Unter australischer Sonne - Walter Kaufmann - E-Book

Unter australischer Sonne E-Book

Walter Kaufmann

0,0

Beschreibung

Stefan, der jugendliche jüdische Emigrant, der nach England fliegen konnte, wird als Kriegsgefangener nach Australien deportiert. Nach dem eintönigen Lagerleben arbeitet er als Obstpflücker und meldet sich als Freiwilliger zur australischen Armee, wo er vor allem im Hafen arbeiten muss. Welche Fülle von Erlebnissen und Begebenheiten der neue Kontinent für ihn birgt, davon erzählt dieser Roman. Viele Menschen treten in Stefans Leben: Da ist Albert, der Freund aus Deutschland, der dem verzweifelten Emigranten beratend zur Seite steht, da sind Bill und Jack, australische Arbeiter, die ihm weiterhelfen, da ist vor allem Ruth, die Stefan in aufrichtiger Liebe auf seinem schicksalhaften Wege folgt.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 227

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impressum

Walter Kaufmann

Unter australischer Sonne

ISBN 978-3-96521-280-0 (E-Book)

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

Foto: Barbara Meffert

Das Buch erschien erstmals 1965 in: Deutscher Militärverlag, Berlin.

Die Erzählung wurde in dem Buch „Wohin der Mensch gehört“ 1963 erstmals veröffentlicht.

Für Barbara

2020 EDITION digital

Pekrul & Sohn GbR

Godern

Alte Dorfstraße 2 b

19065 Pinnow

Tel.: 03860 505788

E-Mail: [email protected]

www.edition-digital.de

1

Aus dem Raum eines britischen Truppentransporters, der Ende 1940 an einem Kai des Hafens von Sydney festgemacht hatte, kletterte ein sechzehnjähriger Zivilinternierter an Deck, blinzelte in die ungewohnte Sonne und atmete tief die frische Luft. Er war schäbig gekleidet, trug eine beutelige Hose, die von einem Bindfaden gehalten wurde, und ein kragenloses Hemd; der Wollschal hatte seiner Mutter gehört, von der ihn jetzt nicht nur die Fronten des Krieges trennten, sondern auch die Weite der Meere.

Ein robuster britischer Soldat lehnte vor der Reling auf seinem Gewehr und beobachtete den gut aussehenden schlanken Jungen, der ihn nicht bemerkte. Er sah über die Schuppen hinweg, deren Konturen im Sonnenlicht verschwammen, auf eine Brücke, die den Hafen überspannte, eine Brücke, die ihm schön und erhaben erschien, mit eleganten Trägern; zwischen denen die Dächer von Strandvillen schimmerten. Der Seewind warf ihm das dunkle Haar ins Gesicht. Er wandte den Kopf und erblickte den Soldaten. Sogleich nahmen seine dunklen Augen einen trotzigen Ausdruck an.

„Los!", brüllte der Soldat. „Weiter!" Er trat einen Schritt vor und schob ihn mit dem Gewehrkolben auf den Weg.

Der Junge fuhr herum. „Zerschlag mir auch die Zehen", rief er, „hier!" Er streckte den Fuß vor, den nur eine aus einem Autoreifen geschnittene Sandale schützte.

„Los!", brüllte der Posten. „Weiter!" Er stampfte den Gewehrkolben auf das Deck.

„Du wagst es nicht", sagte der Junge, der Stefan Hermann hieß, in zögerndem Englisch, „es ist noch nicht dunkel."

Das Gesicht des Postens verfinsterte sich, aber schon zog ein anderer Internierter, Albert Kleist, ein drahtiger junger Mann, dessen scharfgeschnittenes Gesicht mit den hohen Backenknochen Umsicht verriet, Stefan weiter, ehe ein Unglück geschehen konnte. Nebeneinander gingen sie an zwei englischen Offizieren vorbei, die gleichmütig die Ausschiffung der ihrer Obhut Anvertrauten überwachten: zweitausend deutsche Internierte, die wie Maulwürfe aus dem Bauch des Schiffes drangen und hintereinander langsam die Gangway hinunterstiegen. Sie waren zerlumpt, nur wenige trugen mehr als ein Bündel; denn das meiste der Habe, die sie aufs Schiff gebracht hatten, war ihnen entweder geplündert oder über Bord geworfen worden. Obgleich von verschiedenen Berufen – Zimmerer oder Modezeichner, Bauer oder Arzt, Kellner oder Rentier, Student oder politischer Funktionär –, waren ihnen Unterschiede kaum noch anzusehen. Alle waren Zivilinternierte, Treibgut aus Europa, die Jungen von sechzehn wie die Greise über sechzig; sie trugen britische Uniformstücke zu Resten ihrer Zivilkleidung, die die Reise überstanden hatten.

Stefan sprang vom Laufsteg auf die Brücke. Blendend lag die Sonne über dem Wasser und warf flackernde Reflexe auf die Bretter. Rasch ging er hinüber zu dem Zug mit den vergitterten Fenstern und stieg ein. Nichts beschwerte ihn; er trug nicht einmal ein Bündel. Die Waggons füllten sich mit Internierten, während auf dem Kai Soldaten in Schlapphüten und schlecht sitzenden Uniformröcken hin und her gingen. Zumeist waren die Soldaten sonngebräunte, verwitterte, kräftige Männer, deren gelegentliche Unterhaltung Stefan nicht verstand, obgleich er ausreichend Englisch konnte. Sie schienen zurückhaltend, aber nicht feindselig zu sein.

„Nun", fragte Albert, „was hältst du von denen?"

„Was gehen die mich an?", erwiderte Stefan. Starr sah er durch das vergitterte Fenster. „Soldaten sind Soldaten."

Es kam ihm widersinnig vor, dass ihn die Ankunft auf einem neuen Kontinent mit allem, was daraus folgen mochte, viel weniger beschäftigte als die Überlegung, wie er in den Besitz eines Paars Soldatenstiefel gelangen könnte. Er lachte bitter, als er die eine Sandale abzog und vom Fuß einen Kieselstein entfernte, der sich darin eingegraben hatte, behielt aber seine Gedanken für sich. Er band die Sandale wieder fest und ergab sich, wie er es gelernt hatte, in ein langes Warten.

Vor gut anderthalb Jahren, als holländische Matrosen ihn in Rotterdam einem Flüchtlings-Hilfskomitee übergaben, hatte Stefan angefangen zu lernen, dass es nutzlos war, die immer ungewisser werdende Zukunft ergründen zu wollen; und dass man sich am besten an die Gegenwart hielt. Für ein paar Wochen war er in der Familie eines holländischen Schlepperkapitäns aufgenommen worden, bei freundlichen, großzügigen Leuten, die seinen kurzen Aufenthalt zum Mittelpunkt ihres Lebens gemacht hatten. Offen, wie sie in allem waren, breiteten sie jedoch ein eisernes Schweigen über die einzige Verbindung zu seiner Vergangenheit, die Stefan in Holland erwartet hatte: über Gerhart und Hilde. Auch verschwiegen sie, wie ein Brief an seine Mutter über die deutsche Grenze und eine Antwort zurück geschmuggelt wurden. „Vater ist aus Dachau entlassen. Wir bemühen uns um Ausreise nach Amerika. Wir wünschen dir alles Gute, lieber Sohn."

Der Ausbruch des Krieges traf ihn in einem Flüchtlingslager auf den Kanalinseln; unmittelbar vor den eindringenden Deutschen wurde er nach England evakuiert, wo er bald darauf gleich ungezählten anderen Flüchtlingen aus Nazideutschland interniert wurde. Die Welt hinter Stacheldraht war eine Welt für sich, abgeschlossen, unwirklich; voller Gerüchte, voll von Unbefriedigung und Ungewissheit und nach dem Debakel von Dünkirchen erfüllt von der Furcht vor der Ankunft der Faschisten. Im Lager schien es Stefan, die Eltern wären weiter weg denn je, entschwunden in eine große Leere, und es gab Augenblicke, da er all seinen lebhaften Erinnerungen zum Trotz die Eltern tot glaubte und sich als Waise fühlte. So lebte er von einem Tag zum anderen in einem Zustand, der an Apathie grenzte, so dass er es gleichgültig hinnahm, als er mit zweitausend anderen Deutschen zur weiteren Evakuierung per Schiff mit unbekanntem Ziel bestimmt wurde, gleichgültiger als früher eine versäumte Verabredung oder ein nicht eingehaltenes Versprechen. Er wurde zu einer Nummer, der Nummer 56 23 00, die Essen brauchte, Kleidung und zum Schlafen einen Strohsack oder, wie während der beiden Monate Fahrt durch verminte Gewässer, eine Hängematte in dem überfüllten düsteren Lastraum eines umgebauten Trampdampfers, der sie nach Australien brachte.

Aus seiner Schulzeit kannte er Australien als einen ungeheuren, zumeist unfruchtbaren Kontinent, die Einöde hier und da von einer Schaffarm mit artesischen Brunnen unterbrochen, als einen Kontinent, der unsicher war wegen seiner wilden Hunde und durch die Anwesenheit von schwarzen Eingeborenen und merkwürdig wegen der Kängurus und Platypi genannten amphibischen Säugetiere, die Eier legten und einen Schnabel hatten. Wie jemand, der zu einem Reisefilm über seltsame Länder ins Kino geht, hatte er das Land seiner Schülervorstellung zu sehen erwartet, so dass ihm die schimmernde Großstadt am Horizont hinter den Hafenschuppen wie ein Betrug vorkam.

Unter dem Gebrüll von Befehlen hatte sich der Zug mit menschlicher Fracht gefüllt, das Schiff am Kai war weit aus dem Wasser emporgestiegen. Die Sonne sank hinter die Schuppen, wo Hafenarbeiter mit Schiebkarren Wollballen auf Frachtdampfer verluden. Schließlich tönte eine Dampfpfeife, die Puffer klirrten, die Waggons ruckten und rollten dann vom Kai durch die Stadt Sydney, die grau wurde und bald ihren Glanz verlor. Der Zug hastete an Höfen vorüber, wo zwischen wirbelndem Rauch Wäsche flatterte. Kinder starrten aus den Fenstern verrußter Reihenhäuser, die Stefan an alle Elendsviertel erinnerten, die er in Deutschland, Holland und England gesehen hatte. Bald wurden der Wohnhäuser weniger, und nach kaum mehr als einer Stunde breitete sich Land, das wirklich den Seiten seines Geografhiebuch entstiegen zu sein schien, die von Australien handelten: weite Ebene, hier und dort knorrige nackte Bäume und verstaubtes Gesträuch, das in die Abenddämmerung überging.

Ebenso wenig wie Stefan und Albert versuchten andere, ihren neuen Eindrücken in Worten Ausdruck zu geben. Monoton ratterten die Räder, schwankte der Waggon. Die Beine weit auseinander, lehnten die Posten an jeder Tür auf ihren Gewehren, die Blusen am Halse geöffnet, die Hüte zurückgeschoben, Zigarettenstummel im Mundwinkel. Stumm betrachteten sie ihre Gefangenen, die ihnen schlecht ernährt und zum größten Teil überraschend jung und harmlos vorkamen. Wenn ihr Hitlersoldaten seid, schienen die Mienen der Bewacher zu sagen, ist der Krieg in vier Wochen vorbei!

Der Soldat neben Stefan, ein hagerer Fünfziger mit knochigem Gesicht und drahtigen Augenbrauen, setzte sich schließlich ihm gegenüber. Er hielt sein Gewehr achtlos wie einen Stock, streckte die Beine aus und fragte lässig: „Wo haben sie dich gefangen, Kamerad?"

Stefan fuhr zusammen. Es war das erste Mal seit seiner Internierung, dass jemand in Uniform ihn anredete.

„Sprichst du Australisch?"

„Englisch?", fragte Stefan. „Ein wenig."

„Na also. Wo haben sie dich geschnappt?" Der Posten blinzelte ungeduldig mit den grauen Augen. Stefan schüttelte den Kopf. „Ist gut, ist egal. Einer von der Hitlerbande?"

„Nein", sagte Stefan entschieden, „ich bin Flüchtling."

„Oh", sagte der Posten. „Und deine cobbers?"

„Sie auch", antwortete Stefan. Obgleich er nicht wusste; was ein cobber ist, bezog er es auf die andern.

„Was tut ihr dann hier? Hat doch keinen Sinn, euch einzusperren. Wir meinten, ihr wärt alle Kriegsgefangene."

Stimme und Augen des Postens wurden freundlicher, als er nach und nach erfuhr, wo Stefan herkam und wo seine Eltern waren.

„Juden in Hitlerdeutschland …", sagte er nachdenklich vor sich hin, und um freundlich zu sein, erzählte er von einem Juden, den er in Sydney kannte, einem Zahntechniker, der ihm ein Gebiss gemacht hatte, das er ohne Verlegenheit zeigte.

„Erstklassige Arbeit", sagte er, „tüchtiger Bursche, dieser Jude in Sydney. So ein Pech, wir sperren dich hier ein, und deine Leute leiden unter Hitler, vielleicht gerade heute."

Er verfiel in Schweigen und dachte eine Weile nach, dann kam er zu einem Entschluss. Unvermutet stand er auf und rief über den Waggon hinweg dem anderen Posten zu, einem stämmigen großen Mann, den er Danny nannte: „Sie sind keine huns, sind alles Flüchtlinge! Mach die verdammten Fenster auf bei dir, sie werden uns nicht ausreißen!" Und er machte sich daran, mit dem Gewehrkolben die improvisierten Gitter vor den Fenstern herunterzuschlagen. Er ging den Gang hinunter, schwang die Waffe mit viel Lärm und öffnete gegen alle Vorschriften und Anordnungen die Fenster. Erstaunt sahen die Gefangenen zu, und Albert Kleist blickte Stefan an und sagte: „Soldaten sind Soldaten, was?"

Die Abendluft strömte kühl herein. Die beiden Posten grinsten über die Verblüffung, die sie hervorgerufen hatten, und warfen ihre Gewehre ins Gepäcknetz. Sie drehten sich Zigaretten und unterließen nicht, ihre Tabakbeutel den Männern in ihrer Nähe anzubieten, von denen es viele nach Tabak verlangte wie Hungernde nach Nahrung. Die Atmosphäre wurde merklich heiterer, mit jeder Meile verringerte sich der Abstand zwischen Wachposten und Gefangenen. Schließlich fragte der Posten, den der andere Danny genannt hatte, Stefan, wie die „Pommies" ihn behandelt hätten. Fragend sah Stefan ihn an. „Die Posten auf dem Schiff", erklärte Danny.

„Nicht gut", sagte Stefan. Er deutete auf einen Mann mit einem Gipsverband um den Fuß. „Ein Posten auf dem Schiff, wir nannten ihn Löwenjäger, hat ihm die Zehen zerschmettert."

Angewidert spuckte Danny aus. „Habe nie einen Pommy kennengelernt, der etwas taugte", sagte er mit Nachdruck.

„Lass das", sagte der andere Posten, „setz ihnen nicht solche Flausen in den Kopf. Wir sind im Krieg, aber nicht gegen die Engländer …"

„Klar, ich weiß", lenkte Danny ein. Gutmütig klopfte er dem verletzten Mann auf die Schulter. „Hier kommst du wieder in Ordnung, Mann. Ein großartiges Land, Australien! Das beste Land der Welt“'

In Erinnerung an die Behandlung, die er durch die Engländer erfahren hatte, meinte Stefan gleich anderen, dass man Danny zustimmen könne. Er nickte und rückte beiseite, um zwischen sich und Albert Platz zu schaffen, damit der Soldat sich dort setzen könne. Der tat dies auch bereitwillig, und nach einer Weile holte er ein Kartenspiel heraus, lockte durch Worte und Zeichen Partner herbei, breitete seinen Mantel über eine Kiste und fragte: „Was für Spiele kennt ihr?"

„Ich spiele nicht", sagte Stefan, „aber ich werde dolmetschen."

Bald hatten sich vier Mann – Albert Kleist, der Mann mit den verletzten Zehen, ein alter Viehhändler aus Ostfriesland und ein Juwelier aus Bonn – zum Kartenspiel mit ihrem rüstigen australischen Bewacher niedergelassen. Ein Dutzend andere Internierte sahen interessiert zu, und zum ersten Mal seit Monaten fühlten sich alle frei.

Fahle Dämmerung erhob sich über ein schweigendes; weites Land, das sich öde und gleichförmig dahinstreckte, so weit der Zug seine Fracht von Fremden landeinwärts trug und immer landeinwärts. Allmählich wurde es hell über den narbigen spröden Flächen, und als die Sonne am wolkenlosen Himmel aufging, erschienen zwei Kängurus und sprangen, bei jedem Sprung ihre dicken Schwänze auf die rote Erde schlagend, neben dem rollenden Zug her. Schließlich verschwanden sie im wehenden, trockenen gelben Gras, und nur noch einzeln stehende Gummibäume unterbrachen hier und da die ungeheure Gleichförmigkeit der Ebene. Große schwarze Vögel saßen bewegungslos auf nackten Ästen, und nie veränderte sich das Land. Unaufhörlich jagten die Pfosten eines endlosen Drahtzauns an den Fenstern vorbei und manchmal ein staubiger Strauch; von dem der Tau bereits getrocknet war.

Trotz aller Freundlichkeit der Bewacher kam sich Stefan allmählich wie auf der Reise in eine Verbannung ohne Wiederkehr vor. Er dachte an den belebten Hafen von Rotterdam, an den Asphaltdschungel Londons und wurde von einem bis dahin ungekannten Gefühl der Isoliertheit gepackt, das von den andern geteilt zu werden schien. Sogar das gewöhnlich heitere Gesicht Alberts hatte einen harten, nach innen gekehrten Ausdruck angenommen. Er sagte nichts, aus dem Mahlen seiner Kiefer war auf seine Gedanken zu schließen. Seine blauen Augen blickten über das Land, als suche er irgendwo einen vertrauten Zug zu entdecken.

An Kartenspiel dachte niemand mehr, und Danny, der Wachposten, rief: „Warum so trübsinnig? Ihr habt noch gar nichts gesehen!"

Gegen Mittag kamen sie reisemüde an ihrem Bestimmungsort an. Sengend stand die Sonne im Zenit, erbarmungslos warf der Boden die Helle und die Hitze zurück, die sie ringsum einhüllte wie eine brennende Decke. Sie standen neben dem Stationsgebäude, das mitten in der Wüste errichtet war: ein niedriges, lang gestrecktes Gebäude mit vorspringendem Dach, das tiefe Schatten warf – zweitausend Mann, die solch ein Land in ihrem Leben nicht gesehen hatten.

„Heiß und staubig, von hier bis zur Hölle nur ein Schritt"; verkündete Danny. Mit einem kakifarbenen Taschentuch trocknete er sich den Nacken. „Aber ihr werdet euch dran gewöhnen – mit der Zeit." Wie die übrigen drängte sich Stefan in den Schatten und bewahrte ein ahnungsvolles Schweigen. Langsam fuhr der Zug aus der Station, und hinter ihm tauchte eine Abteilung berittener Soldaten auf, die ihre Pferde mit der Mühelosigkeit von Männern beherrschten, die den Sattel unter sich gewohnt sind. Lässig hielten sie ihre Gewehre, als sie die Schienen entlang hin und her ritten und die Gefangenen nicht aus den Augen ließen, die sich in einiger Ordnung zu einer langen Kolonne aufstellten. Am Ende des Stationsgebäudes brüllte ein Hauptmann Befehle, und die Reiter nölten: „All right, Captain!", gaben ihren Pferden die Sporen und tänzelten auf eine Straße zu, die in ein Städtchen führte, das sich in der Ferne wie eine Fata Morgana erhob.

In die Kolonne von zweitausend Mann kam Bewegung, und sie schob sich langsam die Straße hinunter, auf allen Seiten von Reitern bewacht. Danny war mit den anderen Zugposten auf ein Lastauto geklettert, das sie in einer Staubwolke überholte. Was von seinem roten Haarschopf unter dem Schlapphut hervorsah, war über und über bepudert. Undeutlich sah Stefan ihn freundschaftlich grinsen; aber nur mit dem Schatten eines Lächelns erwiderte er den Gruß. Vier Meilen marschierte er mit den anderen stumm und verdrossen, während ihnen zu Seiten Pferde stampften und schnaubten und in der heißen Sonne so dicht der Staub aufstieg, dass er die Stadt verdeckte, an deren Rand sie sich nun entlangbewegten.

Schließlich unterschieden sie vier Wachtürme auf einer Anhöhe und dann das Lager selbst, niedrige Wellblechhütten auf einer von einem Stacheldrahtzaun umgebenen großen Fläche. In dieser fremdartigen Wüste schien für Stefan jetzt nur dieses Lager Wirklichkeit zu besitzen. Es war wie alle Lager, die er seit der Flucht aus Deutschland kennengelernt hatte, und deshalb vertraut und fast wünschenswert, so dass, als er das dritte der drei Stacheldrahttore durchschritt, ihm die Öde draußen weniger abstoßend vorkam.

Auf dem großen Appellplatz sah er hinter dem letzten Internierten die Tore zuschwingen. Draußen führten die Soldaten ihre Pferde weg, ein Horn erklang irgendwo, ein Hund bellte. Dann wurden sie gezählt: von einem Sergeanten, der rasch ihre Front abschritt, mit jedem Schritt zwei Mann hinter sich ließ und seine Schritte laut zählte. Danach meldete er dem Hauptmann.

„Auf einen mehr oder weniger", hörte Stefan den Hauptmann sagen, „kommt's nicht an! Wird schon keiner fehlen." Er spuckte in den Staub. „Wo sollten sie auch hin in dieser Wüste?"

Er befahl „Achtung!", und mit schneidender Stimme, die sich in der Leere jenseits des Lagers verlor, verlas er die Lagerordnung. Wenn jemand ihren Inhalt nicht erfasste, so war es Stefan. Er beobachtete einen Habicht, der in dem klaren Himmel Kreise zog. Zweimal vollendete der Habicht den Kreis, dann stieß er auf einen knorrigen Baum zu und entschwand den Blicken weit jenseits des Stacheldrahts, der zwischen den Posten und den Wachtürmen in der Sonne schimmerte.

Fünfviertel Jahre lang antwortete Stefan, wenn er aufgerufen wurde: „Nummer 56 23 00?" – „Hier!", und wenn jemand ihn gefragt hätte, ob ihm die Zeit lang vorkäme, wäre er nicht fähig gewesen, befriedigend zu antworten. Seltsamerweise schien die von äußeren Ereignissen losgelöste Zeit, die, außer von Gerüchten, von Nachrichten jeglicher Art, von jedem Wechsel losgelöste Zeit, ihr Wesen verloren zu haben. Die Dauer der Gefangenschaft kam ihm lang und kurz zugleich vor, Wochen verschmolzen zu einem Tag, ein Tag dehnte sich aus zu einer Ewigkeit. Äußerlich veränderte sich Stefan. Aus einem unterernährten Jungen wurde ein sonnverbrannter, muskulöser, schlanker junger Mann. Einige Monate lang arbeitete er in dem Gemüsegarten, den die Gefangenen auf dem harten roten Boden anlegten, später vier Stunden täglich als Geschirrwäscher in der Lagerküche; dort passte die Arbeitszeit besser zu seinen privaten Absichten.

Die Muße hatte seinen Lesehunger wieder geweckt, und unter dem Einfluss eines Lyrikers namens Karl Ruppin, der von der Universität Oxford ins Internierungslager gesteckt worden war, begann Stefan Gedichte zu verschlingen von Rilke bis zu T. S. Eliot und von Baudelaire bis zu Auden, bis er selber den unwiderstehlichen Wunsch spürte, sich in Versen auszudrücken. Beim Schein einer in einen Krug gesteckten Kerze entwarf er Wortgemälde von ziehenden Schwänen, Straßendschungeln, Traumlandschaften und bombenzerrissenen Slums, und jede Zeile, die er schrieb, trug deutliche Züge des zuletzt einverleibten Gedichtzyklus. Das Fenster gegenüber seiner Pritsche sah auf Stacheldraht, auf die nackte Wüste und einen einsamen Eukalyptusbaum. Doch in den sterneleuchtenden schimmernden Nächten unter dem Kreuz des Südens, wenn die Scheinwerfer der Wachtürme über den Stacheldraht strichen und über den einsam auf und ab wandernden Posten, wich die Wirklichkeit Fantasiebildern, die ihm wahrer vorkamen als die Wahrheit selbst. Während die anderen in der Baracke schliefen, schrieb Stefan erst in deutscher, dann in englischer Sprache von Bergseen und Bahnhöfen, von Blütenbäumen und zerfurchten Händen. Und was er beim flackernden Kerzenschein niederschrieb, widmete er Karl Ruppin, dem adlernasigen Dichter mit den brennenden Augen. Aber eines Tages wurde Ruppin auf britischen Befehl entlassen; er kehrte nach England zurück und nahm an der Oxforder Universität wieder seine Dozentur auf. Albert Kleist sagte zu Stefan: „Höchste Zeit, mein Lieber, dass er wegkam!"

„Ich hatte ihn gern, ich habe viel von ihm gelernt", sagte Stefan.

„Weißt du überhaupt, in was für einer Zeit wir leben?", fragte Albert.

„In der Zeit der Gewehre, der Peitsche und der Galgen", antwortete Stefan.

„Dreck! Die Welt steht in einem furchtbaren Krieg gegen Hitler, daran musst du denken."

Nach der Abreise Karl Ruppins kam Stefan das Leben leer vor, war ihm die Anwesenheit Alberts, des Drehers und Maschinenschlossers mit dem praktischen Sinn, ein Dorn im Fleische. Er versteht mich nicht, dachte er. Ihn interessieren doch nur die Drehbank und die Schriften von Marx.

Er gab seinen Posten als Geschirrwäscher auf und lag auf der Pritsche herum, wo er mit der Unzulänglichkeit eines Unerfahrenen über verlorene Liebe und verlorene Horizonte meditierte. Schließlich schrieb er auf den Rat eines Historikers, eines zurückhaltenden bärtigen Mannes, an australische Quäker und erhielt postwendend ein Paket mit Werken englischer Klassiker, die er sofort mit Genuss zu studieren begann. Auf diese Weise vervollkommnete er unter Zuhilfenahme eines Wörterbuchs mühselig seine englischen Sprachkenntnisse; zugleich halfen Scott, Thackcray, Jane Austen, Dickens, Thomas Hardy und die kraftvolle Dichtung Shelleys, Byrons, Wordsworths und Burns' seinen Sinn für Werte wirksamer wiederherzustellen als Alberts verfrühte Ermahnungen. Bei seinen eigenen Poetastereien vermisste er plötzlich den Sinn, und sein Traum, Schriftsteller zu werden, erschien ihm als eitles Trachten eines verwirrten Kopfes.

Zu dieser Zeit, über ein Jahr war verstrichen, erhielt er plötzlich über das Rote Kreuz aus Deutschland einen Brief, in dem sein Vater schrieb: „Du willst also Dichter werden, Stefan. Bei allem Verständnis, das wir, Deine Mutter und ich, solchen Absichten entgegenzubringen suchen, glauben wir, Dir raten zu müssen, mit den Füßen auf der Erde zu bleiben. Gibt es in Eurem Lager keine Gelegenheit, einen richtigen Beruf zu erlernen, lieber Sohn? Wer kann denn heutzutage seinen Lebensunterhalt mit Versen verdienen? Nein, Stefan, wenn dieser Krieg vorüber ist, und Gott gebe, dass wir ihn überleben, auf wen sind wir dann, Mutter und ich, angewiesen? Alle unsere Gedanken, alle unsere Hoffnungen …“

Am Tag der Ankunft dieses Briefes erschien auf der Anschlagtafel vor dem Lagerbüro ein Aufruf, dass zum Obstpflücken auf abgelegenen Farmen sich Freiwillige melden möchten. Eine große Bewegung ging durch das Lager, als wäre durch unterirdische Kräfte ein See über seine Ufer getreten. Stefan sagte zu Albert: „Was tust du?"

Albert sagte: „Ich habe meine Sachen schon gepackt."

Stefan pochte das Herz. Plötzlich war ihm bewusst, dass er Albert schmerzlicher entbehren würde als jeden anderen. An seinem Auge zogen viele Begebenheiten vorüber, entscheidende Situationen, in denen Albert mit Umsicht und Festigkeit gehandelt hatte: auf dem Schiff, im Lager, jetzt. Hatte er sich, das überlegte er, nicht nur deshalb so vielen widerstreitenden Strömungen überlassen, weil er wusste, dass am Rande eines jeden Wirbels bei Albert Halt zu finden war? Mit Besorgnis, die er hinter einem ruhigen Ton zu verbergen suchte, fragte er: „Wenn ich mich melde, gehen wir dann zusammen?"

Albert sah ihn forschend an, dann packte er ihn fest bei der Schulter.

„Trag dich ein, Stefan", sagte er ruhig.

Acht Tage später schritten sie, in burgunderrot gefärbten abgelegten australischen Heeresuniformen, ihre Habseligkeiten in alte Decken zusammengerollt, durch die sonnüberflutete Hauptstraße eines entfernten Dorfes.

„Ihr lauft herum wie bunte Hunde", erklärte ihre Bewachung, der Soldat Danny O'Keefe, und schimpfte auf die Unvernunft der Behörden, die den Freiwilligen in einer Zeit, da Port Darwin von japanischen Flugzeugen bombardiert wurde, in der Aufmachung von Kriegsgefangenen das Lager zu verlassen erlaubten.

Stefan und Albert erschien der Krieg weiter entfernt denn je. Schweigend gingen sie neben Danny her, der sie an einer kleinen Holzkirche hinter blühenden Bäumen vorbeiführte, einen Kirchhof entlang und an einem Kurzwarenladen vorüber, aus dem Bauernfrauen ihnen neugierig nachblickten, über einen Platz, auf dem Kinder spielten, an einem gedrungenen Steinhaus vorbei und um ein Kriegerdenkmal herum zu einem Holzhaus mit schattiger Veranda, wo an einer Tränke Pferde angebunden waren und alte amerikanische Autos standen. Von der Veranda führte eine Tür in ein Gastzimmer, an dessen Theke einige Farmer tranken. Ein altmodisches Radio spielte.

„Vielleicht wissen die in diesem Nest noch gar nichts"; sagte Danny tröstend. „Wartet hier, bis ich raus habe, wie die Sache liegt." Er ging in das Gasthaus, rief „Guten Tag allerseits", trat an die Theke und kehrte einen Augenblick später zurück, in jeder seiner gewaltigen Hände ein Glas schäumendes Bier. „Trinkt, ich sehe jetzt zu, was hier los ist", sagte er und verschwand erneut.

Sie hörten ihn Fragen stellen, sahen den Wirt auf einen untersetzten Farmer deuten, der allein an einem Tisch saß, und sahen auch, dass Danny mit freundlichem Lächeln auf ihn zuschritt, das sich gleich darauf in Erstaunen verwandelte. Gereizt sagte er: „So was! Was sind denn Sie für einer?"

Der Farmer drehte sich halb um, schob den Hut in den Nacken und musterte durch die Tür Stefan und Albert auf der Straße. „Sagen Sie ihnen, ich komme bald", erklärte er, ohne sie aus den Augen zu lassen.

„Sagen Sie ihnen das selbst", erwiderte Danny, kam heraus, wischte sich mit dem Taschentuch das erhitzte Gesicht und wartete. „Kein guter Anfang, Jungs", sagte er.

Der Farmer erhob sich von seinem Stuhl, trat langsam an das Geländer der Veranda, von dessen Höhe herab er die beiden in den gefärbten Uniformen abschätzend betrachtete.

„Guten Tag", sagte er mürrisch.

Sie antworteten entsprechend.

„Wie heißen die?“, fragte er Danny.

Danny O'Keefe wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und lächelte Stefan zu. „Sie können Englisch", sagte er zu dem Farmer, „und stumm sind sie auch nicht."

„Es sind doch Deutsche."

„Sie haben sich freiwillig gemeldet", sagte Danny langsam.

„Was erwarten Sie von mir? Soll ich von der Veranda springen und sie streicheln?"

„Anständig behandeln, weiter nichts", sagte Danny.

Anständig behandeln! Dass ich nicht lache", sagte der Farmer.

Die folgende Unterhaltung zwischen dem Soldaten und dem Farmer blieb den beiden zum Teil unverständlich, aber sie begriffen, dass ein Sohn des Farmers in Griechenland gefallen war, dass er die Deutschen hasste und sowenig wie möglich mit den beiden, die für ihn arbeiten sollten, in Berührung zu kommen wünsche.

„Das müssen Sie mit sich selber ausmachen", sagte Danny. „Wo ich herkomme, da gibt man Leuten eine Chance. Aber vielleicht herrschen hier andere Sitten."

Er kam wieder auf die Straße und erklärte den beiden ruhig, dass ihr Boss Tom Wells heiße, dass seine Obstplantage zu Fuß eine Stunde weit entfernt liege und dass Wells sie dort anzutreffen erwarte. Er zeigte ihnen, welchen Weg sie gehen müssten.

„Vielleicht ist es besser, ich komme gleich mit?", schlug er vor.

„Nein", sagte Albert, „ist nicht nötig, Danny. Geh nur zum Bahnhof, wir finden allein."

„Ist gut", antwortete er. „Wenn ihr fort seid, rede ich noch einmal mit dem Kerl, vielleicht ist er nicht so schlimm; wie er tut." Er schüttelte ihnen die Hand. „Viel Glück; Jungs. Hoffentlich kommt ihr zurecht." Damit ging er ins Wirtshaus.

„So lass uns die Straße der Freiheit ziehen", sagte Stefan zynisch.

„Klar, jetzt sind wir freie Menschen."

Sie gingen aus dem Ort die einsame Landstraße hinunter zu einer Brücke, die über ein lehmiges, fast ausgetrocknetes Flussbett führte. In dem schmalen Rinnsal wuschen dunkelhäutige Australfrauen Lumpen. Am Ufer standen verfallene Bretterbuden unter dürren Gummibäumen, die auf magere Kinder mit strähnigem Haar und glänzenden Augen blasse Schatten warfen. Hinter den Bäumen hockte bewegungslos ein alter schwarzer Mann auf der Erde, mit einer Hand wehrte er den Fliegen. Ausdruckslos starrte er sie an, und sie sahen seine knochigen Knie durch die Hosen stechen, seine hohlen Wangen und hellbraunen nackten Füße. Sie marschierten weiter durch die sonndurchtränkte brütende Stille, die immer schwerer auf ihnen lastete. Obgleich sie an Höfen und Obstgärten vorbeikamen, sahen sie keinen Menschen mehr. Es schien, als sei alles Leben in der Hitze zusammengeschrumpft, bis plötzlich hinter ihnen ein Auto auftauchte, das, als es sie erreichte, seine Fahrt verlangsamte. Am Steuer saß Farmer Wells. Er rief ihnen etwas zu und deutete nach vorn, dann gab er Gas und fuhr staubwirbelnd davon.

„Reizender Mensch", sagte Stefan.

„Ja", sagte Albert und klopfte sich den Staub ab.

„Das kann schön werden", sagte Stefan, aber seine Stimme verriet nur einen Teil seines Zornes.

Sie begannen wie auf Verabredung langsamer zu gehen, nahmen sich Zeit, die Gegend zu betrachten, so dass die Sonne hinter den Bäumen zu sinken begann, als sie endlich auf der Obstplantage ankamen. Ein Hund bellte, ehe sie das Wohnhaus erblickt hatten, ein umfangreiches Gebäude mit weit überstehendem Dach am Ende einer baumgesäumten Auffahrt. Hinter dem Gebäude, bei den Obstbäumen, stand ein offener Schuppen, in dem Männer Pfirsiche von einem laufenden Band in Kisten sortierten, die ein flinker Bursche draußen hoch aufstapelte. Als er sie erblickte, glotzte er verständnislos und rief Wells, der alsbald erschien.

„Habt euch Zeit gelassen, was?", sagte Wells.

Stefan wollte etwas über ein leeres Auto sagen, das sie auf der Straße überholt habe, aber Albert stieß ihn in die Seite.

„War was los?", fragte der Farmer.

„Nichts", sagte Stefan. „Wir hatten uns nur verlaufen."

„Wirklich?", fragte der Farmer. „Na, zum Pfirsichpflücken braucht ihr keinen Kompass. Man pflückt sie und lässt die Zweige am Baum."

Wie ein Viehhändler musterte er sie, bloß dass er ihre Muskeln nicht befühlte, und nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie Englisch verstanden, erklärte er ihnen, dass sie „verflucht ins Lager zurück und dort bleiben" könnten, wenn sie ihm nicht von morgen an ihr „Pfund Fleisch" lieferten. Über ein Feld hinweg zeigte er auf eine windschiefe Bretterbude mit Löchern als Fenster, neben der ein Bewässerungsgraben floss. „Da könnt ihr schlafen", sagte er. „Bei Sonnenaufgang sehen wir uns wieder."

Sie fanden einen stickigen quadratischen Raum, der so düster war, dass sie erst nach einigen Augenblicken einen mit Töpfen und Schüsseln bedeckten wackligen Tisch, zwei Stühle, Strohsäcke, schäbige Decken und in der dunkelsten Ecke ein Bündel entdeckten, das sich regelmäßig hob und senkte und schmerzvoll stöhnte. Als der Mann sie schließlich hörte, warf er die dicke Wolldecke beiseite und sah sie feindselig an. Er sah krank aus; das stopplige Gesicht war blass und eingefallen, das sandblonde Haar klebte an der schwitzenden Stirn.

„Wer hat euch geheißen, hier einzubrechen?", fragte er mürrisch.

Ehe sie antworten konnten, schlug die Tür quietschend zu; die Konturen des Mannes auf der Erde verschwammen in der plötzlichen Dunkelheit, bis er aufstand und in Strümpfen zur Tür ging. Er stieß sie auf und machte sie fest.

„Wer seid ihr?", fragte er.

„Wir sollen hier arbeiten", antwortete Albert.

Der Mann sah sie weiter misstrauisch an, die grauen Augen wanderten von Albert zu Stefan und wieder zurück. Ein Gedanke schien ihn dann zu beruhigen. „Ihr seid irgendwo ausgebrochen", stellte er nicht ohne Sympathie fest.

Stefan schüttelte den Kopf. „Es stimmt, was mein Freund sagt. Wir sollen hier arbeiten."

„So?"

„Wirklich."

Der Mann wollte ihnen freundlich die Hand reichen, als sich sein Gesicht vor Schmerz verzerrte. Er würgte, zog den Bauch ein und schwankte. Albert ging auf ihn zu.

„Danke, ich …“ Er krümmte sich vor Schmerz. „Bloß ein Krampfanfall", sagte er. „Magengeschwüre. Es ist gleich wieder gut."