Western Legenden 20: Die Hand am Colt - R.S. Stone - E-Book

Western Legenden 20: Die Hand am Colt E-Book

R. S. Stone

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Beschreibung

Die Geschichte zweier ungleicher Männer, die das Schicksal immer wieder zusammenführt. Cord Farrell, der vor seiner Vergangenheit flieht, und El Compasino, der verschlagene Pistolero mit seinen schnellen Colts. Einer ist für den anderen da. Doch als Cord einen Siedlertreck nach Oregon führen will, stehen sie auf verschiedenen Seiten. Am Columbia River treffen sie aufeinander und müssen sich entscheiden, ob sie Freunde oder Feinde sind.

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WESTERN LEGENDEN

In dieser Reihe bisher erschienen

9001 Werner J. Egli Delgado, der Apache

9002 Alfred Wallon Keine Chance für Chato

9003 Mark L. Wood Die Gefangene der Apachen

9004 Werner J. Egli Wie Wölfe aus den Bergen

9005 Dietmar Kuegler Tombstone

9006 Werner J. Egli Der Pfad zum Sonnenaufgang

9007 Werner J. Egli Die Fährte zwischen Leben und Tod

9008 Werner J. Egli La Vengadora, die Rächerin

9009 Dietmar Kuegler Die Vigilanten von Montana

9010 Thomas Ostwald Blutiges Kansas

9011 R. S. Stone Der Marshal von Cow Springs

9012 Dietmar Kuegler Kriegstrommeln am Mohawk

9013 Andreas Zwengel Die spanische Expedition

9014 Andreas Zwengel Pakt der Rivalen

9015 Andreas Zwengel Schlechte Verlierer

9016 R. S. Stone Aufbruch der Verlorenen

9017 Dietmar Kuegler Der letzte Rebell

9018 R. S. Stone Walkers Rückkehr

9019 Leslie West Das Königreich im Michigansee

9020 R. S. Stone Die Hand am Colt

9021 Dietmar Kuegler San Pedro River

9022 Alex Mann Nur der Fluss war zwischen ihnen

R. S. Stone

Die Hand am Colt

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2020 BLITZ-VerlagRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mario HeyerSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-420-6Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

1. Kapitel

Nach einem langen Ritt erreichte Cord Farrell im Frühjahr 1879 die Ausläufer des Great Devide Basins in ­Wyoming. Die Sonne versank als dunkelroter Feuerball hinter den Hügeln und tauchte sie in schwarze Silhouetten, die wie gezackte Kämme aufragten. Ein frischer Westwind trug den Geruch von Alkali und Salbei.

Hinter diesen Hügeln, wusste Cord, lag Wainwrights Handelsstation – die einzige im Umkreis von fünfzig Meilen. Dort würde er sich und sein Pferd versorgen und Proviant kaufen, bevor der Ritt am frühen Morgen weiterging.

Cord verfolgte kein bestimmtes Ziel. Aber hinter dem hochgewachsenen, dunkelblonden Mann mit dem hageren Gesicht und den wasserblauen Augen lag eine Vergangenheit, die es zu verwischen galt. Eine rauchige Vergangenheit.

Pferd und Reiter erreichten eine Anhöhe, von der aus Cord Wainwrights Handelsstation am Grund einer Talsenke sehen konnte. Sie lag inmitten einer Einöde, umgeben von Hügeln und einigen bewaldeten Flächen. Ein kleiner Creek schlängelte sich an ihr vorbei und mündete irgendwo in den Felsen des Great Devide Basins.

Aus Augen, rot vor Staub und Hitze, spähte Cord ins Tal hinab. Doch dort unten war weder Mensch noch Tier zu erkennen. Die Station lag einsam und verlassen da. Kein Licht, trotz der nahenden Dunkelheit.

Irgendetwas stimmte nicht. Es konnte unmöglich sein, dass die Station verlassen worden war.

Misstrauisch näherte sich Cord den vier Gebäuden. Die Witterung hatte über Jahre die Holzfassaden verblassen lassen.

Etwa fünfzig Meter vor der Station zog Cord sein Pferd in den Stand und griff in die Brusttasche seines abgetragenen, verwaschenen Flanellhemdes. Er angelte sein Rauchzeug hervor. Aus den letzten Krümeln Tabak rollte er sich eine dünne Zigarette, ohne seinen Blick von der Station zu lösen.

„Teufel, Manolito“, brummte Cord seinem Schecken zu, der über viele Jahre Einsamkeit sein bester Freund geworden war. Er entfachte ein Streichholz am Sattelknauf und führte es in der hohlen Hand an die Zigarette. „Irgendetwas stinkt da gewaltig.“

Als hätte er die Worte seines Herrn verstanden, schnaubte Cords Schecke leise und trat einmal mit dem rechten Vorderhuf auf den staubigen Boden auf. Cord tätschelte seinem treuen Tier den Hals, dann stieg er wieder auf, doch erst als er die Zigarette zu Ende geraucht hatte, gab er Manolito einen sanften Schenkeldruck und ritt langsam weiter in die breite Hofeinfahrt hinein. Noch immer regte sich nichts. Noch immer lagen die Gebäude dunkel und schweigend da.

Verlassen?

Daran wollte Cord nicht glauben. Denn der gesamte Durchgangsverkehr – ob einzelne Reiter oder Kutschen – war auf diese Station angewiesen.

Das Tor zum Corral stand sperrangelweit offen. Drinnen hörte Farrell ein Pferd schnauben. Doch im Inneren gähnte tiefe Dunkelheit, sodass er den Corral nicht einsehen konnte.

Cord schwang sich aus dem Sattel und zog gleichzeitig seinen Revolver. Langsam bewegte er sich auf das Haupthaus zu, über dessen Veranda ein Schild mit der schiefen Aufschrift Wainwright Station im Wind hin und her schwang. Die rostigen Ketten, an denen es aufgehängt war, quietschten dabei leise. Nirgendwo sonst hätte Cord diesen Geräuschen großartig Bedeutung beigemessen. Jetzt, da alles dämmrig und unheimlich ruhig vor ihm lag, zerrte es an seinen Nerven.

Je näher er sich dem verwitterten Store näherte, desto mehr verspannte er sich. Er witterte die Gefahr. Hinter sich hörte er Manolito nervös mit den Vorderhufen aufschlagen.

Cord spannte den Hahn seines Revolvers, drängte sich dicht an die Holzwand und rief: „Verdammt, ist hier keiner? Haltet ihr Siesta?“

Es blieb totenstill – wie erwartet. Langsam umfasste Cords Linke den Türgriff und drückte die Tür vorsichtig nach innen. Sie gab nach. Er konnte nicht vermeiden, dass sie beim Öffnen übel quietschte – schlimmer noch als das Schild.

Cord löste sich von der Wand und spähte ins Innere.

Dunkelheit.

„Sie können Ihr Eisen wieder einstecken Mister!“, sagte plötzlich eine leise, ruhige Männerstimme. „Außer mir ist hier keiner mehr. Ich bin allein.“

Die Stimme klang friedfertig – was Cords Misstrauen allerdings erhöhte. „Ich?“, fragte er vorsichtig, „Wer, zum Teufel, ist ich?“

Drinnen wurde ein Streichholz entfacht. Kurz darauf brannte eine Petroleumlampe. Cord blickte vorsichtig in den Raum. Er erkannte die Umrisse des Mannes, der ihn angesprochen hatte.

„Kommen Sie rein und schließen Sie die Tür, Mister! Ich beiße schon nicht.“

Cord grinste schief, blieb aber vorsichtig. Langsam trat er ein. Die Blicke seiner Augen wanderten wachsam umher. Wie es aussah, war dieser Mann wirklich allein. Er saß an einem Tisch und hatte vor sich eine Flasche Whisky stehen. Der Aschenbecher quoll fast über, woraus Cord schloss, dass der Bursche sich hier schon eine ganze Weile aufhalten musste. Cord wandte sich ihm zu. Im Schein der Lampe erkannte er die scharfen Konturen eines dunklen Gesichtes, offenbar mexikanischer Abstammung. Die Augen des Mannes lagen immer noch im Halbschatten verborgen; Nase und Lippen verliefen geradlinig, wie aus Stein gemeißelt. Auf seinem Mund lag ein leicht spöttischer Zug, und seine Kleidung passte überhaupt nicht in diesen Landstrich: Unter dem schwarzen Anzug stach ein blütenweißes Hemd hervor, das eine dunkle Krawatte zierte. Der Hut war flachkronig und ebenfalls schwarz.

„Haben Sie mich jetzt genug gemustert?“, wehte es mit einer Samtstimme zu Cord heran, die nicht unangenehm klang. Cord fand, dass diese Stimme gut zu dem ­Aussehen des Mannes passte. Irgendwie wirkte alles recht perfekt an diesem Mann.

Zu perfekt, wie Cord empfand.

„Wo sind die Bewirtschafter dieser Station?“, fragte Cord, ohne auf die Frage des anderen einzugehen.

„Tot!“

„Tot?“

„Das sagte ich.“

Cords Augen verengten sich zu Schlitzen. Der Mexikaner goss sich einen Whisky ein und schob ihm die Flasche entgegen. „Ein Glas müssen Sie schon selber holen! Dort rechts im Regal stehen noch welche. Bedienen Sie sich!“

Cord holsterte seinen Revolver, drehte sich um und fischte ein Glas aus dem Regal. Er blies den Staub ab, zog den Korken aus der Flasche und schenkte sich einen Drink ein. Er trank und fühlte, wie der Staub aus der Kehle gespült wurde. Wärme breitete sich in seinem Magen aus.

„Bin vor ein paar Stunden hier angekommen“, erklärte sein Gegenüber währenddessen. „Da lagen der Besitzer und seine Frau hier auf dem Boden. Ihm hatte man ein ganzes Magazin ins Gesicht geballert. Ganz schöne Sauerei. Die Frau lag dort drüben hinter der Theke. Die starb nicht so schnell.“

Cord schüttelte den Kopf und starrte den Mexikaner fragend an. Der fuhr schleppend fort: „Schätze, man hatte noch ein bisschen Spaß mit ihr, bevor sie in die Jagdgründe geschickt wurde. Vermutlich waren sie zu dritt. Habe draußen im Hof die Pferdespuren angesehen. Schätze, die Geschichte ist vor ein oder zwei Tagen passiert!“

Er sagte dies wie beiläufig im Plauderton und Cord schauderte.

„Ich sehe aber keine Leichen“, sagte er, nachdem er sich eine fertig gedrehte Zigarette zwischen die Lippen gesteckt hatte.

„Hab sie begraben. Hinterm Haus“, antwortete der andere wie beiläufig. Und spöttisch fügte er hinzu. „Woll’n Sie nachsehen?“

„Kein Interesse.“ Cord glaubte die Geschichte. Weshalb sollte dieser Bursche vor ihm in der eleganten Kleidung eines Städters ihn auch anlügen? Und selbst wenn – was ging es ihn an? Er hatte eigene Probleme.

„Ist das Ihr Pferd im Corral?“

Der Mexikaner nickte. Wieder schob er Cord die Flasche hin. Der schenkte sich erneut ein und kippte den scharfen Whisky hinunter. „Weshalb haben Sie sich hier in der Dunkelheit versteckt gehalten?“

Prompt kam die Gegenfrage: „Weshalb hätte ich denn Licht machen sollen? So gab ich jedenfalls keine gute Zielscheibe ab.“

„Zielscheibe? Für wen?“

„Nun, für Sie beispielsweise. Ich habe Sie schon lange Zeit über die Ebene kommen sehen, Freund. Vielleicht sind Sie ja der Mörder dieser beiden armseligen Kreaturen, die ich hier beerdigt habe.“

„Das können Sie ganz schnell vergessen, Mann!“

„War auch nur ein Scherz.“

„Ein verdammt schlechter.“

Der Mexikaner beugte sich vor, sodass Cord seine Augen erkennen konnte. Sie waren dunkel, fast schwarz – und kalt. Im Schein der Petroleumlampe erkannte Cord auch die kleine, dünne Narbe an der rechten Braue.

„Und weshalb vergeuden Sie hier so viel Zeit?“, fragte er. „Bringen zwei Menschen unter die Erde, um anschließend in aller Ruhe Zigaretten zu rauchen und Whisky zu trinken? Wieso sind Sie nicht weitergeritten?“

Der Mexikaner zuckte mit den Achseln und winkte lässig ab. „Hab’s nicht sonderlich eilig.“

„Sie kommen nicht aus der Gegend, stimmt’s?“

„Sie auch nicht.“

„Das ist richtig. Also: Woher?“

„Sie sind sehr neugierig, Freund. Das muss man schon sagen.“

Cord nahm noch einen tiefen Zug von der Zigarette, bevor er sie im Aschenbecher ausdrückte. „Liegt in meiner Natur“, sagte er. Dabei ließ er den hageren, gut gekleideten Burschen am Tisch nicht eine Sekunde unbeobachtet.

„Okay, will kein Geheimnis daraus machen. Wozu auch? Ich stamme aus Matamoras. Liegt am Rio Grande. Falls Ihnen das was sagt.“

Das tat es, und Cord nickte. „Verdammt weit weg von Zuhause, was?“

Das Grinsen des Mexikaners zeigte eine Reihe tadelloser, weißer Zähne. Er griff in die Innentasche seiner schwarzen Anzugjacke und angelte eine silberne Dose hervor. Daraus entnahm er eine fertige Zigarette, klopfte diese auf den Tisch und zündete sie an. Amüsiert blies er den Rauch gegen die Petroleumlampe und beobachtete, wie sich der Qualm in ihrem matten Licht ausbreitete wie gelber Dampf.

„Si, weit weg von Zuhause, da haben Sie recht.“ Cord glaubte, ein wenig Wehmut aus dem Klang der Stimme heraus zu hören. Nach einer kleinen Weile sagte der Mexikaner: „Schätze, einer von uns beiden sollte den nächsten Sheriff benachrichtigen.“

Cords Brauen zogen sich fragend zusammen. „Einer von uns beiden? Weshalb?“

„Schon gut. Denke, dass diese Sache an mir hängen bleiben wird“, fuhr der Mexikaner grinsend fort.

Cord hasste sein Grinsen – etwas Lauerndes lag darin.

„Wie meinen Sie das?“

„Nun, schätze, dass Sie mit Sicherheit nicht zum Sheriff reiten wollen. Sie hätten wahrscheinlich viel zu viel Bedenken, dass er Sie einkassieren könnte.“

„Wie kommen Sie auf diesen Blödsinn?“

Der Bursche am Tisch antwortete nicht sogleich. Offensichtlich machte er sich einen Spaß daraus, Cord etwas zappeln zu lassen. Erst, nachdem er sich einen Drink eingeschenkt hatte, sagte er: „Sie sind auch mächtig weit von Zuhause entfernt, Cord Farrell. Das meine ich damit.“

Cord nahm eine gespannte Haltung an. Seine Augen zogen sich zusammen. Instinktiv glitt seine Rechte herab, allerdings ohne dass die Finger den Kolben seines 45ers berührten – noch nicht.

„Sie wissen also meinen Namen? Zum Teufel, Mann, ich kann mich an Sie nicht erinnern. Woher wissen Sie, wer ich bin?“

„Ruhig Blut, Farrell! Wir beide sind uns noch nicht begegnet. Aber ich habe Ihr Gesicht auf einen Steckbrief gesehen. Ist ’ne hübsche Belohnung auf Sie ausgesetzt, unten in Texas.“

Cords Augen nahmen einen lauernden Ausdruck an. Seine Rechte umklammerte nun den Griff des Revolvers. „Und die wollen Sie sich jetzt verdienen, was?“

Der Mexikaner hob beschwichtigend die Hände: „Hören Sie auf mit dem Quatsch, Farrell! Machen Sie keinen Fehler! Ich bin kein Kopfgeldjäger – dieses bisschen Taschengeld interessiert mich nicht. Außerdem bin ich ja auch kein unbeschriebenes Blatt. Mein Name ist José Ferrera. Besser bekannt als El Compasino.“

Cords Haltung entspannte sich. El Compasino – der Name lag in aller Munde, zumindest in den Grenz­gebieten zwischen Mexiko und Texas. Viele sprachen ihn mit einer Art Ehrfurcht aus. Ein Desperado, ja, eine Art Robin Hood, der vom mexikanischen Volk als Held gefeiert, aber von der Regierung und den Reichen des Landes gehasst wurde.

Nun, irgendwie muss auch diesem El Compasino der Boden dort unten zu heiß geworden sein, denn warum sonst sollte er sich ausgerechnet hier oben in Wyoming aufhalten? Dies fragte sich Cord in Gedanken.

„Na, dann sind wir beide ja Kollegen, gewissermaßen“, brummte er und schaffte ein zynisches Grinsen. „Wie geht es nun weiter?“

„Leidensgenossen würde vielleicht besser passen, Freund Farrell.“ El Compasino machte eine einladende Geste, die auf Cord friedfertig wirken sollte. „Trinken wir noch einen Whisky zusammen?“

Auf Cords Nicken hin füllte er die beiden Gläser und sie tranken schweigend. Schließlich bemerkte Cord: „Wenn ich mich recht erinnere, dann ist man unten in Texas auch mächtig scharf auf Ihren Skalp, Ferrera.“

Er stellte sein Glas auf die schmutzige Tischplatte, zog einen Stuhl heran und setzte sich rittlings darauf. Dabei registrierte er weiter jede Bewegung seines Gegenübers – was El Compasino natürlich nicht verborgen blieb. Er sagte: „Sie sind wirklich ein verdammt misstrauischer Hund, ­Farrell.“

„Das hat mich bislang am Leben erhalten.“

El Compasino füllte erneut die Gläser. „Was ist eigentlich dran an Ihrer Geschichte unten in Texas? Das müssen Sie mir jetzt mal verraten. Sind ja einige Leute mächtig sauer auf Sie, Farrell.“

„Sie meinen die Sache mit diesem Weidekrieg, ­Compasino?“

„Genau die meine ich.“

„Mein Fehler war, dass ich für den falschen Verein in den Sattel gestiegen bin, und zudem auch noch Big Carbowes jüngstem Sohn ’ne Kugel verpasst zu haben – nachdem der Bursche schon auf mich angelegt hatte. Notwehr. Aber das sah Carbowe anders an.“

„Na, so ähnlich habe ich’s auch gehört. Wird aber behauptet, Sie hätten Big Carbowes Sohn in den Rücken ­geschossen.“

„Ist eine verdammte Lüge.“

Nun war es El Compasino, der Cord musterte. „Ich glaube Ihnen, mein Freund. Sie haben einen beeindruckenden Ruf als Revolvermann in Texas. Aber ein Mörder sind Sie nicht.“

„Freut mich, dass Sie das so sehen, Compasino. So rücksichtsvoll sind die wenigsten. War deshalb ratsamer, erst mal um Texas ’nen weiten Bogen zu schlagen.“

„Verstehe. Und wie geht’s weiter? Sie müssen doch schließlich von etwas leben, stimmt’s?“

Cord zuckte mit den Schultern. „Habe kein bestimmtes Ziel. Und Sie?“

„In der Nähe von Muddy Cap gibt es einen Rancher, der Hilfe benötigt.“

„Das ist doch eigentlich nicht Ihr Stil, Compasino. Sie bieten Ihren Revolver an?“

„Nun, heutzutage muss man nehmen, was man kriegen kann. Wie wär’s, Farrell, wollen Sie sich anschließen?“

Cord schüttelte den Kopf. „Mein Bedarf an Schießereien und Weidekriegen ist erst mal gedeckt. Möchte es mal auf die ruhigere Art probieren.“

„Ausgerechnet Sie? Ein gefürchteter Revolvermann, der unten in Texas zu Spitzenlöhnen angeheuert wird, wenn’s brenzlig wird?“

„Vergessen Sie es, Compasino. Ich habe es satt, vom Colt leben zu müssen, um für andere die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Ein für alle Mal!“

El Compasino nickte ruhig. Ein Blick in Cords wasserblaue Augen genügte, um zu wissen, dass sich dieser nicht umstimmen lassen würde.

„Verstehe! Nun, wie Sie meinen, Farrell. Aber sollten Sie es sich anders überlegen, kommen Sie nach Muddy Cap.“

Wieder schüttelte Cord den Kopf. „Wissen Sie, El Compasino, wenn zwei wie wir an einem Strang ziehen, geht das für gewöhnlich in die Hose.“

„Sie meinen ...“

„Ich meine, dass wir irgendwann einmal an einem Punkt ankommen würden, an dem wir uns gegenseitig beweisen müssten, wer der bessere Mann ist.“

„Haben Sie solch einen Ehrgeiz?“

„Nein, eigentlich nicht. Aber man kann es nie wissen ...“, antwortete Cord. Er drückte die Zigarette aus und erhob sich. „Ich für meinen Teil werde mir hier für die Nacht ’n hübsches Plätzchen suchen und mich aufs Ohr hauen. Sehen wir uns noch morgen früh?“

El Compasino zuckte grinsend mit den Schultern. „Man kann es nie wissen, amigo.“

„Gute Nacht!“ In der Tür drehte Cord sich noch einmal um. „Ich habe einen leichten Schlaf, Compasino. Das sollten Sie wissen.“

„Ich werde es mir merken“, antwortete der mexikanische Pistolero, hob die Hand und sein smartes Grinsen wurde eine Nuance breiter.

2. Kapitel

Für einen kurzen Augenblick überlegte Cord, die Station wieder zu verlassen und irgendwo draußen im Freien zu übernachten. Aber hundemüde, wie er war, entschied er sich doch, in einem der Corrals einen Platz zum Schlafen zu suchen.

Nachdem er sein Pferd versorgt hatte, breitete er seine Decke im Stroh aus und legte sich hin. Aber an Schlaf war zunächst nicht zu denken. Er dachte nach.

Drüben im Hauptgebäude würde der berüchtigte El Compasino noch weiterhin am Tisch sitzen bleiben. Cord glaubte nicht, dass er mit einem nächtlichen Besuch Compasinos zu rechnen hatte. Das entsprach nicht dem Naturell dieses Mannes und erst nicht dessen Ruf. Compasino könnte sich genauso gut darüber den Kopf zerbrechen, ob Cord nicht versuchen könnte, sein Kopfgeld zu kassieren. Denn er wusste ja, dass auch auf El Compasinos Kopf eine recht hohe Belohnung ausgesetzt worden war. Jedenfalls dort unten in Texas. Sie waren beide Männer, die vom Colt lebten. Jeder auf seine Weise. Eine seltsame Fügung des Schicksals, dass sie ausgerechnet hier aufeinander trafen, einige Hunderte von Meilen vom eigentlichen Zuhause entfernt.

Zwei Männer, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Denn während Cord bemüht war, seine rauchige Fährte zu verwischen, gab sich El Compasino weiterhin neuen Aufgaben hin, um sich und seinen schnellen Colt zu vermieten. Und Cord musste sich eingestehen, dass das Angebot Ferreras sehr verlockend gewesen war, mit ihm zu reiten.

Doch dann schüttelte er den Kopf und dachte: Ich will damit nichts mehr zu tun haben. Aus und vorbei – die Fährte war rauchig genug. Je weiter ich reite, desto besser. Und irgendwann ...

Mit diesem Gedanken schlief er langsam ein.

*

Als Cord am frühen Morgen erwachte, begann es bereits am Horizont zu dämmern. Über den schwarzen Silhouetten der Hügel zeichnete sich schwach das erste Tageslicht ab und versprach, dass es wieder ein heißer und drückender Tag werden sollte. So, wie die vergangenen Tage auch.

Cord schälte sich aus seiner Decke und bemerkte sofort, dass die Box, in der El Compasinos Pferd gestanden hatte, leer war. Verflucht! Er hatte tief und fest geschlafen und nicht gemerkt, wie El Compasino verschwunden war.

Cord rieb sich verschlafen über sein unrasiertes Gesicht und grinste verhalten. Es war das erste Mal seit langer Zeit, dass er einen tiefen und festen Schlaf hatte. Aber für einen Mann in seiner Situation konnte so etwas schnell Konsequenzen haben. Sofort war Cord auf den Beinen, sattelte seinen Manolito und führte ihn aus dem Stall. Er ließ ihn vor der Veranda des Haupthauses stehen und trat in den Store, um sich ausreichend mit Proviant zu ­versorgen. Zunächst kam er sich vor wie ein Dieb. Aber dann sagte er sich, dass kein Mensch mehr da war, um eine entsprechende Bezahlung entgegenzunehmen. Nun, in Kürze würde man ohnehin feststellen, dass die Handelsstation ohne Besatzung war.

Cord grinste bitter. Ein Freudenfest für Plünderer. Cord nahm sich nur das Nötigste, verstaute den Proviant in den Satteltaschen und glitt in den Sattel. Ohne sich noch einmal umzudrehen, ließ er die verlassene Handelsstation hinter sich und nahm seinen Weg auf.

Seinen Weg?

Er wusste ja nicht mal, wohin es eigentlich ging. Aber je mehr Meilen er hinter sich brachte, die ihn von Texas und seiner rauchigen Fährte trennten, umso besser war es für ihn.

Aber wie viele Meilen waren noch nötig? Denn auch hier in Wyoming schien ihm sein Ruf vorauszueilen. Das beste Beispiel dafür war die Begegnung mit El Compasino, der ihn sofort erkannt hatte.

Wie viele würde es in diesem Land hier noch geben, die mich ebenfalls erkennen würden?, fragte er sich bitter.

Und wie viele davon wären scharf darauf, sich die Belohnung zu holen, die auf seinen Kopf ausgesetzt war?

Oh, nicht nur das machte ihm tüchtig zu schaffen. Denn es gab auch jene, denen es mächtig in den Fingern juckte, sich mit seiner Revolverschnelligkeit zu messen. Jene nach Ruhm lechzenden Burschen, die sich unbedingt darin beweisen mussten, stets der schnellere und bessere Mann zu sein.

Zum Teufel mit dieser Geschicklichkeit! Cord war wahrhaftig nicht stolz darauf. Aber das Schicksal hatte ihn dazu gemacht, ein Meister dieses blutigen Handwerks zu werden. Und es machte ihn zu einem einsamen, verbitterten Mann. Ja, zu einem Mann, der eine rauchige Fährte hinter sich ließ.

Wieder einmal fiel ihm sein Vetter Thyronne in Oregon ein – sein einziger, noch lebender Verwandter, den er dennoch noch nie persönlich getroffen hatte. Cord erinnerte sich dunkel, dass Thyronne eine Sägemühle besitzen sollte und zudem auch noch ein oder zwei Dampfboote, die das Holz stromaufwärts zu den neuen Siedlungen lieferten.

Nun, er wusste nichts über seinen Vetter – gar nichts. Er wusste nur, dass es ihn gab. Und vielleicht war dieser Vetter der kleine Hoffnungsschimmer, an den er – Cord Farrell – sich halten konnte.

Warum also nicht ein kleines Familientreffen?, fragte er sich und ergänzte seinen Gedankengang: Zu verlieren habe ich ja ohnehin nicht viel ...

3. Kapitel

Am späten Nachmittag erreichte Cord eine kleine Wasserstelle inmitten der felsigen Landschaft, durch die er ritt.

Manolito hatte das Wasser bereits einige Meilen voraus gewittert, also ließ Cord seinem Schecken freien Lauf und sich von ihm zur Quelle tragen.

Das Wasser dieser Quelle war kühl und klar. Felsen und Bäume spendeten ausreichend Schatten gegen die brennende Sonne, und so beschloss Cord, eine Rast einzulegen.

Nachdem sich Pferd und Reiter ausgiebig am kühlen Nass erfrischt hatten, zog sich Cord in den Schatten einer großen Esche zurück. Er ließ sich einfach auf den sandigen Boden fallen, lehnte seinen Kopf gegen einen Felsen und fühlte, wie ihn eine bleierne Müdigkeit übermannte. Aus zusammengekniffenen Augen beobachtete er, wie sich Manolito vom Wasser entfernte und am Gras zu rupfen begann. Ein paar Mal hob und senkte sich sein großer Kopf, ein zufriedenes Schnauben drang aus seinen ­Nüstern.

Cord kaute lustlos auf einem Stück Dörrfleisch herum, das er aus der Station mitgenommen hatte. Und wenig später sank sein Kopf zur Seite, und er schlief ein. Ein Fehler, denn er erwachte erst wieder durch Manolitos eindringlich warnendes Schnauben. Sofort sprang Cord auf und langte nach seinem Revolver.

Zu langsam.

Denn er fühlte bereits das kalte Metall an seiner Schläfe.

„Bleib ruhig, hombre“, sagte eine tiefe Whiskystimme. „Schön ruhig!“

Cord blickte zuerst in die Mündung eines langläufigen Colts, dann in ein stoppelbärtiges Gesicht, von Sonne und Alkohol gerötet – und ohne jede Spur von Menschlichkeit. Zeitgleich traten zwei weitere Männer zwischen den Felsen und Bäumen hervor. Auch sie hatten ihre Colts im Anschlag.

Oha, Cord erkannte das Trio sofort.

„Die Tuckers!“, rief er aus. Und es klang wie ein Fluch.

Dieser Besuch würde alles andere als ein Kaffeekränzchen werden.

Tom, Wade und Clint Tucker – was ihnen an Intelligenz fehlte, machten sie mit mörderischer Begeisterung fürs Verbrechen wieder wett. Was hätte ihm Schlimmeres passieren können, als ausgerechnet diesen drei Burschen hier im Great Devide Basin zu begegnen? Hunderte von Meilen von ihrem Wirkungskreis entfernt. Ja, ausgerechnet ...

Cord richtete sich auf und verfluchte sich für seine Sorglosigkeit.

„Fein, dass du uns erkannt hast, amigo Brazos“, sagte Tom Tucker – derjenige, der ihm den langläufigen Colt ins Gesicht hielt. Übler Whiskyatem schlug Cord entgegen. Tom war der Älteste des Tucker-Trios und auch der Übelste von ihnen.

„Was wollt ihr hier, Jungs?“, knirschte Cord.

Tom lachte dröhnend, und sofort stimmten seine beiden Brüder mit ein.

„Nun, Freund Brazos“, begann Tucker Nummer eins und rieb sich sein hässliches, unrasiertes Gesicht. „Ich sag dir, was wir wollen – wir wollen deinen Skalp und die tausend Bucks, die darauf ausgesetzt sind!“

„Dafür seid ihr einige Hundert Meilen geritten, was?“, fragte Cord nicht ohne Spott.

Tom Tucker reagierte nicht darauf, wandte sich mit einem schnellen Blick an seine Brüder. „Clint, nimm unserem Freund die Kanone ab!“, befahl er barsch. „Wir wissen ja, wie schnell dieser Hombre mit dem Eisen ist.“

Cords Blicke ruckten von einem Tucker zum anderen, er wog insgeheim seine Chancen ab. Aber die waren so groß wie für einen Schneeball im Feuer. Denn selbst wenn er es auf einen Kampf ankommen ließe – die drei würden ihn durchlöchert haben, bevor er seinen Colt auch nur berührt hätte.

Zähneknirschend ließ er es also geschehen, dass Clint Tucker ihm den Colt in den Magen rammte und Cords Revolver aus dem Holster riss. Grinsend steckte Clint Tucker Cords Waffe in den Hosenbund.

„Und – wie geht’s nun weiter?“

„Ganz einfach, amigo Brazos“, entgegnete Tom. „Wir bringen dich in die nächste Stadt und kassieren die tausend Dollar. Wenn du irgendwelche Dummheiten machst, legen wir dich ganz einfach um. Auch das ist klar, oder? Unten im Brazos-Land in Texas hat ein Rancher namens Carbowe eine hübsche Summe auf deinen Kopf ausgesetzt. Und dem ist’s scheißegal, ob wir dich tot oder lebendig abliefern.“

„Und deshalb seid Ihr Hunderte Meilen von Texas hierher geritten?“, wiederholte Cord seine Frage von vorhin.

„Quatsch“, sagte Tom Tucker, „wir hatten hier in der Gegend etwas zu erledigen. Dich hier zu treffen, war eigentlich nur ’n purer Zufall. Wir beobachteten dich schon eine ganze Weile. Und irgendwann fiel uns ein, dass wir deine Visage doch irgendwoher kennen.“

„Enormes Gedächtnis“, spottete Cord.

Wenn diese Geschichte wirklich stimmte, hätte es wahrhaftig keinen dümmeren Zufall geben können als diesen. Ausgerechnet hier begegnete er diesen drei üblen Banditen, die – genauso wie er und El Compasino – sehr weit weg von Zuhause waren.

Verdammt übel, wie einem das Leben manchmal mitspielen konnte ...