Silent Night, Daddy's Night - Christina Daron - E-Book

Silent Night, Daddy's Night E-Book

Christina Daron

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Beschreibung

***Band 2*** ***Fortsetzung von 'Silent Night, f***ing Night*** Mein Kätzchen ist verschwunden – sie ist einfach weg. Weg. Ich habe das Gefühl, dass mir die Luft zum Atmen genommen worden ist, denn sie ist wie vom Erdboden verschluckt. Wulf sagt, Cammy hätte ihn überrumpelt und konnte deswegen flüchten. Aber flüchten wovor? Etwa vor mir? Dass ich sie habe entführen lassen und in meinem Haus gefangen gehalten habe, könnten durchaus Gründe für eine Flucht sein, aber es fühlte sich zwischen uns nicht mehr an wie zwischen Opfer und Täter – ganz im Gegenteil. Mir brummt der Kopf vom zu vielen Nachdenken, und ich habe noch andere Baustellen, die erledigt werden wollen. Da wäre zum einen dieser unbekannte Rächer von New York, der meine Kunden umbringt, die mir aber noch Geld schulden. Und zum anderen ist auch noch der Mörder meines Bruders zu finden. Fazit: Ein verflucht beschissener Start ins neue Jahr! Erotikgeschichte mit expliziten Ausdrücken, die für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren nicht geeignet sind! Die Protagonisten achten nicht auf Safer Sex- schließlich ist es nur ein Buch!

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Silent Night, Daddy’s Night

 

Christina Daron

 

Band 2

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1. Auflage – 2020

 

Copyright: Christina Daron, 2020, Deutschland

 

Christina Daron

c/o Autorenservice Patchwork

Schlossweg 6

A-9020 Klagenfurt

[email protected]

 

Coverfoto: covermanufaktur.de – Sarah Buhr

Korrektorat: www.korrekt-ac.com – Kristina Krüger

 

Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet.

Sämtliche Personen in diesem Text sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig.

Kapitel 1

 

 

DeVito

 

Meine Muskeln schmerzen von der Überbeanspruchung beim Sporttreiben, Axl sieht so fertig aus, wie ich mich fühle. Seine Haare, die aus seinem verdammten Dutt gefallen sind, kleben ihm nun im Nacken.

„Was hältst du von einem neuen Haarschnitt?“

Er schielt mich von der Seite an. „Willst du mir irgendwas Bestimmtes mitteilen?“

Er manövriert den SUV durch die Straßen von New York, die typischerweise von viel zu vielen Autos verstopft sind, und hält an einer roten Ampel.

Die Sonne steht hoch am Himmel, doch gegen die eisigen Temperaturen kommt sie nicht an und die Wärme ihrer Strahlen bleibt uns verwehrt.

Kleine Schneeberge türmen sich an den Straßenseiten, die die Straßenarbeiter noch nicht weggeschaufelt haben, nur an den Ampeln für die Fußgänger ist der Weg freigeräumt worden.

Alle anderen, die die Straßen eben nicht an den Ampeln überqueren wollen, müssen wohl oder übel über die kleinen weißen Hügel steigen, was durchaus amüsant ist, wie ich soeben beobachten kann.

Nicht weit von uns liegt der Times Square, den wir um diese Uhrzeit tunlichst vermeiden. Da ist die Hölle auf den Straßen los, erst recht so kurz vor Weihnachten.

Insgeheim freue ich mich auf Weihnachten und schaue auf das mintgrüne Etui, das ich in den Händen halte.

Es ist enthält eine schlichte, silberne Kette mit einem Diamantanhänger.

„Ich bin der Meinung, dass das ein völlig überzogenes Weihnachtsgeschenk ist“, brummt Axl, der keine Antwort auf seine Frage erwartet.

„Soll ich dir auch eine Kette schenken?“, witzle ich.

„Du kannst mich mal. Du kennst die Kleine erst seit wenigen Tagen, und schon kaufst du ihr einen verdammten Diamanten. Zuerst dachte ich, du kaufst ihr einen Verlobungsring.“

„Die Preise hielten mich davon ab, einen zu kaufen“, entgegne ich trocken. „Vielleicht sollten wir auch ins Schmuckgeschäft einsteigen. Wenn man sich die Preise von Tiffany ansieht, könnten da einige Gewinne bei rauskommen.“

Die Ampel schaltet auf Grün, und er fährt los. „Hast du dir Gedanken über die Mietpreise von solchen Läden gemacht? Wenn du auch nur einen Laden in der Nähe von solchen Geschäften mieten willst, der Gewinne abwerfen soll, musst du ganz, ganz tief in die Tasche greifen.“„Scheinst dich ja gut auszukennen.“

„Gesunder Menschenverstand und Milchmädchenrechnung.“

Ich grinse, weil Axl sich tierisch über sowas aufregen kann. Es ist mir immer wieder eine Freude, ihn zu ärgern.

„Das darf doch nicht wahr sein!“, flucht Axl. „Bin gleich zurück.“ Er zieht die Handbremse bei laufendem Motor, steigt aus und stapft nach vorne.

Ich lache und lehne mich zurück. So wie ich die Situation einschätze, ist einer der beiden Streithähne vor und Radfahrer, der vom Autofahrer angefahren worden ist und sich nun auf offener Straße mit ihm prügelt, was den empfindlichen Verkehr stark beeinträchtigt.

Axl macht wortwörtlich einen Rundumschlag, prügelt den Autofahrer in den Wagen und deutet dem Radfahrer an, dass ihm dasselbe blüht, wenn er sich nicht schleunigst vom Acker macht. Kurz darauf steigt Axl wieder ein.

„Verfluchte Arschlöcher! Wegen dieser Idioten hol ich mir noch ‘ne Erkältung.“ Er schüttelt sich theatralisch, drückt die Handbremse runter und legt den ersten Gang ein.

Ich klappe den Deckel des Etuis zu und verstaue dieses in der gleichfarbigen Tüte.

„Bin immer noch der Meinung, dass die Kette zu viel ist“, brummt Axl, als wir soeben die Einfahrt erreichen.

„Ich hab’s schon beim ersten Mal verstanden.“ Ich steige mit der Tüte in der Hand aus dem Wagen und stapfe hoch zur Haustür, während ich mir überlege, wo ich das Geschenk am besten verstecken kann, ohne dass Cammy es kurz vor Weihnachten findet.

Ich krame den Schlüssel aus meiner Jackentasche und schließe die Haustür auf.

„Die Tüte muss ganz schön schwer sein“, beschwert sich Axl, der nicht nur seine, sondern auch meine Sporttasche mit ins Haus trägt.

„Siehst du doch.“ Die Tüte baumelt an meinem Zeigefinger, bevor ich sie an die Garderobe hänge und den Mantel drüberlege. Vorerst muss das Versteck reichen.

„Cammy?“, rufe ich, während ich mir die Schuhe ausziehe.

„Ich brauche dringend eine heiße Dusche“, höre ich Axl murmeln, während er sich den Nacken massiert. Er geht an mir vorbei und schnurstracks nach oben.

„Cammy?“ Von unten rufe ich die Treppe hoch, aber wieder keine Reaktion. Ich runzle die Stirn. „Axl, ist sie oben?“, rufe ich ihm hinterher.

Kurz Stille, eine Tür knarzt, und Axl verneint die Frage.

„Wulf?“ Sind die beiden etwa ausgeflogen? Ich gehe an der Treppe vorbei, rüber zur Küche. Verwundert über die zugestoßene Tür, drücke ich die Klinke runter und stutze, weil sie auch noch abgeschlossen ist.

Als ich den Schlüssel von außen in der Tür stecken sehe, verwerfe ich den Gedanken, dass die beiden eine Überraschung für mich vorbereiten und in der Küche herumwerkeln.

Ich drehe den Schlüssel, drücke die Klinke runter, öffne langsam die Tür, als würde mich eine böse Überraschung erwarten, wenn ich zu schnell öffnen würde.

„Wurde auch Zeit, dass ihr zurückkommt“, tönt es vom Tisch.

Ich trete ein, schaue nach links, nach rechts. „Wo ist Cammy?“

Wulf sitzt am Tisch, eine Flasche Ouzo vor sich und ein Glas, das er sich soeben an die Lippen legt. Kaum den Ouzo im Mund, schenkt er sich nach.

„Bist du betrunken?!“

„Noch nicht.“

„Wo verdammt ist Cammy?“ Ich lausche in die Stille hinein, warte auf ein Geräusch, auf ein Zeichen, dass sie sich im Haus aufhält.

„Hat mich überwältigt und ist abgehauen.“ Sein glatzköpfiger, runder Kopf wird puterrot. „Sie ist eine Bianchi, und ich hätte wissen müssen, dass sie irgendwas im Schilde führt.“

Zuerst dachte ich, die Röte rührt von einem Schamgefühl her, doch sein Ton ist harsch, voller Wut.

Im Gegensatz zu seiner Wut packt mich eine Kälte, die meine Wirbelsäule hochkriecht und meinen Nacken erreicht. „Was heißt überwältigt?“

„War abgelenkt, und sie schnappte sich meine Waffe …“ Der nächste große Schluck Ouzo findet einen Weg in seinen Mund.

Ich stütze mich mit flachen Händen auf dem Tisch ab und beuge mich weit vor, unsere Gesichter berühren sich fast. „Wie lange ist das her?“

Seine rotunterlaufenen Augen schwanken zur Küchenuhr, sein Blick flackert. Von wegen er sei noch nicht besoffen.

„Über eine Stunde ist es her … weiß nicht genau.“ Sein Kopf schwankt zurück, und ich muss schnell meinen Kopf zurückziehen, ehe sein harter Schädel meinen trifft.

Die innere Kälte ist im Begriff, sich im gesamten Brustkorb auszubreiten, mein Atem wird schwerer, schmerzhaft bohren sich die Fingernägel in den Handballen, erst da sehe ich, dass ich meine rechte Hand zur Faust geballt habe.

Wieso sollte sie fliehen? Konnte sie mich und die anderen so täuschen?

Ich beiße die Zähne fest zusammen, meine Nasenflügel blähen sich auf, hart knalle ich erneut die Handflächen auf den Tisch. „Wie konnte das passieren? WIE KONNTE EINE FRAU WIE CAMMY DICH ÜBERRUMPELN?!“, brülle ich.

Wulf hebt den Blick. Der Ouzo fließt durch seine Blutbahn, was ihn daran hindert, den Blick zu fokussieren.

„Ich war am Gefrierschrank, musste ein Kühlpad für meine Hand holen …“ Er hebt seine Hand und zeigt mir die Handinnenfläche.

Mir entgleiten sämtliche Gesichtszüge. „Was soll mit deiner Hand sein?“ Sie ist geröteter als üblich, aber mehr ist nicht zu sehen.

Er dreht die Hand zu sich, ganz nah ans Gesicht, und rülpst. „Dachte, hätte mir eine Brandblase zugezogen.“

Das darf doch nicht wahr sein.

Ich stemme mich vom Tisch hoch, versuche, meine Gedanken zu ordnen und den Schmerz zu verdrängen, den sie mit ihrer Flucht in mir hervorruft.

Kurzentschlossen lasse ich Wulf zurück, gehe zu meiner Sporttasche, hole meine Waffe hervor und schlüpfe in die Sneakers, dann schnappe ich mir die Autoschlüssel und mache mich daran, Cammy aufzuspüren.

Ich werde dich finden, Kätzchen, und dann werde ich deine Krallen stutzen.

 

Kapitel 2

 

Cammy

 

Ich zittere, zittere so sehr, dass ich glaube, nie mehr damit aufzuhören. Genauso ergeht es meinen Lippen und meinen klappernden Zähnen.

Ich schniefe, die Tränen schaffe ich zu unterdrücken, auch wenn vor meinen Augen ständig der Blick verschwimmt.

Als ich der Meinung war, genügend Abstand zwischen mir und dem Haus zu haben, zückte ich Wulfs Handy und wählte eine Nummer, die einzige Nummer, die ich auswendig weiß.

„Ja?“ Die Stimme am Ende der Leitung klang unwirsch.

„Dad, ich bin’s, Cammy“, sagte ich erstickt.

Schlagartig veränderte sich die Tonlage. „Oh mio dio!“

Ich sagte ihm, wo ich gerade bin, und Dad versprach, so schnell wie möglich einen Wagen zu schicken. Wir träfen uns in seinem Penthouse.

Nun sitze ich seit wenigen Minuten auf der Rückbank eines abgedunkelten SUV. Trotz der warmen Temperatur im Inneren des Wagens ist mir kalt. Eine Kälte, die nicht allein durch Wärme verschwinden wird.

Den Chauffeur, der mich mit Ms. Bianchi ansprach, mir die Tür aufhielt und danach eisern den Mund hielt, kenne ich nicht.

Sein Gesicht ist gezeichnet von schweren Zeiten, seine hagere Gestalt versinkt in den dicken Wintersachen, die ihn aber nicht als Chauffeur erkennen lassen. Eine Uniform oder eine für den Beruf typische Mütze trägt er nicht, daher kann ich von meinem Sitzplatz aus einen freien Blick auf seine vom Haarkranz umrandete Halbglatze erhaschen.

Ich wende den Blick ab und werfe einen Blick nach draußen. Durch die getönte Scheibe kann ich die Fußgänger nur schwer erkennen, genauso wie die Wolkenkratzer und die Autos, aus denen vereinzelt scharfes Hupen zu hören ist.

Mein Dad besitzt zwei Penthouses und ein Haus in den Hamptons sowie eine Wohnung, die er für Geschäftstermine nutzt und von der die meisten wissen, alle anderen Wohnungen sind Privatadressen.

Gerne würde ich in die Hamptons fahren und das stürmische Meer der Stadt vorziehen. Ich stelle mir vor, wie ich mich Schicht für Schicht warm anziehe und am Strand spazieren gehe. Um diese Jahreszeit brauche ich mir nicht Gedanken drüber zu machen, anderen über den Weg zu laufen, schließlich sind die Häuser reine Sommerhäuser der Reichen und nicht deren fester Wohnsitz.

Ich seufze, und das Zittern setzt wieder ein, und es wird stärker, als wir halten und der Fahrer kurz und knapp ankündigt, dass wir da sind.

Ohne darauf zu warten, dass der dürre Mann aussteigt und mir die Tür aufhält, steige ich aus und stürme in das Gebäude. Die Kälte macht mir zu schaffen, die innere Unruhe tut ihr Übriges.

„Miss, wo darf es hingehen?“ Ich halte abrupt inne und drehe mich nach links, wo ein großer schwarzer Mann in Uniform hinter einem Tresen steht und mich fixiert, dabei zieht er die rechte Augenbraue misstrauisch hoch.

Mein Herz pocht, als ich ihm sage, wer ich bin, sofort wird sein Gesichtsausdruck geschäftiger.

„Mr. Bianchi rief mich an und informierte mich drüber, dass Sie kommen würden. Selbstverständlich bewahre ich Diskretion und werde niemanden erzählen, dass seine Tochter hier ist.“

Schweigend betrachte ich ihn und nicke. „Es ist Ihnen zu wünschen, dass Sie das Geheimnis für sich behalten.“

Die unausgesprochene Drohung hängt zwischen uns.

Der Portier kommt hinter dem Tresen hervor, seine Statur ist breit und kräftig, sein Bauch aber auch.

Er durchquert die auf Hochglanz polierte Eingangshalle und bleibt vor einem der zwei Fahrstühle stehen und betätigt den Knopf, auf dem der Pfeil nach oben zeigt.

Schon kurz darauf gleiten die Türen auf, und der Portier betritt den Fahrstuhl. „Kommen Sie, Miss?“

„Ja, natürlich.“ Ich stelle mich neben ihn und blicke mich verstohlen um. Selbst in der Kabine des Fahrtstuhls befinden sich keine Fingerabdrücke, weder auf den Tasten noch auf den Spiegeln, die die Kabine schmücken.

Der Portier zückt eine Karte und schiebt sie in einen Schlitz, den ich zuvor nicht gesehen habe, da er sich unter den Tasten befindet, und erst da sehe ich auch, dass der Portier schwarze Handschuhe trägt.

Sein Job ist es wohl, die Bewohner und Besucher auf die Etagen zu begleiten und diese nicht die Tasten betätigen zu lassen.

Es dauert einige Minuten, bis wir endlich ganz oben ankommen und die Türen aufgleiten, die direkt in das Penthouse führen.

„Mr. Bianchi sagte, dass er in einer halben Stunde eintreffen würde. Bis dahin sollen Sie es sich gemütlich machen.“

„Danke.“

Er neigt leicht den Oberkörper und sobald ich den Fahrstuhl verlassen habe, schließen sich die Türen.

Der Flur, der weiß gestrichen und mit weißen Hochglanzfliesen ausgelegt ist, misst nur wenige Meter bis zur Doppeltür. Auf dem Weg dorthin hängen in einer Reihe auf der linken Seite des Gangs in weißen Holzrahmen schwarz-weiß Fotografien von Rom.

Eine ist eine Luftaufnahme von Rom, eine zeigt den berühmten Trevi-Brunnen, eine das Kolosseum und die andere das Forum Romanum.

Die beiden letzten Fotografien zeigen das Elternhaus meines Vaters.

Ich studiere die Bilder, stelle mir vor, wie Dad dort aufwuchs, bis seine Eltern sich entschieden, in die USA auszuwandern, aber das Haus behielten sie, um die Sommerferien in Italien zu verbringen.

Leider war ich noch sehr klein, als Grandma verstarb, nur zwei Jahre später folgte Grandpa. Ich weiß, dass Dad noch einen älteren Bruder hat, der in Italien lebt, aber die beiden reden seit Jahren nicht mehr miteinander. Vom Onkel habe ich nur eine schwache Erinnerung; ich weiß noch, dass die Brüder sich sehr ähnlich sahen. Aber seit deren Eltern tot sind, war das zerrüttete Verhältnis endgültig Geschichte, und sie sprachen kein Wort mehr miteinander. Mein Onkel zog zurück nach Italien.

Warum die beiden nicht mehr miteinander sprachen und wieso das Verhältnis zwischen den beiden so angespannt war, kann ich nicht benennen, denn Dad redet nicht darüber. Er leugnet zwar seinen Bruder nicht, aber über ihn reden will er auch nicht.

Ich drücke die rechte Tür auf, und als erstes empfängt mich eine wohlige Wärme. Ich schließe die Tür hinter mir, bleibe im großen Wohnzimmer stehen und schließe für einen Moment die Augen, als ich den Mantel ausziehe und die Wärme auf meinen durchgefrorenen Gliedmaßen einen wohligen Schauer hervorruft.

Dadurch fühlt sich der Stahl auf meiner Haut am Rücken umso kälter an, und ich erschaudere, als ich nach hinten greife und die Pistole hervorziehe. Angewidert über das Teil halte ich den Griff spitz mit Daumen und Zeigfinger fest und lege es auf die dunkle Kommode, die sich links von der Tür befindet, den Mantel lege ich über die dunkelbraune Ledercouch.

Erst als ich mich mit zehn großen Ausfallschritten von der Waffe entfernt habe, nehme ich mir die Zeit, das Penthouse zu inspizieren.

Der weiße Hochglanzboden ist verschwunden, stattdessen laufe ich über hellen Parkettboden, der teils von dicken Teppichen bedeckt wird.

Teppiche, die ich Dad nicht zugetraut hätte, weil sie nicht dem modernen, schlichten Chic entspricht, den Dad so bevorzugt.

Es sind rot-schwarze, mit Ornamenten verschnörkelte Perserteppiche, die entweder als Läufer im nächsten Gang ausgelegt sind oder als rechteckige Teppiche, die sich unter den einzelnen Sitzgruppen befinden.

Die einheitlichen, hüfthohen braunen Kommoden, die die rechte Wand komplett einnehmen, stehen auf klobigen Füßen, und über ihnen hängt ein riesiger Fernseher. Das hat Dad sich nicht nehmen lassen, wenigsten die neuste Technik zu besitzen, obwohl er nicht der Typ Mann ist, es sich abends auf der Couch gemütlich zu machen und Netflix einzuschalten.

Wie ich ihn kenne, wird er trotzdem Netflix abonniert haben, nur um sich nicht die Blöße zu geben, wenn das Thema in seiner Geschäftswelt aufkommen sollte.

Die lange Ledercouch, vor der ein fast so langer wie breiter Couchtisch steht, auf der sich zwei Fernbedienungen und eine Zeitung befinden, ist parallel zum Fenster aufgebaut.

Ich gehe zwischen Couch und Tisch entlang und werfe einen Blick auf die Zeitung, die mit dem gestrigen Datum versehen ist. Also muss Dad sich momentan hier aufhalten.

Am Ende des Tisches steht das gleiche Couchmodell, nur dass es sich um eine Zweier-Couch handelt. Ich kann mir schwer vorstellen, dass sich hier mehr als zwei Leute aufhalten, sodass die Couchgruppe wohl nur der Gemütlichkeit dient.

Von meinem Standpunkt aus schaue ich nun direkt auf eine Front von langen weißen Vorhängen, die nur wenige Zentimeter über den Boden hängen.

Neugierig versuche ich, einen Blick durch die Vorhänge zu erhaschen, aber der Stoff ist auf den ersten Blick nicht so leicht, wie es den Anschein gemacht hat.

Als ich versuche, den Kopf zwischen zwei Vorhänge zu stecken, sehe ich erst, dass es ein einzelner riesiger Vorhang ist. Da dieser in Falten gelegt ist, sah es so aus, als würden mehrere Vorhänge nebeneinander hängen.

Ich schnalze mit der Zunge, weil ich einen verdammten Blick aus diesem Penthouse werfen will und diese Stoffwand es mir verwehrt. Wenn ich am Stoff ziehe – egal, ob nach links oder nach rechts – tut sich nichts.

Ich lehne mich ein Stück zurück und mache einen langen Hals, und da entdecke ich rechts von den Vorhängen an der Wand weiße Schalter. Also betätige ich einen von ihnen – und siehe da, der Stoff bewegt sich wie von Geisterhand nach links und legt den Blick durch die Panoramafenster frei.

Mir stockt der Atem angesichts dieses Ausblicks, und ich stelle mich in die Mitte. Ich kann alles überblicken, kann die Spitzen von verschiedenen Wolkenkratzern sehen, und die Menschen, die zu Fuß unterwegs sind, sehe ich nur noch als bewegliche Punkte.

Ich stehe eine ganze Weile so da, bis auf einmal die Spotlights in der Decke angehen. Überrascht hebe ich den Blick und denke, dass es vielleicht ein eingebauter Zeitschalter ist, der die Spotlights zum Leuchten bringt.

„Mia bambina.“

Erschrocken wirble ich herum. Dad steht an der Doppeltür und starrt mich mit großen Augen an.

Ich bringe ein zitterndes Lächeln zustande, als mein Dad auch schon auf mich zugestürmt kommt und mich in die Arme zieht und auf Italienisch Gott dankt, dass mir nichts zugestoßen ist.

„Wie geht es dir?“ Er legt seine Hände auf meine Wangen und drückt mein Gesicht hoch, erst da sehe ich, dass Dad feuchte Augen hat.

„Mir geht es gut. Wirklich, mir geht es gut“, versichere ich schnell, weil Dads Blick skeptisch bleibt.

Er schüttelt den Kopf. „Du siehst blass aus und dünn. So dünn.“

Er rückt von mir ab und begutachtet mich.

Durch die Schwangerschaftsübelkeit und die Kotzerei werde ich wahrscheinlich ein bisschen an Gewicht verloren haben, aber nicht so viel, wie Dad es darstellt.

Wieder werden seine Augen verdächtig feucht, und ich kann nicht anders, als genauso feuchte Augen zu bekommen. Wann weinen Väter denn auch mal?

„Komm, du hast ganz kalte Hände. Ich mache uns einen Espresso, okay?“

Ich lächle leicht, denn er braucht etwas zu tun, um sich wieder in den Griff zu bekommen. „Ja, gerne.“

Er fährt sich mit der Hand durch sein schwarzes Haar, dessen Schläfen bereits ergraut sind, und wischt sich einmal durchs Gesicht. Beim näheren Betrachten zeichnen dunkle Augenringe sein Gesicht und seine sonst glattrasiertes Haut ist von Bartstoppeln übersät. Auch er hatte harte Tage.

„Geht es dir gut, Dad?“

Seine schwarzen Augenbrauen schnellen nach oben. „Ob es mir gut geht?! Ich kann nicht beschreiben, welch eine Angst ich um dich hatte …“ Seine Stimme bebt, und er versucht, dieses Beben mit Räuspern zu überspielen.

Er erzählt mir, was er alles getan hat, um mich zu finden. Er hat ehemalige Mitarbeiter beschatten lassen, die vielleicht in Zusammenhang mit meinem Verschwinden stehen konnten.

Aber nichts führte ihn zu mir.

Es gab keine Zeugen, selbst Nachbarn ließ er befragen, die überrascht waren, weil sie keine Ahnung hatten, dass ich verschwunden sei.

Man muss ihnen zugutehalten, dass ich mit ihnen nie mehr als drei Worte gewechselt habe, von daher kannten sie auch meinen Tagesablauf nicht.

„In der Uni fragte ich nach, wann du zuletzt dort gewesen seist …“ Der Satz hängt in der Luft, die Missbilligung seiner Worte legt sich schwer auf meine Schultern. Fast hätte ich den Kopf unter seinem Blick eingezogen.

„Ich musste erfahren, dass du das Studium hingeschmissen hast. Was mich nur stutzig machte, war die Tatsache, dass es in dem Zeitraum geschah, in dem du verschwunden warst.“

Nicht nur, dass sein Ton missbilligend ist, seine Augen tuen es ihm gleich, und er verschränkt die Arme vor der Brust. So schnell vergeht einem die Wiedersehensfreude.

„Ich muss dir wohl noch einiges erklären.“

Streng nickt er, aber dann wird sein Blick weich. „Aber zuallererst ist es bloß wichtig, dass du lebst und dass es dir gut geht.“

Erneut zieht er mich in seine Arme und drückt einen Kuss auf meinen Scheitel. „Komm, wir gehen in die Küche. Und ich koche dir was. Du hast doch Hunger, oder?“

Nein. „Ja, habe ich.“

 

 

 

Dads Mantel hängt mir wie eine Decke über die Schultern, während ich in der Pasta herumstochere. Während des Essenszubereitens sah Dad mich immer wieder verstohlen an, aber er fragte mich nicht weiter.

Er hat gespürt, dass ich etwas Zeit brauche, ehe ich ihm erzähle, wo ich war und wer mich festhielt und wie mir die Flucht gelang.

Aber ich will nicht über Colin sprechen, will mir keine Gedanken darüber machen, wie Colin reagiert haben muss, als er vom Sport zurückkam und ich nicht mehr da war. Der Kloß im Hals hindert mich daran, Nahrung aufzunehmen.

Ich rutsche auf dem mit dem Kunstwildleder überzogenen Küchenstuhl hin und her, der so gut gepolstert ist, dass ich mich fühle, als würde ich auf Wolken sitzen.

Die Küche an sich ist sehr gemütlich. Die komplette linke Seite des Raums nimmt eine imposante Küchenzeile in Beschlag, die im Landhausstil gehalten ist.

Darauf habe ich Dad als erstes beim Betreten der Küche angesprochen.

Seine Antwort berührte mich sehr, denn meine Mutter liebte diesen Stil, und das sei eine Form der Erinnerung an seine verstorbene Frau.

Ich nahm am kleinen Küchentisch Platz, an dem zwei dieser Stühle stehen, und starrte durchs Küchenfenster, von dem ich einen Blick auf den gegenüberliegenden Wolkenkratzer habe.

Die Sonne wird wieder von einer Wolkendecke bedeckt, sodass die eingeschalteten Lichter in den einzelnen Wohnungen gut zu sehen sind, aber doch zu weit weg, um zu erkennen, ob und wie viele Leute sich in den Räumen aufhalten.

In zwei Tagen ist Weihnachten. Nur noch zwei Tage.

Ich hatte doch drauf bestanden, dass Colin für mich das Haus schmückt. Ich hatte ihm zu verstehen gegeben, wie wichtig Weihnachten für mich ist, welche Bedeutung es für mich hat –und wo bin ich jetzt?!

„Du bist jetzt in Sicherheit“, räuspert sich Dad und sieht mich lange an.

Meine Wangen färben sich rot, weil ich die Frage laut gestellt habe, was mir gar nicht bewusst war. Ich schiebe den Teller von mir. Die wenigen Bissen reichen, um Übelkeit zu verursachen.

„Ist dir schlecht? Vielleicht sollte ich einen Arzt rufen …“

„Was? Nein. Ich meine, mir geht’s gut. Es ist nur alles ein bisschen viel.“

„Du reibst dir den Bauch, deswegen dachte ich, dass dir schlecht ist“, erklärt Dad sich mit dem Blick auf meinen Bauch. Ich schaue hinab. Auch da war mir nicht bewusst, dass ich wieder etwas tat, was ich gar nicht mitbekam.

Meine Hand liegt flach auf meinem Bauch, aber nicht aus dem Grund, den Dad vermutet, sondern es ist eine Geste des Schutzes meines ungeborenen Kindes.

Dad räuspert sich erneut, dabei setzt er sich aufrechter hin und pfriemelt er an seiner Krawatte. Mittlerweile hat er auch seine Anzugjacke ausgezogen und die Ärmel seines weißen Hemdes hochgekrempelt.

„Kannst du mir was über deine Entführer erzählen? Oder über deinen Aufenthaltsort? Von dem vermute ich, dass der sich in New York befand. Na, wenn du von irgendwo außerhalb angerufen hättest, wärst du nicht erst nach New York gekommen, um dich dort abholen zu lassen. Oder haben dich etwa die Kidnapper dort ausgesetzt? Aber dann geben sie dir ein Handy, um mich anzurufen? Das ergäbe keinen Sinn – also, meines Erachtens nach“, sagt er beschwichtigend, als er meinen Blick sieht. „Cammy, es sind nur Vermutungen, die ich angestellt habe. Apropos Handy: Hast du das noch?“

Tatsächlich ist das Handy in der Tasche meines Mantels, habe es aber kurz nach dem Anruf ausgeschaltet.

Ich schüttle den Kopf. „Nein, hab ich nicht mehr.“

„Sehr gut, dann kann man dich nicht zurückverfolgen und dich hier finden. Das heißt, du bist vorerst in Sicherheit.“

Ich versuche, meine Atmung unter Kontrolle zu bekommen, und ich schließe die Augen, aber ich kann die Tränen, die seit der Ankunft im Penthouse an der Oberfläche brodelten, nicht länger zurückhalten. Es sind Tränen, die noch nicht vergossen wurden, als Dad mich das erste Mal in die Arme nahm.

Dad springt vom Stuhl, kniet sich vor mich und nimmt meine Hände in seine, Tränen tropfen von meiner Nasenspitze auf seine Hände und hinterlassen eine feuchte Spur, als sie seinen Handrücken hinabkullern.

„Ich werde alles daransetzen, dass es dir wieder gut geht, mia bambina. Ich werde deinen Entführer finden und ihn dafür büßen lassen, was er dir angetan hat.“

Ich nicke schwach, das beruhigt ihn vorerst. Er steht auf, drückt mir wieder einen Kuss auf den Scheitel und murmelt auf Italienisch, dass alles gut wird. Er gibt mir sein Wort.

„Ich glaube, ich lege mich etwas hin.“

„Ich zeige dir dein Schlafzimmer“, sagt er eifrig und geht voraus. Die Küche liegt im hinteren Bereich der Wohnung, und wir müssen zurück, durchs Wohnzimmer, an der Doppeltür vorbei, den Gang runter, an dessen Ende der Weg nach rechts abbiegt, wo die nächste Tür ist.

Dad öffnet die Tür und lässt mir den Vortritt.

Für einen Moment vergesse ich meinen Kummer.

„Ich hatte gehofft, dass der Ausblick dich ein wenig ablenkt“, sagt Dad hinter mir.

Das Zimmer ist verdammt groß, in dessen Mitte steht ein Himmelbett in Kingsize, in dem bis zu vier Erwachsenen Platz finden würden.

An den Ecken des Bettes sind vier Stangen in die Höhe gerichtet, auf denen weitere vier Stangen horizontal ihren Platz gefunden haben, von denen geraffte cremefarbene Vorhänge hinabhängen und an den vertikal gerichteten Stangen mit Bändern befestigt worden sind.

Weiße Lammfellteppiche liege rechts und links vom Bett, ein weiterer liegt am Fußende vor dem Bett. Weiße Schränke, die fast die Decke berühren, stehen gegenüber vom Bett an der Wand, doch was am meisten mein Interesse geweckt hat, ist nicht das Bett, nicht die Schrankfront, nein, es ist der Panoramablick, der über Eck geht und einfach den restlichen Raum einnimmt.

Wie schon im Wohnzimmer fesselt mich der Anblick, der Blick auf die Wolkenkratzer, auf die Skyline, nur die Wolken trüben ihn ein wenig – und doch ist es atemberaubend.

„Und hier ist dein eigenes Badezimmer“, unterbricht Dad den Moment. Widerwillig drehe ich mich nach links zu Dad, der soeben die Tür zum Bad aufdrückt.

Tatsächlich muss ich zugeben, dass auch das Bad eine Wucht ist.

„Seit wann besitzt du dieses Penthouse?“ Fragend ziehe ich eine Augenbraue hoch und sehe Dad an.

„Das Penthouse an sich schon lange, aber erst im Sommer begann ich, es renovieren zu lassen. Es sollte eigentlich dein Weihnachtsgeschenk sein.“

Meine Augenbrauchen fliegen nach oben. „Du willst mir das Penthouse schenken?!“

Er zuckt mit den Schultern. „So wie ich gehört habe, fände es die Jugend von heute schöner und besser, in so einem Appartement zu wohnen als in einem Haus, also habe ich mir gedacht, dass du hier einziehst und wir das Haus auf der Waverly Place verkaufen.“

Ich schwenke mit nach oben gerichtete Handflächen nach links und rechts, starre ungläubig drein. „Das ist zu viel, Dad. Ich kann nicht einfach ohne Gegenleistung dieses Penthouse annehmen.“

Wie aufs Stichwort blitzen seine Augen auf, und er grinst mich schief an, als sei ich in eine Falle getappt.

„Ich sagte auch nicht, dass ich im Gegenzug nichts von dir erwarten würde.“

Meine Augenbrauen fallen schlagartig nach unten, misstrauisch sehe ich Dad an. „Was genau erwartest du von mir?“

„Im Gegenzug dafür arbeitest du in meiner Firma. Und wie der Zufall so will, erfuhr ich ja kürzlich, dass du das Studium hingeschmissen hast und momentan ohne Arbeit dastehst. Willkommen in meiner Firma, Tochter.“

Er sagt es so entschieden, dass ich seufze.

„Was ist, wenn ich nicht in deiner Firma arbeiten will? Dann bekomme ich das Penthouse nicht und bleibe in meinem Haus.“

„Nun, ich will dich nicht unter Druck setzen, aber du hast weder ein Studium in der Tasche noch eine Ausbildung gemacht. Hast du denn eine Wahl?“

Ich spitze die Lippen, meine Wangen färben sich rot. Dad hat recht, aber seine Worte bringen meinen Stolz ein bisschen ins Wanken. Aber ich bin klug genug, seine eher rhetorisch gestellte Frage zu verneinen.

„Darauf stoßen wir an! Nicht nur, weil du wieder bei mir bist, sondern auch, weil wir demnächst Arbeitskollegen sein werden.“ Mit großer Geste legt er seinen Arm um meine Schultern und zieht mich zu sich.

„Ich bin für dich da. Immer“, flüstert er in mein Haar.

„Ich weiß“, flüstere ich. „Ich weiß.“

Still frage ich mich, ob er auch für uns da sein wird. Ich lege die Hand auf meinen Bauch und erkläre Dad, dass Alkohol gerade keine gute Idee sei, weil mir immer noch schlecht sei.

Ich könne ja Tee trinken, während er sich ein Schluck Wein gönnt.

Ich gehe voraus und betrete als erste den Flur, Dad ist direkt hinter mir.

„Du wirst mir noch ein paar Einzelheiten erzählen müssen, ehe ich dich in Ruhe lasse“, ertönt es dunkel von hinten. „Dass mit deiner Übelkeit kaufe ich dir nicht ab, mia bambina.“

Ich zucke zusammen. Mir wird übel. Und das ist keine Schwangerschaftsübelkeit.

„Du kannst deinen alten Herrn nicht täuschen. Wann lernst du das?“

 

Kapitel 3

 

DeVito

 

Ich sitze schweratmend auf Cammys Couch, nachdem ich ihr Haus verwüstet habe. Für einen kurzen perversen Moment befriedigt mich der Anblick, doch schon bald darauf schlägt mein schlechtes Gewissen ein wie eine Bombe.

Es will nicht in meinen Kopf, dass sie geflohen ist, geflohen vor mir. Wütend schlage ich mit der Faust auf den Tisch. Erst da sehe ich, wie sehr meine Hände zittern, die ich ausgestreckt vor meinen Augen hochhalte.

Es hat keinen Zweck, hier im Haus auf sie zu warten. Instinktiv weiß ich, dass sie nicht zurückkehren wird.

Aber für alle Fälle werde ich Axl und Wulf ins Haus schicken, die Kameras verstecken sollen, auf die ich jederzeit Zugriff habe.

Die Vermutung liegt nahe, dass sie zu ihrem Vater gegangen ist. Im Internet suchte ich bereits nach einer Adresse, aber natürlich sind nur Geschäftsadressen angegeben. Es war zumindest einen Versuch wert.

Ich werde vom Vibrieren meines Handys abgelenkt.

„Was ist?“, belle ich.

„Wäre mal schön gewesen, mir vorher Bescheid zu geben, dass deine Kleine abgehauen ist und du anschließend auch, während ich unter Dusche stand“, knurrt Axl. „Aber wieso ich eigentlich anrufe …“

Er ist klug genug, nicht auf eine Erklärung meinerseits zu bestehen.

„… heute Abend will Fat Nose schon seine Mädels zu Frauenhäusern schicken. Er lässt fragen, ob wir die Eskorte spielen wollen.“

Kurz überlege ich, abzusagen, aber es ist auch keinem geholfen, wenn ich zu Hause herumtigere. „Schätze, wir sollten vorher eine Lagebesprechung einberufen.“

„Wie schön, dass du das genauso siehst. Für heute Nachmittag ist ein Treffen anberaumt“, entgegnet er trocken und legt auf.

Ich stütze den Ellenbogen auf meinem Oberschenkel ab und lege den Kopf in die Hand. So sitze ich da, allein in einem verwüsteten Haus, zutiefst enttäuscht und verletzt und so unendlich wütend.

Ich werde dich finden, Kätzchen. Ich schwöre bei Gott, ich werde dich finden.

 

 

 

 

Axl, Wulf und ich sitzen an einem Ende des Tisches, während Fat Nose mit zwei Halbstarken am anderen Ende des Tisches sitzt, die er uns als seine Neffen vorgestellt hat. Sie wären schließlich alt genug, Nutten zu ficken, so Fat Nose, also wären sie jetzt auch alt genug, in die Geschäfte eingeweiht zu werden.

Ich kann kaum meinen Ekel verbergen. Ein Neffe hat ziemlich Pech, sein Gesicht ist über und über mit Akne bedeckt, dicke eitrige Pickel sitzen tief in seinen Poren fest. Er ist etwa sechzehn Jahre alt, was den Bartflaum über seiner Oberlippe erklärt.

Er sieht eher aus, als wolle er lieber tot umfallen, als neben seinem Onkel zu sitzen, während nackte Nutten durch den Raum marschieren. Für Fat Nose ist das eine Form von Erziehung und Erfahrung, die junge Männer nun mal machen müssten. Es gehöre zum Leben dazu.

Axl und ich wechseln Blicke, und ich finde denselben Abscheu in seinem Blick, den auch ich verspüre.

Doch der andere Neffe, den Fat Nose mit Zac anspricht, sieht seinem Onkel ähnlich, hat dasselbe feiste Gesicht und dieselbe Art zu lachen wie sein Onkel.

Ich bete, dass der Picklige es schafft, nicht wie sein Onkel zu werden.

„Ey, du, bring mir was zu trinken“, bellt Zac. „Und dann geh nach nebenan und warte dort auf mich.“ Seine widerlichen Schweinsaugen folgen dem jungen Ding, das viel zu hager ist und winzige Brüste hat.

Wulf, mit seinem angeschlagenen Ego, weil er von einer Frau überwältigt worden ist, was er scheinbar nur mit Alkohol hat überwinden können, umklammert plötzlich hart mein Knie; es soll eine Warnung sein.

Keiner der Anwesenden bekommt etwas mit, weil es unter dem Tisch geschieht, und damit es so bleibt, blicke ich Wulf verstohlen an, der kaum merklich den Kopf schüttelt.

Er muss völlig verkatert sein, doch nachdem er sich mittags für ein Schläfchen hingelegt hatte, was im Wohnzimmer auf der Couch geschah, ist er ohne Murren mit zu Fat Nose gefahren, und genau dieser Mann, der laut schnarchend das Erdgeschoss beschallte, hält mich von einer Dummheit ab.

Vor meinem inneren Auge sehe ich schon, wie ich über den Tisch springe und diesem Zac die Scheiße aus dem Leib prügle, bis er nur noch mit Hilfe eines Strohhalms Nahrung zu sich nehmen kann.

Die Dürre stellt ein Glas Coke vor Zac ab, wendet sich von ihm ab und läuft zurück. Ihr Blick gleicht der einer Toten, sie schaut uns nicht mal an, als sie an uns vorbeigeht und in dem Flur verschwindet, wo die besagten Nebenzimmer sind.

Erst als Wulf spürt, dass ich mich wieder im Griff habe, lässt er mein Knie los, und ich konzentriere mich auf das Gespräch zwischen Axl und Wulf, die über verschiedene Frauenhäuser diskutieren.

„Die meisten Frauenhäuser werden verborgen sein, weil dort die Frauen, die Angst um ihr Leben haben, von der Polizei untergebracht werden. Die, die wir kennen, die online zu finden sind, sind nicht viele. So wie ich das sehe, sind die meisten davon überfüllt …“ Axl holt mit seinen Ausführungen aus, immer wieder wird er von Fat Nose unterbrochen.

„Wenn die Häuser für Tussen eh überfüllt sind, brauchen wir meine Nutten gar nicht erst dahinschicken.“

Axls Halsschlagader wird dicker. „Wir werden sie nicht nur dahinschicken, sondern für Tage dort lassen müssen, um Vertrauen zu den anderen Frauen aufbauen zu können, um diese vorsichtig auszuhorchen.“

Fat Nose prustet los. „Ich soll was?! Ich soll meine Weiber für wie lange? Weißt du, was es mit den Frauen macht, wenn sie da tagelang untergebracht sein werden? Die werden ihren Arsch nicht mehr rausbewegen. Ganz toll. Dann darf ich Leute ansetzen, um sie wieder zum Arbeiten zu bewegen“, poltert er.

Ich versteife mich und versuche, mein Gesicht nicht aufgrund des plötzlich aufkommenden Schmerzes zu verziehen, als Wulf erneut seine Finger in mein Bein versenkt.

Ich versuche, mein wippendes Bein unter Kontrolle zu bekommen, während ich mir eine Strategie überlege. Tatsächlich kann ich Fat Nose nicht verprügeln, ohne mir mein eigenes Geschäft kaputtzumachen. Er lädt Männer zu sich nach Hause ein, wir veranstalten Pokerabende, und sobald sie sich haben den Schwanz blasen lassen oder eine der Frauen gefickt haben, sind sie zu allem bereit.

Auch bereit für einen Kredit zu Konditionen, denen sie im Alltag nie zugestimmt hätten. Leider ist auch in unserer Branche ein Geben und Nehmen üblich.

Am zweiten Weihnachtstag ist schon eine weitere Pokerrunde anberaumt, die mir wahrscheinlich unfassbar viele Kredite einbringen wird, worauf ich so gar keine Lust habe, wenn ich bedenke, dass übermorgen Heiligabend ist und am Haken meiner Garderobe eine Tiffany-Tüte hängt, in der verdammt nochmal eine Kette mit einem Diamantanhänger liegt – für eine Frau, die verschwunden ist.

Wie vom Erdboden verschluckt, und ich befürchte, es wird viel Zeit in Anspruch nehmen, Cammy zu finden.

Tatsächlich sollte ich damit recht behalten, dass ich ihr erst in zwei Monaten über dem Weg laufen sollte.

Bis dahin fließt noch viel Wasser den Hudson River runter.

Verflucht viel Wasser.

 

---ENDE DER LESEPROBE---