Lobo - Der Einzelgänger 03: Todesfährte - Dietmar Kuegler - E-Book

Lobo - Der Einzelgänger 03: Todesfährte E-Book

Dietmar Kuegler

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Beschreibung

Tahia, die Apachin, hat das Massaker überlebt, das Skalpjäger auf ihrer Farm angerichtet haben. Sie töteten ihren Mann und ihr Kind. Lobo weiß, was sie fühlt. Genauso hat er seine Eltern und seinen Bruder verloren. Tahia will Rache, und Lobo verfolgt die Spur der Mörder. Dieser Band enthält die Romane:Der BastardEine Handvoll Dreck

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Seitenzahl: 288

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LOBODer Einzelgänger

In dieser Reihe bisher erschienen

4201 Dietmar Kuegler Ausgestoßen

4202 Alfred Wallon Caleb Murphys Gesetz

4203 Dietmar Kuegler Todesfährte

4204 Alfred Wallon Victorios Krieg

4205 Alex Mann Schwarze Pferde

Dietmar Kuegler

Todesfährte

Diese Reihe erscheint als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2022 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-393-3Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Der Bastard

Kapitel 1

Die Sonne stand im Zenit, als Lobo sein Pferd im Schatten einiger vulkanischer Felsen zügelte. Ein leiser Windhauch strich von Westen über das Tal, in dem sich die Hitze des Tages staute. Die Luft schmeckte nach Staub.

Lobo stieg aus dem Sattel, umrundete die Felsquader und spähte in das Tal hinunter.

Er sah zwei windschiefe Hütten, die unweit eines schmalen Baches standen. Das Anwesen wirkte verwahrlost. Auf dem Dach eines Hauses fehlten ein paar Schindeln, ein Fenster war zerbrochen. Einige Stangen des Corralgatters lagen am Boden.

Lobo sah die Reiter auf dem Hof. Es waren fünf Männer. Sie hielten Gewehre in den Fäusten. Einer von ihnen musste den Schuss abgegeben haben, der ihn hergelockt hatte.

Ihre Pferde wirkten abgetrieben, sie selbst machten einen zerlumpten Eindruck. Zwei von ihnen waren Mexikaner. Sie trugen große Hüte und waren bis an die Zähne bewaffnet.

Zwei Männer standen vor den Hütten und sprachen mit den Reitern. Der Wind trug ihre Stimmen zu Lobo herauf, aber er konnte nicht verstehen, was sie sagten.

Die Reiter stiegen ab. Sie gingen über den Hof auf die beiden Männer zu. Einer riss plötzlich sein Gewehr hoch und wirbelte es herum. Der Kolben traf einen der Männer und schleuderte ihn zu Boden. Er schrie, und die Reiter lachten. Der zweite Mann wich langsam zurück. Er hob abwehrend die Hände, stolperte und schlug der Länge nach hin. Er wälzte sich herum, stemmte sich hoch, schaffte es aber nicht ganz, denn bevor er sich aufrichten konnte, traf ihn ein Tritt seitlich an den Hals.

Der erste, den der Schlag mit dem Gewehrkolben getroffen hatte, kroch auf allen Vieren durch den Staub, richtete sich auf und begann zu laufen. Er rannte zum Bach hinunter. Er lief wie ein Hase.

Der eine Mexikaner zog seinen Revolver und schoss, ohne zu zielen. Die Detonation hallte dumpf und belfernd durch das Tal. Der Mündungsblitz verschmolz mit der gleißenden Helligkeit der Mittagssonne. Lobo sah ein feines Pulverwölkchen über der Mündung aufsteigen.

Die Kugel traf den flüchtenden Mann in den Rücken. Der Aufprall hob ihn ein Stück vom Boden hoch. Seine Arme und Beine bewegten sich grotesk wie bei einer in die Luft geworfenen Gliederpuppe. Er stürzte nach vorn und schlug klatschend auf das Wasser. Er ging sofort mit dem Oberkörper im Bach unter. Seine Beine ruhten auf der sandigen Uferböschung.

Im Haus ertönte ein hysterischer Schrei. Dann tauchten zwei Frauen in der Tür auf. Lobo fühlte es heiß in sich aufsteigen.

Es waren Indianerinnen.

Ihnen folgten zwei weinende Kinder, nicht älter als zehn oder zwölf Jahre. Ein Junge und ein Mädchen.

Die Frauen hasteten über den Hof zum Bach hinunter. Einer der Reiter eilte ihnen nach. Er lachte roh. Die Frauen erreichten den Toten, als der Mann sie einholte und nach ihnen griff. Lobo hörte das hässliche Geräusch von zerreißendem Stoff bis in seine Deckung. Unwillkürlich zuckte seine Rechte zum Griff des großen Army-Colts, der in einem tiefgeschnallten Holster an seiner Hüfte steckte. Seine Faust schloss sich um das kühle Holz. Aber er ließ die Waffe stecken.

Dort unten im Tal waren fünf Männer. Sie waren alle bewaffnet. Er war allein. Er hatte keine Chance.

Eine der Frauen war jetzt fast nackt. Das Kleid hing ihr in Fetzen am Körper herunter und bedeckte kaum ihre Blößen. Schreiend flüchtete sie über den Hof.

Die andere trug derbe Männerhosen und ein groß­kariertes Hemd. Darum konnte sie schneller laufen. Sie erreichte einen schmalen Steg, hastete auf die andere Seite des Baches und stürmte auf einen Waldstreifen im Westen zu.

Einer der Mörder schoss. Er traf nicht. Die Frau lief unbeirrt weiter und erreichte einige Buschinseln, die zwischen der Farm und dem Wald lagen. Sie nutzte sie geschickt als Deckung und tauchte wenig später am Waldrand unter.

Die andere Frau war von zwei Männern neben dem leeren Corral zu Boden geworfen worden. Sie war völlig nackt und wand sich wie eine Schlange, um sich aus den Griffen der Fremden zu befreien.

Lobo hörte sie schreien, er hörte auch den Farmer schreien, der sich aufgerichtet hatte und heranschwankte.

Zwei, drei Schüsse fielen in rascher Folge. Der Farmer riss die Arme hoch und torkelte rückwärts. Eine Kugel war neben seiner Nase in den Kopf eingedrungen. Er hatte kein Gesicht mehr, als er zu Boden ging.

Die beiden Kinder schrien wie verwundete Tiere. Sie schienen den Verstand verloren zu haben und hasteten kreischend auf dem Hof herum, als sei er ein Käfig, aus dem es kein Entkommen gab.

Das Mädchen hielt eine Stoffpuppe in den Armen. Es stolperte und stürzte neben dem toten Mann nieder. Die Puppe tauchte in das Blut, das in den Staub sickerte.

Als das Mädchen aufstehen wollte, wurde es von einer Kugel getroffen und zu Boden gestoßen. Es war sofort tot.

Der Junge wurde von einem Geschoß gegen die Hauswand geschleudert. Er sackte daran hinunter und blieb in unnatürlich verrenkter Haltung liegen, die Augen weit aufgerissen, glanzlos die Pupillen.

Nun war nur noch die heisere, von Todesangst erfüllte Stimme der nackten Frau zu hören.

Die Mörder hielten sie am Boden fest. Ihre Haut schimmerte wie Bronze. Ihr Körper war fest und geschmeidig, die Brüste groß und straff. Die Mörder fielen über sie her. Einer nach dem anderen. Sie ließen sich Zeit.

Die Kraft der Frau erlahmte. Am Schluss wehrte sie sich nicht mehr. Sie lag reglos da, hatte den Kopf zur Seite gewandt und die Augen geschlossen, ließ willenlos alles mit sich geschehen.

Es dauerte fast eine Stunde, dann erhoben die Männer sich und gingen ins Haus. Sie durchsuchten auch die Hütte daneben und trugen in einem Leinensack einige Sachen heraus.

Danach gingen sie auf dem Hof umher und rissen den Toten die Skalps ab. Auch den Kindern.

Zum Schluss wandten sie sich wieder der Frau zu. Sie lag noch immer auf dem Rücken im Staub, ungeschützt den sengenden Strahlen der Sonne ausgesetzt. Sie bewegte sich nicht. Mit weit geöffneten Augen schaute sie ihren Mördern entgegen. Kein Laut drang über ihre Lippen.

Lobo sah, dass einer der Männer sich bückte. Eine Messerklinge glitzerte im Sonnenlicht, dann färbte sich alles dunkelrot. Der Mann wälzte die Frau auf den Bauch, stellte ihr den rechten Fuß in den Nacken, griff in ihr langes, volles Haar und trennte auch ihr die Kopfhaut ab.

Die Männer befestigten die Skalps an einem dünnen Ledergürtel, an dem schon andere Skalps baumelten. Von den frischen Hautfetzen tropfte noch Blut.

Die Mörder bestiegen ihre Pferde und lenkten sie zum Bach. Gischt spritzte auf, als sie hindurchritten. Kleine Schaumkrönchen tanzten auf dem Wasser.

Auf der anderen Seite des Baches wandten die Reiter sich nach Süden. Staub wirbelte unter den Hufen ihrer Pferde hoch. Sie jagten auf eine Hügelkette zu und waren wenige Minuten später verschwunden.

Über dem Tal war es jetzt still wie in einem Grab. Noch immer strich der Wind von Westen herüber und trug den strengen Geruch von Pulverdampf, Blut, Angst und Tod zu Lobo herauf.

Die Sonne hatte den Zenit überschritten und war nach Westen gerückt. Das Wasser des schmalen Baches blinkte in den grellen Strahlen wie schieres Silber.

Lobo hatte einen bitteren Geschmack im Mund. Er fühlte sich schlecht. Er dachte wieder daran, dass er hätte eingreifen können. Aber das hätte keinem der Menschen das Leben gerettet, mit Sicherheit jedoch sein eigenes gekostet. Es wäre ein sinnloses Opfer gewesen. Er aber war kein Mann, der sich sinnlos für etwas opferte. Er musste an sich denken, für ihn riskierte auch niemand etwas. Er war ein Mann ohne Freunde. Ein Einzelgänger.

*

Lobo stieg auf dem Hof aus dem Sattel. Der süßliche Blutgeruch war in der Hitze kaum zu ertragen. Sein Pferd scheute.

Lobo ging zwischen den Toten umher und blieb am Ufer des Baches stehen. Er schaute zu den Hügelrücken hinüber, hinter denen die Mörder verschwunden waren.

Lobo war groß und athletisch gebaut. Sein Gesicht war von Falten zerfurcht. Er hatte sich seit Tagen nicht rasiert, und ein dichter Stoppelbart verdeckte zum Teil eine Messernarbe auf der rechten Wange. Seine Augen waren schmal und von zahlreichen Fältchen umgeben, vom vielen Blinzeln in Sonne und Wind. Unter dem ­hochkronigen, breitrandigen Hut quoll volles, ­blauschwarzes Haar hervor. Seine Haut trug einen leichten Bronzeton.

Lobo war ein Halbblut, genau wie die beiden toten Kinder, die hinter ihm auf dem Hof lagen. Auch seine Mutter war eine Apachensquaw gewesen, wie die tote Frau neben dem Corral.

Lobo wandte sich um und ging zum Haus zurück. Es war ärmlich eingerichtet. Ein paar selbstgezimmerte Möbel, Betten mit löchrigen Matratzen, aus denen die Strohfüllung quoll, Geschirr aus Ton und Blech, ein steinerner Ofen, der nach oben hin offen war. Auf der Öffnung ruhte eine rußige Eisenplatte, die als Kochplatte gedient hatte.

Die Hütte neben dem Haus war ein Geräteschuppen. Lobo fand eine rostige Schaufel und begann, hinter dem Haus ein Grab auszuheben.

Am wolkenlosen, heißen Himmel kreisten bereits Krähen. Ihr scharfes Krächzen hallte zu ihm herunter. Lobo hätte die Leichen normalerweise den Vögeln überlassen. Aber er wollte in diesem stillen, abgelegenen Tal eine Weile rasten und hatte keine Lust, den Leichengestank und das Geschrei der Aasvögel länger als nötig zu ertragen.

Während er grub, sah er immer wieder die Gesichter der Mörder vor sich. Er sah, wie sie die Männer töteten, wie sie die Kinder töteten, wie sie die Frau vergewaltigten, wie sie die Toten skalpierten. Er dachte unwillkürlich an das, was er seit Jahren zu verdrängen versuchte, an den Tod seiner Eltern und seines Bruders.

Es überkam ihn wie ein Zwang. So sehr er sich auch dagegen wehrte. Die Vergangenheit holte ihn ein. Was sich hier abgespielt hatte, war vor Jahren schon einmal ganz ähnlich vor seinen Augen geschehen. Nur damals war er selbst betroffen gewesen, und er war ein Kind gewesen, ein Junge, der an jenem Tag zum Mann geworden war.

Er war fünfzehn Jahre alt gewesen. Es war ein Tag genauso heiß wie dieser gewesen. Lobo war zum Fluss gegangen, der unweit vom Haus lag. Nebelfetzen waren ihm entgegengetrieben, denn der Tag hatte gerade erst begonnen.

Dann waren die Reiter aufgetaucht. Vier Männer. Sie hatten ihre Pferde am Flussufer entlang gelenkt und sich der Farm rasch genähert.

Sein Vater hatte nach ihm gerufen; Henry Gates, ein Mann wie ein Baum. Groß, schwer, stiernackig, stark.

„Komm her!“, hatte er gerufen. „Los, beeil dich! Komm!“

Lobo hatte am Fluss Holz gehackt. Er hatte die Axt fallen gelassen und war zum Haus gehastet. Sein Vater hatte ihn auf eine Weise angesehen, wie er es noch nie zuvor getan hatte.

„Lauf zum Wald“, hatte er gerufen. „Beeil dich! Bleib nicht stehen! Lauf, und versteck dich!“

Er hatte gehorcht. Er war zum Wald gelaufen und hatte sich im Unterholz verkrochen. Von dort aus hatte er gesehen, was geschehen war. In diesen Minuten hatte er das letzte Mal in seinem Leben geweint.

Er hatte die Männer auf den Hof reiten sehen. Dann war ein Schuss gefallen. Sein Vater war gestürzt, und die Männer waren aus den Sätteln gestiegen und an dem toten Mann vorbei ins Haus gegangen. Hier hatten sie Caine getötet, Lobos Bruder, der gerade achtzehn Jahre alt gewesen war. Als letzte war Tavoneh Gates gestorben, Lobos Mutter. Er hatte es nicht gesehen, er hatte später nur ihre Leiche gefunden, geschändet und skalpiert.

Auch seinem Vater, der schwarzes Haar wie ein Indianer gehabt hatte, und seinem Bruder waren der Skalp abgerissen worden. Das war in Arizona gewesen. Ein Skalp hatte dort einen Wert von zehn Dollar, denn die Territoriumsverwaltung zahlte Skalpprämien, Prämien für Kopfhäute toter Indianer. Aber einem Skalp sah man später nicht an, von wessen Kopf er stammte: Von einer Indianerfrau, einem Halbblut oder einem weißen Mann mit dunklem Haar.

Er hatte die Mörder davonreiten sehen. Danach hatte die Farm gebrannt. Lobo hatte sein Versteck verlassen und war über die Weide zurück zum Haus gelaufen. Einen Moment hatte er neben den Toten verharrt, dann war er in das brennende Haus gegangen.

Er hatte die Leiche seiner Mutter gesehen, war an seinem toten Bruder vorbeigelaufen und hatte sich die einzige Waffe geholt, die die Skalpjäger zurückgelassen hatten, ein altes Bowiemesser. Während hinter ihm die Farm abgebrannt war, war er auf der Fährte der Killer ostwärts gelaufen. Er, ein Kind, erfüllt von Hass und kalter Bitterkeit.

Lobo rammte den Spaten in die Erde und stieg aus der Grube, die er ausgehoben hatte. Die Schatten waren lang geworden. Die Sonne berührte fast die Spitzen der Bäume im Westen. Es war noch immer sehr heiß, aber Lobo fror. Er zog die Schultern hoch, als er das Haus umrundete und über den Hof ging, um die Toten zu holen.

Die Gedanken an die Vergangenheit begannen sich zu verflüchtigen, aber die Narben, die das alles in ihm gerissen hatte, blieben und schmerzten weiter. Er war im Laufe der Zeit hart geworden, aber er konnte nicht vergessen, was er vergessen wollte.

Er hob die beiden Kinderleichen auf und trug sie zu dem großen Grab. Er legte sie hinein, holte schließlich auch die blutverschmierte Puppe des Mädchens und warf sie hinterher.

Einen Moment blickte er in die im Tode glatten Gesichter der Kinder. Sie hatten indianische Züge wie er selbst. Er wandte sich rasch ab, als er glaubte, im Gesicht des Jungen die Züge seines Bruders Caine zu erkennen.

Er ging und zog die Leiche des Mannes aus dem Wasser, der als erster gestorben war. Die Leichenstarre war bei ihm bereits eingetreten. Lobo schleifte ihn an den Füßen hinter sich her.

Als er das Grab erreichte, hörte er hinter dem verlotterten Schuppen ein schabendes Geräusch.

Lobo ließ die Leiche fallen, richtete sich auf und drehte sich um. Seine Muskeln spannten sich. Dann erklang das scharfe, metallische Klicken eines Gewehrhahns. Aus dem Schlagschatten des Schuppens trat eine Frau. Sie hielt einen Sharps- Karabiner im Hüftanschlag. Die große Mündung zeigte auf Lobos Brust.

Kapitel 2

Sie war Indianerin. Sie trug ein großkariertes Hemd und verwaschene Baumwollhosen. Das lange, schwarze Haar hing ihr etwas wirr um den Kopf. Sie war noch jung, höchstens Mitte Zwanzig. Sie war schlank, wirkte aber kräftig und ziemlich zäh. Es handelte sich um die Frau, die den Mördern entflohen war.

Sie blickte ihn aus starren, kalt schimmernden Augen an. Um ihre Mundwinkel hatten sich scharfe Falten gekerbt.

Sie musste lange Zeit durch dichtes Gestrüpp gelaufen sein. Ihr Hemd trug Risse, und hier und da hingen Dornen im Stoff. Eine rötlich schimmernde Schramme zeichnete ihre linke Wange.

Als sie das Gewehr ein Stück anhob und den Zeigefinger um den Abzug krümmte, warf Lobo sich nach vorn.

Die Schussdetonation zerriss peitschend die Stille des Abends, die über dem Tal lag. Lobo blickte direkt in den grellen Mündungsblitz und schloss unwillkürlich für einen Moment die Augen. Er fühlte den sengenden Luftzug der Kugel an seiner rechten Kopfseite, verlor seinen Hut, prallte hart am Boden auf und federte hoch.

Die Frau hatte blitzschnell das Gewehr herumgewirbelt, hielt es am Lauf gefasst und wollte mit dem Kolben zuschlagen.

Lobo erreichte sie. Er unterlief ihren Schlag und rammte ihr die rechte Schulter in den Leib.

Sie stieß einen hellen Schrei aus, ließ das Gewehr fallen und stürzte rücklings zu Boden. Lobo fiel auf sie, und sie warf die Arme hoch und versuchte, ihm die Finger in die Augen zu stoßen.

Er wandte rasch den Kopf zur Seite und schlug zu. Er traf sie mit der Faust am rechten Kinnwinkel. Ihr Kopf sackte zurück, ihre Bewegungen verloren an Kraft.

Lobo ließ sie los und richtete sich auf. Sie war nur leicht betäubt, aber sie blieb auf dem Rücken liegen wie eine Tote. Lobo ging zurück zu dem Grab und ließ die Leiche des Mannes hineingleiten, den er aus dem Bach gefischt hatte. Ab und zu schaute er zu der Frau hinüber, die noch immer reglos im Staub lag. Ihre Schultern zuckten krampfartig, ihre vollen Lippen zitterten ein wenig. Sie hatte die Lider geschlossen, aber ein paar Tränen rannen über ihre Wangen. Sie weinte.

Lobo holte die beiden letzten Leichen, ohne sich weiter um die Frau zu kümmern. Sie stand unter einem Schock. Er verstand das. Er nahm ihr nicht mal übel, dass sie ihn hatte umbringen wollen.

Als er die Leiche des zweiten Mannes ins Grab gelegt hatte, richtete die Frau sich auf. Lobo blickte sie an.

„Haben Sie sich beruhigt?“

Sie bewegte sich mit unsicheren Schritten an ihm vorbei und blieb am Rande des Grabes stehen.

„Ja“, sagte sie, „ich habe mich beruhigt.“

Sie starrte auf die Toten hinunter. Dann hob sie den Kopf und erwiderte Lobos Blick.

„Es tut mir leid“, sagte sie. „Sie wissen nicht, was passiert ist ...“

„Doch“, sagte er. „Ich weiß. Ich habe alles gesehen.“

„Sie haben es gesehen?“

„Es waren fünf“, sagte er. „Ich war allein. Hätte ich mich umbringen lassen sollen?“

„Es waren Skalpjäger“, sagte sie. In ihren Augen blinkte es zornig. Sie sprach fast ohne Akzent. Lobo erinnerte sich, dass auch seine Mutter fast perfekt Englisch gesprochen hatte.

Ihre Stimme klang heftig, als sie sagte: „Sie hätten uns helfen müssen. Gerade Sie. Sie haben die gleiche Haut wie wir. Schon deshalb.“

„Ich hatte keine Lust zu sterben“, sagte er. „Meine Mutter war eine Frau wie Sie. Ich bin ein Halbblut, manche nennen mich Bastard. Mir hilft auch niemand, wenn es mir an den Kragen geht. Warum hätte ich meinen Kopf riskieren sollen?“

„Weshalb haben Sie sie dann begraben?“

„Der Leichengestank stört mich“, sagte er. „Ich will hier rasten.“

„Sie haben nicht das geringste Gefühl“, sagte sie. Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt. „Ich wünschte, ich hätte Sie doch erschossen.“

Er antwortete nicht. Er nahm den Spaten und warf Erde auf die Leichen. Die Abenddämmerung sank aus der Wölbung des Himmels und verdichtete sich rasch zu einem engmaschigen Netz, in dem sich das letzte Tageslicht fing. Die Sonne verglühte wie ein feuriger Ball über den westlichen Hügeln.

Lobo ließ den Spaten im Grabhügel stecken und ging in den kleinen Stallanbau des Schuppens, um sein Pferd zu versorgen. Er sah die junge Indianerin auf der Schwelle des Wohnhauses sitzen. Sie hatte die Beine an den Leib gezogen und den Kopf auf die Knie gelegt.

Lobo rieb sein Pferd ab und schüttete ihm Hafer, den er im Stall fand, in die Krippe. In der leeren Box daneben breitete er seine Decke aus. Er hatte keinen Hunger, wollte nichts mehr essen. Er fragte sich, ob er der Frau von seinem Proviant etwas anbieten sollte. Aber im Haus gab es noch genügend Vorräte, und wahrscheinlich war auch ihr nicht zum Essen zumute. Sie musste zunächst mit sich selbst ins Reine kommen. Dabei konnte ihr niemand helfen.

Er streckte sich auf seiner Decke aus. Dunkelheit umfing ihn, und die abgestandene, muffige Luft des Stalles, die penetrant nach Leder, Stroh und Pferdeschweiß roch.

Er schloss die Augen. Er war sicher, dass die Frau draußen ihm keine Schwierigkeiten mehr bereiten würde. Am Morgen wollte er weiterreiten und vielleicht irgendwo in dem Wald westlich der Farm sein Lager aufschlagen, um einige Tage zu jagen und auszuruhen.

Er hatte kein festes Ziel. Er suchte nur Ruhe und Einsamkeit, wo niemand ihn wegen seiner Hautfarbe schief ansah, wo er nicht ständig auf Hass und Verachtung stieß.

Er wusste, was ein Halbblut in diesem Land wert war. Er hatte keine Illusionen. Lange schon hatte er es verlernt zu träumen. Einem Mann wie ihm wurde nichts geschenkt. Er musste für alles kämpfen, sogar für sein Recht, leben zu dürfen. Er konnte sich Rücksichten oder Skrupel nicht leisten.

Er hatte gelernt, mit seiner Hautfarbe zu leben. Es war nicht bequem, aber es war auszuhalten. Er war sicher, dass man sich an vielen Orten nicht gern seiner erinnerte, dass viele ihn an den Galgen wünschten, manche nur deshalb, weil er ein Halbblut war. Aber das war ihm egal. Er hatte gelernt, sich durchzusetzen, und weil er wusste, dass andere sein Leben nicht sonderlich hoch einschätzten, schätzte auch er das Leben seiner Feinde nur gering ein. Er war kein Killer, aber wenn es sein musste, tötete er ohne Gnade.

Obwohl er wenig Gedanken daran verschwendete, versuchte er unbewusst, der Gewalt auszuweichen. Er nahm jede Herausforderung an, aber er provozierte sie nicht. Er hatte seine eigenen festen Prinzipien, und sie hatten bis jetzt funktioniert.

Lobo wälzte sich im Stroh herum und zog seine Decke bis zum Hals hoch. Er dachte wieder an die Mörder, und er war ärgerlich darüber. Was geschehen war, war geschehen. Er hatte die Toten nicht gekannt. Er hatte sie begraben. Das war mehr, als er ihnen schuldig gewesen war. Sie wurden nicht wieder lebendig, wenn er über ihren Tod nachgrübelte. Trotzdem ließen sich die Bilder nicht verdrängen, denn sie hatten alte Wunden ­aufgerissen, und schon spürte er, tief in seinem Innern, wie die Erinnerung wieder in ihm hochstieg.

Unruhig rollte er sich auf die andere Seite. Er atmete ruhig, versuchte zu schlafen und versank nach und nach in einen Dämmerzustand. Er schlief nicht, er war auch nicht wach. Seine Glieder waren schwer, und in seinen Schläfen pulste das Blut wie flüssiges Blei.

Dann, irgendwann, schlief er doch ein.

Es war Mitternacht, als er wach wurde. Das Stalltor knarrte in den rostigen Angeln. Lobo nahm einen Schatten wahr. Ein schmaler Streifen Mondlicht fiel ins Stallinnere. Es raschelte im Stroh.

Lobo rührte sich nicht. Er lauschte. Seine Sinne waren gespannt. Nach und nach gewöhnten seine Augen sich an die Dunkelheit.

Dann sah er die Frau. Sie stand unweit von der Box, in der er sein Lager aufgeschlagen hatte. Der milchige Strahl des Mondlichts, der durch das halb geöffnete Stalltor fiel, traf sie. Sie streifte ihre Hose ab. Ihre Bewegungen waren katzenhaft geschmeidig wie bei einem Raubtier. Lobo fühlte unwillkürlich eine wohlige Wärme in sich.

Sie ließ das Hemd fallen. Darunter trug sie nichts. Sie war völlig nackt. Sekundenlang wirkte sie im Mondlicht wie eine bronzene Statue. Das Blut in Lobos Lenden begann heftig zu pochen. Sein Hals wurde trocken. Er dachte daran, dass er schon lange nicht mehr mit einer Frau zusammen gewesen war.

Die Indianerin näherte sich. Sie bewegte sich wiegend in den Hüften. Ihr Haar fiel lang und glatt auf ihre runden Schultern. Es war weich und schimmerte wie schwarze Seide. Ihre Brüste waren klein und birnenförmig mit steil aufgerichteten Spitzen.

Einen Moment blieb sie vor Lobos Lager stehen. Sie warf den Kopf in den Nacken und strich ihr Haar zurück. In der Nachbarbox schnaubte verschlafen das Pferd.

„Du bist wach“, flüsterte sie. „Ich sehe deine Augen, sie stehen offen.“

Er antwortete nicht. Sie ließ sich langsam auf die Knie gleiten und legte sich neben ihn. Vorsichtig lüftete sie seine Decke. Ihre Hände glitten über sein Gesicht, seinen Oberkörper. Sie öffnete sein Hemd. Er fühlte eine unerträgliche Hitze in sich.

Ihr Atem traf ihn, ihr Gesicht war plötzlich ganz nah vor seinem. Sie streifte sein Hemd zurück und strich mit kreisenden Bewegungen über seinen Oberkörper und seine muskulösen Schultern.

Er fasste nach ihr, zog sie zu sich herab und küsste sie. Sie erwiderte seinen Kuss voller Gier und Leidenschaft, während seine Hände nach ihren Brüsten tasteten.

Sie stöhnte leise, und hatte er sich im ersten Moment noch gefragt, was das alles zu bedeuten hatte, so verlor er jetzt keine Sekunde mehr mit überflüssigen Gedanken und Fragen. Er ließ sich von seinen Gefühlen mitreißen. Alles andere war jetzt unwichtig. Es gab nichts anderes mehr auf der Welt als ihn und diese Frau, deren Name er nicht einmal kannte.

Sie bedeckte sein Gesicht mit Küssen, während er seinen Gürtel löste. Sie biss ihn zärtlich in die rechte ­Schulter, als er sie auf den Rücken drehte und sich auf sie legte. Sie stöhnte laut und drängend, presste ihren Körper fordernd gegen den seinen und krallte ihre Finger in seinen Rücken, als er ungestüm und mit der Härte und Ungeduld eines Mannes in sie eindrang, der lange auf weibliche Gesellschaft hatte verzichten müssen.

Sie wand sich unter ihm, stieß abgehackte, leise und von Leidenschaft erfüllte Geräusche aus. Sie waren wie in einem Rausch. Um sie herum versank die kleine Welt des engen, muffigen Stalls in einem finsteren Nichts, während sie das Gefühl hatten, von der Hitze ihrer eigenen Lust verzehrt zu werden.

*

Kühl strich der Nachtwind durch die halb geöffnete Stalltür herein und trocknete den Schweiß auf ihren Körpern. Sie lagen schweigend und erschöpft nebeneinander im Stroh. Die Frau hatte ihren Kopf auf Lobos rechten Arm gebettet. Lobo gestand sich, dass er sich wohl fühlte wie schon lange nicht mehr.

„Ich heiße Tahia“, sagte sie plötzlich. „Tahia Felton. Ich bin eine Pima.“

„Meine Mutter war auch eine Pima“, sagte Lobo.

„Und wie heißt du?“

„Lobo.“

„Und weiter?“

„Gates“, sagte er. „Lobo Gates. Aber das kannst du vergessen.“

„Es ist nicht einfach, dich zu vergessen“, sagte sie. Ihre vollen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. „Du bist wie ein Tier.“

„Du wolltest mich am Nachmittag umbringen“, sagte er.

„Das ist eine Ewigkeit her.“

„Und nun?“

„Du bist stark“, sagte sie. „Kannst du auch schießen?“

„Mir genügt es.“

„Du bist ein Halbblut“, sagte sie. „Ich bin eine Pima-Frau. Wir gehören zusammen.“

„Vielleicht“, sagte er. „Dein Mann ist erst ein paar Stunden tot.“

„Er war Indianerhändler“, sagte sie. „Er und sein Freund Drury. Sie lieferten meinem Stamm Gewehre und Whisky für Felle. Als sie aufhörten, weil die Armee ihnen auf die Schliche kam, nahm Felton mich zur Frau, Drury nahm sich Ismela. Felton gab meinem Vater zehn Gewehre für mich, Drury gab acht für Ismela.“

„Das waren die beiden anderen Toten?“

„Ja. Sie sind alle tot.“ Sie schaute an Lobo vorbei in die Dunkelheit. „Ich lebe, ich kann nicht ewig trauern.“

„Was willst du?“, fragte Lobo.

„Dich“, antwortete Tahia.

Sie blickte ihn an. Ihre Augen glühten in der Dunkelheit wie die einer Raubkatze.

„Du musst sie töten. Du musst sie suchen und töten!“

„Ich denke, du willst nicht ewig trauern?“

„Ich will nicht trauern“, sagte sie. „Ich will Rache.“

Lobo lächelte versonnen. Er ließ den Zeigefinger seiner Linken über die Innenseiten ihrer Oberschenkel gleiten, durch das dichte Schamhaar ihres Schoßes und über ihren Leib, hinauf zu ihren Brüsten. Er fühlte, wie in ihr erneut die Leidenschaft erwachte.

Er wusste nun, warum sie ihre feindselige Einstellung ihm gegenüber so abrupt geändert hatte, warum sie sich zu ihm gelegt und mit ihm geschlafen hatte.

Sie wollte, dass er die Mörder jagte und tötete, sie wollte, dass er für sie Rache übte. Das war der Grund. Dafür hatte sie alles gegeben, was sie ihm hatte geben können, sich selbst.

Er war nicht ärgerlich darüber, den Grund zu erfahren. Er hatte es ausgekostet, hatte es genossen, und es war noch nicht zu Ende. Die Nacht war noch lang. Sie gefiel ihm immer besser. Sie wusste, was sie wollte. Sie war zu allem bereit, um ihr Ziel zu erreichen.

Tahia ...

Lobo dachte an die Mörder, an das blutige Gemetzel, das sie angerichtet hatten, und wieder sah er die Bilder seiner toten Eltern und seines ermordeten Bruders vor sich.

Was sollte er tun?

Er fühlte, wie wieder Hitze in seine Lenden floss, wie jede Faser in ihm verlangte, sich der Frau wieder zuzuwenden.

„Ich will sie tot sehen“, hörte er sie neben sich sagen. „Ich will ihre Skalps sehen. Ich will, dass du sie tötest und ihnen die Skalps abreißt, wie sie uns die Kopfhäute abgeschnitten haben.“

Ihre Stimme klang nun sanft, einschmeichelnd und zugleich beschwörend.

„Du bist ein starker und schneller Mann, Lobo, und wer seinen Revolver trägt wie du, der kann auch damit umgehen. Ich glaube, dass du es schaffst, mit ihnen fertigzuwerden. Wenn es einer schafft, dann du. Denk daran, dass sie auch dich hätten skalpieren können, um deine Kopfhaut irgendwo an eine Behörde zu verkaufen. Denk daran, dass du die gleiche Haut hast wie wir, wie ich.“

Sie drängte sich an ihn, als er ihre Brüste streichelte und küsste.

„Wirst du es tun? Wirst du sie töten? Sag mir, dass du sie tötest.“

Lobo blickte an ihr vorbei ins Stroh. „Ja“, sagte er. „Ich werde sie töten.“

„Für mich?“

„Nein“, sagte er. „Meine Eltern und mein Bruder sind genauso ermordet worden. Deswegen. Nur deswegen.“

„Das ist egal“, sagte sie. „Warum du es tust, ist egal. Aber bring mir ihre Skalps.“

„Ich bringe dir ihre Skalps“, sagte er.

„Und dann bleibst du hier. Wir gehören zusammen. Wenn du mir ihre Skalps bringst, kannst du alles von mir haben.“

„Was noch?“, fragte er. „Hast du noch mehr zu verschenken?“

Er wälzte sich auf sie. Sie empfing ihn mit einer ungestümen Wildheit, die ihm fast den Verstand raubte. Es machte ihm nichts aus, dass sie es aus Berechnung tat. Er fühlte sich erleichtert, dass er sich entschieden hatte, die Skalpjäger zu jagen. Er dachte an seine ermordeten Eltern, an die brennende Farm seines Vaters. Er kannte diese Männer nicht, aber Skalpjäger waren Skalpjäger. Tahia hatte recht: Seine Haut war dunkel, deshalb waren sie seine Feinde. Er musste sie jagen. Er war sicher, dass sein Entschluss richtig war.

Kapitel 3

Er ritt südwärts. Seit zwei Tagen war er unterwegs. Ab und zu dachte er an Tahia. Meistens aber dachte er an die Mörder, die er jagte.

Tahia hatte ihm zwei Namen genannt, die im Gespräch zwischen den Männern gefallen waren.

Ed Larkin und Truck Ballard. Larkin war der Anführer gewesen. Ein Mann von mehr als sechs Fuß Größe mit breiten Schultern und einem knochigen Gesicht. Ihm fehlte das linke Auge. Ballard war ein grobschlächtiger, vierschrötiger Mann mit ungepflegtem, struppigem Kinnbart und einer gebrochenen Nase.

Das war alles, was er wusste. Und dann gab es noch die schwache Fährte, der er seit zwei Tagen folgte. Ihr Vorsprung war groß, aber das war kein Hindernis für ihn.

Es war noch früh am Vormittag, als er die Spur verlor. Sie mündete in eine Wagenstraße ein, die von Norden nach Süden das weite Land durchschnitt und sich wie eine graue Schlange in zahlreichen Windungen zwischen den Hügeln im Süden hindurchwand. Es war ein ausgefahrener Weg. Der Boden war steinig, staubig und hart. Hier hinterließ ein Pferdehuf keinen Abdruck.

Lobo lenkte seinen Morgan ohne Zögern nach Süden. Die Skalpjäger hatten, seit sie von der kleinen Farm weggeritten waren, diese Richtung eingehalten. Es gab keinen Grund, dass sie sie plötzlich geändert haben konnten.

Lobo ritt Stunde um Stunde, Meile um Meile. Die Sonne stieg am Horizont höher. Es wurde sehr heiß.

Vor ihm tauchte eine Raststation auf. Vier flache Gebäude. Ein langgestrecktes Haupthaus, zwei Ställe, ein Magazin. In einem Corral daneben standen ein paar Mulis.

Lobo lenkte sein Pferd auf den Hof und stieg ab. Er führte das Tier zur Tränke und ließ es hier mit hängenden Zügeln stehen, als er zum Haus ging.

Bevor er die Tür erreichte, wurde sie geöffnet. Eine Frau erschien. Groß, hager, eckig. Sie wirkte fast wie ein Mann. Das aschblonde Haar hatte sie straff zurückgekämmt und im Nacken zu einem Knoten ­zusammengefasst. Sie trug ein knöchellanges Kleid aus derbem, grauem Stoff, dazu eine schmucklose, einfache Schürze.

Sie hatte harte Züge und dünne Lippen. Aus wasserhellen Augen schaute sie Lobo kurz an. Als er die Rechte hob und mit dem Zeigefinger grüßend an den Hutrand tippte, wandte sie sich ab und bewegte sich mit kurzen, energischen Schritten zum Stall hinüber. In der rechten Hand trug sie einen verbeulten Eimer.

Lobo trat ins Haus. Es herrschte Halbdunkel. Das Sonnenlicht wurde von dichtmaschigen Fliegengittern gefiltert, die an den Fenstern angebracht worden waren.

Es standen Tische und Bänke im Aufenthaltsraum, einfach, aber stabil gefertigt. Es gab eine zwanzig Fuß lange Theke, hinter der ein fettleibiger, schwammig wirkender Mann stand, dessen kugelrunder Schädel von einem weißen, gelockten Haarkranz umgeben wurde. Er schrieb etwas in ein abgegriffenes Buch mit fleckigen Seiten und hatte sich dazu eine randlose Brille aufgesetzt, die bis nach vorn auf seine Nasenspitze gerutscht war.

Als Lobo an die Theke trat, hob er leicht den Kopf und schielte ihn über die Brillengläser hinweg an.

Sein fettes Gesicht blieb ausdruckslos. Er schaute wieder in sein Buch und fuhr mit seiner Arbeit fort, ohne ein Wort zu sagen.

„Kann ich hier was zu essen kriegen?“

„Wenn Sie etwas Zeit haben, Mister.“

Der Mann klappte das Buch zu und nahm die Brille ab. „Wir haben heute keine Gäste erwartet. Die nächste Kutsche steht erst für morgen auf dem Plan. Es reitet selten jemand vorbei. Wir haben nichts vorbereitet.“

„Ich bin mit wenig zufrieden.“

Der Mann antwortete nicht. Er legte das Buch in ein Regal und schob sich den Bleistift, mit dem er geschrieben hatte, hinter das linke Ohr.

„Vor zwei oder drei Tagen waren fünf Männer hier“, sagte Lobo. Er zog einen Tabakbeutel aus der Tasche und begann, sich eine Zigarette zu drehen. „Freunde von mir. Wohin sind sie geritten?“

„Hier war niemand“, sagte der Stationer. „Gestern eine Kutsche aus El Paso, vor drei Tagen ein Frachtwagentransport zur Grenze hinunter. Sonst niemand.“

„Larkin heißt der eine, Hank Larkin“, sagte Lobo.

„Tut mir leid.“ Der Stationer wandte sich um. „Ich kümmere mich um Ihr Essen.“

„Ein anderer heißt Ballard“, sagte Lobo.

„Ich sagte schon, es war niemand da“, sagte der Stationer. „Wahrscheinlich sind Ihre Freunde vorbeigeritten. Vielleicht sind sie auch in eine ganz andere Gegend geritten.“

„Kaum.“

„Ich kann Ihnen nicht helfen.“

„Ich glaube doch.“ Lobo bemerkte das nervöse Zucken der Augenlider des anderen. Das war das einzige, dafür aber sehr offensichtliche Zeichen, dass er log. In seinem schwammigen Gesicht rührte sich kein Muskel. Es blieb ausdruckslos.

Der Mann musterte Lobo eingehend. Dann blickte er an ihm vorbei zur Tür.

„Gehen Sie“, sagte er. „Bei mir kriegen Sie nichts.“

„Sie wollten sich um mein Essen kümmern.“

„Jetzt nicht mehr. Ich habe das Gefühl, dass Sie Ärger wollen. Nun gut, ich will keinen. Gehen Sie!“

„Ich will keinen Ärger“, sagte Lobo. „Ich will nur wissen, wohin die fünf Männer geritten sind, die vor zwei oder drei Tagen hier waren.“

„Hier waren keine fünf Männer. Und selbst wenn ... Glauben Sie, ich merke mir jedes Gesicht, jeden Namen? Es reiten viele Männer vorbei.“

„Vor fünf Minuten haben Sie das Gegenteil gesagt.“

Der Dicke lief rot an. „Raus“, sagte er. „Gehen Sie endlich.“

Die Tür schwang auf. Lobo bemerkte aus den Augenwinkeln, dass die Frau wieder eintrat. Sie schloss die Tür und blieb vor ihr stehen. Sie hatte gehört, was der Stationer gesagt hatte.