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Die Miene des Mannes war verschlossen, sein Blick in stiller Einkehr auf den Boden gerichtet. In seinen Händen hielt er einen Umschlag, der mit einem Wachssiegel versehen war. Noch schien er unschlüssig, was mit dem Dokument zu geschehen hatte, doch dann ging er schlurfend der jungen Frau entgegen, die schon fast sehnsüchtig auf eine Reaktion wartete.
"Ich habe diese Entscheidung nicht leichtfertig getroffen", sagte der Mann wie als Entschuldigung, "aber es gibt dunkle Kräfte, die meine Erfindung für sich beanspruchen. Deshalb musst du die Pläne ans Komitee übergeben. Dich werden sie nicht verdächtigen."
Die Eröffnung kam für Sheryl Barrington überraschend, doch sie willigte ein. "Ich werde dich nicht enttäuschen, Daddy", sagte sie flüsternd und nahm den Umschlag entgegen.
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Seitenzahl: 136
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Drei Colts für Sheryl
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Impressum
Drei Coltsfür Sheryl
von Des Romero
Die Miene des Mannes war verschlossen, sein Blick in stiller Einkehr auf den Boden gerichtet. In seinen Händen hielt er einen Umschlag, der mit einem Wachssiegel versehen war. Noch schien er unschlüssig, was mit dem Dokument zu geschehen hatte, doch dann ging er schlurfend der jungen Frau entgegen, die schon fast sehnsüchtig auf eine Reaktion wartete.
»Ich habe diese Entscheidung nicht leichtfertig getroffen«, sagte der Mann wie als Entschuldigung, »aber es gibt dunkle Kräfte, die meine Erfindung für sich beanspruchen. Deshalb musst du die Pläne ans Komitee übergeben. Dich werden sie nicht verdächtigen.«
Die Eröffnung kam für Sheryl Barrington überraschend, doch sie willigte ein. »Ich werde dich nicht enttäuschen, Daddy«, sagte sie flüsternd und nahm den Umschlag entgegen.
Ihr Vater wirkte bedrückt, gerade so, als hätte er ein schicksalhaftes Urteil über seine Tochter gefällt. Oftmals schon hatte er zerstreut, unaufmerksam und in sich gekehrt gewirkt, doch dieses Mal spürte Sheryl fast körperlich, dass der Mann völlig bei der Sache war und anscheinend mit innerlichen Zweifeln zu kämpfen hatte.
»Du musst dir keine Sorgen machen, Paps«, meinte sie aufmunternd und schaffte es sogar, ein mildes Lächeln aufzusetzen; ganz so, als würde sie gönnerhaft über die Missetaten eines ertappten Kindes hinwegsehen. »Deine Pläne sind bei mir bestens aufgehoben. Wer würde bei mir schon Unterlagen vermuten, die die Waffentechnik der US-Army revolutionieren könnten?«
Schwach winkte Barrington ab. »Es handelt sich nicht um eine Revolution, bestenfalls um eine grundlegende Verbesserung der Effektivität. Und gerade deshalb bereitet mir dieser Kerl Kopfzerbrechen. Er war bei meiner Unterredung mit dem Bürgermeister zugegen. Und ich habe deutlich die Gier in seinen Augen gesehen.«
Erheitert lachte Sheryl auf. »Hast du nicht gesagt, er sei Anwalt?«, fragte sie. »Das ist doch kein Desperado aus den Geschichten, die in der Zeitung stehen. Der muss sich an Recht und Gesetz halten. Ich glaube, du bist ein wenig übervorsichtig.«
»Das muss ich auch sein, wenn es um die nationale Sicherheit geht«, versetzte Lewis Barrington, gab ein röchelndes Husten von sich und schleppte sich hinüber zu seinem Rollstuhl. Ächzend ließ er sich darin nieder. »Ich würde selbst nach Washington fahren, doch mein Gesundheitszustand lässt eine derart weite Reise nicht zu. Du bist jung, kräftig und vor allen Dingen unauffällig. Und du bist die einzige Person, der ich vertraue.«
Betroffen schaute Sheryl Barrington auf ihren Vater, der nur noch einem Zerrbild seiner selbst glich. Seit der Explosion in seinem Labor schien er zusehends zu verfallen, obwohl er kein alter Mann war. Es war diese verheerende Mischung an Chemikalien gewesen, die ihm die Kraft geraubt hatten. Und sie schienen seinen Leib mit jedem verstreichenden Tag weiter zu zersetzen.
»Das Komitee in Washington wird deine Pläne erhalten!«, versicherte die junge Lady im Brustton der Überzeugung. »Ich werde sie nicht aus der Hand geben, und niemand kann mich dazu bewegen, sie ihm zu überlassen – auch nicht mit vorgehaltenem Revolver!«
Barrington nickte, doch die Sorge zeichnete seine Züge wie der Meißel eines Bildhauers unbearbeiteten Stein. »Ich würde dich nicht losschicken, wenn es eine andere Möglichkeit gäbe«, teilte er heiser mit. »Ich hoffe, du weißt, dass ich nur dein Bestes will.«
Sheryl ging gar nicht darauf ein. »Wann geht mein Zug?«, fragte sie forsch.
»Morgen Mittag«, erwiderte Barrington. »Du wirst aber nicht allein reisen. Ich habe drei Männer zu deinem Schutz beauftragt.«
Irritiert runzelte Sheryl ihre Stirn. »Hältst du das nicht für übertrieben? Ich kann schon ganz gut auf mich selbst aufpassen.«
»Keine Widerrede!«, platzte es aus Lewis Barrington heraus. »Es sind die Söhne von Senator Travis Oakfield. Und der Mann ist mir noch einen Gefallen schuldig.«
»Na, toll!«, murrte Sheryl. »Drei Kerle mit Schießprügel, die um mich herumschwirren! Da fällt ja sogar einem Deppen auf, dass mit mir irgendwas nicht stimmt!«
Lewis Barrington versuchte zu beschwichtigen. »Die Jungs werden dir gar nicht auffallen – und auch sonst keinem anderen. Ihr sollt ja nicht wie die Vögel auf der Wäscheleine aneinanderhängen. Sie befinden sich in einem anderen Abteil, werden aber ein Auge auf dich halten.«
Sheryl verdrehte die Augen. »Dann kann ich nicht mal in der Nase bohren, ohne dass das einer von denen mitkriegt.«
»Nimm ein Taschentuch«, meinte ihr Vater gutmütig. »Außerdem habe ich so etwas noch nie bei dir gesehen.«
Verwegen verzog Sheryl ihren Mund zu einem schiefen Grinsen. »Das liegt daran, weil ich nicht wollte, dass du es siehst.« Unschlüssig drehte sie den Umschlag in ihren Händen und meinte schließlich: »Kaum zu glauben, dass ich die Zukunft des amerikanischen Militärs in meinen Händen halte.«
»Brich nicht das Siegel!«, stieß Lewis Barrington aus. »Auch nicht durch eine Unachtsamkeit! Ich habe dem Komitee telegrafiert, dass es die Unterlagen nur dann entgegennehmen soll, wenn es unbeschädigt ist.«
Sheryl nickte und wandte sich zum Gehen. »Ich packe noch ein paar Sachen zusammen«, sagte sie über ihre Schulter hinweg. »Ein hochgeschlossenes Kleid kommt auf jeden Fall in meinen Koffer. Deine drei Leibwächter sollen schließlich nicht gleich Stielaugen bekommen...«
✰
Entbehrung war für Lassiter kein Fremdwort. Er konnte der Kälte der Prärie trotzen und auch dem Mangel an Nahrung und Whisky. Was ihn wirklich schwer traf, war der Verzicht auf eine Frau. Und eine solche hatte er schon seit Tagen nicht mehr beglücken können. Dennoch war er weit davon entfernt, sich selbst Erleichterung zu verschaffen. Früher oder später würde sich eine Gelegenheit ergeben, die nicht nur ihm, sondern auch seiner Auserwählten zur Befriedigung verhalf.
Ein gutes Stück seines Weges hatte er mit dem Zug zurückgelegt, den Rest auf seinem Grauschimmel. Jetzt ritt er in das Örtchen Greensleeves ein und verspürte nichts anderes als nagenden Hunger. Das Gefühl war derart ausgeprägt, dass er gar nicht gewusst hätte, was er tun würde, sollte ihm der Duft eines Steaks in die Nase steigen. Wahrscheinlich hätte er sich durch alle im Weg Stehenden durchgekämpft, um sich gierig auf das gebratene Fleisch zu stürzen.
Schmunzelnd verwarf er den Gedanken. Immerhin hatte er sich so weit unter Kontrolle, seinen Trieben nicht ungehemmt nachzugehen. Er wollte sich in dem Kaff umsehen, eine reichhaltige Mahlzeit zu sich nehmen und im Anschluss in die liebenden Arme einer Frau begeben. Aber alles der Reihe nach.
Fetzen seiner neuen Mission wirbelten ihm durch den Kopf. Richtig konzentrieren konnte er sich allerdings nicht darauf. Und als er entlang der Mainstreet ein kleines Restaurant ausmachte, war ohnehin alles vergessen, was in seinen Dokumenten geschrieben stand.
Lassiter machte Halt, leinte seinen Grauschimmel am Hitchrack an und betrat das Etablissement. Er setzte sich an einen Tisch am Fenster und gab dem Wirt ein Zeichen, bedient werden zu wollen. Der schickte eine Bedienung, einen jungen Mann in aufdringlich akkurater Kleidung, der sich mit einem Schreibblock neben Lassiter stellte und freundlich nach seinen Wünschen fragte.
»Ein Steak mit Bratkartoffeln und Speckbohnen«, orderte Lassiter. »Davor einen Kaffee, danach eine Flasche Whisky.«
Gewissenhaft notierte der Kellner die Bestellung, entfernte sich unverzüglich und servierte nach zwei Minuten den Kaffee. Der Mann der Brigade Sieben zündete sich einen Zigarillo an und lehnte sich behaglich in seinem Stuhl zurück. In der Erwartung einer üppigen Mahlzeit fiel sämtliche Schwere von ihm ab. Entspannt inhalierte er den Rauch und nippte vorsichtig an dem brühendheißen Kaffee.
Keine zehn Minuten vergingen, da wurde ihm das Essen serviert. Es roch derart verführerisch, dass Lassiter das Wasser im Munde zusammenlief. Er griff nach seinem Besteck und machte sich daran, ein Stück von seinem Steak abzuschneiden. Doch ehe er dazu kam, donnerten plötzlich Schüsse auf der Straße.
Instinktiv fuhr Lassiter in die Höhe und verschwendete keinen Gedanken mehr an seine verpasste Mahlzeit. Er stürmte durch die Ausgangstür, fand sich auf dem Boardwalk wieder und entdeckte eine Gestalt, die johlend im Saloon verschwand. Das Gebäude lag nur einen Steinwurf entfernt und war mit wenigen Sätzen erreicht.
Mit gezogenem Remington schob sich Lassiter durch die Schwingtüren, stellte aber augenblicklich fest, dass es sich nicht um eine bleihaltige Auseinandersetzung handelte, sondern lediglich um einen angetrunkenen Kerl, der ein wenig auf den Putz zu hauen gedachte. Er wankte auf einen Tisch zu, an dem offensichtlich Bekannte von ihm saßen, und schwang sich auf einen Stuhl.
»Ich komme ganz groß raus!«, prahlte er, schnappte sich eine Flasche, die in der Mitte des Tisches stand, und nahm einen tiefen Zug. »Ihr habt es mit einem Gewinner zu tun! Jetzt kann mich nichts mehr aufhalten!«
Gerne hätte Lassiter dem Jungspund noch zugehört, doch seine Aufmerksamkeit richtete sich auf eine Blondine, die sich ihm nahezu unbemerkt genähert hatte. Ihre Finger glitten zart über seine Wange, während sie hauchte: »Ich könnte mir gut vorstellen, dass ein gestandenes Mannsbild wie du die Gesellschaft einer leidenschaftlichen Frau sucht.«
Vergessen waren die Mission, das Steak und der krakeelende Bursche. In Lassiter regte sich etwas, das auch äußerlich deutlich sichtbar wurde. Schon legte er einen Arm um die Hüften der blonden Dirne und wandte ihr sein Gesicht zu. Seine Lippen waren lediglich einen Fingerbreit von ihren entfernt. »Ich bin der Letzte«, sagte er rau, »der einer schönen Frau ihren ausgeprägtesten Wunsch versagen könnte.«
Nicht lange, und der Brigade-Agent fand sich in einem Zimmer oberhalb des Saloons wieder. All seine Sinne waren den verführerischen Kurven der knapp bekleideten Lady gewidmet. Und die hatte nichts Eiligeres zu tun, als ihre spärlichen Hüllen fallen zu lassen und sich nackt auf das breite Bett zu legen.
Lassiter entkleidete sich ebenfalls und gesellte sich zu ihr.
✰
So wie Gott Mann und Frau geschaffen hatte, rollten sich die Liebenden über die Matratze. Lassiter kannte keine Hemmungen und unterbrach sein Liebesspiel erst, als die Hure ihn ansprach.
»Falls es wichtig für dich ist: Ich heiße Lucy«, bekundete sie. »Und wenn ich gewusst hätte, dass du zwischen meinen Schenkeln campieren wolltest, hätte ich eine Laterne aufgestellt und ein paar Marshmallow hinzugegeben.«
Lassiter schaute hoch und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Ich hoffe, da gibt's kein Problem«, sagte er. »An sich war ich der Meinung, dass...«
»Ich stehe weniger auf Zunge als auf einen... na, du weißt schon.« Kokett zwinkerte Lucy ihm zu.
Lassiter ließ sich nicht zweimal bitten. »Das kannst du haben«, raunte er, schob sich vor und legte sich auf die Dirne. Sein Pint war hart wie geschmiedeter Stahl. Doch wenn er abrupt zustieß, war die Session beendet, ehe sie richtig begonnen hatte.
»Mach es ganz sanft«, flüsterte Lucy ihm zu. »Du bist ordentlich gebaut, also halt dich zurück. Ich mag es, wenn du mir deine Liebe nicht allzu grob zeigst.«
Auch das ließ sich einrichten. Lassiter strich mit seiner Rute über ihren Venushügel, presste seine Lippen auf Lucys Mund und drang in sie ein. Langsam schob er sich vor, bis es nicht weiterging. Dabei spürte er ihre Beine, die sich um seinen Rücken schlangen. Im Takt seiner Stöße wippten sie mit, während Lucys Becken immer heftiger vorstieß.
»Das fühlt sich so gut an«, hauchte die Hure. »Du verstehst es, einer Frau Wohlgefallen zu bereiten.«
Lassiter war es gleich, ob ihre Gefühlsäußerungen gespielt oder echt waren. In ihm hatte sich ein solcher Druck aufgebaut, dass er an die Beweggründe seiner Gespielin keinen Gedanken verschwenden wollte. Ihm ging es um den Höhepunkt. Dass Lucy sich ihm ekstatisch hingab, war lediglich das Sahnehäubchen für seine Aktivitäten.
So schnell wie erwartet, ergoss er sich machtvoll in die Frau. Wenige Stöße später löste er sich von ihr und sank ermattet in die Laken. »Das habe ich gebraucht«, säuselte er. »Du bist eine Frau nach meinem Geschmack.«
Lucy, indes, wirkte nicht ganz so zufrieden wie ihr Freier. »Schön, dass es dir gefallen hat«, sagte sie mit schnippischem Unterton. »Ich hatte nur gehofft, auch ein wenig auf meine Kosten zu kommen.«
»Wir können eine zweite Runde starten«, stellte Lassiter in Aussicht.
Lucy wiegte zweifelnd ihren Kopf. »Das wird dich aber das Doppelte kosten.«
»Oder...«, fuhr Lassiter fort, »du beantwortest mir ein paar Fragen und bekommst trotzdem das Geld, das du für ein weiteres Stelldichein verlangen würdest.«
Ein interessierter Ausdruck erschien auf Lucys Miene. »Was willst du wissen?«, fragte sie.
»Der Kerl im Saloon«, begann Lassiter. »Du weißt schon, der, der sein Maul so weit aufgerissen hat. Kennst du ihn?«
Die Dirne gab einen abfälligen Laut von sich. »Du meinst Daryl? Daryl Hemsworth?«
»Wenn er so heißt...«
»Das ist nur ein Bübchen. Er arbeitet in der Anwaltskanzlei von Mellenkamp. Und falls du es wissen willst: Das Würmchen, das er zwischen seinen Beinen trägt, würde ich nicht mal mit der Kneifzange anpacken. Es könnte kaputtgehen...«
Die letzten Worte hatte Lassiter schon gar nicht mehr mitbekommen. Dieser eine Name hatte seine Wahrnehmung blockiert. Dieser eine Name, der auch schon mehrfach in seinen Unterlagen aufgetaucht war: Mellenkamp!
»Reden wir von Roscoe Mellenkamp?«, erkundigte sich Lassiter. Schärfer, als er es vorgehabt hatte.
»Du kennst ihn?«
»Nicht persönlich«, erwiderte der Mann der Brigade Sieben. »Aber bei mir klingelt was im Kopf.«
»Er ist Anwalt mit hohem Ansehen«, sagte Lucy. »Mir ist er zwar noch nicht auf die Pelle gerückt, aber es gibt Leute, die wenig Vorteilhaftes über ihn zu berichten wissen.«
Lassiter schürzte die Lippen und schwang sich aus dem Bett. »Dann bin ich wohl genau hinter dem Richtigen her«, meinte er.
»Du verfolgst ihn?«, gab sich Lucy verwundert. »Worum geht's?«
»Ich habe meine Gründe«, erklärte der große Mann. »Aber die muss ich dir ja nicht unbedingt auf die Nase binden.«
Lucy gab sich eingeschnappt. »Wir waren zusammen im Bett. Intimer kann es ja wohl nicht mehr werden. Warum sagst du mir nicht, was los ist?«
»Für dich ist es sicherer, wenn du nicht zu viel weißt. Was ich zu tun habe, geht nur mich etwas an.« Er kleidete sich an und legte den Revolvergurt um seine Hüften. »Dieser Daryl ist also ein Angestellter oder ein Sekretär von Mellenkamp?«
»Was fragst du mich?«, entgegnete die Dirne abweisend. »Finde es doch selbst heraus. Du bist doch hier der Jäger.«
Eine Erwiderung gab Lassiter nicht und verließ das Zimmer, nachdem er ein paar Dollar auf dem Nachttisch deponiert hatte. Dieser Daryl würde ihn zu Roscoe Mellenkamp führen. Der Rest war reine Routine.
✰
Der Zug der Union Pacific stand schon eine Weile auf dem Bahnhofsgleis. Wasser und Kohle wurden aufgefüllt, doch es würde nicht mehr lange dauern, bis das Signal zur Abfahrt ertönte.
Lucy Barrington schleppte sich mit einem Koffer ab, der viel zu groß für sie war und deutlich zu viel Kleidungsstücke enthielt. Mit all ihrer Kraft gelang es der jungen Frau, sich und ihr Gepäck in den Waggon zu hieven und sich einen Sitzplatz zu sichern. Den Koffer verstaute sie zwischen ihren Beinen unter dem Sitz und lehnte sich erschöpft nach hinten.
Lange ausruhen konnte sie nicht, denn da schob sich bereits ein Gesicht heran, in dem ein anzügliches Grinsen erkennbar war. »Ich bin Cameron, Ma'am«, sagte der Bursche. »Meine Brüder Perry und Gordon sind gleich hinter mir.«
»Die Söhne des Senators!«, entfuhr es Sheryl. Sogleich schlug sie sich eine Hand vor den Mund und ließ ihren Blick kreisen. Offenbar aber hatten die anderen Reisenden keine Notiz von ihr genommen.
»So ist es, Ma'am«, bestätigte Cameron. »Seien Sie unbesorgt. Wir sind über alles informiert und halten uns im Waggon hinter Ihnen auf.« Mit einem Mal wurde seine Miene ernst und er schaute seine beiden Brüder kritisch an. »Ich hoffe doch, irgendwer kümmert sich in unserer Abwesenheit um unsere Pferde, Perry. Du hast sie doch versorgt, ja?«
Perry Oakfield kratzte sich mit dem ausgestreckten Zeigefinger am Kinn und warf seine Stirn in Falten. »Davon hast du mir aber nichts gesagt. Ich habe nur die Fahrkarten besorgt. Du musst dir angewöhnen, dich so auszudrücken, dass man dich auch versteht.«
Unvermittelt mischte sich Gordon in die Unterhaltung ein. »Ihr braucht euch nicht zu beunruhigen«, sagte er. »Da war so ein Kerl namens ›Pirate-Joe‹, der mir versprochen hat, dass es den Gäulen gutgehen würde. Ich habe ihm fünf Dollar in die Hand gedrückt, damit er es den Pferden gutgehen lässt.«
Cameron konnte kaum glauben, was er gehört hatte, und schaute seinen Bruder entsetzt an. »Du hast die Tiere einem Typen mit Namen ›Pirate-Joe‹ anvertraut und ihm fünf Dollar gegeben?«, ächzte er. »Was stimmt denn mit dir nicht? Mit den paar Kröten kommt der doch im Leben nicht hin, bis wir aus Washington zurück sind!«
»Sorry, Cameron«, meinte Gordon Oakfield, sank in sich zusammen und stierte auf seine Stiefelspitzen. »Du weißt, ich bin nicht gut im Rechnen. Ich hab's nur grob überschlagen.«