Mord in Hintertux - Walter W. Braun - E-Book

Mord in Hintertux E-Book

Walter W. Braun

4,7

Beschreibung

Seit Jahrzehnten verbringen Lisa und Peter Bauer aus dem badischen Bühl jährlich mindestens einige Tage im Zillertal. Nur, die Ehe ist seit langem in der Krise. Kann sie ein Urlaub wieder kitten? Scheidung kommt für Peter - Protagonist dieses Kriminalfalles - nicht infrage. Fieberhaft sucht er nach einer anderen Lösung. Tatort dieses Romans ist eine fantastische Landschaft im österreichischen Tirol, einem lieblichen Seitental des Inn, eingebettet in einer erhabenen Bergwelt der Zillertaler Alpen. Da, wo im Sommer Wanderer sich an der Natur erfreuen und im Winter der Skizirkus tobt, setzte konsequent Peter seinen perfiden Plan um.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 Stammgäste im Zillertal

Kapitel 2 Eine schwierige Ehe

Kapitel 3 Erneut in Stumm

Kapitel 4 Keine Langeweile im Zillertal

Kapitel 5 Getrübte Harmonie

Kapitel 6 Etwas ist zerbrochen

Kapitel 7 Alleine unterwegs

Kapitel 8 Sommermonate in Bühl

Kapitel 9 Frühherbst im Zillertal

Kapitel 10 Auf dem Penken

Kapitel 11 Trennung am Schlegeisspeicher

Kapitel 12 Das Unheil bahnt sich an

Kapitel 13 Großangelegte Suchaktion

Kapitel 14 Ermittlungen werden aufgenommen

Kapitel 15 Nicht die winzigste Spur

Kapitel 16 Kein normales Leben

Kapitel 17 Ist das Ziel erreicht?

1

Stammgäste im Zillertal

Schon mehr als 25 Jahren verbringen Peter und Lisa Bauer aus dem badischen Bühl mindestens einmal im Jahr einige Tage ihres Urlaubs im sonnigen, idyllischen Stumm, inmitten des lieblichen Zillertals und damit in einem Ort, der angeblich den schönsten Dorfplatz in Tirol zu bieten hat.

Das Zillertal zweigt etwa 40 km östlich von Innsbruck, nahe Jenbach, vom Inntal ab. Es ist das breiteste der südlichen Seitentäler des Inn. Seinen Namen hat es von dem Fluss Ziller, der es von Süd nach Nord durchläuft und bei Strass im Zillertal in den Inn einmündet. Im engeren Sinn reicht das Tal von Strass bis Mayrhofen. Dort teilt es sich in das Tuxertal, das Zemmtal, das Stilluptal und den Zillergrund. Vom nördlichen Tal zweigen bereits bei Kaltenbach der unbesiedelte Märzengrund und der Finsinggrund mit der Tourismussiedlung Hochfügen-Hochzillertal, sowie bei Zell am Ziller das Gerlostal zum Gerlospass in den Salzburger Oberpinzgau ab. „Das Tal trennt die Tuxer Alpen im Westen von den Kitzbüheler Alpen im Osten. Im Süden, an der Grenze zu Südtirol, liegen die Zillertaler Alpen mit dem Zillertaler Hauptkamm. Nördlich davon und auf der orografisch rechten Seite des Tuxertals zieht sich der Tuxer Kamm (auch Tuxer Hauptkamm) hin. Auf seiner linken Seite (weiter nördlich) findet sich der Hauptkamm der Tuxer Alpen, wo die weichen Gesteine der Quarzphyllit- und Grauwackenzone überwiegen.“ 1)

Sowohl im Sommer, als auch im Winter bietet die wunderbare Landschaft und bodenständige Gastronomie dem Besucher eine beachtliche Vielfalt an Aktivitäten und einen hohen Erholungswert an. Zusätzlicher Vorteil ist, dass das Gebiet von Baden-Württemberg nicht weit entfernt und somit schnell erreichbar ist, aber weit abseits aller Hektik des Alltags liegt.

Die Gäste aus Bühl blieben in all den Jahren immer dem gleichen netten Vermieter-Ehepaar Inge und Klaus Hafner treu, die in ihrem großen Anwesen fünf gediegen eingerichteten Appartements an Feriengäste vermieten. Der Ski-Zirkus im Winter interessierte die Bühler nicht. Dafür genügten ihnen die Möglichkeiten, die sie quasi vor der Haustüre hatten. Gemeint sind die Skihänge am Mehliskopf und am Seibelseckle, direkt an der Schwarzwaldhochstraße. Ein oder zweimal im Jahr war er früher mit den Söhnen auch zum Belchen gefahren, der ihnen Abfahrtspisten aller Schwierigkeitsgrade bot. Peter Bauer war aber allgemein sowieso mehr ein Skiläufer auf den Langlaufpisten und nur gelegentlich gab es sich in das Getümmel und wedelte mit Abfahrtsski die Hänge hinab. Hinderlich waren ihm dort zudem immer die langen Wartezeiten an den Liften, mit denen er nichts am Hut hatte. Dagegen bevorzugte Lisa eher den Schlitten und vergnügte einst mit ihren Kindern und später mit den Enkelkindern auf diese Weise.

Der Sommer gefiel ihnen da in den Bergen ungemein gut. Da schätzten sie nicht nur die schönen, sonnigen Tage, nein, auch Regentage zwischendurch machte ihnen nichts aus. Dann wichen sie eben in ein Hallenbad aus oder besuchten ein interessantes Museum. Ein ganz besonderes waren zum Beispiel die Swarovski-Kristallwelten in Schwaz.

Die grünen Täler, die gepflegten kräuterbewachsen Wiesen, auf denen da und dort friedlich die Milchkühe weideten, übte auf die Schwarzwälder einen besonderen Reiz auf sie aus. Da fühlten sie sich durchaus mit den Bewohnern des Zillertals etwas seelenverwandt. Dann schätzten sie insbesondere die wohltuende Luftveränderung, sowohl im wahrsten Sinne des Wortes, wie auch im Übertragenen, die sie immer wieder ins Alpenland zog.

Das wuchtige Haus der Hafners ist im typisch alpenländischen Stil gehalten, mit viel dunkelgefärbtem Holz, was es heimelig macht und eine warme Atmosphäre ausstrahlt. Unter dem weit ausladenden Dach und auf drei Ebenen bieten die Appartements für die Gäste viel Platz und alles, was man für einen autarken Urlaub so braucht. Die über die stirnseitige Hausbreite verlaufenden Balkone laden die Gäste bei schönem Wetter zum Verweilen ein, bis am Abend dann die Sonne in der Ferne in leuchtendem Rot über dem Karwendelgebirge langsam versinkt. Wie es im Alpenraum überall lange Tradition ist, sind die Balkone vom Frühjahr bis in den Herbst hinein mit üppig blühenden verschiedenfarbigen Geranien geschmückt und bieten so eine Augenweide und Wonne für alle Sinne. Nach langen Wanderungen und einem anstrengenden Tag lädt die hauseigene Sauna die Gäste zur Entspannung ein, die natürlich von ihnen kostenlos benützt werden darf.

In den Sommermonaten sind, zum Leidwesen der Hausbesitzerin, meistens nicht immer alle Zimmer ausgebucht. Erst in den letzten Jahren entwickeln sich die Freizeitaktivitäten auch im Sommer etwas positiver, weg vom Ski-Zirkus, hin zu anderen Sportarten, wie Bergsteigen, Wandern oder Mountainbiking. Die Outdoor-Enthusiasten haben das relativ moderat ansteigende Tal zwischen links und rechts hoch aufragender Berge auch für sich entdeckt. An schönen Tagen sind inzwischen Horden von Bikern im Tal unterwegs.

Weit über Mayrhofen, der Marktgemeinde im Tal, ragt die Ahornspitze gen Himmel und ist mit 2973 Meter fast ein Dreitausender. Nicht weit entfernt dominiert der anspruchsvollere Olperer mit 3476 Meter alle anderen Berge des Zillertaler-Hauptkamms. Sattgrüne Almwiesen in mittlerer Höhenlage sind im Sommer mit bunten Alpenblumen und duftenden Kräutern verschwenderisch übersät. Sauerstoffreiche, würzige Bergluft befreit die Lungen und den Wanderer vom Stress und der Hektik des Alltags; sie macht den Kopf frei und regt alle Sinne an. Die Region ist aus diesem Grunde ideal zum Entschleunigen geeignet, wie sich das heute neudeutsch nennt.

Im Winter dagegen tobt dagegen der Bär an den endlosen Hängen des Tals und auf den bestens präparierten und mit Liften erschlossenen Flächen der Höhen. Da findet sich in den vielen Hotels und Pensionen kein leeres Zimmer mehr. Tausende Pisten-Skifahrer und Langläufer tummeln sich Tag für Tag auf den weithin bekannten Pisten und endlosen Loipen. Den Brettlfans bieten sich um Hochfügen, Penken, Hintertux und den anderen weitläufigen Skigebieten hunderte Kilometer an rasanten Abfahrten, und hinterher vergnügen sich die Massen dicht an dicht bis weit in die Nacht hinein beim Après-Ski. Offensichtlich brauchen die Menschen heute das Gefühl in der Menge zu baden und lieben das Vergnügen im Schulter an Schulter-Gedränge. Vielleicht ist das für gesellige Menschen ein Ersatz für die einst althergebrachten Großfamilien aus alter Zeit, in der noch drei Generationen unter einem Dach zusammen lebten und man sonst am Stammtisch, im Verein und anderen aktiven dörflichen Gemeinschaften den täglichen Kontakt untereinander pflegte.

Inge Hafner ist die Seele des Hauses und für die Vermietung der Appartements zuständig; das ist ihr ureigenes Reich. Klaus, ihr schwergewichtiger Mann, ist Handwerker und Maurermeister mit eigenem Geschäft. Nach alter Tradition des Tales, engagiert er sich im Musik- und Trachtenverein und auch sonst ist er - wie es sich für einen Bergler gehört - in viele andere Aktivitäten des Dorfes eingebunden. Der Mann ist überdurchschnittlich groß und ausgesprochen kräftig, das täuscht aber den flüchtigen Beobachter etwas über sein Naturell und sein Wesen hinweg. Tatsächlich ist er ein sehr gutmütiger herzlicher Typ, gemächlich, witzig - eben ein echtes Tiroler Urgestein. Für einen Obstler, Williams- oder Marillen-Schnaps ist er immer zu haben und bei einem Körpergewicht über 150 Kilo verträgt er erstaunliche Mengen dieser Destillate. Andere würden schon bei der Hälfte längst unter dem Tisch liegen.

Mit ihren Stammgästen pflegt das Ehepaar ein enges, fast familiäres Verhältnis, was mit ein Grund dafür ist, dass Lisa und Peter Bauer schon so lange und immer wieder Jahr für Jahr mindestens über mehrere Tage einen Teil ihres Urlaubs dort verbringen. Der andere Grund sind die günstigen Preise im Sommer für die Appartements. Und die Badener sind noch sparsamer als die Schwaben. Günstig ist auch, man ist von Bühl aus mit dem Auto in 5 oder 6 Stunden vor Ort, somit schnell mitten in den Bergen, und dabei in einer prachtvollen und abwechslungsreichen Alpenregion. Wenn sie keine Lust hatte auszugehen, konnten das Ehepaar sich das Frühstück, Mittag und Abendessen im Appartement selber machen. Was sie dafür brauchten, war schnell in den örtlichen Geschäften besorgt. Nicht weit entfernt gab es einen Kaufladen, wo Peter sich auch täglich seine „Bild“ besorgte und somit bei den wichtigsten Nachrichten aus der Welt, und vor allem des Sports, auf dem Laufenden blieb. Selbstverständlich gehörte ein Fernsehgerät natürlich auch zur Ausstattung des Appartements, sodass auch mit diesem Medium bei den täglichen Nachrichtensendungen das Weltgeschehen verfolgt werden konnte.

Oben: Blick auf Stumm, unten: Blick vom Penken auf Mayrhofen

1) Wikipedia

2

Eine schwierige Ehe

Die Bühler Ehepaar Lisa und Peter Bauer sind seit über 30 Jahren verheiratet und wohnen in Kappelwindeck, einem der älteren Ortsteile in der weithin durch die „Bühler Zwetschgen“ bekannten Stadt Bühl, wo sie auch schon seit 20 Jahren ein eigenes großzügiges Einfamilienhaus mit Garten bewohnen. Ihre beiden Söhne Frank und Reiner sind längst auch verheiratet. Beide haben zwei nette Frauen gefunden, die ein gutes Verhältnis zu den Schwiegereltern pflegen. Zur deren Familien gehören jeweils auch zwei Kinder, wie wenn man sich in der Familienplanung gegenseitig abgesprochen hätte. Frank hat mit seiner Frau Ruth ein Mädchen im Alter von 4 Jahren und einen Buben mit 3 Jahren. Sein Bruder Reiner und seine Frau Edith erfreuen sich an zwei Buben, die 5 und 3 Jahre alt sind.

Die Enkelkinder verweilen zwischendurch gerne bei den Großeltern, und wenn eines oder alle zusammen kommen und bei Oma und Opa sein dürfen, werden sie, wie man es fast überall kennt, natürlich nach Strich und Faden verwöhnt. Leider wohnt Reiner in Frankfurt und Frank in Nürnberg, sodass regelmäßige Besuche nicht so oft häufig und schon gar an jedem Tag und in jeder Woche möglich sind. Die beiden Familien wechseln sich bei ihren Besuchen aber immer wieder mal ab und zu besonderen Anlässen, wie Geburtstagen, Weihnachten und Ostern sind in der Regel alle zusammen. Einer der Wohnsitze wurde dann für alle der gemeinsame Treffpunkt, also mal da und mal dort.

Bisher hat es sich mit wenigen Ausnahmen immer arrangieren lassen, dass mindestens einmal im Monat die Großeltern einen ihrer Söhne besuchen konnten oder diese kommen, überwiegend an einem Feiertag, Samstag oder Sonntag, in ihre alte Heimat.

Wenn die Enkelkinder etwas größer geworden sind, will man es so einrichten, dass sie dann jeweils eine Woche und länger bleiben dürfen oder später, die ganze Ferienzeit in Kappelwindeck verbringen können. Sowohl die Oma als auch der Opa haben sich vorgenommen, dann viel zu unternehmen und ihnen schöne Tage zu bereiten. Die Enkel sollen es richtig gut bei ihnen haben.

Leider kann man bei den Großeltern Lisas und Peter nicht mehr von einer glücklichen Ehe sprechen. Gewohnheiten und individuelle Eigenheiten haben sich längst eingeschlichen. Über die Jahre hatten sie sich auseinandergelebt und es gibt nur noch wenige gemeinsame Interessen. Nicht selten herrscht Krisenstimmung im Haus. Leicht entstehen Streit und heftige Auseinandersetzungen, und meistens sind nur Kleinigkeiten und unbedeutende Anlässe deren Ursache. Früher hat Lisa die Rechthaberei und skurrilen Eigenheiten ihres Mannes geduldig ertragen und aufkommenden Ärger wohl oder übel geschluckt; heute ist sie emanzipierter, giftet zurück und gibt mächtig contra, was ihren Mann noch mehr verärgert, gehörig auf die Palme bringt und manchmal richtig cholerisch werden lässt. In ruhigeren Zeiten geht dagegen jeder einfach seinen gewohnten und bequemen Weg und widmet sich mehr den eigenen Interessen.

Neben dem Beruf sind Peters Leben seine Hobbys. Dazu zählt einmal der Fußball, und so oft es ging, war er in den letzten Jahren mit einigen Freuden oder Kumpeln im KSC-Stadion, wenn sein Lieblingsverein, der Karlsruher Fußballverein in der 1. oder 2. Bundesliga spielte. Zudem ist er ein begeisterter Wanderer und Bergsteiger und dabei was sehr oft mit Wandergruppen oder Kameraden des DAV, der Sektion Baden-Baden, im Schwarzwald und in den europäischen Bergen auf Tages- oder Mehrtagestouren unterwegs. Zum dritten gehört er dem Vorstand im Traditionsverein RSV an, dem Radsportverein Jägerweg, der mehrmals im Jahr an irgendwelchen Korsos teilnimmt. Dazu gehört traditionell der Umzug beim Bühler Zwetschgenfest, das jährlich immer Anfang September stattfindet. Da macht er in den vordersten Reihen mit, und machte immer eine gute Figur auf den mit Girlanden geschmückten altmodischen Rädern. In allen diesen Kreisen wurde Peter einerseits wegen seines trockenen Humors sehr geschätzt, aber auch wegen seiner steten Hilfsbereitschaft und seines fundierten handwerklichen Könnens. „Take it easy“, sagt der ‚Lateiner‘, beliebte er in der Runde oft zu scherzen.

Beruflich ist Peter leider längst über dem Zenit. Nach einer Lehre zum Mechaniker, wie es damals noch hieß, legte er später die Meisterprüfung ab und arbeitete immer schon bei Bosch. Gelegentlich kam er im beruflichen Auftrag ins Ausland, wenn Maschinen nach Brasilien oder Mexiko in ein Werk der Firmengruppe verlagert wurden oder im Werk Pretoria in Südafrika Verbesserungen und Optimierungen am Band nötig wurden. Das machte ihm Freude und dabei verdiente er gut. So konnte er sich nebenbei, trotz der Schulden für ihr Eigenheim, die eine oder andere zusätzliche Tour oder einen gemeinsamen etwas teureren Urlaub leisten. Seit Jahren nahmen aber immer mehr Ingenieure - und nicht wenige promoviert - entscheidende Stellungen im Unternehmen ein, und da zählte ein Meister nichts mehr. In Gesprächen und Sitzungen hatte er stets den Eindruck, dass Fachwissen und Erfahrung nur noch wenig gefragt sind. Die „Kopfleute“, wie er sie nannte, wissen vom Schreibtisch aus alles viel besser und sie bestimmen heute, wo es langgeht; ob es einen Sinn ergibt und Nutzen bringt, spielt keine Rolle. Seit die engagierten Mitarbeiter und das „arbeitende Volk“ für die Großkonzerne nur noch Kosten darstellen, war sein Verhältnis zur „Obrigkeit“ im Unternehmen nachhaltig gestört und begann, die Tage zu zählen, bis er in den Ruhestand wechseln kann.

Seine Frau Lisa hatte das Schneiderhandwerk gelernt, sogar den Meister gemacht und danach arbeitete sie viele Jahre als Änderungsschneiderin in einem Bühler Kaufhaus. Diese Tätigkeit konnte sie gut nebenher machen, trotz den zwei Kindern, oder nur zeitweise etwas eingeschränkt. Später übernahm sie eine kleine Werkstatt in der Stadt, wo sie auf eigene Rechnung die Änderungen für ihre Kundschaft aus Bühl und Umgebung anbot und ausführte. Nebenher betrieb sie noch eine gutgehende Wäsche-Mangel, was weitere willkommene Einnahmen sicherte.

Viel Geld brachte ihr unter dem Strich das trotzdem nie ein, doch die Arbeit machte ihr Freude; sie hatte mit netten Menschen zu tun, war ihr eigener Chef und in ihrer Arbeit frei. Damit war sie ganz zufrieden und gewann mit zunehmendem Alter immer mehr an Selbstsicherheit, was ihr in der Jugendzeit und in jungen Jahren leider gefehlt hatte, wie sie später empfand und eingestand.

Damals war Lisa schüchtern und zurückhaltend; und so liebte sie Peter, der gerne den Macho gab und immer lieber seinen Hobbys frönte, als sich um Kinder oder gar um den Haushalt zu kümmern. Die Erziehung und alle Dinge im Haushalt blieben an ihr hängen. Nur was handwerklich im und am Haus zu machen war, das war sein Part, um die groben Arbeiten im Garten kümmerte er sich natürlich auch. Lisa durfte sich dagegen um den Gemüseanbau und zeigte auch da durchaus einen „grünen Daumen“.

Mit gesteigertem Selbstbewusstsein getraute sich Lisa mit der Zeit immer öfters ihren eigenen Willen durchzusetzen und sich gewisse Freiheiten zu schaffen. Sie war sich dabei durchaus bewusst, als Frau immer noch attraktiv zu sein und eine gute Figur behalten zu haben. Dafür erwartete sie Achtung und Anerkennung, auch von ihrem Mann. In der Folge kam es häufiger zu Streit und der Haussegen hing danach tagelang schief. Von eitlem Sonnenschein konnte im trauten Zusammensein schon lange nicht mehr die Rede sein. Bei den Auseinandersetzungen bestand die Gefahr, dass Peter sehr laut wurde und er liebte es mit den Türen zu knallen, eine Eigenheit, die Lisa überhaupt nicht leiden konnte. So waren beide schon sehr froh, wenn der Alltag unspektakulär verlief und es nur bei der etwas langweiligen Routine blieb und nicht größere Dissonanzen auftraten.

Solange ihre Söhne noch bei ihnen im Haus lebten, übertrugen sich manche Zwistigkeiten auch auf sie, denn sie waren mittendrin, standen voll auf der Seite ihrer Mutter und taten dem Vater deutlich ihre Meinung kund. Das gefiel wiederum Peter überhaupt nicht, der schon von Berufs wegen gewohnt war, das Sagen zu haben. Hinzu kam, dass er von Natur aus ein Hitzkopf sein konnte und dann sehr aufbrausend und cholerisch reagierte. Kurzum, je selbständiger seine Frau wurde, umso schwieriger und exzentrischer wurde ihr Mann, und das machte das traute Zusammensein manchmal wirklich schwierig.

Trotz allen Schwierigkeiten und manchen Tagen von eisigem Schweigen geprägt, dachten weder Lisa noch Peter lange Zeit nicht an eine Trennung. Man hielt es erstens für ganz normal, dass es unter Eheleuten auch mal unterschiedliche Meinungen gibt, und Streit in einem tragbaren Rahmen gehörte dazu. „Das ist das Salz in der Suppe“, argumentierte Peter manchmal in einem Anflug von Sarkasmus. Andererseits hätte Trennung bedeutet, dass sie das Haus verloren hätten, sprich verkaufen müssen. Das wollte man „ums verrecke“ nicht, und so lebten beide seit längerem gezwungenermaßen oder quasi per Vernunft, jahraus, jahrein immer mehr ihr eigenständiges Leben.

Außer den Söhnen bekam die Umgebung kaum etwas von Dissonanzen in der Ehe mit. Nach außen hin galten sie als perfektes Ehepaar, wohl mit Ecken und Kanten, wie es bei vielen und vielleicht in allen Ehen so ist. Und der Homo Badensis ist an sich nicht so zart besaitet, eher in seinen Genen von den Widerwärtigkeiten aus Jahrhunderten, oder zumindest seit dem 30-jährigen Krieg, nachhaltig geprägt. Wie es wirklich aussah, bekam das Umfeld nicht mit. Dort galten die Eheleute als bodenständige Kappler, waren gerne gesehen und wohl gelitten.