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Die USA nach dem Mord an John F. Kennedy, im Zeichen der Präsidentschaftswahlen und der Bürgerrechtsreform – Walter Kaufmann, ein vorzüglicher Kenner der englischsprechenden Welt, durchreiste die Vereinigten Staaten 1964 erneut und berichtet über seine Erlebnisse in der Steinwüste der New Yorker City, in der Künstlerboheme von Manhattan, im brodelnden Negerviertel Harlem, in dem größten, automatisierten Werk der General Electric in Louisville, auf den Farmen zwischen Atlanta und Albany im Staate Georgia, erzählt von den „schwarzen Moslems“ und einer mutigen Studentin aus Connecticut, die sich vor dem Gericht des weißen Mobs in Atlanta verantworten muss – er zeichnet das Bild eines reichen und schönen Landes, dessen Bewohner durch eine ebenso primitive wie aktive Minderheit in den Strudel offener Gewalttätigkeiten gezerrt werden sollen. Schüsse in Harlem und Rauch in Washington. Im unteren Manhattan steht ein Mann auf dem Fenstersims und springt in den Tod. DerTon einer Violine erstickt im Neon-Dschungel des Times Square – Johann Sebastian Bach um Mitternacht aus einem Schuhgeschäft. Ein Feuer in Ithaca, ein Schuppen, in dem Farmarbeiter hausen, brennt nieder: Wer ist der Mörder – und wer der Mörder von Andrew Mc Daniel und Charles E. Tate, die in Vietnam blieben? Verschwörung oder Untat eines Einzelgängers, dass der Pfarrer Martin Luther King sterben musste? Joe Mulloy, fünf Jahre Gefängnis – was hat er getan? Charles B. Crankshaw will sein Frühstück im Garten haben, weil er einen farbigen Gast erwartet. Menschenjagd in Georgia: Der Mann, der die Fotos in derTasche hat, kann entkommen, aber am Ende ist das Schweigen der Leichenhalle. Das Schicksal der Marie Lou und Suzie Anne im Negergetto von Chicago ist ungewiss, doch ihre Mutter ist eine nordamerikanische Carolina Maria de Jesus. Auf dem Pflaster von Greenwich Village welkt die Blume des Träumers, und in der letzten Wette des Jahres steht der Gewinn auf der Zahl 111 – doch nicht für den alten Lou Roberts … Zwanzig Vignetten aus den USA der Sechzigerjahre, Eindrücke des Autors, Kenner des Landes seit langem; sie erweisen sich als stark und erregend, sie geben Aufschluss über die krisenhaften Zustände eines großen Landes, das so reich ist an Menschen.
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Walter Kaufmann
Manhattan-Sinfonie
ISBN 978-3-96521-290-9 (E-Book)
Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta
Foto des Autors: Barbara Meffert
Das Buch erschien erstmals 1987 im Militärverlag der DDR, Berlin.
Die beiden Teile dieser Ausgabe erschienen jeweils als Erstauflagen im Hinstorff Verlag Rostock.
Der erste Teil trug den Titel „Begegnung mit Amerika heute“ (autorisierte Übersetzung aus dem Englischen von Helga Zimnik).
Der zweite Teil „Gerücht vom Ende der Welt“ wurde von Wilhelm Vietinghoff aus dem Englischen übersetzt.
2020 EDITION digital
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Unter dem dumpfen Röhren der Nebelhörner gleitet der Ozeanriese an der Freiheitsstatue vorbei nordwärts in die Mündung des Hudson. Der aufgewühlte Fluss schlägt gegen die Rümpfe der Frachter an den Kais von Manhattan und Jersey City, wo kreischende Kräne Frachten aus den Laderäumen hieven: Kaffee aus Brasilien, Gummi aus Sumatra, Bananen aus Costa Rica … Unsichtbare Fähren treiben tutend auf Hoboken und Weehawken zu. Allmählich verschwindet die Silhouette des Ozeandampfers im Nebel, die gespenstischen Rufe der Nebelhörner übertönen den Lärm des Hafens und steigern die Spannung der Passagiere – des farbigen Musikers, der aus Paris wiederkommt, des Werkzeugmachers aus Dortmund, der als Auswanderer Zwischendeck reist, des schwedischen Professors der Soziologie, der amerikanischen Millionärswitwe, die zu ihrer Zimmerflucht im Waldorf-Astoria zurückkehrt …
Hinter den Kaianlagen von New Jersey, weit drinnen im Land, rasen die Schnellzüge aus Waco, Mobile, Los Angeles, Kansas City pfeifend durch nebelverhangene Ebenen, Manhatten entgegen. Westlich des Hudson donnern sie in die Tunnel tief unter dem Fluss, tauchen inmitten ragender Wolkenkratzer wieder auf – Grand Central und Pennsylvania Railroad Station. Bald werden der angehende junge Schriftsteller aus Gary, die hübscheste Schauspielerin des Dramatischen Klubs von Erie, der Bankangestellte aus der Provinz, dessen Ziel Wall Street ist, der tüchtige Mechaniker aus Buffalo – einige Neuankömmlinge unter ungezählten anderen – sich in dem riesigen Labyrinth aus Glas und Beton im Herzen der Stadt verlieren.
Überall in Manhattan gehen müde Nachtarbeiter, Wächter, Kellnerinnen, Drucker, Barmädchen, Docker, Postangestellte nach Hause. Ein Sprengwagen rollt über den Asphalt. In einem Dutzend Nachtklubs spielen noch die Bands. In der oberen East Side, in der oberen West Side, rings um den Union Square, in Chelsea und Greenwich Village schreckt das schrille, unbarmherzige Läuten der Wecker die Schlafenden auf. Ein neuer Tag, ein neuer Dollar. Vergiss nicht, meinen Anzug in die Reinigung zu geben, und bring von Macy ein paar Hemden aus dem Ausverkauf mit …
Mit zunehmender Helligkeit füllen sich die Straßen. In Bussen und U-Bahn-Zügen strömen eine Million, zwei, drei Millionen Menschen durch die Stadt zur Arbeit – die Gesichter von New York; italienische, mexikanische, jüdische, schwarze, irische, deutsche, puertorikanische … Schritte auf Granit, hohe Absätze, flache Absätze – ihr Geräusch verschmilzt mit dem anschwellenden Verkehrslärm. Am bleigrauen Himmel schießt ein Düsenflugzeug gen Westen, zieht einen Silberstreifen durch den Nebel. Unter der Erde schwanken donnernd U-Bahn-Züge über Stahlgleise, rasen durch die Tunnels – Crosstown von Queens her, Shuttle zum Times Square, die Broadway-Linie nach South Ferry – einmal quer durch Manhattan innerhalb einer Stunde. Greif dir eine Tasse Kaffee und renne los! Frühstück zwischen zwei Zügen. Draußen, auf der Fifth Avenue, geht die Stimme eines Mädchens im Heulen der Sirenen unter – er war mit mir im Rainbow Room, und es wurde so spät, dass wir im Taxi nach Hause fahren mussten –, geht unter im Kreischen der Autobremsen.
Die aufgehende Sonne enthüllt die Spitze des Empire State Building, die Türme des Rockefeller Centre, des Chrysler-Gebäudes, den Hubschrauber-Flugplatz der Pan American über Grand Central Station. Bald erstrahlen die oberen Stockwerke des Hotels und Apartement-Häuser in der Park Avenue im Licht, die Morgensonne spiegelt sich in zahllosen Fenstern, dringt durch die Luken der Dächer. Unten in den Straßenschluchten eilen die Menschen noch im Zwielicht dahin, verschwinden in den Gebäuden, als wollten sie dem Verkehr entfliehen, drängen sich in die Fahrstühle, die zum zehnten, dreißigsten, sechzigsten Stock aufsteigen und in Sekunden wieder unten sind. In einem Büro nehmen sechzig junge Stenotypistinnen die Schutzhüllen von sechzig Schreibmaschinen. Diese Schuhe bringen mich noch um, sagt eine und setzt sich. Habt ihr von dem Flugzeugunglück gelesen? Was sie auf der einen Seite verlieren, kommt auf der anderen wieder ein – Eisenbahnaktien steigen. Die Fenster klirren – war das wieder ein Düsenflugzeug, oder wird der alte, halbverfallene Speicher gesprengt, um Platz zu schaffen – wofür? Für ein Warenhaus, ein neues Hotel, eine Bank, eine Versicherungsgesellschaft …