger würgte ihn. Das war Schwachsinn, ganz bescheuert. Jeder wusste doch, kein Zuschauer will von seinem Action-Star überrascht werden; von dem will man genau das sehen, was man von ihm erwartet – die eiserne Regel der Branche ... „Für die Fans bin ich ein Mann der Tat, und dabei bleibt es.“
Ednas Brauen hoben sich wie Vogelschwingen. „Der wortkarge Typ – siegreich und schweigsam. Streichst du deshalb Dialoge gern zusammen?“
„Genau.“ Ihm wurde heiß. Wie lange wird es noch dauern, fragte er sich, bis ich laut werde?
„Die da oben sehen das anders. Man erzählt sich, du wärst öfter mal nicht textsicher, so dass der Take wiederholt werden muss, zu Lasten der Drehzeit, Mike ... Kürzt du etwa, damit du dir weniger merken musst?“
„Sei nicht albern, Edna! Mir geht's einzig ums Profil. Das wird durch Geschwätz verwischt.“
„Kommen wir zu Punkt zwei. Das Studio schlägt dir vor, die Pause zu nutzen, die jetzt durch den Streik entsteht. Derzeit kommt kein neues Buch, nicht mal die Endfassung von Lautlos. Nutzen wir das doch, dein Spektrum zu erweitern.“
Spektrum? Welch ein Blödsinn. Er hatte den Eindruck, dass Edna ihn durch den Wortschwall, den sie da losließ, zu hypnotisieren suche. „Goldsmith legt uns das nahe“, hörte er sie sagen. „Man rät dir zu einem Trip nach Las Vegas.“
„Wozu soll das gut sein?“
„Für die Facetten – ein paar neue Seiten der Figur. Sieh mal, das Auftreten des Gangsters wandelt sich mit der Zeit. Lass uns studieren, wie der sich heute gibt.“
„Und deshalb nach Nevada? Es sind dreihundert Meilen. So weit muss man nicht fahren, um Gauner zu treffen. Bis zu Goldsmith sind's bloß ein paar Schritte.“
„Wer spricht denn von fahren?“ Edna blieb kühl. „Er gibt uns doch den Jet. Keine Stunde, und wir sind vor Ort. Heute noch.“
„Warum diese jüdische Hast?“
Sie sah ihn strafend an, als sei das ein antisemitisches Wort, direkt gegen den Boss und dessen Stab gerichtet. Dewey kreuzte die Arme vor der Brust. Das war ihm so entschlüpft, durch den Druck, den er ganz plötzlich spürte, und seine alte Abneigung gegen Las Vegas, von der hier keiner etwas ahnte. Und damit das auch so blieb, sagte er: „Man schickt uns also in die Wüste. Auch recht! Hollywood ist nur erträglich, wenn du manchmal auf Abstand gehst.“
„Danke, Mike! Ich hatte gehofft, dich zu überzeugen.“ Edna stand auf und versuchte, ihm die Hand zu geben. Es sah aus, als wollte sie sich entschuldigen. „Ich bin voll auf deiner Seite. Und zwar mehr, als ich das Goldsmith erkennen ließ.“
Er brachte sie zur Tür. „Was genau kam von ihm?“
„Ich möchte jetzt nicht näher darauf eingehen.“
„Na schön; lassen wir es für später.“
„Zum Schluss hat er gesagt“, hauchte sie, „ich schätze Mike, aber keiner ist vollkommen – also, wir meinen es bloß gut mit ihm.“
Michael Dewey blieb sinnend zurück, leicht fröstelnd im Luftstrom der Klimaanlage. Er war Demokrat und hasste angemaßte Macht. Ihm war, als kenne er Goldsmith' letzten Satz – die Glätte, den bösartig gedämpften Ton. Klang der nicht so wie die Stelle in Lautlos, über die er vorhin gestolpert war? Na, es blieb wohl kaum aus, dass ein Boss auch so sprach wie die Narren in den Szenarios auf seinem Tisch. Eher war es ein Wunder, wenn der Mann es noch schaffte, auf dem Teppich zu bleiben und denen, die von ihm abhingen, nicht grob zu drohen. Nachdem er seit 20 Jahren Tag für Tag ganz oben saß im MCA-Turm, dem Nervenzentrum des geschäftigsten Studios hier, bereit zur Verzauberung der Welt.
Im Auto, hinter dem Alfred Hitchcock Weg, machte Dewey sich klar, was es bedeutete, der Herrscher über die Traumfabrik zu sein. Da blickte der Boss hinab auf die Handlanger, ihr ameisenhaftes Treiben im vorderen Filmgelände der Universal mit den Aufnahmestudios, Tonateliers und Redaktionsbüros, dem Requisitenhaus, den Umkleideräumen der Darsteller und dem Farbfilmwerk. Durch die Glaswand freie Sicht bis hin zur Bühne für Spezialeffekte. Und sicher genoss er es, wie sich in dem Dunst, der von Downtown heraufzog, die Besucherscharen drängten – auf dem Rock Hudson Circle oder der John Wayne Road, über die Hollywoods größte Cowboys seit Tom Mix geprescht waren.
Bei diesem Anblick würden Goldsmiths Augen funkeln wie stets, wenn es ums Geldscheffeln ging. Dem genügte es ja nicht, Filme zu machen, er musste auch noch deren Herstellung vermarkten – von der „einstürzenden Brücke“ aus der TV-Serie The Six Million Dollar Man bis zu den „Straßen New Yorks“, wo einst Der Clou und des glatzköpfigen „Kojaks“ Einsatz in Manhattan gedreht worden waren.
Kasse, Kasse, Kasse! wie ein Junkie, der eine immer höhere Dosis braucht. Entweder man verhalf ihm dazu, oder es drohte einem der Karriereknick.
Beim Verlassen des Filmgeländes schüttelte Dewey den ganzen Ärger ab. Jetzt galt es, auf den Verkehr zu achten. Außerdem fiel ihm Janie ein, die man verständigen musste. Er sah sie vor sich am beheizten Pool, ihr biegsamer Leib war ein Strahlen im Bikini, und sie war sich ihrer Wirkung bewusst, der einzigartigen Erscheinung. „In zwei, drei Tagen bin ich zurück“, wollte er ihr sagen, um anzufügen: „Pass auf dich auf, Liebling, das Wasser ist voller Haie.“ Ganz salopp, etwas in der Art, wie stets von ihm erwartet.
Doch da tat sich nichts. Offenbar hatte sie ihr Handy ausgeschaltet. Das war nun weiß Gott kein gutes Zeichen. Es musste etwas geben, das ihr Selbstbewusstsein dämpfte und ihre Flirtbereitschaft stoppte, ohne sie zu kränken und sie gegen ihn aufzubringen. Es sollte besser nicht direkt von ihm ausgehen – das war es, was es so problematisch machte ... Aber irgendeine Lösung gab es nach seiner Erfahrung für jedes Problem.
Das Nieseln hatte aufgehört, in der Luft lag eine Weichheit, die wohltat. Edna Foster erwartete ihn munter, flott in Schale, die Sonne schien und das Triebwerk zischte bereits. Alles lief wie am Schnürchen, man stieg über die Flügelwurzel ein, doch sein Unbehagen blieb. Michael Dewey, sonst so locker, war bedrückt. Da fliegt man in die Ferne, dachte er, und kehrt mit welken Blättern und vergifteten Freuden heim! Gleichwohl tat er unbekümmert; Nonchalance war sein Stil, den Charakteren eigen, die er stets verkörperte. Sei wachsam, aber zeig es keinem, wenn du stutzig wirst.
Da mehrte sich Befremdliches. Schon der Schriftzug „Nevair“ am Bug des kleinen Jets störte ihn. Denn man hob ja nicht in LAX ab, dem L. A. International Airport, sondern von dem Rollfeld am San Diego Freeway, wo die Maschinen der Studios stehen. Es war aber ein Charterflug, kein Jet der Universal. Auch Ednas Outfit irritierte ihn, der verblüffende Rock zum Beispiel. Das Rouge auf den Wangen und die Lidschatten waren neu – ihr Tribut an Las Vegas?
Dem Smog entwischt, ließ der Pilot den Stadtrand bei Pasadena hinter sich. Das Flugzeug stieg über die San Gabriel Montains, hoch in die Luft einer anderen Welt. Als navigiere der Mann nach Sicht, folgte er der Interstate Nr. 15, die quer durch die Mojave Desert führt, vorbei am Soda Lake. In wabernder Hitze dort unten rötlicher Fels und das flirrende Gelbbraun des Wüstensands. Dewey wusste, beiderseits der Nr. 15 lagen etliche Sperrzonen, eine Air Force Base namens George oder Edwards, wo die Raumfähren landen, und ein Trainingsfeld des Marinecorps, das Twentynine Palms hieß ... „Hier zählt halt jeder Baum“, hatte er damals zu Judy gesagt, vor langer Zeit, als sie sich jenseits der Berge verfahren hatten und wenden mussten.
Jetzt regte sich Edna an seiner Seite. „So schweigsam, Mike?“, fragte sie durch den Kopfhörer. „Schatten der Vergangenheit? Du warst lange nicht mehr in Vegas.“
„Zwanzig Jahre. Es zog mich nichts mehr hin.“
„Zuviel Geld verspielt? Diesmal passe ich auf dich auf. Dass Zocken nicht reich macht, das merkte schon Dostojewski. Der hat seine gesamte Reisekasse beim Roulette in Wiesbaden verloren, uns aber dafür den Bestseller ,Der Spieler' hinterlassen.“
Sie kennt die Weltliteratur, dachte er, und gibt gern damit an.
„Heute hinterlassen seine Nachahmer nur noch Schulden. Auch du?“
„Weshalb willst du das denn wissen?“
„Als dein Coach muss ich alles von dir wissen.“
„Wenn du alles von mir weißt, willst du nichts mehr von mir wissen.“
Edna kicherte, ihr gefiel das Zweideutige der Replik. Leider stammte die nicht von ihm, es war ein Zitat aus Lautlos. Einem der Schreiber, die nun streikten, war das eingefallen. Mehr freilich würde er dazu nicht sagen. Was erwartete sie denn von ihm, eine Beichte? Sie sollte ihn doch besser kennen. Allerdings, er wurde das Gefühl nicht los, sie ahne etwas vom Hintergrund seiner Abneigung gegen Las Vegas.
Und wirklich, als dürfe man in der Luft respektloser sein als am Boden, bohrte sie: „Du hast dich da mal als Entertainer versucht, ja? Und es heißt, das Glück sei dir nicht hold gewesen.“
Sie ließ also nicht locker und zog nun Direktheit den guten Manieren vor. Irgendwie lag ihr nicht mehr daran, den Anschein von Sanftmut zu erwecken und ihn spüren zu lassen, dass sie ihn schätzte. „Ach was“, knurrte er, „meistens gelang es mir, auf die Bühne zu finden – und auch wieder herunter.“
Basta. Das musste ihr genügen. Die Fragerei war unangenehm, sie stieß ihn auf Verdrängtes, legte peinliche Erinnerungen frei an die Goldene Meile, den Strip der Traumstadt in der Wüste. Lauter versunkene Bilder. All der Talmi tauchte wieder auf, die dummen Symbole: der zuckende Stern am Stardust, die Neonpalmen vor dem Oasis Casino, die gelben Kuppeln des Westward Ho und der grelle Mississippi-Dampfer mit dem Holiday Casino im Rumpf. Die geballte Wucht von Disneyland, im Geratter der einarmigen Banditen. Das Tropicana hatte sie beide hergelockt, Judy und ihn, doch wegen des Riesenhits der halbnackten Girls traten noch immer die Folies Bergere dort auf, während im Cesar's Palace endlos „Jenseits des Glaubens“ lief, die Raubtier-Show von Siegfried & Roy. Also schob man sie ab ins alte Sahara, und damit begann der Horrortrip.
Der ganze Frust fiel Dewey wieder ein. Kein Spielbetrieb im Sahara, das hätte ihn an sich nicht gestört. Wie überall war die Empfangshalle auch schon das Kasino, doch wegen einer Verkaufsmesse ruhte es. Die Tische quollen über von Handfeuerwaffen, Uniformstücken und sonstigem Kriegskram, garniert mit Sprüchen wie: „Ich mag den Duft von Napalm in der Frühe“. Kurzhaarige Burschen im Military Look führten die Aufsicht, Hostessen im Tarnhemd mit Patronengurt. Auf einem T-Shirt stand: „Besuch den Libanon und hilf 'nem Moslem, Allah zu treffen“.
An diesen Narren und ihren Weibern perlten die Pointen ab. Kein Echo, als Judy auf der Bühne klagte: „Früher warst du glücklich, wenn du mich bloß einmal am Tag kurz sehen konntest“, und er konterte: „Daran hat sich nichts geändert.“ Kein Lacher, kein Applaus. Sie hatten das dutzendfach gespielt, zuletzt, in Reno, da hatte es funktioniert. Dann schwappte ihr Suppe aufs Kleid, und sie rief: „O Mike, ich seh‘ ja aus wie ein Schwein!“ – „Ja“, so ging sein Text, „und außerdem hast du die Suppe verschüttet.“ Schließlich ging sie ab mit dem Witz: „Was macht eine Frau, deren Mann zickzack durch den Garten rennt? ... Weiterschießen!“ Das immerhin kam an, als einziges wohl. Ein Tiefpunkt der Unterhaltungskunst.
Es war quälend, einfach grässlich. Und etwas Prestige hatte Dewey auch da schon zu verlieren. Dank der Nebenrolle in einer Seifenoper, die lange im Fernsehen lief, galt er als Nachwuchstalent. Um seines Ansehens willen nahm er an dem beliebten Rodeo- und Westernfestival „Helldorado Days“ teil, obgleich ihm der Umgang mit Pferden nicht lag; was die vermutlich spürten. Er hatte ein paar Reitstunden genommen und schien gut in Form, suchte freilich am Sattelknauf Halt, was ihn als Greenhorn entlarvte. Ach, was nützte ihm das taillierte Seidenhemd, die geflochtenen Zügel und das silberbeschlagene Halfter, wenn der Stetson ihm beinah über die Ohren rutschte und das Pferd ihn abwarf, als er danach griff? Ein fremder Gaul ging über ihn hinweg, traf seinen Kopf, er brach sich sechs Rippen!
Wie zum Trost blieb ihm eine fesche Stirnnarbe; die war sein Markenzeichen geworden. Der Vorfall selbst war rasch vergessen worden, außer von Judy. Die Blamage verzieh sie ihm nicht, der schmähliche Sturz beendete ihre Partnerschaft. Heute erinnerte sich dessen niemand mehr, und keinem erlaubte er, daran zu rühren: an das Scheitern seines hastigen Versuchs, ein Cowboy-Star zu werden. So baut man eben keine Karriere auf, panisch, planlos, ohne Training und vor allem: ohne Coach.
Auf Backbord, im schrägen Licht der Abendsonne, tauchte der Red Rock Canyon auf. Dahinter dehnte sich tellerflach ein Areal, das der Rüstungsmilliardär Howar Hughes einst billig vom Staat gekauft hatte – als Testgelände für irgendein Waffensystem, wie Edna wusste. Doch Hughes, damals noch nicht geisteskrank, hatte es rein spekulativ genutzt.
„Um die Zeit übernahm er auch das Desert Inn“, teilte sie Dewey mit. „Genau wie das Last Frontier und das Sands – übrigens ein Ziel der Kennedys, Vater und Sohn, Treffpunkt von Sinatra mit dessen Rat Pack ... Bald gehörte Hughes das meiste auf den drei Meilen vom Tropicana bis zum Sahara; schließlich die halbe Stadt. Mit seinem enormen Reichtum wollte er etwas ganz Großes aus ihr machen, speziell sie vom Gangstertum reinigen. Na, das ging über seine Kraft.“
„Jeder stößt mal an Grenzen“, sagte er.
„Wie vor ihm schon Kefauver und Yablonsky, der Saubermann vom FBI. Die Stadt ist so zwielichtig wie eh und je, zum Glück! Kein Mangel an Vorbildern für dich.“
*
Ins Blickfeld kam, schräg angestrahlt, eine bizarre Silhouette. Fünf Meilen südlich der Hoteltürme sank man sanft auf den Flughafen nieder, einem der größten landesweit. Er hieß McCarran Airport, nach dem großen Sohn Nevadas, wie Edna wissen ließ. Der polternde Politiker – erst linksradikal, dann Linkenfresser – habe es mit seiner Löwenmähne einst zum wichtigen Senator und engen Freund Edgar Hoovers gebracht.
„Frommes Urgestein“, sagte sie. „Für ihn gab es bloß diesen menschenleeren Staat – ein Quadratschädel pro Quadratmeile, so hieß es zu seiner Zeit. Er war fest überzeugt, dass Nevada nur gedieh, wenn ihm Las Vegas erhalten blieb, als sprudelnde Quelle. Kein Mensch wird die je austrocknen, da bin ich sicher.“
„Dieses Talmi-Paradies – wieso denn nicht?“
„Weil es das Abbild unserer Wünsche ist. Der Tempel des Traums vom Aufstieg zu Reichtum und Glück ...“ Im Gewirr des Terminals sprach Edna so emphatisch, als lebe sie hier auf, als gehe es ihr um mehr als nur darum, ein paar Ganoven zu treffen, deren Gebaren sich flüchtig erfassen ließ, zwecks nuancierterer Darstellung im Film. Was steckte wohl noch hinter dem Trip?
Im Taxi saß sie vorgebeugt, fieberte lebhaft der Stadt entgegen, über die sich der Abend senkte, ganz als habe die rasche Annäherung etwas Wunderbares in der geheimnisvollen Zeit zwischen Licht und Dunkel auf der Welt. Schon auf Las Vegas eingestellt mit ihren grünen Lidschatten und dem Rouge, das ihr, klecksartig auf die Wangen getupft, zum Charme einer Puppe verhalf, in seinen Augen.
Und nun begann die Skyline auch ihn zu fesseln, in dem Zwielicht, das er so liebte: gegen den erlöschenden Himmel der Neonschein. Er fand die Stadt verändert. Damals hatte er geglaubt, sie bestehe nur aus zwei Boulevards, dem Strip mit seinen Spiel- und Showpalästen und den preiswerteren Häusern weiter nördlich, im alten Kern. Gewiss gab es auch ein Viertel fürs Personal, doch das sah man nicht, es war flach und bedeutungslos. Vieles war ihm völlig neu, so verblüffend wie jenes Prachthotel, das sich hinter einer Kopie von Manhattan verbarg; die Imitation der Freiheitsstatue, des Chrysler-Turms und des Empire State Buildings, all das glitt närrisch bunt an ihm vorbei. An der Kreuzung aber stand, glanzvoll wie vor 20 Jahren, das Tropicana, in dessen Paradise Tower er mit Judy gewohnt hatte.
„Ja, das gibt's noch“, sagte Edna beim Aussteigen. „Bloß das Sands, das Hacienda und derlei alte Kästen sind in den Neunzigern entsorgt worden. Ein grandioser Kraftakt der Zerstörung, der schuf Platz für noch mehr Spaß ... Im neunzehnten Stock hab ich für uns gebucht.“
Ein Déjà-vu, das ihn stutzen ließ. „Warum gerade hier?“, fragte er sie am Empfang. Die Duplizität schien fast zu seltsam, um ein Zufall zu sein.
„Weil hier der Treff ist, gleich nachher am Pool. Unser Mann heißt Gary Anderson.“
„Was ist der, Frühstücksdirektor oder Kasinochef?“
„Viel mehr“, sagte Edna im Lift. „Ein echter Platzhirsch.“
„Also der Hausherr selber?“
„Nein, Gewerkschaftsboss. Er vertritt das gesamte Personal! Ich meine, das ist die erste Adresse für dich.“
„Ganz schön clever.“
„Dafür bezahlst du mich.“ Sie gab ihm das Kärtchen mit dem Magnetstreifen für sein Zimmer und bat ihn, sich die Nummer zu merken, die sicherheitshalber nicht auf dem Kärtchen stand. „Mach dich jetzt flink ein bisschen frisch.“
„Die Gewerkschaft, Edna, mal ehrlich – sind das die Guten hier?“
„Tu nicht so naiv.“ Sie lachte gurrend. „Du kennst doch beide Seiten und bist keiner von denen, die Talent mit Tugend verwechseln.“
Das klang kryptisch, gab zu denken, doch Dewey fragte nicht nochmal. Er vermied es stets, unsicher zu erscheinen. Oben angelangt, schrieb sie seine Zimmernummer auf einen Zettel, den sie ihm gab. Eine Geste, die er als fürsorglich empfand; oder traute sie ihm etwa nicht mehr zu, dass er die Nummer im Kopf behielt?
*
Gary Anderson erwartete ihn an der Poolbar. Träge lehnte er da, im Freizeithemd, sein Blick war freundlich, die Stimme sanft. „Es freut mich, Sie begrüßen zu dürfen, Mr. Dewey! Es ehrt uns, dass Sie kommen, trotz Ihres sicherlich vollen Terminkalenders. Wenn es etwas gibt, Sir, um Ihren Aufenthalt an Bord netter zu gestalten, zögern Sie bitte nicht, es mich wissen zu lassen.“
Das hörte sich floskelhaft an, respektvoll-offiziell, doch Dewey glaubte etwas wahrzunehmen, das für einen Hauch spontaner Zuneigung sprach. Anderson war nicht größer als er selbst, aber manches an ihm wirkte stark – zumal sein Kopf, das dichte Haar, der volle Mund; nur die Augen waren lauernd, ganz schmal. Oder kniff er sie bloß so zusammen, um Eindruck zu schinden und sich vor ihm, dem Filmstar, aufzubauen?
Wie selbstverständlich winkte Anderson einem Boy und orderte Drinks – Mojito für sich, Ron Collins für den Gast –, lotste ihn außer Hörweite der Bar zu Korbstühlen, setzte sich, faltete die Hände und fing an, Däumchen zu drehen. Das sah hei ihm flott und dynamisch aus. Er wurde respektvoll bedient, wie ein spendabler Stammgast. „Mögen Sie dies karibische Air?“, fragte er im Hinblick auf das nierenförmige Riesenschwimmbad mit den schlanken Girls im Bikini. „Gewiss ist Ihnen der Strand von Malibu lieber.“
„Der sieht mich selten.“ Dewey dachte an Janie, die sein Fernbleiben gern scheinheilig beklagte. „Filmarbeit stresst, da fehlt manchmal gesunder Ausgleich.“
„Also Sport, surfen und schwimmen?“
„Schwimmen ist doch kein Sport – bloß das, was man tut, um nicht zu ertrinken.“
Anderson lachte tief im Bass. Mit einem Mix aus Direktheit und guter Laune kam er zur Sache. „Ihre Dame hat mir gesagt, es geht Ihnen darum, das Verhalten kleiner Gauner zu studieren, ihr Benehmen.“
„Nicht unbedingt der kleinen.“ Dewey setzte sein Glas behutsam ab. „Bin ich damit wohl hier richtig? Ist nach Ihrem Gefühl das organisierte Verbrechen zurück in der Stadt?“
„War es denn je weg? Na, die Frage ist in Vegas eigentlich tabu ... Wer legt es schon darauf an, sein Leben zu verkürzen.“
Dewey schwieg, er nippte an seinem Drink, den eine Kirsche schmückte. Es belustigte ihn, dass Anderson besorgt tat, wo alles doch ein Spiel war. Er begann, sich zu entspannen. Matt drang das Geplätscher des Wasserfalls an sein Ohr, dazu die Musik vom Felsen hinter dem Sprungturm. Kaum karibische Klänge, eher Swing aus den 50er Jahren, elegant. Er meinte, Robbie Williams zu hören, der da „It‘s De-Lovely“ von Cole Porter sang – emphatisch, wie auf Drogen, erst ganz zuletzt im Trostlosen versickernd; wie das Leben selbst.
Abseits gewahrte er jemanden im Whirlpool, daneben eine hübsche junge Frau, die vielleicht schon von Berufs wegen fast nichts an hatte. Derselbe Zauber wie damals, köstlich, perfekt. Wie ein Raumschiff aus dem All stand das Hotel rund um den Pool, bekränzt mit Grünzeug, üppig berieselter Natur. Ein steiler Traum, 20 Etagen hoch, in dieser staubtrockenen Mondlandschaft. Voll von Luxus, den Hallen der Habgier und den Wassern von Babylon im Reflex all der Lichter. Nur kriminelle Tatkraft brachte so etwas fertig.
„Ja, ein Wunder der Schöpfung“, hörte er Anderson sagen, der seinem Blick gefolgt war. „Für uns Culinary Workers ist Vegas das, was der Urknall für das Universum war. Wir sind in der Stadt fünfzigtausend: Pagen, Zimmermädchen, das Küchenpersonal und die Jungs in den Kasinos. Darunter auch Vorbestrafte – weshalb die nicht mehr beschäftigen? Jedem die zweite Chance! Vegas hat noch nie einem Mann seine Vergangenheit übel genommen ... Oft sind es nämlich die Erfahrensten, wie zum Beispiel unser Smiley dort.“
Er wies auf einen massigen Kerl, der sich aus dem Whirlpool stemmte und federnd an ihnen vorbei ging, behaart auf Brust und Rücken. Die schiefe Nase und die hängenden Augenlider ließen an einen Boxer denken. An der Bar blieb er stehen, selbstsicher und lässig. Von ihm, fand Dewey, ging etwas Vitales aus, das von verdeckter Rauflust zeugte und ihn dennoch ansprach. Ein Gangster wie aus dem Bilderbuch! Das war sein Mann, es zog ihn hin zu diesem Smiley – was natürlich ein Spitzname war. „Weshalb heißt er so?“
„Vielleicht, weil er niemals grinst.“ Anderson unterdrückte seinen klugen, umherschweifenden Blick und ersetzte ihn durch einen ganz harmlosen. „Der Typ liegt Ihnen, Sir? Mir scheint, Sie mögen den.“
„Nun ja – den Gang, das Tigerhafte.“
„Und ich ahne auch, warum. Smiley bewegt sich ungefähr so wie Sie selber in Ihren tollen Filmen. Die begeistern ihn nämlich, er kennt sie alle.“
„Sie meinen, das inspiriert ihn?“
„Eben. Und damit steht er in Vegas nicht allein. Sie sind ein Vorbild für manchen von uns. Übrigens auch für mich, Sir. In Ihren besten Rollen sind Sie absolut respekteinflößend. Das macht Sie hier zu einer Art Idol.“
„Das freut mich, Gary. Ich bin beeindruckt. Und bitte, nennen Sie mich nicht Sir. Für die Fans bin ich einfach – Michael.“
„Danke, Michael. Möchten Sie sich jetzt im Kasino umschauen? Da finden Sie noch mehr von seiner Sorte, bei den Croupiers und den Sicherheitsleuten.“
Dewey winkte ab, er fühlte sich aus dem Konzept gebracht. Falls man ihn dort tatsächlich mochte und seine Filmfigur kopierte, konnte das ja wenig bringen. Was war da los? Offenbar hatte mancher ein Imageproblem, feilte an seinem Auftreten und guckte es von der Leinwand ab. Welch närrisches Wechselspiel! Er suchte es einzuordnen und leerte sein Glas.