Ronco - Die Tagebücher 26: Das Massaker - Dietmar Kuegler - E-Book

Ronco - Die Tagebücher 26: Das Massaker E-Book

Dietmar Kuegler

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Beschreibung

Camelot versucht, seine Schwester Marg ausfindig zu machen, die an einem geheimen Ort gefangen gehalten wird. Zusammen mit dem Zwerg Ginko und seinem Knappen Eric gelingt es Camelot, Marg zu befreien. Aber nun wird er gejagt.Die Printausgabe umfasst 128 Buchseiten.

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Seitenzahl: 291

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RONCO

In dieser Reihe bisher erschienen

2701 Dietmar Kuegler Ich werde gejagt

2702 Dietmar Kuegler Der weiße Apache

2703 Dietmar Kuegler Tausend Gräber

2704 Dietmar Kuegler Apachenkrieg

2705 Dietmar Kuegler Das große Sterben

2706 Dietmar Kuegler Todesserenade

2707 Dietmar Kuegler Die Sonne des Todes

2708 Dietmar Kuegler Blutrache

2709 Dietmar Kuegler Zum Sterben verdammt

2710 Dietmar Kuegler Sklavenjagd

2711 Dietmar Kuegler Pony Express

2712 Dietmar Kuegler Todgeweiht

2713 Dietmar Kuegler Revolvermarshal

2714 Dietmar Kuegler Goldrausch

2715 Dietmar Kuegler Himmelfahrtskommando

2716 Dietmar Kuegler Im Fegefeuer

2717 Dietmar Kuegler Die Ratten von Savannah

2718 Dietmar Kuegler Missouri-Guerillas

2719 Dietmar Kuegler Höllenpoker

2720 Dietmar Kuegler Das Totenschiff

2721 Dietmar Kuegler Der eiserne Colonel

2722 Dietmar Kuegler Der Feuerreiter

2723 Dietmar Kuegler Die Ehre der Geächteten

2724 Dietmar Kuegler Der letzte Wagen

2725 Dietmar Kuegler Die Händler des Todes

2726 Dietmar Kuegler Das Massaker

Dietmar Kuegler

Das Massaker

Diese Reihe erscheint als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2022 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-173-1Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Das Massaker

von Dietmar Kuegler

10. Februar 1882.

Gerade habe ich noch einmal gelesen, was ich zuletzt in mein Tagebuch geschrieben habe. Stichwortartig, mit wenigen Sätzen schreibe ich alles nieder, was mir im Verlauf meines Lebens bislang widerfahren ist. Ich hoffe, dass diejenigen, die diese Aufzeichnungen eines Tages lesen, vor allem natürlich die für die sie bestimmt sind, verstehen werden, was für Empfindungen hinter meinen knappen Beschreibungen stehen.

Ich bin froh, gerade jetzt weiterschreiben zu können, denn nachdem ich meine letzten Eintragungen überflogen habe, fühle ich mich innerlich aufgewühlt und erregt.

Alles steht wieder vor mir, wie es damals war, im Sommer 1866 im südlichen Texas: die hungernden Apachen in der Reservation am Rio Doro, die zynische Erpressungspolitik der Indianerbehörden, der schamlose Betrug und Vertragsbruch durch weiße Beamte und der Mord an dem alten Häuptling Taglio, jenem Mann, der mäßigend gewirkt und trotz aller empörenden Begebenheiten immer zum Frieden und zur Geduld gemahnt hatte.

Der weise Führer war tot, und der Mord an ihm war der letzte Anstoß für die folgenden grauenvollen Ereignisse, die für mich von ganz besonderer schicksalhafter Bedeutung waren.

Die Geschehnisse überstürzten sich. Ich hatte keinen richtigen Überblick mehr. Zuviel geschah zur selben Zeit. Hinzu kam, dass ich damals die Hintergründe nicht alle kannte, die ich im Verlauf von Jahren schließlich herausfand.

Ich habe nichts vergessen, keinen Tag, nichts, dessen Zeuge ich wurde. Am Ende war ich auch der Leidtragende, aber davon ahnte ich am Anfang nichts. Ich war voller Wut über die demütigende Behandlung, die dem Stamm Taglios zuteilgeworden war, erbittert und verzweifelt über den Mord an dem alten Häuptling. An mich dachte ich dabei zuletzt. Mich betraf das alles ja nur insoweit, als ich Informationen zusammenzutragen und Schlüsse daraus zu ziehen hatte. Ich dachte nicht daran, dass ich mit meinen Aktivitäten in den zurückliegenden Monaten einigen Leuten ziemlich auf die Nerven gegangen war. Ich hatte in ein Wespennest gestochen. durch die Ausschaltung eines einflussreichen Beamten des Innenministeriums, der mit den Indianerhändlern zusammengearbeitet hatte, hatte ich mir die Männer, die mit schmutzigen Geschäften an der Grenze ihr Geld verdienten, zu Feinden gemacht. Trotzdem hielt ich es nicht für möglich, zur Zielscheibe eines Komplotts zu werden. Ich hielt mich für zu unbedeutend, für zu klein.

Obwohl ich nach allem, was passiert war, nur wenig Hoffnung hatte, dass sich an der verfahrenen Situation noch etwas ändern ließ, ging ich mit großem Eifer daran, nach dem Mörder von Taglio zu suchen. Ich war dabei sicher, dass es keiner der Farmer aus dem Rio-Doro-Gebiet gewesen war.

Ich lief einer Illusion nach. Heute weiß ich, dass ich die Entwicklung der Dinge auch dann nicht hätte aufhalten können, wenn ich den Mann gefunden hätte und er vor ein Gericht gestellt worden wäre. Es war nichts mehr zu ändern. Alles nahm seinen Lauf.

1.

Die Feuerstelle war kalt. Der Westwind stieß hinein und wirbelte die zu Staub zerfallene graue Asche hoch und mit sich fort. Nur die großen Feldsteine, die zu einem Kreis um die flache Mulde gelegt worden waren, in der das Feuer gebrannt hatte, blieben liegen. Sie waren an den Innenseiten rußgeschwärzt.

Der Wind verwehte auch die übrigen Spuren, die die Männer hinterlassen hatten, die hier gelagert hatten. Ich schätzte, dass das Lager vor zwei oder drei Tagen abgebrochen worden war.

Ich saß müde im Sattel und blickte mich um. Busch­bewachsene Hügel buckelten sich in der Nähe, keine dreißig Yards entfernt begann ein dicht verfilzter Waldgürtel. Das Land war karg, der Boden hart. Das Gras, das hier wuchs, war braun. Bei den meisten Pflanzen handelte es sich um Stachelgewächse, mannshohe Yuccapflanzen und hier und da etwas bunten Salbei.

Zehn Meilen hinter der mexikanischen Grenze: Ich hatte das Lager der Waffenschmuggler gefunden, aber sie waren ausgeflogen. Bis vor zwei oder drei Tagen hatte hier noch jener Mann gelebt, der Taglio auf dem Gewissen hatte. Ich fragte mich, was für ein Mann das war, der es fertigbrachte, einen steinalten, nahezu hilflosen Mann aus dem Hinterhalt abzuknallen.

Ich musste mich in Acht nehmen. Nicht nur vor den Schmugglern, die sich noch in der Nähe aufhalten konnten, auch vor Patrouillen der Federales oder der Rurales. Ich war ein großes Risiko eingegangen, und wenn ich geschnappt wurde, landete ich in einem ­mexikanischen Kerker, wenn ich nicht gleich erschossen wurde.

Ich zog mein Spencer-Gewehr aus dem Scabbard und glitt etwas steifbeinig aus dem Sattel. Langsam ging ich umher und betrachtete die verbliebenen Spuren. Neben der Feuerstelle blieb ich stehen.

Unweit davon mussten zwei Zelte gestanden haben. Daneben entdeckte ich die Abdrücke von Wagenrädern im Boden.

Der Wagen war offenbar schwer beladen gewesen. Die Abdrücke der Räder waren tief. Es war die am besten erhaltene Fährte im Camp. Ich brauchte nicht viel Fantasie, um mir vorzustellen, was der Wagen geladen hatte.

Hier war nichts mehr zu holen. Ich vergeudete meine Zeit. Seit ich die Grenze überschritten hatte, nagte in mir das Gefühl, dass das, was ich tat, sinnlos war. Ich weigerte mich lediglich, es mir einzugestehen und verdrängte die düsteren Gedanken. Aber sie kehrten beharrlich wieder zurück.

Ich schwang mich in den Sattel und trieb meinen Hengst an. Das Pferd war genauso müde wie ich. Aber ich konnte weder ihm noch mir eine Pause gönnen.

Ich ritt an der kalten Feuerstelle vorbei und versuchte, der Fährte des Wagens zu folgen. Die Hufspuren der Reiter, die ihn begleitet hatten, waren kaum noch zu erkennen. Ein Stück nordöstlich des Camps wurde auch die Wagenfährte zusehends schwächer, der Boden wurde härter. Ich gab dennoch nicht auf.

Mir war klar, wohin der Weg der Reiter geführt hatte, und ich dachte an die Apachen in der Reservation. Bitterkeit stieg in mir auf. Warum begriffen sie nicht, auf was sie sich einließen?

Auf dem Wagen lagen Waffen, und diese Waffen würden bald in der Reservation sein. Vielleicht war es zu viel verlangt, dass die Krieger ruhig und überlegt handeln sollten. Nach allem, was ihnen widerfahren war, konnte ich sie verstehen. Was ich nicht verstand, war, dass sie sich von denselben Leuten Waffen liefern ließen, die sie in einen Aufstand trieben. Dass sie mit den Männern einen Pakt abschlossen, die Schuld an ihrem elenden Zustand waren und die nur ein Interesse hatten: Die in die Enge getriebenen Stämme in den Untergang zu schicken.

Die Mörder des alten Taglio lieferten dem Stamm des Häuptlings Waffen. Es war eine bittere Ironie. Resig­nation erfasste mich.

Ich folgte der Fährte des Wagens dennoch, nur, um mir selbst zu bestätigen, dass meine Vermutungen zutrafen. Mir war längst klar, dass ich nichts mehr ändern konnte.

Der Wagen war auf die Grenze zugerollt. Die Fährte führte in gerader Linie auf die Reservation der Apachen zu.

Ich ritt Stunde um Stunde. Der Boden wurde immer steiniger. Unvermittelt hörte die Spur auf. Der Rio Grande war nahe. Ich fand die Fährte nicht mehr. Trotzdem gab es für mich nur noch wenige offene Fragen.

Ich zog mein Pferd herum. Die Waffen auf dem Wagen waren längst am Ziel. Die Männer, die das alles eingefädelt und ausgeführt hatten, waren bestimmt nicht mehr in meiner Reichweite. Sie hatten es wahrscheinlich vorgezogen, ein Gebiet, in dem die Luft nach Krieg schmeckte, schleunigst zu verlassen. Sie hatten ihre Schuldigkeit getan und konnten der Entwicklung ihren Lauf lassen.

Auch der Mörder Taglios war fort.

Ich gab auf. Was sollte ich tun? Ich war an meine Grenzen gestoßen und hatte feststellen müssen, wie machtlos ich im Grunde war und wie wenig Vernunft ausrichten konnte. Nicht einmal Taglios Mörder konnte ich zur Verantwortung ziehen. Mir blieb nichts weiter, als nach Fort Calhoun zurückzureiten und zu melden, was ich gesehen hatte.

Als ich den Rio Grande durchfurtete und wieder amerikanischen Boden erreichte, ging die Sonne unter.

Heiße Luft lag wie ein unsichtbarer Schleier über der Ebene. Es regte sich kein Windhauch. Nur nach und nach wurde es kühler. Ich merkte es kaum. In Gedanken versunken ritt ich weiter. Noch weigerte ich mich, an das Schlimmste zu denken. Noch glaubte ich, auf irgendeine Weise die Indianer besänftigen und den Frieden bewahren zu können. Aber mir war klar, dass hierzu der erste Schritt von der Armee und von den Indianerbehörden ausgehen musste. Ich zweifelte nur daran, ob es dazu kommen würde. Die begriffen nichts. Die waren gefangenen in ihrer bürokratischen Lebenswelt, die von der Wirklichkeit so weit entfernt war wie der Mond. Dunkelheit umfing mich, und ich achtete kaum auf meinen Weg.

*

Als ich das langgestreckte Stallgebäude von Fort ­Calhoun verließ, lag die Mittagshitze brütend über dem Exerzierplatz. Ich sah nur ein paar Posten auf den Palisaden. Vor dem Handelsposten im Fort stand ein halb beladener Farmwagen. Fango, der große Schwarze, der im Store arbeitete, hatte sich unter dem Wagen verkrochen, lag dort im Schatten zusammengerollt und schlief wie ein Maulwurf.

Ich schlenderte über den Exerzierplatz zu den Quartiergebäuden. Zur Kommandantur warf ich nur einen kurzen Seitenblick. Colonel Lester hielt Siesta, das wusste ich. Er würde sich bestimmt nicht von mir stören lassen. Seit einigen Tagen herrschte im Fort eine eigenartige Gleichgültigkeit gegenüber den Vorfällen an der Grenze, als ob die Besatzung ein Interesse daran hätte, die möglichen Folgen zu verdrängen.

Seit ich hier war, hatten die Soldaten und Offiziere in Fort Calhoun ein bequemes Leben geführt. Ich konnte mich an keinen Konfliktfall erinnern, der so groß gewesen wäre, dass die Besatzung sich hätte auf einen Krieg einstellen müssen. Selbst Colonel Lester schien nichts davon wissen zu wollen. Er war ein Gegner gewalt­samer Lösungen, aber er war als einzelner Offizier genauso machtlos wie ich, der Scout.

Ich war so müde, dass ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Als ich die Tür zu dem Quartier aufstieß, das ich mit Jicarilla, dem zweiten Scout, teilte, fielen mir fast die Augen zu.

Jicarilla saß auf der Kante seiner Pritsche und blickte mir aus leicht glasig schimmernden Augen entgegen.

„Na“, sagte ich, „schon zu Mittag gegessen?“

„Ja“, sagte er und tippte auf eine leere Flasche, die neben ihm am Boden stand.

„Willst du nicht wenigstens mal die Marke wechseln?“, fragte ich. Ich hockte mich ihm gegenüber auf mein Bett und begann, mir die Stiefel auszuziehen.

„Nein“, sagte er. „Mehr kann ich mir nicht leisten. Das ist die billigste.“

„Das riecht man.“ Ich warf meinen Hut auf den Tisch.

„Du warst lange weg“, sagte er.

„Ich habe nach Taglios Mörder gesucht“, erwiderte ich. „Hat sich im Fort etwas getan?“

„Nicht viel“, sagte Jicarilla. „Die beiden Fettsäcke aus dem Osten sind weg.“

„Wie?“ Ich beugte mich vor. „Swift und Randolph?“

„Genau“, sagte Jicarilla. „Gestern wurde eine Depesche aus Fort Leavenworth gebracht. Danach wurde ein Wagen bereitgestellt. Die beiden Fettsäcke sind eingestiegen. Sie haben wild herumgeflucht und dem Alten einiges angedroht. Er hat stumm danebengestanden und ein Gesicht geschnitten, als wenn er den beiden am liebsten die Bäuche aufgeschlitzt hätte. Dann sind sie abgefahren.“

„Washington hat es aber eilig“, sagte ich. „Wie konnte die Depesche so schnell hier sein?“

„Telegramm von Fort Leavenworth nach Austin“, sagte Jicarilla. „Von da aus mit einem Kurier hierher.“

„Schade“, sagte ich.

Ich lehnte mich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Ich hätte Swift und Randolph gern noch eine Weile hier gehabt. Sie waren zu Verhandlungen mit den Apachen aus Washington hergeschickt worden, zusammen mit Donald Vance, den ich als Kumpan der Waffenhändler entlarvt hatte. Daraufhin hatte Colonel Lester Swift und Randolph unter Arrest gestellt. Obwohl ich inzwischen sicher war, dass es zwischen ihnen und den Waffenhändlern keine direkte Verbindung gab und sie wahrscheinlich nichts mit den krummen Geschäften ihres Delegationsleiters Vance zu tun hatten, hatte ich mir von ihnen einigen Aufschluss darüber erhofft, wie in Washington gearbeitet wurde und welche Verbindungen die indianischen Behörden pflegten, um auf diese Weise mögliche Ansatzpunkte zu erhalten.

Damit war es nun auch vorbei. Es war sehr viel schiefgelaufen in den letzten Tagen und Wochen. Ich dachte daran, dass ich mir vorgenommen hatte, meinen Job als Scout nach Abschluss der Verhandlungen mit den Apachen aufzugeben. Im Grunde konnte mich nichts mehr halten. Die Verhandlungen waren abgebrochen worden, nachdem die hungernden Krieger die Reservation verlassen hatten, um auf die Jagd zu gehen. Der Verhandlungsleiter war als Gauner entlarvt worden und tot. Die beiden anderen Beamten waren auf dem Weg zurück nach Washington. Entscheidungen waren nicht gefallen, und Lebensmittel wurden noch immer nicht in die Reservation geliefert, obwohl der Vertrag mit den Apachen dies eindeutig vorschrieb. Stattdessen kauften die Indianer Waffen.

Ich wusste selbst nicht, warum ich noch blieb. Ich hätte meine wenigen Habseligkeiten zusammenpacken und abhauen sollen. Mir wäre viel erspart geblieben.

Ich hatte das Gefühl, dass ich noch bleiben musste. Wenn ich in der verfahrenen Situation, die jetzt herrschte, gegangen wäre, hätte ich mich wie ein Deserteur gefühlt. Ich musste bleiben, bis die ganze Angelegenheit durchgestanden war. Das war ich mir selbst, aber auch Taglio schuldig. Es war nur ein Gefühl, das mich zum Bleiben zwang. Mehr nicht. Eigentlich war das kein guter Grund.

„Im Fort tun sie alle, als sei nichts passiert“, sagte Jicarilla unvermittelt.

„Ich werde Colonel Lester schon erzählen, was passiert ist“, sagte ich. „Es werden Waffen in die Reservation geschickt.“

„Ich denke, die brauchen Lebensmittel?“

„Waffen sind eine ganz besondere Kost“, erwiderte ich. „Ich rede heute Abend mit dem Colonel, wenn es ihn überhaupt interessiert.“

„Er will keinen Krieg“, sagte Jicarilla. „Wer will das schon?“

„Fly will ihn“, sagte ich und dachte an, den arroganten Major, den Adjutanten Lesters. „Die Leute, die die Waffen liefern, wollen Krieg, und ich glaube, die Krieger in der Reservation wollen ihn auch. Lightman, Ta-pe, Little Raven und die anderen, die nach Taglios Tod etwas zu sagen haben.“

Ich drehte mich auf die Seite. „Damit, dass man nicht darüber redet, wird der Krieg nicht vermieden.“

„Wird er überhaupt vermieden?“ Jicarilla trank einen großen Schluck. „Du warst in den letzten Wochen öfters draußen als ich. Aber ich habe im Fort eine Menge gehört.“

„Beim Whiskyholen“, sagte ich.

„Ja. Im Store wird viel geredet. Ich glaube nicht, dass sich irgendetwas an den Dingen ändern lässt. Ich bin lange genug hier draußen. Die Entscheidung über Krieg und Frieden wird nicht hier gefällt, damit musst du dich abfinden. Wir haben darauf keinen Einfluss. Wir sind nur kleine Scheißer und beißen uns am Ende selbst in den Schwanz. Wir rennen mit heraushängender Zunge durch die Gegend und glauben, etwas ändern zu können. Aber wir können gar nichts ändern, verstehst du?“

„Ja“, sagte ich. „Ich verstehe. Aber ich finde mich damit nicht ab. Ich fange auch nicht an zu saufen. Ich tue etwas!“

„Was tust du denn?“ Jicarilla lachte freudlos und rülpste dann. „Was hast du erreicht? Hast du dafür gesorgt, dass die Apachen in der Reservation etwas zu fressen kriegen? Hast du dafür gesorgt, dass ihnen nicht schon wieder ein Stück Land geklaut wird? Hast du verhindern können, dass Taglio ermordet wurde? Was hast du getan? Du hast nicht mal den Kerl erwischt, der auf Taglio geschossen hat.“

Ich blickte Jicarilla an. So besoffen war er gar nicht. Er konnte noch ziemlich klar denken. Er hatte recht. Mit jedem Wort, das er sagte.

„Glaubst du etwa, in Washington wissen sie nicht, dass die armen Schweine in der Reservation verhungern?“

„Doch“, erwiderte ich. „Sie wollten die Apachen vor den Verhandlungen um das Land bei den Halcon-Bergen unter Druck setzen.“

„Richtig“, sagte er. „Aber jetzt gibt es keine Verhandlungen mehr. Einen dieser Schleimscheißer hast du als Gauner entlarvt. Aber werden nun etwa Lebensmittel geschickt? Nein. Es wird weiter gehungert.“

„Dann können wir den Kram hier auch hinschmeißen und einfach abhauen.“

„Können wir“, sagte er. „Kein Hahn wird nach uns krähen. Aber von was bezahle ich dann meinen Whisky?“

„Du bist ein Dreckskerl!“, fauchte ich.

„Nein“, sagte er. „Nur vernünftig. Ob der Sold eines Scouts mir gegeben oder einem anderen in den Rachen geworfen wird, ist schließlich egal.“

Er lehnte sich ebenfalls zurück und setzte die Flasche wieder an den Mund. „Ein anderer Scout kann genauso viel tun wie ich, nämlich nichts. Du siehst müde aus.“

„Ich bin müde“, sagte ich. Meine Stimme klang gereizt. „Aber ich frage mich, was ich tun soll.“

„Nichts“, erwiderte er. „Abwarten. du kriegst deine Aufgaben zugewiesen, du tust deine Arbeit, und um mehr kümmerst du dich nicht.“

„Das ist zu wenig.“

„Das ist mehr als genug“, erklärte er. „Glaubst du, dass sich einer von den Blaubäuchen groß den Kopf zerbricht? Die haben ein paar Möglichkeiten mehr als wir. Aber sie tun auch nichts.“ Er wälzte sich auf die Seite. „Lass mich schlafen. Und merk dir: Der Ärger läuft dir nach, du brauchst ihn nicht zu suchen.“

Ich sagte nichts mehr, sondern legte den Kopf zurück und starrte an die Decke. Alles, was Jicarilla gesagt hatte, hatte ich längst gedacht. Ich fühlte mich klein und hilflos, hatte in diesem Moment das Gefühl, dass die ganze Welt über mir zusammenstürzte, und ich wünschte mich weit weg.

Mir fielen die Augen zu, ich schlief ein. Ich träumte schlecht.

2.

6. Juni 1866.

Der Tag schien heißer zu werden als alle Tage vorher. Beim Flaggenappell hatte die Sonne vom Himmel geglüht. Die in Reih und Glied angetretene Fortbesatzung hatte geschwitzt, während der Trompeter auf dem Turm über dem Tor „Boots und Saddles“ geblasen hatte. Lustlos waren die Infanteristen anschließend zum Schießplatz marschiert.

Die Wachen auf den Palisaden hatten sich bereits eine Stunde nach Sonnenaufgang wie ausgedörrt gefühlt. Der heiße Südwind umfächelte sie und blies ihnen feinkörnigen Staub in die Gesichter, der sich überall in den Poren der Haut festsetzte, in Mund und Nase eindrang und die Schleimhäute austrocknete.

Als im Südwesten ein Reiter auftauchte, der sich dem Fort rasch näherte, lehnten die beiden Wachen über dem Tor nebeneinander an der Brüstung des Turms und blickten schläfrig vor sich hin. Sie hatten eine Weile darüber gesprochen, dass es ein Fehler gewesen war, zur Armee zu gehen, zumal jetzt, da es im Apachengebiet kriselte. Der Sold war miserabel, das Quartier schäbig, das Essen schlecht, die dauernde Hitze und Trockenheit zum Kotzen. Das ständige Exerzieren hing ihnen zum Hals heraus, und wie es jetzt aussah, schien es auch noch gefährlich zu werden.

Sie waren sich einig gewesen, und das Thema war rasch erschöpft. Jetzt schwiegen sie, dann nahmen sie den Reiter wahr.

Der eine Soldat, ein schmalbrüstiger Schwarzer mit pechschwarzen Locken, die widerspenstig unter seiner Schildmütze hervorlugten, hob den Kopf und blickte dem Mann entgegen, während dichte Schweißbahnen über sein ebenholzfarbenes Gesicht rannen.

„Da kommt einer“, sagte er.

„Ein Verrückter“, sagte der andere, ohne sich zu rühren. Er war Anfang Zwanzig, rothaarig und sommersprossig. „Wer sich bei dieser Affenhitze auf ein Pferd setzt und im Höllentempo durch die Gegend reitet, kann nicht normal sein.“

„Er reitet, als seien tausend Teufel hinter ihm her“, sagte der Schwarze.

„Und, sind sie?“

„Ich sehe keinen.“

Der Rothaarige hob den Kopf und beobachtete nun ebenfalls den Mann, der herangaloppierte.

„Das sieht nach Ärger aus“, sagte der Schwarze. Er griff nach der Trompete, die auf der Bank des Turms lag.

„Ich wusste schon, als ich aufstand, dass heute noch was passiert“, sagte der Rothaarige. Er beugte sich ein Stück vor und rief zu dem Mann am Tor hinunter: „He, öffne das Tor!“

Im selben Moment blies der Trompeter ein Signal.

Der Reiter erreichte wenig später das Tor. Schaum­flocken hingen von den Nüstern des Tieres. Es taumelte, als es auf dem Exerzierplatz stehenblieb. Ein qualvolles Wiehern rang sich aus seiner Brust.

Der Reiter rutschte schwerfällig aus dem Sattel und fiel hart zu Boden, ehe einer der Soldaten, die von allen Seiten heraneilten, hinzuspringen und ihn auffangen konnten. Ein blutiger Riss zeichnete sein Gesicht, aus seinem linken Arm ragte das abgebrochene Ende eines Pfeils. Beim Sturz brach die Wunde auf. Blut quoll heraus.

Jemand fluchte. Ein schnauzbärtiger Sergeant trat heran und beugte sich über den Mann.

„Das ist Wade Beaven“, sagte er. „Ein Farmer vom Rio Doro.“

Er stemmte die Fäuste in die Hüften und starrte die Rekruten an, die mit weit aufgerissenen Augen um den bewusstlosen Mann herumstanden.

„Wie lange wollt ihr euch noch die Beine in den Bauch stehen!“, schrie er. „Habt ihr vergessen, wo das Lazarett ist? Hört auf zu glotzen und setzt euch in Bewegung!“

Zwei junge Soldaten liefen auf den Mann am Boden zu und hoben ihn auf.

„Einer führt das Pferd eine halbe Stunde herum und reibt es ab“, sagte der Sergeant. „Zu saufen erhält es nur wenig. Wenn es in einer Stunde nicht wieder in gutem Zustand ist, reiße ich euch den Arsch bis zum Stehkragen auf.“ Er drehte sich um und bewegte sich schwerfällig über den Exerzierplatz zur Kommandantur hinüber.

*

Ich saß beim Frühstück im Speiseraum der Mannschaft. Vor mir stand eine dicke weiße Porzellankanne, die mit Kaffee gefüllt war. Als das Trompetensignal verklang, war ich gerade fertig gewesen. Ich hatte aus dem Fenster geschaut und den Mann gesehen, der vom Rücken des abgetriebenen Pferdes gestürzt war.

Ich war trotzdem nicht hinausgegangen. Während die Soldaten zusammengeströmt waren, hatte ich mich wieder an meinen Tisch gesetzt und mir Kaffee nach­geschenkt. Ich wusste, dass man mich früher oder später holen würde. Dann war es immer noch Zeit genug, um zu gehen.

Ich war innerlich völlig ruhig, und das wunderte mich. Am gestrigen Abend hatte ich noch mit Colonel Lester eine längere Unterhaltung gehabt und ihm meine Beobachtungen geschildert und die Schlüsse dargelegt, die ich daraus zog. Da hatte mich noch eine ungeheure Anspannung erfüllt. Das Gefühl, das unbedingt etwas geschehen müsse, hatte mich fast zerbersten lassen.

Bei Colonel Lester aber war mir eine tiefe Resig­nation und Gleichgültigkeit begegnet. So kannte ich ihn nicht. Andeutungen zufolge, die er im Verlauf unseres Gesprächs machte, konnte ich annehmen, dass die ­Depesche aus Washington, die auch zur sofortigen Freilassung von Swift und Randolph geführt hatte, Grund für seine Stimmung war.

Lebensmittellieferungen aus Armeebeständen in die Reservation waren ihm untersagt und ein strenges Vorgehen gegen rebellische Indianer empfohlen worden. Im Übrigen habe er sich abwartend zu verhalten, bis aus Washington neue Anordnungen eintreffen würden.

Ihm waren die Hände gebunden. Was ich auch sagte, es änderte nichts daran, dass die Würfel bereits gefallen waren.

Ich hatte mich furchtbar aufgeregt, war in mein Quartier zurückgegangen und hatte mit Jicarilla gestritten, was der klaglos ertragen hatte. Danach war ich ruhiger geworden, und jetzt war ich nahezu so weit wie Lester selbst.

Ein Corporal betrat den Speiseraum, in dem ich mich allein befand. Er schaute sich um und näherte sich dann meinem Tisch.

„Sie sollen sich in der Kommandantur melden“, sagte er. Er warf einen Blick auf meine Kaffeetasse und fügte hinzu: „Sofort.“

Ich nickte schweigend, trank die Tasse, leer und erhob mich. Im Gehen rückte ich meinen Revolvergurt zurecht.

Die Tür der Kommandantur stand offen, als ich das Gebäude erreichte. Corporal Jones hatte Dienst in der Schreibstube. Er wieselte aufgeregt herum, erinnerte mich mehr denn je an ein aufgeschrecktes Huhn, und es hätte nur noch gefehlt, dass er begonnen hätte, zu gackern.

Ich ging wortlos an ihm vorbei und betrat das Office des Colonels.

Hampton Lester stand hinter seinem Schreibtisch. Seine Uniform wirkte ungewohnt nachlässig, er strahlte Hektik und Anspannung aus. Unweit von seinem Schreibtisch gewahrte ich Major William Fly. Damit war mein Tag bereits verdorben. Das arrogante Gesicht von Lesters Adjutant löste in mir fast einen Brechreiz aus. Ich beherrschte mich mit Mühe, was mir umso schwerer fiel, als ich außer dem Captain Lewis Clay im Raum bemerkte, einen griesgrämigen Mann, der mir herzlich unsympathisch war, obwohl ich bislang kaum mit ihm zu tun gehabt hatte. Neben ihm stand eine Bahre am Boden. Darauf lag der Mann, den ich verletzt hatte ins Fort reiten sehen. Er war bereits versorgt worden. Um seinen linken Arm spannte sich ein weißer Verband. Er war blass und wirkte erschöpft.

„Ich bin hier, Sir“, sagte ich und nickte Lester zu. Fly ignorierte ich, Clay ebenfalls.

„Es ist so weit“, sagte Lester ohne Einleitung oder Gruß. „Was Sie mir gestern Abend angedeutet haben, ist eingetroffen.“ Er wirkte steif und förmlich wie häufig, wenn Fly zugegen war, dem Lester sich unterlegen fühlte. „Sie haben Mister Beavan ins Fort reiten sehen?“

„Ja, Sir.“ Ich blickte den Farmer auf der Bahre an. „Ein Überfall?“

„Kein Überfall“, sagte Fly. Er legte die Hände auf dem Rücken zusammen. „Ein Aufstand.“ Er blickte mich bedeutsam an, als sei ich dafür verantwortlich. Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug. So rasch hatte ich nicht mit Konsequenzen gerechnet.

„Erzählen Sie alles noch einmal, Mister Beavan“, sagte Colonel Lester. „Ronco ist unser Scout. Er muss alles wissen.“

„Es ging gestern Abend los“, sagte Beavan. Seine Stimme klang schwach. „Wir sahen plötzlich Rauch südlich von uns, wo die Farm der McLeods liegt, oberhalb der Stelle, wo der Rio Doro in einem scharfen Knick nach Westen biegt. Eine Stunde später brannte die Farm der Fergussons. Als die Sonne unterging, standen vier Rauchsäulen über dem Land, und in der Nacht fielen sie plötzlich über uns her. Mindestens vierzig oder fünfzig Apachen. Sie zündeten die Gebäude an und töteten meine Frau, meine beiden Töchter, meinen Sohn und meinen Bruder. Es ist ein Wunder, dass ich davongekommen bin. Es waren keine streunenden Banden, sondern Reservationsapachen. Einige hatten nagelneue Repetiergewehre, die meisten nur Pfeile und Bogen.“

„Die Sache dürfte klar sein“, sagte Fly.

„Ja“, sagte ich. „Man hat die Apachen lange genug hungern lassen und sie lange genug provoziert. Die Zeche bezahlen jetzt die Farmer am Fluss.“

„Ihre Ansichten über die Ursachen interessieren keinen Menschen“, sagte Fly. „Wir kennen Ihre Einstellung. Darum geht es jetzt nicht. Wir haben einen Aufstand und müssen damit fertigwerden. Wie es möglicherweise dazu gekommen ist, ist jetzt völlig gleichgültig.“

„Ihnen ist offenbar nur eins nicht gleichgültig“, sagte ich, „so schnell wie möglich alle greifbaren Indianer auszurotten.“

„Meine Herren, wir haben wirklich keine Zeit, uns jetzt untereinander zu streiten.“ Lesters Stimme klang unerwartet scharf. „Sie werden zusammenarbeiten, und ich erwarte von Ihnen gute und reibungslose Einsätze.“ Er wandte sich an mich. „Sie kennen das Land am besten“, sagte er. „Sie werden sofort aufbrechen und die ­Situation sondieren. Im Farmland bei der Reservation liegen etwa achtzig Farmen. Diese Menschen haben Anspruch auf Schutz durch die Armee. Ich überlasse es Ihnen und vor allem Major Fly, an Ort und Stelle die notwendigen Entscheidungen zu fällen, etwa ob und wie eine Evakuierung erfolgen soll. Wenn ich die Information bedenke, die Sie gestern Abend noch mitgebracht haben, werden wir um eine Evakuierung nicht herumkommen. Im Fort wird alles Nötige veranlasst. Major Fly und Captain Clay werden Ihnen mit der Kavallerie folgen. Ich habe aus San Antonio bereits Verstärkung angefordert. Wir werden in spätestens zwei Tagen genügend Soldaten haben, um den Aufstand zu unterdrücken. Erkunden Sie, welches Ausmaß der Aufstand hat, ob alle Indianer der Reservation beteiligt sind oder nur ein Teil. Sorgen Sie dafür, dass die Truppe auf ihrem Marsch ins Indianerland vor Überraschungen sicher ist.“

„Ich habe darauf bestanden, dass Sie der einzige Scout sind“, sagte Fly. Er grinste mich schlangenhaft an. „Ich weiß, dass ich mich auf Sie verlassen kann, auch wenn wir häufig verschiedener Meinung sind. Sie kennen sich ja mit Apachen aus und brauchen keine Unterstützung.“

„Sicher, Sir.“ Ich quittierte die zweifelhafte Ehre, die er mir zuteilwerden ließ, mit einem steifen Lächeln.

„Verlieren Sie keine Zeit“, sagte Lester. Er sah jetzt sorgenvoll und deprimiert aus. „Ich war gegen diesen Krieg, aber jetzt ist er da. Ich konnte nichts tun.“ Er wirkte hilflos. Ich wusste, dass er die Wahrheit sagte und konnte nichts erwidern. Ich hatte ja auch versucht, was möglich war, ohne etwas verhindern zu können.

Wortlos ging ich hinaus und zu meinem Quartier. Jicarilla schlief noch. Er wälzte sich herum, als ich eintrat, und stierte mich verschlafen an.

„Ist was?“, fragte er.

„Die Welt geht unter“, sagte ich und schnappte mein Gewehr, meine Feldflasche und meine Satteltaschen.

„Was soll das heißen?“

„Der Aufstand ist da“, sagte ich. „Jetzt gibt es Krieg.“

„Werden wir gebraucht?“

„Vorerst nicht. Vorerst darf ich allein meinen Kopf hinhalten.“

„Das ist gut“, sagte Jicarilla und streckte sich genießerisch. „Ich mag keinen Krieg.“

Ich hätte ihm seine Flaschen um die Ohren schlagen können, aber ich ließ es, denn ich mochte ihn trotz allem, und ich wusste, dass er einer der besten Scouts war, die es in Texas gab, solange er halbwegs nüchtern war.

Ich verließ das Quartier und ging zu den Ställen. Auf halbem Weg hielt mich ein Mann an. Er war etwas kleiner als ich, schlank, drahtig. Er trug einen Maßanzug aus teurem Stoff. Wahrscheinlich hatte er einmal gut ausgesehen, aber eine rötlich schimmernde Brandnarbe entstellte sein Gesicht und verlieh ihm eine hässliche Männlichkeit, die ihn sicher auf manche Frauen bereits wieder anziehend wirken ließ.

„Sind Sie der Scout?“, fragte er. „Ja“, sagte ich.

„Sie reiten jetzt in das Aufstandsgebiet?“

„Ja.“

„Duke“, sagte er. „Mein Name ist Sadie Duke. Ich bin Geschäftsmann aus San Luis.“

„Interessant“, sagte ich. „Über Geschäfte können wir später reden.“

„Warten Sie!“ Er hastete neben mir her. „Ich bin gestern erst eingetroffen.“

„Wie schön für Sie“, sagte ich. „Genießen Sie die gute Luft, solange sie noch nicht nach Pulver schmeckt.“

„Wollen Sie sich über mich lustig machen?“ Ich bemerkte, dass seine Narbe sich verfärbte. Der rötliche Schimmer vertiefte sich. „Ich arbeite unter anderem auch für die Armee. Ich bestehe darauf, dass Sie mir zuhören.“

„Was wollen Sie?“ Ich blieb stehen. „Ich habe keine Zeit. Da draußen im Land ist wahrscheinlich die Hölle los. Wenn der Aufstand der Apachen sich ausweitet, ist das Leben von über achtzig Farmerfamilien bedroht, und kein Mensch weiß, was daraus noch werden wird.“

„Ich bin hier, um meine Verlobte abzuholen“, sagte Duke. Er schien sich zwingen zu müssen, ruhig zu sprechen. „In vier Wochen wollen wir heiraten. Sie heißt Gardner. Helen Gardner. Ihre Familie hat draußen am Rio Doro eine Farm. Verstehen Sie mich jetzt.“

„Ja“, sagte ich. „Aber die Gardners sind nicht die einzigen, die bedroht sind. Nach Möglichkeit sollen alle gefährdeten Familien geschützt und in Sicherheit gebracht werden.“

„Sie müssen sich um die Gardners kümmern!“, brüllte er.

„Reden Sie leiser, Mann, ich höre sehr gut“, sagte ich. „Ich werde mich um jeden kümmern, der in Gefahr ist. Wahrscheinlich werden die Farmer ohnehin alle hierher ins Fort evakuiert, dann wird Ihre Braut auch mitgebracht. Ich werde dafür sorgen, dass ihr nichts zustößt, und jetzt lassen Sie mich reiten.“

„Wer leitet die militärische Aktion?“, schrie Duke hinter mir her.

„Major Fly“, sagte ich. „Gehen Sie zu ihm, und tragen Sie Ihre Wünsche vor.“

Ich ließ Duke stehen und eilte in den Stall, um mein Pferd zu holen. Als ich auf den Exerzierplatz hinausritt, stand Sadie Duke noch immer da, wandte sich abrupt ab, als er mich sah, und hastete zur Kommandantur. Ich ritt zu den Magazingebäuden hinüber, ließ mir Proviant geben und ergänzte meinen Munitionsvorrat. Dann verließ ich das Fort und ritt im raschen Trab nach Süden.

Major Fly hatte recht: Es war jetzt müßig, lange über die Ursachen nachzudenken, die zu dem Aufstand geführt hatten. Es war nichts mehr zu ändern, es musste gehandelt werden. Ich hoffte nur, dass das Ziel derjenigen, die den Aufstand geschürt hatten, nicht erreicht würde. Ich hoffte, dass ein großer Krieg vermieden werden konnte und die Gründe der Rebellion nicht vergessen wurden, wenn alles vorüber war. Ich hoffte, dass eine große Strafaktion gegen die Apachen unterblieb, in der sie zu alleinigen Sündenböcken gestempelt werden würden.

Das waren fromme Wünsche. Nach allem, was ich inzwischen wusste und erst in den letzten Tagen hatte erfahren müssen, hätte ich mir darüber im Klaren sein müssen, dass sie genauso wenig realistisch waren wie meine Bemühungen, den Konflikt zu verhindern.

Aber ich hatte eben nicht verlernt, zu hoffen, auch wenn ich es manchmal glaubte. Ich wollte nicht aufgeben und retten, was zu retten war. Dabei ritt ich selbst bereits in einen Strudel, der mich mitreißen sollte, aus dem ich selbst nicht mehr zu retten war.

3.

Ich sah den Rauch, nachdem ich etwa drei Stunden unterwegs gewesen war, einen dünnen, schwarzen Strich am farblos hellen Himmel. Ich hatte fünfzehn Meilen zurückgelegt, seit ich das Fort verlassen hatte.

Auf einem Hügelkamm zügelte ich mein Pferd und richtete mich steil im Sattel auf.

Zwei oder drei Meilen vor mir brannte es. Dichte Rauchwolken stiegen auf, wurden vom Wind zerteilt, trieben nach Osten und schwebten schließlich schräg nach oben.

Noch zehn Meilen bis zum Rio Doro. Ich befand mich am Rand des Farmlandes und hatte nicht damit gerechnet, bereits jetzt, so dicht beim Fort, auf Apachen zu stoßen. Sie hatten sich weit vorgewagt und schienen mit der Schwerfälligkeit der Armee zu rechnen. Vielleicht aber hatte ihr Zorn sie auch alle Vorsicht vergessen lassen.

Ich zog mein Gewehr aus dem Scabbard, während ich mein Pferd antrieb und weiterritt. Unwillkürlich lockerte ich mit einer kurzen Handbewegung den Sitz des Revolvers in meinem Holster.

Nach einer knappen Viertelstunde tauchte ein Wagenweg vor mir auf, auf den ich einschwenkte. Ich ritt schnell. Die Rauchwolken vor mir verdichteten sich. Ich beugte mich im Sattel vor. Die Hufe meines Pferdes trommelten dumpf auf den Boden. Reitwind peitschte mein Gesicht. Nach fast einer halben Stunde, einer Zeitspanne, die mir wie eine Ewigkeit erschien, erreichte ich die Farm. Das Feuer war fast schon niedergebrannt.

Drei Gebäude standen in Flammen, nur eins war noch unversehrt. Das Wohnhaus war bereits eingestürzt und schwelte nur noch. Die Scheune und der Geräteschuppen brannten. Wie ein feiner Nebel schwebten Rußwolken über dem Tal. Der Wind wirbelte glühende Ascheteilchen hoch und mit sich fort.

Unweit des Brunnens standen drei Pferde, kurzbeinige, stämmige Apachenponies. Es war kein Mensch zu sehen.

Ich ritt langsam näher. Meine Haltung straffte sich. Ich registrierte jedes Geräusch, jeden Schatten, jeden Windhauch. Meine Sinne waren bis zum Äußersten gespannt.

Rauch wehte mir entgegen. Ich unterdrückte den Hustenreiz. Neben dem Brunnen hielt ich an.

Als ich aus dem Sattel glitt, sah ich die Leichen. Eine Frau lag mit einem Pfeil in der Brust auf der Schwelle des eingestürzten Wohnhauses. Die schwelenden Trümmer hatten sie zur Hälfte unter sich begraben. Mitten auf dem Hof lag ein Mann mit dem Gesicht nach unten. Schwarzgraue Schwaden wehten über ihn weg. Unweit von ihm lag ein Junge von vielleicht fünfzehn Jahren, den eine Kugel in den Hals getroffen hatte.