Deutsch-Französische Liaison - Walter W. Braun - E-Book

Deutsch-Französische Liaison E-Book

Walter W. Braun

4,9

Beschreibung

Die deutsch-französische Freundschaft ist ein gelungenes Beispiel bei der Aussöhnung zweier Völker, die sich einst als "Erbfeinde" betrachteten und bekämpften. Doch was wäre die schönste Hülle, wenn sie nicht mit Leben erfüllt würde und im persönlichen Bereich seinen Niederschlag findet. Die Biographie der Protagonisten basiert auf realem Hintergrund. Die Schwierigkeiten, Verwicklungen und Schicksale einer Familie zeigen, welche geheimnisvollen Wege das Leben führen kann. Ist es Schicksal, sind es höhere Mächte, Glück oder Unglück, angeborene Fähigkeiten oder menschliches Versagen, was dem Verlauf des Lebens seine Richtung gibt? Die französische Sprache bringt es mit C'est la vie - das ist das Leben - mit wenigen Worten auf den Punkt.

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Vorwort

Dieses Buch ist meinen ehemaligen Nachbarn, dem väterlichen Freund Pierre Boisse und seiner Frau Eleonore gewidmet (die Namen sind geändert), denen wir große Wertschätzung, abwechslungsreiche Stunden, gemeinsame fröhliche Feiern in Bühl und in Frankreich zu verdanken haben. Mit ihnen verbrachten wir erholsame und entspannte Urlaubstage in „Port la Nouvelle“ an der Mittelmeerküste in Südfrankreich. Mit ihnen durften wir an extraordinären Veranstaltungen teilnehmen, wie „La fête de l'aïd el-Kébir“ von Afronaaa, einer deutsch-französischen Sozialeinrichtung. Diese Feiern fanden überwiegend in Kasernen der französischen Streitkräfte nahe Straßburg statt.

Wir waren Ersatz für ihre nicht sehr familiengebundenen Angehörigen, Ansprechpartner in seelischen Nöten und Helfer bei Tätigkeiten im und rund ums Haus.

Die Namen sind fiktiv, Hintergründe und Ereignisse der Vita eines aus Algerien stammenden französischen Bürgers und seiner deutschen Ehefrau, ein typisch deutsches „Meenzer Meedsche“, basieren auf deren persönlichen Schilderungen und meiner subjektiven Wahrnehmung, eingebunden in das sie tangierende geschichtliche Umfeld.

Walter W. Braun

Bühl, Januar 2016

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1 Wo die Wurzeln sind

Kapitel 2 Ein Mainzer Mädchen

Kapitel 3 Leben in Baden-Baden

Kapitel 4 Neue Heimat in Bühl

Kapitel 5 Soziales Engagement

Kapitel 6 Ein neuer Zeitabschnitt beginnt

Kapitel 7 Besuch in Amerika mit Folgen

Kapitel 8 Angenehme Nachbarschaft

Kapitel 9 Urlaub in Südfrankreich

Kapitel 10 Zaghafte Kontakte zu Familienangehörigen

Kapitel 11 Eine Ära geht zu Ende

Kapitel 12 Ein erfülltes Leben endet

Kapitel 13 Untergetauchte kommen aus der Deckung

Kapitel 14 Lebensabend im Seniorenwohnheim

Kapitel 15 Gedicht - Nachbarn

Kapitel 16 Nachruf

1

Wo die Wurzeln sind

Das alte Europa ist klein im Vergleich zu den anderen Erdteilen dieser Welt, doch es ist groß in der Vermischung der Völker und Kulturen. Wer kennt sie noch alle, die in Jahrtausenden von Ost nach West wanderten oder von Nord nach Süd? Die Germanen waren es, die Hunnen, Langobarden, die slawischen Völker und viel andere, die für sich Gebiete zu erobern gedachten, neuen Lebensraum suchten oder schlichtweg einfach nur reiche Beute machen wollten. Die Römer waren um die Zeitenwende auf dem Kontinent – und weit darüber hinaus – eine Weltmacht und legten das Fundament für unsere heutige Zivilisation. Sie schufen und pflegten ein umspannendes Wegenetz um ihre Standorte schnell zu erreichen und ihre Truppen in kürzester Zeit an alle wichtigen Brennpunkte bringen zu können. Das sicherte ihnen strategische Vorteile, gleichzeitig eine optimale Versorgung der Truppen und des sie begleitenden Tross die sie sonst noch zur Versorgung bedurfte.

Wir verdanken den Römern den Weinanbau, den sie nach Europa brachten, und wer denkt da nicht an viele schönen Stunden, bei „Wein, Weib und Gesang“, wie es der Dichter so wundersam beschreibt.

Die Wurzeln von Pierre Boisse liegen in Sizilien, der größten Insel Italiens und nur durch die Straße von Messina vom Festland getrennt. Der Ursprung der Einwohner dieser Insel geht auf arabischen und griechischen Ursprünge zurück. Die Vorfahren von Pierre lebten schon seit undenkliche Zeiten auf dieser Insel und sie gehörten zu den angesehenen, einflussreichen Familien.

Welche Gründe den Großvater trieben, seinen Wohnsitz von Sizilien nach Algerien zu verlegen, ist nicht bekannt. Es kann gut sein, dass es einen beruflichen, geschäftlichen Anlasse gab?, oder wollte er sich einem der berühmt-berüchtigten Mafia-Clans und deren Einflussbereich entziehen? Gründe gab es Anfang des 20. Jahrhunderts genug. Nicht zu vergessen, man war quasi mit den nordafrikanischen Maghrebinern verwandt.

Pierres Vater gehörte zur wohlhabenden Mittelschicht, lebte und wohnte in Algier, der Hauptstadt von Algerien, der um diese Zeit prosperierenden Großstadt und heutigen Millionenstadt am Mittelmeer. Das Land war seit 1830 ein Departement von Frankreich. Hier kam Pierre 1924 zur Welt und genoss dadurch das für ihn wichtige Privileg, französischer Staatsbürger zu sein.

Seine Herkunft ermöglichte ihm den Besuch des Lyzeums und nach erfolgreichem Abschluss und einer Lehre zum Bankkaufmann, lockte ihn das Militär. Bei den französischen Streitkräften brachte er es zum Captaine, mit Spezialausbildungen für geheime militärische Sonderaufgaben. Damit war er als Algerier in guter Gesellschaft, denn während dem Zweiten Weltkrieg dienten mehr als 66‘000 Wehrpflichtige, aus seinem Land in der französischen Armee.

In den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges zog er mit seiner Einheit durch die burgundische Pforte und über die Höhen der Vogesen, dem Grand Ballon, in das von Deutschen besetzte Elsass. Noch im April 1945 wagte seine algerische Einheit bei Speyer den ultimativen Sprung über den Rhein. Nach der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945, kam er in die Gutenberg-Stadt Mainz, heute Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz, und die französische Garnison wurde für die nächsten zehn Jahre seine Heimat. In dieser Zeit war er als Soldat maßgeblich in der Spionageabwehr und Steuerung der eigenen Überwachung des DDR-Staates verantwortlich; alles also streng geheim. Man war mitten im sogenannten „Kalten Krieg“. Schon während der Kriegszeit war er mehrfach mit unterschiedlichen hohen Orden ausgezeichnet worden, und das verschaffte ihm Reputation und Ehre.

Die Franzosen waren im Südwesten Deutschlands noch lange Besatzungsmacht, und gerade die höheren Dienstgrade des Militärs genossen in den Friedenszeiten beneidenswerte Privilegien. Und in Mainz fanden sich zudem noch viele Spuren der früheren französischen Herrschaft nicht erst seit Napoleon. Manche Redewendungen in der Bevölkerung erinnern noch an diese Zeit wie: „Mach kei fisimatente“, ein umgangssprachlicher Ausdruck für Unsinn. Der Ursprung soll in der Einladung französischer Soldaten Anfang des 19. Jahrhunderts sein, die Mädchen zum „Zeitvertreib“ in ihr Lager lockten: „Visitez ma tente“ (komm in mein Zelt) oder der Befehl eines Vorgesetzten: „Voici ma tente“ (sieh dort mein Zelt), wenn ein Untergebener zum Rapport einbestellt wurde.

Vieles hatte Einfluss auf die Sprache genommen; kurzum, das Meenzerische ist ein Mischdialekt, entstanden aus dem Pfälzischen und dem Südhessischen, mit starken französischen Einschlägen, vielfältig sogar beeinflusst durch das Jiddische und Rotwelsche. Alle diese Einflüsse zusammen ergeben tatsächlich ein blumiges sprachliches Sammelsurium. Da ist von vielen Völkerscharen aus der römischen Epoche etwas dabei; ein wunderschönes Durcheinander quer durch den linguistischen Sprachgarten der Europäischen Geschichte. Ja, ja, „vun de Lung uff die Zung, so babbele mer in Meenz." (aus kleine Sprachgeschichte: Meenzerisch von Hans-Peter Betz).

Das Leben im Nachkriegsdeutschland war für einen französischen Militärangehörigen „magnifique et avec le plaisir“ (großartig und mit Vergnügen). Die jungen Männer hielten sich keineswegs nur im Offizierskasino auf, sie bevölkerten alleine und in Scharen die Stadt und sie waren sich wohl bewusst: „Wir sind die Sieger, wir haben das Sagen.“ Man hatte sich eingerichtet und wollte bleiben, die Franzosen zeigten auffallend ihre Aversionen, gegenüber den ehemaligen deutschen Besatzern. Hatten sie etwa ihre unrühmliche Unterdrückung über mehrere Jahrzehnte durch Napoleon schon vergessen? Letztlich war es Staatsmännern wie De Gaulles – Adenauer und Kohl – Mitterrand zu verdanken, dass endlich eine neue Zeit der Völkerverständigung anbrach.

Die friedlichere Zeit bewegte Pierre nun zu Überlegungen über seine familiäre Zukunftsplanung. Er war ein attraktiver junger Mann mit arabischem Einschlag, genau der Typ, der in jener Zeit den Frauen sehr gefiel und der angenehm auffiel. Schnell lernte er eine junge Frau kennen und bald heirateten sie. Den verheirateten Offizieren standen Wohnungen außerhalb der Kaserne zur Verfügung, und in eine großzügige, komplett eingerichtete Dreizimmerwohnung konnte er mit seiner Frau einziehen. Komplett eingerichtet zu sein, war wichtig oder in der Armee unverzichtbar, denn keiner wusste, wann und wohin er versetzt würde. Da lohnte sich nicht die Anschaffung eigener Möbel, die dann zu hohen Transport-Kosten mitgenommen, verschickt oder eingelagert werden mussten. Darüber waren sich die Verantwortlichen im Militär wohl im Klaren und versorgten lieber aus eigenem Interesse so ihre Leute. Sonderlich schwer fiel das nicht, denn was zugeteilt wurde, stammte aus Requirierungen in der deutschen Bevölkerung, eine Maßnahme, die noch bis ins Jahr 1948 andauerte. Und was konfisziert wurde, das war nicht das Schlechteste, das war kein Kruscht, den keiner mehr haben wollte, und dieser Vorteil kam wiederum speziell den höheren Rängen zugute.

Die Familie wuchs. Im Abstand von 2 Jahren wurde Pierre Vater eines Mädchens, das sie Jaqueline tauften und eines Jungen, der den Namen Hugo erhielt. Seiner Herkunft geschuldet oder besser seinen Vorfahren gemäß, war er Katholik, ohne praktizierender Kirchgänger zu sein. Dafür hatte man beim Militär zu wenig Zeit. Aber die Taufzeremonie mit einem Pfarrer musste trotzdem sein. Beide Kinder wurden demzufolge katholisch getauft. Langes Glück war der Ehe allerdings nicht beschieden. Die Frau von Pierre war weder eine gute Mutter, noch eine treue Ehefrau, und die häufige dienstliche Abwesenheit ihres Mannes, ergab genug Gelegenheiten ihm Hörner aufzusetzen. Anfang der 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts, war Frankreich noch im Indochina-Krieg verwickelt, der erst 1954 zu Ende ging. Zwei Jahre lang war Pierre in Vietnam-Krieg im Einsatz. Dies waren keine ungefährlichen Jahre; mehr wie einmal befand er sich in akuter Lebensgefahr, und das tropische Klima kam noch belastend hinzu. Viele seiner Kameraden starben nicht an den Schussverletzungen oder im Bombenhagel, sondern an Malaria oder anderen Tropenkrankheiten. Derweil trieb sich seine Frau mit anderen französischen Offizieren herum, und das blieb Pierre nicht verborgen oder wurde ihm irgendwann zugetragen.

Geradlinigkeit, Ehre und Pflichterfüllung waren ihm schon mit in die Wiege gelegt worden. Seine sizilianischen Wurzeln und die Sitten des Maghreb verstanden keine Toleranz, er machte deshalb keinen langen Prozess. Kurzerhand warf er die untreue Frau aus dem Haus und er trennte sich von ihr; die Ehe wurde geschieden. Das war damals in diesem Kreis relativ einfach, das ging ruckzuck über die Bühne. Die Kinder verblieben selbstverständlich in der Obhut des Vaters, weil die Frau nach damaligem Recht schuldig geschienen wurde.

Mit seiner Frau war er nur wenige Jahre verheiratet gewesen, und nun stand er mit zwei kleinen Kindern alleine da und brauchte jemand, der ihm den Haushalt versorgte und sich um die Kinder kümmerte. Das war aber das geringste Problem, Personal war in jenen Tagen schnell zu bekommen und im Haushalt Beschäftigte waren billig. Es fanden sich genug deutsche Frauen, die gerne einem französischen Offizier den Haushalt führten. Auf diese Weise kam er vorläufig über die Runden. Angestelltes Personal konnte aber mit Sicherheit eine Mutter nicht voll ersetzen.

Vermutlich hat diese Zeit, in der frühen Phase der Kindheit, nachhaltigen und nicht mehr gutzumachenden, negativen Einfluss auf das spätere Leben seiner beiden Kinder genommen, ohne dass dies gewollt war, oder man dem Vater eine oder alleinige Schuld hätte geben dürfen.

Algerischer Soldat in der französischen Armee

2

Ein Mainzer Mädchen

Ein junges attraktives Mädchen in Mainz hatte die Schrecken der Vorkriegs- und Nach-Kriegszeit einigermaßen gut überstanden und vor allem lebend. Sie war sich bewusst: „ich bin noch jung und das ganze Leben liegt noch vor mir.“ Was sollte da die Politik eine große Rolle für mich spielen, es sei denn, die Familie wäre direkt davon betroffen gewesen – und das war sie.

Warum ich explizit auch vom Schrecken in der Vorkriegszeit schreibe, hat auch einen politischen Hintergrund. Ihr Vater war ein angesehener und nicht unvermögender Schneidermeister. Der Mann war überdies sehr belesen, besaß eine Menge Bücher, und speziell Schliemann und die ägyptischen Pharaonen hatten es ihm angetan. Aber er war auch ein überzeugter, aktiver Sozialdemokrat. Damit stand er nach 1933 voll im Fokus der Nazi-Schergen. In seiner Überzeugung ließ er sich weder durch Repressalien noch durch Drohungen verbiegen und das zog schon bald üble Folgen und existentielle Nachteile nach sich. Schon Mitte der 30er-Jahre ließen ihn die Nazis verhaften und steckten ihn mehrere Jahre ins Gefängnis. Nach seiner Entlassung wurde er weiterhin beobachtet und immer wieder schikaniert. So durfte er keinen Führerschein machen, um nur einen dieser Nachteile zu nennen. Ein Auto kaufte er trotzdem für seine Familie. Kurzentschlossen machte nun seine Frau den Führerschein machen und danach steuerte sie zukünftig die Familienkutsche. „Es war das einzige Auto das es in der ganzen Straße gab“, berichtete Eleonore später stolz. Eleonores Mutter war eine couragierte und willensstarke Frau, was nicht von ungefähr kam. Sie entstammte einem alten, aber verarmten preußischen Adel und war entsprechend geprägt oder es lag in ihren Genen. Sie trug im Mädchennamen noch ein „von“, hatte aber darauf keinen Wert gelegt und bei der Heirat darauf verzichtet.

Mit einer Vorstrafe war ihr Mann nicht zum Militär tauglich oder nicht würdig als Soldat dienen zu dürfen. Das hatte rückwirkend betrachtet seine positive Seite, wenngleich sein Umfeld es vielleicht nicht so sah. Er wurde nicht eingezogen, musste nicht in den Krieg und überlebte trotz vielerlei Schikanen unversehrt, einschließlich die damit in der Heimat zusammenhängenden, schrecklichen Ereignisse. Die Stadt Mainz wurde zwischen 1941 und 1945 mehrfach bombardiert und stark zerstört. Auch das Mehrfamilienhaus der Eltern Eleonores – so hieß das einzige Kind von Johanna, geborene von Trappstedt und August Schwarz, wurde erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Teile der Fassade fehlten und außerdem, was besonders übel war, der „Aabee“, die – wie damals dort allgemein üblich – außerhalb der Wohnung befindliche Toilette genannt wurde.

Viele Offiziere des französischen Militärs lebten in Villen und noblen Häusern, die sie bei den deutschen Besitzern hatten beschlagnahmen lassen. Niedere Dienstgrade wurden in Wohnungen bei Mainzer Familien einquartiert, die dafür ein oder zwei Zimmer abzutreten mussten. Auf diese Weise bekam auch die Familie Schwarz einen Mitbewohner zugewiesen. Es war ein junger Mann, etwa 30 Jahre alt und mit ihm – dem einstigen Feind – lebten sie gut und friedlich unter einem Dach zusammen. Alle Einquartierte waren überwiegend nette Kerle, froh, nicht immer nur in der Kaserne leben zu müssen. Gut, es gab auch unter den Besatzern den einen oder anderen „Stinkstiefel“; die Familie Schwarz hatte jedoch Glück. Ihr „Gast“ war höflich, gebildet, freundlich und zur Familie zuvorkommend. Nebenbei fiel in der Mangelzeit auch das eine oder andere aus der Kasernen-Kantine oder aus den französischen Läden für sie ab.

Vielleicht fand der „Gast“ auch ein wenig Nestwärme und Ersatz für seine eigene Familie, „die ihm sehr fehlte“, wie er oft klagte. Der Mann war verheiratet und Vater zweier Kinder, die darauf warteten, dass der Papa nun endlich, nachdem der Krieg doch zu Ende war und nach seiner Militärzeit, unversehrt zu ihnen nach Hause kommen würde.

Erstaunt stellte der Mann nach dem Einzug fest, und konnte es kaum begreifen, dass es im Haus keine Toilette und kein Bad gab. Wie erwähnt, war leider gerade dieser Gebäudeteil durch Bombeneinwirkung betroffen und eingestürzt. „Man muss doch eine Toilette haben“, sagte er bestürzt. Kurzentschlossen organisierte er mit Kameraden Bretter, was so kurz nach Kriegsende ziemlich schwierig war, und sie zimmerten ein Häuschen „mit Herz“ im Garten: „Voilà, une toilette de luxe.“ Das Provisorium war zwar schlicht, erfüllte aber seinen Zweck und stand allen Bewohnern des Hauses über einen längeren Zeitraum als einzige Toilette zur Verfügung, bis endlich wieder Baumaterial zu haben war, und die Familie Schwarz das Nötige beschaffen konnte, um ihr beschädigtes Haus instandsetzen zu lassen.

Über die Jahre normalisierten sich langsam die Verhältnisse, die Währungsreform 1948 kam und mit ihr der Wirtschaftsaufschwung. Derweil wuchs das Einzelkind der Familie Schwarz behütet im gut bürgerlichen Hause auf. Sie war ein kluges Mädchen und hübsche junge Dame, und besuchte die Anne-Frank-Realschule. Dabei entwickelte sie ein Faible für die französische Sprache. Vielleicht hatte der einquartierte Gast den nötigen Ansporn dazu gegeben, eine Inspiration, oder es war infolge der Besatzung nur eine Folgeerscheinung, so wie man in den englischsprachigen Besatzungszonen englisch lernte.

Was auch immer der Grund gewesen sein mag, das Mädchen lernte fleißig und interessiert Französisch. In diesem Zusammenhang war es für die Schülerinnen wichtig und von großem Vorteil, die Sprache auch in der Praxis anzuwenden. Die Lehrerin vermittelte Kontakte zu französischen Einrichtungen, die sich gerne mit einem guten Draht zur Bevölkerung schmückten. Bei Festen und Veranstaltungen im, Kreise von Franzosen, die in der Regel innerhalb der Kasernen stattfanden, aber auch gelegentlich öffentlich in der Stadt, wurden die jugendlichen Schülerinnen gerne als „bunte Farbtupfer“ eingeladen. Sie waren nicht nur hübsche Partnerinnen für eine gepflegte Konversation, sondern auch ein Deckmäntelchen, oder ein Alibi für die angestrebte „Relation allemand-français“, einer guten Beziehung mit der Bevölkerung. Vordergründig waren sie aber für die Männer sehr begehrte Tanzpartnerinnen, denn in ihren Kreisen herrschte akuter Frauenmangel. Der französische Nationalfeiertag am 14. Juli, war zum Beispiel so ein wichtiger Tag, wo gefeiert wurde und unverzichtbar dazu gehörte, wie viele diverse andere Anlässe zum Feiern.

Die daraus entstandenen Verbindungen blieben bei vielen Mädchen über die Schulzeit hinaus erhalten und es folgten von beiden Seiten regelmäßig neue Einladungen zu den alljährlichen Festen, und daraus entstanden vielfach dauerhafte Freundschaften. Da spielte sicher nicht nur der Mainzer Karneval eine Rolle, dem sich die Bevölkerung wieder voll hingab, sondern noch mehr die offene, lebensbejahende Art der Menschen in dieser gesegneten Pfälzer Region. Vor Allem hatte man in Punkto Feiern so einiges nachzuholen, weil das Vergnügen in den Kriegsjahren zu kurz gekommen war.

Die Lehrerin hatte außerdem Briefkontakte zu Familien und gleichaltrigen Mädchen in Frankreich vermittelt. Jahrelang pflegte Eleonore eine Brieffreundschaft zu einem gleichaltrigen Mädchen in Paris. Sobald es ihre finanziellen Verhältnisse erlaubten, fuhr sie Anfang der 50er-Jahre mit dem Zug in die französische Hauptstadt, besuchte das Mädchen oder die junge Frau und blieb einige Tage dort. Während des Besuches zeigte ihr die Brieffreundin natürlich die interessante und riesige Metropole Paris, und ließ die wichtigen Sehenswürdigkeiten wie Eifelturm, „Notre Dame“ und anderes nicht aus. Das trug natürlich wesentlich dazu bei, dass Eleonore die Sprache immer besser beherrschte, sie zusätzlich pflegte und sich letztlich gut darin unterhalten konnte.