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Mian ist Jäger mit Leib und Seele. Das Tierleid blendet er meist erfolgreich aus und genießt stattdessen die Einsamkeit der Jagd, die ihm hilft, seine schmerzhafte Vergangenheit zu verdrängen. Als er eines Tages einen jungen Tiger erlegt und den vermeintlichen Leichnam in seine Hütte bringt, überkommt ihn ein seltsames Gefühl, zumal die Raubkatze plötzlich spurlos verschwunden ist.
Ein Angriff und weitere Beobachtungen liefern die Erkenntnis: Sein Opfer war niemand anders als Baihu, Herrscher über das Volk der Gestaltwandler. Und nicht nur das, der Tiger hat verhindert, dass sein Bruder Shinxin Mian tötet.
Mit Gewissensbissen macht Mian sich auf und lebt eine Zeit lang beim Volk der Gestaltwandler. Seine Gefühle für Baihu, die erwidert werden, kommen ans Licht. Doch die Gefahr sitzt ihnen im Nacken, denn Mians Kollegen jagen die Gestaltwandler nach wie vor und Mian muss sich entscheiden, auf welcher Seite er steht …
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Asmodina Tear
Im Auge des Tigers
Eine Gay-Romantasy
Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv
Cover: © by Steve Mayer, 2024
Lektorat/Korrektorat: Antje Ippensen
Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau (OT), Gemeinde Oberkrämer. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang
Die Handlungen dieser Geschichte ist frei erfunden sowie die Namen der Protagonisten und Firmen. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht gewollt.
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Inhaltsverzeichnis
Impressum
Das Buch
Im Auge des Tigers
1 Ein einsamer Jäger
2 Schwarz-gelbe Augen
3 Schatten und Verdrängung
4 Scheintot oder Fehlschuss
5 Ein unerklärliches Gefühl
6 Bilder der Vergangenheit
7 Verbotene Liebe
8 Verhängnisvolle Verführung
9 Der geheimnisvolle Mann
10 Zwei Seelen
11 Erklärungen
12 Bruderblut
13 Eine besondere Nacht
14 Sinnlichkeit
15 Gefährliche Liebe
16 Wohin ich gehöre
17 Blutige Entscheidung
Mian ist Jäger mit Leib und Seele. Das Tierleid blendet er meist erfolgreich aus und genießt stattdessen die Einsamkeit der Jagd, die ihm hilft, seine schmerzhafte Vergangenheit zu verdrängen. Als er eines Tages einen jungen Tiger erlegt und den vermeintlichen Leichnam in seine Hütte bringt, überkommt ihn ein seltsames Gefühl, zumal die Raubkatze plötzlich spurlos verschwunden ist.
Ein Angriff und weitere Beobachtungen liefern die Erkenntnis: Sein Opfer war niemand anders als Baihu, Herrscher über das Volk der Gestaltwandler. Und nicht nur das, der Tiger hat verhindert, dass sein Bruder Shinxin Mian tötet.
Mit Gewissensbissen macht Mian sich auf und lebt eine Zeit lang beim Volk der Gestaltwandler. Seine Gefühle für Baihu, die erwidert werden, kommen ans Licht. Doch die Gefahr sitzt ihnen im Nacken, denn Mians Kollegen jagen die Gestaltwandler nach wie vor und Mian muss sich entscheiden, auf welcher Seite er steht …
***
Eine Gay-Romantasy
Asmodina Tear
Mian
Zu meinem Ärger kostete es mich unglaublich viel Kraft, das Bett zu verlassen. Zugegeben, die Nacht war lang gewesen … aber dass es sich so extrem auf meinen Körper auswirkte, hatte ich nicht für möglich gehalten.
Reiß dich zusammen, befahl meine innere Stimme.
So wie schon seit fünfundzwanzig Jahren. Manchmal hätte ich sie am liebsten in die Hölle verbannt, aber das ist weder mir noch irgendjemand anderem möglich. Außerdem würde ich sie dort wieder treffen und genau das möchte ich eigentlich vermeiden. Ich setzte mich auf, rieb meine Augen und hatte alle Mühe, die Muskelschmerzen zu ignorieren, zumal diese eigentlich nicht da sein sollten.
Wie kann das sein? Schon seit Monaten lebe ich in der Wildnis und trainiere regelmäßig. Warum machen mir die Jagd und alles andere dermaßen zu schaffen?
Jene Frage stellte ich mir nicht zum ersten Mal und wie schon die ganzen Male zuvor fand ich keine Antwort. Es hieß immer, ein Leben in Einsamkeit würde den Geist zum Leben erwecken und neue Horizonte eröffnen.
»Von wegen«, murmelte ich mir in meinen kurzen Bart, der schon bald länger werden würde. »Wenn ich diesen Lügner erwische, mache ich ihn mit Freude einen Kopf kürzer.«
Seitdem ich hier mein Dasein fristete, schien die Kraft mit jedem Tag mehr als meinem Körper zu verschwinden. Zuerst dachte ich, dies sei der Umstellung und vor allem der ungewohnten Ruhe geschuldet. Die Wildnis von Zhoaxing war nun mal etwas anderes als der chronische Lärm von Shanghai, den ich bis dahin gewohnt war. Aber innerhalb eines halben Jahres sollte ich mich an die neue Situation gewöhnt haben, oder etwa nicht?
Offensichtlich hast du damit größere Schwierigkeiten als gedacht.
Der Spott meiner inneren Stimme ließ sich kaum ignorieren und heiße Wut flammte in mir auf. Ich verabscheute es aus ganzem Herzen, wenn mir Situationen entglitten und sich nicht mehr kontrollieren ließen. In solchen Momenten fühlte ich mich, obwohl ich schon achtundzwanzig Jahre alt war, wie ein kleines, schutzloses Kind. Und ich hasste es zutiefst.
So etwas Würdeloses. Jetzt reiß dich zusammen.
Dem Gedanken folgend schwang ich mich mit einer einzigen Bewegung von meiner Pritsche. Sofort tobte ein starker Schwindel hinter meiner Stirn und sorgte dafür, dass ich beinahe das Gleichgewicht verlor. Keine Sekunde später schoss ein gewaltiger Schmerz durch meinen Oberschenkel.
Verflucht … das kann doch nicht wahr sein.
Ich schaute auf mein Bein, als gehöre es jemand anderem. Es war stark, muskulös und deswegen zum Glück in der Lage, einen möglichen Sturz abzufedern. Wenn auch nicht ohne Schmerzen. Trotzdem gelang es mir, meinen Körper wieder in eine normale Standposition zu bringen, wenngleich es eine gefühlte Ewigkeit dauerte. Erleichtert stieß ich die Luft aus und trat zum Fenster, um die Sonne in meine bescheidene Hütte zu lassen. Die Vorhänge und das Fliegengitter waren der einzige Luxus, den ich mir hier draußen gönnte. Zum einen war es für die Jagd von großer Bedeutung, ausreichend Schlaf zu bekommen, und zum anderen konnten die Stiche von Mücken lebensgefährliche Krankheiten übertragen. Und die Wahrscheinlichkeit, dass man hier draußen rechtzeitig gefunden wurde, war doch sehr gering, obwohl Kontakt zur nächsten Stadt durchaus bestand.
Moment mal …
In der nächsten Sekunde wurde mir heiß und kalt zugleich. War das vielleicht die Erklärung für meine Schwäche und die anderen Beschwerden? Möglich wäre es, denn obwohl ich mich vor der Jagd stets mit Spray und anderen Tinkturen versorgte … man wusste trotzdem nie. Schließlich gehörte es zum Berufsrisiko. Sofort riss ich mir die Boxershorts vom Leib und betrachtete aufmerksam jeden Zentimeter meines Körpers. Viele Muskeln, ein flacher Bauch sowie eine leicht gebräunte Hautfarbe. Alles schien wie immer und trotzdem ließ ich dreimal meine Augen rauf und runter gleiten. Manche dieser Stiche waren so klein, dass man sie erst auf den zweiten oder dritten Blick erkannte. Aber ich sah – nichts.
Ein Seufzer der Erleichterung sprang über meine Lippen, obwohl ich mich innerlich zwiegespalten fühlte: einerseits natürlich erleichtert, weil mich offenbar keines von diesen Viechern erwischt hatte und ich nicht in Lebensgefahr war – wie bereits gesagt, konnte ein flüchtiger Biss oder Stich hier draußen den sicheren Tod bedeuten –; andererseits löste sich meine Hoffnung, endlich eine Erklärung zu haben, in Luft auf.
Ich schüttelte den Kopf und ging nach draußen zum nahegelegenen Fluss, um mich ein bisschen zu waschen. Obwohl es hier draußen niemanden gab, der mich sehen konnte, legte ich trotzdem großen Wert auf meine Hygiene. Außerdem half das angenehm kühle Wasser tatsächlich dabei, meinen Geist aufklaren zu lassen, wenngleich gewisse Zweifel blieben.
Habe ich die richtige Entscheidung getroffen? Ich warf den Kopf in den Nacken und genoss, wie das Nass meine Brust hinunterperlte. Ist ein Leben in der Einsamkeit wirklich das, was ich will?
Ich gab es nicht gerne zu, aber ein wenig erschreckten mich diese Zweifel. Schließlich hatte ich lange darüber nachgedacht, mir sogar einige Nächte um die Ohren geschlagen. Allein schon, weil ich wusste, dass eine Rückkehr sich schwierig gestaltete. Zumal ich niemandem von meinem Entschluss berichtet hatte; weder davor noch als er feststand. Selbst meine Familie schmiss ich quasi ins kalte Wasser, indem ich ihr lediglich einen Brief hinterließ. Dieser war zwar recht lang gewesen, zufriedengestellt hatte er sie offenbar jedoch nicht. Von meinem Arbeitgeber wusste ich, dass meine Eltern danach verzweifelt versucht hatten, mich zu kontaktieren und sich auszusprechen.
Wozu? Um unnötige Wunden zu reißen? Mein Kiefer mahlte und ich machte den Tieren, die ich tagtäglich jagte, ernsthafte Konkurrenz. Sie kennen die Wahrheit nicht und das ist verdammt gut so. Es reicht vollkommen aus, dass sie mich ins Unglück gestürzt hat.
Für den Bruchteil einer Sekunde wurde mir schwarz vor Augen. Jene vertraute Schwäche, die durch das kühle Wasser geruht hatte, kehrte mit voller Gewalt zurück. Schnell presste ich die Hand an mein Herz. Ich spürte den unregelmäßigen Schlag und zwang mich trotzdem, so ruhig wie möglich zu atmen.
Mir wird nichts passieren.
Dieser Gedanke beruhigte mich. Obwohl ich die Ursache jener Schwäche noch nicht kannte, war sie mir in gewisser Weise vertraut. Ich fühlte mich unwohl, aber das Bewusstsein hatte ich noch nie verloren. Trotzdem hatte ich es plötzlich relativ eilig, den Bach zu verlassen und in meine Hütte zurückzukehren. Die Stille dort hatte etwas Tröstliches und außerdem erinnerte sie mich an meine Arbeit.
Dort angekommen musste ich jedoch gegen den Wunsch ankämpfen, mich einfach wieder ins Bett zu legen. Zwar fühlten meine Glieder sich nicht mehr an wie Blei, aber wirklich fit fühlte ich mich auch nicht. Und das musste man für diese Arbeit zu einhundert Prozent sein, schließlich war der Gegner alles andere als hilflos. Im Gegenteil, ein kurzer Augenblick der Unachtsamkeit konnte einen das Leben kosten.
Und was nützt es dir, hier zu sitzen und zu grübeln?, fragte meine innere Stimme. Plötzlich nahm ich sie noch deutlicher wahr als sonst, was nicht zuletzt daran lag, dass sie meine einzige Gesellschaft war. Davon wird es auch nicht besser.
Meine Augen wanderten zu den zwei Gewehren, die, sorgfältig gesichert, an der Wand hingen. Sie wirkten wie ein Mahnmal und erinnerten mich gleichzeitig daran, weswegen ich hier lebte und was ich heute noch zu tun hatte. Ich stieß die Luft aus, erhob mich von der Pritsche und griff nach der Waffe. Ohne einen Blick zurück verließ ich zum zweiten Mal an diesem Tag die Hütte und glaubte, die finsteren Schatten dort zu lassen.
Pass auf …
Der Gedanke ließ mich in eine geduckte Haltung gehen. Während meine Augen das potenzielle Opfer fixierten und keine seiner Bewegungen mir entging. Fasziniert studierte ich den muskulösen Körper, das makellos gescheckte Fell, das sich mit Sicherheit optimal verarbeiten ließ. Seinem Blick wich ich jedoch aus. Nicht aus Angst, sondern weil die dunklen Augen des Leoparden in der Lage waren, selbst kleinste Bewegungen wahrzunehmen. Suchte ich seinen Blickkontakt, bestand die Gefahr, dass er mich entdeckte. Einen Kampf Auge um Auge wollte ich nicht riskieren, zumal momentan die Überraschung auf meiner Seite war.
Was für eine Schönheit.
Offensichtlich ahnte er nichts von der drohenden Gefahr. Obwohl sein Kopf immer wieder hin und her wanderte, bemerkte er mich nicht. Meine Mundwinkel wanderten nach oben, während meine Finger sich langsam um den Abzug legten. Ich durfte nichts überstürzen, auch wenn die Bedingungen gerade optimal waren. Aber diese Tiere konnte verdammt schnell sein, sobald sie eine Gefahr witterten, und obgleich ich durchaus ein guter Sprinter war, gegen einen gesunden Leoparden gingen meine Chancen gegen null. Im Gegenteil, er konnte mich ohne Schwierigkeiten töten. Ein Prankenhieb reichte dafür aus.
Wäre das so schlimm?
Ich zuckte zusammen und diese kleine Bewegung reichte aus, dass meine Waffe schwankte. Ruckartig hob der Leopard den Kopf und schaute mir direkt ins Gesicht. Noch verhielt seine Mimik sich ruhig, er machte auch keine Anstalten zu fauchen oder mich anzugreifen. Trotzdem fluchte ich innerlich und betete zu allen Göttern, mein Ziel nicht verloren zu haben. Zwar hatte ich, im Gegensatz zu den anderen Jägern, nicht unbedingt eine Quote zu erfüllen, was meine Arbeit sehr viel unkomplizierter gestaltete. Aber wenn ich keine Tiere mehr brachte, wurde mein Chef auf kurz oder lang ungehalten. Und das wollte ich nicht erleben. Ärgerlicherweise gab der Leopard seine ruhige Haltung auf und machte Anstalten, davonzulaufen. Seine Beine nahmen die entsprechende Haltung ein, wobei er mich nicht eine Sekunde unbeobachtet ließ.
Vergiss es. Ohne es zu merken, waren meine Finger wieder am Abzug. Du entkommst mir nicht.
Der Leopard schaute mich an. Zum zweiten Mal an diesem kurzen Tag schlug mein Herz ein paar Takte schneller. Für einen Menschen ist es nahezu unmöglich zu verstehen, wie ein Tier denkt. Besonders, wenn es in seiner freien Wildbahn lebt. Aber in dieser Sekunde glaubte ich, alles von ihm zu spüren. Seine Angst, die Furcht, ein kleiner Hauch von Tod, aber auch seine wilde Entschlossenheit zu fliehen. Für den Bruchteil einer Sekunde war ich kurz davor, mein Gewehr zu senken, obwohl es sonst nicht meine Art war. Aber dieser Anblick erfüllte mich mit Ehrfurcht und Leopardenfell war zurzeit nicht so gefragt, oder?
Während der Arbeit darf man keine Gefühle zeigen, hatte mir mein Chef schon zu Anfang unmissverständlich klargemacht. Die Tiere sind für uns keine Lebewesen, sondern Objekte, die uns den Wohlstand sichern. Außerdem gebe ich dir, wonach du dich sehnst, also erwarte ich absoluten Gehorsam.
Zum ersten Mal jagten mir diese Worte einen Schauer über den Rücken. Auch, weil sie nicht ganz der Wahrheit entsprachen. Die Arbeit in den Wäldern und die Einsamkeit halfen mir zu überleben und manches aus der Vergangenheit zu vergessen, aber was ich brauchte, konnte mein Chef mir nicht geben. Ebenso wenig wie irgendwer anders auf dieser Welt. Ich war einsam und das nur, weil ich hier in den Wäldern lebte. Meine Selbstbeherrschung drohte Risse zu bekommen. Also richtete ich meinen Fokus wieder auf den Leoparden. Noch immer stand er regungslos da und schaute mich an. Warum er nicht schon längst weggelaufen war, wusste ich nicht.
Knall.
Einige Wimpernschläge lang durchbrach hysterisches Flügelschlagen die Stille, welche jedoch sofort wieder zurückkehrte. Bis auf meinen eigenen Herzschlag hörte ich nichts, als ich mich dem toten Tier näherte. Mein Schuss hatte mitten ins Herz getroffen und ihm einen gnädigen Tod beschert. Trotzdem fühlte ich mich seltsam verloren – auch ein schlechtes Gewissen kam auf.
Liegt es an seinen Augen, die mich selbst im Tode noch vorwurfsvoll anstarren?
Einem plötzlichen Impuls folgend schloss ich sie mit der Hand, obwohl dergleichen sonst nicht meine Art war. Doch mein Gewissen schwieg nicht. Im Gegenteil, in meinen Schläfen hämmerte ein Schmerz, der mir fast die Sinne raubte.
Verdammt … bitte nicht jetzt.
Ich befand mich auf einer ungeschützten Lichtung und bei dem, was ich über diese Gegend wusste, konnte der Geruch eines Kadavers durchaus weitere Wildtiere anlocken. Für Aasfresser genügte dies vollkommen und mein Gewehr wäre vielleicht gegen einen Einzelnen wirkungsvoll, nicht jedoch gegen eine Gruppe. Zum ersten Mal musste ich während der Jagd die Panik niederkämpfen. Doch als ich nach ein paar Minuten noch immer nichts hörte, erlaubte ich mir, auszuatmen.
Offensichtlich fürchte ich mich heute ein wenig zu sehr, obwohl das nicht passieren darf.
Angst vernebelte die Sinne und trübte den Blick. Beides durfte ich nicht riskieren. Ich straffte die Schultern. Meine scharfen Augen wanderten umher und nahmen jeden Winkel der Umgebung ins Visier.
Nichts. Ich bin noch immer allein.
Offenbar hatte mein Schuss die Tiere so erschreckt, dass sie sich erst mal zurückzogen. Worüber ich insgeheim sehr froh war. Den heutigen Tag konnte man ohne Weiteres als seltsam beschreiben, obwohl ich den Grund nicht benennen konnte. Mit einer hastigen Kopfbewegung vertrieb ich die letzten Gedanken aus meinem Kopf, nahm den toten Leoparden hoch und trug ihn in meine Hütte zurück.
Rückblickend frage ich mich, ob ich nicht etwas hätte bemerken müssen?
Baihu
Knall …
Ein Schuss.
Dieser Gedanke sorgte dafür, dass meine Sinne sofort Alarm schlugen. Wir waren auf dem richtigen Weg, daran bestanden nunmehr keine Zweifel. Obwohl ich erleichtert sein sollte, schlug mein Herz bis zum Halse, weswegen mir sofort fast unnatürlich warm wurde.
An den Temperaturunterschied werde ich mich wohl nie gewöhnen. Und das, obwohl ich seit fünfzehn Jahren um das Geheimnis weiß.
Die Erinnerung an jene Zeit löste gemischte Gefühle in mir aus. Auf der einen Seite bekam ich endlich eine Antwort auf zahlreiche Fragen, welche ich mir zu diesem Zeitpunkt bereits stellte. Die eine oder andere Geheimniskrämerei kam ebenfalls ans Licht und ich versöhnte mich sogar mit meinen Eltern. Unser Verhältnis war damals sehr angespannt, beinahe schon feindselig. Kein Wunder, wenn man tagaus, tagein das Gefühl hatte, belogen zu werden.
An meinem achtzehnten Geburtstag rückte mein Großvater endlich mit der Sprache raus, wofür ich ihm heute noch dankbar bin. Denn damals verlor ich, langsam aber sicher, das Vertrauen in meine Familie, wobei mein jüngerer Bruder Shinxin eine Ausnahme bildete. Mit ihm konnte ich reden, egal was mich beschäftigte. Außerdem konnte ich mich darauf verlassen, dass er mir immer die Wahrheit sagte.
Als mein Opa die Geschichte erzählte und das Geheimnis offenbarte, klagte meine Mutter lauthals und auch mein Vater hatte Tränen in den Augen, was sonst überhaupt nicht seinem Wesen entsprach. Im Gegenteil, wenn ich wählen müsste, wer von beiden strenger war, hätte ich ganz klar meinen Vater benannt. Offensichtlich wollten sie nicht, dass ich die Wahrheit erfuhr. Was mich in dieser Sekunde wütender machte denn je. Ich war schließlich kein Baby mehr. Außerdem stellte ich mir im Nachhinein die Frage, wie sie es sich auf die Dauer vorgestellt hatten. Man konnte zwar lernen, die Verwandlung zu kontrollieren, aber dazu musste man von ihr wissen.
»Genau deswegen habe ich mich entschieden, dir die Wahrheit zu sagen, Baihu. Auch wenn meine Tochter und mein Schwiegersohn …« Der Blick, den er meinen Eltern zuwarf, sprach Bände. Offensichtlich war er mit ihrer Verschwiegenheit überhaupt nicht einverstanden. ».. es gerne anders gehabt hätten. Aber ich sehe, dass unsere Familie an diesem Geheimnis zu zerbrechen droht, und das möchte ich auf keinen Fall. Abgesehen davon erkenne ich, dass der Trieb bei dir immer stärker wird. Schon bald wirst du es nicht mehr unterdrücken können.«
Ein Rotschimmer zierte meine Wangen. Wusste meine Familie etwa, dass ich mich zu Männern hingezogen fühlte? Zwar war ich nicht der Einzige aus der Familie, im Gegenteil, es gab viele Männer in meiner Verwandtschaft, die das eigene Geschlecht bevorzugten oder auch beides mochten. Insofern war es für mich definitiv leichter als für die meisten anderen, denn ich hatte mithilfe der modernen Kommunikationsformen schon weitaus andere Geschichten gehört. Nicht selten nahmen diese ein sehr tragisches Ende, was mir immer sehr leidtat.
Trotzdem hatte ich noch ein wenig warten wollen, zumal ich derzeit nicht verliebt war. Unsicher schaute ich meinen Großvater an. Wie immer war seine Miene freundlich und ein kleines Lächeln umspielte die Mundwinkel. Er strahlte eine innere Ruhe aus, um die ich ihn fast beneidete. Selten kannte ich meinen Opa ernst oder gar zornig.
»Was meinst du damit?«, fragte ich ihn.
Er lächelte. »Denkst du, ich habe deine Schlaflosigkeit nicht bemerkt oder dass du nachts durch den Wald streifst anstatt in deinem Bett zu liegen? Dabei kannst du übrigens von Glück reden, dass dir nichts zugestoßen ist. Du hast zwar sehr viel Kraft, aber unsterblich bist du nicht.«
»Was willst du mir damit sagen?«
Natürlich wusste ich, dass ich nicht unsterblich war und auch, dass ich ein Risiko einging, wenn ich alleine nachts durch den Wald wanderte. Das wusste ich immer, aber mein Drang, unbedingt dort sein zu müssen, wurde in letzter Zeit stärker und stärker, ohne dass ich einen Grund dafür benennen konnte.
»Nein, bitte tu es nicht!«, schrie meine Mutter fast hysterisch und versuchte, zu mir zu rennen.
Entgegen meiner Erwartung hielt mein Vater sie fest und sagte etwas, das ich nicht verstand. Meine Mutter brach in Tränen aus und sank weinend zu Boden, sodass sie mir richtig leidtat.
»Es muss sein, Tochter.« Diesmal erlaubte die Stimme meines Großvaters keinen Widerspruch. »Oder wie denkst du, kann er weiterleben? Bei allen Göttern, Baihu war kurz davor, unsere Familie zu verlassen. Von den körperlichen Auswirkungen ganz zu schweigen.«
»Wie? Was? Wovon redest du?«
Jetzt verstand ich gar nichts mehr, zumal mein Großvater nur den Arm um meine Schultern legte und einen langen Blick mit meinem Vater tauschte. Dieser nickte kaum merklich. Zu mehr schien er nicht fähig zu sein. Aber es reichte offensichtlich. Auch Großvater machte einige Schritte rückwärts und begann zu meiner Überraschung, sich zu entkleiden.