Für die Katz! - Rüdiger Schneider - E-Book

Für die Katz! E-Book

Rüdiger Schneider

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Beschreibung

Im hessischen Dorf Hanitz haben die Bürger ihre eigene Kultur. Sie wollen keinen Fernseher, sind gegen die Zwangsgebühr. Der Autor war als Reporter unterwegs und hat die Geschichten aufgeschrieben. Mit zahlreichen Farbfotos - 3. erheblich erweiterte Auflage "Mit diesem Auge sieht man besser!" - Feuilleton 'Brohler Abendblatt'

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Inhalt

Vorwort

Silke Freudenreich, Bürgermeisterin

Martha Engel: Für die Katz!

Beim Himalaya-Forscher

Schäfer Hannes

Der Schuldirektor

Freudenreicher Abend

Uschi Trippelsdorf

Der Nachtwächter

Bruder Heinrich

In der Kräuterapotheke

Anna-Maria Lindheimer

Heidi Wohlgemuth – Kulturbüro Hanitz

Entsorgungsdienst Hoppe

Der alte Rübsamen

Cilli Weinbauer

Der Konzertmeister

Scheng Kaminski

Die Gemeindeschwester

Habib regelt den Verkehr

Beim Energieminister

Kaufmann Anton van Dyke

Die Odongos

Die Blase

Der Scheich kommt

Hiawathas Hütte

Tuntenrunde

Besuch vom Bischof

Dr. med. Hubertus Disselhoff

Im Gefängnis

Nachwort

Vorwort

Das Fernsehen gehört für mich zu den größten Errungenschaften des Menschen. Was wären wir ohne diese segensreiche Erfindung! Viele Informationen würden uns fehlen. Die Abende wären unendlich langweilig, die eigene Reise an die Orte der Welt mühevoll und gefährlich, wir würden nicht über das Wetter aufgeklärt, leckere Kochrezepte würden uns entgehen, ebenso die Probleme unserer Nachbarn, spannende Werbespots und vieles, vieles mehr, was ich hier im Einzelnen gar nicht aufzählen kann.

Dass man für diesen wunderbaren Service Gebühren verlangt, ist doch selbstverständlich! Meiner Meinung nach sind diese Gebühren noch viel zu gering. Was würde das z. B. kosten, wenn man selber nach Brasilien fliegen müsste, um auf dem Amazonas zu paddeln? Abgesehen von den damit verbundenen Gefahren! Nein, da ist es besser, ich kann mir das zu Hause auf dem Bildschirm anschauen, ohne von Piranhas oder Krokodilen zerfleischt zu werden. Ich zahle also gerne. Ich habe sogar zwei Fernsehapparate, die mit verschiedenen Programmen nebeneinander laufen, damit mir nichts entgeht. Ich wollte für beide Apparate zahlen, aber die vom Beitragsservice waren so kulant und haben gesagt: „Nein, nein, haben Sie ruhig mehrere! Wir wünschen das Honorar nur für einen.“ Das nenne ich ein freundliches Entgegenkommen.

Um so erstaunter war ich, als ich von einem hessischen Dorf erfuhr, wo die Leute gar kein Fernsehen wollen und sich weigern, die Gebühren zu bezahlen. Das habe ich nicht verstanden. Wie qualvoll muss ein Leben ohne Fernsehen sein! Ich war neugierig, diese Menschen, ihr Leben, ihre Motive kennenzulernen. So machte ich mich also mit der Kamera auf den Weg nach Hanitz, wie dieses seltsame Dorf im Hessischen heißt.

Für erste Informationen verabredete ich mich mit Silke Freudenreich, der Bürgermeisterin des Ortes.

Rüdiger Schneider, Brohler Abendblatt

Silke Freudenreich, Bürgermeisterin von Hanitz

Silke Freudenreich

Ich wundere mich, wie ruhig und friedlich die mit Kopfsteinpflaster belegte Dorfstraße ist. Mit Blumen geschmückte Fachwerkhäuser säumen sie. Gelegentlich steht in einem Vorgarten ein Auto. Zwischen den großzügig platzierten Häusern mit ihren Gärten führen hin und wieder Feldwege auf die Weinhänge zu, die den Ort umgeben. Ich komme an einem kleinen Lebensmittelladen vorbei, an einer Destillerie, einer Kräuterapotheke, einem Gasthof, einem Kulturbüro und lande auf einem Marktplatz, wo die Straße zu Ende ist. Das also ist der Grund für die von keinem Lärm gestörte Ruhe. Die Hanitzer haben es vermieden, sich an einer Durchgangsstraße niederzulassen. So etwas kenne ich noch nicht. Wo ich wohne, wird der Ort von einer Bundesstraße durchschnitten und entsprechend unruhig geht es zu.

Idyllisch auch der Hanitzer Marktplatz. Ein ausladendes Rondell mit einer kleinen Kirche, einem Pfarrhaus mit sprudelndem Brunnen davor. Unter dem Schutzdach einer alten Linde steht ein fahrbarer Kiosk. Daneben sitzen auf einer Bank ein paar Rentner, halten eine Tasse in der Hand und unterhalten sich. Ein anderer steht direkt am Kiosk, zupft auf einer Gitarre, probt offensichtlich ein Lied. Am Marktplatz, neben der Kirche, ist auch das Rathaus, ein anmutiger Bau aus hellen Steinquadern, eher einem Bauernhaus gleich, wie ich es etwa von der Bretagne her kenne. Weinlaub rankt die Fassade entlang. Von den Fensterbänken hängen Girlanden blauer und roter Glyzinien. Fast hätte ich umgedreht, wäre das Rondell entlang an dem Gebäude vorbeigefahren, hätte nicht über dem Eingang gestanden ‚Rathaus Hanitz‘.

Es ist zehn Uhr. Mit Silke Freudenreich, der Bürgermeisterin, habe ich telefonisch einen Termin vereinbart. Sie empfängt mich mit einem freundlichen Lächeln, führt mich in ihr Büro, das mit seiner bequemen Sitzgruppe und einer Küchenzeile mehr einem gemütlichen Wohnzimmer gleicht. Auf dem Schreibtisch findet sich zu meiner Überraschung kein Computer oder Monitor, sondern nur eine Schreibmaschine. Frau Freudenreich bemerkt meine Verwunderung und erklärt mir: „Verwaltungsmäßig hängen wir von unserem größeren Nachbarort Schottenheim ab. Wir kommen hier ohne Computer aus.“ Und sie fügt dann noch mit einem Augenzwinkern hinzu: „Außerdem halten wir nichts von der Digitalisierung. Ebenso wie wir hier nichts vom Fernsehen halten. Deswegen sind Sie ja gekommen. Aber setzen Sie sich erst einmal. Eine Tasse Kaffee?“

So freundlich bin ich noch in keinem Rathaus empfangen worden. Meist verursachen mir die bürokratischen Gänge eher ein Magenzwicken, weil man oft etwas vergessen hat oder es hat sich wieder was geändert und man wusste es nicht. Ein Bußgeld wegen einer Ordnungswidrigkeit steht aus. In Hanitz aber scheinen die Uhren anders zu gehen.

Ich lasse mich in einem bequemen Sessel nieder. Frau Freudenreich macht sich an der Kaffeemaschine zu schaffen, kommt dann mit einem Tablett zu mir, auf dem sich nicht nur eine Kanne mit Kaffee und zwei Tassen, sondern auch eine Schale mit Gebäck befindet. Die Bürgermeisterin setzt sich mir gegenüber auf ein Plüschsofa und erzählt zunächst etwas Allgemeines über Hanitz.

„Also, wir sind ein recht kleines Dorf mit nur 63 Einwohnern, haben aber eine eigene Kirche bzw. ein Kloster, eine eigene Schule, einen Gasthof, einen Lebensmittelladen, eine Backstube, eine Destillerie, eine Apotheke, ein Kulturbüro und noch einiges mehr, was Sie, wenn Sie etwas länger bleiben wollen, kennenlernen werden. Vom Klima her haben wir großes Glück. Nicht Freiburg ist der sonnenreichste Ort Deutschlands, sondern Hanitz. Wir liegen in einer vulkanischen Mulde. Das Lavagestein der uns umgebenden Hügel lässt die besten Trauben gedeihen und von daher kommt auch unser bescheidener Wohlstand. Wir destillieren einen Trester, der bis in die arabischen Länder Freunde gewonnen hat. Aber davon erzähle ich später noch. Möchten Sie ein Gläschen? Unser Trester hat 58%.“

Ich sage nicht ‚Nein‘ und bekomme zu dem Kaffee noch einen Trester serviert, den ich nur in höchsten Tönen loben kann. Mit seinem trotz der hohen Prozente milden Geschmack ist er dem besten italienischen Grappa ebenbürtig.

Wir kommen zu meinem eigentlichen Anliegen. Dem Fernsehen und den Gebühren bzw. der Weigerung, diese zu bezahlen.

„Wir brauchen hier kein Fernsehen“, sagt Silke Freudenreich. „Sie finden in unserem Dorf keinen einzigen Apparat. Wir haben unser eigenes Kulturprogramm. Eine Theatergruppe, Konzertabende, Lesungen, Literaturvorstellungen, philosophische Vorträge, eine Kunstgalerie, Sportplätze. Wir haben weder Lust noch Zeit uns vor eine Mattscheibe zu setzen und uns mit irgendwelchem Zeugs berieseln zu lassen.“

„Aber Gebühren müssen Sie trotzdem bezahlen?“

„Das ist per Staatsvertrag leider gesetzlich geregelt. Da haben Sie vor keinem Gericht eine Chance. Der Bürger soll sich dem Mainstream anpassen.“

„Die Hanitzer weigern sich, die Gebühren zu bezahlen?“

„Das ist von Fall zu Fall verschieden. Wir können nicht alle so weit gehen wie unser Gemeindeschäfer. Aber am besten lernen Sie die einzelnen Fälle persönlich kennen. Ich gebe Ihnen eine Liste mit den Namen und der Adresse. Sprechen Sie mit den Leuten! Sie dürfen auch Fotos machen. Wundern Sie sich nicht, wenn Sie auf der Liste auch ein paar Minister finden. Wer hier bei uns mit Verwaltungsaufgaben betraut ist, darf sich so nennen. ‚Minister‘ im eigentlichen Wortsinn als verwaltend Dienender. Nicht wie bei unseren Politikern, wo das Fernsehen hinter aufgeblasenen Wichtigtuern her ist, um ein Interview zu bekommen. Wenn Sie früher mal Messdiener bzw. Ministrant waren, kennen Sie ja noch die eigentliche Bedeutung. Sie werden bei uns einen Verkehrs- und einen Energieminister finden. Unser Verkehrsminister ist übrigens ein eingebürgerter Afghane, der sein Amt bestens versteht. Sie werden hier in Hanitz nie in einen Stau kommen. Selbst bei unseren Scheunenfesten und Sportveranstaltungen nicht. Seien Sie nicht überrascht, wenn Sie in unserem Ort hochrangige Forscher und Künstler finden. Ich habe für Sie auch ein Interview mit Bruder Heinrich arrangiert. Die kleine Kirche mit dem Pfarrhaus ist ein Kloster. Als einziger Mönch ist Bruder Heinrich zugleich auch der Abt.“

Nach einem zweiten Gläschen Trester bekomme ich eine Liste ausgehändigt mit den Namen und Adressen ausgesuchter Hanitzer Bürgerinnen und Bürger. Dazu einen von Hand gezeichneten Ortsplan.

„Wenn Sie das heute nicht mehr alles schaffen“, sagt Silke Freudenreich, „bleiben Sie ruhig ein paar Tage im Ort. Wir haben hier im Rathaus ein Gästezimmer. In zwei Tagen bekommen wir übrigens hohen Besuch. Der kann Ihnen auch einiges zu Hanitz erzählen. Wir haben ihm viel zu verdanken.“

Ich werfe einen Blick auf die Liste. Sie ist wirklich lang und wenn mich jeder so freundlich bewirtet wie die Bürgermeisterin, wird ein Tag in Hanitz nicht reichen.

„Was kostet denn das Gästezimmer?“ frage ich.

„Kosten? Nein. Nichts. Wir haben hier kein Hotel, sind auch nicht an Tourismus interessiert. Sie sind unser Gast. Bleiben Sie ruhig. Dann trinken wir am Abend noch ein Gläschen Wein.“

„Sie sind auch am Abend noch im Rathaus?“

„Ich wohne hier.“

Martha Engel: Für die Katz!

Martha Engel

„Gehen Sie am besten zuerst zu Martha Engel“, hatte mir die Bürgermeisterin empfohlen. „Sie wohnt in dem Fachwerkhäuschen direkt am Marktrand. Das sind nur fünfzig Meter. Frau Engel weiß Bescheid. Sie leitet übrigens die Hanitzer Tanzgruppe. Sie war die erste, die eine seltsame Erfahrung mit dem Fernsehen gemacht hat.“

Als ich bei Martha Engel klingel, öffnet mir eine etwa fünfzigjährige Frau in einem langen roten Kleid. Sie trägt einen weißen Schal um den Hals und ist barfuß. Auf dem Kleid sind orientalische Muster. Unübersehbar sind zwei Pharaonenbüsten. Frau Engel bemerkt mein Erstaunen. „Wir üben gerade klassische ägyptische Tänze“, erklärt sie.

„Aber kommen Sie ruhig herein. Wir gehen in die Küche. Da kann ich Ihnen einen Kaffee anbieten und Ihre Fragen beantworten. Meine Gruppe macht inzwischen eine Pause.“

Ich folge ihr in eine kleine gemütliche Küche, nehme an einem Tisch Platz. Martha Engel verschwindet kurz, um die Teilnehmer über die Pause zu informieren. Sie kommt zurück, setzt einen Kaffee auf und fragt: „Darf ich Ihnen auch ein Gläschen von unserem Trester anbieten?“

„Gerne“, antworte ich, „aber nur ein kleines“ und denke: „Wenn das so weiter geht, die Liste ist ja wahrlich lang, dann bist du am Abend erledigt, verschüttest den Trester und stammelst wie der Butler aus dem ‚Dinner for One‘ nur noch ‚Schkolll!‘“

Der Versuchung, ein zweites Glas angeboten zu bekommen, weiche ich aus, indem ich direkt zum Thema komme.

„Frau Engel“, frage ich, „Sie haben einen Fernsehapparat?“

„Ich hatte mal einen“, antwortet sie. „Aber als das Heinerle verstorben ist, habe ich das Gerät entsorgt.“

„Das Heinerle?“

„Das war mein Kater. Der streunte nachts immer herum, was ja auch gut ist. Das liegt doch in der Katzennatur. Aber eines Nachts ist er von einem Jäger angeschossen worden und hat sich dann nicht mehr aus dem Haus getraut. Da habe ich ihm einen Fernseher gekauft und einen CD-Player mit einem Mäusefilm. Der Film lief in einer Dauerschleife. Ich habe dem Heinerle eine 3D-Brille aufgesetzt und ihm auch beigebracht, wie man mit der Fernbedienung umgeht.“

„Und dann hat er sich nachts vor den Fernseher gesetzt?“