Ronco - Die Tagebücher 22: Der Feuerreiter - Dietmar Kuegler - E-Book

Ronco - Die Tagebücher 22: Der Feuerreiter E-Book

Dietmar Kuegler

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Beschreibung

Wo er auftaucht, bleiben Asche, Blut und Verdammnis zurück. Er zieht wie ein Phantom durch den Südwesten von Texas und tötet ohne Gnade. Niemand weiß, wer er ist. Aber ich weiß, dass ich ihn stellen muss, um seinem Morden ein Ende zu bereiten. Das ist meine Aufgabe, denn ich bin Scout der Armee, was ich nie sein wollte. Wenn ich meinen Auftrag nicht erfülle, wird es wieder Krieg geben. Zwischen der Armee und den Apachen.Daher folge ich der Blutspur des Feuerreiters, eines Menschen, der die Wüsten und das raue Land an der Grenze nach Mexiko ebenso gut kennt wie ich.Dieser Band enthält die folgenden Romane:Der Feuerreiter (43)Todeszeichen (44)

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Seitenzahl: 265

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RONCO

In dieser Reihe bisher erschienen

2701 Dietmar Kuegler Ich werde gejagt

2702 Dietmar Kuegler Der weiße Apache

2703 Dietmar Kuegler Tausend Gräber

2704 Dietmar Kuegler Apachenkrieg

2705 Dietmar Kuegler Das große Sterben

2706 Dietmar Kuegler Todesserenade

2707 Dietmar Kuegler Die Sonne des Todes

2708 Dietmar Kuegler Blutrache

2709 Dietmar Kuegler Zum Sterben verdammt

2710 Dietmar Kuegler Sklavenjagd

2711 Dietmar Kuegler Pony Express

2712 Dietmar Kuegler Todgeweiht

2713 Dietmar Kuegler Revolvermarshal

2714 Dietmar Kuegler Goldrausch

2715 Dietmar Kuegler Himmelfahrtskommando

2716 Dietmar Kuegler Im Fegefeuer

2717 Dietmar Kuegler Die Ratten von Savannah

2718 Dietmar Kuegler Missouri-Guerillas

2719 Dietmar Kuegler Höllenpoker

2720 Dietmar Kuegler Das Totenschiff

2721 Dietmar Kuegler Der eiserne Colonel

2722 Dietmar Kuegler Der Feuerreiter

Dietmar Kuegler

Der Feuerreiter

Diese Reihe erscheint als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2021 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-176-2Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Der Feuerreiter

von Dietmar Kuegler

15. August 1881

Ich bin wieder so weit, dass ich an einen neuen Anfang denken kann. Zwar liegen sicherlich noch große Hindernisse vor mir, aber das Wichtigste ist mir gelungen: ­Jellico ist wieder bei mir.

Ich habe ihn gefunden und befreien können. Er liegt in eine Decke gehüllt neben mir am Feuer und schläft bereits, während ich hier sitze und im Schein der Flammen mein Tagebuch fortführe.

Ich habe vor, mit Jellico zurück nach Texas zu gehen. Wir stecken ziemlich tief in Mexiko, und zum Rio Grande ist der Weg noch immer am kürzesten. In Texas hat für mich seinerzeit alles angefangen, was meine Fährte dann so tief ins Dunkel geführt hat, so dass ich zeitweise glaubte, dass die Nacht, in der ich mich bewegte, nie mehr einen Morgen haben würde.

Als mein langer Trail der Hoffnungslosigkeit begann, war ich neunzehn Jahre alt. Es war im Spätsommer 1865, als ich nach Süd-Texas ins Indianergebiet ritt. Mein Ziel war Fort Calhoun. Hier sollte ich Scout werden, aufgrund meiner Erfahrungen mit den Apachen, bei denen ich zeitweise gelebt hatte und zum Kämpfen erzogen worden war, und aufgrund meiner militärischen Kenntnisse aus der Zeit des Bürgerkrieges.

Ich hatte eine ganze Menge gegen die Armee, und ich hatte noch mehr dagegen, wie sie mit den Indianern umging. Aber man hatte mir gesagt, dass ein Mann wie ich, der viele Apachen kannte und sicherlich auch das Vertrauen der Indianer besaß, etwas gegen das viele Blutvergießen würde tun können.

Illusionen! Ich konnte nichts tun. Das Überleben von Indianer-Stämmen wurde genauso wie ihr Untergang woanders entschieden. Weit weg von der Welt, in der ich mich bewegte. Von Menschen, die in den allermeisten Fällen noch nie einen Indianer gesehen und noch niemals das Land erlebt hatten, über dass sie Entscheidungen fällten. Menschen wie ich wurden gebraucht, weil wir uns auskannten. Aber zu bestimmen hatten andere. Das alles wusste ich damals noch nicht, damals, als alles anfing.

1.

Ich sah Rauch vor mir.

Erst hielt ich ihn für Nebel, denn es war früh am Tag, graue Dunstschwaden hielten sich in den Niederungen. Dann erhob sich ein leichter Wind, der mir von den Hügeln entgegenstrich und den scharfen Geruch des Feuers mitbrachte.

Der Wind vertrieb auch die Grauschleier des anbrechenden Tages. Die Luft wurde klarer. Ich glaubte, über dem Rauch ein paar dunkle Punkte vor dem Hintergrund des Morgenhimmels schweben zu sehen.

Aasvögel. Wahrscheinlich Krähen.

Unwillkürlich glitt meine Rechte zum Holster, aus dem der abgegriffene Kolben meines alten Navy Colts Modell 1851 ragte. Aber das Land um mich herum war still. Ich war allein hier, mit meinem grauen Wallach und Shita, meinem Hund.

Ich überlegte, ob ich einen Bogen um das Feuer vor mir schlagen sollte. Dann trieb ich meinen Wallach an und ritt auf die Hügel zu.

Gefahren hatte man besser vor sich als hinter sich. Und man war sicherer, wenn man sie kannte.

Shita sprang mit großen Sätzen vor mir her und erreichte die Hügelkette, die mir den Blick auf den Brandherd verwehrte. Er blieb auf einem der Hügelbuckel stehen, die Rute hochaufgerichtet, die Ohren gespitzt.

Der Wind frischte auf. Der Brandgeruch verstärkte sich. Ich zügelte den Wallach auf der Kuppe des Hügels und spähte über die weite Ebene nach Süden.

Ich sah das Feuer in knapp anderthalb Meilen Entfernung. Es brannte bereits nieder.

Eine kleine Farm. Drei Gebäude, die jetzt bis auf die Adobelehm-Fundamente und einige Reste wuchtiger Balken schwarzverkohlte Ruinen waren.

Ich entdeckte nirgends ein Lebenszeichen, kein Mensch, kein Tier, nur die Krähen, die hoch über dem Rauch schwebten. Ab und zu bemerkte ich ein Blinken, wenn zerborstenes Fensterglas die Morgensonne einfing und reflektierte.

Ich zögerte einen Moment, bevor ich den Wallach antrieb, in die Ebene hinunterritt und ihn auf die brennende Farm zu lenkte.

Shita blieb hinter mir zurück und bellte, als wolle er protestieren. Wenig später holte er mich ein und trabte sichtlich unwillig neben mir her.

*

Der Wind drückte den beißenden Rauch nach unten und hüllte den Farmhof in dichte Schwaden. Glühende Ascheteilchen schwebten mir entgegen, als ich den Wallach am Rand des Hofes zügelte und aus dem Sattel glitt.

Es stank penetrant nach verbranntem Fleisch, nach Ruß und nach Tod.

Ich zog meinen Spencer-Karabiner aus dem Scabbard und schaute mich um. Es herrschte eine unglaubliche Hitze rings um die Farm. Der Wind brachte keine Kühlung. Die Luft über dem Hof schien zu kochen. Sie flimmerte und ließ die Konturen der Ruine vor meinen Augen verschwimmen. Rauch trieb mir ins Gesicht.

Gerade fiel das letzte Stallgebäude krachend in sich zusammen. Eine Wolke von Ruß und Asche stob auf, für einen Sekundenbruchteil zuckte eine Flammensäule hoch, die sofort wieder in sich zusammensank. Das Feuer wurde kleiner. Hier und da schwelten neue Brände, erloschen aber sofort wieder.

Hinter mir scheute der Wallach und schnaubte. Ich ging über den Hof.

Unweit des Stalles sah ich ein paar Hühner liegen, sie waren schwarzverkohlt. Zwischen den Trümmern entdeckte ich die verbrannten Überreste von ein paar Schweinen und einer Kuh. Der Leib der Kuh war geplatzt. Sie lag auf dem Rücken, ihre Läufe ragten kohlrabenschwarz nach oben. Der Gestank, der sich in der Hitze wie eine Pestwolke zusammenballte, wurde immer unerträglicher. Hoch über dem Rauch kreischten die Krähen.

Dicht beim Brunnen fand ich den ersten Toten.

Es war ein Mann. Er lag neben einem angekohlten Holzeimer mit dem Gesicht nach unten. Sein Hinterkopf war von einem mächtigen Keulenhieb zerschmettert worden.

Ich ging weiter und fand neben der Haustür noch drei Leichen. Zuerst sah ich eine Frau, unweit von ihr lagen zwei tote Kinder. Die Kinder hatten sich einander umarmt, bevor sie gestorben waren und lagen fest aneinander gekrallt im Staub. Das Mädchen war von hinten erschossen worden. Den Jungen hatte ein Keulenhieb mitten ins Gesicht getroffen. Die Frau war von einer großkalibrigen Kugel, wahrscheinlich aus einer 52er Sharps, dahingerafft worden.

Ich sah nicht zum ersten Mal Tote. Ihr Anblick war mir von Kindesbeinen an vertraut. Trotzdem war ich nicht abgestumpft, und ich war froh darüber, obwohl ich in diesem Moment spürte, wie sich in mir ein Ekelgefühl zusammenballte. Ich hatte das starke Bedürfnis, mich zu übergeben.

In meinen Schläfen hämmerte das Blut, der Reiz auf meine Schleimhäute wurde so stark, dass ich mir fast die Seele aus dem Leib hustete.

Ich hörte Shita bellen, achtete aber nicht darauf. Rauch hüllte mich ein, für ein paar Sekunden ergriff mich ein Schwindelgefühl.

Ich tappte etwas unsicher aus dem Rauch und sah vor mir einen Schatten auftauchen, einen Reiter auf einem mittelgroßen, breitbrüstigen Pony mit langer Mähne. Ich hob meinen Spencer-Karabiner zur Hüfte. Bevor ich durchrepetieren konnte, sah ich, dass der Mann auf dem Pferd bereits sein Gewehr in den Händen hielt und auf mich zielte. Shita bellte wie rasend und sprang an dem Pony hoch, aber der Reiter wirkte unbeeindruckt, und sein Pferd beachtete den Hund nicht.

Ein Windstoß jagte den Rauch plötzlich hoch. Der Lauf des Sharps-Karabiners, den der Reiter in den Fäusten hielt, blinkte bläulich schwarz in der Sonne.

Der Mann war Indianer, ein Apache. Seine Gestalt war untersetzt, muskulös, und strahlte Kraft aus, sein Gesicht war breitflächig und ausdruckslos. Um die Stirn hatte er sich ein breites Wolltuch von verwaschener Farbe gewunden. Darunter hervor floss dichtes, blauschwarzes Haar bis auf die breiten Schultern.

Der Sharps-Karabiner in seinen Fäusten hatte einen zerbeulten Kolben, das Schloss Rostnarben. Es war vermutlich sehr oft Wind und Wetter ausgesetzt, aber diese Gewehre waren unverwüstlich, das wusste ich aus eigener Erfahrung.

Um die Hüften trug er einen Revolvergurt, das war ungewöhnlich für einen Apachen. Links steckte ein Tomahawk im Gürtel, rechts baumelte ein Holster mit einem schweren Army Colt. Der Revolver war vernickelt und glänzte in der Sonne wie Silber.

Über dem nackten Oberkörper trug der Apache eine Uniformjacke aus verblichenem, blauem Stoff, an den Ärmeln hatte er einige gelbe Winkel.

Meine Haltung entspannte sich. Ich ließ das Gewehr sinken und wusste jetzt, was ich für einen Mann vor mir hatte.

Der Apache war Scout der Armee, genau wie ich.

„Geh zurück, Shita“, befahl ich. Shita reagierte sofort, wenn auch mit offensichtlichem Widerwillen.

Ich blickte dem Reiter fest in die Augen. Er hielt nach wie vor sein Gewehr auf mich gerichtet und musterte mich prüfend. Ich bemerkte dunkle Ringe unter seinen Augen, sein Gesicht wirkte etwas aufgedunsen, was auf regelmäßigen erheblichen Alkoholgenuss schließen ließ. Seine Haut war bronzefarben, trotzdem hatte ich plötzlich Zweifel, ob er ein reinblütiger Indianer war, auch wenn er äußerlich ganz so wirkte. Aber seine Augen waren nicht schmal genug, sein Mund hatte keinen indianischen Schnitt, und seine Nase war schmal und ziemlich groß, im Gegensatz zu den kurzen, breiten Nasen der meisten Apachen.

Ich hatte Cochise gekannt und einige andere Krieger, die keine typischen Apachengesichter gehabt hatten, aber bei diesem Mann war die Mischung aus weißem und indianischem Blut zu deutlich erkennbar, je länger ich ihn betrachtete. Ich sagte: „Fort Calhoun?“ In seinem Gesicht zuckte kein Muskel, aber seine Augen weiteten sich kaum merklich. Er war überrascht.

„Mein Name ist Ronco“, sagte ich. „Ich habe mich für Fort Calhoun als Scout anwerben lassen.“

Ich griff in die Brusttasche meines Hemdes und zog den zerknitterten Begleitbrief hervor, den mir Colonel Warwick mit auf den Weg gegeben hatte.

„Ich kann nicht lesen.“ Der Reiter ließ den Sharps-Karabiner sinken und glitt geschmeidig wie eine Wildkatze aus dem Sattel. Er sprach ohne den geringsten Akzent.

„Du bist angekündigt worden. Wir reiten zusammen nach Fort Calhoun. Wenn du gelogen hast, würde ich an deiner Stelle schnell verschwinden.“

„Ich lüge nicht“, sagte ich scharf.

Der Apache ging an mir vorbei, ohne mich zu beachten. Shita knurrte leise, rührte sich aber nicht vom Fleck.

Der Mann bewegte sich über den Farmhof. Ich schaute ihm nach. Er blickte sich sorgfältig um und kehrte dann zurück.

„Jicarilla“, sagte er. Er streckte mir die Rechte hin.

„Wie?“, fragte ich.

„Mein Name“, sagte er.

Ich ergriff seine Hand. Er schien durch mich hindurch­zuschauen. Seine Augen schimmerten ein wenig glasig, das fiel mir jetzt erst auf. Er ging an mir vorbei zu seinem Pferd. Es war ein Indianerpony, scheckig, kräftig, ausdauernd. Er öffnete die Satteltasche und zog eine Flasche ohne Etikett heraus. Sie war zur Hälfte mit einer hellen, gelblich schimmernden Flüssigkeit gefüllt.

„Willst du einen Schluck?“ Er hielt sie mir hin.

„Brandy?“, fragte ich. „Nein, danke, nicht so früh am Tag, und nicht bei dieser Hitze.“

„Je früher, je besser“, sagte er. Er entkorkte die Flasche, trank, schob den Korken in den Flaschenhals zurück und grinste breit.

„Wir sollten die Toten begraben“, sagte ich.

Er zuckte mit den Schultern und sagte: „Entweder werden sie von den Krähen gefressen oder von den Würmern. Eins ist so gut wie das andere.“

„Ich werde ein Grab schaufeln.“ Ich ließ ihn stehen und schritt suchend über den Farmhof. Das Feuer war jetzt erloschen. Die Rauchschwaden wurden dünner. Shita trottete mir nach.

Ich fand einen Spaten mit angesengtem Stiel, der aber sonst völlig in Ordnung war, und begann ein Stück hinter dem Haus zu graben. Nach ein paar Minuten gesellte sich Jicarilla zu mir. Er hatte einen kurzen Feldspaten ­mitgebracht, schaute mir eine Weile zögernd zu und half dann beim Ausschachten eines großen Grabes.

Wir arbeiteten eine Zeitlang schweigend, dann fragte er: „Ronco heißt du?“

„Ja.“

„Das ist kein Name, wie Weiße ihn gewöhnlich tragen.“

„Nein.“

Ich schwitzte. Über uns schrien die Krähen. Ihr Gekrächze wurde immer lauter. Sie schienen zu ahnen, dass wir sie um ihre Beute bringen wollten. Ich hielt einen Moment inne und zog mein Hemd aus. Jicarilla beobachtete mich.

Ich war ziemlich groß, maß über sechs Fuß und hatte kein Gramm Fett an meinem Körper, dafür aber einige Narben. Ich war schlank, fast hager, hatte schmale Hüften und breite Schultern. Meine Arme waren lang und muskulös, wenn ich sie anwinkelte, wölbten sich Sehnenstränge unter der Haut.

Ich war ein ziemlich zäher Brocken, das konnte man wohl sagen. Wer Augen hatte, um zu sehen, und wer das Land kannte und Erfahrungen mit Menschen besaß, konnte mir ansehen, was für ein Leben ich hinter mir hatte. Es hätte für manchen Greis ausgereicht, auf ereignisreiche Jahrzehnte zurückzublicken. Ich aber war noch keine zwanzig.

Jicarilla schien das alles zu sehen, als er mich taxierte. Aber er wusste nicht, welche Stationen in meinem Leben es gewesen waren, die mich zu dem geformt hatten, was ich war.

„Bist du schon lange bei der Armee?“, fragte er mich unvermittelt.

„Zu lange“, sagte ich. „Und du?“

„Ein Jahr.“

Er hörte auf zu arbeiten. Die Sonne hatte fast den Zenit erreicht. Der Wind hatte nachgelassen. Es war unerträglich heiß. Der Gestank nach Asche und Tod hatte sich verstärkt. Der Krähenschwarm, der über der Farm kreiste, war größer geworden.

Das Geschrei der schwarzen Vögel wurde immer lauter.

Auch ich richtete mich auf, das Grab war fertig.

„Warum willst du nach Fort Calhoun?“, fragte er.

„Die Armee hängt mir zum Hals raus“, sagte ich. „Aber ich bin bei Apachen aufgewachsen, ich kann einige Stammes­sprachen, und ich glaube, dass sie im Recht sind. Vielleicht kann ich etwas für sie tun, vielleicht kann ich vermitteln. Irgendwann muss das ständige Blut­vergießen aufhören.“

„Vergiss es!“ Er stieg aus der Grube. „Meine Mutter war eine Mescalero, mein Vater ein Weißer. Man hat es nicht leicht als Mann ohne Farbe. Irgendwann wollten mich die Mescaleros nicht mehr haben. Die Weißen wollten mich auch nicht. Als Halbblut kannst du in diesem Land nur verrecken oder als Scout zur Armee gehen. Ich bin Scout geworden, weil mir einer gesagt hat, ich könne für meinen Stamm etwas tun. Alles Quatsch. Für die Soldaten bin ich nur interessant, weil ich Spurenlesen kann, für die Apachen bin ich ein Verräter. Manchmal denke ich mir, es ist besser, zu verrecken.“

„Säufst du deswegen?“, fragte ich.

Er antwortete nicht. Er drehte sich um, ließ den Feldspaten fallen und ging, um die Leichen zu holen. Er brachte erst den Mann. Als er ihn in die Grube hinunterstieß, stieg ich rasch nach oben. Gemeinsam mit Jicarilla legte ich die Frau ins Grab und holte die toten Kinder. Dann schaufelten wir die Grube zu.

„Wir können gar nichts tun“, sagte Jicarilla plötzlich. Er arbeitete, ohne aufzusehen. „Die Armee weiß selber nicht genau, was sie eigentlich will. Hinter jedem General steht ein anderer General. Der eine sagt dies, der andere das. Am Schluss sind sie sich nur in einem einig: Die Indianer müssen weg. Wir können nichts dabei tun.“

Ich antwortete nicht, aber was er sagte, traf mich stark.

„Wahrscheinlich wird es Krieg geben“, sagte Jicarilla. Er klopfte die Erde des Grabhügels fest, den wir aufgeworfen hatten. „Dieser Überfall hier war der vierte in den letzten Wochen. Die Siedler schreien danach, dass die Apachen bestraft werden müssen. Die Armee wird bald nicht mehr anders können.“

„Es war kein großer Überfall“, sagte ich. „Höchstens zwei oder drei Krieger, vielleicht sogar nur einer.“

„Das interessiert die Siedler nicht.“ Jicarilla holte seine Flasche. Er trank den Brandy wie Wasser. „Wenn ein Apache etwas tut, müssen alle bestraft werden. Das ist die Logik des weißen Mannes. Versuch, etwas dagegen zu tun.“

„Hast du schon was herausgekriegt?“

„Nichts“, erwiderte Jicarilla. „Das Land ist groß, ich bin allein. Die weißen Siedler nennen die Brandstifter die Feuerreiter. Gesehen hat sie noch niemand. Sie reiten nachts, suchen sich abgelegene Farmen aus und verschwinden sehr schnell wieder. Dabei verwischen sie ihre Spuren.“

„Gibt es viele Stammesgruppen in der Nähe?“

„In der Nähe vom Rio Doro liegen einige kleine Dörfer“, erwiderte Jicarilla. „Alles Mescaleros, alle friedlich. Ab und zu dringen von Mexiko aus Chiricahuas ein, aber nur sehr selten, und die reiten nicht so weit nach Norden. Vielleicht sind es ein paar versprengte junge Krieger, die sich in den Bergen versteckt haben.“

Er zuckte mit den Schultern und sagte: „Es werden auch Apachen ermordet. Krieger, Frauen, Kinder und Greise. Einmal ist ein Dorf aus Reisighütten angezündet worden. Darum kümmert sich keiner.“

Er steckte die Flasche wieder weg. Es war kaum noch etwas darin. Er roch jetzt schon penetrant nach dem billigen Fusel, seine Stimme klang schwerfällig.

„Wir sollten reiten, hier gibt es nichts mehr zu tun.“

Er verstaute den Feldspaten.

Ich nickte Shita zu, der sich im Schatten der Ruine in den Sand gelegt und uns beobachtet hatte. Er erhob sich, gähnte, als ob er die halbe Welt verschlingen wolle und trottete lustlos hinter mir her.

Ich erreichte den Wallach und zurrte den Sattelgurt fest. Jicarilla schwang sich auf sein Pony.

Im selben Moment fiel der Schuss.

Als die Detonation verhallt war, lag ich bereits flach am Boden und hielt mein Spencer-Gewehr in den Fäusten. Das schrille Gekreisch der Krähen war verstummt.

2.

Shita bellte, nachdem der Schuss gefallen war.

Jicarillas Pony bäumte sich auf. Sein Wiehern glich einem grellen Trompetenstoß. Die Augenbälle quollen fast aus den Höhlen. Blutiger Schaum stand vor den Nüstern des Tieres.

Fast unwirklich langsam kippte es zur Seite. Jicarilla warf sich im letzten Moment aus dem Sattel, bevor das Pony schwer am Boden aufschlug und ihn unter sich begraben konnte. Jicarilla blieb hinter dem Tier liegen. Er zerrte seinen Sharps-Karabiner aus dem Scabbard und spähte über den Leib des toten Pferdes nach Südwesten zu einem Waldgürtel. Von dort musste der Schuss gefallen sein. Aus der breiten Brust des Ponys sickerte Blut.

Ich robbte auf allen vieren durch den heißen Staub in Richtung Brunnen.

Genauso unvermittelt wie beim ersten Mal fiel der zweite Schuss. Ich hörte den peitschenden Knall. Zwei Fußbreiten von mir entfernt schlug die Kugel in den Boden. Instinktiv schloss ich die Augen und drehte den Kopf zur Seite. Eine Fontäne aus feinkörnigem Sand wirbelte hoch und hüllte meinen Kopf ein. Ich schmeckte Staub auf meinen Lippen.

Bevor der Schuss verhallt war, sprang ich auf und lief geduckt über den Farmhof. Ich lief im Zickzack. Wieder fiel ein Schuss. Die Kugel zupfte an meinem rechten Stiefelabsatz, bevor sie sich in den Sand grub und eine armlange Scharte in den Boden des Farmhofes pflügte. Ich erreichte den Brunnen und warf mich mit einem Hechtsprung hinter die steinerne Einfassung.

Wer immer der Heckenschütze war, der uns hier unter Feuer nahm, er konnte schießen.

Schweißbahnen rannen mir über das Gesicht. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Mein Atem ging stoßweise.

Die Ebene rings um die Farm war leer und ohne Leben. Ich hob die flache Rechte zum Schutz gegen die stechenden Sonnenstrahlen an die Stirn und schloss meine Augen zu engen Schlitzen. Am Waldrand, gut fünfhundert Yards entfernt, glaubte ich ein blasses grauweißes Wölkchen zu entdecken, wie es nach einem Schuss aus einer Gewehr- oder Revolvermündung aufsteigt. Aber ich konnte mich täuschen.

Im nächsten Moment knallte es wieder, zwei-, dreimal hintereinander.

Eine Kugel schlug unweit von meinem Kopf in die steinerne Brunneneinfassung. Ein Regen von Gesteinssplittern ging auf mich nieder. Ich zog den Kopf ein und sah, dass die beiden anderen Geschosse den Leib des toten Ponys trafen. Jicarilla presste sich hart gegen den Boden. Eins der Geschosse zerriss den Sattelgurt.

Ich war sicher, diesmal das Mündungsfeuer gesehen zu haben, schob meinen Spencer-Karabiner über den Rand der Brunneneinfassung und feuerte in rascher Folge viermal auf den Waldrand.

Es geschah nichts. Ich hatte es auch nicht erwartet. Der Spencer-Karabiner war ein gutes Gewehr, aber die Entfernung war für einen genauen Schuss zu groß. Ich hätte eine langläufige Rifle benötigt, und Patronen mit besonders schwerer Ladung, um Wirkung zu erzielen.

Shita erhob sich unvermittelt aus dem Schatten der Stallruine. Das Fell in seinem Nacken hatte sich gesträubt, er hatte die Ohren steif aufgerichtet. Auf einmal schoss er aus dem Stand los und sprang auf die Ebene hinaus.

„Zurück!“, schrie ich. „Du Idiot, komm zurück!“

Er hörte nicht. Ich sah seinen geschmeidigen Leib durch das hohe Gras huschen. Dann war er auf einmal verschwunden. Mich fröstelte trotz der Hitze. Ich suchte mit Blicken den Rand des Waldgürtels ab, bis meine Augen zu tränen begannen. Nichts. Alles blieb still. Nichts regte sich.

Ich schaute zu Jicarilla hinüber. Er lag reglos hinter seinem toten Pony. Das Geschrei der Krähen war wieder zu hören.

Ich hob den Kopf. Der Krähenschwarm hatte sich aufgelöst. Nur noch etwa ein Dutzend der schwarzen Vögel kreiste über dem Farmhof, die anderen waren in Richtung Wald abgedreht.

Die Zeit schien stillzustehen. Der Wind wurde schwächer und flaute schließlich fast ganz ab. Die Sonne hatte den Zenit überschritten, trotzdem wurde es noch heißer.

Jicarilla rührte sich plötzlich. Er langte nach seiner Feldflasche, löste sie vom Sattel und zog sie über den Pferdeleib zu sich. Er bemühte sich danach, den Sattel vom Rücken des Ponys zu zerren. Aber das Gewicht des Pferdes ruhte schwer auf dem zerschossenen Sattelgurt. Jicarilla schaffte es lediglich, die Satteltasche freizukriegen, die das Tier beim Sturz unter sich begraben hatte. Er öffnete sie und langte hinein. Ich hörte ihn leise fluchen und sah, wie er den verkorkten Hals seiner Brandy-­Flasche hervorzog. Der Rest der Flasche war offensichtlich beim Sturz zerbrochen. Jicarilla schleuderte den scharf gezackten Flaschenrest wütend von sich. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.

Im selben Moment begann in der Ferne die Sharps wieder zu dröhnen. Ich dachte an Shita und zog instinktiv den Kopf ein, als die Geschosse im Farmhof einschlugen.

Sie bestrichen die freie Fläche zwischen dem Brunnen und dem toten Pony Jicarillas. Es waren nur ein paar Schüsse, aber sie lagen gut und hatten wohl nur den Zweck, uns zu zeigen, dass der Heckenschütze noch da war.

Jicarilla schob seinen Sharps-Karabiner über den Pferdeleib und begann zu feuern. Ich tat es ihm nach, bis ich auf einmal aus weiter Ferne Shita bellen hörte.

Ich ließ den Spencer-Karabiner sinken und lauschte. Wieder fiel ein Schuss, nachdem auch Jicarilla sein Feuer eingestellt hatte. Aber diesmal schlug keine Kugel auf dem Farmhof ein. Ich fühlte einen scharfen Stich im Herzen, dann hörte ich Shita wieder bellen, und sofort war mir leichter.

Es vergingen einige Minuten, vielleicht eine Viertelstunde. Dann tauchte der Hund plötzlich am Waldrand auf und hetzte mit großen Sätzen durch das Gras zurück zur Farm. Er steuerte zielsicher den Brunnen an und rannte mich glatt um. Ich fiel auf den Rücken. Er stellte sich breitpfotig über mich und leckte mein Gesicht ab, bis ich mich zur Seite gewälzt und ihn weggestoßen hatte.

„Verrückter Kerl! Lass mich in Ruhe!“ Ich richtete mich keuchend auf. Er stand hechelnd da, und ich sah neben ihm ein Stück Stoff liegen, einen blassblauen Fetzen, der nass von Shitas Speichel war.

Ich nahm ihn auf und betrachtete ihn. Es war Calico-Stoff, wie Apachen ihn gern verwendeten, aber das besagte nicht viel. Auch Weiße trugen Calico-Hemden.

„Geh in Deckung!“, rief Jicarilla.

„Keine Gefahr mehr“, sagte ich. Ich wedelte mit dem Stofffetzen. „Wer immer der Bursche war: Er hat keine Lust, sich auf einen Ringkampf mit Shita einzulassen und uns dabei aus den Augen zu verlieren.“

Jicarilla misstraute der ganzen Sache. Er blieb hinter dem toten Pony liegen, während ich den Wallach holte und mich in den Sattel schwang. Die ganze Zeit über geschah nichts. Es blieb still. Ich grinste Shita zu, und er ließ die Zunge aus dem Maul hängen und schien zurückzugrinsen. Ich stieß dem Wallach die Absätze in die Weichen und ritt vom Hof auf den Waldgürtel zu.

„He, wo reitest du hin?“, rief Jicarilla hinter mir. Ich winkte nur und ritt weiter, ohne zu antworten.

Shita überholte mich nach ein paar Minuten und sprang zum Wald voraus. Er wartete hier auf mich und bellte. Ich zügelte den Wallach neben ihm und stieg ab. Auch wenn es den Anschein hatte: Ich bewegte mich keineswegs unbekümmert oder unvorsichtig. Aber ich kannte Shita lange genug, und ich kannte mich in der Wildnis aus und konnte abschätzen, wann ein Gegner das Feld räumte. Wäre ich der geheimnisvolle Heckenschütze gewesen, so wäre ich genauso verschwunden wie er.

Er hatte zwei Gegner vor sich gehabt, die, wie er an unseren Reaktionen hatte erkennen können, keine unerfahrenen Grünschnäbel waren. Er hatte uns nur unter Kontrolle halten und eventuell ausschalten können, wenn er uns ständig im Auge behielt und uns in allem, was wir taten, ständig zuvorkam.

Das Auftauchen des Hundes hatte sein Konzept zerstört. Shita hatte ihn abgelenkt, und nachdem es ihm nicht gelungen war, den Hund zu töten, hatte er es vorgezogen, sich zurückzuziehen, bevor wir seine Unaufmerksamkeit bemerken und ausnutzen konnten.

Kein Zweifel: Der Mann war erfahren und vorsichtig. Das machte ihn, neben seinen Fähigkeiten im Umgang mit dem Gewehr, doppelt gefährlich.

Ich ging an Shita vorbei und drang geduckt ins Unterholz ein. Nur zwei Schritte weiter fand ich die Spuren des Schützen.

Hier hatte er mit Shita gekämpft. Der weiche Boden war zerwühlt. Ein paar tiefhängende Zweige waren abgeknickt. Ich fand zwei Stachelschweinborsten, wie sie an Mokassins getragen werden. Auch die Abdrücke im Boden ließen auf hochschäftige Mokassins mit weichen Sohlen schließen. An einem Dornenbusch entdeckte ich ein Stückchen blassblauen Stoff, wie Shita ihm mitgebracht hatte.

Ich tätschelte Shitas Kopf. Er wedelte hoheitsvoll mit dem Schwanz.

„Du warst gut wie immer, alter Junge“, sagte ich.

Ich folgte der Spur tiefer ins Unterholz. Knapp zwanzig Schritte hinter seiner Deckung, von der aus er auf uns geschossen hatte, musste Shita ihn noch einmal angefallen haben. Auch hier war der Boden zerwühlt. Auf einem Blatt entdeckte ich ein paar dunkle Flecke: Blut.

Dann war der Mann schnell gelaufen. Seine Schritte waren groß gewesen. Die Spur war klar zu verfolgen. Sie führte zu einer Lichtung, die fast sechzig Yards vom Waldrand entfernt lag. Hier fand ich die Fährte eines unbeschlagenen Pferdes. Der Mann hatte es bestiegen und war damit nach Südwesten geritten, nicht übermäßig schnell, wie die Spur auswies. Der Waldboden war weich, daher hatten wir auf der Farm keinen Hufschlag gehört.

Ich hielt es für sinnlos, die Fährte weiter zu verfolgen. Wahrscheinlich schloss sich an den Waldgürtel harter­diges Steppengebiet an, auf dem Spuren ohnehin schlecht zu verfolgen waren. Der Unbekannte würde zudem sicherlich alles tun, seine Fährte zu verwischen.

Mir war aufgefallen, dass er trotz seines überstürzten Aufbruches keine der abgeschossenen leeren ­Patronenhülsen zurückgelassen hatte. Wer so handelte, verfügte über Kaltblütigkeit und Überlegung. Außer dem Stofffetzen und den beiden Stachelschweinborsten gab es keinen persönlichen Hinweis auf den Schützen.

Ich betrachtete die Fußspur noch einmal. Die Ein­drücke waren nicht sehr tief. Der Mann war entweder nicht sonderlich schwer gebaut, oder er bewegte sich sehr leichtfüßig.

Die wenigen Anhaltspunkte deuteten auf einen Indianer hin. Die niedergebrannte Farm und die Art, wie die Familie dort getötet worden war, fügten sich logisch in dieses Bild ein. Aber Apachen waren keine Einzelgänger, und ich hatte noch nie einen gesehen, der so gut mit einer Sharps umgehen konnte.

Die ganze Sache blieb für mich nebelhaft verschwommen und folgte keiner klaren Linie.

Ich verließ den Wald, schwang mich wieder in den Sattel und lenkte den Wallach zurück zur Farm.

Jicarilla hockte auf der Brunnenmauer, als ich die Farm erreichte. Seine Ausrüstung lag sorgfältig aufeinander gepackt neben ihm am Boden.

„Er ist weg“, sagte ich. „Keine Chance, ihn zu kriegen.“

„Hat er Spuren hinterlassen?“

„Nicht viel. Es reicht gerade, um sicher zu sein, dass er kein Geist ist.“

„Er ist ein Apache“, sagte Jicarilla. „Ich habe seine Spur schon öfter gefunden. Es war nie sehr viel, aber alles deutet darauf hin.“ Er erhob sich und blickte Shita an. „Du hast einen guten Hund.“

„Das kannst du laut sagen. Reiten wir nach Fort Calhoun?“

Er bückte sich nach seiner Ausrüstung und hob sie auf. Er sagte: „Wir sind gegen Abend da.“ Er stieg hinter mir auf. Der Wallach schnaubte unwillig, trabte aber dann mit der Last von zwei Reitern an.

„Südwärts“, sagte Jicarilla. „Du hast nicht zufällig eine Flasche Brandy dabei?“

„Ich trinke kaum.“

„Wie hältst du das aus?“

„Das frage ich mich auch“, erwiderte ich. „Wenn es besonders schlimm wird, trinke ich einen Schluck Wasser.“

„Ein Mann sollte seinem Pferd nicht das Wasser wegtrinken“, sagte Jicarilla. „Wie sollen wir miteinander auskommen, wenn du keinen Brandy bei dir hast?“

„Du solltest in jeder Satteltasche eine Flasche haben“, sagte ich. „Dann kann gar nichts mehr passieren. Dann ist es völlig egal, nach welcher Seite dein Pferd stürzt.“

Jicarilla schwieg. Die Sonne war weit nach Westen gerückt, die Schatten wurden länger. Ich lenkte den Wallach in stetigem Tempo nach Süden. Die Ebene hatten wir längst verlassen. Das Land wurde unübersichtlich und hügelig.

Ich versuchte, mir besondere Merkmale der Landschaft einzuprägen. Es war wichtig, dass ich mich rasch hier zurechtfand. Hier war das Gebiet, in dem ich arbeiten sollte. Ich musste das Land kennen, und in diesem Teil von Texas war ich noch nicht gewesen. Aber es gab so gut wie keine Besonderheiten. Süd-Texas war fast überall gleich. Außerdem war Jicarilla da, der mir das Land zeigen konnte. Ich war sicher, dass ich mich gut mit ihm verstehen würde. Er mochte ein Säufer sein, aber er war ein guter Mann. Ich irrte mich nur selten in meinen ­Einschätzungen.

Ich dachte an das, was er auf der Farm gesagt hatte. Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen, die Anwerbung als Scout zu unterschreiben. Ich hatte noch nie als Scout im Indianergebiet gearbeitet. Ich war als Indianer aufgewachsen. Ich mochte die Indianer. Es gab Zeiten, in denen ich mich manchmal zu ihnen zurücksehnte, obwohl ich gelernt hatte, das Leben als das zu nehmen, was es war. Es hatte keinen Sinn, zu oft zurückzublicken. Die Zeit ging immer weiter. Entweder, man lief mit, oder man ging verloren. Vielleicht hatte ich wirklich große Illusionen. Ein leichtes Unwohlsein beschlich mich, aber zürn Umkehren war es jetzt zu spät.

3.

Als Jicarilla und ich das Hügelland verließen, hörte ich in der Ferne ein blechernes Trompetensignal. Der Zapfenstreich wurde geblasen. Wenig später sah ich im Licht der Abendsonne Fort Calhoun vor mir.

Das Fort war einer der am weitesten nach Süden vorgeschobenen Militärposten, eine typische Grenzgarnison im Indianerland. Im allgemeinen einer der ödesten, tristesten und gottverlassensten Plätze der Welt, im Krisenfall aber Zufluchtsort aller weißen Siedler im Umkreis von fast zweihundert Meilen.

Fort Calhoun war eine kleine Festung. Ich sah die Dächer von sieben oder acht langgestreckten Hütten. Das Gelände war zur Hälfte von einer Palisade umgeben. Es gab zwei Wachtürme. An einem dritten wurde gebaut, was darauf schließen ließ, dass die ganze Palisade noch ziemlich neu war. Palisaden waren selten. Es gab zu wenig Holz in den Steppenregionen des Südwestens. Die wenigen Bäume wurden für Behausungen benötigt. Die Quartierhütten standen daher in gerade Linie dicht aneinan­der, so dass sie den hinteren Teil des Paradeplatzes abgrenzten und schützten, während die Palisade die Vorderseite deckte.

Ich lenkte den Wallach über die Ebene zu einem ausgefahrenen Wagenweg, der direkt auf das nach Osten zeigende Tor des Forts zuführte.

Auf der Palisade über dem Tor bemerkte ich eine Bewegung, wenig später zügelte ich den Wallach. Shita blieb neben mir stehen, die Zunge hing ihm weit aus dem Maul.

Eine Gestalt beugte sich über die Palisadenbrüstung. Eine Männerstimme fragte: „Wer da?“

„Jicarilla“, sagte das Halbblut hinter mir. Seine Stimme klang müde und ausgetrocknet.

„Auf was für einem Gaul sitzt du? Wer ist der andere?“

„Er gehört zu mir“, erwiderte Jicarilla. „Öffne das Tor, oder ich schlitz dir den Bauch vom Nabel bis zum Kinn auf.“