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Die Monster sind nach wie vor unter uns, die Werwölfe, Katzenmenschen, Zombies. Doch sie versuchen sich anzupassen, nicht aufzufallen. Bis man sie reizt, bis Menschen einen tödlichen Fehler machen und unterschätzen was geschieht, wenn man sich einem echten Monster gegenüber grausam verhält. Das Buch enthält folgende Kurzgeschichten voller Horror aus deutschen Landen: - Keine Haustiere - Leichte Beute - Filmriss - Das Geschenk - Rechtschreibprüfung
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Seitenzahl: 111
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David Pawn
Werwölfe und andere Sorgen
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Filmriss
Keine Haustiere
Rechtschreibprüfung
Das Geschenk
Leichte Beute
Impressum neobooks
Ich habe einen Filmriss. Es muss gestern Abend wieder hoch hergegangen sein, wenn ich davon ausgehe, an wie wenig ich mich noch erinnern kann und wie ich mich fühle. Die Sonne scheint hell ins Zimmer und ihr Licht blendet mich. In meinem Mund habe ich einen Geschmack, als wären in der Nacht mehrere Spinnen hineingekrochen und dort auf meiner Zunge verendet. Ich bin völlig bekleidet und liege auf dem Wohnzimmerfußboden. Das ist schon arg. Sonst schaffe ich es wenigstens, mich auszuziehen und ins Bett fallen zu lassen. Ich weiß nicht einmal mehr, wo ich gestern Abend war. Toms Bar? Das „Milk ‘n‘ alcohol“? Ich habe keinen blassen Schimmer.
Ich bin Reporter. Arbeite für eine von diesen Tageszeitungen mit großen Balkenüberschriften und wenig Fließtext. Wenn man das durchstehen will, muss man hin und wieder einen draufmachen, sonst schnappt man über.
Was riecht denn hier so seltsam? Das muss ich sein. Furchtbar. Ich glaube, ich muss kotzen. Ich erhebe mich mühsam, wanke auf Beinen wie aus Lakritz ins Bad und schaue in den Spiegel. Kein schöner Anblick. So einen Kater hatte ich noch nie. Ich bin unter den dunklen Bartstoppeln ganz blass. Die Stoppeln sehen aus, als hätte ich mich seit drei Tagen nicht rasiert. Habe ich etwa den ganzen Sonntag verpennt? Ist schon Montag?
Ich will ins Wohnzimmer zurückeilen, aber meine Beine gehorchen mir nicht richtig. Ich kann nur ganz langsam gehen. Mein Gehirn ist noch nicht völlig bereit, die Stelzen so zu steuern wie gewohnt. Also schleppe ich mich langsam ins Wohnzimmer zurück, so schlurfend, wie es meine angeschlagene Konstitution erlaubt, und schalte den Fernseher ein.
Frühstücksfernsehen! Und richtig, es ist Montag. Nicht nur der Samstagabend ist weg, auch der ganze Sonntag ist verschwunden. Scheiße! Ich darf nicht so viel saufen, sonst gehe ich eines Tages drauf.
Zurück ins Bad, rasieren, in der Redaktion anrufen, dass ich etwas später komme. Soweit der Plan.
Ich gehe ins Bad und setze mich erst mal auf die Schüssel. Was ’n das? 24 Stunden gepennt und ich kann nicht pinkeln? Das kann nicht gut sein. Aber ich kann keine Rücksicht darauf nehmen. Ich muss mich frisch machen und dann zur Redaktion.
Ich ziehe mein Hemd aus und stelle fest, dass es auf dem Rücken einen Riss hat. Meine Güte, was war das für ein Samstagabend? Das Unterhemd ist auch kaputt und außerdem blutverkrustet. Habe ich eine Kratzbürste an Land gezogen und vernascht? Aber doch wohl nicht in Klamotten?
Ich stopfe die kaputten Sachen in den Mülleimer und den stinkenden Rest von Klamotten in die Wäschetruhe. Die muss auch mal wieder abgearbeitet werden, stelle ich dabei fest. Eine Fliege kriecht auf meinem Arm herum, während ich das tue. Das Vieh scheint sich dort sehr wohlzufühlen. Ich scheuche es weg und es schwirrt um meinen Kopf, um sich schließlich auf meiner Stirn niederzulassen. Na Klasse!
Wedel, wedel!
Die Fliege fliegt auf und summt durchs Zimmer, während ich ins Schlafzimmer schlurfe, um mich mit frischer Wäsche zu versorgen. Danach verschwinde ich unter der Dusche, ehe noch mehr Fliegen auf mich aufmerksam werden.
Beim Rasieren schneide ich mich auch noch. Ist aber nicht so schlimm wie sonst. Blutet fast gar nicht. Ich klebe ein Pflaster drauf und gehe ins Wohnzimmer zurück. Dort rufe ich Carla an, unsere Redaktionsassistentin. Scharfe Braut, aber schon vergeben. Ich sage, dass ich ein bisschen später komme und Carla nimmt es ohne weiteren Kommentar zur Kenntnis. Das kommt immer mal wieder vor, auch bei anderen Reportern, aber wir haben alle so viele Überstunden, dass es lächerlich wäre, wenn sich einer drüber aufregen würde.
Fünfzehn Minuten später bin ich abmarschbereit. Ich hatte mir einen Kaffee gemacht und in der Küche stehengelassen. Hatte einfach keinen Durst. Den Appetit hat es mir auch verschlagen, aber zum Glück verspüre ich keinen Hunger.
Auf der Straße sehen mich die Leute komisch an. Ich wundere mich, ehrlich gesagt, nicht darüber, denn wenn ich immer noch so aussehe wie vorhin im Badezimmerspiegel, gehe ich durchaus als eine gute Figur aus einem B-Movie durch: Night of the Living Dead, Teil 324 oder so. Ich schlurfe auch so dahin wie eine von diesen lebenden Leichen. Ich wollte erst mit dem Wagen fahren, aber es ist ja nicht weit zur Redaktion und in meinem Zustand fahre ich noch gegen einen Baum und dann bin ich wirklich ex. Muss nicht sein.
Carla erwartet mich schon. „Mein Gott, wie siehst du denn aus?“, faucht sie. „Hast du nicht mal geduscht? Na egal, der Alte erwartet dich in fünf Minuten in seinem Büro.“
Nicht geduscht? Klar hab ich geduscht. Ich stampfe zu meinem Schreibtisch und schnuppere an meinem Hemd. Riecht tatsächlich komisch, nicht nach Schweiß, eher ein bisschen süßlich. Muss das neue Rasierwasser sein. Das wäre mir beinahe aus der Hand gefallen heute früh. Nicht nur meine Beine, auch meine Hände spielten bisher noch nicht so richtig mit.
Wenn ich nur wüsste, was der Christian von mir will. Es war irgendwas los am Freitag, aber auch daran kann ich mich nicht mehr so recht erinnern.
„Morgen Peter, Mensch, wie siehst du denn aus?“ Das ist wohl die Standardbegrüßung des Tages. „Muss ja ein übles Wochenende gewesen sein. Hast du wenigstens was rausgekriegt?“
Rausgekriegt? Ich blicke den Chef ein bisschen blöde an und er erkennt gleich, dass ich nicht weiß, wovon er redet.
„Sag nicht, du hast es vergessen. Sag das nicht.“ Er wird ein wenig lauter und schaut hinter seinem Schreibtisch wie ein angriffsbereiter Tiger hervor. „Wie kann man sich nur so das Hirn raussaufen, Mann?“
„Einen Moment, worum geht‘s denn überhaupt?“, versuche ich seine Wut ein wenig zu bremsen.
„Um den Schwulenkiller.“ Mein Chef guckt mich an, als käme ich gerade aus einem anderen Universum. „Du hast mir am Freitagabend hoch und heilig versprochen, dass du dich am Samstag umhören willst, damit wir es für morgen auf die Titelseite klatschen können. Und jetzt kommst du hier kalkweiß und wie ausgekotzt in mein Büro und weißt von nichts. Das ist stark, Mann, das ist selbst für deine Verhältnisse sehr stark.“
Ich stehe betreten in der Gegend herum und weiß nicht, was ich antworten soll. Ich muss wohl wirklich durch diese Schwulenbars gezogen sein, um mich umzuhören, aber offenbar ist nichts weiter dabei rausgekommen als dieser Kater des Jahrhunderts.
„Jetzt muss ich Jan schicken, vielleicht findet der ja noch ein paar Bröckchen. Aber wir waren doch davon ausgegangen, dass man gerade am Samstagabend viel erfahren kann, weil da die meiste Kundschaft in den Läden rumhängt. Wie kannst du mich so hängen lassen, Peter?“ Mein Chef schüttelt resigniert den Kopf und wedelt mich mit der Hand von seinem Schreibtisch weg. „Und dusch dich mal. Du riechst ja, als ob du verwesen würdest.“
Na, danke auch. Ich schlurfe aus dem Zimmer und frage mich, wie ich das hatte vergessen können. Eigentlich ist Christian nicht nur mein Chef, sondern auch ein Freund. Jedenfalls soweit ein Chef ein Freund sein kann. Das ist wohl einer der Gründe, warum er mich nicht gleich gefeuert hat nach der Nummer. Das, und dass ich sonst immer sehr gute Arbeit abgeliefert habe.
Carla erkennt sofort, dass es nicht gerade toll gelaufen ist beim Chef. „Ärger?“, fragt sie trotzdem.
„Ich hab’s vermasselt und kann mich nicht mal dran erinnern“, brumme ich. „Schaff mir mal die Ausgabe vom Freitag auf meinen Schreibtisch, und die vom Donnerstag auch.“ Ich gehe rüber und lasse mich in meinen Sessel fallen. Anschließend werfe ich den Computer an. Als mein Anmeldebildschirm aufflammt, kommt Carla mit den Zeitungen. Sie bleibt in einem Meter Entfernung stehen, rümpft die Nase und wirft mir die Blätter zu.
Sie guckt ganz erschrocken und sagt: „Das ist nicht normal. Du musst dir am Wochenende was eingefangen haben. Typhus oder die Beulenpest oder so was. So riecht doch kein gesunder Mensch.“ Dann verlässt sie fluchtartig die Szene. In der Box neben mir springt der Ventilator von Ricardo an. Das ist unser Sportredakteur.
Ich schaue an mir herunter und stelle fest, dass meine Haut ein bisschen grünlich aussieht. Keine gesunde Farbe, finde ich. Aber erst will ich mich über diesen Schwulenkiller ins Bild setzen, den ich total vergessen habe.
Drei Tote an drei Wochenenden. Aus den Berichten von Zeugen ergibt sich folgendes Bild: Der Täter gabelt seine Opfer in Schwulenbars auf. Er macht sie vermutlich betrunken oder flößt ihnen Drogen ein, dann schleppt er sie ab und begleitet sie nach Hause in ihre Wohnung. Dort sticht er sie nieder und verschwindet. Keine Diebstähle, keine Rituale, kein Sex. Nur ein sauberer Stich mit einem scharfen Dolch oder so und ab durch die Mitte. Die Polizei geht von einem Täter aus, der extremen Hass auf Schwule hat. Vielleicht wurde er von einem mit HIV infiziert. Keine Beschreibung eines mutmaßlichen Täters vorhanden. Eigentlich ist die Erkenntnislage der Polizei gleich Null.
Und ich hatte also mehr über den Killer erfahren wollen als die Polizei, wenn ich Christian glauben soll. Und das muss ich wohl, denn er ist der Chef.
Aber so wie ich heute rumlaufe und mich fühle, kann ich nicht vernünftig arbeiten. Tut mir leid, Leute, aber ich muss zum Arzt. Vielleicht habe ich mir ja wirklich was eingefangen, was diesen Kater verstärkt hat.
Ich gehe rüber zu Carla, bleibe aber in sicherem Abstand stehen. Sie findet heute wahrhaft keinen Gefallen an meinen Reizen. Eine Fliege kriecht über meinen Hals. Das kitzelt ein bisschen und ich wedele das Vieh weg.
„Ich gehe zum Arzt. So kann ich nicht arbeiten.“
„Wird wohl besser sein“, antwortet Carla und versucht ein Lächeln, das ihr aber verrutscht. „Du siehst aus wie der Tod auf Socken. Lass dir ein paar Pillen verschreiben, schlaf dich gründlich aus und dusch dich.“
„Danke für den Tipp“, erwidere ich lakonisch und mache mich auf den Weg zum Onkel Doktor.
Beim Arzt sieht es aus wie üblich. Wartezimmer proppenvoll, Schwestern gelangweilt hinter dem Anmeldungstresen. Eine guckt bloß, die andere lackiert sich die Nägel. Ich will Fräulein Nagellack nicht stören und gehe zu der blasiert Guckenden. Als ich an den Tresen trete, reißt die die Augen auf, als hätte sie noch nie einen Mann gesehen. Ihr Blick fliegt nach links und rechts, als würde sie nach einem Fluchtweg Ausschau halten. Dann hat sie sich gefangen und sagt: „Ihre Chipkarte bitte, worum geht es?“
„Weiß nicht, erst dachte ich, ist nur ein Kater, aber das kann nicht sein. Das kenne ich zu gut. Fühle mich wie erschlagen, Probleme beim Wasserlassen, Appetitlosigkeit und meine Haut wird grün.“ Ich schiebe ihr die Plastikkarte rüber.
Sie schiebt das Ding in das Lesegerät, guckt mich noch mal kurz an und sagt: „Warten Sie bitte in Zimmer drei, Herr Bojko.“
Ich sehe verdattert drein. Ich darf nicht mit den anderen armen Schweinen zusammen im Wartezimmer warten und mir diverse Krankengeschichten anhören? Nachtigall, ick hör dir trapsen! Habe ich Ebola oder so was?
Ich schlurfe ins Zimmer drei, lasse mich dort auf einen Stuhl fallen und warte. Zehn Minuten später kommt der Arzt. Er zögert einen Moment an der Tür, ehe er diese hinter sich schließt. Aus sicherer Entfernung werde ich eine ganze Weile gemustert, ehe er sich endlich dazu aufraffen kann, näher zu treten. Er geht zu dem Schreibtisch am Fenster, lässt sich dort auf einem Stuhl nieder und schaut mich an. Dann fragt er: „Was führt Sie zu mir, Herr Bojko?“
„Tja, ich weiß auch nicht. Heute früh habe ich gedacht, es ist ein Riesenkater. Aber ich bin kein Weichei, das hätte mich nicht so umgehauen, das kenne ich alles. Aber ich fühle mich nach wie vor elend, habe keinen Appetit und Durst und kann auch nicht pinkeln. Dabei muss ich über 24 Stunden geschlafen haben. Meine Blase müsste voll sein wie ein Ballon vorm Start. Meine Kollegen auf Arbeit haben alle gesagt, ich würde einen seltsamen Geruch absondern und meine Haut wird ganz grünlich, sehen Sie.“ Ich zeige meinen Arm vor wie ein Beweisstück.
„Seit wann geht es Ihnen so?“
„Weiß nicht. Ich bin heute früh aufgewacht und hatte alles seit Freitag vergessen.“
Der Doktor nickt sinnend vor sich hin, blickt schließlich auf und mir ins Gesicht. „Wir machen zunächst einen Grundcheck, dann sehen wir weiter. Kommen sie mal her, wir wollen als Erstes Ihren Blutdruck messen.“
Die übliche Prozedur. Ärmel aufkrempeln, Manschette anlegen, Gummibällchen aufpumpen. Unüblich ist der Blick des Arztes. Der guckt immer dümmer aus der Wäsche, auf das Anzeigegerät, auf sein Bällchen, auf meinen Arm und dann in mein Gesicht. „Muss kaputt sein“, murmelt er, schüttelt den Kopf und löst wieder die Manschette von meinem Arm. Die Stelle, wo die Manschette gesessen hatte, ist plötzlich ganz blutunterlaufen.
Ich gucke den blauen Fleck an, dann den Arzt. „Normal ist das nicht, oder?“
„Nein.“ Der Arzt sieht irgendwie erschrocken aus. „Machen Sie sich mal frei.“
Während ich mich ausziehe, geht der Herr Doktor zu einem Schrank am anderen Ende des Zimmers und nimmt dort aus einer Schublade ein paar Latexhandschuhe. Offenbar will er mich nicht mit bloßen Händen anfassen. Er kehrt zu seinem Schreibtisch zurück, holt ein Stethoskop aus einer Schublade und kommt zu mir herüber. Ich stehe mit bloßem Oberkörper vor dem Stuhl und sehe an mir herunter. Mein ganzer Bauch um den Bauchnabel herum ist ein einziger Bluterguss. Die Haut ist fast schwarz.