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Grenzgänger - Band 2 - Satisfy a Satyr Print 620 Seiten Genre: Gay Romance / BDSM / Real Life Berlin 2001. Die Freiheit, die Jack und ich erfuhren, war so paradox wie ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite war ich glücklich, dass mich endlich keine Mauern mehr aufhielten, andererseits wurde mir schnell klar: Der Alltag kann in all seiner stupiden Routine noch erdrückender sein als jede Zelle in einer Haftanstalt. Als wir nach dem Jugendgefängnis und unserer Flucht aus den Staaten zum ersten Mal die Kälte deutscher Winter am eigenen Leibe spürten, überfiel mich eine Ohnmacht der Hoffnungslosigkeit, welche mich stärker als je zuvor in meine Sexsucht und damit auf den Strich zwang. Doch schon bald gesellte sich noch eine zweite Abhängigkeit hinzu, die mich und meine Seele beinahe zerfraß: Heroin. Ich hatte nichts mehr zu verlieren und hätte sogar den Tod gleichgültig hingenommen, nur um noch einen weiteren Schuss zu kriegen und einen letzten Augenblick glücklich zu sein. Doch dann wendete sich das Blatt und ich schaffte es endlich, etwas in mir zu entdecken, das ich längst verloren glaubte: Meinen Willen zu überleben - für die Menschen, die ich liebte. Dies ist der zweite Band der dreiteiligen Roman-Serie, basierend auf wahren Begebenheiten.
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Impressum
»Grenzgänger« - Band 2
Satisfy a Satyr
Genre: Gay Contemporary - Coming of Age
ISBN: 9781795640701
© Akira Arenth
Autorenhomepage: www.akira-arenth.com
Email: [email protected]
Deutschland-Vertrieb für Akira Arenth:
S. Walther, Giebelweg 9, 15366 Hoppegarte
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Autors!
Coverartwork, Layout und Umschlaggestaltung:
Kira Yakuza (www.the-art-of-kira.de)
Lektorat: Steffi Thorstadt
Beta Leser: Kathrin S., John T., Lara H., Hannes K.
Dieser Roman beruht auf wahren Begebenheiten! Die Namen der Orte und Protagonisten, sowie einige Details, sind jedoch frei erfunden!
Akira Arenth
INHALT
Kapitel 1
Anschluss
Kapitel 2
Realität
Kapitel 3
Der Weg ins Übel
Kapitel 4
Selbstverleugnung
Kapitel 5
Pornomäßige Weihnachten
Kapitel 6
Dunkelheit und Licht
Kapitel 7
Aufschwung
Kapitel 8
Freunde ohne gewisse Vorzüge
Kapitel 9
Therapeutische Maßnahmen
Kapitel 10
Neue Perspektiven
Infos & free Books
Kapitel 1
Anschluss
In meinem Pass steht Caira Akando, doch mein richtiger Name ist Kestejoo Vogt.
Ich bin in Deutschland geboren, kannte mich in diesem Land jedoch ungefähr so gut aus, wie mit dem Paarungsverhalten von Osedax-Würmern. Als ich damals zum ersten Mal bewusst germanischen Boden berührte, war es ein seltsames Gefühl, denn als meine Mutter mit mir das Land verließ, war ich gerade mal drei Jahre alt. Ich erinnere mich kaum an die Reise, doch was mir im Kopf hängen geblieben ist, war der Temperaturunterschied. Wir flogen aus eisiger Kälte los und kamen bei knallendem Sonnenschein und fünfundzwanzig Grad an.
Diesmal war es genau andersherum. Bei unserem Abflug ging gerade erst die Sonne auf, trotzdem war es schon warm. Hier in Berlin war es kalt, grau und die Wolken zogen sich zu einem Gewitter zusammen, als sich die Bordtür öffnete. Fast wie eine unheilvolle Warnung, doch nach all dem, was wir erlebt hatten, konnte es nur noch besser werden.
Jack wankte vor mir aus dem Flugzeug. Er hatte die zwölf Stunden Flug wirklich gut durchgehalten und sogar ein bisschen schlafen können. Ich hingegen lag die meiste Zeit wach und sah aus dem Fenster. Wir waren beide fertig, ausgelaugt und hatten noch immer Schmerzen, wenn wir uns bewegten. Wenn ich daran dachte, dass seine Operation nur wenige Tage zurücklag, empfand ich es als ein Wunder, dass er überhaupt schon auf den Beinen war, doch wie immer bewies er mir, dass ihn nichts unterkriegte. Entgegen all meinen Widerworten wuchtete er sich sogar erneut unser Handgepäck auf den Rücken. Der Stolz dieses Kerls sprengte einfach jede Messlatte.
Mein Versuch, die deutschen Schilder zu entziffern, scheiterte kläglich. Zum einen litt ich immer noch unter den Folgen der Gehirnerschütterung, zum anderen hatte ich diese Sprache seit einer gefühlten Ewigkeit weder gelesen, noch gehört oder gesprochen. Da ich nicht mal meine Musik mit nach Basteinburg nehmen durfte, war sie beinahe völlig in Vergessenheit geraten. Glücklicherweise gab es hier englische Untertitel, doch das würde nicht überall der Fall sein.
Die Gepäckwartehalle füllte sich langsam.
'Menschenmassen - wie ich sie hasse.'
Beim Abflug war ich noch so nervös und darauf fixiert, ob wir mit unseren gefälschten Pässen durchkommen, dass ich die drängenden Personen um mich herum kaum registrierte. Doch jetzt, nach den Stunden des Fluges, wo sich die Aufregung langsam legte, spürte ich wieder, wie furchtbar unangenehm mir all diese Fremden waren.
Wir nahmen unser restliches Gepäck vom Fließband, verließen den Check-out Bereich des Flughafens und kamen zu einem riesigen Rondell aus Parkplätzen und Zufahrtswegen.
»Hast du einen Regenschirm dabei?«, fragte ich Jack, etwas irritiert in die grauen Wolken blickend.
»Nein«, antwortete er nur seufzend und blickte sich angewidert um. »Was für´n Drecksland. Guck dir die Leute an, alle ziehen ´ne Fresse.«
»Kein Wunder bei dem Wetter. Warte mal ab, bis der Winter kommt.« Jack war in seinem ganzen Leben noch nie woanders gewesen als im südwestlichen Amerika. Zwar erinnerte ich mich auch nicht an Schnee, aber ich wusste, dass es ihn hier gab. Er hingegen war völlig ahnungslos.
»Hätten wir nicht nach Kuba fliehen können? Oder wenigstens Italien?«
»Kannst du Spanisch? Oder Italienisch? Nein! Mein Deutsch mag eingerostet sein, aber das kommt schon wieder und du lernst es dann von mir. Es war einfach die logischste Wahl, dass ich zu meinen Wurzeln zurückkehre.«
»Genau! Weil du so unglaublich 'arisch' aussiehst.« Das war das einzige deutsche Wort, das er kannte, da er es selbst öfter im Scherz zu hören bekam.
Ich stieß ihm in die Seite, sodass er scharf die Luft einsog, erst da erinnerte ich mich wieder an seine Schusswunde in der Schulter.
»Aua! Mann, sei doch vorsichtig!«, zischte er mich an und schob einige seiner sandfarbenen Strähnen zurück hinters Ohr, die ihm durch die rasche Abwehrbewegung ins Gesicht gefallen waren.
»Ja, ja, entschuldige …«
»Hat Zottel dir wenigstens irgendeine Instruktion gegeben, was wir machen sollen, sobald wir ankommen? Wir sind hier doch völlig am Arsch.«
Ich zog die Augen zusammen und sah ihn vorwurfsvoll an. Jonahs Optimismus vermisste ich jetzt schon. Ob es wirklich eine so gute Idee war, ohne ihn abzuhauen? Immerhin hatte ich die letzten Jahre mit ihm verbracht und nun saß ich mit XXL-Brummbärchi[Fußnote 1] in dieser tristen Einöde fest.
»Er sagte, wir sollen erst mal ein Taxi nehmen und uns zum nächsten Hotel fahren lassen. Es gibt hier sogenannte 'Jugendherbergen', die sind besonders günstig.« Dabei kramte ich schon in meiner Jackentasche. »Hier, Sullivan hat mir einige im näheren Umkreis des Flughafens aufgeschrieben.«
Jack überflog den Zettel und zuckte mit den Schultern. »Mir egal wohin, Hauptsache ich kann ins Bett. Diese blöden Flugzeugsitze waren so dermaßen unbequem! Ich will endlich richtig liegen und mich ausstrecken!«
Wir gingen zur Straße und sahen einige der ebenso gelben Taxis, wie sie von unserem Heimatland kannten. Nur mit dem Unterschied, dass die Autos hier etwas abgeranzter aussahen. In der ersten Reihe klopfte ich an die Scheibe eines Südländers, bevor dieser sie herunterkurbelte und irgendwas fragte, das ich nicht verstand. Also reichte ich ihm den Zettel mit den Adressen, die Jonahs Onkel uns aufgeschrieben hatte und fragte in gebrochenem Deutsch, welches Hotel davon am nächsten sei. Er tippte auf das dritte, welches am weitesten entfernt lag, wie ich später erfuhr, doch in diesem Moment glaubte ich ihm und wir luden unsere Sachen in seinen Kofferraum.
Jack und ich zwängten uns zusammen auf den Rücksitz und beobachteten den Fahrer etwas argwöhnisch, als dieser einen orientalischen Radiosender einschaltete und die alte Karre dann in Bewegung setzte.
Die blockförmigen, grauen Wohnhäuser, die an uns vorbeizogen, machten mir Angst. Die ganze Stadt wirkte, zusätzlich durch den einsetzenden Regen, so furchtbar trostlos, dass ich am Liebsten losheulen wollte. Ich drückte mich an Jacks heile Seite und sah bedrückt aus dem Fenster. Jetzt war er das einzig Vertraute, was mir noch blieb und deshalb brauchte ich in diesem Moment seine Nähe.
»Alles okay?«, fragte er mich leise und sah mich fürsorglich an. Ich nickte, doch er merkte, dass es nicht stimmte. »Komm her«, raunte er mir liebevoll zu und legte seinen warmen Arm um mich, während er mich sanft auf die Stirn küsste. »Du zitterst ja, ist dir kalt?«
»Nein, nein, alles in Ordnung«, erwiderte ich nur, legte meinen Kopf an seine breite Schulter und registrierte den angeekelten Gesichtsausdruck des Fahrers im Rückspiegel.
»Sollten Sie nicht lieber auf die Straße gucken?«, schnauzte ihn Jack plötzlich an, der seinen Blick ebenfalls bemerkt hatte, doch natürlich verstand ihn der Kerl nicht. Trotzdem brachte es ein Lächeln auf meine Lippen. Trotz aller Rückschläge ließ sich Jack nach wie vor nichts gefallen und bei ihm war ich sicher, egal wo wir hingingen. Davon war ich überzeugt.
***
Ich glaube, der Taxityp brachte uns absichtlich in die schäbigste Jugendherberge der ganzen Stadt, aber ich war einfach froh, aus dem muffigen Wagen raus zu kommen.
»Wenn wir hier mehr als zwanzig Dollar die Nacht bezahlen, gehen wir woanders hin«, knurrte mir Jack zu, während ich den Fahrer bezahlte und er unsere Sachen aus der alten Karre zog.
»Wir sind in Europa, Jack. Hier zahlt man mit Euro. Die Fahrt alleine kam gerade schon fünfundzwanzig Flocken.«
»Was? Für die paar Minuten?« Jack sah dem Taxi so feindlich nach, als würde er gleich hinterherrennen wollen. »So eine Abzocke!«
»Komm jetzt! Ich will endlich ins Bett. Der Jetlag wird uns noch lange genug zu schaffen machen.«
Die Rezeption war genauso schlicht wie der Rest dieser Herberge, doch die junge Frau hinter dem Tresen erschien mir auf Anhieb sympathisch. Sie trug einen Sidecut, so wie ich, nur dass sie in ihre Seite noch einige Muster rasiert hatte und ihre Haare hellblau gefärbt waren.
'Miriam Schröder' stand auf ihrem kleinen Namensschild. Ihr Make-up war etwas zu dunkel für diese Umgebung und ihre Klamotten ein wenig zu sexy, trotzdem gefiel mir ihr rotzfrecher, fordernder Blick.
»Hallo. Wir schlafen hier? Kosten?«, fragte ich mit der überschaubaren, deutschen Grammatik, die ich noch drauf hatte. Sie grinste jedoch nur und antwortete in gutem Englisch:
»Klar, kein Problem ihr zwei Hübschen.« Dabei fiel ihr Blick unauffällig auf den Adonis hinter mir. »Woher kommt ihr?«
Ich war wirklich erleichtert, dass sie unsere Sprache beherrschte, und atmete durch. »Aus den Staaten. Wir haben leider nicht viel Geld, müssen aber eine ganze Weile bleiben.«
Sie lachte wieder und zeigte in die Umgebung. »Schon klar, wenn ihr Kohle hättet, wärt ihr sicher nicht hier! Bisschen Nachlass kann ich euch noch geben, wenn ihr gleich für den ganzen Monat bezahlt. Wollt ihr Einzel- oder Mehrbettzimmer? Da haben wir Zweier, Vierer und Sechser. Je mehr Leute, desto billiger.«
Ich drehte mich zu Jack um und sah ihn fragend an.
»Zweier. Ich hab die Schnauze voll von Zimmergenossen«, knurrte er nur und wischte mit dem Finger über den staubigen Rand eines Kunstblumentopfes.
»Okay, gebt mir eure Mitgliedskarten und dann sind das für zwei Personen dreiundvierzig pro Nacht, mal dreißig Tage, macht eintausendzweihundertneunzig. Dazu kann ich euch den Vorauszahler-Bonus von dreißig Prozent geben, dann sind wir bei neunhundertdrei Euro mit Buffet! Zahlt ihr in bar oder mit Karte?«
Ich glotzte sie ziemlich verstört an. Wenn das bereits die Preise für so eine Billigabsteige waren, wie hoch mussten dann die Kosten für ein normales Hotel sein?
»Ähm … Wir haben keine Mitgliedskarten und auch nur fünfhundert Euro, nein, warte, der Taxifahrer hat fünfundzwanzig bekommen, also bleiben noch vierhundertfünfundsiebzig Euro und davon müssen wir die ganze nächste Zeit leben, bis wir Arbeit finden. Also ich glaube, wir nehmen doch erst mal nur eine Nacht.«
Die Fröhlichkeit in ihrem Gesicht wechselte zu einem mitleidigen Ausdruck. »Ihr seid nicht aus Spaß hier, oder?«
»Nein«, antwortete ich knapp, doch ich denke, sie sah uns an, wie verzweifelt wir waren.
Jack trat neben mich und lehnte sich etwas lasziv auf den Tresen. »Komm schon, Schätzchen. Du bist doch ´n schlaues Ding. Gibt´s da nicht irgend ´ne Zwischenlösung? Wir können uns sicher anderweitig revanchieren, wenn du uns hilfst.«
Sie grinste verlegen und überlegte, doch dann zog sich ihr Mundwinkel nach oben. »Okay, passt auf: Gebt mir zweihundert und ich buche euch jetzt mit meiner Karte über den Angestelltenrabatt ein, dann könnt ihr zwei Wochen bleiben und euch erst mal sortieren.«
'Ein kleiner Engel, mit Punkfrisur.' Und manchmalkonnte Jack mit seinem Herkules-Charme offensichtlich doch was reißen.
»Danke Süße«, raunte er und zwinkerte ihr zu.
»Ja ja, drauf geschissen. Unterschreibt noch hier auf dem Mietvertrag, dann kriegt ihr die Schlüssel und könnt hochgehen. Um euer Essen müsst ihr euch dann aber selber kümmern.«
War uns sowieso lieber. Auf pampigen Fraß aus Metallbottichen hatte ich echt keine Lust mehr.
Sie reichte meinem Lover kokett lächelnd den Stift, holte noch einige andere Papiere hervor und er setzte als Erster seinen Willie unter das Pamphlet.
Während Miriam uns die Hausregeln runterleierte und ich so tat, als würden sie mich interessieren, sah ich aus dem Augenwinkel, wie mein Begleiter 'Jack SeverynHawling' auf den Mietvertrag schrieb.
Ich stieß ihn an und schob ihm unauffällig seinen gefälschten Ausweis rüber, auf dem ja eindeutig 'Brandon Maddock' stand. Knurrend krakelte er alles durch und schrieb seinen neuen Namen in Zeitlupe ab.
***
Wir betraten den abgenutzten PVC-Boden unserer neuen Unterkunft und blieben etwas geschockt im Türrahmen stehen. Ohne Witz, das Zimmer sah schlimmer aus als die Räume in Freienstädt und Basteinburg zusammen!
Innerlich hatte ich gehofft, dass wir zwei Einzelbetten bekamen, die wir zusammenschieben konnten, doch uns starrte ein braun lackiertes, eisernes Doppelstockbett an, von dem wir eh nur den unteren Part nutzen würden. Da hätten wir auch ein Einzelzimmer nehmen können ... aber das war wahrscheinlich genauso teuer. Der flurartige Raum hatte ansonsten noch eine Garderobe, einen offenen Schrank, einen Tisch und zwei Stühle. Das wars. Alles farblich im Ostblockstyle in Orangetönen gehalten und dazu furchtbar kalt.
»Keycie …?«
»Ja?«
»Jetzt sind wir ganz unten angekommen, oder?«
»Nicht ganz, immerhin sitzen wir noch nicht auf der Straße.« Wir schlossen die Tür hinter uns, ich drehte die Heizung auf volle Pulle und zog die Vorhänge zu, während Jack sich bereits etwas schwerfällig bis auf die Boxershorts auszog.
»Hier scheint es nur Gemeinschaftsbäder zu geben«, grummelte ich enttäuscht und hebelte mir ebenfalls die Klamotten über den Kopf. Mein Fuß war noch immer mit Pflastern beklebt, aber ich konnte wieder auftreten und auch meine restlichen Wunden waren, dank der hervorragenden Medikamente und Salben von Dr. Peterson und Jonahs liebevoller Pflege, gut abgeheilt. »Eigentlich hatte ich mich auf eine heiße Dusche gefreut, aber so …«
»Wir duschen morgen früh. Jetzt kriegst du ´nen heißen Kerl, das muss reichen«, knurrte mir Jack fertig aber grinsend zu und zog mich auf die schmale Matratze. Die Bettwäsche war definitiv zu oft und zu heiß gewaschen worden, denn sie fühlte sich steif und kratzig an und roch nach Chemie. Doch das war mir in diesem Augenblick völlig egal.
Vor wenigen Tagen lag mein Leben und meine Zukunft in den Händen eines abartigen Psychos, wegen dem ich mir wünschte, zu sterben und der mir seitdem furchtbare Alpträume beschaffte. Doch nun lag ich auf dem nackten, warmen Körper meines Geliebten und sog seinen Duft ein, während ich mich an seinen Hals kuschelte. Mit seinen großen Pranken fuhr er über meinen Rücken und drückte mich an seine Bandagen, die ich sorgsam nicht zu belasten versuchte.
»Wollen wir das Zimmer einweihen?«, fragte er grinsend und küsste mich zärtlich auf den Mund. »Auch wenn es exorbitant billig und erbärmlich ist …«
Ich umfasste sein Gesicht und ließ meine Lippen über seine gleiten, doch mein Kopf war noch immer voll von den grausamen Geschehnissen meines Zusammentreffens mit meinem alten Schwarm. »Jack, ich habe seit über zwölf Stunden nicht geduscht. Vielleicht sollten wir damit bis morgen warten, hm?«
»Du weißt genau, wie scheißegal mir das ist!« Er biss mir fordernd ins Kinn. »Ich liebe deinen Geruch, selbst wenn du dich tagelang nicht waschen würdest.«
Leicht angeekelt schüttelte ich mich und lachte. »Igitt! Du bist und bleibst ein kleiner Perversling!«
»Nein, ich bin nur immer noch verrückt nach dir.«
Er griff in meinen Nacken und rollte sich mit mir zur Seite, bis ich mit gespreizten Beinen unter ihm lag. Sein Mund blieb währenddessen an meinem haften. Die Bewegungen bereiteten uns Schmerzen, doch ich fühlte, dass die unsere Libido wenig beeinflussten.
Ich umschlang seinen Körper mit allen Gliedmaßen und drückte ihn, so eng es ging, an mich. Wir wiegten uns vor und zurück, spürten, wie unsere erregten Längen übereinander rieben, und stöhnten uns sacht zu. »Ich will dich so sehr«, keuchte er angeheizt. »Denkst du, dass du mich aushältst?«
Es war ja inzwischen gut eine Woche her, dass Mason mich malträtiert hatte. Doch dank der hochwertigen medizinischen Versorgung von Sullivans Privatarzt, der mich aufklärte, dass ich im Analbereich zum Glück auch nur oberflächliche Schleimhauteinrisse, sogenannte Rhagaden, hatte, war ich, zumindest dort, inzwischen verheilt. Trotzdem wankte ich unsicher mit dem Kopf. »Noch nicht ganz. Aber ein bisschen geht vielleicht.«
Jack kicherte: »Okay. Ich bin ganz sacht und docke nur an. Wenn es dir wehtut, hör ich auf!«
Er griff in seine neben dem Bett liegende Hose und befeuchtete seine die Finger mit dem Inhalt einer Tube. Seine Vorbereitung war perfekt wie immer, das musste ich ihm lassen. Dann biss er mir in den Hals und ich vergaß alles um mich herum. Da war nur noch er: Der Mann, den ich abgöttisch liebte, der jetzt schwer atmend auf mir lag, dessen riesiger, harter Schwanz sich langsam in mich presste, dessen Gewicht mich in die Kissen drückte und dem ich auf Lebenszeit gehören wollte.
Solange Jack an meiner Seite blieb, würde ich sicher mit jeder Situation zurechtkommen, vollkommen egal wo wir uns befanden.
***
Ich erwachte halb sechs am nächsten Morgen.
Wir waren um acht Uhr Ortszeit in Amerika losgeflogen und um zehn Uhr Ortszeit in Deutschland angekommen. Gegen Mittag konnten wir endlich ins Bett und hatten somit fast achtzehn Stunden geschlafen.
Ich lag eng an Jack geschmiegt, halb auf seiner Brust, die Beine um seinen Oberschenkel gewickelt, die Arme an seinen Schultern. Es war unglaublich schön, nach den ganzen Tagen allein im Krankenbett.
Auf den Fluren rumpelte es bereits, über uns trampelten Kinder durch die Gegend und von draußen drang der Lärm der Straße ins Zimmer. Dagegen war das Motel in den Staaten ein ruhiges Kurparadies.
Ich versuchte, den Krach zu ignorieren, und kuschelte mich wieder an meinen verletzten Freund, den ich trotz seines protestierenden Knurrens sanft wachküsste, weil mir die Blase drückte. Mein Schwindelgefühl war fast weg, trotzdem wagte ich es nicht, in der neuen Umgebung und zwischen all den fremden Leuten, alleine die Toilette zu suchen.
»Jack? Ich muss pinkeln«, flüsterte ich ihm zu und biss ihm ins Ohr.
»Und? Soll ich den Mund aufmachen, oder was?«
Ich versetze ihm eine Kopfnuss. »Nein Mann! Aber du musst mich ins Bad begleiten, ich trau mich noch nicht allein.«
Jack öffnete die Augen und grinste verschlafen. »Sieh an! Kestejoo, der harte Ex-Knacki, traut sich nicht alleine aufs Klo?«
Ich war kurz baff, denn dies war das erste Mal, dass er meinen normalen Namen ausgesprochen und sogar richtig betont hatte. »Pff! Dann piesel ich dir halt an den Oberschenkel!«, murrte ich dennoch trotzig.
»Mach das.«
'Aaahhhrrrggg!' Dieser Kerl trieb mich in denWahnsinn! Ich löste mich von ihm, quälte mich aus dem Bett und stellte fest, dass die Heizung nicht richtig lief. Zumindest waren es in diesem Zimmer kaum siebzehn Grad.
So wie jeden Tag, seit einer Woche, warf ich mir als erstes eine von täglich drei Schmerztabletten und die erste von zwei Entzündungshemmern ein, um meine noch vorhandenen Blessuren erträglich zu machen. Ich stellte mich vor den Spiegel und wischte mir das Gesicht mit Feuchttüchern ab. Mein letztes bisschen Kajal war natürlich verschmiert und von dem Make-up, das meine übrigen Hämatome verdecken sollte, war über Nacht auch so gut wie nichts mehr geblieben. Meine Lippe war noch immer geschwollen und ein Großteil meiner Haut farbenfroh unterlaufen.
Ich seufzte schwer. Eigentlich müsste ich mich an diesen geschundenen Anblick ja längst gewöhnt haben, trotzdem erschrak ich mich jedes Mal wieder. Jonah hatte mir eine medizinische Foundation aus der Apotheke besorgt, die zu meiner Hautfarbe passte, auch wenn diese sicher bald um einiges blasser werden würde. Ich tupfte sie vorsichtig auf und verteilte sie sorgsam auf meinem lädierten Gesicht, damit ich mich halbwegs unter die Leute wagen konnte. Plötzlich zuckte ich zusammen, als eine Hand über meinen Po strich, den ich unabsichtlich durch die gebückte Haltung zum niedrigen Spiegel herausstreckte. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich gar nicht bemerkt hatte, wie Jack aufgestanden war.
»Du kannst doch hier nicht die ganze Zeit deinen heißen nackten Arsch vor mir hin und her schwingen«, knurrte er erregt und drängte sich an mich. »Wollen wir vielleicht in der Gemeinschaftsdusche ficken? So wie früher? Hat doch gestern schon gut funktioniert.« Sein breites Grinsen dabei war beinahe charmant.
Auch wenn er mich damals eher bedrängt oder sogar zum Sex gezwungen hatte, waren meine Erinnerungen an den Duschraum des Internats nicht durchweg negativ. Ein gewisser Teil von mir bewunderte noch immer seinen unvergleichlichen Respekt, den er sich bei all den anderen geschaffen hatte, denn diese verließen ja auf sein Fingerschnippen sofort das Bad, nur damit er mich in Ruhe begatten konnte. Doch hier würde das nicht funktionieren.
»Nichts lieber als das, aber ich glaube, das Publikum wird sich hier nicht so einfach verziehen, wenn wir loslegen.«
Er drehte mich herum, umarmte meine Hüften, hob mich auf seine Lenden und lehnte mich rücklings an die Wand. »Das kriegen wir auch hin, ohne dass die was merken oder wir machen es nochmal hier.«
Er bugsierte bereits seinen Schwanz an meinen Eingang, doch ich hielt mich an ihm fest und schüttelte den Kopf. »Neiheeein!!! Gerne danach, aber ich will erst in die Dusche! Außerdem muss ich immer noch dringend pinkeln!«
***
Der sanitäre Bereich war vor allem eines: überfüllt! Völlig fensterlos erinnerte er mich mit seinen weißen, kleinen Kacheln auf dem Boden und an den Wänden an einen Schlachtraum! In der Mitte der Decke klaffte ein Loch. Dieses bildete eine Art Schacht, der von flackernden Neonröhren umringt war. Ich erwartete jede Sekunde, dass jemand ein totes Rind hindurchzwängte und dieses dann, geräuschvoll und blutüberströmt auf den Boden klatschte.
Kleine Spiegel hingen akkurat über einfachsten Waschbecken an der rechten Wandseite. Geradeaus befand sich ein Raum mit Schwimmhallenklos und rechts, um die Ecke, eine große, offene Duschanlage.
Meine Euphorie war dahin.
In Freienstädt hatte es wenigstens Schwingtüren vor separierten Duschen gegeben, doch hier war man den Blicken der vielen Fremden vollkommen ausgeliefert.
Alles lief bereits auf Hochtouren und der Geräuschpegel war neben dem Prasseln des Wassers durch die schwatzenden Herrschaften ordentlich hoch. Jedes Waschbecken schien gleich von mehreren Leuten besetzt. Gut vierzig Typen wuselten ihre Morgenhygiene herunter. Von geselligen Greisen, über jung gebliebenen Backpackern, bis hin zu kleinen Jungs, die offenbar mit ihrer Klasse einen Ausflug machten, war alles vertreten und alle redeten durcheinander.
»Ich will hier nicht ficken …«, zischte ich Jack zu.
»Lass mal, mir ist es auch vergangen.«
***
Da die Schlange vor den Toiletten endlos schien, hielten wir es für besser, uns erst mal zu den Duschen vorzukämpfen, wo ich unauffällig, zwischen Einschäumen und Abspülen, endlich meine Blase entleeren konnte. Anschließend putzten wir uns dort auch die Zähne, doch es war ein einziger Krampf. Im Nassbereich hielten die Leute ja noch ansatzweise Abstand, vor allem als sie unsere lädierten Körper sahen, aber außerhalb wurde gedrängelt, geschubst und sich so eng aneinander vorbeigezwängt, dass mir fast das Handtuch von den Hüften rutschte.
Eigentlich wollte ich mich noch rasieren und blieb deshalb an einem gerade frei gewordenen Waschbecken stehen, während Jack sich in der Schlange zum Klo einreihte. Doch als sich nun der dritte Typ, ein älterer Mann Mitte fünfzig, rechts neben mich an die Keramik quetschte, seine Schulter die meine berührte und er mich immer näher an die anderen auf der linken Seite drückte, beschleunigte sich mein Atem. Meine Sicht verschwamm noch stärker als sowieso schon und mein Puls begann zu rasen. Panik machte sich in mir breit … Ich musste raus! Sofort!
Ich schmiss meine Utensilien in den Kulturbeutel und verließ fluchtartig den Waschraum. Mein Herz hämmerte unregelmäßig gegen meinen Brustkorb, mein Hals schnürte sich zu, ich bekam Schweißausbrüche und zitterte am ganzen Körper, bis ich endlich unsere Zimmertür hinter mir schloss und mich hyperventilierend an die Wand lehnen konnte.
Wenig später kam Jack hinterher.
»Keycie, ist alles okay? Du bist ja kreidebleich?« Er nahm mich in den Arm und ich versuchte, meine Atmung zu kontrollieren. Mir wurde heiß und kalt, ich krallte mich in seinem T-Shirt fest und bemühte mich irgendwie um Fassung. »Hey, was ist denn passiert?«
»Ich … ich weiß es nicht. Panik-Panik-Panikattacke«, stammelte ich nur hektisch atmend, presste mich fest an ihn und vergrub mich förmlich in seinem Körper.
»Hey Baby, das sind garantiert nur noch Nachwirkungen der Gehirnerschütterung. Shhhh ganz ruhig! Ich bin da, alles ist gut.« Er hob mein Kinn an und küsste mich sanft, bis sich mein Puls wieder ein wenig beruhigte. Ich wusste überhaupt nicht, was ich fühlen sollte. Schwäche überrollte mich. Diese Machtlosigkeit der Angst schnürte mir die Kehle zu und all das nur, weil ich von einem Fremden bedrängt wurde? Je mehr ich darüber nachdachte, desto schlimmer zitterte ich. Ich brauchte etwas Vertrautes, das mir diese lähmende Ohnmacht nahm.
»Jack … ich … mach was … fick mich … Bitte …«
»Jetzt? In dem Zustand?«, fragte er etwas ungläubig, doch als er sah, dass ich gleich zusammenbrach, nahm er mich mit einem ruhigen »Schon gut, komm her« auf den Arm. Er trug mich ins Bett, legte mich auf den Rücken und küsste mich innig, während er mein Handtuch öffnete und meinen von der Dusche noch immer feuchten Körper überall streichelte. »Dir kann hier nichts passieren. Du bist bei mir. Ich beschütze dich«, raunte er mir zu, sank nach unten und strich über meinen weichen Lingam, saugte daran und packte mich fest. Meist war ich bereits steif, wenn er mich leckte, doch er schien es zu genießen, wie sich meine Länge langsam in seinem Mund erhärtete.
Meine Gedanken und mein Herz kamen allmählich zur Ruhe, je mehr ich mich auf Jack konzentrierte. Er legte derart viel Leidenschaft in die Bearbeitung meiner Geilheit, dass ich schon kurz darauf zu stöhnen begann. Er hob meine Beine, drückte sie zur Seite und versenkte seine Zunge so gierig in meinem Loch, dass ich kurz aufschrie. Doch er ließ nicht von mir ab und penetrierte mich einfach weiter.
Ich keuchte seinen Namen und krallte mich in seine Hände, bis er hochkam und ich ihn endlich an mich drücken konnte. Seine Haare kitzelten an meiner Nase, als er mich umarmte und immer wieder küsste. Dann schmierte er seinen Schwanz ein, setzte an und zwang seine Kuppe in mich.
»Verzeih mir Baby, ich kann nicht mehr warten«, entschuldigte er sich kratzig. »Deinen Arsch zu lecken macht mich rasend.« Seine Stöße intensivierten sich dabei bereits, doch insgeheim war ich ihm dankbar dafür. Er ließ mich an nichts anderes mehr denken …
***
Ich versuchte, den Vorfall einfach zu vergessen, tat es als einmalige Nachwirkung der psychisch belastenden Erlebnisse ab und ging mit Jack die Unterlagen durch, welche uns Sullivan mitgegeben hatte.
»Schön, also wie sieht es aus? Müssen wir sowas wie eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen?«, fragte er etwas genervt, denn er hasste alles, was mit Bürokratie zu tun hatte. Wer tat das nicht?
»Nein, das ist hier anders. Nicht für alle Ausländer besteht eine Pflicht. Ausnahmen sind zum Beispiel Staatsbürger aus den Mitgliedsstaaten der EU, die dürfen sich frei, ohne Visum in Deutschland bewegen. Daneben benötigen wir, als Bürger der USA, ebenfalls kein Visum für die ersten drei Monate. Da wir aber wahrscheinlich länger bleiben, müssen wir es danach bei der Ausländerbehörde beantragen.«
»Okay und seit wann kennst du dich mit so ´nem Scheiß aus?«
»Im Gegensatz zu dir habe ich während des Fluges nicht geschlafen, sondern, unter anderem, die Broschüren gelesen, die Jonah uns besorgt hat.«
Jack war sichtlich beeindruckt und zog mich auf seinen Schoß. »Gut. Dann verlasse ich mich da ganz auf dich. Gibt es Bedingungen?«
Ich seufzte und lehnte meine Stirn gegen seine. »Ja, wir brauchen eine feste Arbeit oder müssen eine deutsche Frau heiraten …«
»Wir beide?«, lachte er los, »Du kannst vergessen, dass ich dich nochmal mit irgendjemandem teile!«
Ehrlich gesagt vermisste ich Jonah wirklich, doch das würde mein Alpharüde nicht verstehen, also hielt ich den Mund und lächelte nur.
»Es gibt hier so etwas, das sich Arbeitslosengeld nennt und außerdem ein Amt, das Jobs vermittelt. Aber Bearbeitung der Anträge soll ewig dauern und obendrein kontrollieren die sehr gründlich unsere Herkunft, die Pässe und alles. Deshalb sollten wir einen Bogen darum machen und uns selbst was suchen.«
Er stimmte mir nickend zu, dann ließ er mich wieder absteigen. »Sullivan hat mir ein Empfehlungsschreiben aus der Security-Abteilung ausstellen lassen, damit werde ich versuchen, erst mal einen Job als Türsteher oder etwas in der Art zu kriegen. Ich befürchte, die großen Firmen prüfen ebenfalls genau, wen sie bei sich einstellen, aber in den kleineren Clubs geben sie sich sicher nicht so viel Mühe.«
Ich war erstaunt, dass er sich anscheinend doch schon Gedanken über seine Zukunft gemacht hatte.
»Und du glaubst, dass du das schaffst? Ich meine, deine Schusswunde ist noch relativ frisch und -«
»Baby«, unterbrach er mich und sah mich ernst an. »Würdest du im Zoo durch die Gitter fassen, wenn direkt dahinter ein Tiger liegt?«
»Was soll denn die blöde Frage? Natürlich nicht!«
»Siehst du, Präsenz ist alles. Ob der nun verletzt ist, keine Krallen oder Zähne mehr hat, weißt du ja nicht. Für Fremde bin ich ein böse guckender zwei Meter Kerl, der aussieht, als wenn er jedem der ihm blöd kommt, direkt das Fressbrett poliert. Da wird keiner austesten, wie weit er gehen kann.«
»Wow! Das war eine richtig gute Metapher.«
»Danke.«
»Du bist eigentlich gar nicht so blöd, wie du aussiehst.« Es war selten, dass ich von ihm eine Kopfnuss erhielt, doch dieses Mal empfand ich sie sogar als berechtigt. Jack schmiss mich auf den Rücken und drückte mir seine Wurstfinger in die Seiten, bis ich vor Lachen aufquiekte. »Ahahahhh! Hör auf, hör auf, ich nehme es zurück!«
»Das will ich dir auch geraten haben!«, grunzte er und ließ mich los. Er ordnete lässig seine Haare und grinste mich unter den zotteligen Strähnen verrucht an. Ich musste innerlich seufzen.
»Eigentlich passt 'Tiger' ganz gut zu dir. Wie lang willst du deine Haare noch wachsen lassen? Die gehen dir ja jetzt schon über den Nacken. Also, nicht, dass ich es nicht gut finden würde …«
»Na ja, mal sehen. Wir müssen uns ja auch optisch ein bisschen verändern, falls die doch ´ne Fahndung nach uns rausgeben. Was hältst du von einem Vollbart?« Ich prustete laut lachend los, doch Jack sah mich völlig entschlossen an.
»Ist das dein Ernst? Du, Vollbart? So richtig Biker redneckmäßig, Ziegenbart, komplette Mopette?«
Er schnalzte nur mit der Zunge und verdrehte die Augen. »Nein! Ich meine einen sauber geshavten Zehntagebart, sodass man die Kinnform noch erkennt.«
Ich kniff ihm in die Wangen und schürzte die Lippen. »Aber dann seh ich deine süßen Grübchen nicht mehr, wenn du lächelst.«
»Wusste gar nicht, dass du die magst«, hauchte er mir zu und zeigte sie mir grinsend.
»Ich liebe sie, die sind mit das Heißeste an dir«, schnurrte ich zurück und küsste ihn innig.
»Ich zeig dir, was das Heißeste an mir ist …«
»Gerne …«
Wie die Karnickel …
Kapitel 2
Realität
Jack hatte recht. Trotz seiner praktisch nicht vorhandenen Deutschkenntnisse dauerte es keine sechs Tage und schon hatte er eine Festanstellung in einem kleinen Club einen Bezirk weiter. Die meisten Gäste konnten Englisch und wenn es doch mal Probleme gab, half ihm ein Kollege mit der Übersetzung.
Der Inhaber hatte ihn mit Handkuss genommen, auch wenn er nicht viel zahlte. Dafür erkannte er aber die US-Empfehlung als gleichwertig dem sonst üblicherweise vorgeschriebenen Lehrgang und der Sachkundeprüfung nach §34a Bewachungsgewerbe in der Gewerbeordnung an. Jack durfte sich nun also voller Stolz als Fachkraft für Schutz und Sicherheit betiteln, doch seine Arbeitszeiten waren katastrophal.
Der Club hatte nur montags und dienstags geschlossen, sonst öffnete er um achtzehn Uhr. Das hieß für Jack Open-end-Schicht, bis der letzte Gast den Laden verließ. Dies führte dazu, dass er morgens meist erst gegen acht Uhr zurückkam und dann bis nachmittags schlief, bevor er sich wieder fertigmachen musste. Essen tat er mit seinen Kollegen vor Ort und wir sahen uns fast gar nicht mehr.
Doch sollte ich meckern? Im Gegensatz zu ihm hatte ich es nicht geschafft, irgendwo einen Job zu bekommen. Ich hatte keine nennenswerten Talente und so gesehen auch nichts wirklich gelernt. Die kurze Zeit in Sullivans Firma war ich mit Kaffeekochen, Sortieren von Papieren sowie dem Anfertigen von Kopien und Tee beschäftigt gewesen. Als Model durfte ich mich auch nicht zeigen, selbst wenn ich nach dem fetten Modemagazincover sicher Aufträge bekommen hätte.
Wir waren bereits praktisch pleite. Kochen konnten wir beide nicht, also aßen wir irgendwelche Fertiggerichte und das ging ganz schön ins Geld. Außerdem hatten wir nie gelernt, vernünftig zu haushalten.
Mit Jonahs altem Handy, das er mir mitgegeben hatte, versuchte ich es in mehreren Firmen, bewarb mich auf alles, was irgendwie zu meiner Empfehlung passte und pries mich als Grafiker, Web-Designer und dergleichen an. Meist schickte ich meine Bewerbung bei Interesse direkt über das Herbergsfax. Doch selbst wenn mich jemand zurückrief, ungeachtet dessen, dass ich keine Ausbildung vorzuweisen hatte, scheiterte es spätestens an meinen Programmkenntnissen.
Ich hatte null Ahnung von InDesign, QuarkExpress, Photoshop oder auch einfach nur Excel. Ich wusste nicht mal, wie man eine E-Mail verschickte. In Freienstädt hatten wir zwar ein Computerkabinett, aber das mied ich wie die Pest, weil es dort nach verschwitzten Klöten stank und außerdem hatte es ja auch noch keinen Internetzugang. Selbst in meiner angefangenen Ausbildung als Logistiker hatte ich lediglich ein beschränktes Transport Management Programm vor der Nase und lernte nebenbei, eine Textverarbeitungssoftware zu benutzen!
Es war einfach zum Mäusemelken. Nach zwölf Tagen schlurfte ich deprimiert durch den Flur. In dem winzigen Zimmer fiel mir die Decke auf den Kopf und ich war völlig untervögelt, weil Jack viel zu müde für Sex war, wenn er morgens von seiner Schicht zurückkam. Nicht mal kuscheln durfte ich mit ihm, weil er dann geil wurde und nicht mehr schlafen konnte.
Im Endeffekt holte ich mir dreimal am Tag einen runter. Zum einen aus Langeweile, zum anderen aus Frust. Ansonsten las ich oder schrieb irgendwelchen Mist, um meine Gedanken zu ordnen.
»Hey Muchacho«, rief mir Miriam belustigt entgegen.
»Ich hab dir schon mal gesagt, dass ich kein Mexikaner bin!«, knurrte ich sie an und holte mir am Getränkeautomaten neben dem Empfang eine Dose.
»Oops! Was ist dir denn für ´ne Laus über die Leber gelaufen?«
Ich grummelte nur und lehnte mich zu ihr an die Theke. Sie war seit Tagen meine einzige Gesprächspartnerin, auch wenn sich ihre Fragen meist nur auf Jacks Bizeps bezogen oder um eine Etage tiefer drehten. »Ich hab immer noch keine Arbeit und Brandons Gehalt reicht vorne und hinten nicht für uns beide. Ich denke, ich werde irgendwo einen Aushilfsjob machen müssen.«
»Ja, gut dass du es sagst! Die nächste Miete wäre morgen fällig und ich kann euch auch nicht auf Dauer mit meiner Karte durchschmuggeln. Also einmal geht das noch, aber wäre schon cool, wenn du zu Potte kommst.«
Wie hilfreich.
»Mann, so einfach ist das nicht! Brandon bekommt erst Ende des Monats sein Geld und ich … Na was soll ich denn noch machen? Ich versuch doch schon alles in meiner Macht stehende, um irgendwie Arbeit zu kriegen!«
Miriam schmatzte überlegend auf ihrem Kaugummi herum und sah mich dann prüfend an.
»Ich sag dir was: Du bist so ein hübscher Kerl, da findet sich auch was Besseres! Du musst keinen scheiß Kellnerjob machen oder am Empfang eines Billighotels arbeiten, so wie ich. Du könntest es richtig einfach haben und in sehr kurzer Zeit ´ne Menge Kohle machen, Süßer.«
Ich wusste bereits, was sie mir vorschlagen wollte, trotzdem tat ich dumm und hakte nach. »Und was genau schwebt dir da vor?«
Sie schaute sich prüfend um, ob jemand in der Nähe war, und lehnte sich dann über die Platte. »Schon mal daran gedacht, dich für Geld ficken zu lassen?«
Ich wusste es!
Sollte ich ihr nun die Wahrheit sagen? Dass ich mir als Jugendlicher damit bereits mein Geld verdient hatte und jetzt mit dem Kerl zusammen lebte, der mein fiesester Stammgast war? Vermutlich würde sie mir nicht mal glauben.
»Ich stelle mich sicher nicht an die Straße, das ist mir viel zu gefährlich!«
Sie verdrehte die Augen und zückte ihr klobiges Handy. »Davon redet doch keiner …« Dann schrieb sie etwas auf einen Zettel und drückte mir den Wisch mit einer Telefonnummer drauf in die Hand. »Es gibt inzwischen sehr gute Agenturen für sowas, da müssen die Freier anzahlen und du kannst dir sicher sein, nicht an irgendwelche Irren zu geraten. Die übernehmen auch den ganzen organisatorischen Teil: die Werbung und den Scheiß mit der Steuer. Alles, was du tun musst, ist abrufbereit zu bleiben und dann zum vereinbarten Treffpunkt zu fahren.«
»Ich weiß nicht …«, druckste ich herum, obwohl es weniger der Sex war, der mir Sorgen bereitete. Drei- oder viermal am Tag konnte ich ja gut vertragen, zumindest, wenn es nicht solche Monsterschwänze wie der von Jack waren. Dazu der ein oder andere Blowjob und der Rubel würde endlich wieder rollen. Vor allem jetzt, wo ich von meinem Partner so wunderbar ignoriert wurde, käme mir ein bisschen Befriedigung eigentlich ganz recht. Nur vor seiner Reaktion hatte ich Angst, falls er es irgendwann herausfinden würde. Falls ...
Miriam legte ihre Hand auf meine und redete weiter auf mich ein: »Ein Freund von mir arbeitet da und verdient sich dumm und dämlich. Die Agentur heißt 'BenjaminsCalls', die machen regelmäßig Anzeigen in der Zeitungund verteilen die Anfragen dann je nach den Wünschen des Kunden auf ihre Jungs. Eine Internetseite haben sie auch, darüber kriegst du noch mehr Jobs, aber um dort gelistet zu werden, brauchst du gute Fotos von dir und ich denke, so anonym ist es am Anfang auch erstmal besser. Schau einfach, ob`s nicht was für dich ist. Ich kann dir jedenfalls versprechen, dass du dann keine Geldsorgen mehr haben wirst.«
Ich nickte nur und bedankte mich kleinlaut, dann sagte ich ihr, dass ich es mir überlege, und ging zurück auf unser Zimmer.
***
Eine ganze Weile saß ich nur auf dem Bett und starrte auf diesen Zettel. Eigentlich hatte ich ja gehofft, den Job nie wieder machen zu müssen…
Ältere Männer waren immer noch eine ganz andere Liga als pubertierende Schnellspritzer in einem Internat. Die Jungs damals waren vielleicht nicht alle mein Typ, aber keiner von ihnen war eklig, krank oder abartig. Wer weiß, was mich erwarten würde, wenn ich diese Nummer anrief? ... Eigentlich nichts. So gesehen, war es ja nur ein 'Herantasten', ohne feste Zusagen und niemand konnte mich zwingen, danach dort zu arbeiten.
Ich atmete tief durch, nahm unser Handy und wählte. Kurz darauf unterhielt ich mich mit einer freundlichen, erotisch gurrenden Frauenstimme, die zum Glück fließend Englisch sprach. Sie fragte mich einige Dinge zu meiner Person, dann hielt sie eine kurze Rücksprache mit ihrem Chef, der anscheinend gerade vorbeikam. Dieser nahm kurzerhand selbst das Telefon in die Hand und schlug mir vor, am besten noch heute persönlich vorbeizukommen, um mich vorzustellen. Wenn alles gut liefe und ich 'seinen Anforderungen entsprach', würden sie mich in ihre Kartei aufnehmen. Sein Englisch war ebenfalls gut, aber ich bekam das Gefühl, ich müsste ihm eine Kostprobe meines Könnens geben, so wie er am Telefon schnaufte. Ich beendete das Gespräch mit einem mulmigen Gefühl im Bauch. Zwei Stunden hatte ich Zeit, an der mir genannten Adresse aufzukreuzen, oder der Deal war gelaufen. Ich stand auf, zog meine besten Sachen an und stellte mich vor den Spiegel. Was blieb mir denn für eine Wahl? Bei Aldi an der Kasse sitzen oder Regale einräumen für vierhundert Euro im Monat?
Meine einzige Begabung bestand darin, immer und überall bereit für Sex zu sein, auch wenn das eine ziemlich erbärmliche Gabe war. Doch wenn Miriams Erzählungen stimmten, konnten wir uns mit diesem Job nicht nur gerade so über Wasser halten, sondern mit beiden Gehältern zusammen eine Wohnung mieten, eigene Klamotten kaufen, einfach endlich ein normales Leben führen … und mehr wollte ich doch überhaupt nicht.
Ich musste es versuchen.
***
Die Adresse führte zu einem Bürokomplex und der sah ungewöhnlich seriös für ein solches Geschäft aus. Hinter der Fassade verbargen sich viele, eng aneinandergereihte Mietraumbüros. Eine der vielen Türen auf einem langen Flur zeigte die angegebene Nummer und ich klopfte vorsichtig. Die Stimme, die mich hereinbat, kannte ich vom Telefon, doch die Dame, die ich dann erblickte, war nicht mal ein Zehntel so erotisch wie ihre Tonlage. Mir sollte es egal sein, Hauptsache sie war nett und kompetent.
»Herr Akando? Freut mich sehr!« Die rundliche Frau reichte mir ihre Hand und grinste mich fröhlich an. »Wow, du bist ja eine richtige Schönheit.«
Wie ich diesen Satz hasste! »Danke.«
»Der Chef empfängt dich gleich, Herzchen, füll doch schon mal unseren Profilbogen hier aus.« Ihre sofort offene, persönliche Art war zwar etwas ungewohnt, aber trotzdem half es, meine Aufregung ein wenig einzudämmen. Sie drückte mir ein Klemmbrett mit einigen Blättern in die Hand und deutete mir, mich auf einen der beiden Stühle in der Ecke zu setzen. »Nimm ihn dann gleich mit rein, wenn du fertig bist.«
Die Tür zum Büro des Bosses lag direkt gegenüber und ich vernahm gedämpfte Stimmen durch das dicke Holz. Stritt er sich mit jemandem?
Kaum, dass ich mit dem Beantworten so wichtiger Fragen wie Lieblingsblumen, Lieblingsparfüm und Penisgröße fertig war, sprang die Tür auf und ein recht ansehnlicher Typ meines Alters, in Markenklamotten und mit dunkelblonden Locken, kam wütend heraus. Er stockte kurz, als er mich sah und versuchte sich dann zusammenzureißen.
»Betty, ich will die Daten von diesem Heimers! Ansonsten gehe ich hier nicht weg!«
Die untersetzte Frau seufzte nur und hielt die Hände in die Luft. »Süßer, die kann ich dir nicht geben, das weißt du. Wir haben einen Vertrau-«
»Ich scheiße auf euer Diskretionsgelaber!« Er hieb auf den Tisch. »Der Typ wollte nur kurz eine rauchen und hat mich dann einfach gefesselt liegenlassen! Wenn nicht der Zimmerservice gekommen wäre, würde ich da heute noch versuchen loszukommen!«
»Er sagte, ihm sei ein Notfall dazwischengekommen! Er hat dich für den ganzen Tag voll bezahlt, also sei doch nicht-«
»Schluss jetzt mit diesen Diskussionen!« Ein großer Kerl Ende vierzig, mit einem grau-blond durchwachsenen Fassonschnitt kam aus dem Büro und hielt dem Lockenkopf seine Jacke hin. »Wir werden Herrn Heimers nicht mehr an dich weiterleiten und fertig. Er ist ein guter Stammgast und wegen eines solchen Dilemmas werden wir ihn sicher nicht vergraulen. Du bist fürs Rumliegen bezahlt worden, sieh es mal so!«
Der Host schnaubte wütend, nahm seine Jacke und stampfte mit einem »Ja ja, du mich auch Ben!« nach draußen. Der Firmeninhaber seufzte schwer, als die Eingangstür ins Schloss rumste und verdrehte die Augen. Erst dann bemerkte er mich und sein ernstes Gesicht hellte sich etwas auf.
»Verzeihung, dass du das mit anhören musstest. Nick ist einer unserer Topboys, aber sein Temperament ist oft nicht auszuhalten. Ich bin Benjamin Niederhofer, kurz Ben the Boss und du bist sicher Caira?«
Ich verstand nur die Hälfte von diesem ganzen deutschen Gequassel, was weniger an der Sprache als an der Schnelligkeit ihrer Unterhaltung gelegen hatte. Trotzdem nickte ich, stand auf und schüttelte Bens ausgestreckte Hand, wobei die goldene Uhr an seinem Handgelenk leise klapperte.
»Verzeihen Sie, mein Deutsch ist noch nicht so gut«, haspelte ich als Entschuldigung für meine Stille.
»Ach ja, ach ja …«, sagte er nur und sprach dann in Englisch weiter: »Die meisten unserer Kunden sind multikulturell, aber du solltest dringend einen Deutschkurs machen, wenn du hier erfolgreich arbeiten willst.«
»Ja, ich verstehe eigentlich alles, nur mit dem selbst Sprechen hapert es bei mir noch ein bisschen. Meine Mutter ist Deutsche, nur ist sie … früh gestorben. Ich denke aber, ich lerne schnell.«
Ben nickte nur und zeigte mir, ihm in sein Büro zu folgen. Dieses war deutlich größer und prunkvoller als von außen erkennbar. Eine große, schwarze Chaiselongue im Chesterfieldstil dominierte den Raum. Daneben standen Beistelltische und dazu gab es einen passenden Schreibtisch mit bequemen Lederstühlen und eine geräumige, verglaste Schrankwand, mit hunderten von Akten. Sogar ein furchtbar kitschiger, großer, silberner Leopard stand in einer Ecke, den ich zu gerne geklaut hätte.
»Das Geschäft scheint gut zu laufen?«, fragte ich, beeindruckt von den ganzen Unterlagen, doch Ben reagierte nur mit einem Schulterzucken.
»Man tut, was man kann.« Dabei setzte er sich hinter seinen opulenten Schreibtisch. »Die meisten Agenturen beschränken sich auf Callgirls oder heterosexuelle Callboys für reiche Damen. Es gibt wenige, die hübsche und vor allem saubere Jungs für betuchte Homos anbieten, die nicht dauerhaft stoned sind. Viele der Stricher, die auf der Straße arbeiten, haben irgendwelche Krankheiten, die man nicht sehen kann. Davor haben die meisten Angst und bei uns können sie sich sicher sein, nur einwandfreie Modelle zu bekommen. Es war also nur eine Marktlücke, die es zu stopfen galt.« Welch schöne Metapher …
»Und wie kontrolliert ihr das mit den Krankheiten?«
Ben streckte die Hand aus und forderte meinen Fragebogen, den er überflog, während er antwortete: »Wir machen alle drei Monate einen Schnelltest mit euch und ihr müsst einmal im Jahr ein Gesundheitszeugnis vom Hausarzt mitbringen. Das ist alles.«
Nicht sehr sicher. Immerhin konnte in drei Monaten viel passieren, aber wahrscheinlich war das auch mehr ein Werbepunkt.
»Okay, kein Problem. Sobald ich einen Arzt habe, mache ich das gern.«
Ben schaute auf und sah mich etwas seltsam an. »Du kommst aus den Staaten, stimmt´s?«
»Ja.«
»Aber du bist nur halb deutsch. Also, was steckt da noch in dir? Italiener? Spanier?«
»Indio.«
Seine Augen weiteten sich, doch dann nickte er zufrieden. »Gut, gut. Das haben wir noch nicht. Also, lass mich mal sehen: zwanzig Jahre, neunundsechzig Kilogramm, einen Meter achtundsiebzig. Alles fein. Wie lange bist du schon hier?«
»Seit gut einer Woche.«
Seine Augenbrauen hoben sich. Er wirkte ein wenig besorgt. »Und wo wohnst du gerade?«
Ich blickte etwas beschämt zur Seite und erwiderte kleinlaut: »In einer Jugendherberge.«
»Ist das dein Ernst?«
»Leider ja. Deshalb brauche ich schnell einen Job, damit ich mir eine eigene Wohnung leisten kann.«
Ben schnaufte kurz und überlegte. »Na ja, normalerweise geht das nicht so schnell. Wir müssen dich als Freiberufler anmelden, dir eine Steuernummer besorgen und diesen ganzen bürokratischen Mist. Deutschland ist Spitzenreiter in unnötigen Anträgen und wochenlangen Bearbeitungszeiten. Von den inkompetenten, kleingeistigen Vollpfosten im Jobcenter ganz zu schweigen.« Er rieb sich übers Kinn, dann schien er eine Idee zu haben. »Also pass auf, ich vermittle dich jetzt schon, während wir auf deine Unterlagen warten, aber nur an unsere Stammgäste, bei denen ich sicher sein kann, dass sie nicht von der Steuerfahndung oder vom Zoll kommen. Sobald wir dann alles haben, kann ich dich mit auf die Website nehmen und wir können dich richtig vermarkten. Wenn du nur halb so gut vögelst, wie du aussiehst, könntest du sogar unseren amtierenden Topboy von der Spitze verdrängen.«
Seine Aussage machte mich gleichermaßen ängstlich wie stolz. Trotzdem nickte ich nur beschämt.
»Zieh dich mal aus!«
'Was?' Ich glotzte ihn verstört an und blieb sitzen,aber er las wie selbstverständlich weiter in meinen Papieren. Als ich mich nicht bewegte, schaute er dann doch irgendwann hoch.
»Was ist? Hopp hopp, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit. Oder hast du etwa Hemmungen, dich vor anderen auszuziehen? Dann ist der Job nichts für dich, Kleiner.«
Leider hatte er recht, doch ich hatte natürlich gehofft, dass ich mich vor meinem zukünftigen Chef nicht ausziehen müsste. Aber warum sollte auch nur einmal etwas so laufen, wie ich es mir wünschte?
»Nein, nein, ich wusste nur nicht, ob ich richtig verstanden habe«, haspelte ich und öffnete schon mein Hemd, während ich aufstand.
Zugegeben, es war eine Weile her, dass ich mich vor einem Fremden freiwillig nackt gemacht hatte, doch eigentlich machte es mir nicht wirklich was aus. Ich kam mir zwar ein wenig zurückversetzt vor, doch ich sagte mir immer wieder, dass ich die Kontrolle darüber besaß.
Sobald ich mich auch meiner Boxershorts entledigt hatte, räusperte ich mich, um zu signalisieren, dass ich fertig war. Ben schaute auf, musterte mich mit einem neutralen Gesichtsausdruck und raunte nur: »Mach mal die Haare auf.« Ich seufzte leise und öffnete meinen Pferdeschwanz. Dann stand er auf, kam um den Schreibtisch herum und fuhr mir mit den Fingern durch meine schwarze Mähne, um sie nach vorn zu legen, wo sie mir bis zur Mitte der Brust fiel. »Sehr schön …«, konstatierte er professionell und fuhr mit den Händen sanft über meine Haut. Dann berührte er die verblassten Narben an meiner Schläfe. »Woher hast du die?«
Am liebsten hätte ich ihm auf diese Frage gar nicht erst geantwortet, doch ich durfte nicht unhöflich sein. »Von … einem Glas. Jemand hat mir damit eine runtergehauen, dabei ist es gebrochen. Ist aber schon lange her.«
Er spürte, dass ich ein wenig zu zittern begann.
»Keine Angst, so etwas wird dir mit unseren Kunden niemals passieren. Wer war das? Irgendwelche homophoben Schlägeridioten?«
»So in der Art …«
Er nickte nur und beließ es dabei, da er merkte, wie unangenehm mir das Thema war.
»Okay. Dreh dich mal um.«
Mein Herz begann stärker zu schlagen und ich erinnerte mich an meinen Zusammenbruch im Waschraum der Herberge. So etwas durfte mir jetzt nicht passieren! Also schloss ich einfach die Augen und stellte mir vor, er wäre Jack, während ich dem älteren Mann den Rücken kehrte.
Bens Hände tasteten mich erst ab, als wäre ich ein Fohlen auf einer Ausstellung, doch seine Berührungen waren sanft und nicht unangenehm. Dann fasste er um mich herum, zog mich heran, strich mit seinen Fingern beinahe liebevoll über meine Haut und drückte seine Nase an meinen Hals, während er einatmete. Ich seufzte leicht auf, als er meine bereits halbsteife Länge berührte, doch da ließ er mich los.
»Du reagierst schnell, das freut mich, aber ich will sicher sein können, dass du auch einen guten Job machst, wenn ich dich zu unseren besten Kunden schicke.« Er ging wieder zu seinem Schreibtisch, schloss ein Fach in der Seite auf und entnahm eine Geldkassette. Ich drehte mich ungefragt zurück und sah, wie er einhundertfünfzig Euro in Fünfziger-Scheinen auf den Tisch legte. Dann löste er seine Krawatte und stand wieder auf. »Also, ganz einfache Kiste: Da ist deine Bezahlung. Ich bin dein erster Kunde. Wenn du mich von deinen Qualitäten überzeugst, bist du dabei.«
Ich schluckte schwer und versuchte mein Herz zu beruhigen. Gut, das war zu erwarten und ich hatte mich vorbereitet, also kein Grund nervös zu werden.
»Okay. Worauf stehst du?«, fragte ich vorsichtig, so wie ich es früher immer getan hatte und kam näher, doch Ben grinste mich nur an und steckte die Hände in die Hosentaschen.
»Finde es heraus.«
Na toll … Sollte ich jetzt Rätselraten machen? Egal, ich tat einfach, was den meisten gefiel.
»Wie du willst …« Ich fuhr mit den Händen über seine Arme und lehnte mich an ihn, um seine Körperwärme zu spüren. Sein Aftershave roch etwas scharf, doch irgendwie törnte es mich an. Dann öffnete ich sein weißes Hemd und zog es langsam aus seiner maßgeschneiderten Anzughose.
»Küsst du?«, fragte er mich kratzig und beleckte sich bereits die Lippen.
»Normalerweise ja …« Eigentlich hatte ich mir darüber noch gar keine Gedanken gemacht.
»Also 'nach Sympathie'. Wie steht es bei mir?«
Ich konnte ja jetzt schlecht sagen, dass ich ihn ablehnte. Aber so gesehen war er für sein Alter durchaus ein charismatischer Typ, also warum nicht?
Statt ihm zu antworten, griff ich ihm einfach in den Nacken und zog ihn an meine Lippen. Seine Zunge versank sofort in mir und seine Hände lösten sich aus den Taschen, um meinen nackten Körper zu umarmen. Meine Angst war wie weggeblasen, als er über meinen Rücken kratzte und sich an mich drückte. Ich öffnete hastig seine Hose und sank nach unten, sobald er meine Lippen aus seinen Zähnen entließ. Ich konnte selbst gar nicht glauben, wie geil mich die Situation gerade machte.
Ben grunzte laut auf, als ich mich auf seinen Harten stürzte, ihn mit dem Mund bearbeitete und ihm dabei sanft die Eier kraulte. Seine Latte war leicht nach links gebogen und nicht ganz so lang wie Jacks, aber dafür beinahe genauso dick. Als ich nach oben blickte, sah er mich aus erregt zusammengezogenen Augen an, dann verdrehte er sie und pulsierte bereits. »Stopp, stopp!«, keuchte er und riss meinen Kopf von seinem zuckenden Schwanz.
»Ich will aber weitermachen«, knurrte ich ihm glühend zu und drängte wieder nach vorne. Ich war gerade so schön dabei.
»Nichts da! Hier geht´s nicht nach deinem Willen, Winnetou.«
'Wie hat der mich gerade genannt? Spinnt der?'
Er zog mich hoch, schubste mich zu der schwarzen Ottomane, wo er mich direkt umdrehte und bäuchlings über seinen Schoß zog, als würde er mir den Hintern versohlen wollen. »Sei eine brave kleine Schlampe und zeig mir dein Loch.«
Welch anregende Umschreibung … Wenn ich etwas hasste, dann Dirty-Talk mit Fremden. Trotzdem tat ich, wie er es verlangte und spreizte eine meiner Pobacken ab, während ich mich auf dem schwarzen Lederpolster abstützte.
»Oh ja. So ist es gut …«, schnaufte er, fasste zur Seite in das Schubfach des Beistelltisches, entnahm daraus einen Latexhandschuh, zog diesen über und ließ Gleitgel darauf laufen. »Stehst du auf Fisting?«
Meine Alarmglocken gingen los. »Nein!«, fauchte ich über meine Schulter hinweg, doch er griff mir mit seiner Linken in den Nacken und hielt mich unten, während er mir bereits zwei seiner glitschigen Finger einführte. »Ey! Ich sagte nein!«, protestierte ich nochmal, als er den dritten hineinsteckte.
»Okay, okay, keine Panik! Ich will nur testen, wie eng du bist!«, knurrte er mir erregt zu.
Der vierte seiner Finger schob sich in mich und drückte weiter nach vorn, bis ich nach Luft rang. Wie automatisch spreizte ich meine Beine weiter und hob meinen Po an, damit seine Finger bis zum Ansatz seines Mittelhandknochens hineinkamen.
»Gott, hast du einen geilen Arsch«, keuchte er auf und zog seine Hand aus mir raus. »Los, setz dich auf meinen Schwanz und reite mich, kleiner Indianer.«
Wäre er Jack, hätte ich ihm für diese Anspielung eine reingehauen, doch so konnte ich es nur ignorieren und stützte mich hoch.
Er feuerte den Handschuh auf links gedreht in die Ecke, rollte sich selbst einen Gummi über und ließ mich aufsitzen. Ich hielt mich an seinen Schultern fest und positionierte sein Teil an meinem Eingang. Seine Finger hatten mich schon so sehr vorgedehnt, dass ich keine Probleme mehr hatte, ihn eindringen zu lassen.
Er umarmte mich fest, drückte seine Lippen auf meine und stöhnte auf, als ich mit einem Schub vollständig auf ihn sank. Meine Hüften bewegten sich wie von selbst, ich pfählte mich in schnellen Stößen und keuchte in seinen Mund. Er spreizte die Beine und lehnte sich nach hinten, während er meine Lenden immer fester umklammerte. Ich bin mir sicher, man hörte mein helles Stöhnen durch den ganzen Gebäudekomplex …
Ich konnte nicht mehr, fing an, mich selbst zu wichsen, und kam beinahe zeitgleich mit ihm zusammen.
***
Ben zog den Reißverschluss seiner Hose zu und steckte sich eine Zigarette an. Seine modische Frisur war ziemlich durcheinander.
»Du siehst vielleicht unschuldig aus mit deinem Dackelblick, aber du kannst mir nicht erzählen, dass du keine Übung hast. Es hat nur ein paar Sekunden gedauert, bis du auf Touren gekommen bist und das danach, das war mehr als professionell.«
»War das ein Kompliment?« Ich lachte kurz, während ich meinen letzten Hemdknopf schloss.
»Nimm es als das.« Ben öffnete das Fenster, schaute hinaus und blies kleine Rauchkringel in die kalte Luft.
»Ich nehme an, das heißt jetzt trotzdem, dass ich drin bin?«, fragte ich etwas zögerlich und trat zu ihm. Die Temperaturen waren wirklich frisch, also umarmte ich ihn einfach und legte meinen Kopf an seine Brust, doch er zuckte zurück, als sei er überrascht.
»Was tust du da?«, fragte er verwirrt.
»Mir ist kalt«, antwortete ich nur und zog ihn noch enger an mich, »und du bist schön warm …«
Er lachte verlegen, doch dann legte er väterlich seinen Arm um mich. »Mach so etwas nicht.«
»Was?«
Er verdrehte grinsend die Augen und zeigte dann auf meine Arme um seinen Körper. »Na das!«
»Stört es dich?« Fast war ich ein wenig enttäuscht.
»Nein, aber … Hör zu, du benimmst dich gerade wie mein Lover, aber das bist du nicht. Du weckst falsche Hoffnungen in den Leuten, wenn du so anschmiegsam bist. Sie bezahlen dich fürs Ficken, danach nimmst du dein Geld und gehst.«
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn einfach, obwohl er furchtbar nach Rauch schmeckte. Dabei säuselte ich ihm etwas traurig zu: »Ich will aber noch nicht gehen …«
Natürlich hatte er recht, aber mir war gerade nicht danach, wieder draußen durch die Kälte zu stiefeln und dann alleine in diesem dämlichen, ungemütlichen Zimmer zu sitzen. Außerdem sehnte ich mich nach Zuneigung.
Ben grinste schräg und sah dann zur Seite. »Na so was hab ich ja auch noch nicht erlebt. Die meisten Jungs können gar nicht schnell genug wieder draußen sein. Aber du? Wenn du so weitermachst, werde ich noch dein bester Kunde und das wäre sehr geschäftsschädigend für mich.«
Er nahm seine Anzugjacke und hängte sie mir über die Schultern, dann zog er mich wieder zu sich ran und küsste mich auf die Stirn, während ich ihn dankbar für diese fürsorgliche Geste ansah. Er hing einige Sekunden zu lange an meinen Augen, dann schaute er wieder weg und zog an seiner Kippe.
»Du bist gefährlich, Kleiner. Dein Blick ist einfach zu intensiv. Da muss man aufpassen, sich nicht zuverlieben, und glaub mir, du willst keine verliebten Freier.«
Okay, das hatte ich nun wirklich nicht erwartet.
»Ich gebe dir einen gut gemeinten Rat, mein Hübscher. Spiel mit ihren Schwänzen, so viel wie du willst, aber nicht mit ihren Herzen. Sonst knallt dich irgendwann einer aus Eifersucht ab.«
Wenn der wüsste …
***
»Hey Baby, da bist du ja! Wo warst du?«
Jack kam mir bereits vor der Tür entgegen, denn er war schon auf dem Weg zur Arbeit.
»Bei einem Vorstellungsgespräch«, versuchte ich neutral zu antworten, denn irgendwie merkte er es immer, wenn ich log.
»Super! Erzähl es mir nachher, okay? Ich bin jetzt schon spät dran.« Damit gab er mir einen Kuss auf die Wange und wollte weiter, doch plötzlich blieb er stehen und knurrte: »Warum riechst du so komisch?«
'Scheiße! Memo an mich: erst duschen, dann ins Zimmer.'
»Ich dachte, du musst los?«
»Keycie!!!«
»Mann, mach dir keinen Kopf! So ist das eben in Deutschland. Fast wie bei den Franzosen. Man gibt sich zur Begrüßung links und rechts ´nen Kuss auf die Wange. Jetzt tick nicht gleich aus deswegen.«
»Unter Männern?« Er packte mich am Kragen und schnüffelte regelrecht an mir. »Das ist Rasierwasser! Also, warum riechst du nach ´nem anderen Kerl?«
»Nein … ich … das war ´ne Lesbe!« Was Besseres fiel mir in dem Moment nicht ein. »Was kann ich dafür, wenn die so was benutzt?«
Jack ließ mich los, doch ich sah ihm an, dass er mir nicht glaubte. »Wir besprechen das morgen, wenn ich zurückkomme!« Dann stiefelte er die Treppe hinunter.
'Mist!'
Ich holte nur mein Waschzeug aus dem Zimmer und verstaute die zweihundert Euro in meinem Koffer unter dem Bett. Ben hatte einen weiteren Fünfziger draufgelegt, weil ich noch fast eine Stunde nach unserer Nummer mit ihm rumgemacht hatte.
Danach ging ich ins Bad. Inzwischen hatte ich herausgefunden, wann die meisten anderen duschten, und ging immer dann, wenn keiner oder kaum jemand mehr dort war.
***
Betty, von der Agentur, meldete sich noch am selben Abend per SMS für eine spontane Terminanfrage zurück, schneller, als es mir eigentlich lieb war.
Kaum hatte ich mich mit dem Gedanken arrangiert, wieder anschaffen zu gehen, schien es sofort in Akkordarbeit umzuschlagen, so wie es auch damals in St. Freienstädt war. Sie machte es auf schriftlichem Wege, damit ich die Daten immer wieder nachlesen konnte, und teilte mir Ort, Zeit und Dauer des Treffens mit, sowie einige besondere Wünsche des Freiers. Drei Stunden wollte er mich bei sich haben und zahlte die von der Agentur festgelegten vierhundertachtzig Euro dafür.
'Karl Schneider' hieß mein erstes 'Date'. Allein bei dem Namen gähnte alles in mir. Drei Stunden … Was sollte ich so lange mit dem Typen machen? Der bezahlte Sex, den ich früher hatte, war meist nach wenigen Minuten vorbei und selbst mit Jack dauerte es in der Regel nie länger als eine halbe Stunde.
Laut Ben war der Typ aber angeblich ein 'sehr netter Stammgast, der gut für den Einstieg sei'. Also wer weiß, vielleicht wollte er auch nur kurz ficken und den Rest der Zeit kuscheln. Sollte mir auch egal sein.
Betty erwartete nun nur noch eine Bestätigung meinerseits, dann würde sie den Termin festmachen. Noch konnte ich zurück. Dann sah ich mich in dem schäbigen kleinen Zimmer um, wo sich unsere Sachen recht liederlich auf dem einzig vorhandenen Schreibtisch stapelten und vernahm lautes Trampeln über mir.
Nein! Ich wollte hier weg und das so schnell wie möglich. Zögerlich schrieb ich also einen Satz zurück und nahm den Termin an.