Ronco - Die Tagebücher 03 - Tausend Gräber - Dietmar Kuegler - E-Book

Ronco - Die Tagebücher 03 - Tausend Gräber E-Book

Dietmar Kuegler

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Beschreibung

Schussdetonationen rissen mich hoch. Von Westen jagten die mexikanischen Skalpjäger heran. Die Einschläge ihrer Kugeln wirbelten rechts und links von mir Staub auf. Ich rannte auf die roten Felsen zu, hinter denen die anderen Apachen Deckung genommen hatten.Meine Haut war von der Sonne verbrannt. Wäre nicht mein blondes Haar gewesen, hätte man mich nicht von ihnen unterscheiden können. Ich war jetzt einer der Ihren. Ich hatte für sie gekämpft.Entweder überleben oder zusammen sterben.Dieser Band enthält die folgenden Romane:Im Land der tausend Gräber (5)Blutiger Frühling (6)Die Texte wurden vom Autor überarbeitet.Die Printausgabe umfasst 228 Buchseiten.

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Seitenzahl: 265

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RONCO

In dieser Reihe bisher erschienen

2701 Dietmar Kuegler Ich werde gejagt

2702 Dietmar Kuegler Der weiße Apache

2703 Dietmar Kuegler Tausend Gräber

2704 Dietmar Kuegler Apachenkrieg

2705 Dietmar Kuegler Das große Sterben

2706 Dietmar Kuegler Todesserenade

Dietmar Kuegler

Tausend Gräber

Der Roman BLUTIGER FRÜHLING wurde von Ken Conagher ­verfasst. Der Autor ist verstorben. Ein Kontakt zu seinen Erben war trotz intensiver Bemühungen nicht möglich. Im Fall von Copyright-­Ansprüchen bitten wir um eine entsprechende Mitteilung mit eindeutigem Berechtigungsnachweis.

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2019 BLITZ-VerlagRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-152-6Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Im Land der tausend Gräber

17. Oktober 1878

Ich befinde mich an der Grenze zwischen New Mexico und Texas. Hinter mir waren bis zum Abend Soldaten. Sie haben mich gejagt. Jetzt ist es Nacht. Ich habe sie abgehängt. Sie waren nicht sehr erfahren im Spurenlesen. Ich ritt durch ein Bachbett und zog einen ausgerissenen Busch hinter mir her, der das Gras wieder aufrichtete, das von Wildcats Hufen niedergedrückt worden war. Im letzten Tageslicht konnte ich die Soldaten von einem Hügel aus beobachten. Sie standen am Ende meiner Fährte und rätselten, wo ich geblieben sei. Sie dachten wohl, ich wäre geradewegs in den Himmel gefahren, denn sie schauten viel in der Luft herum.

Dann drehten sie um und ritten zurück.

Ich war sie los.

Jetzt habe ich Ruhe. Das ist ein gutes Gefühl, auch wenn ich weiß, dass diese Ruhe immer nur Stunden oder Tage dauert.

Ich habe das Heft wieder aus der Satteltasche genommen. Die Zeit, die ich gewonnen habe, werde ich dazu nutzen, um weiterzuschreiben. Ich habe im April 1858 aufgehört. Ich war zum Apachen geworden und hatte geglaubt, das Schwerste hinter mir zu haben. Aber nach dem Massaker, das Indianerhändler unter meinem Stamm angerichtet hatten, begann erst die harte Zeit für mich und einige andere ...

1.

Ich lag auf dem Bauch und starrte in den Regen. Ich fror, obwohl ich mich in meine Decke gerollt hatte. Die Decke war nicht mehr trocken. Aber ich hatte keine andere. So blieb ich liegen und bemühte mich, mir einzubilden, dass ich ohne Decke noch mehr frieren würde.

Es war ein Tag im April. Ich wusste nicht, welcher Tag. Ich wusste nur, es war der dritte Tag, an dem es regnete.

Ein Sauwetter. Seit drei Tagen verbarg sich der Himmel unter grauen Regenschleiern. Seit drei Tagen fiel der Regen fadendicht ohne Unterbrechung und verwandelte die Erde in grundlosen Morast.

Ich fluchte plötzlich. Unmotiviert. Mir war einfach danach. Dann war ich wieder still und achtete nicht darauf, dass alle anderen mich anschauten. Alle anderen ...

Unweit von mir lagen und hockten sie im dichten Unterholz, dessen Blätterdach die ersten beiden Tage den Regen einigermaßen von uns abgehalten hatte, jetzt aber mehr und mehr nachgab. Sie hatten sich ebenso in Decken gehüllt wie ich und starrten ebenso sinnend vor sich hin. Da war Susqueya, meine Pflegemutter. Da waren zwei Frauen und drei Apachenkinder, und da war ein verletzter Krieger.

Ein jämmerlicher Haufen. Eigentlich kein Haufen, sondern nur eine Handvoll, und vielleicht nicht einmal das. Mehr waren wir nicht. Wir, die wir das Massaker überlebt hatten, das ein Indianerhändler unter dem Mimbreño-­Stamm Coyoteros, dem Stamm, dem auch ich angehörte, angerichtete hatte – wegen der Skalpprämien.

Seit drei Tagen saßen wir fest. Der Regen hinderte uns daran, den Weg nach Süden fortzusetzen, den wir angetreten hatten, um uns in Mexiko mit anderen Apachengruppen zu vereinigen.

Seit gestern hatten wir nichts mehr zu essen. Das war das Schlimmste. Am Morgen hatten wir es mit der Rinde der Bäume versucht, unter denen wir Schutz gesucht hatten. Wir hatten es sofort wieder aufgegeben. Wahrscheinlich hätte es geklappt, wenn wir die Möglichkeit gehabt hätten, die Rinde zu kochen. Aber wir hatten keinen Topf, und wir hatten nicht ein Stückchen trockenes Holz, um Feuer machen zu können.

Mein Magen knurrte. Er zog sich zusammen und schmerzte. In einem plötzlichen Entschluss richtete ich mich auf. Ich hatte keine Lust, liegen zu bleiben und zu verhungern.

Mit dem Kopf stieß ich an das regenschwere Laubdach. Eine Sturzflut ergoss sich über mich. Ich zog fröstelnd die Schultern hoch und ließ die Decke fallen. Mein Kaliko­hemd hielt die Nässe nicht ab. Es klebte an meinem Körper.

Susqueya hob den Kopf. Ich schaute in ihr faltiges Gesicht.

„Wir brauchen etwas zu essen“, sagte ich.

Sie nickte, aber sie sagte nichts. Der verletzte Krieger stemmte sich schwerfällig hoch. Er hieß Laufender Bär. Er war nie ein hervorragender Mann in der Gruppe ­Coyoteros gewesen. Jetzt war er der einzige Mann in unserem kleinen Haufen. Sein linker Oberarm war von zwei Kugeln zerfetzt. Er konnte den Arm nicht mehr bewegen. Die Wunden verheilten nicht. Sie hatten sich entzündet.

Der große Blutverlust hatte Laufender Bär geschwächt. Er wusste wohl selbst, dass er es nicht schaffen würde, mit uns bis nach Mexiko zu gelangen. Aus fiebrigen Augen schaute er mich an.

„Ich gehe mit“, sagte er.

Ich widersprach nicht. Laufender Bär war der einzige außer mir, der sein Pony noch besaß. Die beiden Pferde standen ein Stück abseits von uns im Unterholz. Ich hängte mir meinen Bogen und den Köcher mit den Pfeilen um. Laufender Bär folgte mir. Er hatte nur noch sein Messer und seinen Tomahawk. Wir brachen durch das Dickicht und schritten durch den Regen. Wir sanken bei jedem Schritt fast bis zu den Knöcheln im Boden ein. Das Fell der Pferde troff vor Nässe. Wir rieben sie mit unseren Decken ab, legten ihnen die Woilachs1 auf und bestiegen die Tiere. Shita, mein geschecktes Indianerpony, schnaubte leise, als ich ihr durch die Mähne strich.

Wir ritten dicht hintereinander, bis wir den Waldrand erreichten. Hier trieb uns der Wind die Regenschleier entgegen. Wir konnten keine zehn Yards weit sehen. Ich drehte mich um und gab Laufender Bär ein Zeichen. Er hing kraftlos auf dem Rücken seines Tieres. Sein Oberkörper schwankte im Rhythmus des Pferdetritts hin und her. Ich wollte ihm sagen, dass er zurückreiten solle. Aber ich schwieg, denn ich wusste, er hätte nicht auf mich gehört, und es hätte ihn gekränkt.

„Wir sollten einzeln reiten“, sagte er. „Jeder in eine andere Richtung.“

Ich konnte ihn kaum verstehen. Seine Stimme klang schwach, und das monotone Rauschen des Regens ­übertönte sie fast. Wieder wollte ich widersprechen. Doch da hatte er sein Pferd schon angetrieben und ritt an mir vorbei. Für einen kurzen Moment hatte ich sein Gesicht dicht vor mir. Es war eingefallen und knochig. Die Augen lagen in tiefen Höhlen und waren entzündet.

Dann war Laufender Bär nur noch ein Schatten im Regen, genauso grau wie die Regenschleier, die mir eisig ins Gesicht klatschten.

Es war das letzte Mal, dass ich ihn lebend sah.

*

Ich wandte mich in die entgegengesetzte Richtung und hoffte, den Wald und das Versteck der Frauen und der Kinder später wiederzufinden. Ich ritt einen flachen Hang hinunter.

Der aufgeweichte Boden gab unter den Hufen Shitas schmatzende Geräusche von sich. Ich ritt ohne bestimmtes Ziel und hoffte nur, auf eine Weide mit Rindern zu stoßen. Es gab ein paar Farmen in der Nähe, das wusste ich. Ich hatte nicht die geringsten Hemmungen, ein Rind zu stehlen. Wer Hunger hat, verliert schnell seine Skrupel.

Als ich mich einmal umwandte, konnte ich den Wald schon nicht mehr sehen. Ich schmeckte Regenwasser im Mund. Mein langes blondes Haar hing mir strähnig in die Stirn und in den Kragen meines Hemdes.

Wie lange ich geritten war, als ich plötzlich einen Schuss hörte, wusste ich nicht. Der Knall ertönte irgendwo vor mir, nicht besonders laut. Das Rauschen des Wetters verschluckte die Detonation fast. Sofort zügelte ich mein Pferd, richtete mich steil im Sattel auf und lauschte. Ich spürte den Regen nicht mehr, der mir ins Gesicht ­prasselte. Unwillkürlich nahm ich den Bogen von der Schulter.

Es blieb eine ganze Weile still. Dann krachte wieder ein Schuss, und ich hörte Hufschlag.

Ich trieb Shita an und folgte dem Geräusch.

Im Rauschen des Wetters klang der Hufschlag wie ein dumpfes Trommeln. Ich ritt lange Zeit, ohne etwas zu sehen, und hatte bald das Gefühl, nach einem Phantom zu suchen. Dann sah ich plötzlich schemenhafte Gestalten vor mir.

Sie ritten dicht nebeneinander durch den Regen, in lange, feste Mäntel gehüllt, deren blaue Farbe ich nur ahnen konnte, die breitrandigen Hüte tief in die Gesichter gezogen. Unter den Mänteln ragten die Spitzen von leicht gekrümmten, langen Säbeln hervor.

Es waren Soldaten. Ich hörte ihre Stimmen und zog Shita herum. In meinem Leib war plötzlich ein dumpfer Druck. Die Soldaten zogen vorbei wie Geisterreiter. Sie entdeckten mich nicht. Es waren sieben oder acht. Zuwenig für eine Patrouille im Apachenland. Sie mussten zu einer größeren Truppe gehören.

Ich musste die anderen warnen. Aber da war auch noch Laufender Bär. Er war unterwegs wie ich. Ich wusste nicht wo. Ihn konnte ich nicht warnen.

Ich dachte plötzlich an die Schüsse.

Es konnten Signalschüsse gewesen sein. Vielleicht hatten sich die Truppenteile im Unwetter verloren.

Ich lauschte wieder. Der Regen rann über mein Gesicht, über mein Kinn und über meinen Hals in mein Kalikohemd. Ich war bereits nass am ganzen Körper – zum Auswringen.

Irgendwo vor mir hörte ich wieder Hufschlag. Ich trieb Shita an und ritt in eine Bodensenke, in der sich das Regenwasser gesammelt hatte und fast kniehoch stand. Schlamm spritzte auf und traf mich ins Gesicht, als ich mit Shita hindurchritt. Als ich die Senke verließ, waren Shita und ich dreckverschmiert. Aber das störte mich nicht. Ich dachte nur an Laufender Bär und an die Schüsse und folgte den Soldaten.

Sie waren nicht mehr zu sehen. Ich konnte nur ahnen, wo sie sich befanden. Shita verlor für Sekundenbruchteile den Halt unter den Vorderhufen. Sie rutschte auf dem glitschigen Boden aus und knickte fast mit den Läufen ein. Ich wurde nach vorn geworfen und klammerte mich an der Mähne fest. Für einen Moment hing ich seitlich am Pferdehals. Dann fing sich Shita wieder. Schwer atmend richtete ich mich auf. Shita schüttelte die Mähne. Sie trabte weiter. Ich klopfte ihr auf den Hals und wagte nicht, daran zu denken, was passiert wäre, wenn sie sich einen Lauf gebrochen hätte.

Einige Hügel tauchten aus den Regenschleiern vor mir auf. Sie wirkten wie die Buckel riesiger, schlafender Tiere. Der Regen hatte schmale Rinnen in die Hänge gewaschen.

Ich wich den tiefen Pfützen aus, so gut es ging. Immer gelang es mir nicht. Es war stockdunkel, und ich konnte nicht viel sehen.

Plötzlich hörte ich Stimmen vor mir. Jemand fluchte laut. Ich ritt noch ein Stück weiter, hielt dann, glitt aus dem Sattel und blieb neben Shita stehen, die den Kopf senkte, während der Regen die Dreckspritzer aus ihrem Fell wusch.

Da sah ich wieder schemenhaft einige Reiter in langen Umhängen und mit großen Hüten. Sie wirkten ­irgendwie unwirklich, körperlos. Sie schienen zu schweben. Ich fror und zog die Schultern hoch. Die Männer sprangen neben irgendetwas, das ich nicht erkennen konnte, aus den Sätteln. Durch ihre Umhänge wirkten sie wie riesige Vögel, große, schwarze Totenvögel.

Sie hielten Gewehre in den Händen. Klobige Springfield-­Karabiner. Sie scharten sich um das Etwas am Boden.

Mein Magen krampfte sich zusammen. Mein Hals war plötzlich trocken. Ich spürte den Regen für lange, endlose Augenblicke nicht mehr, die dicken, schweren Tropfen, die wie Peitschenhiebe auf meinen Kopf, mein Gesicht und meine Haut klatschten.

Die Soldaten redeten. Ich hörte ihre Stimmen, konnte aber nicht verstehen, was sie sprachen. Ich erkannte nur, dass es sich um einen Menschen handelte, der zwischen ihnen am Boden lag. Er richtete sich plötzlich ein Stück auf und wälzte sich herum.

Einer der Soldaten hob sein Gewehr. Als es mit dem eisenbeschlagenen Kolben voran hinuntersauste, schloss ich die Augen.

Das Rauschen des Regens war plötzlich überlaut. Ich stand wie gelähmt und sah, wie sich der Mann, der zugeschlagen hatte, bückte und an dem flach liegenden Körper herumhantierte.

Kurz darauf stapften die Soldaten durch den Schlamm zu ihren Pferden und kletterten in die Sättel. Dann ritten sie davon wie ein Spuk.

Ich stand eine ganze Weile still da, bis mich Shita mit der weichen, warmen Schnauze anstieß. Ich strich dem Pony durch die Mähne und schwang mich auf seinen Rücken. Shita trabte an. Sie schien zu wissen, wohin ich wollte. Sie lief auf die Stelle zu, wo die Soldaten ­gewesen waren, ohne dass ich sie mit dem Zügel dirigieren musste.

Dann stand sie still. Unter mir sah ich die Umrisse eines Menschen im Schlamm, umgeben von schwarzen Pfützen, deren Oberflächen von Tausenden von Regentropfen zersiebt wurden.

Der Mann war tief in den morastigen Boden gesunken.

Mit eckigen Bewegungen glitt ich aus dem Sattel. Schwerfällig stelzte ich auf den reglosen Körper zu.

Der Mann lag mit dem Gesicht nach unten im Dreck. Ich bückte mich, überwand meine Hemmungen und rollte den Körper auf den Rücken. Obwohl ich gewusst hatte, was mich erwartete, erschrak ich bis ins Mark.

Ich blickte in das Gesicht von Laufender Bär.

Es war verzerrt, unmenschlich entstellt. Die Augen waren weit aufgerissen und schimmerten vom Blut der vielen geplatzten Äderchen in den Pupillen rötlich. Der Mund stand halb offen. Das Gesicht war schwarz vom Lehm und wirkte durch seine Starre wie die meisterhaft geschnitzte Holzmaske eines Geistertänzers.

Laufender Bär war tot. Sein Wildlederhemd war über dem Oberkörper zerrissen. Der Regen wusch ständig frisches Blut aus einer großen Wunde einen Zoll oberhalb des Nabels.

Aber nicht der Schuss hatte Laufender Bär getötet. Ein Gewehrkolben hatte seinen Gurgelknoten zerschmettert. Der Kopf stand eigenartig verrenkt vom Körper ab. Der Hals war seltsam eingedrückt, und es schien ein großes Loch in der Gurgel zu sein.

Ihm fehlte der Skalp. Die Schnitte auf seinem Schädel bildeten ein Dreieck. Der Soldat, der ihn skalpiert hatte, hatte ihm fast die ganze Kopfhaut abgerissen.

Ich wandte mich rasch ab. Zorn erfüllte mich, hilfloser Zorn. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. In diesem Moment war ich innerlich völlig leer und ausgebrannt. Der Regen fiel, und das Wetter rauschte monoton. Böen trieben über das Land und jagten Regenschleier vor sich her.

Ich fühlte mich verdammt allein und sehnte mich nach jemandem, den ich fragen konnte, was zu tun sei.

Als ich mich wieder bewegte, bekam ich meine Füße kaum hoch. Ich war bis zu den Knöcheln im Schlamm versunken. Nachdem ich den Tomahawk von Laufender Bär an mich genommen hatte, schwang ich mich in den Sattel. Ich lenkte Shita um die Leiche herum. Erst jetzt fiel mir auf, dass meine Hände zitterten.

Ich fasste die Zügel fester und ritt weiter. Und dann sah ich weit vor mir einen kleinen, glühenden Punkt im tosenden Wetter, ein Feuer. Es schien im Schutz einer Zeltplane zu brennen.

Ich ritt direkt darauf zu und hörte ein Trompetensignal. Da zog ich Shita herum und ritt in eine Bodenfalte zwischen zwei Hügeln. Für kurze Zeit verlor ich das Feuer aus den Augen. Wenig später sah ich es wieder. Ich schlug einen Bogen um das Camp der Soldaten und näherte mich im Schutz mehrerer Bodenwellen, in denen ich immer wieder untertauchte.

Ich ritt, bis ich den intensiven Geruch von Pferden und Leder wahrnahm. Da zügelte ich Shita und stieg ab. Mit hängenden Zügeln ließ ich Shita stehen.

Das erste Stück ging ich aufrecht, bis ich die Funken des Feuers sprühen sah. Dann ließ ich mich auf die Knie sinken und robbte über den aufgeweichten Boden. Trotz des Regens nahm ich den Rauch des Feuers wahr. Nach wenigen Yards war ich bereits von Kopf bis Fuß mit Schlamm bedeckt. Das störte mich nicht.

Ich hatte die Pferde der Soldaten entdeckt.

*

Sie standen abseits des Feuers in einem eilig errichteten Seil-Corral. Eine Pferdewache war nirgends zu sehen.

Die Soldaten hockten dicht aneinander gedrängt um das kleine Feuer. Sie hatten sich in ihre Mäntel gehüllt und die Kragen hochgeschlagen. Ich konnte ihre Umrisse im Feuerschein erkennen. Sie achteten nicht auf die Tiere.

Ich robbte in den Seil-Corral. Die Pferde schnaubten leise und tänzelten unruhig. Ich blieb reglos liegen, bis sie sich beruhigt hatten. In diesem Moment hatte ich wahnsinnige Angst, entdeckt zu werden. Das Risiko, auf das ich mich eingelassen hatte, war groß. Das wurde mir erst jetzt richtig bewusst, als die Hufe der Armeepferde nur wenige Zoll von meinem Kopf entfernt in den morastigen Boden stampften.

Ich kroch über den zertrampelten Boden, durch die tiefen Pfützen und zwischen den Pferden hindurch. Irgendwo in der Mitte des Corrals richtete ich mich auf. Die Pferdeleiber schützten mich vor Blicken aus dem Camp.

Die Tiere waren alle noch gesattelt und trugen ihre Satteltaschen. Nichts anderes hatte ich gesucht.

Was ich in den Satteltaschen fand, war mehr, als ich erwartet hatte. Ich nahm eine Satteltasche an mich, leerte sie völlig aus und stopfte dann sämtliche Rationen hinein, die ich unterbringen konnte. Ich fand Trockenfleisch und hartes Brot, getrocknete Bohnen und Kaffee, aber auch Verbandszeug.

In diesem Moment dachte ich nicht mehr an Laufender Bär. Als ich einmal zum Feuer hinüberschaute, sah ich, dass ein Soldat einen Skalp über die Flammen hielt und mit lauter Stimme erzählte, wie er Laufender Bär erschlagen hätte. Da kam ich mir für einen Moment schäbig vor, dass ich nur an den Proviant dachte. Aber dann dachte ich, dass wir von der Trauer nicht satt wurden. Ich warf die Satteltaschen über meine linke Schulter, ließ mich wieder zu Boden gleiten und kroch zum Rand des Seil-Corrals zurück.

Unterwegs hielt ich plötzlich inne. Ein Gedanke durchzuckte mich. Schwer atmend blieb ich liegen und überlegte.

Die Soldaten hatten Laufender Bär getötet – völlig ohne Grund. Laufender Bär war schwer verletzt gewesen. Er hatte keine Chance gehabt, sich zu wehren. Sie hatten ihn erschlagen wie einen räudigen Hund. Wahrscheinlich vermuteten sie jetzt, dass weitere Apachen in der Nähe waren. Womöglich würden sie nach dem Unwetter die Gegend absuchen und uns finden. Das durfte nicht geschehen.

Ich war zwölf Jahre alt und hatte keine Chance gegen die Soldaten. Aber ich war alt genug, um ihnen Schwierigkeiten zu bereiten. Das Unwetter würde mir helfen.

Ich kroch bis zum Rand des Seil-Corrals. Hier richtete ich mich auf, zog mein Messer aus der Gürtelscheide, zerschnitt das Seil und drehte mich um. Ich zog die Sattelgurte des mir am nächsten stehenden Pferdes an und krallte mich im Kopfgeschirr des Tieres fest. Dann stieß ich den grellen Schrei des Berglöwen aus, und dann noch einen. Ich schwang mich in den Sattel, ließ mich flach auf den Pferdehals fallen und schrie weiter.

Unruhe entstand unter den Pferden. Sie drängten auseinander. Sie verließen das zerschnittene Rund des Corrals.

Ich wandte den Kopf und konnte das Feuer wieder sehen. Die Soldaten, die dort unter der Zeltplane hockten, sprangen auf und griffen nach ihren Gewehren. Ich hörte ihre rauen Stimmen. Jemand schoss. Ich sah Mündungsfeuer zucken, trieb das Pferd an, auf dem ich saß, und jagte davon. Die Schussdetonationen verstärkten die Nervosität der anderen Tiere noch. Sie stoben wiehernd in alle Himmelsrichtungen auseinander und tauchten im Regen unter – genau wie ich.

Hinter mir hörte ich die Flüche der Soldaten. Sie konnten mich nicht sehen. Sie konnten sich nur denken, was geschehen war.

Sie feuerten in die Dunkelheit, in den Regen. Ich lachte wild. Aber ich fühlte keinen Triumph. Eine bittere Leere war in mir, denn ich hatte die Leiche von Laufender Bär vor Augen, während ich davonsprengte.

Shita tauchte vor mir auf. Sie scheute, als ich auf dem großen Armeepferd heranjagte. Ich sprang aus dem Sattel, stürzte fast und ging in die Knie. Ich zitterte jetzt am ganzen Körper. Nicht vor Kälte, sondern vor Aufregung. Einen Moment lang lehnte ich mich gegen das hoch­beinige Armeepferd und rang nach Atem. Dann ging ich zu Shita, strich ihr durch die Mähne, klopfte ihr den Hals und schwang mich auf den Rücken des Ponys. Ich zog die Zügel des Soldatenpferdes zu mir hinüber und ritt davon. Noch einmal sah ich die Leiche von Laufender Bär. Ich ritt an dem reglosen Körper vorbei, ohne ihn anzuschauen. Ich zwang mich dazu, nach vorn zu blicken, denn ich war sicher, dass ich den Anblick von Laufender Bär diesmal nicht mehr ertragen hätte.

Das knochige, hochbeinige Armeepferd folgte mir willig. Es machte keine Schwierigkeiten.

Hinter mir hörte ich immer noch Schüsse. Verfolger konnte ich nicht erkennen. Ich hatte keine Ahnung, wohin die Pferde gelaufen waren, hoffte aber, dass sie sehr weit fliehen würden. In diesem Moment stellte ich mir vor, wie die Soldaten hilflos und ohne Orientierung durch den Regen rannten. Ich dachte daran, dass sie, wenn sie ihre Pferde nicht wiederfanden, nach dem Unwetter einen langen Fußmarsch vor sich hatten und bestimmt nicht mehr darauf scharf waren, die Gegend nach Indianern abzusuchen. Wenn es so war, hatte ich mein Ziel erreicht.

Der Ritt zurück dauerte länger, als ich es mir vorgestellt hatte. Der fadendicht fallende Regen, der mir geholfen hatte, den Soldaten eins auszuwischen, behinderte mich jetzt. Ich fand den Wald nicht mehr.

Die Zeit, die ich durch das Unwetter ritt, wurde zur Ewigkeit. Verzweiflung stieg in mir auf. Ich fluchte laut. Dann biss ich die Zähne zusammen und suchte weiter.

Plötzlich tauchte ein Schatten vor mir auf. Ich zog im letzten Moment den Kopf ein. Dann rauschte ein tief hängender Ast über mich hinab, der mich glatt aus dem Sattel gefegt hätte, wenn ich gegen ihn gestoßen wäre.

Schnaubend blieb Shita stehen. Neben ihr verhielt das Armeepferd. Ich beugte mich vor und hätte fast geschrien vor Freude. Nur wenige Yards vor mir lag der Wald.

*

Ich fand unser Versteck, ich weiß nicht mehr wie. Stundenlang ritt ich im dichten Unterholz herum und war mehrmals nahe daran, jede Hoffnung aufzugeben. Ich war nass bis auf die Haut, fror und wurde vom Hunger gequält. Tief hängende Zweige peitschten mein Gesicht und zerkratzten meine Haut. Ich rührte jedoch nichts von dem Proviant an, den ich im Soldatencamp gestohlen hatte.

Irgendwann hörte ich Stimmen, leise, flüsternd. Ich glitt aus dem Sattel und ging zu Fuß weiter. Da sah ich sie vor mir sitzen, Susqueya, die anderen Frauen und die Kinder. Sie kauerten noch immer im Schutz dicht ineinander verwachsener Büsche. Angst spiegelte sich in ihren Augen – und dann Freude, als sie mich erkannten.

Ich holte die Pferde und warf die prall gefüllte Satteltasche zu Boden.

Ratlos hockten sie um die Tasche und starrten erst sie und dann mich an.

„Öffnet sie“, sagte ich. Große Müdigkeit überfiel mich. Ich kauerte mich zu Boden und lehnte mich mit dem Rücken an einen Baumstamm. Meine Glieder waren plötzlich schlapp und kraftlos. Ich war erschöpft und schloss für einen Moment die Augen. Vor mir zog noch einmal alles vorbei, was ich in den letzten Stunden erlebt hatte. Dann hörte ich Susqueyas Stimme. Ich hob den Kopf, öffnete die Augen und schaute sie an.

Ihr faltiges, dunkles Gesicht war dicht vor mir. Sie hielt mir ein Stück Trockenfleisch hin.

„Iss“, sagte sie. Ich nahm das Fleisch und aß. Es war zäh und nicht besonders gewürzt. Aber es schmeckte.

„Soldaten?“, fragte Susqueya.

„Ja.“ Ich nickte. „Sie kampieren in der Nähe des Waldes.“

„Weit von uns?“

„Ich weiß nicht. Der Regen ...“ Ich zuckte mit den Schultern. „Ich habe ihre Pferde verjagt.“ Ich aß den ­letzten Bissen meines Fleisches und schaute die anderen an.

„Laufender Bär ist tot“, sagte ich. „Die Soldaten haben ihn erschlagen.“

Sie blieben stumm. Ich las Trauer in ihren Augen. Sie wollten nicht mehr wissen, und ich hätte ihnen auch nicht mehr erzählt. Es fiel von nun an kein Wort mehr zwischen uns. Ich wusste, alle dachten in diesem Moment daran, dass auch wir anderen, obwohl nicht verletzt, nur wenige Überlebenschancen hatten.

Irgendwann schlief ich ein. Am Boden hockend, die Beine an den Leib gezogen, mit dem Rücken am Stamm eines Baumes lehnend. Mein Kopf sank auf die Brust. Der Regen fiel noch immer fadendicht und sang sein monotones Lied. Ich aber schlief, ohne zu wissen, ob es Tag oder Nacht war, da Tag und Nacht vom Regen gleich grau gefärbt wurden und es keine Helligkeit gab, keine Sonne. Doch ob Tag oder Nacht, es war mir egal. Ich war erschöpft und fühlte mich zerschlagen und elend. Der Schlaf kam über mich wie eine Erlösung.

2.

Als ich erwachte, regnete es noch immer. Trübselig lagen wir in unserem Versteck.

Stunden vergingen. Es wurde nur wenig gesprochen. Plötzlich hellte es im Süden auf. Der Regen wurde schwächer und hörte schließlich völlig auf. Ein Windstoß riss die Wolkendecke weg. Darunter erschien ein strahlender Himmel. Die Sonne stand hoch. Rasch erwärmte sich die Luft, und das Land begann wieder zu atmen. Das Unwetter war vorbei.

Sonnenstrahlen spiegelten sich in den Regentropfen, die dick und schwer an Zweigen, Gräsern und Blättern hingen. Wir blinzelten nach der langen Dunkelheit in das Licht, ungläubig und erleichtert. Ich richtete mich schwerfällig auf und streckte mich gähnend.

„Wir müssen nach den Soldaten sehen“, sagte ich. Dann ging ich. Ich bestieg Shita und ritt zum Waldrand. Während des Reitens zog ich mein Hemd aus, um die Sonne und den milden Wind an meinen durchfrorenen Oberkörper zu lassen.

Vom Waldrand aus wandte ich mich westwärts. Ich ritt auf das Hügelland zu. Überall standen große Pfützen, in denen sich jetzt der blaue Himmel spiegelte. Aber die Sonne gewann rasch an Kraft. Sie trocknete den Boden aus. Hier und da platzten bereits kleine Krater in der Schlammkruste auf. Regenwürmer wanden sich im Staub.

Ich erreichte die Hügelkette und folgte ihr nach Osten. Schließlich lenkte ich Shita auf einen der hohen Grasbuckel und richtete mich steil im Sattel auf. Von hier aus konnte ich einen Großteil des Landes überblicken.

Die Soldaten waren nirgends zu sehen.

Ich ritt weiter. In den Bodensenken stand noch das Wasser. Ich wich den lehmigen Tümpeln aus und versuchte, die Leiche von Laufender Bär wiederzufinden. Es gelang mir nicht. Das Land wirkte nach dem großen Regen völlig verändert. Es schien fast so, als seien die Erlebnisse vom Vortag während des Unwetters nur ein böser Traum gewesen.

Dann jedoch entdeckte ich die Soldaten.

Sie zogen in etwa dreihundert Yards Entfernung nordwärts. Ich zählte dreißig Mann. Zehn von ihnen hatten Pferde. Die anderen marschierten hinterher. Ich tauchte mit Shita rasch zwischen den Hügeln unter.

Die Soldaten hatten ihre Pferde also nicht wiedergefunden. Obwohl das für uns eine Menge Vorteile hatte und wir nun nicht befürchten mussten, von der Patrouille entdeckt zu werden, stellte sich auch heute noch keine Schadenfreude bei mir ein.

Ich musste an Laufender Bär denken. So gesehen waren seine Mörder mit dem Verlust ihrer Pferde noch verdammt billig weggekommen.

Ich empfand Hass auf die Soldaten. Gleichzeitig wunderte ich mich selbst, wie sehr und wie schnell ich mich verändert hatte. Vor einem Dreivierteljahr hatte ich bei Indianerangriffen auf die Mission, in der ich aufgewachsen war, und auf eine Poststation zwei Krieger getötet.

Heute war ich selbst ein Apache und dachte wie ein Apache. Laufender Bär war ein Apache gewesen. Die Soldaten hatten ihn erschlagen. Ich war auch ein Apache. Daher musste ich sie hassen.

Ich zog Shita herum und ritt zurück. Als ich den Wald erreichte, rann Schweiß über mein Gesicht und meinen Oberkörper. Die Sonne stieg immer höher. Es war unerträglich heiß. Wären da nicht die vielen Pfützen gewesen, hätte nichts mehr an das tagelange Unwetter erinnert.

Im Wald hielt sich die Feuchtigkeit länger. Hier war es auch kühler. Der moosige, weiche Boden hatte sich mit Regenwasser vollgesogen, die Rinde der Bäume glänzte vor Nässe.

Ich erreichte unser Versteck. Hier hatte Susqueya dafür gesorgt, dass unsere wenige Habe zusammengepackt wurde.

„Wir können weiterziehen“, sagte ich. „Die Soldaten lassen uns in Ruhe. Aber vielleicht kehren sie noch einmal zurück. Vielleicht liegen in der Nähe noch mehr Truppen. Wir dürfen uns nicht aufhalten.“

Zehn Minuten später brachen wir auf. Die Frauen gingen zu Fuß. Die drei Kinder – Jungen, die drei oder vier Jahre jünger waren als ich – saßen auf dem Armeepferd. Wir verließen den Wald und zogen südwärts. Wir hielten uns im Schatten des Waldrands, um jederzeit Deckung nehmen zu können. Aber wir kamen gut voran. Wir zogen Stunde um Stunde, ohne zu rasten. Während der ganzen Zeit sahen wir keinen Menschen.

Die Frauen wechselten sich dabei ab, unsere Spur zu verwischen. Sie richteten mit großen Zweigen von Kreosot-­Büschen das Gras wieder auf, das die Pferdehufe niederdrückten. Trotzdem schafften wir ein gutes Stück bis zum späten Nachmittag.

Dann hörten wir plötzlich Schüsse vor uns.

Wir hielten sofort an. Der Wald lag bereits weit hinter uns, und es gab nur wenige Deckungsmöglichkeiten in der Ebene, in der wir uns im Moment befanden.

Ich ritt an der Spitze und drehte mich jetzt im Sattel um.

„Bleib hier!“, rief Susqueya. „Wir müssen uns verstecken.“

„Wir müssen wissen, was los ist“, sagte ich. „Sonst können wir nicht weiter.“

„Wenn dir etwas passiert, sind wir auch dich mitsamt dem Pferd und den Waffen los“, sagte Isheeki, eine Frau, die fast zehn Jahre jünger als Susqueya war und bei dem Massaker ihren Mann und zwei Söhne verloren hatte.

„Solange wir nicht wissen, was da vorn los. ist, sind wir viel schlimmer dran“, widersprach ich. Dann ritt ich davon, ohne auf eine Erwiderung zu warten. Ich schaute nicht zurück, sondern ritt in gerader Linie auf eine Anhöhe zu, die sich in fast einer Meile Entfernung befand.

Die Schüsse waren längst verhallt. Es war still im Land. Nur der Wind sang leise. Er strich von Süden heran und trug Staub mit sich. Ich hatte zum Schutz gegen die stechenden Sonnenstrahlen mein Kalikohemd wieder übergezogen. Das Hemd war bereits wieder trocken, genauso wie meine andere Kleidung. Die letzten Spuren des Unwetters waren in den vergangenen Stunden fast alle verschwunden. Die Pfützen und flachen Tümpel, die sich in Bodenfalten gebildet hatten, verdunsteten. Der Boden trocknete aus, das feuchte Gras nahm einen bräunlichen Farbton an und wurde hart. Auf den Wegen und Overlandstraßen verwandelte sich der Schlamm in knochentrockenen Staub, den der Wind aufhob und forttrug.

Ich erreichte die Anhöhe, ritt hinauf und zügelte Shita am höchsten Punkt. Von hier aus konnte ich das Land bis zu den Bergen im Süden überblicken.

Weit vorn in einem lang gestreckten Tal, das die Form eines Fußes hatte und sich wie der Stiefelabdruck eines Riesen in die Landschaft kerbte, entdeckte ich eine kleine Farm. Ein Corral neben dem Wohnhaus war leer. Am Haus selbst rührte sich nichts, auch an der Scheune nicht, die daneben gebaut worden war. Das Anwesen lag wie ausgestorben da. Es war keine Menschenseele zu entdecken.

Ich beobachtete alles eine Weile. Schließlich zog ich Shita herum und trieb sie an. Ich sprengte über die Ebene zurück zu den Frauen und den Kindern. Sie hatten sich hinter einigen Bäumen versteckt, die jedoch nur ungenügend Schutz boten, und warteten auf mich.

„Vorn ist eine Farm“, sagte ich. „Dort ist kein Mensch zu sehen.“

„Gehen wir hin?“, fragte Isheeki.

„Vielleicht ist ein anderer Stamm in der Nähe“, sagte ich. „Vielleicht ist die Farm auch überfallen worden.“

„Vielleicht warten aber auch Soldaten dort unten“, sagte Susqueya.

„Dann wäre es nicht so still“, sagte ich. „Soldaten sind keine Apachen.“

Ich zog Shita herum. „Wir sollten hinreiten. Es wird Abend. Irgendwo müssen wir schlafen. Wenn die Farm leer ist, ist das ein guter Platz.“

Sie folgten mir. Da die Frauen zu Fuß gingen, dauerte es lange, bis wir das Tal erreichten. Im Westen färbte sich der Himmel bereits rot, als wir auf die Farm zu zogen.

Hier war noch immer alles ruhig. Keine Menschenseele war zu sehen. Als wir uns dem Anwesen bis auf hundert Yards genähert hatten, entdeckte ich zerbrochene Fensterscheiben an der Frontseite des Wohnhauses. Im Türrahmen steckten ein paar bunt gefiederte Pfeile. Brandpfeile. Dort, wo sie eingeschlagen waren, war das Holz verkohlt.

Das Haus war jedoch nicht in Brand geraten. Auf der Südseite des Hofes war der Boden von Pferdehufen aufgewühlt und zertrampelt.