Notärztin Andrea Bergen 1510 - Caroline Thanneck - E-Book

Notärztin Andrea Bergen 1510 E-Book

Caroline Thanneck

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Beschreibung

Mein Herz klopft immer noch wie wild, denn der Alarm der Babyklappe ist vorhin losgegangen. Und tatsächlich: In den Wärmekasten, der von außen durch eine Klappe zu öffnen ist, hat jemand ein Baby gelegt! Es ist noch ganz winzig, ein Neugeborenes - doch der Junge lebt!
Unser Kinderarzt Dr. Roden hat mir gerade bestätigt, dass der kleine Findling kerngesund ist! Ich bin so erleichtert. Doch meine Gedanken sind bei der unbekannten Mutter: In welcher verzweifelten Situation mag sie sein, dass sie diesen Weg gegangen ist? Und wird sie es bereuen und zurückkommen, um ihr Kind doch noch zu sich zu holen? Ich hoffe es so sehr! Der kleine Jonas braucht nichts so sehr wie seine Mama ...

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Inhalt

Cover

Letzter Ausweg: Babyklappe

Vorschau

Impressum

Letzter Ausweg: Babyklappe

Mein Herz klopft immer noch wie wild, denn der Alarm der Babyklappe ist vorhin losgegangen. Und tatsächlich: In den Wärmekasten, der von außen durch eine Klappe zu öffnen ist, hat jemand ein Baby gelegt! Es ist noch ganz winzig, ein Neugeborenes – doch der Junge lebt!

Unser Kinderarzt Dr. Roden hat mir gerade bestätigt, dass der kleine Findling kerngesund ist! Ich bin so erleichtert. Doch meine Gedanken sind bei der unbekannten Mutter: In welcher verzweifelten Situation mag sie sein, dass sie diesen Weg gegangen ist? Und wird sie es bereuen und zurückkommen, um ihr Kind doch noch zu sich zu holen? Ich hoffe es so sehr! Der kleine Jonas braucht nichts so sehr wie seine Mama ...

Der beißende Geruch von Rauch riss Thorsten Aurich aus dem Schlaf.

Im einen Moment lag er noch zusammengerollt unter dem Laken, das ihm im Sommer als Zudecke diente. Im nächsten saß er bereits aufrecht im Bett, während ihm das Herz wild in der Brust hämmerte und seine Gedanken wie aufgeschreckte Spatzen durch seinen Schädel jagten.

Es brennt! Ein Feuer! Du lieber Himmel! Womöglich ein Defekt bei den Wärmelampen im Terrarium? Die Schildkröten ... und Nathalie! Ich muss die Kleine retten!

Dass »die Kleine« inzwischen fast genauso groß war wie er und sich energisch gegen diese Bezeichnung wehren würde, war in diesem Augenblick egal.

Thorsten sprang aus seinem Bett, hetzte quer durch sein Zimmer und riss die Tür auf. Im Flur war der Gestank sogar noch schlimmer. Ihm drehte sich der Magen vor Angst um. Kein Rauch war zu sehen, wohl aber zu riechen!

Auf der anderen Seite des Flurs stand die Tür zum Zimmer seiner Schwester offen. Der Raum war leer. Das Bett war zerwühlt, die Tagesdecke mit dem fröhlichen bunten Katzenaufdruck lag auf dem Boden ausgebreitet. Wie hielt Nathalie das nur aus?

Er selbst verabscheute es, sich in ein ungemachtes Bett zu legen. Selbst wenn er nach seinem Dienst hineinkroch, zu müde, um die Augen offen zu halten, mochte er kein Kissen, das noch platt von der letzten Nacht war. Seine Schwester war da deutlich unbekümmerter.

Von unten drang gedämpftes Klappern zu ihm herauf. Thorsten fuhr herum, nahm die Treppe nach unten mit langen Sätzen und riss die Tür zur Küche auf.

Hier grinste ihm seine Schwester über der geöffneten Ofenklappe entgegen.

»Guten Morgen, Bruderherz.«

Ihre Worte gingen in einem Hustenanfall unter. Der war auch wirklich kein Wunder, denn in der Küche stank es bis zum Himmel!

Sein Blick schweifte auf der Suche nach der Ursache des Feuers durch den Raum und blieb an dem rauchenden Backwerk in den Händen seiner Schwester hängen. Ein Kuchen. Zumindest nahm er an, dass es einer war. Kein Feuer. Nur ein Kuchen, der eine geschätzte Woche zu lange im Ofen gewesen war.

Thorsten lief eilig zum Fenster und riss es auf.

Seine Schwester stellte das Blech mit dem Kuchen auf das Fensterbrett.

»Ist vielleicht ein bisschen dunkel geworden, aber wenn wir das Schwarze abkratzen, ist er noch gut«, verkündete sie fröhlich.

So war sie. Immer optimistisch. Nathalie sah in allem das Gute, während er dazu neigte, überall Gefahren zu wittern. So brauchte sein Körper jetzt auch einige Augenblicke, um zu realisieren, dass keine Gefahr drohte, und ihm sein Herz nicht mehr die Rippen sprengen wollte.

Es brannte überhaupt nicht. Seine Schwester hatte lediglich einen Kuchen gebacken.

Den Atem ausstoßend, ließ er die Schultern sinken.

Ein Blick auf die Küchenuhr verriet ihm, dass sein Wecker in gut zehn Minuten ohnehin geklingelt hätte. Noch mal ins Bett zu gehen, lohnte sich also nicht mehr.

Seine Schwester säbelte mit einem Messer an dem Kuchen herum, anschließend schnappte sie sich die Schale mit dem Schokoladenguss und verteilte den Inhalt behutsam auf dem Kuchen. Dann wirbelte sie zu ihm herum und strahlte ihn an.

»Happy Birthday, Bruderherz.« Damit fiel sie ihm schwungvoll um den Hals. »Ich wünsche dir alles nur erdenklich Gute. Auch wenn du oft furchtbar pingelig bist, bin ich wirklich froh, dich als großen Bruder zu haben.«

»Ich bin nicht pingelig«, brummte er. »Höchstens manchmal.«

»Hm-m«, machte sie vielsagend. »Und? Wie ist es, achtundzwanzig zu sein?«

»Ich fühle mich der Rente wieder ein Stückchen näher.«

»Das hättest du wohl gern.« Sie lachte leise. »Was würden deine Patienten dazu sagen, dich zu verlieren? Ich wette, die wären darüber gar nicht erfreut. Sie wissen nämlich genau, was sie an dir haben.«

Etwas tief in ihm wurde ganz warm bei ihren Worten. Seine Arbeit und seine Patienten bedeuteten ihm – abgesehen von seiner Schwester – einfach alles.

Ihre Eltern waren vor drei Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Nathalie hatte damals mit im Wagen gesessen und war schwer verletzt worden. Ihr linkes Bein war zertrümmert und vom Blutfluss abgeschnitten gewesen. Die Ärzte hatten gekämpft, letztlich aber nichts mehr tun können. Ihr Bein hatte oberhalb des Knies amputiert werden müssen.

Nach der Operation hatte Nathalie mehrere Wochen im Krankenhaus und anschließend noch zwei Monate in der Reha verbracht. Thorsten, der zu dem Zeitpunkt schon in einer eigenen Wohnung gelebt hatte, war in sein Elternhaus zurückgekehrt, um sich um seine jüngere Schwester zu kümmern, die mit ihren sechzehn Jahren noch zur Schule ging.

Es nötigte ihm immer wieder Respekt ab, wie sich Nathalie mit ihrer Prothese arrangiert hatte. Mit ihren neunzehn Jahren machte sie inzwischen eine Ausbildung zur Fremdsprachenassistentin und stand kurz vor ihrem Abschluss. In der Klinik hatte sie begonnen, Niederländisch zu lernen. Sprachen waren ihr schon immer leichtgefallen, und sie hatte schnell gemerkt, dass sie daraus einen Beruf machen wollte.

Inzwischen sprach sie nicht nur fließend Englisch, Französisch und Niederländisch, sondern konnte sich auch auf Norwegisch und Dänisch verständlich machen. Sie schaute Fernsehserien grundsätzlich im Original und liebte es, Neues aufzuschnappen.

Ihr Talent für Sprachen ging ihm leider völlig ab. Thorsten war schon froh, wenn er sich auf Englisch einen Kaffee bestellen konnte, ohne jemanden unwissentlich zu beleidigen und aus dem Lokal geworfen zu werden.

Bei der Erinnerung an das verpatzte Frühstück in seinem Cornwall-Urlaub zog sich etwas schmerzlich in ihm zusammen. Damals war Jessica noch bei ihm gewesen. Und sie waren so glücklich gewesen. So frei und verliebt. Wie lange das her war ... Fast schien es in einem anderen Leben gewesen zu sein.

»Erde an Thorsten«, drang die Stimme seiner Schwester zu ihm durch.

»Oh, entschuldige. Ich war gerade in Gedanken.«

»Hoffentlich schon bei deinem Geschenk.« Sie blickte zum Küchentisch, auf dem ein großes, in farbenfrohes Papier gehülltes Paket abgestellt war. »Möchtest du es nicht aufmachen?«

»Das ist für mich? Was hast du da nur besorgt?« Er betrachtete das Riesenpaket halb überrascht, halb besorgt. »Du weißt, dass du mir nichts schenken musst.«

»Muss ich nicht, möchte ich aber.« Sie strahlte ihn an. »Nun schau doch bitte hinein. Ich bin so gespannt, ob ich das Richtige gefunden habe.«

»Na schön, dann also ans Werk.« Er löste die Schleife und rollte sie fein säuberlich zusammen, was ihm ein Augenrollen seiner Schwester einbrachte. »Nun schau nicht so. Das Band kann man noch verwenden.«

Behutsam löste er das Papier – ebenfalls wiederverwertbar – und stieß im nächsten Moment einen Freudenschrei aus.

Das Paket enthielt ein kühlschrankähnliches Gerät, das an eine Minibar erinnerte. Nur dass es nicht kühlen, sondern wärmen sollte. Und zwar Eier. Genauer gesagt: Schildkröteneier.

»Ein Brutapparat!« Thorsten war hin und weg.

»Nachdem dir in diesem letzten Jahr die ganze Brut eingegangen ist, weil das alte Gerät defekt war, dachte ich mir, du brauchst unbedingt ein neues. Ich hab gemerkt, wie traurig du warst.« Nathalie sah ihn gespannt an. »Und? Ist es der Richtige?«

»Und ob das der Richtige ist! Ich danke dir, Nathalie, das ist wirklich unglaublich.«

Er umarmte seine Schwester und musste plötzlich mit den Tränen kämpfen. Einmal mehr war er dankbar, dass sie bei dem Unfall verschont worden war. Sie war alles, was er noch an Familie besaß. Als sie sich voneinander lösten, blickte Nathalie ihm in die feuchten Augen, verzichtete diesmal aber darauf, ihn damit zu necken.

Er brummte, dass er sich erst einmal fertig machen sollte, und ging ins Badezimmer, um zu duschen und sich anzuziehen. Das Gesicht, das ihm beim Rasieren aus dem Spiegel entgegensah, wirkte müde. Die Augenringe schienen ihm bis zum Kinn zu reichen. Ein Wunder war das freilich nicht nach einer Doppelschicht in der Klinik und nur fünf Stunden Schlaf.

Egal, dachte er. Kaltes Wasser und Koffein werden es schon richten.

Damit spritzte er sich eine Handvoll eiskaltes Wasser ins Gesicht, wusch sich mit Seife und trocknete sich ab. Anschließend schlüpfte er in Jeans und ein weißes T-Shirt und fühlte sich halbwegs bereit, dem Tag ins Auge zu sehen.

Meistens aßen sie zu verschiedenen Zeiten, weil sein Schichtdienst und ihre Lernzeiten nicht sonderlich gut harmonierten. An diesem Morgen hatte seine Schwester zur Feier des Tages den Frühstückstisch für sie beide gedeckt.

Sie stärkten sich an frisch aufgebackenen Brötchen und Kaffee. Nach all der Mühe, die sich Nathalie gegeben hatte, zwängte sich Thorsten auch ein Stück von seinem Geburtstagskuchen hinein. Der schmeckte besser, als der Rauch hatte befürchten lassen.

Während seine Schwester zur Berufsschule aufbrach und versprach, abends rechtzeitig für eine selbst gemachte Geburtstags-Pizza daheim zu sein, räumte er das Geschirr in die Spülmaschine, wischte Küche und Badezimmer kurz durch und sah im Garten nach seinen Schildkröten.

Begonnen hatte seine Leidenschaft mit einer Steppenschildkröte, als er vierzehn gewesen war. Damals hatte er sein Herz für die gemütlichen Panzerträger entdeckt. Inzwischen lebten bei ihm fünf Landschildkröten während der wärmeren Jahreszeiten in einem Freigehege, in dem ein Frühbeet sie vor allzu rauem Wetter schützte.

War es so sonnig wie an diesem Morgen, stapften sie über ihre Wiese und zupften an dem frischen Grün, das er im Frühling extra für sie ausgesät hatte.

In der Quarantänestation war kürzlich eine weitere Steppenschildkröte eingezogen. Irmi stammte aus einer nachlässigen Haltung, hatte einen verformten Panzer, der von zu wenig Sonne und zu wenig Kalzium zeugte, und ihre Nierenwerte bereiteten ihm Sorgen. Sie nahm jeden Abend ein Bad in lauwarmem Brennnesseltee, von dem sie auch reichlich trank. Thorsten hoffte, dass sie sich mit der Zeit erholen würde.

Nachdem er nach seinen Schützlingen gesehen hatte, holte er sein Fahrrad aus dem Schuppen.

Nebenan huschte ein flauschiger orangefarbener Kater durch den Garten. Er gehörte Frau Sperling. Thorstens Nachbarin hatte früher in der Bücherei gearbeitet. Seit ihrer Pensionierung half sie ehrenamtlich als Pflegestelle für kranke oder verletzte Katzen, die kein Zuhause hatten. Meist wurden die Tiere von ihr gesund gepflegt und dann in eine neue Familie vermittelt. Hin und wieder durfte einer ihrer Schützlinge aber auch für immer bleiben.

Gerade lebten fünf Katzen bei ihr. Einer war Oscar, der flauschige Kater. Er war blind, auch wenn man ihm das kaum anmerkte, so sicher, wie er sich durch den Garten bewegte. Der war mit Netzen gesichert, sodass die Straße keine Gefahr für die Tiere bot – und Thorsten seine Schildkröten unbesorgt im Freien herumstapfen lassen konnte.

Nun schwang er sich in den Sattel und machte sich auf den Weg zu seinem Frühdienst im Elisabeth-Krankenhaus.

Bis zu der Klinik brauchte er rund zwanzig Minuten. Ein großer Teil des Weges führte ihn am Rheinufer entlang, wo um diese frühe Tageszeit schon etliche Jogger und Spaziergänger mit ihren Hunden unterwegs waren. Thorsten liebte sein Fahrrad und verzichtete allerhöchstens bei reichlich Schneefall darauf, damit zu fahren.

Als das Elisabeth-Krankenhaus in Sicht kam, wanderten seine Gedanken zurück zu seinem ersten Tag hier. Er war gerade siebzehn gewesen, und schon damals hatte ihn das Haus beeindruckt.

Obwohl nur drei Stockwerke hoch, wirkte es imposant mit seinen hohen Glasfenstern und der breiten Front aus Backsteinen. Nach dem Krieg war es um mehrere Anbauten erweitert worden. Hochmoderne Medizintechnik und ein Team, das Hand in Hand zusammenarbeitete, hatten der Klinik einen ausgezeichneten Ruf beschert.

Thorsten entsann sich noch gut, wie er sich selbst die Daumen gedrückt hatte für eine Ausbildungsstelle als Krankenpfleger an diesem renommierten Krankenhaus. Wenn er damals schon geahnt hätte, wie wichtig diese Stelle einmal sein würde. Dass sie nicht nur sein Auskommen sichern würde, sondern auch das seiner jüngeren Schwester ... Dann wäre er wohl noch nervöser gewesen.

Er schloss sein Fahrrad vor dem Krankenhaus an und betrat mit langen Schritten die Klinik.

In der Pförtnerloge saß Paul Ahlers. Er war ein gesetzter älterer Herr mit weißem Haar, den man nie anders als sorgfältig gekleidet sah. Auch an diesem Morgen war sein Hemd faltenfrei gebügelt. Darüber trug er ein Jackett, aus dem ein sorgsam gefaltetes Taschentuch ragte.

»Einen schönen guten Morgen«, wünschte Thorsten ihm.

»Ihnen auch, Herr Aurich. Und meine besten Wünsche zum Geburtstag.«

»Woher wissen Sie denn, dass ich heute Geburtstag habe?«

»Ich weiß solche Dinge«, kam es würdevoll zurück. »Das ist für Sie.« Damit überreichte er Thorsten eine Dose. »Meine Frau hat Ihnen Kekse gebacken.«

»Das ist unglaublich lieb. Ich danke Ihnen. Und sagen Sie bitte auch Ihrer lieben Frau meinen herzlichen Dank.«

»Den richte ich ihr gern aus.«

Thorsten drückte die Dose an sich und strebte dem Anbau zu. Die Kinder- und Frühchen-Station war in der zweiten Etage des Anbaus untergebracht. Er wandte sich der Treppe zu und stieg, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, nach oben.

An der Tür verschaffte er sich mit seiner Schlüsselkarte Einlass.

Dahinter tappte ihm ein kleines Mädchen entgegen. Barfuß und in ein rosa Nachthemd gehüllt. Anni war am Herzen operiert worden. Es ging ihr inzwischen besser, aber sie vermisste ihr Zuhause und wanderte nachts über die Station, ohne sich morgens noch daran zu erinnern. Auch jetzt ließ ihn ihr entrückter Blick ahnen, dass sie schlafwandelte.

»Na, komm, Spätzchen, ich bringe dich zurück ins Bett«, sagte er behutsam, nahm die Siebenjährige bei der Hand und geleitete sie zurück in ihr Zimmer.

Sie sagte kein Wort, legte sich wieder hin und streckte sich aus.

Er deckte sie sorgsam zu und schaute nach ihrer Zimmerkameradin. Kathi schlief noch tief und fest, unter ihrer Decke zusammengerollt wie ein junger Igel.

Thorsten ließ die Mädchen allein und ging ins Pflegerzimmer, um sich für den Dienst umzuziehen. Er vertauschte seine Sachen mit einem blauen Kasack, blauen Hosen und Sandalen, die schon reichlich abgetragen waren, ihn aber zuverlässig durch einen langen Tag auf der Station trugen.

»Wen haben wir denn da?«, tönte eine dunkle Stimme von der Tür her. »Wenn das nicht unser Geburtstagskind ist.« Kollege Johann kam herein und grinste ihn an. »Für deine achtundzwanzig Jahre hast du dich wirklich gut gehalten. Herzlichen Glückwunsch, übrigens.«

»Danke dir. So früh am Tag fühle ich mich allerdings eher, als wäre ich schon zweiundachtzig.« Thorsten schloss die Tür zu seinem Spind. »Und? Wie war die Nacht?«

»Im Großen und Ganzen ziemlich ruhig. Die kleine Anni ist zweimal spazieren gegangen.«

»Dreimal«, verbesserte Thorsten. »Ich hab sie gerade zurück ins Bett gebracht.«

»Die arme Kleine läuft nachts mehr als ich beim Sport. Wird wirklich Zeit, dass sie wieder nach Hause darf. Sie vermisst ihre Familie sehr.« Sein Kollege öffnete seinen Spind, hielt dann jedoch inne. »Der kleine Felix ... er hat es leider nicht geschafft.«

Felix! Der Fünfjährige, der auf seinem Kinderfahrrad von einem Auto erfasst und angefahren worden war! In einer zehn Stunden langen Operation hatten die Chirurgen um sein Leben gekämpft. Felix war ins Koma gefallen. Eine Woche lang hatten sie um ihn gebangt und alles getan, was möglich war. Doch Felix war nicht wieder aufgewacht. Auch so etwas gehörte zum Alltag auf der Station dazu. Trotzdem war es jedes Mal ein Schock.