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Leo Brabands Roman "Zwielicht-Seelen" hat in der Literaturszene für Aufsehen gesorgt. Doch immer wieder taucht in den Gazetten die Frage auf: "Warum schreibt der Verfasser nichts Neues?" Diese Frage quält auch den Autor selbst, zudem seine finanziellen Mittel zur Neige gehen. Da bekommt er von seinem Verleger ein verlockendes Angebot: Ein hochmodernes neues Schiff soll mit einer Nordlandreise eingeweiht werden. Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Presse sind hierzu eingeladen und der Verleger reicht seine Einladung an Braband weiter. Einzige Bedingung sind zünftige Reiseberichte, die er regelmäßig zum Verlag senden soll. Brand nimmt an und eine Reise beginnt, die sein Leben verändern wird. Allerdings gehen die Ereignisse an Bord zu Lasten der Berichte, von denen kein einziger den Verlag erreichen wird.-
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Seitenzahl: 112
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Artur Brausewetter
Eine Seefahrtsgeschichte aus der guten alten Zeit
Saga
Artur Brausewetter: Heros Liebesfahrt. © 1924 Artur Brausewetter. Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2015 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen 2015. All rights reserved.
ISBN: 9788711448298
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com - a part of Egmont, www.egmont.com.
Leo Brabands „Zwielicht-Seelen“ liegen bereits in vierter Auflage vor. Wir wiederholen, was wir bei dem Erscheinen dieses merkwürdigen Buches sagten: „Das erste Suchen und Pochen eines Talentes, von dem unsere Literatur noch etwas zu erwarten hat. Es ist wunderlich, dass der Verfasser immer noch schweigt. Seit dem Erfolge dieses Romans ist kein Buch von ihm erschienen. Wann wird Leo Braband wieder sprechen?“
„Wann wird er wieder sprechen?“
Leo flüsterte es vor sich hin, indem er eine Anzahl von Zeitungsausschnitten von sich schob, die ihm sein Verleger heute morgen zugeschickt hatte. Sie enthielten fast ausnahmslos warme Anerkennung für sein Buch. Nur durch viele unter ihnen klang, nur in anderer Fassung, dieselbe Frage: „Warum schreibt der Verfasser nichts Neues?“
Es war ja auch nicht so ganz leicht zu verstehen. Ein junger Dichter, der das seltsame Glück hatte, mit einem seiner ersten Werke Aufmerksamkeit zu erregen, und der sich nun bereits eine Reihe von Jahren hindurch in Schweigen hüllte!
„Wann wird er wieder sprechen?“
„Wenn er sprechen — muss! Wenn er etwas zu sagen hat, das wert ist, gehört zu werden. Und wenn er alles das, was ihm durch Kopf und Seele braust, innerlich so geklärt und durchdrungen hat, dass sein neues Werk seine Jugendarbeit in den Schatten stellt. Eher nicht. Begreift ihr das nicht, ihr Herren vom Fach? Oder ist der Dichter auch nur Kaufmann, Handwerker, Schächer? Ist die ganze Poesie unserer Tage nichts als ein scheinbar verzückter, innerlich so berechneter Tanz um das goldene Kalb? Meinetwegen! Tanzt, so viel ihr wollt! Ich mache nicht mit, ich nicht!“
Er hatte sich in eine gewisse Erregung hineingeredet und ging mit hastigen Schritten in seinem Zimmer auf und ab. Es bot ihm genügend Raum zur Morgenpromenade, denn es war sehr gross und kahl, fast dürftig ausgestattet. Er konnte nicht viel für seine Wohnung ausgeben, denn seit einigen Jahren bestand seine Einnahme, einige Skizzen und literarische Aufsätze abgerechnet, in dem Ertrage für die regelmässig wiederkehrenden Neuauflagen seines Romans.
Damit waren keine Sprünge zu machen. Er hätte mehr verdienen, hätte es vielleicht zu einer ansehnlichen Ichreseinnahme bringen können. Er hätte sich nur zu einer ständigen Mitarbeit an einer Zeitung oder Zeitschrift verpflichten oder eine Stellung als Schriftleiter annehmen sollen, wie sie ihm noch vor kurzem unter günstigen Bedingungen angeboten war.
Aber er hatte „Nein“ gesagt. Weshalb?
Weil er nur in Freiheit schaffen konnte, weil seiner ganzen Anlage der geringste Zwang unerträglich war.
Das allein war der Anlass für ihn gewesen, seine gesicherte Stellung als Gymnasiallehrer aufzugeben, um losgelöst von jedem Muss der Berufspflicht, der Muse leben zu können, die nur den Freien liebt.
Und nun — Ketten gegen Ketten vertauschen. Nimmermehr!
Er trat ans Fenster und öffnete es. Es war ein sonnenheller Junitag. Die Luft, durch einige Regengüsse gewürzt, war frisch und duftig, dabei klar und durchsichtig wie Glas. In der grünenden Linde unmittelbar vor seinem Fenster fielen einige leuchtende Tropfen von Blatt zu Blatt; ihre Blüten regten sich zaghaft dem Leben entgegen.
Das war die Zeit, in der er früher seine Pläne für die Sommerreise machte. Die goldenen Ferien winkten, das Geld lag wohl gespart in der Schatulle, der rote Baedeker kam nicht von seinem Schreibtisch. Und eifriger noch als seine Sekundaner zählte er die Tage und Stunden, bis das Schulportal sich schloss hinter Staub und Dunkel, und die Pforten des Lebens vor ihm aufsprangen mit ihrem Licht und ihrer Freiheit!
Ja, wenn er doch nur ein einziges Mal so hinausziehen könnte in die weite Welt wie jene dort, die in den koffer- und kistenbepackten Droschken an seinem Fenster vorüberfuhren, dem nahen Bahnhof zu. Aber er hatte nicht das Geld dazu, er war froh, wenn es für die Anforderungen seines täglichen Lebens reichte.
Ein Pochen an die Tür entriss ihn seinen wehmütigen Betrachtungen. Seine Wirtin trat ein, ein altes, hageres Fräulein, an dem alles welk und gelb war, das Gesicht, die Bänder der Haube, die Hand, mit der sie ihm einen Brief überreichte.
„Der Bote wartet auf Antwort.“
Leo öffnete und las.
Der Herausgeber der „Stunde“, stand gedruckt am Kopf des Briefbogens, und dann mit einer schwer leserlichen, sehr kritzeligen Hand geschrieben:
„Mein lieber Herr Braband!
Ich möchte Sie in einer wichtigen Angelegenheit sprechen und deshalb bei Ihnen anfragen, wann ich Sie im Laufe des heutigen Vormittags zu Hause treffe. Vergeblich möchte ich nicht kommen. Sie wissen, wie meine Zeit besetzt ist.
Stets der Ihre.
Arno Ehrenberg.“
„Sagen Sie, bitte, ich würde selber den Herrn Doktor auf der Redaktion besuchen.“
*
Doktor Ehrenberg, der Herausgeber der „Stunde“, stand an seinem Schreibpult über einen Haufen von Zeitungen und Handschriften gebeugt, als Leo bei ihm eintrat.
„Trefflich, dass Sie kommen, lieber Braband ... und sofort ... trefflich!“
Ehrenbergs Sprache war wie seine Handschrift, unsicher und kritzelig.
„Und nun legen Sie ab. Ich habe mit Ihnen zu sprechen.“
Er ergriff ihn beim Arme und führte ihn zu dem lederbezogenen Sofa, das vor einem matteichenen Tische an der gegenüberliegenden Wand des behaglichen Zimmers stand. Er nahm sehr kleine, trippelnde Schritte, sein Gang war nachdenklich und nervös, der typische Gang des vielbeschäftigten Journalisten.
„Fürchten Sie nichts,“ sagte er, indem sie sich setzten, „ich plane kein Attentat gegen Sie. Zwar einen Roman von Ihnen hätte ich für mein Leben gerne. Sie wissen, wie grosse Mühe ich mir gebe, die ‚Stunde‘ in die Höhe zu bringen. Es geht auch ... nur mit den Romanen ist es schwer ... bei allem Angebot. Die Leser legen einen zu grossen Wert auf sie. Ja, wenn wir eines Tages schreiben könnten: Leo Brabands neuester, lang erwarteter Roman wird zum ersten Male in der ‚Stunde‘ veröffentlicht werden, das wäre so etwas!“
Er wackelte mit dem Kopfe und fuhr dann fort:
„Doch wie gesagt, keine Attentate. Nein, ich habe heute etwas anderes für Sie, etwas für Sie wie geschaffen. Ich bin sicher, dass ich diesmal keinen Korb bekommen werde.“
„Und was wäre dies?“
Ehrenberg lächelte geheimnisvoll und nahm von dem Tisch ein schreiben.
„Sehen Sie hier! Von der Direktion der ‚Atlantica‘, einer unserer grössten Reedereien. Sie hat einen neuen Dampfer gebaut, eine Lustjacht vornehmsten Stiles. Die macht in wenigen Tagen ihre erste Fahrt, eine Nordlandsreise bis Drontheim hinauf, ähnlich der, wie sie unser Kaiser alle Jahre unternimmt. Die Leitung hat dazu Einladungen ergehen lassen. Die grössere Zahl der Plätze sind dem Kaiser zur Verfügung gestellt. Er fährt zwar selber nicht mit, hat aber höhere Beamte und Offiziere befohlen. Dann sind von der Reederei einige der angesehensten Zeitungen geladen ... so auch unsere ‚Stunde‘.“
Er liess eine Pause eintreten.
„Ich würde selber die Reise mitmachen,“ sagte er dann, „wenn mich nicht unumgängliche Pflichten zurückhielten.“
„Das ist schade.“
„Gewiss. Aber es hilft nichts. Ich muss mich nach einem guten Vertreter unserer Zeitung umsehen. Ich dachte an Sie ...“
„An mich?“
„Ja, an Sie, lieber Braband. Ich glaube uns, aber zugleich auch Ihnen keinen besseren Dienst erweisen zu können. Sie bedürfen der Erholung. Eine schönere kann sich Ihnen nicht bieten; den ganzen Tag an der frischen See oder in stärkender Gebirgsluft. Dazu die tadellose Verpflegung an Bord, die Ihnen auch einmal nicht schaden wird.“
Er lächelte, während über das Gesicht des jungen Schriftstellers ein Hauch von Verlegenheit huschte.
„Nun, was sagen Sie zu meinem Vorschlag?“
„Er ist so übel nicht,“ und aus Leos dunklen Augen leuchtete die nun nicht mehr zu zügelnde Reiselust. „Indessen ...“
„Haben Sie Bedenken? Ich wüsste nicht, was Sie abhalten könnte. Kosten erwachsen Ihnen aus dieser Fahrt nicht. An Bord haben Sie alles frei, und das übrige ist natürlich unsere Sache.“
„Das ist alles sehr schön, aber ...“
„Aber ...?“
„Lieber Doktor,“ sagte Braband, „Ihr Vorschlag ist sehr verführerisch und selbstlos, ich muss immer an ein Wort des ‚Faust‘ denken.“
„An welches? Heraus mit ihm!“
„Und was soll ich dagegen dir erfüllen?“
„Nun,“ rief Ehrenberg belustigt aus, „wenn Sie mich bei diesem Vertrage wohlmeinend mit Mephisto vergleichen wollen, so lassen Sie mich auch mit ihm antworten:
„Dazu hast du noch eine lange Frist.
Nein, nein, die Zeitung ist ein Egoist
Und tut nicht leicht, um Gottes willen,
Was einem andern nützlich ist.
Sprich die Bedingung deutlich aus.“
„Bravo — so will ich es tun,“ entgegnete Ehrenberg in einem hohen, fast knabenhaften Tonfall, den man seiner robusten Gestalt nicht zugetraut hätte. „Ganz deutlich will ich die Bedingung aussprechen, und Sie werden sehen, dass sie leicht erfüllbar ist: Sie verpflichten sich Ihrerseits, der ‚Stunde‘ über diese Nordlandsfahrt regelmässig Berichte zu schreiben. In der Form von Reisebriefen oder wie Sie sonst wollen.“
Und da Leo schwieg: „Natürlich müssten diese Berichte von der Reise aus geschrieben und uns schnell gesandt werden. Die Fahrt hat eine grössere Bedeutung als andere derartige. Es gilt die Erprobung eines Schiffes, das auch einmal für ernstere Fälle ... Der Kaiser wird ihr ein besonderes Interesse entgegenbringen, seine Gäste befinden sich an Bord. Alle Zeitungen, die man geladen, werden ihre besten Vertreter entsenden. Die ‚Stunde‘ darf hinter keiner zurückstehen, im Gegenteil, sie muss, wie immer, an der Spitze marschieren ... Das also wäre es, wozu wir Sie verpflichten müssten ... und Sie sind einverstanden, nicht wahr?“
Wieder antwortete Leo nicht. Etwas Zauderndes, Bedenkliches warf leise Schatten auf sein Antlitz.
„Es ist eine Kleinigkeit für Sie,“ fuhr Ehrenberg ermutigend fort.
„Eine Kleinigkeit ... hm ... gewiss,“ murmelte Braband immer noch zögernd. Aber dann, sich gewaltsam aufraffend: „Ein paar Berichte ... nicht der Rede wert! Sie haben recht. Gut denn, ich bin einverstanden.“
Wagen reihen sich an Wagen ... wie eine endlose Kette schieben sie sich langsam der Landungsbrücke entgegen. Ein Dampfer liegt vor ihr zur Abfahrt bereit, eine Jacht von schlanken, ganz in Weiss gehaltenen Formen, goldgeziert mit einem hellgelben Schornstein, die Masten mit wehenden Fahnen und Wimpeln geschmückt: die „Hero“, die sich zu ihrer ersten Reise rüstet.
Leo Braband ist einer der ersten an Bord. Er hat seiner Garderobe merklich aufgeholfen. Der flotte, dunkelgraue Jackettanzug ist nach der neuesten Mode geschnitten und steht ihm ausgezeichnet. Er sieht frisch und jugendlich aus, gar nicht wie ein über allerlei Probleme der Seele grübelnder Dichter, sondern wie ein unternehmungslustiger Held, der auf Abenteuer auszieht. Unter dem leichten Filzhut, den er keck auf die Seite geschoben, zeigt sich ein scharfgeschnittenes Gesicht und das blitzende, ausdrucksvolle Auge. Der dunkle Schnurrbart ist nicht modern zurechtgestutzt, sondern beschattet in üppiger Freiheit die roten Lippen. Nur wenn er den Hut lüftet und die sehr hohe Stirn und die gelichteten Haare zum Vorschein kommen, sieht man ihm den Denker an.
An Bord wird es lebhaft. Die Zahl der Fahrgäste wächst, flinke Hände nehmen das Gepäck in Empfang. Leo befindet sich in einer ihm ganz fremden Gesellschaft, nicht ein einziges Gesicht ist ihm bekannt.
Hier erblickt er einige Herren, deren Aussehen und Haltung sofort den höheren Militär oder Staatsbeamten offenbaren, dort steht eine Gruppe von Parlamentariern, wieder andere legen in Gang und Wesen jenes typische Gepräge an den Tag, das sie gleich Ehrenberg als vielbeschäftigte Männer der Presse erscheinen lässt. Aber selbst unter ihnen kennt er nicht einen einzigen.
Auch Damen befinden sich an Bord. Eine junge Frau mit klugem, heiterem Gesicht, stark gebogener Nase und leuchtenden Augen und Farben erregte von vornherein sein Wohlgefallen.
„Dann wären wir wohl alle versammelt?“ fragt ein älterer Herr, der schon eine Weile lang die scharfen Augen mit prüfendem Blick über die Versammlung hat gleiten lassen. Er hat ein hageres, durchgearbeitetes Gesicht und gepflegte Hände mit langen, dünnen Fingern, die alle Augenblicke durch einen weichen, schwarzgrauen Spitzbart zwirbeln. Direktor Wolfgart von der ‚Atlantica‘ hat er sich Leo beim Betreten des Dampfers vorgestellt.
„Nein,“ antwortet die junge Frau mit den frischen Farben, „Frau Wallbaum fehlt noch.“
Direktor Wolfgart runzelt die hohe Stirn.
„Es ist bereits eine Viertelstunde über die festgesetzte Zeit. Meinen Sie, gnädige Frau, dass sie noch kommen wird?“
„Sicher. Sie hat es mir gestern erst gesagt. Sie verspätet sich immer. Es ist Grundsatz bei ihr.“
Man lacht.
„Na, dann wollen wir ihr noch eine weitere Viertelstunde Frist geben,“ sagte schmunzelnd der Direktor.
Da sieht man durch das Gewühl der Lastfuhrwerke und Hafenarbeiter einen Taxameter fahren.
Hochaufgerichtet im Wagen steht eine mit Geschmack gekleidete ältere Dame, die eifrig auf den Kutscher einredet, indes sie aus ihrer Börse einige Geldstücke nimmt und sie ihm zusteckt. Der lächelt zufrieden und haut auf seine Pferde ein, dass die auseinanderstiebende Menschenmenge hinter dem Wagen herwettert, dass man es bis an Bord hört.
Doch die Dame scheint das wenig anzufechten. Sie hat sich wieder in den Sitz zurückgelehnt und beginnt nun den Kutscher mit der Spitze ihres rotseidenen Sonnenschirmes von neuem zu bearbeiten.
Jetzt erst bemerkte Leo, dass sie sich nicht allein in dem Wagen befindet. Nicht an ihrer Seite, ihr vielmehr gegenüber, durch einige Handtaschen und Hutschachteln bisher verborgen, sieht er ein junges Mädchen mit aufgestütztem Arm in einer Ecke sitzen. Es trägt einen hellgrauen seidenen Staubmantel und einen einfachen, kaum gezierten runden Strohhut. Ganz ruhig sitzt es, ohne sich zu rühren, in jeder Beziehung das Gegenteil von seinem immer noch lebhaft gestikulierenden Gegenüber.