Ronco - Die Tagebücher 21: Der eiserne Colonel - Dietmar Kuegler - E-Book

Ronco - Die Tagebücher 21: Der eiserne Colonel E-Book

Dietmar Kuegler

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Beschreibung

Der grausame Bürgerkrieg ist vorbei. Offiziell. Doch davon merke ich nicht viel.Dreißig Offiziere der Unionsarmee, auf den Schlachtfeldern gefangen genommen und spurlos verschwunden. Bis auf einen, und der liegt tot vor mir. In den Rücken geschossen. Dazu eine Drohung: Die Yankees sollen zahlen, sonst werden alle sterben.Die übrigen Offiziere befinden sich in einem geheimen Gefangenenlager in Texas und warten auf den Tod. Doch was geht mich das an? Nach dem Marsch durch Georgia habe ich mit der Armee gebrochen. Aber Colonel Warwick ist ein guter Mann. Sein Sohn ist unter den Geiseln. Er bittet mich um Hilfe. Also bin ich erneut Scout, was ich nie wieder sein wollte.Dieser Band enthält die folgenden Romane:Der eiserne Colonel (41)Stunde der Entscheidung (42)

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Seitenzahl: 259

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RONCO

In dieser Reihe bisher erschienen

2701 Dietmar Kuegler Ich werde gejagt

2702 Dietmar Kuegler Der weiße Apache

2703 Dietmar Kuegler Tausend Gräber

2704 Dietmar Kuegler Apachenkrieg

2705 Dietmar Kuegler Das große Sterben

2706 Dietmar Kuegler Todesserenade

2707 Dietmar Kuegler Die Sonne des Todes

2708 Dietmar Kuegler Blutrache

2709 Dietmar Kuegler Zum Sterben verdammt

2710 Dietmar Kuegler Sklavenjagd

2711 Dietmar Kuegler Pony Express

2712 Dietmar Kuegler Todgeweiht

2713 Dietmar Kuegler Revolvermarshal

2714 Dietmar Kuegler Goldrausch

2715 Dietmar Kuegler Himmelfahrtskommando

2716 Dietmar Kuegler Im Fegefeuer

2717 Dietmar Kuegler Die Ratten von Savannah

2718 Dietmar Kuegler Missouri-Guerillas

2719 Dietmar Kuegler Höllenpoker

2720 Dietmar Kuegler Das Totenschiff

2721 Dietmar Kuegler Der eiserne Colonel

2722 Dietmar Kuegler Der Feuerreiter

Dietmar Kuegler

Der eiserne Colonel

Diese Reihe erscheint als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2021 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-175-5Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Der eiserne Colonel

von Ken Conagher

11. Juli 1881

Ich reite südwärts. Montemorelos liegt hinter mir. Montemorelos, dieses verdammte Fischernest, das beinahe zu meiner letzten Station geworden wäre.

Ich war auf der Fährte Maridos, des Samurais, geritten, der mit meinem Sohn Jellico geflohen war, um ihn zu einem für mich unbekannten Ziel zu bringen.

Aber dann war ich in einen wilden Strudel von Ereignissen geraten, die alle mit den Bewohnern dieses unglückseligen Fischernestes Montemorelos zusammenhingen, den Indios, die noch in einer Welt wie vor Hunderten von Jahren zu leben schienen, befangen in einem mörderischen Aberglauben, der jedes Jahr ein Menschenopfer verlangte, um die Götter des Meeres gnädig zu stimmen.

Und zuletzt hatte ich diesen Göttern geopfert werden sollen. Sie hatten mich an einen Felsen gekettet, über dem Horst eines Seeadler-Pärchens.

Ich hatte wieder einmal überlebt, aber keiner fragte mich, wie ich mich fühle. Es gibt keine Stelle an meinem Körper, die nicht zerschunden ist, die nicht schmerzt.

An diesem Abend kampiere ich in einem Canyon. Um mich abzulenken, habe ich mir mein Tagebuch vorgenommen, um weiter von meinem Leben zu berichten ...

1.

Dämmerung fiel über das Land, und es wurde Zeit, dass ich mich nach einem Camp für die Nacht umsah. Es war Ende August. Vor zwei Tagen hatte ich die Grenze nach Texas überschritten, Louisiana lag hinter mir.

Ich verließ den Trail, der auf Longview zuführte und ritt südwärts, bis ich auf einen Creek stieß, der vermutlich zum Savine River floss.

Mein Hund Shita war bereits vorausgelaufen. Er stand bis zum Bauch im Wasser und soff.

Auch meinen Grauen zog es mächtig zum Wasser. Links aus dem Schilf strich empört eine Wildente ab. Mit pfeifendem Flügelschlag verschwand sie nach Osten.

Shita starrte ihr nach und leckte sich die Schnauze.

„Die schnappst du nicht mehr“, sagte ich.

Er drehte den Kopf zu mir und wackelte mit dem Schwanz. Ich rutschte aus dem Sattel.

Genau in diesem Moment peitschten nördlich von uns auf dem Trail nach Longview Schüsse. Karabinerschüsse, wie ich hörte. Shita war mit einem Satz aus dem Wasser. Aus dem Schilf links flatterte noch eine Wildente hoch und flog ostwärts.

Ich lauschte und hörte hämmernden Hufschlag, der sich nach Nordosten entfernte und schließlich verstummte.

Shita blickte hechelnd zu mir hoch, als erwarte er meine Aufforderung, sich dort oben beim Trail ein bisschen umzusehen. Ich zögerte und versuchte mir einzureden, dass mich das alles nicht interessierte und nichts anginge. Manchmal, das hatte ich schon erfahren, war ein Zuviel an Neugier höchst ungesund.

Aber das hatte ich noch nicht zu Ende gedacht, da saß ich bereits wieder im Sattel und ritt auf meinen eigenen Spuren zurück zum Trail. Fast automatisch zog ich meinen Spencer-Karabiner aus dem Scabbard.

Shita lief dem Wallach und mir ein paar Schritte voraus. Als wir den Trail erreichten, wandte sich Shita nach links und verschwand aus meinem Blickfeld. Kurz darauf gab er Laut.

Er hatte etwas gefunden.

Ich trieb den Grauen an. Die Dämmerung begann in Dunkelheit überzugehen. Jetzt hatte der Wallach wieder die Wagenstraße unter den Hufen. Ich ritt in der Mitte. Links und rechts hatten die Räder unzähliger Wagen tiefe Furchen in den Boden gedrückt. Ich spähte voraus. Shita hockte bei einer Gestalt, die regungslos in der rechten Wagenspur lag. Ich zügelte den Wallach, stieß den Spencer-­Karabiner zurück in den Scabbard und glitt aus dem Sattel.

Langsam ging ich auf die Gestalt zu und ahnte, was ich finden würde, einen Toten.

Es war ein Mann. Er lag etwas verkrümmt auf dem Bauch, ein Bein noch angezogen, als sei er gekrochen.

Er war gekrochen. Trotz der einsetzenden Dunkelheit sah ich es. Er war in den Rücken geschossen worden. Eine Schleifspur verriet, dass er sich zwei, drei Yards auf dem Bauch weitergeschoben hatte.

Ich biss die Zähne zusammen.

Mehrere Patronenhülsen lagen herum. Ich trat näher an den Mann heran, kniete nieder und drehte ihn vorsichtig auf den Rücken. Ich blickte in ein hohlwangiges, bärtiges Gesicht. Das Grauen packte mich, als sich die Lippen des Mannes plötzlich bewegten. Die Lider flatterten, dann starrten mich brechende Augen an.

„Caddo ...“, murmelte der Mann.

Dann fiel sein Kopf zur Seite. Sie hatten ihn voll Blei gepumpt, von hinten. Und nun hatte er es hinter sich.

Erst jetzt fiel mir auf, dass der Tote eine zerschlissene Uniformjacke trug, eine Uniform der Unionstruppe mit den Rangabzeichen eines Captains.

Ich drückte dem toten Captain die Augen zu. Auf der rechten Wange, verdeckt durch den Bartwuchs, hatte er eine Narbe. Sie sah ganz so aus, als stamme sie von einem Säbelhieb. Einen Hut hatte er nicht mehr. Er war barhäuptig gewesen. Sein Haar war grau.

Dieser Captain war jetzt tot, aber ich hatte ganz den Eindruck, als sei er auch als Lebender nicht sehr weit vom Grab entfernt gewesen. Sein Gesicht trug die Spuren von Entbehrungen, Hunger und Not.

Am 9. April hatte General Lee bei Appomatox Court House vor Grant kapituliert. Und am 27. April hatte General Johnston mit dem Rest der konföderierten Truppen bei Durham‘s Station die Waffen gestreckt.

Der Krieg war vorbei.

Aber hier war ein Unions-Captain von hinten niedergeschossen worden.

„Caddo ...“, hatte er noch gesagt. Was, verdammt, bedeutete das? Die Caddo-Indianer waren Ackerbauern hier im östlichen Texas. Wenn sie von den weißen Eindringlingen nichts hielten, so bedeutete das noch lange nicht, dass sie deswegen auch einen Weißen von hinten abknallten, Nein, das Wort ‚Caddo‘ musste eine andere Bedeutung haben.

Sollte ich den Captain hier am Trail begraben und meiner Wege reiten? Ich schüttelte den Kopf, während ich in das hagere, jetzt zu Stein gewordene Gesicht blickte. Vielleicht kannte ihn jemand, vielleicht wurde er gesucht. Für mich war er ein Namenloser, aber nicht für andere, für seine Familie oder Freunde. Ich hatte nicht das Recht, diesen mir unbekannten Offizier in die Liste der Verschollenen einzureihen, wie es im Krieg geschehen war, wenn man Freund oder Feind irgendwo verscharrt hatte, ohne sich weiter um ihre Identität zu kümmern. Ich dachte an deren Angehörige und ihre Hoffnung, der Krieg möge den Vater, den Bruder, den Sohn, den Mann nicht verschlungen haben.

Verschollen, das war eine trügerische Hoffnung, aus der erst in langen, qualvollen Jahren des Wartens dann die harte Gewissheit wurde, dass der Verschollene nie wieder zurückkehren würde.

Das war der eine Grund.

Der andere war der Meuchelmord an dem Captain.

Ein paar Meilen nördlich von diesem Trail nach Longview musste der Ort Marshall liegen. Vielleicht befand sich dort eine Besatzungstruppe der Unions-Armee wie in vielen größeren Orten der Südstaaten. Dorthin würde ich den Captain bringen.

Ich beugte mich über den Toten und hob ihn auf. Überrascht stellte ich fest, wie leicht er war.

Noch während ich mich zu meinem Wallach umdrehte, flatterte etwas Helles an mir vorbei zu Boden, ein Stück Papier. Es musste sich von dem Toten gelöst haben.

Ich legte den Captain quer über den Rücken des Grauen, trat zurück und hob das Papier auf. Es war zusammengefaltet. Ich faltete es auseinander und strich es glatt. Ja, da stand etwas Geschriebenes. Ich kramte aus meinen Taschen ein Schwefelholz und riss es an. Was ich da las, klang ziemlich mysteriös.

Auf dem Papier stand: Yankees! Wenn ihr nicht zahlt, legen wir den nächsten um! Jede Woche einen!

Ich faltete das Papier wieder zusammen und steckte es in meine Brusttasche. Über meine Kopfhaut kroch ein Kribbeln, das sich über den Nacken fortsetzte.

Das Grauen des Krieges, wie ich ihn erlebt hatte, stand vor meinen Augen. Hier schien es sich erneut zeigen zu wollen, in einem widerlichen Ausbruch des Hasses.

Ich band den toten Captain fest, nahm den Wallach am Zügel und marschierte nordwärts.

*

Es war wieder wie im Krieg.

Unter dem Schatten eines Schuppendaches am Ortsrand von Marshall wurde ein Gewehr repetiert.

Eine Stimme rief mich an: „Halt! Wer da?“

Was sollte ich darauf antworten? Falls hier nach einer Parole gefragt wurde, so kannte ich sie nicht. Und einer Einheit der Unions-Armee gehörte ich auch nicht an.

Wütend erwiderte ich. „Was soll der Quatsch? Wird hier Krieg gespielt, oder was?“

Eine andere Stimme sagte: „Mann, Sergeant, der hat 'ne Leiche über seinem Gaul liegen.“

„Richtig“, erwiderte ich. „Der Tote ist ein Captain der Unions-Armee. Er wurde südlich von hier auf dem Trail nach Longview erschossen. Ich fand ihn. Wo soll ich ihn hinbringen?“

Sie flüsterten. Ich sah sie nur undeutlich. Mondlicht lag über der Stadt, aber sie befanden sich im Schatten. Ich stand mit meinem Pferd, dem Toten und Shita mitten auf der Straße wie auf einem Präsentierteller.

„Schnall ab!“, sagte die Stimme, die mich zuerst angerufen hatte. Das musste derjenige sein, den der andere mit Sergeant angesprochen hatte.

„Ich denke gar nicht daran“, sagte ich scharf, „und zwar deswegen nicht, weil du mir gar nichts zu befehlen hast, Sergeant. Hier ist ein toter Offizier, und ich frage noch einmal, wo ich ihn hinbringen soll.“

„Wer bist du?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Ist das wichtig? Gut, mein Name ist Ronco. Ich könnte genauso gut Smith oder Johnson oder Abraham Lincoln heißen. Was soll‘s also?“

Der Sergeant knurrte etwas Unverständliches, dann sagte er: „Geh geradeaus weiter. Ich bleibe hinter dir. Wenn du Mätzchen versuchst, jag ich dir eine Kugel ins Kreuz, klar?“

Ich wurde stinksauer. „Klar, wohin denn sonst? Einem Mann Kugeln ins Kreuz zu schießen, scheint in dieser Gegend so üblich zu sein. Der Captain wurde auch von hinten erschossen, allerdings war er unbewaffnet. Ich bin es nicht. Du wirst neben mir gehen, Sergeant, aber nicht hinter mir. Ich bin kein Bandit, den man vor sich hertreibt. Ist das klar?“

Schweigen. Dann sagte die andere Stimme: „­Verdammt, Sergeant, ich fresse meinen Hut, wenn das kein Rebell ist. Der will unser Stabsquartier in die Luft sprengen. Das mit dem toten Captain ist nur ein Trick. Wetten, dass der Kerl unter dem Toten lauter Dynamitstangen versteckt hat?“

Mir platzte der Kragen.

„Wetten, dass du ein Vollidiot bist Mann? Im Übrigen bin ich kein Rebell, sondern im Krieg unter General Sherman geritten. Euer Stabsquartier interessiert mich allerdings. Schließlich habe ich keine Lust, noch nächste Woche mit dem toten Captain herumzuziehen. Danke für die Auskunft.“

Ich setzte mich einfach wieder in Marsch und kümmerte mich einen Dreck um das Palaver hinter mir. Einer der beiden feuerte sein Gewehr in den Nachthimmel ab.

Und der Sergeant brüllte: „Alarm! Rebellen greifen an! Alarm!“

Diese beiden Unions-Soldaten waren noch blöder als ich dachte. Jetzt schossen sie auch beide, aber nicht auf mich, sondern weiter in die Luft. Mir wurde auch klar, warum das so war. Sie hatten Angst, das angebliche Dynamit unter dem toten Captain zu treffen. Ihre idiotische Überzeugung war meine Lebensversicherung.

Der Krach hinter mir beim Schuppen war unvorstellbar. Die Stadt wurde aus ihrem Mitternachtsschlaf gerissen, kein Wunder.

Mein Grauer wurde nun doch etwas nervös, und ich musste ihn kürzer nehmen. Shita befahl ich, doch verdammt das Maul zu halten. Er erregte sich und kläffte den Mond an.

Da war ich nun durch die Nacht marschiert, mit einem toten Captain auf dem Pferd, und das hatte ich davon. Das war so eine Situation, wie sie verrückter nicht sein konnte.

Der Krach zeigte Wirkung.

Fenster wurden aufgerissen, Lichter flammten auf und warfen helle Bahnen über die Straße. Aus den Fenstern ertönten verwirrte Fragen und wütende Flüche. Fürwahr, ein feiner Empfang.

Nach den Schüssen und dem Alarmgebrüll des Ser­geanten musste ja nun allmählich die Armee auf dem Plan erscheinen. Ich war zwar weder Rebell, noch hatte ich die Absicht, das Stabsquartier in die Luft zu sprengen, aber wäre jetzt tatsächlich noch Krieg, dann hätte ich eine solche Aktion ohne weiteres schaffen können.

Erst in der Mitte der Stadt etwa wurde die Verteidigung gegen die ‚Rebellen‘ aufgebaut. Aus einem Hof rechts vor mir huschten Gestalten quer über die Straße und warfen sich auf einen Befehl hin in den Dreck. Metall klirrte, Gewehrmündungen wurden auf mich gerichtet.

Wenn die diesen Wahnsinn jetzt auf die Spitze trieben, dann war ich innerhalb der nächsten Sekunden ein toter Mann. So tot wie der Captain auf meinem Grauen.

Ich blieb stehen und sagte laut und vernehmlich: „Ich suche das Stabsquartier und möchte betonen, dass ich ein friedlicher Mensch bin. Über meinem Pferd hier liegt ein toter Captain, den ich auf dem Trail nach Longview gefunden habe. Vielleicht ist jemand so freundlich, mir zu sagen, wo ich ihn hinbringen soll. Die beiden Posten hinter mir am Stadtrand waren leider zu dämlich, mir darauf eine vernünftige Antwort zu geben.“

Hinter mir hörte ich Laufschritte.

Rechts vor mir löste sich eine schlanke Gestalt aus der Hofeinfahrt, ein Offizier, den Colt in der Faust.

„Sir!“, keuchte jemand hinter mir. Es war der Sergeant. „Sir, das ist ein Rebell! Und er hat Dynamitstangen unter dem Toten auf seinem Pferd versteckt! Um Gottes willen, geben Sie keinen Befehl zum Schießen, Sir, oder wir fliegen alle mit in die Luft!“

Der schlanke Offizier zuckte sichtlich zusammen und trat hastig ein paar Schritte zurück.

„Ergeben Sie sich, Rebell!“, rief er schrill. Hysterie schwang in seiner Stimme.

„Hier sind wohl alle übergeschnappt, wie?“, sagte ich wütend. „Ich habe diesem idiotischen Sergeanten bereits auseinandergesetzt, dass ich kein Rebell bin. Dynamitstangen pflege ich auch nicht mit mir herumzuschleppen. Bitte sehr, Sie können sich selbst davon überzeugen.“

„Nicht, Sir! Das ist eine Falle!“ stieß der Sergeant hinter mir hervor.

Ich drehte mich zu ihm um, und jetzt lief mir die Galle über.

„Halts Maul, du Hampelmann!“, fauchte ich ihn an. „Hast du überhaupt im Krieg jemals einen Rebellen gesehen oder nur in der Etappe Kartoffeln geschält? Wahrscheinlich letzteres, denn so schwach im Gehirn kann nur einer sein, der hinten beim Tross herumgehangen hat. Also misch dich nicht in Sachen, die für dein Hühnergehirn ein paar Nummern zu groß sind. Geh zurück zum Schuppen und schieb weiter Wache, aber pass auf, dass dir die Rebellen nicht die Ohren abschneiden, die sind nämlich ganz scharf auf die Ohren gehirnrissiger Ser­geanten!“

Zuvor, im Schatten des Schuppendachs, hatte ich das Gesicht des Sergeanten nicht sehen können, aber jetzt. Jawohl, sein Gesicht war der getreue Spiegel seiner läppischen Verdächtigungen, die er noch dazu dem anderen Idioten nichts weiter als nachgeplappert hatte. Seine Stirn hatte die Höhe von knappen zwei Fingerbreiten. Dafür aber hatte der liebe Gott in seiner Schöpferlaune dem Kinn des Sergeanten mehr Aufmerksamkeit geschenkt und ihm ein Ding hingezaubert, das einem Hauklotz nicht unähnlich war. Auf dem konnte man Holz spalten. Mir fiel der Vergleich mit einem Nussknacker ein, aber dieser Vergleich hinkte, denn gegen diese Visage hatte ein Nussknacker das Gesicht eines Engelchens.

Jetzt allerdings sah der Kopf des Sergeanten aus, als sei er künstlich aufgepustet worden und stehe kurz vorm Platzen.

„Vorsicht“, sagte ich höhnisch, „denke an die Dynamitstangen, Sergeant, wenn du jetzt losballern willst.“

Er hatte nämlich seinen Karabiner angehoben und den Finger am Abzug. Er senkte die Waffe wieder und ruckte zu dem Offizier herum.

„Das ist der Beweis!“, stieß er hervor. „Er hat eben selbst gesagt, dass er Dynamitstangen bei sich hat. Der ist ausgekocht, Sir, so ausgekocht wie eine Speckschwarte in der Erbsensuppe.“

„Mahlzeit“, sagte ich.

Es hatte keinen Zweck, mit diesem Irren noch weiter zu diskutieren. Ich wandte mich zu meinem Grauen um, band den toten Captain los, wuchtete ihn vom Sattel und legte ihn behutsam auf die Straße. Was sonst sollte ich tun?

„Bitte sehr“, sagte ich zu dem Offizier, „vielleicht überzeugen Sie sich jetzt selbst, dass hier keine Dynamitstangen versteckt sind. Mein Sattel ist leer, wie Sie sehen. Und dem toten Captain habe ich auch kein Dynamit in die Taschen gepackt.“

Der Offizier, es war ein Lieutenant, trat etwas näher, reckte den Hals, beäugte meinen Sattel und dann den Toten. Dann starrte er mich unschlüssig an und räusperte sich.

„Wer ist der Tote?“, fragte er schließlich.

„Weiß ich nicht.“

„Hm.“ Das war alles.

Dieser Lieutenant schien ein Mann langwieriger Entscheidungen zu sein. Er rückte noch einen Schritt näher und nahm Sattel, den toten Captain und mich erneut in Augenschein. Wieder das Räuspern.

„Erschossen, wie?“

„Ja, von hinten.“ Ich blickte auf den toten Captain hinunter und bat ihn im Stillen um Verzeihung, dass ich ihn hier niedergelegt hatte. Ich sagte: „Diese Straße hier scheint mir kein sehr würdiger Platz für einen toten Offizier der Unions-Armee zu sein, Sir. Wollen wir hier noch lange herumstehen?“

„Natürlich nicht.“ Der Lieutenant gab sich einen Ruck. „Sergeant Maddox, veranlassen Sie, dass der tote Captain ins Stabsquartier gebracht wird.“

Sergeant Maddox war mein Freund, der Super-­Nussknacker. Jetzt sah er ziemlich verstört aus.

„Ins Stabsquartier, Sir?“, fragte er blöde.

„Ins Stabsquartier“, erwiderte der Lieutenant.

„Und wo da, Sir?“

„Wo? Ach so, ja, natürlich.“ Der Lieutenant blickte mich an, als erwarte er von mir eine Antwort auf die Frage des Sergeanten.

Die hätte ich ihm gern gegeben, um endlich diesen Albtraum der Übergabe eines toten Captains an die Armee loszuwerden. Aber ich kannte das Stabsquartier nicht. Also schwieg ich und gelangte dabei zu der Überzeugung, dass dieser Lieutenant nicht nur entscheidungsschwach, sondern auch noch ein Holzkopf war. Aber beides lief auf das gleiche hinaus.

„Äh“, sagte der Lieutenant und schien sich zu einem Entschluss durchgerungen zu haben, „bringen Sie den Toten in den Keller unter der Küche, Sergeant.“

„Jawohl, Sir. Toten in den Keller unter der Küche bringen.“ Der Sergeant reckte die Brust heraus, ­vollführte eine abgehackte Kehrtwendung und brüllte: „Vier Mann!“

Stille. Schweigen. Es erschienen keine „vier Mann“. Das war so bei der Armee. Denn auf Befehl des Lieutenants hatten die Krieger bei dem ‚Alarm‘-Ruf das Stabsquartier verlassen, waren auf die Straße gestürmt und hatten sie abgeriegelt, indem sie sich dort in den Dreck geworfen hatten. Dort lagen sie immer noch, die Gewehre in den Fäusten und bereit, die „Rebellen“ mit einer Salve wegzuputzen. Befehl war Befehl, und der Lieutenant hatte ihn noch nicht aufgehoben.

War das ein Theater!

Der Lieutenant, als Schnelldenker, schien das auch begriffen zu haben.

„Vier Mann!“, schrie er.

Sieben standen auf, drei zu viel.

„Vier, sagte ich!“, schrie der Lieutenant.

Sieben warfen sich wieder hin.

Ich schuldete dem Toten, den ich hierhergebracht hatte, meinen Respekt. Darum verschluckte ich mein Grinsen. Als ich es geschafft hatte, stieg wieder Wut in mir hoch. In meinem achtzehn Jahre währenden Dasein hatte ich noch keine Situation erlebt, in der Komik und Tragik und militärischer Schnickschnack so seltsam miteinander vermischt gewesen waren.

Das war ein kompletter Zirkus, der sich hier abspielte.

Der Lieutenant fluchte, stelzte an mir vorbei, schritt die im Dreck liegende Front der Schützen ab und fauchte: „Sie – und Sie – und Sie – und Sie da!“ Jedes Mal zuckte sein Zeigefinger wie ein niederstoßender Spieß auf den Betreffenden hinunter. „Auf Marsch-Marsch! Bringen Sie den Toten in den Keller!“

Die vier Soldaten flitzten hoch und bewegten sich wie Marionetten zu dem toten Captain. Bei der Armee war alles eckig. Ich kannte das. Nur hier, in Marshall, schienen sich die Prototypen des Drills versammelt zu haben.

Mit dem toten Captain gingen sie aufgrund der gebellten Befehle des Sergeanten Maddox um, als gelte es, eine Haubitze aus der vordersten Stellung ins Hinterland zu transportieren.

Inzwischen hatten sich, wie ich bemerkte, auch die Bewohner von Marshall vor und hinter uns auf beiden Seiten der Straße versammelt und sahen zu. Es waren Texaner, und sie grinsten.

Mir war das Grinsen vergangen. Ich hätte heulen können.

Der Lieutenant sah das Grinsen natürlich auch. Statt es zu übergehen, nahm er es zum Anlass, sich abzureagieren und zu demonstrieren, dass man hier nach der Pfeife der Armee zu tanzen hätte.

Er stemmte die Fäuste in die Hüften, den Colt hatte er bereits im Holster verstaut, stellte sich in jene arrogante Positur, wie sie auf Exerzierplätzen üblich ist, und brüllte: „Innerhalb von fünf Minuten ist die Straße geräumt, oder es wird scharf geschossen!“

„Mach bloß nicht so einen Wind mit deinem kurzen Hemd, Yankee!“, rief eine Stimme links von uns im breiten Texanisch.

Der Lieutenant fuhr herum. „Wer war das?“

Rechts von uns rief jemand: „Das war der liebe Gott, Mistah Yankee!“

Wieder ruckte der Lieutenant herum, nestelte an seinem Armeeholster und riss die Waffe heraus. Er richtete sie auf eine Gruppe von fünf Männern, die rechts stand und aus deren Mitte der letzte Zuruf erfolgt war.

Die Männer drehten dem Lieutenant einfach den Rücken zu und schlenderten davon, bevor der sich weiter ereiferte.

„Verdammte Rebellenbande“, murmelte der Lieutenant.

Immerhin war die Straße innerhalb von fünf Minuten geräumt. Ich hatte indessen darüber nachgedacht, ob ich den Lieutenant über den Zettel, den ich bei dem toten Captain gefunden hatte, und sein letztes Wort, dieses mysteriöse „Caddo ...“, informieren sollte. Aber ich unterließ es. Denn es war zu befürchten, dass dieser Gimpel dann total überschnappte, zumindest wäre er völlig überfordert worden.

Als Offizier der Unions-Armee musste er einen Vorgesetzten haben, an den ich mich zu wenden gedachte. Ich fragte ihn. Sofort wurde er misstrauisch.

„Was wollen Sie von Colonel Warwick?“, fragte er spitz.

„Mit ihm sprechen“, erwiderte ich.

„Über was?“

Ich musterte diesen Holzkopf von oben bis unten. Er war schlank, eine Handbreite kleiner als ich, trug einen dunklen Oberlippenbart und hatte sonst ein Dutzend­gesicht. Jedenfalls konnte ich nichts Markantes oder ein hervorstechendes Merkmal erkennen.

Ich sagte ziemlich kühl: „Ich wüsste nicht, dass Sie das etwas anginge, Lieutenant. Also, ist er hier in Marshall, oder wo kann ich ihn erreichen?“

„Hier bin ich der Kommandant!“, raunzte der Lieutenant.

„Wie schön für Sie“, sagte ich, „aber damit ist meine Frage nicht beantwortet.“

„Beschwerden sind mir vorzutragen“, erklärte der Lieutenant. „Haben Sie irgendwelche Beschwerden? Wer sind Sie überhaupt?“

Idiot, dachte ich, drehte mich um und setzte den Fuß in den Steigbügel, um mich in den Sattel zu schwingen.

Hinter mir hörte ich jenes vertraute Geräusch, das ich schon so gut kannte, das mir aber keineswegs sehr angenehm war.

Der Hammer eines Colts wurde gespannt. Ich nahm den Fuß wieder aus dem Steigbügel und wandte mich langsam um.

„Keine falsche Bewegung!“, schnarrte der Lieutenant. „Sie sind verdächtig, den Captain hinterrücks erschossen zu haben. Betrachten Sie sich als festgenommen. Wie war doch Ihr Name?“

Ich seufzte. „Ronco.“

„Ronco? Was noch?“

„Nichts weiter. Meine Eltern waren Schotten.“

„Wieso Schotten?“

„Sie waren zu geizig, mir noch einen Namen zu geben.“

Selbst diesen blöden Witz kapierte er nicht. „Wollen Sie einen Offizier der Unions-Armee für dumm verkaufen?“ pfiff er mich an.

„Geht das überhaupt noch?“, fragte ich höflich zurück.

„Was wollen Sie damit sagen?“, schnappte er.

„Ich wollte damit sagen“, erwiderte ich, „dass Ihre Dummheit wohl nicht mehr zu überbieten ist, höchstens von Ihrem noch dümmeren Sergeant Maddox, dem der Schöpfer aller Dinge zwar ein gewaltiges Kinn, jedoch ein umso kleineres Gehirn geschenkt hat. Überlegen Sie mal, Sie genialer Offizier der Unions-Armee, wie blöd einer sein muss, wenn er einen Unions-Captain von ­hinten abschießt und sich dann der Mühe unterzieht, den Toten auf sein Pferd zu laden und vier bis fünf Stunden mit dieser Last durch die Nacht zu reiten, um sie beim nächsten Armee-Posten abzuliefern. Für so blöd kann mich doch nur einer halten, der statt Verstand Hafergrütze oder Pflaumenmus oder Sirup im Gehirn hat, oder?“

Jetzt konnte der Lieutenant lostoben oder schießen! Beides verhinderte der Super-Nussknacker Maddox, der meldete: „Leiche wie befohlen in den Keller unter der Küche gebracht, Sir.“

„Wie? Ach so, gut wegtreten! Nein, hierbleiben! Diesen Mann ins Stabsquartier eskortieren!“ Der Lieutenant deutete mit dem Kinn auf mich, deutete war übertrieben, er ruckte mit dem Kinn.

Das war die große Stunde für Sergeant Maddox. Er pumpte Luft in seinen Brustkasten und brüllte mich an: „Vorwärts, marsch!“

Ich schüttelte den Kopf und sagte so sanft wie möglich: „Hör auf, mich anzubrüllen, Sergeant, ich gehöre nicht zu diesem Haufen. Ich bin Zivilist. Du darfst mich allenfalls bitten, dich ins Stabsquartier zu begleiten. Und wenn überhaupt, dann gehe ich freiwillig mit, aber nicht unter Zwang.“

Ohne mich weiter um seine verbiesterte Miene oder den Lieutenant zu kümmern, marschierte ich, meinen Wallach am Zügel, in den Hof, in den sie den toten Captain getragen hatten, und steuerte auf ein Gebäude zu, vor dessen Eingang ein Posten stand.

Hinter mir hörte ich, wie der Lieutenant seine Krieger hochscheuchte, die ja nun lange genug im Dreck gelegen hatten, und einem Corporal befahl, einen Kurier zu ­Colonel Warwick zu schicken, denn er, der Lieutenant, habe 'ein verdächtiges Subjekt sichergestellt‘. Er erwarte weitere Order vom Colonel. Außerdem habe das ‚verdächtige Subjekt‘ einen erschossenen Captain abgeliefert, den er ‚zur Einsichtnahme‘ und zwecks Identifizierung im Keller ‚aufbewahre‘, dessen Kühle ein vorzeitiges Verwesen der Leiche mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindere.

Soweit der Lieutenant. Ich hörte mir das an, während ich meinen Grauen an einem Eisenring in der Mauer des Gebäudes festband.

Ich weiß heute noch genau, was ich damals dachte. Ich dachte: Hoffentlich ist dieser Colonel Warwick nicht genauso ein Holzkopf wie dieser Lieutenant.

2.

In dem Dienstraum des Stabsquartiers waren fünf Minuten später der Lieutenant, Sergeant Maddox, ein Rekrut als Posten, ein junger Second Lieutenant, ein Schreiber, Shita und ich versammelt.

Shita war der Anlass zum weiteren Krach, weil der Lieutenant verlangte, dass ‚der Köter‘ zu verschwinden habe. Dieser Einfaltspinsel von Offizier schien doch glattweg der Ansicht zu sein, der Hund könne von mir benutzt werden, geheime Botschaften an Rebellen-­Guerillas zu übermitteln.

Zweifelsohne spielte dieser verdammte Lieutenant Krieg und stürzte sich dabei in Aktivitäten, die er allem Anschein nach in West Point aufgeschnappt hatte, die aber bei dieser Gelegenheit so fehl am Platze waren wie Schmierseife zum Versüßen von Kaffee.

Ich sagte: „Der Hund bleibt bei mir.“

Der Lieutenant sagte: „Der Köter muss raus!“

„Jawohl“, sagte Sergeant Maddox, obwohl ihn keiner nach seiner Meinung gefragt hatte, „der Köter muss raus!“

„Nein“, sagte ich.

„Sergeant!“, schrie der Lieutenant, er hatte übrigens blassblaue Augen, wie ich jetzt feststellen konnte.

„Bringen Sie das Vieh nach draußen!“

„Vieh nach draußen bringen“, wiederholte der Sergeant und zirkelte, er stand links neben der Tür, eine Ehrenbezeugung, stampfte durch den Raum zu mir, ich saß auf einem Stuhl vor dem Schreibtisch, Shita hockte an meiner Seite, bückte sich und wollte Shita am Genick packen.

Er brüllte und ich grinste.

Er fuhr hoch und hielt dem Lieutenant, der hinter dem Schreibtisch saß, das rechte Handgelenk hin. Es blutete.

„Das Mistvieh hat mich gebissen!“, schrie er und schlenkerte die Hand. Ein paar Blutspritzer flogen auf den Schreibtisch.

Der Lieutenant stierte sie wie hypnotisiert an und wechselte die Farbe. Ich schloss daraus, dass er kein Blut sehen konnte.

„Sanitäter!“, schrie er.

Ich lehnte mich im Stuhl zurück und kraulte Shita den Nacken. Um mich herum war allerlei los. Nun denn, dachte ich, in diesem Haufen der Unions-Armee sitzt der Wurm, die haben nie die Front gesehen, geschweige denn einen scharfen Schuss gehört. Mit denen hat der Norden den Krieg nicht gewonnen, mit diesen Pappsoldaten bestimmt nicht.

Der Sergeant tat so, als stünde er kurz davor, über den Jordan zu gehen, dabei hatte Shita noch nicht einmal richtig zugebissen, und der Lieutenant rang, o Himmel, die Hände, weil der Sanitäter noch nicht erschienen war. Der Schreiber zitterte, der Posten war weg, um den Sanitäter zu holen, und der Second Lieutenant sah aus, als ringe er mit den Tränen. Er war noch nicht sehr alt, dieser Second Lieutenant, vielleicht etwas älter als ich. Aber Pulverdampf hatte er bestimmt noch nicht gerochen, und der Anblick vom Blei zerfetzter Leiber, verstümmelter Gliedmaßen oder entstellter Leichen war ihm bisher wohl auch erspart geblieben.

Eine Feuertaufe in diesem Stabsquartier war das weiß Gott nicht, aber sie führten sich so auf. Nur ein Hund hatte ein bisschen zugeschnappt, das war alles.

Die Tür prallte auf, der Sanitäter und der Posten stürzten herein. Shita verzog sich unter meinem Stuhl, legte sich auf den Bauch, die Schnauze auf den Vorderpfoten, und beäugte das Drama.

Nun wurde ich doch mit einem Veteranen konfrontiert. Dieser Sanitäter entpuppte sich als handfestes Raubein bester Qualität.

„Du Ochse!“, fauchte er den Posten an, nachdem er das Handgelenk des Sergeanten kurz in Augenschein ­genommen hatte. „Wegen dieser Piss-Verletzung holst du mich aus dem tiefsten Schlaf? Spinnst du? Seid ihr hier alle verrückt?“

„Dieser Mann ist schwer verletzt!“, schnarrte der Lieutenant. „Tun Sie Ihre Pflicht, Sanitäter!“

Der Sanitäter drehte sich gemütlich zu dem Lieutenant herum. „Was ist der? Schwer verletzt? Einen Scheiß ist der, Lieutenant, Sir. Den hat eine Mücke gebissen, mehr nicht.“

„Was erlauben Sie sich!“, brüllte der Lieutenant.

„Fehlt Ihnen was?“, fragte der Sanitäter sanft. „Haben Sie die Übersicht verloren, Sir? Und jetzt grinste er. „Haben Sie schon mal einen Mann gesehen, der schwer verletzt ist? Der steht nicht mehr auf den Beinen, Sir, der liegt! Und wie er liegt, daraus sehen Sie, wie schwer es ihn erwischt hat. Einer mit einem Bauchschuss liegt da wie im Leib der Mutter zusammengekrümmt, verstehen Sie? Der sieht zu, dass ihm die Gedärme nicht weiter rausrutschen, der ...“

„Schluss!“ Die Stimme des Lieutenants überschlug sich. „Hören Sie auf! Ich kann das nicht mehr hören! Gehen Sie!“

„Bitte sehr, mit Vergnügen, Sir, ich frag mich nur, warum Sie mich erst aus der Furzmulde hochscheuchen lassen, wenn ich dann wieder gehen soll. Ist das hier ein Puff, oder was ist das? Rein, raus, fertig! Mit mir nicht, Sir, mit mir nicht. Wissen Sie, was Sie können? Sie können, mich mal sonstwo!“ Der Sanitäter redete sich so richtig in Wut. „Drei Jahre habe ich vorne die Jungs aus dem Dreck geholt und versucht, zusammenzuflicken. Hunderte sind mir unter den Händen verreckt, haben nach ihren Müttern geschrien und den Krieg verflucht! Und da soll ich mich von Ihnen noch anbrüllen lassen, nur weil dieser Sack von Sergeant eine Schramme hat?“ Der Sanitäter richtete sich auf, salutierte und sagte: „Ich melde mich ab, Sir! Ich habe die Schnauze voll! Ich mache einen Friseurladen auf, da tanzt mir wenigstens keiner auf der Nase rum!“

Zack! Kehrtwendung, und damit war der Sanitäter verschwunden.

Der Lieutenant saß sprachlos und kreidebleich hinter seinem Schreibtisch. Der Sergeant starrte tiefsinnig auf sein Handgelenk, auf dem das Blut bereits geronnen war. Der Schreiber und der Posten hatten das Maul offen und Gesichter wie Mondkälber. Und der Second Lieutenant kämpfte nicht mehr mit den Tränen, sondern mit Schluckauf. Er hatte einen mageren Hals, und ich sah, wie sein Adamsapfel auf und nieder stieg.

Eigentlich hatte ich hier nichts mehr zu suchen. Es war barer Unsinn von mir gewesen, freiwillig ins Stabs­quartier zu gehen. Der tote Captain, jawohl. Aber was sich daraus entwickelt hatte, war völlig absurd und grotesk.

Der Second Lieutenant hustete und sagte: „Entschuldigung, Lieutenant Morley, Sir, gestatten Sie mir einen Hinweis?“

„Bitte sehr!“