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Indischer Ozean, Gegenwart. Auf Paradise Island trifft Danny Wolfe ein, englischer Ziviltaucher für extreme Tiefen. Sein Motto: Wo ich lande, da hat noch immer ein Wrack gelegen. Für die Royal Navy soll er einen Froschmann jagen, der — wohlgerüstet und mit bestem Alibi — den Sperrkreis des Marine-Stützpunktes durchbricht. Wolfe ist selbstbewusst, als Taucher ungeschlagen. Aber er steht im Schnittpunkt von Machtinteressen und erfährt nicht einmal, worum es wirklich geht. Gebremst von der Geheimhaltung und der Bürokratie in der britischen Abwehr, geschockt durch Tricks unter Wasser, verwirrt durch Rivalität und Doppelspiel an Land, wird er seines Auftrages überdrüssig. Er riskiert den Kopf für ein paar hundert Pfund, andere machen ein Vermögen. Jeder benutzt ihn, er ist auf sich allein gestellt. Wolfgang Schreyer veröffentlichte nach einer Zypern-Reise und eigenen Tauchversuchen 1966 sein Buch „Fremder im Paradies". 1982 hat er den Stoff noch einmal neu gestaltet. So entstand aus dem utopischen Erfolgsroman ein spannender Abenteuerroman. Ironie, Sarkasmus und salopper Stil schärfen den Blick für eine beklemmende Realität. Vor dem Hintergrund der Weltpolitik im Öl- und Krisengebiet des Mittleren Ostens liegen die Dinge jetzt in härterem Licht.
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Seitenzahl: 361
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Wolfgang Schreyer
Eiskalt im Paradies
Roman
ISBN 978-3-86394-108-6 (E-Book)
Die Druckausgabe erschien erstmals 1982 beim Mitteldeutschen Verlag Halle - Leipzig
Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta
© 2012 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Alte Dorfstraße 2 b 19065 Godern Tel.: 03860-505 788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de
Für Hubert v. Blücher
Nur einfältige Menschen fliegen gern; vielleicht noch solche, die den Rausch der Geschwindigkeit lieben, den glatten Ortswechsel, ohne sich selber groß zu bewegen. Es ist durchaus kein Genuss. Man steckt mit vielen von der Sorte in einer zylindrischen Zelle, seiner Freiheit beraubt, in der Hoffnung, die Jungs da vorn möchten ihr Handwerk verstehen. Ich hasse Luftreisen, und die war eine der längsten; jedenfalls kam sie mir endlos vor. An dem Flug störte mich außerdem, dass ich ihn unfreiwillig antrat. Na gut – auch auf fremde Kosten, und es war ein teurer Spaß. Sie hatten die Linie in Schuss, wollten einem das Gefühl geben, hier sei der Fluggast noch König. Die Drinks und Menüs waren so fein wie die käufliche Freundlichkeit, Service genannt. All das lenkte mich ab. Mir gefiel auch der Film im Bordkino und der Blick auf die Küsten Afrikas; manchmal wälzten sich dort unten Flüsse gelb in den Ozean. Aber dann, zwischen Aden und Mauritius, wo es wenig zu sehen gab, nickte ich doch ein.
Schuld an dem Alptraum muss meine Beklommenheit gewesen sein. Eine innere Abwehr; man wählt ja sein Ziel gern selber aus, in Kenntnis der eigenen Kraft. Anderen fehlt meist das Augenmaß für das, was eben noch geht. Zu meinem Job gehört eine Portion Glück. Gewöhnlich glückt einem nur, was man sich selbst zutraut. Sie hatten in London zu wenig gesagt, als dass ich mir ein Bild machen konnte... Als die Stewardess mit dem Landebonbon kam, fiel mir nur noch der Schluss des Traums ein: Von auslaufenden Wellen sanft bewegt, der Körper eines Froschmanns, eingesiegelt in Neopren, Kopf im Wasser, Schwimmflossen an Land. Eine Ambulanz parkt neben dem Verunglückten, der Arzt zieht ihm die Atemmaske ab, während zwei bullige Zivilisten damit beschäftigt sind, einen hässlichen Hund fernzuhalten. Jemand fragt: "Zu schneller Abstieg?" Der Arzt tippt an die Gaswechselautomatik. "Das Übliche. Da genügt ein bisschen Eis auf der Membrane, Sir. Hier schafft keiner mehr als achthundert Fuß. Was dann kommt, ist Artistik." – "Dann muss ein Artist eben her..." Der Rest geht unter im Gekläff, im Gebalge mit dem Hund. Man schiebt die Leiche ins Auto, die Brust gebläht von der Rettungsweste, die nichts mehr gerettet hat, und es fällt der Satz: "Augen zu und an England denken." Einer der Sprüche, die sie so drauf hatten bei der Marine. Aus. Das war alles gewesen.
Kein gutes Omen. Ich schüttelte das ab, was blieb mir übrig, der Jumbo rollte schon aus. Es war Nacht, über den Begrenzungslichtern anderer Maschinen strahlte es trübrot vom Dach der Abfertigungshalle: PHOENIX AIRPORT – PARADISE ISLAND. Die Luft roch wie ein Badetuch, das feucht auf der Heizung gelegen hat. Nach dem Nebel daheim und dem Frühlingshauch bei der Zwischenlandung das dritte Klima heute. Auf der Gangway lockerte ich den Schlips, den umzubinden sie mir vorgeschrieben hatten, und fing an, nach einem zu suchen, der denselben trug, rotgrünes Schottenkaro, das Dessin hieß "Duke of the Islands". Ein Teil des Indianerspiels, ohne das es nicht abgeht bei ihnen; wenn es auch sonst nicht hilft, so stärkt es doch ihr Wertgefühl... Unten stand nur eine schwarze Hostess, die mich in den Flughofbus lockte.
Eine Halle im tropischen Barackenstil, nicht klimatisiert, doch schon mit Bildtelefonen. Zwei Schlangen vor der Einreise, für "Briten" und für "Sonstige". Der Beamte warf einen Blick auf meinen Pass und winkte mich durch. Eben nahm ich den Koffer vom Band, als jemand mich antippte, ein stämmiger kleiner Bursche mit silbrigem Haar, er trug wirklich dieselbe Krawatte und sagte: "Glashart, nicht wahr?"
Das Kennwort. "Glashart und stinksauer", antwortete ich, nicht ganz mein Text – 'eiskalt und glashart' war die Parole –, ihm aber schien es zu genügen. Er hatte bestimmt einen Steckbrief von mir in der Tasche. Die Burschen überlassen nichts dem Zufall, anders gesagt: in Kleinigkeiten sind sie groß.
"Mr. Wolfe, mein Name ist Tom Clark, der Wagen steht bereit." Mir fiel ein schwacher Akzent auf, wie in dem Film, den ich an Bord gesehen hatte. Darin war ein Brite fremden Agenten in die Hand gefallen, weil er dem falschen Mann gefolgt war; das Kennwort hatte auch dort gestimmt. "Wohin bringen Sie mich?"
"Nach Tyana, Sir." Clark ließ den Motor an. "Es dauert eine Stunde, durch die Kontrollen an den Straßensperren. Danach aber schlafen Sie im 'Stardust', dem besten Hotel der Insel."
"Nett von Ihren Leuten." Es erleichterte mich, dass es Kontrollpunkte gab.
"Na, Sie sind doch nicht irgendwer!" Ein Schild glitt vorbei: Tyana – 30 Meilen. Clark bog in eine vierspurige Fernstraße ein. Das Land zu beiden Seiten war merkwürdig kahl. Keine Spur von den Palmen, Gummibäumen oder Teeplantagen, die ich erwartet hatte. Im Scheinwerferlicht sah es aus, als seien die Felder kaum bestellt; ab und zu Hütten aus erdfarbenem Zeug, ungebrannten Ziegeln wohl. Paradies-Insel? Reichlich hoch gegriffen! Der Verkehr floss spärlich, man fuhr links wie zu Haus. Schweigend und sicher lenkte Clark an Shell-Tankstellen, parkenden Militärfahrzeugen und an den Benzinfässern vorbei, die die Wachposten als Hindernis aufgestellt hatten, so dass man zwischen ihnen Slalom fuhr. "Ein Ergebnis der Krawalle."
"Was denn für Krawalle?"
"Nichts davon gehört? Ja, das Volk hier hat nun 'ne eigene Regierung, aber manchem reicht das schon nicht mehr."
"Mir reicht die eigene Regierung. Wer hat mich eigentlich herbestellt?"
"Das Marineamt Tyana, Sir."
"Geht es etwas genauer?"
"Tja, die Testabteilung der Unterwasser-Medizin. Geleitet von Commander Scott. Der Commandeur sucht ein As für extreme Tiefen."
So oft ich später zurückdachte an diese Fahrt, erinnerte ich mich eines Unbehagens – des absurden Verdachts, einem Feind in die Arme zu laufen. Ich fürchtete das gewiss nicht ernsthaft, es war eher ein Gedankenspiel, und doch... Was Clark über das Marineamt sagte, war dürftig, ja idiotisch, wie auf Verwirrung angelegt. Sein Akzent allerdings erklärte sich harmlos – mit seiner Herkunft aus Wales. "Ich verkaufe hier bloß Klimaanlagen", hielt er mir schließlich entgegen. "Der Fachmann sind Sie."
Soviel Beschränktheit nahm ich ihm nicht ab, das Gespräch versickerte. Der nächste Posten hielt uns an. Clark zog ein in Kunststoff eingeschweißtes Papier, dem Zauberkraft innewohnte, denn man gab den Weg grüßend frei. "Regen fehlt", meinte Clark zu der Halbwüste, die wir nun passierten. "Nur eine Ernte in zwei Jahren! Das Problem ist der Wassermangel."
"Mir genügt Salzwasser. Mal zur Sache: wo liegt es?"
"Ringsum, Mr. Wolfe. Dies ist eine Insel."
"Schon gut. Wo liegt euer Wrack?"
"Es gibt kein, Wrack."
"Wo ich hinkomme, ist immer ein Wrack." Er trieb mir das zu weit, die Geheimniskrämerei; da musste man deutlich werden. "Hören Sie, ich bin völlig ausgebucht. In der Irischen See liegt eine Jacht bequem auf dreihundert Fuß, den Tresor voller Schmuck, der Bergungsvertrag läuft... Also, was wollt ihr von mir? Und warum gerade ich? Habt ihr selber keine Taucher?"
"Sie sollten das nicht persönlich sehen, Sir. Ein Computer hat Sie ausgewählt, wegen Ihrer Leistungsdaten."
"Grüßen Sie ihn schön! Und wecken Sie mich, wenn Sie zur Sache kommen." Ich kippte die Sitzlehne flach, spähte verdrossen durch die Heckscheibe zum Himmel hinauf. Orion, Stier und Großer Hund mit dem Sirius, die hatten sie auch – in ganz anderer Position. Und noch nie hatte ich Sternbilder so klar gesehen, wie Silbernägel auf schwarzem Samt. Dabei fiel mir Claudia ein, es war ihr Vergleich gewesen. Sie hatte erzählt, dass seefahrende Araber schon vor tausend Jahren auf Paradise Island ein Observatorium gebaut hatten, wegen der reinen Luft. Sindbad war hier... Die gute Claudia, viel zu poetisch und zart für einen wie mich.
Clark bremste so scharf, dass etwas aus der Gepäckmulde auf meine Schulter fiel. Ich sah zwei Kamele die Fahrbahn überschreiten, gravitätisch und herrenlos. Clark blieb gelassen, ein britischer Fahrer hätte geflucht. Meine Finger betasteten das Ding, Metall in einer Folie, länglich, wie eine Stange Zigaretten. Ich fühlte Rippen wie bei einem Kühlergriff und glaubte, etwas in der Hand zu halten, das nicht für mich bestimmt war. In manchem Kriminalfilm kam es zu solch einem zufälligen Fund. Wenn die Betroffenen merkten, dass man hinter ihre Schliche kam, gefährdete der Fund natürlich den Entdecker. Ich zupfte an der Haut und fand es elektrisierend, mich vorzutasten in eine Welt unwirklicher Vermutungen, bis Clark sagte: "Was Sie da haben, ist ein Klimagerät, Sir. Kühlt jeden mittelgroßen Raum zuverlässig. Mein neuestes Muster; ich vertrete die British Air-conditioning Company. Dort sehen Sie die Hauptstadt."
Über Tyana glühte der Horizont. Eine Rollbahn zweigte ab, von Peitschenlampen orangefarben angestrahlt. "Das Licht bedeutet: gesperrt für Zivil", erläuterte Clark. "Das ist der Weg nach Berenice, der Marine-Versuchsstation. Sie werden ihn noch benutzen, nehme ich an."
Das Portal des "Stardust-Hotels" bestand aus durchsichtigem Material, es schob sein gekrümmtes Maul schlürfend über den Strandboulevard, ähnlich dem Ansaugrohr eines Strahltriebwerks. "Ja, das ist seine Funktion." Clark lächelte pfiffig. "Ein paar solcher Aggregate halten die Wirtschaft in Schwung, die Insel lebt zur Hälfte vom Tourismus. Und jetzt der Schutzfilter, wenn Sie so wollen, mit dem das Triebwerk ausscheidet, was ihm schaden könnte."
Clark fand sicher, dass er Humor bewies. Ich überließ ihm die Formalitäten am Empfang und trat auf die Veranda hinaus. Sie war imposant und menschenleer wie die Halle. Ansaugen, ausfiltern, verheizen; der Gang der Dinge war bekannt – weniger im Hotelwesen, wo man es nie so bezeichnet hätte, als in solchen Behörden wie der, für die der Mann tätig war, hinter seiner lächerlichen Tarnung.
Ein Fenster stand offen, Wind fächelte herein. Unter mir Wellenschlag, das Wasser pechschwarz, nahe der Strandbeleuchtung balgten sich Köter im Sand, wie um mich an das Traumbild zu erinnern. Und endlich stieg mir, wohl aus den Hotelgärten, jener Duft in die Nase, den ich bisher vermisst hatte. Es roch nach Blüten, nach südlichem Meer.
Das Marineamt von Tyana sah friedlich aus, eine fast zivile Behörde, in der es verlässlich roch, steril, nach Bohnerwachs und druckfrischem Papier; ich fühlte mich gleich zu Hause. Es ist viel Beruhigendes am Wirken einer erfahrenen Beamtenschaft. Ein Mädchen begegnete uns, das einen Aktenwagen mit Teegeschirr schob. Draußen ein stiller Park, wie vor einer Heilanstalt, deren Patienten noch schlummern. Auf dem Türschild stand: Unterwasser-Medizin; der Wachsoldat folgte mir ins Vorzimmer. An der Wand, zwischen blaugrünen Bildern voller Segelschiffe, zwei prächtige Karten.
Ich stellte mich in den Luftstrom der Klimaanlage und betrachtete sie. Die eine zeigte den Indischen Ozean, gesäumt von fünf, sechs roten Sternen – bei Mauritius, Socotra, Aden, Madras weiter oben und rechts auf den Andamanen: Häfen mit Landerechten für die Sowjetflotte. In weitem Halbkreis lagen sie um unser Atoll Diego Garcia, wo, inmitten des Ozeans, neben dem Union Jack das Sternenbanner steckte. Eine dramatische Darstellung, die einem das Fürchten lehrte, machte sie doch klar, wie die 5. US-Flotte die Lücke zwischen der 6. Flotte im Mittelmeer und der 7. Flotte im Pazifik schloss. Und man sah auch gleich, dass der rote Aufmarsch diese Verbindung bedrohte. Das Weltmeer als Schachbrett atomarer Kräfte, welch ein riskantes Spiel.
Die zweite Karte bildete Paradise Island ab, der Umriss glich dem eines geplatzten Eies. Im Zentrum erkannte ich den Zivilflughafen Phoenix, eine Straße führte ostwärts weg, nach Tyana, ans Meer. Nördlich der Hauptstadt ein blauer Anker, die Marinebasis Berenice. Im Süden, auf einer lappigen Halbinsel, lag als blauer Kreis der Militärflughafen Marcus Field. An der Nordküste eine atomgetriebene Anlage zur Meerwasserentsalzung, die gleichfalls Sperrgebiet war. Im Westgebirge steckten Trainingscamps, Radio- und Radarstationen, unterirdische Öllager, Munitionsdepots, Raketensilos – wenn ich die taktischen Zeichen noch verstand. Soviel blaue Flecke, wo blieb da denn für die Touristen Platz?
Fregattenkapitän Scott war ein Riese in den Fünfzigern, mit starken Brauen und dem gesunden Teint des Seeoffiziers, der noch ein Bordkommando hat. Seine Augäpfel schienen aus blauem Eis zu sein, ein Marinetyp für Hollywood, ans Büro gebunden. Mit einer Handbewegung schickte er die Wache weg, bot mir Platz an und setzte sich hinter den Schreibtisch, der leer war bis auf ein Schiffsmodell, den Messinghalter für seinen Tagesplan, die Rufknöpfe und eine Garnitur aus schwarzem Alligatorleder. "Ich hab Sie so früh hergebeten, um mit Ihnen zu reden, solange Sie noch völlig neu hier sind." Seine Stimme drang aus der Tiefe des Brustkorbs. "Sie waren ein 'Schwarzer Delphin', der Beste Ihres Jahrgangs. Sie haben das Purpurherz, den Drachenfisch in Silber, das Unterwasserkreuz... Und Sie sind dabeigeblieben, haben mehr Erfahrung als der beste Nachwuchsmann, stimmt's?"
"Ich bin Industrietaucher, Sir."
"Und was machen Sie da, Mr. Wolfe? Hafenarbeit, den üblichen Bergungskram?"
"Was anfällt – von Wracks bis Leichen."
"Dann sind wir ja Kollegen. Schon mal was von der Vermisstenabteilung der Marine gehört? Ich war mal Chef vom Dienst. Mein erster Fall war Crabb... Gott, das ist ja dreißig Jahre her."
Scott stopfte sich die Pfeife, ich gab ihm Feuer. Nach meinem Gefühl war seine Leutseligkeit gespielt, er plauderte bloß, um mich einzuschläfern und dann zu überrumpeln – womit? Ein gefährlicher Typ, gönnerhaft, autoritär. Männern dieses Kalibers war ich oft genug begegnet. Nur dürftig verbirgt ihre Freundlichkeit die Härte, derer sie fähig sind.
"Lionel Crabb, der Froschmann ohne Kopf und Glieder", fuhr er fort. "Manch einer meinte damals, die Russen hätten ihn geschnappt. Aber ich hab ihn identifiziert, mit Hilfe seiner Frau. Ein schönes Stück Arbeit! Später allerdings ging's abwärts mit uns, da fielen dann zerstückelte Callgirls an – nichts für unsereinen."
"Ich hab eine Frau auch lieber im Ganzen."
"Hm –; ich bin also umgestiegen, wie Sie sehen."
"Auf Unterwasser-Medizin?"
Scott verzog keine Miene. "Auf Abwehr. Dies ist die Zentrale der Marineabwehr Südost. Sie dürfen den Mund wieder schließen. Ich bin für die Sicherheit unserer Streitkräfte da, gleich, ob auf See oder an Land. Die Insel ist jetzt ein bisschen unruhig, wir haben Ausnahmezustand, das wird Ihnen nicht entgangen sein. Steinwürfe, durchschnittene Kabel, sogar Sprengstoff..." Es rauschte an mir vorbei. Politik hat mich niemals aufgeregt. Die Streitkräfte, dachte ich, sind für unsere Sicherheit da, und Scott ist für die Sicherheit der Streitkräfte da. Alles schien an seinem Platz – welchen wies er mir wohl zu? Ich verwünschte den Tag am Ende meiner Dienstzeit, an dem alle "Delphine" im Rausch der Erleichterung und patriotischen Umnachtung zugestimmt hatten, sich im Fall eines Notstands dienstverpflichten zu lassen. Das Militär – immer auf dem Sprung, einen wiederzuholen – sieht ja gern das Vaterland in Gefahr.
"Es sind aber auch Profis am Werk", hörte ich den Kommandanten sagen. "Ich hab viel zuwenig Leute und bin froh über jeden alten Hasen, der sich nochmals zur Verfügung stellt. Sie, Mr. Wolfe, dürften heute nicht schlechter sein, als Lionell Crabb es damals war. Deshalb möchte ich Ihnen etwas übertragen, dem meine jungen Kampfschwimmer kaum gewachsen sind..." Er rollte eine Karte vor mir aus. "Das ist unsere Basis Berenice, und hier, unterhalb dieses Riffs, liegt in ziemlicher Tiefe 'June', unsere Versuchsstation für den Forschungskomplex U-Boot-Jagd. Passen Sie gut auf, ich erkläre es nicht zweimal."
Man sah auf den ersten Blick, dass Berenice weder ein Kriegshafen noch ein Versorgungsstützpunkt war. Die Bucht war nur zwei bis drei Faden tief, ein Teil fiel bei Ebbe trocken. Davor lagen Klippen, erst jenseits des Saumriffs stürzte der Seegrund steil ab. Allenfalls Kleinkampfmittel konnten von Berenice aus operieren.
"Wie Sie sehen", sagte Scott, "endet das Sperrgebiet gleich hinter 'June'. Wir dürfen die Sperrzonen ja leider nicht mehr ausdehnen. Das nutzt nun jemand aus, ein Mann mit amerikanischem Pass namens Victor: Angeblich taucht er nach versunkenen Karavellen oder Marmorfiguren. Nur sucht er seine Altertümer immer in der Nähe unserer Militärobjekte – steigt sehr rasch ab, geht in die Algen, entwischt der Ortung... Ich möchte, dass Sie ein Auge auf ihn haben."
"Was sagt das US-Konsulat zu ihm, Sir?"
"Wir haben es nicht gefragt. Seine Papiere sind in Ordnung."
"Die amerikanische Abwehr, hat die ihn überprüft?"
"Ein Spion vertritt selten das Land, aus dem er zu kommen vorgibt. Selbst wenn Victor Amerikaner ist, wissen wir noch immer nicht, für wen er arbeitet. Finden Sie's heraus, Mr. Wolfe!"
"Fregattenkapitän, Sie erwarten zuviel. Ich hab keine Ahnung, wie das zu machen wär."
"Aber wir. Verlassen Sie sich nur auf uns; wir bringen es Ihnen bei. Erst mal stellen Sie fest, wonach der Mann überhaupt bei uns sucht." Scott hatte jetzt ein Schriftstück in der Hand. "Sie bestätigen mir hier durch Ihre Unterschrift, über all das absolut zu schweigen... Danke. Damit sind Sie Geheimnisträger im Sinne des Nationalen Sicherheitsgesetzes. Also, mein Junge, an die Arbeit."
Es verschlug mir den Atem; er hatte mich glatt überfahren. "Ray Victor wohnt in Ihrem Hotel", hörte ich ihn sagen. "Treten Sie als Sporttaucher auf, versuchen Sie, sich ihm anzuschließen. Ein so geradliniges Vorgehen traut er uns kaum zu. Aber Achtung unter Wasser! Wir hatten schon zwei Mann auf ihn angesetzt, und die sind spurlos verschwunden!"
"Das heißt, Sir, ein Fall von Stufe M!"
"Wie bitte?"
"Gefahrenzulage. M wie 'maximal', nach dem letzten Tarifabschluss."
Scotts Oberlippe hob sich, als widere ihn das Gespräch nunmehr an. Er nahm die Pfeife aus dem Mund, ich sah, dass er ungemein lange Zähne hatte; selbst für ein so derbes Gesicht waren sie zu groß. "Ach, für Sie ist der Dienst ein Geschäft?"
"Nicht der Dienst nach Vorschrift." Ich hielt seinem Blick stand. "Als Gewerkschaftler fällt mir auf, dass Sie Extras wollen, Commander – ohne Rücksicht auf die Berufsregeln. Damit dieser Victor nicht nervös wird, geben Sie mir keinen Partner. Aber allein zu tauchen, das verletzt die Sicherheitsvorschrift..."
"Was erscheint Ihnen wichtiger, Ihre eigene Sicherheit oder die Ihres Landes?"
Eine der Fragen, mit denen sie einen gern weich klopften. Ich schwieg, ließ ihn die Antwort spüren. Er konnte so Außergewöhnliches nicht von mir fordern, ohne mit einer Prämie zu winken. Das dämmerte ihm wohl, denn er brummte: "Wie viel?"
"Hundert pro Tauchgang, nach M-Tarif."
"Sie werden von mir hören."
Ich stand auf, überzeugt, dass er damit 'rüberkam. Das war ihm mein Einsatz wohl wert. Wer gut bedient sein will, darf nicht geizig sein – und kam es etwa aus seiner Tasche?
"Alles weitere durch Mr. Clark. Sie betreten dieses Amt nicht mehr; das ist ein Befehl." Es klang, als erteile er mir Hausverbot wegen meiner Arbeitnehmer-Haltung, aber er folgte wohl nur den Sicherheitsregeln; jedem lag an seiner Sicherheit.
Das "Stardust" lag grün und gläsern undurchsichtig wie ein Eisberg in der Sonne. Ich war mit Clark zum Frühstück verabredet, im Morningside-Room, der dank des Spannbetons über die Brandung schwebte. Lampen und Löffel, alles Metall funkelte rötlich, aus dem Kupfer der Decke quoll Musik, Cliff Richard sang "Fall in Love with You". Ein Ort des Reichtums, der Elite; nur der Tarnung wegen war ich so einquartiert, als hätte man mich mit einem Admiral verwechselt. Doch es gelang mir nicht, das zu genießen. Der Eindruck des Verlassenseins und der Sorge untergrub meine Stimmung, als müsste irgendetwas schlecht ausgehen. Woher rührte dies? Von dem Auftrag, einem Spion nachzuspüren? Ich bezweifle, dass solche Gefühle leicht erklärbar sind; es scheint, sie kommen und gehen wie Ebbe und Flut.
Gleich ein paar Worte über dieses Haus. Sonst lebe ich weniger fein, der Kosten wegen und weil man Wracks selten nahe bei Nobelhotels findet. Mit Claudia fuhr ich in Herbergen, die nach Bratfett und Auspuff rochen. Manchmal nur traf ich's besser, wie damals, als es um den Haupttresor der "Andrea Doria" ging, die bei 200 Fuß vor der US-Ostküste liegt. Dort hatte ich Ritchie dabei, hier war ich allein, vielleicht nahm das mir den Spaß. Was nützt die ganze Pracht ohne ein Mädchen oder zumindest einen Freund? Alles ist vom Bett aus erreichbar, bedienbar, das bestmögliche Liebesnest, aber leer... Luxus kann Eindrücke steigern, es ist, als mache er einem das Herz leichter oder auch schwer. Ich fühlte mich ein bisschen wie ein herrenloser Hund.
Nahe dem Speiseband, das in festem Rhythmus zehn, zwölf Gedecke anbot, erwartete mich Clark. Er wollte mir Victor zeigen. Ein Taucher steht zeitig auf, die Helligkeit im Wasser steigt mit der Sonne, jeder lange Abstieg sollte vormittags beginnen, nach gehöriger Stärkung. Aber statt zu überlegen, wie Victors Bekanntschaft zu machen sei, fragte ich nach Mädchen, naiv wie ein Tourist. Da wird sich gar nichts tun, hatte Ritchie mir vorm Abflug erklärt – Mohammedanerinnen, verschleiert und bewacht... "Stimmt es, dass man sie einsperrt?" "Nicht ganz. Die wenigsten Männer können sich einen Harem leisten. Ein Mädchen kriegen Sie hier im Haus, von zwanzig Pfund an aufwärts. Außerhalb – Hände weg. Da endet das oft tödlich."
"Ach, ich passe schon auf."
"Tödlich für die Frau, Sir. Ein Mädchen, das vor der Ehe seine Jungfräulichkeit verliert, wird leicht vom Vater getötet."
"Mord?"
"Die Regierung verfolgt so was nur lasch, sie kommt schwer an gegen uralte Sitten. Besser, man verschluckt seinen Stolz und zahlt. Sie können es sich leisten." Bei diesen Worten entfaltete Clark Papiere – ein Vertrag für mich mit den Durchschlägen für das Marineamt. Schnelle Arbeit! Es stand genau die Summe drin, die ich verlangt hatte. Er ließ mich fünfmal unterschreiben. "Scott ist ja wie ein Vater zu mir", sagte ich in das glatte Lächeln hinein, das Clark aufgesetzt hatte.
"Es freut mich, Sir, dass Sie ihn überzeugen konnten."
Ich steckte das Original ein und fühlte mich schon besser. "Lassen wir den 'Sir'. Sie können mich Danny nennen."
"Ich heiße Tom..." Ganz nüchtern kam Clark zum Geschäft, er gab mir Fotos von Victor: ein Mann um die fünfundvierzig, wuchtig, etwas fett. Dieses Gesicht! Schon der Name hatte mich von fern an etwas erinnert, doch es war ein Dutzendname, erst über den Bildern dämmerte mir, woher ich ihn kannte. Aus der Fachzeitschrift, auf die ich abonniert war. Ray Victor, ein Star der Unterwasser-Archäologie, er musste es sein.
Clark bestätigte das. Er hatte den Lebenslauf des Mannes beschafft und sagte ihn her. Victor, Sohn eines Polarforschers, hatte in Havard alte Geschichte studiert, war Torwart der Universitätsmannschaft gewesen und dann Assistent am Institut für Hydroarchäologie in Princeton. Vor der libanesischen Küste hatte er eine Ruinenstadt entdeckt und sich einen Namen gemacht. Später leitete er das Komitee für Altertumsforschung im Weltverband der Taucher (Confédéracion Mondiale des Activités Subaquatiques). Er war dermaßen prominent, dass ihm kaum eine Regierung die Taucherlaubnis verweigerte. Deshalb, meinte Clark, habe man ihn nicht unauffällig abschieben können. Auch sei die Insel fast souverän, Großbritanniens Hoheitsrecht auf die Sperrzonen beschränkt. Man werde den Mann halt nicht los, ohne ihn in flagranti zu ertappen.
"Ertappen? Vergessen Sie's. Der ein Spion? Niemals, bei seinem Ruf als Wissenschaftler und den Tieftauch-Rekorden!"
"Eben, die Rekorde..."
"Da kennen Sie uns aber schlecht, Tom. Spionage, dazu gibt so ein As sich nicht her."
"Es scheint eher eine Geldfrage. Kaufen lässt sich jeder."
In meinen Ohren klang es, als spiele Clark auf den Vertrag an, den wir gerade geschlossen hatten. Aber man tut gut, Zweideutiges zu überhören. "Wie lange verdächtigt ihr ihn schon?"
"Er ist seit einer Woche im Visier."
Das reizte mich nun doch, manchmal bin ich sensibel. Das Wort ließ an Filmszenen denken – ein Mann im Fadenkreuz des Zielfernrohrs –, an die Bereitschaft zur Gewalt. Aber Clark rückte das Bild zurecht: Scotts Büro gehöre nicht zu den Nachrichtendiensten, die vorschnell zur Waffe griffen; selbst wenn es eigene Leute verliere, wie das der Fall gewesen sei.
"Sehr tröstlich."
"Es gibt solche Geheimdienste, Mr. Wolfe. Aber letzten Endes ist das auch keine Lösung."
"Schön, dass Sie so denken, Tom."
"Jeder weiß, solche Dinge kommen meistens heraus. Selbst die missglückten Anschläge auf Castro, geplant mit Leuten der so schweigsamen Mafia, sind bis ins Detail bekannt geworden: Kontaktgift im Taucheranzug und so fort. Was sehr peinlich gewesen ist. Heute erteilt nicht mal die CIA mehr unbesonnen Mordaufträge; sonst wüssten wir es. Sie dürfen ganz beruhigt sein. Undenkbar, dass die Herren vom Marineamt etwas Derartiges erwägen. Das bekäme nämlich keinem. Man bringt es nicht zum Fregattenkapitän, ohne zu wissen, was Vorsicht im Dienst bedeutet."
Ich hörte stumm zu, von der Sache kaum berührt. Für mich blieb es Konversation – Gerede, das das Warten verkürzt. Später erst ging mir auf, dass Gewaltanwendung hier gar nicht verworfen wurde; sie galt bloß als unzweckmäßig. Die Abwehr hielt nichts davon, aus technischen Gründen, ähnlich wie die Konkurrenz. Es kam zu oft heraus und schadete dann der Karriere.
Natürlich blieben die Unglücksfälle. Meine zwei Vorgänger, die Scott erwähnt und auf die auch Clark eben angespielt hatte. Victors Tiefe oder sein Abstiegstempo mochten zuviel für sie gewesen sein, sie waren vielleicht erstickt und ins Meer hinausgetragen worden. Nun, das ängstigte mich nicht; ich war gut bis zu den sagenhaften tausend Fuß. Gewiss, die Folgen eines Unglücks und die eines Angriffs sehen sich da ganz ähnlich, wenn nicht gerade die Atemschläuche durchschnitten sind, wie es der Film gern zeigt. Aber den Gedanken schob ich weg, Victors Name schloss ein Verbrechen aus.
Trotz der Fotos verblüffte mich sein Auftritt. Victor kam behände, massig und grell – irgendetwas blitzte an ihm –, mit den sparsamen Bewegungen einer Robbe; sein breites Kreuz verdeckte eine Begleiterin. Der Haarschnitt, der freche Schlips oder die blauen Hosen verjüngten ihn auf etwas forcierte Art. Ein bewusster Effekt, fand ich, als Victor sich setzte. Das Geschöpf neben ihm war jung und zart, eine leicht exotische Erscheinung. Heller Teint, große dunkle Augen, langes glänzendes Haar – ja, ich war ganz geblendet. Um ihre Schultern lag ein Seidentuch, fantastisch gemustert, das die klaren Linien des Gesichts unterstrich.
"Eine US-Reporterin namens Conway", sagte Clark. "Sehen Sie lieber nicht so hin. Begleitet ihn seit drei Tagen..."
Ich verbarg meine Neugier hinter der "Paradise Mail", dem einzigen Blatt der Insel. "Für mich bitte nur Tee", hörte ich Miss Conway sagen, sie schien auf ihre Figur zu achten – nun, darauf achtete ich auch schon die ganze Zeit. Victor bediente sie vom Band, er gewann in meinen Augen; ein bemerkenswerter Mann. Er hatte da ein Mädchen aufgepickt, um das er zu beneiden war. Sport, Wissenschaft und Spaß, er tat sich überall hervor. Spion konnte er nicht auch noch sein, es wär zuviel gewesen. Ich hätte mich gern ohne Arg mit ihm angefreundet. Leider wurde von mir anderes erwartet.
Über den Zeitungsrand hinweg sah ich ihn zur Serviette greifen. Er betupfte seine Lippen, schien sich zu entschuldigen und stand auf. Im selben Moment stieg ein unerklärliches Geräusch aus dem Murmeln der Brandung, bis hoch an die Decke; es war, als klirrten dort die Kupferplatten mit. Ein Hauch von Nervosität wehte durch den Saal. "Die Studentendemonstration wird aufgelöst", sagte Clark, stets von allem unterrichtet. "Man bläst Schlafgas ab – ein harmloser Typ, der unsere Liebesfähigkeit stärkt. Die Regierung geht sanft zu Werke, sie will lautlos beschwichtigen... Alles träumt jetzt schön vor der Universität."
"Was treibt sie denn den ganzen Tag?"
"Wer, die Regierung?"
"Dieses Mädchen da."
"Anja Conway? Reist umher und schreibt über den Aufstand."
Der dürre Wortwechsel bezeugte meine Verfassung, es zog mich zu Miss Conway hin; übrigens durchaus gegen mein Gewissen. Gestern noch hatte ich Claudia zum Abschied geküsst, wie konnte ich mich schon einer anderen zuwenden? War es gescheit, jede Frau auf das Maß an Glück abzuschätzen, das sie einem bringen mochte, nur damit einem nichts entging und man zuletzt nichts ausgelassen hatte? Und wie eigentlich beginnen? Ich trat an die Panoramawand, vor dem Riff lief jemand Wasserski, im reflektierenden Glas sah es aus, als flitze er auf Anja Conway los. Es gab keine Tischtelefone wie im Mascot-Tanzpalast von Southampton. Sollte ich ihr auf dem Speiseband eine Botschaft senden?
Aber da ging ich schon selber auf sie zu, unaufhaltsam, in gefiltertem Licht, denn die Jalousie sank, von der Sonne berührt, automatisch herab. Ich bewegte mich wie in Trance, und die innere Stimme schwieg. Es muss ein Anfall gewesen sein, bewirkt durch dieses Gas, das dank einer Winddrehung, wie dann herauskam, in die Klimatisierung des "Stardust" eingedrungen war. Miss Conway sah ganz entspannt ins Leere, jetzt blickte sie zu mir auf. Ich selbst war noch verdutzter als sie und hatte keine Ahnung, weshalb ich dastand und etwas so Sinnloses tat, wie meinen Namen zu murmeln und ihr Tee nachzugießen. "Wir kennen uns nicht", hörte ich sie sagen, "aber es ist nett, dass Sie das tun."
Manches Seltsame umgab uns. Der Boy, der nebenan das Geschirr wegräumte, sank auf einen Stuhl, den Mund zum Kuss gespitzt. Zwei Offiziere liebkosten einander in einer Weise, mit der sie ihren Ausschluss aus der Armee riskierten. Eine Greisin lächelte selig, jemand umarmte ihre Beine... Nur das Speiseband lief korrekt, mit all den Gedecken, die keiner mehr nahm. "Miss Conway, achten Sie nicht darauf", kam es mir von den Lippen. "Einfach nicht hinsehen! Wir halten uns da ganz 'raus." Es war meine Pflicht, sie vor dem hässlichen ringsum zu beschützen. Eine magische Kraft hatte mich zu ihrer Rettung an diesen Tisch geführt!
Dies ist das Letzte, dessen ich mich klar entsinne. Die Sache ist dann noch ausgeschmückt worden von jenen, die das Gas etwas später traf oder die, wie der Hotelarzt Dr. Ibrahim und sein Personal, Schutzmarken trugen. Tom Clark, nur zehn Schritte abseits, doch auch schon gelähmt, sagte mir, ich hätte Miss Conway versichert, Taucher zu sein, und zwar der tiefste, was sie gut aufgenommen habe ("Ich liebe Taucher" – "Mein Leben lang hab ich nach dir getaucht") und solchen Schwachsinn mehr. Von Ray Victor, der aus dem Waschraum zurückkam, stammt die boshafte Version, ich hätte von der anderen Seite des Speisebands aus versucht, seine Dame zu umarmen, und sei dabei auf das Band hinabgeglitten, so dass die Tabletts sich an mir stauten; ein Wasserfall aus feinstem Porzellan. Beim Absturz des Geschirrs sei ich mit dem Ruf hochgeschreckt: "Alles wird gut auf Paradise Island, weil du so sexy bist." Wohl um mich restlos madig zu machen, fügte er hinzu, ich hätte dabei den Bauch einer Teekanne getätschelt. Andere Zeugen haben dem deutlich widersprochen. Auch namhafte Leute sind eben nicht frei von Klatsch- und Eifersucht; ich nahm es ihm nicht übel, dass er in mir gleich einen Rivalen sah.
Trotzdem, es ist ein Fehlstart gewesen, das künstlich aufgeputschte Verlangen hat meinen Auftrag gefährdet, jedenfalls den Kontaktwunsch enthüllt. Chemische Kriegführung, das Eros-Gas zählt ja dazu, scheint eine ziemlich zweischneidige Waffe. Wie oft durchkreuzen die Mächtigen der Welt derart ihre eigenen, höchst abgefeimten Pläne!
Good morning, Sir. Was für ein köstlicher Tag! Und ein neuer Start für Sie auf der Paradies-Insel. Was möchten Sie heute gern erleben? Wählen Sie null-drei, unser Service berät Sie beim Plänemachen. Zuerst die Entspannung im Bad? Schaumduschen und Duftfontänen erwarten Sie dort, zur Fitness und Behaglichkeit. Drücken Sie null-vier, und Sie hören die Musik Ihrer Träume..."
Unerbittlich drang die Stimme auf mich ein, weiblich-rau, im Ton penetranter Verheißung. "Der Massageautomat bringt Sie in Form für jede Art Vergnügen. Gehen Sie locker in den Tag! Der Küchenchef nimmt Ihre Wünsche auf null-fünf entgegen. Der Speiseaufzug ist gleich neben Ihnen, das Fernsehen zu Ihren Füßen. Es kann Ihnen außergewöhnliche Filme zeigen. Die Bilder unserer Girls und Boys erscheinen auf dem Oval, wenn Sie null-sechs drücken. Über null-sieben sind Sie mit dem Partner-Dienst verbunden und können ordern, mit wem Sie ein bisschen Zeit verbringen wollen. In Ruhe wählen, für glückliche Stunden: man lebt doch nur einmal... Ach ja, tun Sie hier all das, was Sie schon immer mal tun wollten, werden Sie Playboy auf Zeit! Unser Haus ist Ihnen gern dabei behilflich."
Jetzt begriff ich, nicht das hatte mich geweckt, diese suggestive Frauenstimme. Vielmehr wurde mein Kopfkissen sanft und beharrlich bewegt, eine Automatik, die mit dem Bildschirm am Fußende gekoppelt zu sein schien. Das Mädchen dort zwinkerte mir zu. "Oder langweilt Sie Sex?", frage sie – wider Willen fühlte ich mich versöhnt, von ihr verstanden. "Möchten Sie ausgehen? Wellenreiten, Golf oder ein Motorboot, all das beschafft Ihnen der Portier. Leisten Sie sich jetzt, worauf Sie oft verzichtet haben, genießen Sie Ihr Leben. Ist Ihnen aber nach Einkehr zumute, nach Besinnung auf die Quellen unseres Seins, die Bibel liegt rechts von Ihnen. Und sollten Sie Kummer haben, der Hausgeistliche, Pastor Taft, hält sich zu Ihrer Verfügung. Mit dem Arzt Dr. Ibrahim sind Sie über null-acht verbunden, mit Unterhaltungs-Master Maurice durch null-neun. Ereignis-Dirigent Maurice bietet Ihnen gesellige Treffs wie auch Naturabenteuer in reicher Auswahl. Entdecken Sie mit ihm die Schönheit der Insel, freuen Sie sich des mild durchfächelten Morgens unter Palmen und Orchideen, lassen Sie den Alttag im Schaum des Ozeans zurück!"
Ich spürte einen Anflug hypnotischen Behagens und kam erst hoch, als das Girl vom Schirm verschwand. So also lebte es sich mit einem Sack voller Geld. Alles ringsum war geschmackvoll und bequem, wie in einem Nervensanatorium für Millionäre. Doch nun erschien Tom Clark auf der Mattscheibe, er bat mich, ihm zu öffnen, der Knopf sei gleich am Bett. Agil trat er ein, silbergrau und dienstlich, mit dem Gruß "guten Abend". Ja, das stimme, die Sonne versinke, man habe den Weckruf eigens vorgestellt, damit für die geschädigten Gäste der Tag nicht ganz verloren sei. Die Gaswirkung nämlich halte allenfalls zehn Stunden an. "Wie haben Sie denn geträumt?"
"Danke; bin restlos bedient." Ich ging an ihm vorbei ins Bad. "Der ganze Liebeskram steht mir bis hier!"
"Das gibt sich, Mr. Wolfe. Dauernde Abneigung tritt nicht ein, sagt der Stab."
Vielleicht wusch der Schaum das weg, was an schwülen Bildern in mir war. Alles Weibliche, ja jede Art Erotik widerte mich an. Dauernde Abneigung, hoffentlich nicht; lieber gegen die, die solch ein Gas fabrizierten... Ich überließ mich den Saugnäpfen, Bürsten und Bändern des Massagegeräts, wie von dem Weckruf empfohlen.
"Eine Chance bleibt uns", rief Clark durch das Gesumm. "Victor ist unten in der Bar."
"Gift für ihn! Qualm, Whisky, Frauen – so was drückt die Leistung."
"Gelegenheit für ein Gespräch von Mann zu Mann."
"Der Vertrag verpflichtet mich nur unter Wasser."
"Nun, die Bar liegt unter Wasser."
"Ohne mich. Nacktes Fleisch da..."
"Sie müssen ja nicht hinsehen; bloß an die Männer halten. Victor ist einer, der Mixer auch."
Zwecklos, man kam gegen Clark nicht an. Einer der Apparatschiks, die jede Behörde braucht und von denen sie dies verlangt: Fügsamkeit nach oben, Durchsetzungskraft nach unten, fachliche Kompetenz. Und zwar in dieser Reihenfolge; es ist überall dasselbe... Als ich fertig war, gab er mir einen hübschen Kugelschreiber, so ein silbriges Ding, wie es auch ihm in der Brusttasche steckte. "Das schickt Ihnen der Commander, soll Ihre Stimmung heben."
"Ist das euer Clubabzeichen?"
"Ein Geheimtelefon, Mr. Wolfe. Man hält gern die Hand über seine Spitzenkräfte." Er schob mir den Stift vorn ins Hemd. "Ihr Schutzengel! Bewahrt Sie vor Pannen."
"Und hört alles mit?"
"Sie sind eben zu wertvoll, als dass Sie stolpern dürften."
Der Stift war auf Empfang geschaltet, man nahm mich also an die kurze Leine. Da half kein Sträuben, sie wollten Aktion sehen, Ergebnisse möglichst! Wir trennten uns an den Fahrstühlen. "Gut sein da unten", bat Clark. "Ich bin doch für Ihren Start verantwortlich."
Es lockte mich, das Ding auszuprobieren, solange der Lift leer war. Ich drückte den Clip, die Sprechtaste für die anderen. "Hört ihr mich? Wisst ihr, wo ich bin?"
"Jederzeit", schnarrte es an mir. "Momentan im Abwärtslift."
Etwas trieb mich dazu, den Lift anzuhalten – ich schickte ihn hinauf. Es kam kein Protest, die Stimme schwieg. "He, nicht abschalten!"
"Wir schalten niemals ab."
"Sitzt du für mich da, Kamerad?"
"Ich und ein paar andere."
"Wenn du dienstfrei bist, sehen wir uns mal."
"Es reicht, wenn wir Sie sehen. Genug jetzt, umkehren! Unten ist die Bar."
"Gib mir mal den Chef."
"Bitte keinen Unfug, Sir..."
Mir missfiel dieser Ton, und während ich nach der elektronischen Kamera suchte, die da versteckt auf mich gerichtet war, langte der Lift am Dachgarten an. Ich ließ die Tür zurollen, ehe jemand einsteigen konnte, drückte auf "3. Tiefgeschoß" und fuhr wieder hinab. "Hier spricht der Assistent des Commanders", quakte es aus meinem Hemd. "Hören Sie, lieber Mann, ich darf Ihnen bewusst machen, dass Sie das Vertrauen genießen, in einem Spezialauftrag zu handeln."
Es klang recht arrogant, auch ein bisschen furchterregend. Vermutlich schüchterte mich nur die neuartige Technik ein. "Dies ist eine Sprechprobe, Sir", erklärte ich defensiv. "Ich muss schließlich wissen, ob..."
"Weiter kein Kommentar. Steigen Sie aus, nehmen Sie Fühlung mit dem Ziel; Ende." Der Lift bremste sanft, trotzdem ging ich in die Knie. Unschön, wie man mir das Wort abschnitt. Ich hatte den Einspruch verschluckt und würgte daran herum.
Der Nightclub war voller Touristen, auch Einheimische ohne Anhang und britische Offiziere in Zivil – man erkannte sie leicht – hielten die Stellung. Es gab vier, fünf Räume: den Dining-room, in dem man Fasanen, gebackene Muränen und Bambusschößlinge aß; das Spielkasino "Doble o Nada"; den "Halfmoon Supper Club" mit befrackten Kellnern und Schwärmen goldener Vögel an den schwarzen Wänden; das Purpurzimmer, in dessen Mitte sich ein Mädchen, rot überhaucht, zur Gitarre auszog; und die "Wonder Bar", in die ich mich vor dieser Darbietung rettete. Augen zu und an England denken! Immer führten Stufen abwärts in den nächsten Raum, nur zur Bar ging es hinauf. Der Nightclub folgte dem Meeresboden, der abschüssigen Halbmond-Bucht, die "Wonder Bar" aber schien in eine Klippe getrieben, ihre Wände waren aus Fels bis auf die Panoramascheibe – gewölbtes Glas, an das sich der Ozean presste.
Es nahm mir den Atem. Ich schwang mich ans Ende der Bar, vergaß den Spezialauftrag und spähte hinaus. Da war es, das Meer, bald würde ich es schmecken und spüren. Nur wer das nördlich graue Wasser und den Hafendreck von unten kennt, fühlt das nach! Ein grünblauer Traum. Zwanzig Yards Sicht – wie erst bei Sonne, wenn die Farben noch stimmten. Ich berührte das Panzerglas, das mich von dieser Welt trennte. Scheinwerfer rissen den Osthang des Riffs aus der Finsternis, bis zu dem Absturz in rätselhafte Tiefen. Da ein Pulk Schwalbenschwänzchen, sie glitten furchtlos durch das Licht, als hätte noch keiner sie gejagt. Schroff sprang der Meeresboden aus dem Nichts, mit Korallen übersät und von farnähnlichen Algen bewachsen; ihre Fächer wehten in der Dünung. Zwei Zahnbrassen umkreisten einen Fels und verschwanden im Farnwald. Blasen perlten, Fetzen der Schaumkette wohl, die hoch oben die Klippen säumte. Die Brandung war matt, man hätte sie gar nicht gehört, doch wurde ihr Klatschen – für die Snobs ringsum – durch Lautsprecher hereingespielt. Dort ein Zebrafisch... Ich wünschte mir Ritchie her, der mehr davon verstand.
Der Mixer stellte einen Highball hin. Mich fesselte ein hässlicher Fisch, er hatte einen breiten Kopf und glotzte trüb herein. "Kennen Sie den?"
"Ein Bultong, Sir. Kommt meist um diese Zeit vorbei. Er schmeckt auch gut, auf Zitrone... Aber wenn Sie nach ihm greifen, pumpt er sich voll und wird groß wie ein Fußball, mit aufgerichteten Stacheln."
"Schon versucht? Sind Sie mal getaucht?"
"Nicht nach Fischen. Nach Gold, wie jeder hier. Vor der Barriere liegt ein Dutzend vermoderter Portugiesen und Holländer; aus der Zeit, als es kein Leuchtfeuer gab. Mit allen Schätzen Afrikas, Indiens und Chinas an Bord!"
Ich nickte, das war ja klar gewesen. Wo ich hinkam, lagen immer Wracks. "Und, kommt man da 'ran?"
"Wir haben's nicht geschafft, Sir. Ich meine uns Jungen aus Tyana. Wir hatten nicht mal eine Aqualunge und schon gar kein Dynamit. Die Reste sind zugewachsen, man muss Korallen wegsprengen... Aber wir wissen, wo was liegt."
Wie jeder Taucher, der von versunkenen Schätzen hört, glaubte ich fast nichts. Es gab sie natürlich, doch wer da mehr wusste, der hielt den Mund. Sicher ein Märchen der Hotelleitung, die Prise Romantik zu dem teuren Bau. Wenn ich Ray Victor damit kam, ihm etwa vorschlug, Goldbarren zu heben, würde er mich keinen Augenblick ernst nehmen. Obwohl die albernste Schatzsuche immer noch gescheiter war als das, was der Stab ihm da unterstellte. Der Schatztaucher hat ein klares persönliches Ziel, als Spion wird man eher selbst zur Zielscheibe... Die Eiswürfel klirrten leise. Trank ich zu schnell? Mir wurde etwas warm dabei.
Die Einheimischen hatten also Wracks entdeckt. Jungs, die tauchten, gab es überall. Bei mir hatte es ähnlich angefangen, mit einem Schatz, mit Filmen und Meldungen. Ich besann mich noch auf Berichte, die von der "Lutine" handelten, einer britischen Fregatte aus dem Jahre 1799, deren Fracht nie gehoben wurde, obschon sie in flachem Wasser lag. Das 900-Tonnen-Schiff war vor der holländischen Küste versunken, mit 280 Mann, 32 Kanonen und einer Million Pfund Sterling in Gold und Silber. Hamburger Kaufleute hatten in London eine Anleihe aufgenommen, sie glaubten die Ladung an Bord eines Kriegsschiffs sicher, doch ein Sturm warf es zwischen die Inseln Vrieland und Terschelling; weißer Treibsand umfing das Wrack. Manches wurde später zwar geborgen, Eichenplanken, Kupferbeschläge, Zwölfpfünder, sogar ein paar Goldbarren und auch die Schiffsglocke; sie hing bei Lloyd's, wo man sie läutete, wenn ein versichertes Schiff überfällig war. Über der Masse des Schatzes jedoch wuchs der Sand von Jahr zu Jahr, die Nordsee hielt ihre Beute fest.
Und damit hatte das begonnen, was ich heute tat. Ich fuhr jedes Wochenende ans Meer und trat den Skin Divers bei. Die Ausrüstung war teuer, ich riss mich um Überstunden, gewöhnte mir das Rauchen ab und den Mascot-Tanzpalast. Schließlich ging ich zur Marine, wegen des technischen Standards: Sprechfunk unter Wasser, Ultraschallortung und Versuche mit Delphinhaut, besser als Neopren, ein Kunststoff, der faltenlos anlag und das Marschtempo steigerte. Die Kampfschwimmer waren den Sporttauchern um ein Jahrzehnt voraus. Sie hatten Gasdruckflaschen aus Pyroceram, einem beim Raketenbau erprobten Glas-Keramik-Werkstoff, der tausend Atmosphären Druck aushielt. Mit einem so hoch komprimierten Helium-Sauerstoff-Gemisch erreicht man enorme Tauchzeiten und extreme Tiefen, wenn die Gaszusammensetzung elektronisch gesteuert und der Tauchtiefe angepasst wird... Spaß machten mir auch der Hochfrequenzlehrgang und der Unterricht in Zoologie, Geologie und Höhlenforschung. Es war nicht übel, nachts mit dem Hydrophon auf der Lauer zu liegen und aus tausend Unterwasserlauten menschliches Schwimmgeräusch oder fernes Schraubengesurr herauszuhören. Ich hasste nur die Rangerausbildung, auf die so viel Zeit verschwendet wurde – Fallschirmsprünge mit Tauchgerät, Sabotagetraining und Nahkampf unter Wasser. Aber man war der Gruppenbeste, mit den Auszeichnungen und Soldzulagen. Und dann die tosende Abschlussfeier, Trompetengeschmetter und Riesentorte, der Vermerk in der Entlassungsliste, das Gemunkel um Wiederverwendung.
Ehrenvoller Abschied. Als ich aber zurückkam nach Southampton, sah alles anders aus. Meinen Platz im Betrieb hatte ein Automat bekommen. Achselzucken, Bewerbungen, Anstehen nach Unterstützung; endlich die Chance, Industrietaucher zu werden, etwas, wovor die Roboter noch haltmachten. Der Hafen war nicht besser als die Bohrinsel vor Schottland, ein Unterwasser-Schrottplatz mit Bomben im Schlamm. Und gerade an dem Tag, an dem mangelnder Arbeitsschutz mich fast umgebracht hätte, besuchte mich Ritchie. Strahlend saß er da, mit seinen Geschichten vom Süden, denn er hatte das Glück gehabt, bei der Royal Dutch Shell geologischer Taucher zu werden. Im Urlaub zogen wir dann los und wühlten auf eigene Rechnung. Der Fund auf der "Andrea Doria" machte uns so bekannt, dass einige Aufträge folgten. Trotzdem, unser Team stand noch am Anfang, als die Marine sich auf mich besann.
All das ging mir im Waschraum durch den Kopf, ein Unwohlsein trieb mich hin. Dieses Kribbeln auf der Haut kündigte sonst einen Dekompressionsunfall an, Stickstoff im Blut, wie konnte Whisky so wirken? Plötzlich schreckte ich auf. "Keiner will Sie drängen", plärrte es unter meinem Kinn. "Aber so kommen wir nicht ans Ziel. Sie vertun Ihre Zeit. Victor sitzt fünf Plätze neben Ihnen, sprechen Sie ihn an."
"Ich soll ihn an diesem Ort stören?"
"Er sitzt an der Bar, mit seiner Dame. Haben Sie ihn denn nicht bemerkt?" Es war eine andere Stimme als vorhin, soweit die Tonqualität eine Unterscheidung zuließ. Die Burschen lösten sich ab, für mich gab's keine Pause. "Entschuldigen Sie sich bei Miss Conway für den Vorfall von heute früh, das wär schon ein Ansatzpunkt."
In mir regte sich Widerstand, ich fühlte mich gegängelt. Nur rücksichtslose Menschen belästigen einen auf der Toilette. "Von wo sprechen Sie überhaupt?"
"Was tut das zur Sache?"
Eine Gegenfrage, keine Antwort. Wir gerieten schon wieder aneinander. Sekundenlang fühlte ich mich versucht, den Zauberstift im WC wegzuspülen. Na, das war auch keine Lösung.
"Schluss! Immer kurz fassen. Viel Erfolg jetzt..."
So treibt der Gong einen Boxer zurück in den Ring. Ich trollte mich, mir war flau. Oben sah ich die zwei, sie wandten mir den Rücken zu. Ein seltsames Paar, ganz mit sich und den Drinks beschäftigt. Victor hing an der Bar wie ein gestrandeter Wal, Miss Conway auf dem hohen Hocker neben sich, als bizarre Beute. Sie trug einen geschlitzten Rock über der schillernden Seidenhose, die an den Knöcheln schloss, ein unbegreiflicher Aufzug. Unfassbar, was mich an ihr erregt hatte. Der Reiz war dahin, es fiel mir leicht, sie um Verzeihung zu bitten.
"Ach, das kleine Malheur?" Miss Conway blieb kühl. "Da trifft Sie wirklich keine Schuld." Der Zwischenfall hatte sie gar nicht berührt. Sie war es wohl gewohnt, dass man versuchte, mit ihr zu flirten. Und es schien ihr egal, als sei – auch ohne solches Gas – jede Annäherung bloß das Ergebnis einer Laune, eines Irrtums unserer Einbildungskraft. Oder spiegelte sich da meine eigene Skepsis in ihren dunklen Augen? Für mich war der ganze Zauber, der Liebe hieß, etwas Ätherisches und Ungewisses, ein Hauch, selbst wenn er nicht immer so schnell verflog wie hier.
Sehr gelassen stellte sie mich ihrem Begleiter vor. Victor hatte ein kurzes Lächeln für meine Bemerkung, ich kenne ihn aus der Fachpresse und sei über die Begegnung froh. Sein Gesicht wirkte maskenhaft, er trank geeiste Kalbsbrühe mit Wodka, ein Gesöff, das ihn benebeln musste. Wie wohl jeder Star verlor er aus der Nähe an Glanz. An ihm glänzten nur eine Brücke im Oberkiefer, wenn er sprach, und die goldene Fledermaus am Revers, das Abzeichen der Unterwasser-Höhlenforscher (und Signal seiner Eitelkeit). Ein Zweizentnermann mittleren Alters, halb dösend, unbeweglich, abgeschlafft – falls sich dahinter nicht doch Wachsamkeit verbarg.
Nun stockte das Gespräch, Zeit für mich, auf meinen Platz zu gehen; unverrichteterdinge. Ratlos stand ich zwischen den zwei Hockern, kippte meinen Logan-Whisky aus dem Hause White Horse, Glasgow, Scotland; doch die einzige Wirkung war Sodbrennen. Aus, der Faden riss, Whisky half mir nicht. "Man erzählt hier viel von Gold in uralten Wracks", brachte ich gerade noch heraus. "Finden Sie, Mr. Victor, man sollte dem nachgehen?"
"Sporttaucher, wie? Und reich werden wollen Sie auch?"
"Das will doch jeder, Sir, der es noch nicht ist."
"Hören Sie, mein Freund, für mich ist das Geschwätz. Kein Grund zu glauben, dass es irgendwas bedeutet. Rund um die Insel hat Ihre Marine das Feld abgekämmt"
"Kaum anzunehmen, dass sie Schatzsuche betreibt."
"Wer weiß denn, was die alles treibt... Schaffen Sie überhaupt zweihundert, dreihundert Fuß?"
"Ich hoffe schon. Doch, ich bin fast sicher."
"Na gut. Wenn Sie Lust haben, zeig ich Ihnen da unten mal Besseres als Ihre Goldbarren."
"Mit Ihnen zu tauchen – ernsthaft, das bieten Sie mir an?"
"Ein Partner ist stets willkommen; Miss Conway dreht bei hundert Fuß meist um. Sie können es sich ja in Ruhe überlegen."
"Was gibt's denn da zu überlegen?"
Etwas hastig griff ich zu, konnte es ja kaum fassen. Ging das nicht zu glatt? Immerhin empfing ich den amtlichen Segen. "Gut gemacht, weiter so", quakte es an meiner Brust, sobald ich allein war. "Immer 'ran, den Rest tun wir, besorgen die Ausrüstung..." Und so fort mit professioneller Zuversicht, dem Schneid unserer Seeoffiziere. In mir aber nistete der Argwohn, Victor habe Verdacht geschöpft und wünsche den Tauchgang nur, um sich über mich klar zu werden.
Noch am Vormittag wär es mir nicht eingefallen, so von ihm zu denken. Verdecktes Vorgehen schafft eigene Sorgen, Misstrauen ist der Preis unserer Raffinesse. Die Abwehr muss ganz zerfressen davon sein. Der Glaube an Anstand und Lauterkeit bleibt bei dem Job als erstes auf der Strecke.