Ronco - Die Tagebücher 27: Jagd auf Ronco - Dietmar Kuegler - E-Book

Ronco - Die Tagebücher 27: Jagd auf Ronco E-Book

Dietmar Kuegler

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Beschreibung

Bei jüdischen Kaufleuten findet Camelot Unterstützung im Kampf gegen Prinz Johann. Doch bald darauf werden zahlreiche Kaufleute grausam ermordet. Dann steht das jüdische Viertel in Flammen.Die Printausgabe umfasst 126 Buchseiten.

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Seitenzahl: 281

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RONCO

In dieser Reihe bisher erschienen

2701 Dietmar Kuegler Ich werde gejagt

2702 Dietmar Kuegler Der weiße Apache

2703 Dietmar Kuegler Tausend Gräber

2704 Dietmar Kuegler Apachenkrieg

2705 Dietmar Kuegler Das große Sterben

2706 Dietmar Kuegler Todesserenade

2707 Dietmar Kuegler Die Sonne des Todes

2708 Dietmar Kuegler Blutrache

2709 Dietmar Kuegler Zum Sterben verdammt

2710 Dietmar Kuegler Sklavenjagd

2711 Dietmar Kuegler Pony Express

2712 Dietmar Kuegler Todgeweiht

2713 Dietmar Kuegler Revolvermarshal

2714 Dietmar Kuegler Goldrausch

2715 Dietmar Kuegler Himmelfahrtskommando

2716 Dietmar Kuegler Im Fegefeuer

2717 Dietmar Kuegler Die Ratten von Savannah

2718 Dietmar Kuegler Missouri-Guerillas

2719 Dietmar Kuegler Höllenpoker

2720 Dietmar Kuegler Das Totenschiff

2721 Dietmar Kuegler Der eiserne Colonel

2722 Dietmar Kuegler Der Feuerreiter

2723 Dietmar Kuegler Die Ehre der Geächteten

2724 Dietmar Kuegler Der letzte Wagen

2725 Dietmar Kuegler Die Händler des Todes

2726 Dietmar Kuegler Das Massaker

2727 Dietmar Kuegler Jagd auf Ronco

2728 Dietmar Kuegler Gewehre für Juarez

2729 Dietmar Kuegler Der Weg nach Vera Cruz

2730 Dietmar Kuegler Am Ende aller Wege

Dietmar Kuegler

Jagd auf Ronco

Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.© 2022 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-174-8

Die Jagd auf Ronco

von Jim Elliot

März 1882

In meinen letzten Tagebuchaufzeichnungen berichtete ich von meinem Prozess, in dem ich schuldig gesprochen wurde, zweihundert Frauen und Kinder absichtlich in den Tod geführt zu haben. Ich erzählte von der schwersten Krise meines Lebens. Über Nacht war ich vom Armeescout zum Ausgestoßenen geworden, auf dessen Kopf eine Belohnung ausgesetzt war. Ich war kein Mann mehr, dessen Fähigkeiten von der Armee geschätzt und anerkannt wurden. Ich war als Verräter und Verbrecher gebrandmarkt und war tot mehr wert als lebendig, weil ich meinem Jäger einen Gewinn von fünftausend Dollar einbrachte, falls er meine Leiche bei irgendeinem ­Marshal ablieferte.

Ich war unschuldig, aber ich konnte es nicht beweisen. Ich war dem wahren Verräter auf der Spur, aber ich konnte ihn nicht überführen, weil ich offiziell für das Verbrechen verurteilt war, das andere begangen hatten.

Ich war erst zweiundzwanzig Jahre alt, hatte aber nach meinem Schuldspruch keine Daseinsberechtigung mehr. Nachdem ich mich die ersten Tage nach dem Massaker im Halcon Canyon als Versager selbst verdammt und am liebsten umgebracht hätte, weckte die Ungerechtigkeit des Verfahrens gegen mich neue Kräfte in mir. Ich versuchte, mich als Außenseiter im Leben wieder zurecht­zufinden. Meine neue Aufgabe war mir aufgezwungen wie ein Brandstempel. Ich musste die wahren Schuldigen des Massakers finden, um einen neuen Prozess anstrengen zu können, der meine Unschuld bestätigte.

Ich rechnete damals mit großen Schwierigkeiten. Ich war selbst ein Gejagter und musste mich vor der Armee, Kopfgeldjägern und Sternträgern verstecken. Gleichzeitig musste ich denjenigen jagen, für dessen Verbrechen ich mit meinem Leben büßen sollte. Ich rechnete damit, dass es Monate dauern könnte, bis ich mein Ziel erreichte, von den Menschen wieder als unbescholtener Mann akzeptiert zu werden.

Ich ahnte nicht, dass es über ein Jahrzehnt dauern würde, bis ich rehabilitiert war. Hätte ich das gewusst, wäre ich schon am ersten Tag an meiner Aufgabe verzweifelt.

Doch in jenem ersten Jahr meiner Verbannung lernte ich auch den unbändigen Willen kennen, der Menschen ergreifen kann, wenn sie für eine gerechte Sache kämpfen müssen. Es ging ja nicht allein darum, meine Unschuld zu beweisen. Ich musste auch der Gesellschaft und der Nation einen Dienst erweisen. Denn die wahren Schul­digen an dem Massaker von Halcon Canyon glaubten sich jetzt sicher vor einer Verfolgung oder Entdeckung ihrer schändlichen Tat. Sie würden von neuem Verrat begehen an ihren Mitmenschen und vielleicht noch einmal zweihundert Frauen und Kinder in den Tod schicken.

Ich wusste, dass meine neue Aufgabe eine Verpflichtung für die Gemeinschaft bedeutete. Und von diesem Tag an war bereits der Grundstein gelegt für eine Tätigkeit, die ich jetzt erfülle: Schaden abwenden von der menschlichen Gesellschaft, die ihr von Verrätern und Schädlingen des Gemeinwohls drohen. Das Verlangen nach ­Gerechtigkeit im Menschen ist keine Selbstbestätigung oder eine selbstsüchtige Sache. Es ist der Wunsch, dem anderen das gleiche Recht auf Glück, Erfüllung und Respekt einzuräumen wie sich selbst. Es ging mir nicht nur um mein Recht.

Aus meinem Willen damals, zu überleben, wurde eine Aufgabe, der ich mich heute verpflichtet fühle. Es war der Sommer des Jahres 1866, und ich war nach Arizona ausgewichen, weil ich glaubte, mein Steckbrief gelte nur in Texas. Ich sollte bald erfahren, dass das eine Illusion war. Aber ich wich nicht nur aus, sondern setzte mich gleichzeitig auf die Fährte jener Männer, die mich eines Tages zu dem wahren Schuldigen des Massakers führen musste.

1.

Ich hatte mich allmählich daran gewöhnt, auf mich selbst angewiesen zu sein wie ein Tier, das in einer wildfremden Umgebung ausgesetzt wird, wo es keine Artgenossen findet. Ich meine damit, dass ich gelernt hatte, ständig auf der Hut zu sein vor einer Gefahr, die mir von Menschen drohte. Als Individuum war ich verdammenswerter als ein Coyote. Als Kadaver war ich immerhin fünftausend Dollar wert. Und das ist mehr, als ein Fallensteller für ein ganzes Bündel wertvoller Pelze erhielt. Ich war gleichzeitig ein Nichts und ein kleines wandelndes Vermögen. Zum Glück konnte man mir nicht sofort ansehen, was ich wirklich wert war, falls man nicht zufällig meinen Steckbrief kannte. Das war mein einziger Vorteil gegenüber einem Luchs, einem Bison oder einem Coyoten.

Ich hatte kein Fell auf der Haut, an dem ein Preisschild über fünftausend Dollar baumelte. Man musste erst wissen, wer ich war, ehe ich getötet werden würde. Aber viele wussten es bereits, und so lernte ich das erste Gebot der jagdbaren Tiere: Immer auf der Hut und ständig auf der Flucht sein.

Ich war weit weg von der Sierra del Burro und von Fort Calhoun. Ich war drei Wochen durch die Llano del Chilicote geritten und durch das wüste Land der Sierra del Fierro. Das war eine gute Schulung gewesen für den Anfang. Ich war Apachen begegnet und räuberischen Mejicanos. Ich hatte einen weiten Bogen um El Paso gemacht und hatte in den Hatchet Mountains von Schlangen und Ratten gelebt Ich hatte gelernt, wie man mit Moskitos und Skorpionen zusammenleben kann. Ich hatte eine schlimme Vergiftung überstanden und ein Fieber selbst kuriert. Ich hatte gelernt, mit mir selbst und ohne fremde Hilfe zu leben. Ich glaubte, dass ich mich jenseits der Grenze von Texas in New Mexico ausruhen könnte, aber da täuschte ich mich. Ich erfuhr von einem Schmuggler aus Las Cruzes, der mich für einen Companero hielt, dass in den letzten Wochen auf dem Sierra-Madre-Plateau junge, wagemutige Männer angeworben würden, die Trecks von Planwagen mit unbekannter Ladung nachts auf Schleichwegen über die Grenze nach Mexiko brachten und sie dann irgendwo in der Wildnis stehenließen.

Erst war ich nicht besonders interessiert, mich noch weiter nach Westen durch die sengende Hölle des Sierra Madre Plateau vorzukämpfen. Aber als der Schmuggler mir den Gringo beschrieb, der die Männer für dieses Abenteuer anwerben sollte, wurde ich sofort hellhörig. Er sollte ungewöhnlich groß und bullig sein und einen Schnauzbart tragen, der eine Messernarbe auf der linken Wange halb verdeckte.

Die gleiche Beschreibung hatte ich schon einmal von Apachen am Rio Doro gehört, als von Waffen­lieferungen die Rede war. Das war kurz vor dem Massaker im ­Halcon Canyon gewesen, als ein Mann dieser Größe und mit einer solchen Narbe, die von einem Schnauzbart halb verdeckt war, in den Carrizo Mountains mit den ­Chiricahua und den Reservatsindianern heimlich verhandelt hatte. Kurz darauf waren geheimnisvolle Planwagen mit unbekannter Ladung in den Wäldern am Eagle Pass gesehen worden.

Waffenschmuggel, war mein erster Gedanke. Die Schmuggler hatten inzwischen ihre heimlichen Waffen­lieferungen bis nach Arizona und das angrenzende Sonora ausgedehnt.

„Muchas gracias, Amigo“, hatte ich dem Schmuggler gesagt und mir die Beschreibung geben lassen, wo ich mich für diesen Job bewerben und wie ich dorthin finden konnte.

„Hombre“, hatte der Schmuggler herablassend gemeint, „die Sache ist nicht ganz stubenrein, weil sie sonst ja auch nicht so gut bezahlt würde. Und deshalb kann ich dir auch keine Empfehlung mitgeben mit einem Kreuz auf der Landkarte, wo du diesen Gringo finden kannst. Wäre ja möglich, dass du damit zu einem Gendarm oder US-Marshal gehst und eine Belohnung kassierst. Ich kann dir nur einen Tipp geben: Suche in der Nähe von Vera Cruz.“

„Sprichst du von der Stadt? Soweit ich weiß, liegt die am entgegengesetzten Ende von hier.“

„Ich spreche von einem Fluss dort in der Gegend, der sogar bei dieser sengenden Hitze noch Wasser führt. Irgendwo in der Nähe dieses Flusses könnte man den Mann mit dem mächtigen Schnauzbart begegnen. Ich sage es dir nur, weil du so abgerissen aussiehst und auf einem Pferd reitest, das dringend neue Hufeisen benötigt, Ich denke, dass du ein paar Pesos oder Silberdollars ganz gut gebrauchen kannst.“

„Wie wahr, wie wahr.“

„Und besorge dir zuvor noch ein vernünftiges Gewehr. Die Apachen sind ja besser ausgerüstet als du, Amigo.“

Ich dankte ihm noch einmal und bewegte mich jetzt auf Waco zu, das im Tal des Rio Vera Cruz liegt. Wenigstens hatte ich davon gehört, dass es dort einen lebhaften Austausch von Schmuggelwaren zwischen Arizona und Sonora gäbe und setzte deshalb meine Hoffnung darauf, dort Näheres über den Schnauzbärtigen zu erfahren.

Die Grenze nach Mexiko war hier ein unbestimmtes Gelände. Sie war nur auf der Karte mit einem geraden, sauberen Strich als Scheide zwischen Mexiko und Arizona zu erkennen. In Wahrheit ist das eine bergige Wüste, mit kleinen versteckten fruchtbaren Tälern, mit Kreosotesträuchern überwucherten Canyons und eintönigen Gras- und Sandsteppen, auf denen der Wind große Wolken von Salzstaub vor sich hertreibt.

Das Land an der Grenze ist so zerklüftet und unübersichtlich, dass man sich an manchen Stellen mit dem einen Fuß auf mexikanisches und mit dem anderen auf amerikanisches Gebiet stellen kann, ohne dass das einer Grenzpatrouille von Rurales oder der US-Kavallerie auffallen würde. Nur die Apachen würden es vielleicht merken, weil sie die Grenze, die hier vor ­fünfunddreißig Jahren gar nicht existierte, für ihre Beutezüge und Fluchtbewegungen ausnutzen.

Jedenfalls suchte ich eine Woche lang vergebens nach diesem Schmugglernest Waco und fand nicht einmal den Fluss, an dem es liegen sollte. Doch dann, als ich nicht mehr wusste, ob ich noch in Arizona oder schon in Mexiko war, stieß ich durch puren Zufall auf eine heiße Spur: Tiefe Wagenspuren im Flusssand und ein paar leere Konservenbüchsen neben kalter Asche, die aus Dallas in Texas stammten, wie ich auf dem halbverbrannten Etikett noch lesen konnte.

Das elektrisierte mich. Die Spur hatte die Breite und den Radstand von Studebaker-Schonern. Es mussten zwei Wagen gewesen sein, die hier nach Südwesten mitten in einen leeren Talkessel gefahren waren, wo es weder Menschen noch Wasser oder irgendetwas Essbares gab. Die Spur war vielleicht einen halben Tag alt, und ich folgte ihr sofort, weil ich die Konservenbüchse mit dem schnauzbärtigen Schmuggler vom Rio Doro in Verbindung brachte.

Es war ein heißer Tag, und die Sonne hatte schon seit Wochen das letzte Tröpfchen Feuchtigkeit aus den Felsen und dem Sand herausgeholt. Abends lag nicht ein Hauch von Dunst über den kahlen Bergkuppen im Westen. Es war ein herrliches Farbenspiel von Ziegelrot, Violett und Blau in allen Schattierungen, vor dem sich die Yuccas mit ihren bizarren Blattspitzen als klare, scharfe Silhouetten abzeichneten. Es war Halbmond, der in meinem Rücken stand und in dieser glasklaren Luft, nachdem der Wind sich gelegt hatte, sogar noch meinen Schatten so deutlich auf dem Sand abbildete wie einen Scherenschnitt.

Ich besaß noch zehn Patronen für meinen alten Colt und zwei für meinen Spencer-Karabiner. Ich hatte keinen Zug Kavallerie mehr hinter mir, der notfalls eine Attacke reiten würde, um mich aus einer Klemme zu befreien. Ich war auf mich gestellt und musste vorsichtig sein.

Mein Pferd war auch nicht mehr so gut, wie ich es bei der Armee gewohnt gewesen war. Mascara hatte es mir besorgt, der erste Freund seit meiner Verurteilung, der trotz meiner Verbannung zu mir gehalten hatte. Dafür hatte ich einen anderen Freund verloren. Das Halbblut Jicarilla. Er war von einer Armeepatrouille zu Tode gefoltert worden, weil er mein Versteck nicht verraten wollte.

Mascara hatte mir einen Mustang besorgt, der kein Brandzeichen trug wie mein Wallach, auf dem ich ein Jahr lang als Armeescout den Fährten der Apachen und Waffenschmuggler gefolgt war. Der Mustang war zäh wie altes Büffelleder, aber nicht sehr schnell, wenn es um Tod und Leben ging. Mascara hatte in der Eile kein besseres Pferd auftreiben können.

„Du darfst ihn nicht zu sehr hetzen“, hatte der ehemalige Texas Ranger mit der Ledermaske zu mir gesagt. „Er muss gleich nach dem mexikanischen Krieg geboren worden sein. Das bedeutet, dass er keine Preise mehr beim Rodeo gewinnt. Aber dafür hat er auch kein Brandzeichen. Du darfst nicht auf einem Armeepferd reiten, das man sofort mit Fort Calhoun in Verbindung bringen kann. Ebenso gut könntest du dir deinen Steckbrief auf den Rücken kleben.“

Ich hatte meinen Wallach in einer Neumondnacht auf das Nordufer des Rio Grande zurückgebracht und ihn dort laufenlassen. Ich hoffe, er hat seinen Weg ins Fort zurückgefunden. Das war auch so ein Freund gewesen, von dem ich mich hatte trennen müssen.

Die Wagenspur bewegte sich jetzt in einer Boden­furche zwischen riesigen Schutthalden, die im Mondlicht wie harte Felsen aussahen, weil der Schatten die Unebenheiten glättete. Mein Mustang weigerte sich, diese Halden zu besteigen, als die Steine unter seinen Hufen nachgaben und zu rutschen begannen. Ich musste zwischen den Rillen reiten, die von den Wagenrädern in den Sand gepresst worden waren. Ich fühlte mich wie ein Lokomotiv­führer, der mit seinem Dampfross jeden Moment mit einem entgegenfahrenden Zug zusammenprallen kann.

Zum Glück traten die Halden am Fuß der Berghänge nach einer Weile wieder auseinander und bildeten einen Trichter, der in einem weiten Kessel mündete.

Ein paar Riesenkakteen wuchsen in meiner Nähe aus dem Geröll heraus und ragten wie schlanke Palisaden in den silberblauen Himmel. Feigendisteln rankten mit ihren grauen Stachelarmen zwischen den Joshua-­Bäumen und verbreiteten einen süß-fauligen Geruch, in das sich das herbe Aroma des Beifußes mischte. Hier gab es nichts zu holen, und doch waren zwei große Studebaker-­Schoner in diesen Kessel gefahren. Die Felsen schienen eine undurchdringliche Mauer um diesen Kessel zu bilden. Also musste er das Ziel ihrer Reise sein.

Ich reckte mich im Sattel und hielt mich so kerzen­gerade wie die schlanken Stämme der Riesenkakteen.

Über den Ranken der Feigendisteln waren rasche, auf und ab tanzende Schatten aufgetaucht, die sich auf mich zu bewegten. Ich zählte zehn, zwölf Reiter, die sich so sicher und mühelos in dem Gestrüpp aus ­Stachelgewächsen und Beifuß zurechtfanden, als wären sie in diesem abgelegenen Talkessel zu Hause.

Zwölf Apachen ritten auf ihren kleinen Ponys auf mich zu. Sie hatten mich längst erkannt, und es hatte keinen Sinn mehr, mich wie eine Gottesanbeterin zu benehmen, die sich der Umgebung anpasst, um unentdeckt zu bleiben.

Ich, wie gesagt, hatte noch wenige Ladungen im Navy-Colt. Mein Gesicht musste eine grinsende Grimasse gewesen sein, während meine Hände zitterten, weil sie sich einem Willen fügen mussten, den sie nicht verstanden.

„Zieh doch endlich!“, schienen sie mir zuzurufen. „Willst du dich wie ein Tier abschlachten lassen?“

Dann waren sie schon bei mir, eine Wolke wirbelnder Schatten, die sich rasch zusammenzog, weil keine zwei Reiter nebeneinander den engen Ausgang des Talkessels passieren konnten. Sie waren alle bepackt wie die Mulis von Goldgräbern, die sich ein paar Monate lang in den Bergen selbst versorgen müssen.

Der Anführer des Trupps bog vom Trail ab, der unter mir vorbeiführte, und ritt direkt auf mich zu. Er saß auf einem Pinto, der im Mondlicht mit seinem weiß-schwarz gemusterten Fell auf mich wirkte, als hätte man ihn aus zwei Pferden zusammengestückelt. Auch der Apache schien aus zwei nicht zusammenpassenden Hälften zu bestehen. Er trug unten Mokassins, und seine Beine waren bis zur Hüfte hinauf nackt und wie eingebacken in roten Lehm. Von der Hüfte an aufwärts ringelten sich Patronengurte um seine nackte Brust, und über seine Schultern ragten vier Gewehrläufe über seinen schwarzen Scheitel hinaus. In der linken Hand hielt er noch ein Gewehr. Es war ein nagelneuer Spencer, mit dem er auf meine Brust zielte.

Ich sah dann nur noch seine dunklen glänzenden Augen über dem weißen Ockerstreifen, der quer über seine breiten Wangenknochen lief.

„Ko-shan-ka-pin-ka?“, fragte er rau und verächtlich.

Ich bewegte zwar die Zunge, brachte aber keinen Laut hervor. Ich sah, wie er ein paarmal den dunklen Finger über dem Abzug der Waffe krümmte, aber ich saß immer noch grinsend auf meinem Mustang. Es war ein ganz neues Modell mit einer Sicherung. Oder er hatte in seiner Begeisterung über diese neue Waffe vergessen, zu laden. Ich hatte ihn sogar verstanden, und zum Glück beherrschte ich auch die Mescalero-Sprache so gut, dass ich ihm antworten konnte.

„Ja“, erwiderte ich heiser, „ich gehöre auch zu diesen Leuten.“

Er tippte mich noch einmal mit dem Gewehrlauf an und krümmte den Zeigefinger, als wolle er andeuten, dass er nur dieses eine Mal mein Leben schonte, weil er sich an irgendeine Vereinbarung halten musste. Dann schlug er dem Pinto die Fersen wieder ins Fell und ritt auf den Ausgang des Kessels zu, während hinter den dunklen Ranken der Feigendisteln die kompakte Rundung eines Planwagens auftauchte.

Ich schluckte ein paarmal und drängte meinen Mustang zwischen die Stämme der Riesenkakteen.

*

Der Schnauzbärtige war nicht bei den Wagen. Sie bewegten sich nach Nordosten und benutzten einen engen ­Canyon, der von der alten Spur abwich. Ich folgte den beiden Wagen, die von acht Männern begleitet wurden, im ­großen Abstand. Die Apachen waren nach Süden abgebogen, tiefer in das menschenleere Plateau an der Grenze von Arizona hinein.

Im Morgengrauen öffnete sich die Schlucht auf ein breites Tal, das sich wie ein grüner Teppich durch die braunroten, kahlen Felsen von Norden nach Süden erstreckte. Yuccas und Beifuß wurden von mannshohen Maisstauden und Obstbäumen abgelöst. Auf den Rücken zweier kleiner Hügel, die aus dem üppigen Grün herausragten, bemerkte ich das Gestänge von Windrädern, die das Wasser aus dem Fluss auf die Felder am Hang hinaufpumpten, dem dieses Tal in der Wüste der Sierra Madre seine Fruchtbarkeit verdankte.

Ich hatte Mühe, von nun an die beiden Wagen zu verfolgen, die in der Nacht in einer versteckten Senke auf dem Plateau der Sierra Madre Waffen und Munition an die Apachen ausgeliefert hatten. Die Obstbäume und Maisstauden waren eine dunkelgrüne Mauer, die mir sogar die Sicht auf den Fluss versperrte. Ich hörte ihn nur und tränkte auch meinen Mustang in seinem ­Wasser, als ich den Turm einer Windradpumpe erreichte, die einen Bewässerungsgraben in einem Maisfeld speiste.

Die Wagen waren in einen schmalen Feldweg eingebogen, der nach Norden führte. Ich entdeckte ein Schild aus Holz mit eingebrannten Buchstaben neben der Windrad­pumpe, die klares, lauwarmes Wasser in kleinen Stößen in eine schmale Steinrinne spuckte. „Reston Farm, Rio Vera Cruz“, stand darauf. Und darunter ein Pfeil, der hangabwärts in den Mais deutete.

Ich schien mich also wieder auf dem Territorium der Vereinigten Staaten zu befinden. Das mahnte mich zu doppelter Vorsicht. Meine sonnenverbrannte Haut war immerhin fünftausend Dollar wert.

Eine Stunde lang folgte die Wagenspur dem Flusslauf des Rio Vera Cruz. Dann, kurz nach Sonnenaufgang, bog sie nach Osten in eine flache Senke ein, die über den Obstgärten am Talhang wie eine Terrasse zwischen den rotbraunen Felsen hing.

Ich musste an die Apachen denken, als ich zögernd der Spur folgte. Wenn ich einem der zehn Männer begegnete, die zu dem Schmuggeltransport gehörten, würde er nur ein Gewehr auf mich anlegen, doch das würde todsicher geladen und entsichert sein. Auch diese Senke schien nur einen Ausgang zu haben. Aber der Zugang wurde nicht von hohen Schutthalden eingeengt wie der Trail in der Senke auf dem Hochplateau. Er war breit genug, dass fünf Wagen nebeneinander hätten fahren können. Die Flanken der Fahrspur waren mit verwilderten Wein­ranken und Kirschbäumen bestanden: Ein grünes, verfilztes Dickicht, das noch im Schatten der Felsen lag.

Ich drängte den Mustang in das Dickicht und fand einen Trampelpfad, der um die Senke herumführte und sich dann zwischen den Felsen verlor. Er war breit genug für mich und den Mustang, dass ich nicht überall an den Zweigen entlangstreifte und die Männer, die dort eine Rast einlegten, mit dem Geräusch berstender Äste warnte.

Als ich die Senke zur Hälfte umrundet hatte, stieß ich auf eine kleine Schneise in dem Gestrüpp. Sie führte schnurgerade auf ein Gebäude zu, das im Morgenlicht wie Kupfer leuchtete. Es war ein zweistöckiges Haus, mit rotem Lehm zwischen silbergrau verwitterten Holzbalken und einem Dach, das sich durchbog wie der Rücken einer alten Stute, die jedes Jahr ein Fohlen geworfen hat. In den Fensterhöhlen wucherten Gras und Silberdisteln. Ein Holzschuppen stand daneben, windschief und halb erdrückt von wild wuchernden Ziersträuchern.

Ich entdeckte auch ein verrostetes Windradgestänge, das seinen Kopf verloren hatte, ein paar morsche Zaunpfähle und ein zerbrochenes Wagenrad neben einer Brunnenfassung aus Feldsteinen. Anscheinend war diese Obstfarm am Rand des Vera-Cruz-Tales schon seit Jahren verlassen oder aufgegeben worden.

Während ich die schnurgerade Schneise hinunterblickte, offenbar ein ehemaliger Wirtschaftsweg durch die Plantage, den die Natur sich wieder zurückerobert hatte, sah ich einen Mann um die Ecke des zweistöckigen Baumstammgebäudes biegen. Ich drängte sofort meinen Mustang in den Schatten der Kirschsträucher. Er war zu weit von mir entfernt, als dass ich Einzelheiten hätte erkennen können. Aber er musste zu den Schmugglern gehören, die ich nun schon über zwölf Stunden über das Plateau nach Norden verfolgt hatte. Im Dunkeln hatte ich sie nur zählen können, jetzt vermochte ich auch die Kleidung und die Hautfarbe zu erkennen.

Der Mann trug einen Eimer in der Hand, an das ein Lasso gebunden war, das er locker über die Schulter gerollt hatte. Er ging auf den Brunnen zu. Ich sah, wie er sich über den Rand der Fassung beugte und den Eimer hinunterließ. Er war in seine Arbeit vertieft, zog den Eimer mit raschen Handbewegungen wieder aus dem Schacht heraus, stellte ihn auf den Brunnenrand und tauchte sein Gesicht hinein. Er schüttelte sich das Wasser aus dem Gesicht, nahm den Eimer wieder in die rechte Hand und verschwand aus meinem Gesichtsfeld, als er um die Hausecke bog.

Nach einer Weile wiederholte sich das Spiel und dann noch einmal. Der Eimer blieb derselbe, nur die Männer wechselten. Einer von ihnen hielt nicht viel von Morgenwäsche. Er spülte nur seinen Mund aus und spuckte das Wasser in den Brunnen zurück.

Ich kriege allmählich eine Genickstarre davon, dass ich still auf dem Pferd sitzen und in eine Richtung blicken musste. Offenbar hatten diese Schmuggler nichts davon bemerkt, dass sie verfolgt wurden. Als der fünfte Mann sich seinen Eimer Wasser aus dem Brunnen geholt hatte, fiel mir etwas auf, was sie alle gemeinsam hatten. Jeder war irgendwie anders gekleidet, als hätten sie sich nur zufällig zusammengefunden, und doch wieder nicht so unterschiedlich, dass sie nicht auf einen Nenner gebracht werden konnten. Ich versuchte, mir über diesen gemeinsamen Nenner klarzuwerden. Sie sahen aus wie Männer, die fremd in dieser Gegend waren und von weither kamen, und doch schienen sie diese verlassene Farm so gut zu kennen, dass sie sich darauf bewegten, als wären sie hier zu Hause.

Die Sonne stieg über den Rand der Felsen, die das Tal einschlossen. Es wurde rasch drückend heiß, und Schwärme von kleinen Stechfliegen fielen über mich und meinen Mustang her. Ich hatte Hunger, und die Strapazen der vergangenen Wochen steckten mir in den Knochen. Wären die Plagegeister nicht gewesen, wäre ich wahrscheinlich auf meinem Pferd eingeschlafen und aus dem Sattel gefallen.

Als ich anfing, das Haus und den Brunnen doppelt zu sehen, hörte ich das Knarren von Rädern und das Klirren von Gespannketten. Kurz darauf kamen wieder die beiden Studebaker-Schoner in Sicht und die Männer, die ich nun einen halben Morgen aus einem mückenverseuchten Versteck heraus beobachtet hatte.

Sie lenkten wieder auf den Trail zurück, der sie in die Senke geführt hatte. Sie hatten offenbar nur eine Rast eingelegt, um ihre Pferde zu tränken. Doch dafür hatte sie eigentlich zu lange gedauert.

Als das Knarren der Räder leiser wurde, überlegte ich, was ich nun tun sollte. Bei Tageslicht musste ich den Abstand zu den Schmugglern noch vergrößern. Mein Mustang hatte das Gras und die Blätter in meinem Versteck abgeweidet und sich recht geduldig verhalten. Aber ich sah ihm an, dass ich ihm keine scharfe Gangart mehr zumuten durfte, weil er mir sonst vor Entkräftung zusammenbrach.

Ich starrte hinunter auf das Haus, das mich mit seinen leeren Fensterhöhlen einzuladen schien. Ein zum Tode verurteilter Flüchtling darf nicht wählerisch sein, überlegte ich. Vielleicht konnte ich den Mustang eine Weile in dem verwilderten Garten weiden lassen und im Schatten der Hauswand ein paar Stunden schlafen. Möglicherweise gab es hier auch ein paar Vorräte, ein paar Konserven vielleicht, die die Schmuggler zurückgelassen hatten.

Ich ritt auf dem Trampelpfad weiter und wollte erst das halb verfallene Anwesen ganz umrunden, ehe ich mich in die Nähe des Wohnhauses wagte. Ich traf wieder auf eine von Unkraut überwucherte Schneise, die schnur­gerade auf das Haus zulief. Diesmal sah ich eine Scheune, die sich im rechten Winkel an das Wohnhaus lehnte. Sie bestand nur aus Brettern und Balken, schien aber viel solider zu sein als das Lehmgebäude daneben.

Die Hitze und Mückenplage wurden immer schlimmer. Zum Teufel, dachte ich, die Männer sind ­wieder ­abgezogen. Nichts regte sich hinter den schmalen Fenster­vierecken, und aus dem Schornstein stieg kein Rauch. Ich hörte nur das helle, ekelhafte Singen der Mücken in meinen Ohren, als ich auf die Scheune zuritt.

Das Gatter hinter der Scheune bestand nur aus morschen Überresten. Die Koppel dahinter war keine Weide mehr, sondern ein Dschungel aus Nesseln und Disteln. Ich sah die Fährte einer Bergziege und die Losung eines Hasen. Ich bemerkte, dass die Scheunenwand vor gar nicht langer Zeit mit frischen Brettern ausgebessert worden war, aber ich konnte weder Pferde- noch Eselsspuren auf der Koppel entdecken. Die Flügel des Tores, das auf die Koppel hinausführte, waren nicht ganz geschlossen. Ein kleiner Heckenrosenstrauch hatte sich zwischen den klaffenden Torflügeln ausgebreitet. Das war für mich ein beruhigendes Zeichen und bewog mich, bis an die Scheune heranzureiten.

Ich schob die Dornenranken zur Seite, blickte in die Scheune und sah eine Tenne, auf der ein paar Kisten und Gerümpel gestapelt waren. Die Kisten waren so neu wie die Bretter, mit denen die Wand ausgebessert worden war. Das Gerümpel bestand aus ein paar alten Tischen, Truhen und einem von Holzwürmern ausgeweideten Schrank.

Die Kisten trugen frische Brandstempel aus Dallas im Staat Texas.

Die Morgensonne sickerte durch die Wandritzen und zog gelbe Streifen über die Kisten und den Plunder. Ich sah noch einen Haufen vermoderten Heus und eine Menge Spinnweben an den Balken, die das Dach trugen. Der Plunder und die Spinnen ließen mich kalt, aber die Kisten elektrisierten mich.

Ich trieb den Mustang um die Scheune und traf auf die Wagenspuren auf dem Hof. Sie waren nacheinander in die Scheune gefahren. Die Spuren saßen aufeinander, als wäre es nur ein Wagen gewesen.

Ich blickte mich noch einmal um. Das dichte Grün der verwilderten Obstplantage schirmte mich wie eine Mauer gegen das Tal hin ab. Die Sonne schaute mir über dem braunroten Gürtel der Klippen zu, aber sie scheint bekanntlich über Böse und Gute gleichermaßen. Das ehemalige Wohnhaus der Plantage glich einem Totenschädel, aus dessen Augenhöhlen Haarbüschel wachsen. Es hatte nicht einmal eine Tür.

Ich sah eine große Ratte, die auf der morschen Treppe saß, die gelben Zähne halb entblößt, als wolle sie ihre Wohnung notfalls gegen Menschen verteidigen. Ich sah nichts, was mich beunruhigen konnte, und ich schwang mich aus dem Sattel und band meinen Mustang an den Kirschbaum, der auf dem Hof tausend Zweige trieb, weil ihn seit Jahren keine Menschenhand mehr beschnitten hatte.

Auch das Tor an der Vorderseite war mit frischem Holz ausgebessert worden. Der Riegelbalken bewegte sich lautlos und leicht in einem Zapfenlager. Ich öffnete es nur so weit, dass ich zwischen den Türflügeln hindurchschlüpfen konnte. Die Wagenspur setzte sich hier im Staub fort, der mit vielen Stiefelabdrücken übersät war. Der Kistenstapel zog mich an wie ein Magnet.

Flache, längliche Kisten, drei Dutzend mindestens. Angefertigt aus frischem Kiefernholz, aus dem noch das Harz quoll. Holz, das zum Ausbessern der Scheune verwendet worden war, wenn die Bretter nicht länger sein mussten als zwei Yards. Und alle Kisten zeigten auf dem Deckel die gleiche Brandschrift: „Dallas-Shipping-Company, Hardware and Tools.“

Drei Dutzend Kisten mindestens, hastig abgeladen und auch schonungslos geöffnet. Die meisten Kistendeckel waren entweder eingetreten oder mit einem schweren Gegenstand eingeschlagen worden. Ich erinnerte mich an die wilde Gier und Freude des Apachen, der mir ein nagelneues Gewehr gegen die Brust gedrückt hatte, während Funken in seinen dunklen Augen tanzten, wenn er den Abzug betätigte. Den Abzug eines ungeladenen Gewehrs, erinnerte ich mich wieder. Er war begeistert gewesen von dem mächtigen Zauber, den er in der Hand hielt, und den vier anderen Donnerbüchsen, die er sich über die Schultern gehängt hatte. Die anderen Apachen hatten nur vier Gewehre tragen dürfen, weil er der Häuptling war und eine größere Macht und Auszeichnung beanspruchte. Die Apachen hatten es nicht erwarten können, die Gewehre in Ruhe auszupacken. Sie waren über die Kisten hergefallen wie halbverhungerte Coyoten über ein junges Schaf.

Hardware and Tools, dachte ich bitter. Waffen, die als Werkzeuge und Nägel oder Bolzen deklariert waren. Ein dummer, aber immer noch wirkungsvoller Trick. Aber leere Kisten waren kein Beweis. Ich war als Armeescout ein paarmal auf solche Kisten gestoßen, die immer wieder die Aufschrift einer anderen Frachtgesellschaft getragen hatten. Doch der Inhalt war jedes Mal gleich: Waffen für die Indianer. Ich brauchte Beweise!

Ich trat an den Kistenstapel heran. Sie rochen nach Rapsöl und Waffenfett. Ich entdeckte etwas Dunkles, Kantiges auf dem hellen Grund der Fichtenbretter, hob das Bein und angelte mir die Kiste mit der Stiefelkappe heran. Es rumpelte etwas, aber ich war viel zu erregt, um mich noch mit solchen Umständen wie Geräuschdämpfung oder Rücksichtnahme auf meine Sicherheit aufzuhalten. Ich riss den eingetretenen Deckel ganz herunter und sah den dunkel gebeizten Schaft eines Spencer-­Karabiners vor mir. Er war am Handschutz abgebrochen.

Ich glaube, meine Augen mussten in diesem Moment geleuchtet haben wie die Sonne über den Klippen der Sierra Madre. Endlich hatte ich den Beweis, dass eine Kiste mit bestimmtem Ursprungszeugnis eine falsche Ware enthielt. Eine gefährliche Ware, die zu verbrecherischen Zwecken benutzt wurde. Ich hatte die Empfänger dieser Ware gesehen und die Männer, die sie ausgeliefert hatten. Ich brauchte nur diese Kiste mit dem gesplitterten Schaft mitzunehmen, nach Fort Calhoun zurückzureiten und einen neuen Prozess anzustrengen. Ich hatte einen Beweis für meine Unschuld, und bald würde ich wieder ein Mann sein, der so frei und ungezwungen leben durfte, wie es sich für einen unbescholtenen Menschen meines Alters gehört. Ich brauchte mich nur zu bücken, die Kiste aufzuheben und ...

„Ay si te coyo! ‒ Wenn ich dich erwische!“

Ich hatte bereits die Hand nach dem Gewehrschaft ausgestreckt, als ich die Stimme hinter mir hörte. Ein frostiger Schauer lief mir das Rückgrat hinunter.

„Uii“, ertönte eine Stimme von der Seite, „schau mal, wie er sich freut!“

Und dieser Schauer, der bis in meine Zehen hinunterlief, als ich die zweite Stimme hörte, verwandelte sich in einen elektrischen Stoß, der in meinem Gehirn eine Warnlampe aufglühen ließ. Ich spürte mehr die ­Bewegung rechts von mir, als ich sie sah. Und ich warf mich hinunter, statt mich zu bücken.

Eine Kugel fauchte über mich weg und schlug in den Plunder, der links neben mir in einem wirren Haufen aufgeschichtet war. Staub wirbelte auf, der Donner des Schusses sprang zwischen den Dachbalken hin und her. Ich rollte von den Kisten weg, unter einen Tisch, der zu den aufgeschichteten Möbeln gehörte, als eine zweite Kugel an der Stelle einschlug, wo ich eben noch gelegen hatte. Der Staub sprühte mir in Augen und Mund. Der Schuss war hinter mir abgefeuert worden, und ich hatte nicht eine Atempause, um meinen Colt aus dem Leder ziehen zu können.

Eine dicke Spinne floh über meine Hand, aufgeschreckt von der Erschütterung, die die schweren 45er Kugeln in den alten Tennenbohlen wachriefen. In der dicken Staubwolke, die mit Pulverdampf durchsetzt war, konnte ich die Männer, die mich unter Feuer nahmen, nur schemenhaft erkennen. Es waren zwei Mexikaner, was aus ihren Anrufen ja bereits zu vermuten war, ehe ich sie sah. Aber es waren Mexikaner, wie ich sie in den letzten Monaten jenseits der Grenze entlang des Rio Grande nur zu oft kennen und fürchten gelernt hatte. Männer in zerschlissenen Pluderhosen und zerlumpten Blusen, aber mit prall gefüllten Patronengürteln und scharfgeschliffenen, gefetteten Messern in Lederscheiden, die sie im Stiefelschaft oder am Lederriemen zwei Handbreit unter der Achsel trugen. Mexikaner, die penetrant nach Knoblauch und ranzigem Fett rochen und sich die Hände an den langen schwarzen Haaren abwischten, die ihnen bis zu den Schulterblättern hinunterfielen.

Es waren die „Expulsados“, wie sie sich nannten. Heimatlose Gesellen, die irgendwo etwas ausgefressen ­hatten und von den Gendarmen gejagt wurden. Sie verkauften sich für ein paar Pesos und ein Butterbrot an jeden, der sie haben wollte. Und wenn ihre Auftraggeber nicht rechtzeitig bezahlten, fand man sie irgendwo mit durchschnittener Kehle auf und mit einem großen E, das auf ihren Rücken in das Rippenfell eingeschnitzt war als Warnung für jeden, sich mit diesen Tagelöhner-Banditen einzulassen.

Ich hatte von ihnen nichts zu erwarten als eine rote Kehle und ein paar Gramm Blei zwischen den Rippen.

Durch den wogenden Schleier, den die hereinsickernde Sonne mit grellen Streifen durchsetzte, sah ich auch die beiden Löcher im modrigen Heu. Die beiden mussten dort geschlafen oder sich versteckt haben, als sie mich auf den Hof reiten hörten. Und jetzt waren sie aus dem Komposthaufen herausgekrochen wie Ratten, die eine fette Beute erlegen wollen.

„Muerte! Tod dem Gringo!“, hörte ich den einen heiser rufen, ehe der Peacemaker in seiner schmutzigen Hand wieder eine armlange Flamme ausspuckte. Zum Glück schossen sie nicht gleichzeitig, und so konnte ich der Kugel noch einmal ausweichen.