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Verachtung, Vorurteile, Hass. Etwas anderes hat das Halbblut Lobo nicht kennengelernt, seit seine Eltern und sein Bruder von weißen Skalpjägern umgebracht wurden. Nach der Jagd auf die Mörder versucht Lobo, in West-Texas heimisch zu werden. Aber es ist ein hartes Land, in dem Gewalt oberstes Gesetz ist. Der Bastard, wie ihn die weißen Siedler nennen, gerät zwischen die Fronten von Weiß und Rot.Eines Tages holt er Jane Wagner, eine weiße Frau, auf seine Farm. Misstrauen und Verachtung schlagen nun in Feindschaft um. Wieder steht Lobo allein gegen eine Meute erbarmungsloser Gegner. Aber er tut das, was er am besten kann. Er kämpft
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Seitenzahl: 213
LOBODer Einzelgänger
In dieser Reihe bisher erschienen
4201 Dietmar Kuegler Ausgestoßen
4202 Alfred Wallon Caleb Murphys Gesetz
Dietmar Kuegler
Ausgestoßen
Diese Reihe erscheint als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2021 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-391-9Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!
Die Schüsse waren lange verhallt, als Lobo die beiden Köpfe im Sand fand.
Er wusste nicht mehr genau, wann er die Detonationen gehört hatte, jetzt war es spät am Vormittag.
Er stieg aus dem Sattel und blickte sich suchend um.
Lobo glich dem Land, das ihn umgab. Er war groß, sehnig und muskulös. Sein Gesicht war indianisch geschnitten und von zahllosen Falten zerfurcht. Die bronzefarbene Haut spannte sich über den hohen Wangenknochen.
Er war ein Halbblut.
Unter dem breitrandigen, flachen Hut, der seine Stirn beschattete, quoll volles, schwarzes Haar hervor, das einen leicht bläulichen Schimmer hatte. Es fiel bis auf seine Schultern. Schwarze Bartstoppeln bedeckten Kinn und Wangen und überwucherten eine Messernarbe am linken Kinnwinkel. Die Augen waren schmal und von Fältchen umgeben, vom vielen Blinzeln in Sonne und Wind.
Langsam ging er auf die Köpfe zu. Sie starrten ihm mit glasigen Augen entgegen.
Es waren Soldaten gewesen. Man hatte sie bis zum Hals im Boden eingegraben. Ein Stück abseits lag eine durchblutete, feldgraue Uniformbluse.
Lobo blieb vor ihnen stehen. Sie waren übel zugerichtet worden. Ihre Gesichter waren geschwollen. Auf dem Schädel fehlte jedem ein handtellergroßes Stück Kopfhaut. Das Blut auf ihren Köpfen und im Sand um sie herum war in der Hitze längst zu einer starren Kruste geronnen.
Sie waren höchstens seit einer halben Stunde tot.
Der Wind, der ständig anschwoll, wehte Staubschleier aus der Castillo-Wüste über sie hinweg und zerstörte nach und nach die Abdrücke weicher Mokassins und unbeschlagener Pferdehufe im Sand.
Lobo nahm den Hut ab. Er schmeckte Staub zwischen den Zähnen. Seine Mundhöhle war trocken und brannte. Aber er trank nichts. Seine Feldflasche war leer. Er hatte seinen Wasservorrat in der Wüste verbraucht.
Er drückte sich den Hut wieder tief in die Stirn und zurrte die Fangschnur unter dem Kinn fest. Er ging zu seinem dunkelbraunen Morgan zurück, der geduldig und müde auf den Reiter wartete. Lobo glaubte zwar nicht, dass die Indianer, die die beiden Soldaten getötet hatten, noch in der Nähe waren. In jedem Fall aber war Vorsicht geboten.
Lobo stieg in den Sattel, nahm die Zügel hoch und lenkte das Tier an den Toten vorbei nach Norden.
Über ihm verfärbte sich der Himmel. Der Wind trieb feine Kristallschleier aus der Wüste heran. Es wurde noch heißer.
Lobo brauchte nicht zum Himmel zu schauen. Er wusste auch so, dass sich hinter ihm ein Unwetter zusammenbraute. Er war froh, dass er die Castillo-Wüste endlich überwunden hatte. Sorgen machte er sich nicht; er war unterwegs nach Water-Hole-Station und war sicher, dort einzutreffen, bevor der Sturm ausbrach.
Der Wind nahm an Schärfe und Heftigkeit zu, peitschte Lobos Rücken und wirbelte gelbe Sandmassen vor sich her, die sich wie dunkle Wolken um den einsamen Reiter ballten. Heulen und Dröhnen erfüllten die Luft. In der Ferne rollte dumpf der Donner.
Schemenhaft sah der Reiter links und rechts von sich hohe Juniperen und Pecan-Bäume auftauchen, die leicht im Wind schwankten. Die Blätter mannshoher Yuccastauden vibrierten wie gespannte Stahlfedern.
Lobo hatte sich das Halstuch vor Mund und Nase gebunden. Trotzdem spürte er den Staub in seinem Mund. Der feine Sand drang durch seine Kleidung, setzte sich in den Poren seiner Haut fest und scheuerte sie unter den Achseln und an den Innenseiten der Oberschenkel wund.
Mit tief gesenktem Kopf trabte das Pferd dahin, schwerfällig, als würde der Sturm es vor sich herschieben.
Lobo wusste nicht, wie lange er geritten war, seit er die beiden Toten gefunden hatte, als er vor sich die Gebäude der Station zwischen grasbewachsenen Hügelbuckeln auftauchen sah.
Nach ein paar Minuten erreichte er die flachen Häuser und stieg vor dem Stall ab. Der Wind blies in heftigen Böen gegen das Tor. Es ließ sich kaum öffnen. Lobo zog es dennoch ein Stück nach außen und trieb sein Pferd vor sich her ins Innere.
Es war schwül im Raum, und es roch nach Pferdeschweiß und frischem Heu. Eine staubige Öllampe hing an einem Balken und verbreitete trübes Licht.
Aus einer Ecke näherte sich ein alter Mann mit schütterem Haar und hohlwangigem Gesicht. Er war mager, und seine Schultern waren nach vorn gebeugt.
„Guten Tag, Sir“, sagte er. „Da haben Sie Glück gehabt, dass Sie die Station jetzt noch erreicht haben. Bald kommt niemand mehr durch. Das wird ein schlimmes Wetter. Hier am Rand der Wüste sind die Stürme am schwersten. Wer jetzt noch draußen ist, wird beten lernen.“
Dann erst sah er im Licht der Lampe das dunkle Gesicht. Seine Augen weiteten sich kaum merklich. Er presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen und schwieg.
Lobo bemerkte es, aber er achtete nicht darauf. Er war solche Reaktionen gewöhnt.
„Abreiben und füttern“, sagte er. „Aber gründlich.“
Er griff in die Brusttasche seines Hemdes und warf dem Alten einen Dollar zu.
Der Mann schaute ihn nicht an und griff nicht nach der Münze. Der Dollar fiel ins Stroh. Der Alte nahm die Zügel von Lobos Pferd und drehte dem großen Mann den Rücken zu.
Als sich die Rechte des Halbbluts auf seine schmalen Schultern legte, erstarrte seine Haltung. Langsam wandte er den Kopf. In seinen Augen flackerte plötzlich Angst.
Lobos Gesicht war ausdruckslos wie eine Maske.
„Ich versorge mein Pferd selbst.“
Der Alte wollte etwas sagen, aber Lobo ging an ihm vorbei, nahm ihm die Zügel aus der Hand und führte den Hengst in eine leere Box. Er sattelte ihn ab und rieb ihn mit Stroh trocken.
Der alte Stallknecht beobachtete ihn unsicher. Als Lobo wortlos zum Tor ging, schlurfte der Alte eilig mit gesenktem Kopf an ihm vorbei in den Hintergrund des Stalles. Lobo tat, als bemerke er es nicht. Er hatte gelernt, sich zu beherrschen. Er wusste, was ein Halbblut in diesem Land wert war. Dabei begegneten ihm nicht nur unter Weißen Verachtung und Misstrauen. Er hatte eine Zeitlang versucht, unter Indianern zu leben. Aber auch dort war er nur ein „Mann ohne Farbe“ gewesen, nicht akzeptiert, nur widerwillig geduldet. Es war überall dasselbe. Er hatte sich damit abgefunden.
Er warf die Satteltaschen über seine linke Schulter und nahm den Volcanic-Karabiner mit dem abgegriffenen, zerschrammten Kolben und der fleckigen Brünierung in die rechte Hand. Als er den Stall verließ, hob er den Silberdollar nicht auf.
*
Der Sturm trieb ihn über den Stationshof. Das Schild an dem Gerüst am Hofeingang schaukelte heftig hin und her. Es war ein zolldickes Brett, das an rostigen Ketten hing, die jetzt leise klirrten.
Lobo erreichte die Tür des Hauses und stieß sie auf. Er trat hastig ein und warf sie hinter sich wieder ins Schloss.
An der Tür blieb er stehen und schaute sich um.
Der Aufenthaltsraum war geräumig, wirkte jedoch durch die niedrige Decke kleiner. Unweit der Tür stand ein Pult, hinter dem ein stämmiger Mann in Hemdsärmeln und Hosenträgern saß und in einem zerlesenen Magazin blätterte. An einem Tisch an der Längsseite des Raumes saßen vier Männer. Sie hielten Spielkarten in den Händen. Vor ihnen stand eine bauchige Flasche auf dem Tisch.
Nahe dem Eingang lehnte ein junger Mann an der Bar und nippte ab und zu an einem Bier.
Ein paar Petroleumlampen erhellten den Raum und warfen Schatten auf die weißgekalkten Wände und die schenkelstarken Deckenstützbalken.
Die Männer hoben die Köpfe, als Lobo eintrat. Sie musterten ihn nur kurz und wandten sich dann wieder ihren Karten zu. Nur der junge Mann an der Theke starrte Lobo unverwandt an.
Lobo ging grußlos zu dem Pult, hinter dem der stämmige Mann saß. Aus dem Hintergrund des Raumes trat jetzt eine Frau heran. Sie mochte Mitte Zwanzig sein, war schlank und von katzenhafter Geschmeidigkeit. Ihr Haar war aschblond. Sie trug einen dunkelgrünen Rock und eine weiße Bluse.
„Guten Tag“, sagte sie. Lobo nickte nur.
„Kriegt so ein Bastard wie du die Zähne nicht auseinander, wenn eine Lady mit dir spricht?“, fragte der junge Bursche an der Bar.
Lobo reagierte nicht. Er legte fünf Dollar auf das Pult.
Der stämmige Mann dahinter hatte sich erhoben. „Ein Zimmer?“, fragte er.
„Ja.“
„Sie können bleiben, solange Sie wollen. Es ist alles frei. Wenn Sie was zu essen wollen, müssen Sie zehn Minuten warten.“
„Ich habe dich was gefragt“, sagte der junge Mann an der Bar wieder.
Lobo wandte den Kopf und musterte ihn forschend. Sein Blick war hart wie Obsidian. Der Mann hielt ihm nicht stand. Schweigend wandte Lobo sich wieder ab und sagte zu dem Stationer: „Ich esse gern etwas. Vor allem will ich etwas trinken.“
„Haben Sie die Schüsse vor einer Stunde gehört?“, fragte der stämmige Mann. „Es waren Indianer in der Nähe. Hier trauen sie sich nicht ran. Die Station ist gut befestigt.“
„Ich habe zwei tote Soldaten gefunden“, sagte Lobo. „Sie steckten bis zum Hals im Sand, südlich von hier.“
„Seit Wochen streunen ein paar Comanchen-Horden bei uns herum“, sagte der Stationswirt. „Seit sich unsere Jungs im Osten mit den Yankees herumschlagen, trauen sich die Rothäute fast bis in die Städte. Und das wenige Militär, das uns die Brüder in Richmond gelassen haben, wird mit den Comanchen nicht fertig. Dieser Krieg mit dem Norden ist eine üble Sache. Wenn wir da einmal durch sind, haben uns hier unten die Indianer zum Teufel gejagt. Jane wird Sie auf Ihr Zimmer bringen, Mister ...?“
„Gates, Lobo Gates.“
Lobo drehte sich zu der Frau um. Sie lächelte ein wenig. Lobo registrierte, dass sie ihn unbefangen und ohne eine Spur von Verachtung anschaute.
„Du kannst wohl wirklich nicht antworten, wie?“, fragte der junge Mann an der Bar wieder. Er drehte sich jetzt um und tat einen Schritt auf Lobo zu.
„Lass mich in Ruhe“, sagte Lobo. Seine Stimme klang unaufgeregt und nicht sehr laut. Trotzdem schwang ein Ton mit, der jeden anderen gewarnt hätte. Nicht den jungen Burschen an der Theke; er war nicht mehr ganz nüchtern.
Der Mann war jung, hatte brandrotes Haar und trotzige Gesichtszüge. Ein Hitzkopf. Seine Augen glänzten ein wenig vom Alkohol.
„Wir haben genug Scherereien mit den verdammten Rothäuten“, sagte er. „Wir wollen keinen Bastard hier, und einen, der sich nicht benehmen kann, schon gar nicht, verstehst du?“
Lobo antwortete wieder nicht.
„Kommen Sie, Mister Gates“, sagte die Frau. In ihren Augen flackerte es unsicher. Sie ging durch den Raum. Lobo folgte ihr.
Der junge Mann trat ihm in den Weg. „Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?“ Er streckte seine Rechte nach Lobos Hemdkragen aus.
Lobos Bewegungen waren sparsam, aber schnell und voller Kraft. Er stieß die Volcanic in der Rechten vor. Der Lauf grub sich dem Jungen in den Leib. Stöhnend krümmte er sich zusammen. Lobo ließ die Satteltaschen von seiner Schulter rutschen und schlug mit der linken Faust zu. Er traf den Jungen an die Stirn, und der stürzte mit dem Rücken gegen die Bar und rutschte daran hinunter.
Lobo hob seine Satteltaschen wieder auf und ging hinter der Frau her, ohne auf die Blicke des Wirtes und der Pokerspieler zu achten.
Die Frau führte ihn durch einen Gang, der sich an den Aufenthaltsraum anschloss und an dessen Ende sich eine schmale Stiege befand, die ins obere Stockwerk führte.
An der Bar richtete sich der junge Mann benommen wieder auf. Er langte nach seinem Bierglas und trank einen großen Schluck.
„Das wird er bezahlen, dieser Hund, dieser dreckige Mischling.“
Der stämmige Stationer hinter dem Pult blickte ihn ernst an.
„Ich will keinen Ärger hier“, sagte er. „Draußen ist Sturm, und ich jage dich raus, wenn du den Mann nicht zufriedenlässt.“
„Ha!“ Der Junge lachte zornig. „Du willst mich rausjagen? Das tust du nicht, Wagner. Irgendwann kehrt mein Bruder zurück, denn irgendwann ist der Krieg mit dem Norden vorbei. Mark würde dir die Rechnung dafür präsentieren, dass du ein dreckiges Halbblut seinem Bruder vorgezogen hast. Er würde sich überhaupt sehr wundern, dass du so einem Kerl ein Zimmer gibst.“
„Ich kann mir meine Gäste nicht aussuchen“, sagte der Stationer „Er hat bezahlt, und wer tut das schon heutzutage? Solange er zahlt, ist er mein Gast, und ich will Ruhe hier auf der Station.“
„Er hat bezahlt.“ Der junge Mann trank sein Glas leer. „Deshalb schickst du deine Tochter mit diesem Bastard auf die Kammer? Mark und Jane wollen heiraten, wenn der Krieg vorbei ist, und du lässt sie mit dem Halbblut nach oben gehen.“
Der Stationer wurde blass.
„Wenn du weiterredest, kann dein Bruder eine von seinen Kühen heiraten. Noch ein Wort über Jane, und du verschwindest aus meinem Haus und lässt dich nie mehr hier blicken.“
Der Junge erwiderte den Blick des Stationers ungläubig, schien aber zu begreifen, dass der andere es ernst meinte, schwieg und starrte dumpf brütend vor sich hin.
*
Das Zimmer war klein und sauber. Die Fensterläden waren nicht geschlossen, und der Sturm warf feinkörnigen Sand gegen die Scheiben. Es prasselte wie ein Hagelschauer.
Lobo konnte den Himmel durch das Fenster sehen. Er hatte eine giftgrüne Farbe angenommen. Von Osten schob sich eine schwarze Wolkenwand heran.
Lobo warf die Satteltaschen und den Volcanic-Karabiner auf das Bett. Als er den Hut abnahm, rieselte Sand in seinen Nacken.
Er drehte sich um. Jane Wagner stand noch immer in der Tür. Lobo zündete die Kerze auf dem Tisch an.
„Nehmen Sie die Sache im Aufenthaltsraum nicht so ernst“, sagte sie. Ihre Stimme klang dunkel und warm. „Dan muss allein mit einer großen Ranch fertigwerden, seit sein Bruder im Krieg und sein Vater tot ist. Das Geschäft geht schlecht in dieser Zeit. Die meisten Cowboys sind in der Armee. Die Rinder wandern in die Buschgebiete ab. Was übrigbleibt, wird von Viehdieben und Comanchen gestohlen. Dan ist zu jung, um mit allem fertigzuwerden. Manchmal ist er hier und trinkt, dann will er sich an jemandem reiben.“
„Schon vergessen.“ Lobo streifte sein ausgeblichenes Kattunhemd ab und goss aus dem Tonkrug auf der Kommode Wasser in die geblümte Porzellanschüssel, die danebenstand.
Er war dreiundzwanzig Jahre alt, sah aber älter aus. Nachdem Skalpjäger ihn zum Waisen gemacht hatten, hatte er sie, selbst noch ein halbes Kind, gejagt und die Mörder seiner Eltern einen nach dem anderen getötet. Dann war er unstet kreuz und quer durch den Westen gezogen, durch die Ebenen, die Wüsten, die Berge und die Wälder. Verachtet wegen seiner Hautfarbe, ausgestoßen und verfemt. Ohne festen Halt, ohne einen Platz auf der Welt, an dem er Wurzeln schlagen konnte. Er war in diesen schwach besiedelten Teil von Westtexas gekommen, um es hier noch einmal zu versuchen. Seine Erwartungen waren nicht groß. Die hinter ihm liegenden Jahre hatten ihm jede Illusion und fast alle Hoffnungen genommen.
Sein Oberkörper war breit, hager und muskulös und trug ein paar Narben, die als helle Flecke von der bronzefarbenen Haut abstachen. Er beugte sich über die Schüssel und reinigte sich flüchtig vom Staub.
Die Frau lehnte noch immer am Türrahmen. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und betrachtete ihn interessiert.
„Sie sind fremd hier, Mister Gates?“
„Ja“, sagte er.
„Werden Sie in der Gegend bleiben?“
„Ich will hier siedeln“, sagte er. „Aber bis dahin werde ich wohl verhungert sein.“
Sie lächelte. „Entschuldigen Sie, Mister Gates. In zehn Minuten ist Ihr Essen fertig.“
Sie wandte sich ab und schloss die Tür.
Lobo trocknete sich ab, ging zum Bett und setzte sich auf die Kante. Nachdenklich schaute er durch das Fenster in das tobende Wetter hinaus. Donnerschlag folgte auf Donnerschlag, und ab und zu zuckten Blitze durch die Finsternis.
War es falsch gewesen, hierher zu kommen? Der Empfang war nicht ermutigend gewesen, aber er hatte auch nicht erwartet, dass die Menschen hier anders waren als anderswo. Die Menschen waren überall gleich. Nur die junge Frau war freundlich gewesen.
Sie war schön. Lobo warf einen Blick zur Tür, wo sie gerade noch gestanden hatte. Dann dachte er wieder an seine Pläne. Er hatte Wichtigeres im Kopf. Vor vier Wochen noch war er in El Paso gewesen. Dort hatte er von freiem, brachliegendem Siedlungsland gehört, das die Regierung von Texas anbot. Man schrieb das Jahr 1864. Der Bürgerkrieg tobte. Die Südstaaten warfen ihre letzten Reserven an Menschen und Material an die Front, um die überall vorrückenden Streitkräfte des Nordens aufzuhalten. Tief im Süden gab es nur noch wenige Männer, die in der Lage waren, sich um die Kultivierung und den Aufbau des Landes zu kümmern. Die meisten, die eine Waffe halten konnten, zogen die Uniform an. Ihre Besitzungen verwaisten und verfielen. In dieser Zeit gab es nur wenige Männer, die sich für Siedlungsland interessierten.
Lobo erinnerte sich an die scheelen Blicke der Clerks im Landamt von El Paso, als er sich eine Parzelle nördlich der Castillo-Wüste ausgesucht hatte. Hätte es mehr Interessenten gegeben, hätte er, das Halbblut, das Stück Land sicher nicht erhalten. Aber er war der Einzige, der sich für diese einsame Gegend, die zudem im Einflussbereich kriegerischer Comanchen-Stämme lag, interessierte. Er hatte eine Gebühr von zehn Dollar bezahlt und eine Erklärung unterschrieben, dass er das Land bebauen und bepflanzen wolle.
Er besaß noch fast einhundertfünfzig Dollar, die er sich im Laufe der Zeit zusammengespart hatte. Das war zu dieser Zeit, in der niemand im Süden über viel Geld verfügte, eine große Summe und würde zur Gründung einer kleinen Farm ausreichen.
Lobo fühlte sich, nachdem er sich gewaschen hatte, viel besser. Lediglich der brennende Durst war geblieben. Er rasierte sich, holte ein frisches Hemd aus den Satteltaschen und zog es an. Dann verließ er die Kammer.
Die Pokerspieler stritten sich. Lobo kümmerte sich nicht darum. Er setzte sich an einen Tisch unweit der Theke. Einer der Spieler fluchte laut und ging schimpfend zur Bar hinüber, wo er einen Whiskey bestellte.
Jane Wagner brachte Lobo das Essen, und er machte sich mit großem Appetit darüber her.
Der junge Mann an der Theke trank indessen. Er trank ohne Pause und starrte nach jedem Schluck schweigend die Wand hinter dem Tresen an. Schließlich drehte er sich um und ging zu Lobos Tisch.
Er war nicht mehr sicher auf den Beinen und stieß gegen die Stühle links und rechts von seinem Weg. Wortlos blieb er vor Lobo stehen, der ihn nicht beachtete. Er schaute zu, wie Lobo Fleischbrocken in den Mund schob und kaute.
„Ich höre, du willst hier siedeln“, sagte er plötzlich. Seine Stimme klang schleppend, schwer vom Alkohol. „Hier ist kein gutes Land für Nester. Wir mögen hier keine Kartoffelbauern, und schon gar nicht, wenn sie halbe Rothäute sind.“
Lobo aß, als gäbe es den Jungen nicht.
„Du Hund, hör mir zu!“, schrie der Junge. Sein Oberkörper stürzte nach vorn, und es sah für einen Moment so aus, als wolle er einen Kopfsprung in Lobos Kaffeetasse vollführen. Er fing den Sturz gerade noch ab und stützte beide Hände auf den Tisch. Sein stinkender Atem traf Lobos Gesicht.
Lobo schenkte sich Kaffee nach.
„Ich bin Dan Buchanan“, sagte der Junge. „Mir gehört die größte Ranch hier, mir und meinem Bruder. Mein Bruder ist an der Front. Captain der glorreichen konföderierten Armee.“ Er lachte wild. „Dies hier ist Ranchland, verstehst du, Bastard? Hier gibt es Rinder und viel Gras. Hier sitzen zwar schon ein paar Schwachköpfe, die den Boden umpflügen, aber die werden es schon noch lernen, dass dafür hier nicht die richtige Gegend ist. Du solltest es gar nicht erst versuchen, hörst du?“
„Schlaf dich aus“, sagte Lobo. „Du bist voll.“
„Ha!“ Der Junge zuckte zurück wie von einer Natter gebissen. „Du willst nicht hören? Du beleidigst mich sogar, du dreckiges Schwein!“
Er wandte sich halb um und schaute zur Theke.
„Du hast gehört, wie er mich beleidigt hat, Wagner!“, rief er. Der stämmige Stationer sagte nichts, und der Junge schrie: „Dan Buchanan wird sich nicht von einem Bastard beleidigen lassen.“
Unvermittelt packte er Lobo am Hemdkragen und riss ihn fast vom Stuhl.
Lobo sprang auf. Die Augen des Jungen wurden riesengroß und rund. Lobo packte ihn wie eine Katze am Genick und presste sein Gesicht auf den Teller, in das Fleisch, in die heißen Kartoffeln und in die würzige Soße. Dann riss er den Jungen wieder hoch.
Dan Buchanan war höchstens drei Jahre jünger als er selbst, aber er wirkte neben ihm wie ein Kind. Der Junge schrie, und Lobo schlug mit der Rechten zu. Ansatzlos knallte er seine Faust Dan Buchanan ins Gesicht. Der Junge stolperte rückwärts gegen einen Stuhl und kippte darüber. Er überschlug sich fast und blieb wimmernd am Boden liegen. Ein bräunlicher Brei aus Soße und zerquetschten Kartoffeln bedeckte sein Gesicht. Blut mischte sich damit.
Lobo wandte sich der Theke zu. „Ein neues Gedeck“, sagte er. „Und schaffen Sie den Jungen weg. Es könnte sonst ein Unglück geben.“
Jane Wagner eilte heran und nahm den Teller mit. In diesem Moment kam Dan Buchanan taumelnd auf die Beine und stieß einen Wutschrei aus. Lobo wirbelte instinktiv herum und duckte sich in der Drehung.
Der Junge stand breitbeinig da und wischte sich mit der Linken den Brei aus dem Gesicht.
„Du Schwein!“, schrie er. Seine Stimme überschlug sich fast. „Ich bring dich um!“
„Dan! Keine Schießerei!“ Der stämmige Stationer schob sich hinter der Theke hervor. Da griff Dan Buchanan bereits zur Waffe.
Er trug rechts in einem einfachen Holster hoch am Hosengurt einen klobigen Perkussionsrevolver, eine Kopie der Coltrevolver, wie sie in den Südstaaten üblich waren.
Lobo hielt seinen langläufigen Army-Colt Kaliber .44 schon in der Faust, noch bevor der Junge den Griff seiner Waffe richtig berührt hatte. Der schwere Revolver krachte belfernd. Dröhnend fing sich die Detonation im Raum. Ein fußlanger Feuerstrahl raste aus der Mündung.
Dan Buchanan schrie, als die Kugel sein Holster traf und es mitsamt der darin steckenden Waffe abriss und gegen die Wand schleuderte. Die klobige Waffe flog aus dem zerfetzten Leder und blieb mit schief im Rahmen hängender Trommel liegen.
Der Anprall des Geschosses warf den Jungen wieder zu Boden. Er war unverletzt, aber die Prellung war so hart gewesen, dass er sich vor Schmerzen wimmernd zusammenkrümmte.
In diesem Moment flog die Tür auf. Ein Schwall Sand wirbelte herein, und für Sekunden war das Brüllen des Sturms überlaut zu hören. Dann stand ein untersetzter Mann mit breiten Schultern im Raum. Sein Gesicht war grau, zerrissen von Angst, nacktem Entsetzen und wilder Verzweiflung. Er zitterte am ganzen Körper.
„Comanchen!“, stieß er gehetzt aus. „Comanchen.“
Tränen quollen unvermittelt aus seinen Augen und überfluteten sein Gesicht geradezu. Er taumelte, sank auf einen Stuhl, stützte die Ellenbogen auf den Tisch und barg sein Gesicht in den großen, schwieligen Händen. „Meine Frau, die Kinder, mein Haus …“ Er konnte kaum sprechen. Er schluchzte laut und gequält. „Alles niedergebrannt, alle umgebracht.“
Das Heulen des Unwetters übertönte seine Stimme. Der Wind schleuderte die Tür des Stationsgebäudes immer wieder krachend gegen die Wand. Niemand achtete darauf, niemand schloss die Tür. Alle standen um den Tisch herum, an dem der Mann saß, dessen Familie von den Comanchen niedergemetzelt worden war, der als einziger im Sturm entkommen war. Sie lauschten seiner Geschichte. Sogar Dan Buchanan. Niemand sagte ein Wort, während der Mann erzählte und draußen der Sturm tobte.
Der Himmel schien einzustürzen, als eine feurige Wand von Blitzen mit ohrenbetäubendem Krachen für einen Sekundenbruchteil ein Loch in die sturmdurchtoste Finsternis glühte. Das Brausen, Jaulen und Orgeln des Wetters steigerte sich und raste um die Stationsgebäude. Niemand im Haus hörte, dass das Schild über dem Hofeingang vom Gerüst gerissen wurde und zu Boden polterte.
Das Wetter tobte mit unverminderter Kraft, als sie Ty Fullers Farm erreichten. Geisterhaft schwarz und dürr reckten sich die verkohlten Eckpfosten des Wohnhauses in den Sturm. Die Trümmer des leichten Schindeldaches hatte, soweit sie nicht verbrannt waren, der Wind fortgetragen. Der Sturm fing sich in den Winkeln eines halb zusammengestürzten Schuppens und heulte durchdringend und klagend wie ein sterbendes Kind.
Ty Fuller hockte zusammengekrümmt im Sattel und weinte lautlos. Sein schwerer Körper wurde immer wieder von krampfartigen Zuckungen erschüttert. Er blieb im Sattel sitzen, während die anderen abstiegen.
Es waren sechs. Die vier Pokerspieler, Dan Buchanan und Lobo.
Sie hielten ihre Waffen in den Fäusten, als sie über den Hof gingen, aber hier gab es kein lebendes Wesen mehr. Die Comanchen waren längst weitergezogen.
Neben dem Brunnen fand Lobo die Frau. Ihr einfaches Leinenkleid war zerfetzt und blutverkrustet. Ihr Gesicht war von einem Schädelbrecher zerschmettert worden, ein Teil der Kopfhaut fehlte. Nur wenige Schritte entfernt von ihr lag mit verrenkten Gliedmaßen ein höchstens zehnjähriger Junge, dem ein Tomahawkhieb fast den Kopf abgerissen hatte.
An der Wand des fast unversehrten Stalles stand ein alter Mann. Der Sturm hatte ihm den Hut vom Kopf gerissen und zauste sein langes, schlohweißes Haar. Es sah aus, als lebe er noch. Als Lobo auf ihn zutrat, sah er, dass die gefiederten Schäfte zweier Pfeile aus seiner Brust ragten. Sie hatten ihn durchbohrt und an der Stallwand festgenagelt, so dass er nicht umfallen konnte.
Lobo hörte Schritte neben sich. Er wandte den Kopf und sah, dass Dan Buchanan neben ihn getreten war. Das Gesicht des jungen Mannes war kreidebleich. Fassungslos starrte er den toten alten Mann an. Schließlich richteten sich seine Blicke auf Lobo, seine Lippen zitterten. Blinder Hass funkelte in seinen Augen.
Lobo drehte sich um, bevor Buchanan etwas sagen konnte. Er schritt zum niedergebrannten Haupthaus hinüber. Hinter ihm schrie der Ranchersohn irgendetwas. Lobo verstand es nicht, denn der Sturm zerfetzte Worte und Sätze, aber er konnte sich denken, was Dan Buchanan sagte.
Neben der Ruine des Hauses hatten sich die anderen Männer zusammengeschart. Sie starrten in die Trümmer, zwischen denen die verkohlten Leiber zweier Kinder zu erkennen waren.