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Die unter dem Pseudonym genannte Emilie schrieb mit 15 Jahren die ersten, fantasievollen Kurzgeschichten und brachte später einen spannenden Krimi auf den Markt. Ellen schrieb viele lesenswerte Lebenserinnerungen im Rahmen von Beiträgen einer Senioren-Geschichtswerkstatt nieder. Drei stehen hier zur Auswahl. Horst Reiner Menzel betätigt sich im Ruhestand als Autor und Aphoristiker. Resi drückt sich gerne bei ihren Gedichten in alemannischer Mundart aus, widmet sich durchaus gerne aber auch in Hochdeutsch anderen Themen zu. Der Autor gibt in Kurzgeschichten drei urbadische Typen wieder.
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Seitenzahl: 166
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Unkluges Grauhörnchen
Brieffreundschaft – Eine kleine Liebesgeschichte
Kurzgeschichte zur einstigen chinesischen Ein-Kind-Politik
Entflammt
Sehnsucht nach Rache – Ein Krimi
Zeit der Veränderung
5.1 Zukunftswünsche
5.2 Wassertropfen
5.3 Hetzjagden
Wachträume – Luzide Kurzgeschichten über das Träumen
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Narzisias Abenteuer
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Geschichten von Ellen
Das besondere Haus
Ein kleiner, bunter Wellensittich
Mutprobe
Kurzgeschichten von Horst Reiner Menzel
Das Kind am Bache, eine wahre Begebenheit
Erlebnisse einer Vogelfreundes
Der Sündenbock
Der gestohlene Weihnachtsbaum
Gereimte Geschichten in Alemannisch
Revolution 1948 – 1949
D‘Draum vum siebte Himmel
S'het g'schtunke
Amseltreue
Amseltod
Eiscafé Italia
Konversation im Park
Sicht einer Saatkrähe
Total verschätzt
Die verschwundene Jacke
Späte Rache
Drei Originale in der Sauna
Anam Cara – Seelenfreunde
Epilog
Von Natascha Strasser (Schweiz), 15 Jahre
Der Herbst schien gerade erst die alte Buche begrüßt zu haben, zu deren Fuße sich ein Eichhörnchen bemühte, fleißig Nüsse und anderen Leckereien als Wintervorrat zu sammeln.
Nach kurzer Weile gesellte sich ein Grauhörnchen dazu und beäugte ungläubig wie erstaunt die gehorteten Vorräte des fleißigen Eichhörnchens.
„Erkläre mir doch mal, wieso bereitest du dich jetzt schon auf den Winter vor, der doch noch eine gute Weile auf sich warten lassen wird? Schau nur mich an, ich vergeude meine Zeit doch nicht mit solch unnützem Tun und genieße dafür die Tage, die ich noch nicht verschlafen muss", sprach das Grauhörnchen und kletterte auch schon die Buche flink empor. Das Eichhörnchen ließ sich jedoch nicht beirren, führte seine Tätigkeit fort und sammelte für sich weiter Vorräte.
Dann kam es, dass der Winter den durchwachsenen Herbst über Nacht ablöste und dabei etwas voreilig war. Das Eichhörnchen hatte sich zuvor gesättigt und zufrieden in seinen Bau zurückgezogen, wo es auf die lange Reise eines erholsamen Winterschlafes gegangen war. Kaum hatte es sich einige Tage – oder vielleicht waren es auch schon Wochen – im sorgfältig zubereitenden Lager aus weichem Moos, dürrem Gras und duftenden Kräutern bequem eingerichtet, wurde es jäh in seinem Schlaf von nervigem Klopfen gestört. Das Grauhörnchen hatte verzweifelt das Winterlager seiner Nachbarin aufgesucht. Vom Hunger gezeichnet, saß es erbarmungswürdig und vor Kälte zitternd vor dem gut geschützten und den winterlichen Unbilden trotzenden Bau.
„Eine Erklärung für den Grund meines fleißigen Bemühens, möglichst früh genug ausreichend Vorräte für den Winter zu sammeln, muss ich dir wohl nicht mehr liefern, was Herr Nachbar?“, sagte das Eichhörnchen mit vorwurfsvollem Klang in der Stimme. Daraus waren durchaus der stille Triumph und eine sorgende Mahnung einer klugen Überlebensstrategie herauszuhören. In Sorge war das Eichhörnchen allerdings nicht, hatte es doch für beide genug gesammelt. „Ich will mal nicht so sein, mein Bester, bediene dich von meinen Vorräten, es ist genug für uns Beide da. Es soll dir aber eine Lehre für die Zukunft sein: Sammle in der Zeit, dann hast du in der Not.“
Gierig und überaus dankbar machte sich das Grauhörnchen über die leckeren und stärkenden Vorräte her. Mit seinen meißelharten Schneidezähnen hatte es schnell Nuss für Nuss geknackt und gierig den sättigenden und kräftespendenden Inhalt verzehrt. Nachdem es sich dann endlich satt fühlte, durfte es großzügig auch noch die Backentaschen füllen und vom Vorrat etwas mitnehmen. Dann zog es sich müde in sein eigenes Schlaflager zurück, in der Hoffnung, nun auch die verdiente Winterruhe finden zu dürfen.
Musizierende Fabelwesen
von Natascha Strasser (Schweiz), 15 Jahre
Nervös stand er da, Urs ein Schweizer Junge mit 16 Jahren, und ließ das Schultor auf der anderen Straßenseite nicht aus den Augen. Das Tor das sie, seine heimliche Liebe, in wenigen Minuten passieren würde. Schon länger schwärmte er für die rotblonde Michelle, die ein Jahr jünger wie er ist. Bisher waren sie sich noch nie persönlich begegnet, nur brieflich stehen sie seit einiger Zeit in Kontakt. Minutenlang verweilte er reglos neben der noch ausgeschalteten Straßenlaterne im mediterranen Stil, während die Sonne am Himmel konsequent ihrem Weg nach Westen folgte und im Spektakel eines farbenprächtigen Abendhimmels bald unterging.
Sein immer länglicher werdender Schatten vermischte sich langsam mit der hereinbrechenden Dunkelheit, die unvermeidlich den kühleren Abend ankündigte, und er hoffte, dass sich schon bald ein weiterer Schatten zu dem Seinigen gesellen würde, der Schatten seiner Angebeteten.
Vor einigen Wochen hatte er zufällig den ersten ihrer Briefe bekommen – sehr edel, mit schwarzen Lettern auf weißem, pergamentähnlichem Papier, eingebettet in einem Schuhkarton und mit der geheimnisvollen Aufschrift: „Barfuß musst du noch ein Weilchen bleiben, aber antworte mir, wenn du einsam bist."
Nein, einsam war er keineswegs, dafür aber sehr neugierig, und so kam es, dass zwischen ihnen eine Brieffreundschaft entstanden ist, vielleicht in Zeiten von SMS und Mails nicht mehr zeitgemäß aber getreu nach alter Väter Sitte. Seine Brieffreundin hatte die angeborene und unschätzbar nützliche Begabung, allein mit Sätzen und Formulierungen eine kleine Welt in seinem Kopf entstehen zu lassen. Seine Fantasie kam heftig ins Rotieren und weckte in ihm stille Begierden. Täglich suchte er in freudiger Erwartung die alte Lärche auf, die inmitten eines verlassenen Spielplatzes stand. Dort in einer Baumhöhle hatte sie einen abgewetzten Schuhkarton im Versteck deponiert. Mit jeder Zeile die er las, stieg sein Interesse an ihrer Person, und so kam es, dass er schließlich den Mut fand und beschloss, sie nun direkt am Schultor zu überraschen und abzuholen.
Seinen wild in der Brust pochenden Herzschlag spürte er bis zum Hals und sogar bis in die Zehenspitzen, und er fühlte, wie sich langsam Schweißtopfen auf seiner Stirn bildeten und ihm brennend in die Augen rannen. Mit einer Handbewegung wischte er den Schweiß zwar immer wieder ab, doch bildete sich unverzüglich schimmernd neuer auf seinem Kopf und in den schwarzen Haarsträhnen, wobei die Tropfen gefühlt immer größer wurden. Dank der plötzlich ertönenden Schulglocke musste er sich nicht länger mehr in Geduld üben und auf das Bevorstehende innerlich vorbereiten, sie würde endlich bald erscheinen.
Und dann war es soweit, er sah sie kommen. Kein Zweifel, sie war es. Das Bild, das sie ihm zugeschickt hatte und das er seither wie einen Goldschatz hütete, bestätigte es eindeutig. Ihr leicht rötlich schimmerndes Haar hatte sie zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden, aus dem sich keck Strähnen gelöst hatten und die ihr Gesicht nun spielerisch umrahmten. Sie wurde von einem anderen Mädchen begleitet, mit dem sie sich anscheinend angeregt zu unterhalten schien, doch irgendetwas stimmte nicht bei der Unterhaltung, ihre Lippen bewegten sich nicht. Stattdessen führten sie akzentuierte Bewegungen mit ihren Händen aus.
Er brauchte einige Sekunden um zu begreifen, dass sich die Beiden miteinander in der Gebärdensprache unterhielten.
Nachdenklich betrachtete er den Schuhkarton, den er aus dem Versteck geholt hatte und nun in den Händen hielt, riss dann seinen Blick davon los und überquerte mit gemischten Gefühlen die Straße.
Verdutzt schaute sie ihn mit weit aufgerissenen Augen an, als er plötzlich so überraschend vor ihnen stand und schüchtern lächelnd den Schuhkarton zeigte. Jetzt war er sehr gespannt welche der Beiden nach dem Karton greifen würde. Denn dass sie Schwestern waren, war unverkennbar, das sah man auf den ersten Blick. Die Ähnlichkeit war frappierend.
Die etwas Schüchterne wirkende sah ihn lächelnd an, aber dann löste sich der Bann und sie ergriff den Karton; ihren Karton. Wärme stieg in ihm auf und er hoffte nur, sie würde nicht erkennen, wie ihm das Blut in den Kopf stieg und seine Wangen sich erröteten.
„Hi, ich bin Michelle und das ist meine Zwillingsschwester Veronique“, stellte sie sich mit weicher warmer Stimme vor. Schon die wenigen Worte lösten die Verkrampfung der ersten persönlichen Begegnung. Es blieb nicht die Letzte. Eine schöne intensive Zeit des Zusammenseins sollte folgen.
Mandela, gezeichnet von Lukas (8 Jahre)
Einleitung
In dieser Kurzgeschichte wird die bis vor kurzem noch gesetzlich vorgeschriebene chinesische Ein-Kind-Politik mit Hilfe des Figuren-Vorbildes, der griechischen Heldin Atalante*, thematisiert. Ein weiteres Thema meiner Geschichte wäre allerdings auch, dass mit Mut und dem Willen zur Veränderung jede noch so unbefriedigende Situation verbessert werden kann, wenn der Wille dazu da ist.
Aus auktorialer Sicht werden Erinnerungen der Hauptfigur behandelt und die Unzufriedenheit des Vaters beleuchtet, wegen des Geschlechts seines Kindes – eine Unzufriedenheit, die auch heute noch in den ländlichen Gegenden Chinas leider zum Alltag gehört.
Das Mädchen Atalante musste auf Grund ihres Geschlechtes viele Ungerechtigkeiten erleben, konnte jedoch letztendlich alle für sich gewinnen und stellt daher eine perfekte Vorlage für die Protagonisten meiner Geschichte dar.
Die Wende allerdings bringt erst der Moment, in dem die Hauptfigur Heldenmut beweist und ein Kind aus der Bedrohung durch tödliche Flammen rettet. Die Eigeninitiative leitet die Geschichte ein, wird aber absichtlich von Erinnerungen unterbrochen, welche für ein besseres Verständnis ihrer Person sorgen soll, und schließt die Geschichte letztlich mit einem offenen Ende ab.
* Atalante war eine Prinzessin, die König Iasus von Arcadia geboren wurde, der sich jedoch einen Sohn gewünscht hatte.
Sie war eine der wenigen weiblichen griechischen Helden und eine große Jägerin.
Von Natascha Strasser (Schweiz), 16 Jahre
Unaufhörlich prasselten dicke Regentropfen auf den Asphalt und verursachten ein dumpfes Platschen, welches jedoch niemand vernahm. Als ob sie einem bestimmten Plan folgen würden, sammelten sich die Tropfen und bildeten eine große Pfütze, die unförmig ein tobendes Feuer über ihr widerspiegelte. Leichte Wellenbewegungen verformten das Bild, ließen die Farben zu einem Gebilde aus scharlachroten Schlangen verlaufen. Ein Jeder, der Zeuge dieses fantastischen Farbenspiels geworden wäre, hätte sich nur schwerlich seiner Faszination entziehen können. Die nach Außen weglaufenden Bewegungen gewannen an Stärke und auf einen Schlag wurde das Bild der Schlangen unterbrochen. Der Fuß eines jungen Mädchens trat in die Pfütze hinein, befreite sich jedoch beinahe schon im selben Moment wieder und hinterließ Abdrücke auf der schlammig gewordenen Asphaltstraße.
In Windeseile lief das Mädchen der Quelle der Flammen entgegen, deren Hitze ihr alsbald peitschend ins Gesicht entgegenschlugen. Sie musste die Augen zusammenkneifen, um den Eingang des brennenden Hauses noch erkennen, auf den sie zuhielt. Bevor sie das Ziel erreicht hatte, hielt sie abrupt inne und rang erst einmal tief nach Luft. Dann hielt sie kurz den Atem an, holte langsam Luft und stieß sie im selben Rhythmus wieder ruhig und gleichmäßig aus. Nur zu gut wusste sie, dass vorschnelles Handeln ihr nur das eigene Leben kosten und nichts zur Hilfe der Anderen beitragen würde.
Konzentriert und zügigen Schrittes überstieg sie die schon ankohlten Bretter des Zaunes, der einst als Hürde für unerwünschte Besucher diente und nun nutzlos unter ihren Füssen einen knarrenden Ton abgab.
Sie erreichte eine Tür, die noch erstaunlichen Widerstand gegen die Flammen leistete, öffnete sie mit einem Ruck und warf einen Blick hinein. Qualm schlug ihr entgegen und hüllte sie ein, der ihr zudem unangenehm in den Augen brannte. Da, sie glaubte aus den Augenwinkeln heraus abseits ihren Vater zu erkennen. Ehe sie sich ihm zuwenden konnte, raubten ihr die vorbeiziehenden Rauchschwaden und dichter Qualm erneut die Sicht. Sie versuchte mit dem Taschentuch in den bloßen Händen ihr Gesicht und ihre Augen vor der Hitze und dem Rauch etwas zu schützen. Dazu beunruhigte und irritierte sie die leere Dunkelheit für einen Moment etwas, als plötzlich vor ihrem inneren Auge das Bild ihres Vaters auftauchte.
Das liebende Lächeln, das sie in seinem Gesicht sah, machte das Bild eigenartig unwirklich und fremd. Nie in ihrem ganzen Leben hatte er bisher ein solches stolzes Lächeln für sie übriggehabt. Seine Tragik ist – um es nicht Unglück zu nennen – sie hatte ihm die einzige Möglichkeit des heißersehnten Erbens genommen, indem sie als wertloses Mädchen das Licht der Welt erblickt hatte. Seit sie denken konnte, ließ er sie das seither tagtäglich verletzend spüren. Einzelne Erinnerungsfetzen huschten wie Schwaden grauen Nebels in ihrem Geiste vorüber und suchten drängend einen Weg an die Oberfläche. Wehmut, innerer Schmerz ließen sich nicht immer unterdrücken und Tränen rannen ihr in der Vergangenheit oft heimlich über die Wangen. In manchen Augenblicken, wenn sie alleine in ihrem Zimmer saß oder schlaflos im Bett lag, gab sie sich kurz den schmerzvollen Erinnerungen und der Sehnsucht nach der Vaterliebe hin.
Da waren Mei-Jings früheste Erinnerungen an die schweißnasse Hand ihres Vaters und die Scham, die ihm ins Gesicht geschrieben stand, wenn sie während eines Spaziergangs auf seine Freunde trafen, die allesamt mit stolzgeschwellter Brust einen Jungen präsentieren konnten.
Das waren dann die bitteren Momente der Erkenntnis, dass sie eigentlich ein Wunschkind gewesen wäre, aber als weibliche Person niemals erwünscht worden war.
Das Geschlecht des Kindes entschied in diesem Staat über die Zukunft einer Familie. Während Jungen das Rentensystem ersetzten und der Aufgabe nachkamen, die eigenen Eltern im Alter zu unterstützen, heirateten Mädchen, um sich dann infolgedessen hauptsächlich um die Eltern des Angetrauten kümmerten – kümmern mussten.
Der Moment ihrer Geburt bedeutete daher für Mei-Jings Familie eine finanzielle Katastrophe und zugleich einer vertanen Chance, welche in der chinesischen Ein-Kind-Politik nur einmal vergeben wurde, weil von Staats wegen nur ein Kind genehmigt wurde oder zur Zeugung freigegeben und erlaubt war.
Ihr Vater hatte nie versucht seine Enttäuschung vor ihr und in ihrer Gegenwart zu verbergen. Im Gegenteil, er vermittelte ihr von jeher das Gefühl, Schuld an seinem Schicksal zu sein und was der Familie für ein Unglück in der Familienplanung widerfahren ist. Wie absurd die Anschuldigungen auch sein mochten, jeglicher Frust wurde auf sie abgeladen. Mei-Jing beobachtete oft sehnsuchtsvoll die Beziehungen von Jungen in der Nachbarschaft zu ihren Vätern, die ihre Söhne wie kleine Kaiser erzogen und nach Herzenslust verwöhnten.
Die Jungen spürten intuitiv ihre Überlegenheit und begannen sie zu piesacken, wann immer sie Gelegenheit dazu fanden. Die Hände tief unter ihrer Schürze vergraben, die spröden Lippen verkrampft und zusammengepresst, stand sie dann wie erstarrt da und nahm die Provokationen widerstandslos hin.
Ein schrecklicher, kindlicher Schrei löste sie abrupt aus ihren Gedanken und unangenehmen Erinnerungen. Sie riss die Augen auf und folgte dem leisen Wimmern, das sie zu orten suchte. Krampfhaft bemühte sie sich nun nicht mehr um Achtsamkeit, sondern hastete eilig über die morschen Treppenstufen nach oben, während sie das vernichtende Feuer knistern und knacken hörte. Zum Glück erkannte sie ohne langes Suchen und Verzögerung sofort den kleinen Jungen, der in seinem Zimmer bei offenere Tür zitternd auf dem Bettchen kauerte. Keuchend ergriff sie seine Hand, zog ihn ruckartig über ihre Schulter, öffnete das Fenster, zögerte kurz und sprang mit ihm in die Tiefe.
Ehe sie aufprallte, sah sie noch, wie mehrere Männer herzu rannten, unter denen sie auch ihren Vater erkannte. Dann nahm sie noch den Aufprall und ein unangenehmes Knacken in ihrem Rücken war. Ein letzter Blick galt ihrem Vater, der nun bei ihr war und sich über sie beugte. Sie sah in seinen Augen Stolz und zugleich die Sorge, dann hüllte sie die Dunkelheit ein.
Die Medien überschlugen sich im Lob für die Rettungstat eines jungen Mädchens und sie zollten ihr im Nachhinein höchste Anerkennung und Respekt. Der Junge kam allein mit einem Schock davon, fand Tröstung in den Armen seiner nun auch anwesenden Mutter. Er hatte nur eine leichte Rauchgasvergiftung erlitten.
Flammenteufel, eine Bühler Fastnachtsfigur
Ein Krimi von Natascha Strasser (Schweiz), 16 Jahre
Die Wipfel der Bäume bogen sich, die Blätter rauschten in der steifen Brise. Ein unangenehm kalter Wind pfiff an diesem Wintertag durch Straße und Gassen, sowie um die Häuser. Bald würde es wohl Sturm geben. Die Straße war schon längst in grauen Dunst gehüllt, es dunkelte, dass man meinte, die Nacht wäre schon hereingebrochen.
Mira war es unheimlich zumute, sie schaute auf die Uhr und erschrak: „Was, schon 18 Uhr, und ich habe doch meinen Eltern versprochen, heute würde ich um 17.30 Uhr zu Hause zu sein.
Ihr Vater war für gewöhnlich sehr streng, vor allem, was die Pünktlichkeit anging. Er ist geborener Japaner und lebt immer noch sehr seine japanische Wesensart. Miras Mutter war da ganz anders. Sie erzog Mira eher nach deutschem Brauch und Gewohnheiten. Das Mädchen bekam eigentlich seinen Vater nur selten zu Gesicht. Er war Polizeikommissar und arbeitete unregelmäßig und häufig bis spät in die Nacht. Sein einzig freier Tag, den er für seine Familie reserviert hatte, das war allgemein der Sonntag und heute war Sonntag. Ihr Vater wäre sehr gekränkt, wenn sie ausgerechnet an seinem freien Tag zu spät kommt und damit seine Pläne durcheinander bringt.
Weil sie keinen Ärger bekommen wollte, beeilte sich Mira und rannte los. So schnell sie konnte lief sie einen Nebenweg entlang, der in die Hauptstraße mündete. Etwas weiter musste sie die Straße wieder verlassen und bis ans andere Ende der Stadt durch kleine Gässchen und unbedeutende Nebenstraßen gehen. Die Weglänge nahm einige Zeit in Anspruch, deshalb beschloss sie eine ihr bekannte Abkürzung durch den Park zu nehmen. Dazu musste sie allerdings einen Zaun überklettern, so wie sie es oft schon getan hatte. Dann aber rannte sie einen breiteren geschotterten Fahrweg entlang, der eigentlich aber nicht von Fahrzeuge befahren werden durfte. In ihrer Eile merkte sie gar nicht, dass sie der Fahrer eines schwarzen BMWs im Visier hatte und auf diesem Tabuweg im gewissen Abstand ihrem Schritttempo folgte.
Inzwischen war die Zeit unaufhaltsam schon auf 19.15 vorgerückt. Jeremy und seine Schwester Cheyenne waren damit beschäftigt in den Computerbildschirm zu starren, während sie ein kleines Männchen mit dem Gameboy in verwunschenen Welten und über allerlei Ebenen steuerten.
Plötzlich klingelte das Telefon. Unwillig mussten sie ihr Spiel unterbrechen, was vor allem Jeremy sehr nervte. Er nahm den Hörer ab und fragte mit einem gewissen Unterton in der Stimme: „Was ist?“ Es hörte sich nicht gerade sehr freundlich an, wie er seine Frage in den Hörer hineinbellte. Das kümmerte Kommissar Fuyumi anscheinend jedoch nicht oder ist ihm überhaupt nicht aufgefallen. Im üblichen Polizeijargon wollte er gebieterisch wissen: „Hallo Jeremy, ist Mira vielleicht noch bei euch zu Hause?
„Nö, warum?“ fragte Jeremy. Kommissar Fuyumis Stimme klang nun schon etwas besorgter. „Vor zwei Stunden sollte das Fräulein Tochter zuhause eintreffen, ist aber immer noch nicht aufgetaucht. Sie hat Michael besucht, wo treibt sie sich denn bloß herum?“
„Haben sie bei Michael schon angerufen? Vielleicht isse ja noch bei ihm.“ „Natürlich, bei ihm habe ich zuerst angerufen, nein, dort ist sie nicht mehr. Er sagte, sie sei bereits um 17.15 Uhr losgegangen.“
Doch Jeremy sorgte sich keineswegs und dachte sich auch nicht viel dabei. Er versuchte den Kommissar erst einmal zu beruhigen: „Sie wird sicher bis morgen früh wieder auftauchen. Mira verspätet sich ja häufig oder übernachtet schon mal bei ihren Freundinnen. Wenn sie nicht auftaucht, ist immer noch Zeit, ihren Kollegen zusagen, dass ihre Tochter verschwunden ist und eine Vermisstenanzeige aufzugeben. Machen sie sich aber nicht zu früh unnötig Sorgen.“ „Ja, so wird es sicher sein“, nuschelt der Kommissar und legte auf. „Der hat es nich’ mal nötig tschüss zu sagen“, mokierte sich Jeremy über die unfreundliche Art das Gespräch zu beenden und legt ebenfalls den Hörer auf.
Cheyenne rief vom Sofa aus ihrem Bruder zu: „Was ist denn los, Jeremy?“ Er antwortete: „Mira scheint verschwunden zu sein. Ich mach mir zwar auch gewisse Sorgen, aber zuerst musste ich ihren Vater beruhigen. Wenn sie bis morgen nicht wieder auftaucht, muss der Vater wohl oder übel die Polizei einschalten. Ich denke aber nich’, dass es soweit kommen wird.“ „Befürchtest du, sie ist einem Gauner in die Hände gefallen oder sie wurde eventuell sogar entführt?“
Jeremys Ton wirkte nun doch einen Deut verunsicherter: „Na ja, freiwillig und ohne Grund wird sie sich ja nicht verspätet haben oder gar verschwunden sein. Sowas kann ich mir kaum vorstellen. Das ist einfach nicht ihre Art und ihre Familie ist ihr zu wichtig.“