Western Legenden 25: Blutiger Winter - R.S. Stone - E-Book

Western Legenden 25: Blutiger Winter E-Book

R. S. Stone

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Beschreibung

Der Winter 1879 in Wyoming ist hart und unerbittlich. Viele Leichen liegen unter dem Schnee begraben, doch daran ist nicht nur die Kälte schuld.Nachdem Luke Dawson ins Tal gekommen ist, sollte es noch mehr Tote in diesem Winter geben.

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Western Legenden

In dieser Reihe bisher erschienen

9001 Werner J. Egli Delgado, der Apache

9002 Alfred Wallon Keine Chance für Chato

9003 Mark L. Wood Die Gefangene der Apachen

9004 Werner J. Egli Wie Wölfe aus den Bergen

9005 Dietmar Kuegler Tombstone

9006 Werner J. Egli Der Pfad zum Sonnenaufgang

9007 Werner J. Egli Die Fährte zwischen Leben und Tod

9008 Werner J. Egli La Vengadora, die Rächerin

9009 Dietmar Kuegler Die Vigilanten von Montana

9010 Thomas Ostwald Blutiges Kansas

9011 R. S. Stone Der Marshal von Cow Springs

9012 Dietmar Kuegler Kriegstrommeln am Mohawk

9013 Andreas Zwengel Die spanische Expedition

9014 Andreas Zwengel Pakt der Rivalen

9015 Andreas Zwengel Schlechte Verlierer

9016 R. S. Stone Aufbruch der Verlorenen

9017 Dietmar Kuegler Der letzte Rebell

9018 R. S. Stone Walkers Rückkehr

9019 Leslie West Das Königreich im Michigansee

9020 R. S. Stone Die Hand am Colt

9021 Dietmar Kuegler San Pedro River

9022 Alex Mann Nur der Fluss war zwischen ihnen

9023 Dietmar Kuegler Alamo – Der Kampf um Texas

9024 Alfred Wallon Das Goliad-Massaker

9025 R. S. Stone Blutiger Winter

9026 R. S. Stone Der Damm von Baxter Ridge

9027 Alex Mann Dreitausend Rinder

9028 R. S. Stone Schwarzes Gold

9029 R. S. Stone Schmutziger Job

9030 Peter Dubina Bronco Canyon

9031 Alfred Wallon Butch Cassidy wird gejagt

9032 Alex Mann Die verlorene Patrouille

R. S. Stone

Blutiger Winter

Die Erinnerungen des Luke DawsonBand 1

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2021 BLITZ-VerlagRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mario HeyerSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-535-7Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Prolog

Durch das schmutzige Fenster sah Luke Dawson die ersten Gebäude von Sunbow Falls vorbeiziehen, während der Zug sein Tempo verlangsamte. Das Quietschen der Bremsen setzte ein, vermischte sich mit dem monotonen Stampfen der Lokomotive.

„Sunbow Falls“, dröhnte die nasale Stimme des Schaffners durchs Abteil. „Weiterfahrt nach Rock Springs über Wamsutter und Table Rock in einer Stunde.“

Luke zog seine Taschenuhr hervor, ließ den Deckel aufspringen, warf einen Blick auf das Ziffernblatt und nickte anerkennend. Genau zwölf Uhr. Dieser Zug kam also pünktlich auf die Minute an. Die Uhr wanderte zurück in die Westentasche. Der kleine Bursche ihm gegenüber streckte sich auf seinem Sitz. Er riss die dünnen Arme hoch, gähnte laut und sah Luke dabei schuldbewusst an. Ein entschuldigendes Lächeln zog sich über sein pausbackiges Gesicht, das Luke nur mit einem leichten Kopf­nicken erwiderte. Der Kleine war in Dryfork zugestiegen, und kaum dass er Platz genommen hatte, auch schon eingeschlafen. Etwas, das Luke nie in den Sinn gekommen wäre. Er hatte lieber die vorbeiziehende Landschaft betrachtet, die sich seit damals kaum verändert hatte. Eine flache Leere, durch die der Zug Stunde um Stunde nach Westen gebraust war. Nur manchmal waren draußen die Umrisse eines Corrals vorbeigehuscht, noch seltener eine Ranch aus den Tiefen der Prärie aufgetaucht. Dies waren nur kurze, winzige Unterbrechungen einer Monotonie, welche die Einsamkeit einer Welt betonten, die sich in ihrer ungeheuren Weite verlor. Und dennoch lag gerade darin der besondere Reiz für einen Mann wie Luke Dawson, der mittlerweile die fünfundsiebzig erreicht hatte. Während der dreistündigen Fahrt – Luke war in Laramie in den Zug gestiegen – hatte er kaum den Blick vom Fenster abgewandt.

Ein Rucken ging durch das Abteil, als der Zug endlich zum Stehen kam. Der kleine Bursche ihm gegenüber machte einen Hüpfer und wäre Luke fast in den Schoß gefallen. Wieder dieses entschuldigende Grinsen. Luke schüttelte nur den Kopf. Dampf zischte laut aus den Kesseln. Weiße Wolken zogen draußen am Fenster vorbei, vernebelten die Sicht. Der kleine Bursche rückte mit linkischen Bewegungen seinen Anzug zurecht, der, wie es Luke schien, eine Nummer zu groß war. Er murmelte etwas, das Luke nicht verstand, und verließ mit seltsam wackeligen Schritten das Abteil. Andere Reisende erhoben sich ebenfalls von ihren Sitzen. Luke hatte keine Eile. Er wartete, bis der letzte Fahrgast das Abteil verlassen hatte. Dann ergriff er seine Tasche und trat hinaus auf die eiserne Plattform. Ein hochgewachsener Mann, der trotz seines fortgeschrittenen Alters ganz und gar nicht wie ein alter Greis wirkte, und der zeitlebens an gewissen Gewohnheiten festgehalten hatte. Damals wie heute. So war er nie ein Mann gewesen, den man in einem Anzug bewundern konnte, von sehr wenigen Ausnahmen einmal abgesehen. Seine Kleidung, die er trug, war schlicht. Unter seiner braunen Wildlederweste stach ein blassblaues Flanellhemd hervor. Seine blauen Jeans steckten in abgetragenen Stiefeln, deren Absätze schon bessere Tage gesehen hatten. Wer ihn kannte, der wusste, dass diese derbe Kleidung auch schon in Lukes jüngeren Jahren von ihm bevorzugt worden war. Ein ganz besonderes Merkmal an ihm war sein schwarzer Texashut, den er nur dann ablegte, wenn er schlafen ging. Diesen Hut trug er auf eine bestimmte Art, und zwar so, dass die Krempe etwa zwei Zoll über den Augenbrauen lag. Es gab dabei nur einen kleinen Unterschied zum Luke Dawson von damals: Das Holster mit dem 45er darin brauchte er schon lange nicht mehr. Er blinzelte ein paar Mal gegen die Sonne, bis sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten. Dann glitten die Blicke seiner rauchgrauen Augen in die Runde. Der Bahnhof war nicht groß, dafür überfüllt mit Menschen, die sich emsig über die Bretterbohlen bewegten. Vor fünfunddreißig Jahren war daran nicht zu denken. Denn zu jener Zeit war Sunbow Falls ein kleines Nest gewesen, mit ein paar ­Häusern, einer Kirche, hier und da einem kleinen Geschäft, einem Saloon und – daran konnte sich Luke noch gut ­erinnern – einem kopfsteingepflasterten Marktplatz. Schienen hatte es keinesfalls gegeben, geschweige denn einen Bahnhof. Das kam wohl alles viel später – sehr viel später. Und der Grund, weshalb er damals den weiten Weg von Texas nach ­Sunbow Falls ins ­Sweetwater County gekommen war, hatte wahrhaftig nichts Erfreuliches gehabt. Genauso wenig, was daraufhin geschehen war – ­zwangsläufig geschehen musste. Dennoch gab es Erinnerungen an jene Tage, die ihn dazu trieben, nach all den langen Jahren wieder einmal zurückzukehren. Und ein Versprechen, das er gegeben hatte, bislang aber nie einlösen konnte. Ein Lächeln zog sich durch Lukes wettergegerbtes und zerfurchtes Gesicht, das ein eisgrauer Schnurrbart zierte. Denn über das wannwar damals nie ein Wort über seine Lippen gekommen. Ob sich heute noch jemand hier an jene, ­rauchigen Tage erinnern würde? Lukes Erinnerungen jedenfalls tauchten in klaren Bildern vor seinen Augen auf. So klar, als lägen die damaligen Ereignisse noch nicht allzu lange zurück. Dabei waren es Jahrzehnte, die das Jetzt vom Damals trennten. Luke stand immer noch auf der Plattform des Waggons, während seine Blicke rastlos umherschweiften, um jeden einzelnen Eindruck, mochte er auch noch so unbedeutend sein, gierig aufzusaugen.

Ein Mann in der Uniform eines Bahnbeamten trat zu ihm heran, sah zu ihm auf und sagte: „Kann ich Ihnen helfen, Sir?“ Offensichtlich deutete dieser Mann Lukes Verharren auf der Plattform des Waggons völlig falsch. Luke blickte mit zusammengezogenen Augen auf den Mann herab, der ihm schon die Hand zur Hilfe bot. „Kumpel“, raunte er ihm zu, „sehe ich etwa wie ein Mann aus, der nicht in der Lage ist, vom Zug zu steigen? Mag vielleicht nicht mehr der Jüngste sein. Aber glaube mir, Mann: In mir steckt noch so viel Saft, dass ich den ganzen verdammten Zug anschieben würde, wenn’s darauf ankommen sollte.“ Luke sprang die Plattform mit einem eleganten Satz hinab, ohne die Stufen zu nehmen, und ließ den Bahnbediensteten einfach stehen. Der zog seine Hand schnell zurück, als hätte er sie plötzlich an irgendetwas verbrannt, und starrte dem alten Mann verdutzt hinterher.

Nun, Sunbow Falls hatte sich verändert und um ein Vielfaches vergrößert. Jedenfalls war der Fortschritt auch hier nicht stehengeblieben, wie es schien. Nichts, aber auch gar nichts, glich dem der längst vergangenen Zeit. Zahlreiche Gebäude waren hinzugekommen. Vieles, was er von damals in Erinnerung hatte, existierte nicht mehr oder war erneuert worden.

Jetzt war das Jahr 1915, und man hatte Pferdewagen und Kutschen gegen motorisierte Fahrzeuge eingetauscht. Etwas, an das sich Luke nicht so recht gewöhnen konnte. Weder hier, noch in New Mexico, wo er seit über fünfundzwanzig Jahren mit Rhianna und seinen Kindern auf der Firebrand-Ranch sein Zuhause gefunden hatte. Nun, auch dort hatte man sich ein Automobil angeschafft. Dennoch zog er es immer wieder vor, in den Sattel eines Pferdes zu steigen, statt sich hinter das Lenkrad seines Fords zu setzen. Er war eben so, würde auch nie anders sein: Ein Fossil einer längst vergangenen Zeit, die es nie wieder geben würde. Rhianna liebte den Fortschritt und die damit verbundenen Bequemlichkeiten. Luke hingegen nicht. Ja, er fühlte sich so manches Mal damit tüchtig überfordert.

Vielleicht, so sinnierte er in Gedanken, während er über den Gehsteig schritt und hier und da eiligen ­Passanten ausweichen musste, die seinen Weg kreuzten, ist dies auch einer der Gründe, weshalb ich mich immer wieder damit beschäftige, alten Erinnerungen nachzujagen. Zum Teufel mit diesem neumodischen Kram.

Ein altes Backsteingebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite erregte sein Interesse. Er verließ den Gehsteig, schritt über die Straße und wäre dabei fast vor ein herankommendes Auto gelaufen. Der Fahrer riss das Lenkrad herum, steuerte das speichenrädrige Fahrzeug wild hupend an Luke vorbei. Ein junger Bursche, wie Luke erkannte, der ihm drohend die Faust entgegenhob und ihm aus dem offenen Fenster entgegenschrie: „Sperr deine verdammten Augen auf, Opa! Schaff dir ’ne Brille an!“

Luke Dawson blickte dem davonfahrenden Auto stirnrunzelnd hinterher, schüttelte dabei nur den Kopf.

Rücksichtslos, diese Jugend heutzutage! Meint wohl, ihnen gehört die Welt, mit ihren albernen Benzin­kutschen. Zu meiner Zeit ... Er winkte in Gedanken ab, ging weiter und erreichte die andere Gehsteigseite. Vor einem Backsteingebäude blieb er stehen. Ein Gemischtwarenladen, wie er unschwer erkannte. Früher einmal war hier das Marshal Office gewesen. Vor seinem geistigen Auge tauchte das Bild eines schlanken Mannes auf, mit dem er dieses Gebäude sofort in Verbindung brachte. An den erinnerte sich Luke noch sehr genau. Frank Burdette, ja so hieß der Bursche, der hier Marshal gewesen war. Damals in den Mittvierzigern und mit ein paar mächtigen Problemen belastet.

Was wohl aus dem geworden ist?, fragte sich Luke und betrat den Laden. Vielleicht, so hoffte er, würde ihm dort jemand Auskunft über verschiedene Dinge geben können, die ihn brennend interessierten. Ein schrilles Glöckchen an der Tür kündigte seine Ankunft an. Niemand außer einem kahlköpfigen Mann, der sich hinter der Theke befand, hielt sich in dem Laden auf. Der Kahlkopf war vertieft in ein paar Notizen, die er mit einem Bleistift auf einen Schreibblock kritzelte. So sehr, dass er erst zu Luke Dawson aufsah, als dieser direkt vor dem Tresen stand. Der Bleistift wanderte sorgfältig neben das Notizbuch. Der Kahlkopf blickte auf, rückte seine dicke Brille zurecht und näselte: „Guten Tag, Sir. Was kann ich für Sie tun?“

Luke tippte, höflich, wie er war, an die Hutkrempe. „Dawson ist mein Name, Luke Dawson. Sagen Sie, Mister ... war hier nicht mal ein Marshalbüro?“

Der Kahlkopf starrte ihn an, als käme er nicht von dieser Welt, kratzte sich hinter dem Ohr und schüttelte ein paarmal den Kopf. „Ein Marshalbüro? Mister, wie kommen Sie denn auf die Idee? Hören Sie, wenn Sie zu Sheriff Crowder wollen, den finden Sie im Gebäude direkt neben dem Verwaltungsbüro ... links die Straße hinunter, fast am Ende der Stadt.“

Crowder?

Diesen Namen hatte Luke Dawson noch nie gehört. „Hm“, machte er, „Sie leben wohl schon lange in der Stadt, was?“

Der Kahlkopf nickte. „Das will ich meinen. Seit über zwanzig Jahren.“

„Dann wissen Sie möglicherweise über eine Frau namens Diane Rockwell Bescheid?“

Wieder dieser ungläubige Blick hinter der dicken Brille, dem erneut ein heftiges Kopfschütteln folgte. Unfreundlich kam es über seine Lippen: „Nein, ich kenne keine Diane Rockwell, Mister. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“

Dawson zuckte mit den Schultern. „Danke. Ich denke wohl eher nicht.“

Er wollte sich abwenden, als das Glöckchen schrillte und die Tür aufsprang. Eine junge Frau trat ein. Sie war dunkelhaarig und für eine Frau recht groß. Ihre schlanke Figur steckte in einem hellblauen, modischen Kostüm, welches so geschnitten war, dass es ihre wohlproportionierten Rundungen prächtig zur Geltung brachte. Kaum war sie eingetreten, als die nasale Stimme des Kahlkopfes überschwänglich freundlich durch den Laden drang: „Oh, hallo, Miss Crawford. Sie habe ich ja schon lange nicht mehr gesehen. Was kann ich diesmal für Sie tun?“

Du verdammter Schleimer, schoss es Luke Dawson grimmig durch den Kopf. Fast hätte er es laut gesagt. Schnell allerdings war dies vergessen, denn er konzentrierte sich nun auf die Frau, die mit wiegenden Schritten näher an den Tresen rückte. Das Parfüm, welches sie trug, zog angenehm durch Luke Dawsons Nase. Aber das war es nicht, was ihn an ihr interessierte, sondern etwas völlig anderes. Höflich wandte er sich ihr zu, tippte an die Hutkrempe und fragte: „Miss Crawford? Habe ich das eben richtig verstanden?“

Erst jetzt schien sie Notiz von ihm zu nehmen. Sie blickte ihn aus blauen Augen an, die so klar waren wie ein Bergsee in Montana, und stellte sogleich die Frage: „Ja, das ist richtig. Aber ... kenne ich Sie, Sir?“

Luke kam nicht umhin, sich erst einmal kräftig zu räuspern, bevor er sagte: „Vermutlich nicht, Ma’am. Aber ich kannte einen Mann mit Namen Crawford. Hier in der Stadt. Nun, es ist lange her, aber er war Arzt und ...“

„Dann sprechen Sie ganz sicher von meinem Vater, Sir. Ja, er war Arzt in dieser Stadt. Lange Jahre lang.“

Luke Dawsons Brauen zogen sich zusammen. „War?“, fragte er.

„Dad ist vor etwa zehn Jahren gestorben. Haben Sie ihn etwa gut gekannt?“

Dawson zuckte mit den Schultern. „Gut wäre etwas übertrieben, Miss. Allerdings so gut, dass ich ihn als einen tüchtigen Arzt in Erinnerung habe, und als einen feinen Kerl obendrein.“

„Ja, das war er“, kam es etwas zögerlich von ihren Lippen, und sie blickte ihn fragend an. „Aber Sie habe ich noch nie gesehen, Sir. Darf ich fragen, wer Sie sind?“

„Mein Name ist Dawson, Miss, Luke Dawson. Ich fürchte, Sie werden mich nicht kennen, denn es ist lange her, seit ...“

„Luke Dawson?“, unterbrach sie ihn mit einer Stimme, die verlauten ließ, dass sie den Namen kannte. „Etwa jener Luke Dawson, der vor vielen, vielen Jahren ins Tal kam und ... oh, Mutter hatte oft von Ihnen gesprochen.“

„Ihre Mutter? Etwa eine Frau namens Diane Rockwell?“

„Ja, das war der Mädchenname meiner Mutter.“

Ein warmes Lächeln zog sich über Luke Dawsons faltiges Gesicht, ließ es für den Augenblick fast jugendlich erscheinen. „Diane Rockwells Tochter, hol’s der Teufel! Und ja, jetzt erkenne ich auch die Ähnlichkeit zwischen Diane und Ihnen. Wahrhaftig, Sie sind ihr fast wie aus dem Gesicht geschnitten, Miss. Wie geht es Ihrer Mutter? Ist sie wohlauf? Ich würde sie gern wiedersehen.“

Sie senkte etwas den Blick, schüttelte den Kopf und sagte: „Sie hat uns vor zwei Jahren verlassen, Mister Dawson. Sie wurde auf dem Friedhof beerdigt, neben meinem Vater.“

Das Lächeln erstarb aus seinem Gesicht. „Das tut mir leid, Miss. Ich ... ich hatte gehofft, sie noch einmal sehen zu können. Nach all den Jahren. Ich hatte oft an sie gedacht. Und auch daran, mein Versprechen einzulösen.“

„Ja, davon hatte sie oft erzählt. Und ich glaube, auch Sie hatte sehr darauf gehofft.“ Aus einem inneren Impuls heraus trat sie dicht an ihn heran, legte ihre Hand auf seinen Arm. „Mister Dawson, Ihr plötzliches Auftauchen erweckt in mir unzählige Fragen. Erinnerungen, die ich gern gemeinsam mit Ihnen austauschen möchte. Dinge, die damals geschahen und von denen sich heute kaum noch ein Mensch eine Vorstellung machen, geschweige denn, sich daran erinnern kann. Ich habe so viel über Sie gehört, möchte es nun aus Ihrem Munde hören. Ich möchte wissen, was damals geschah, in jenem Winter 1879, als Sie ins Tal gekommen waren. Zu einer Zeit, als Gewalt herrschte und jedermann eine Waffe trug.“

„Miss Crawford, nichts lieber als das. Aber stehle ich nicht Ihre Zeit? Ich meine ...“

„Um Gottes willen, ganz im Gegenteil“, drang es mit erregter Stimme zu ihm heran, „ich arbeite als Zeitungsreporterin für die Sunbow Evening Post, kann mir daher meine Zeit so gestalten, wie ich es für richtig halte. Kommen Sie, Mister Dawson. Mein Wagen steht vor der Tür. Ich fahre Sie ein wenig durch die Stadt und Sie berichten mir alles, was ich wissen möchte, in Ordnung?“

Luke Dawson lachte freudig auf. „Einverstanden, Miss. Mit dem größten Vergnügen. Aber vorerst möchte ich von Ihnen noch ein paar Dinge erfahren, die sich im Laufe der Jahre ereignet haben. Und anschließend würde ich Sie bitten, die Gräber Ihrer Eltern besuchen zu dürfen. In Ordnung so?“

„Auf jeden Fall. Und bitte ... nennen Sie mich nicht immer Miss. Ich heiße Linda. Und jetzt kommen Sie!“ Die letzten Worte kamen ungeduldig über ihre Lippen. Ihr jäh aufwallendes Temperament erinnerte ihn an Dianes Wesenszüge. Mutter und Tochter besaßen also nicht nur äußerliche Ähnlichkeiten, wie es schien.

Linda Crawford zog ihn am Arm fast bis zur Tür. Hinter ihnen rief der kahlköpfige Ladenbesitzer: „Miss Crawford, Sie wollten doch noch etwas einkaufen, wenn ich mich recht entsinne!“

„Später, Mister Chugwater, später. Ich habe jetzt erst einmal eine wichtige Unterredung zu führen.“ Mit ­diesen Worten verschwand sie aus der Tür, Luke Dawson im Schlepp hinterher.

*

Der Ford parkte direkt an der Gehsteigkante. Während Linda Crawford bereits hinter dem Lenkrad saß und den Motor startete, zwängte sich Luke Dawson auf den Beifahrersitz. Ein Pferd wäre ihm natürlich viel lieber gewesen, als eine dieser neumodischen Benzinkutschen, die er ja ohnehin nicht sonderlich mochte. Nein, an das Fahren in einem Automobil konnte und wollte er sich einfach nicht gewöhnen. Er hatte einfach nichts übrig für das Rattern von Motoren und das Krachen der Gänge, das entstand, wenn sich Motor und Getriebe gleichzusetzen versuchten. Für ihn war diese Prozedur viel zu umständlich und kompliziert. Ganz zu schweigen von dem Geschaukel und Geruckel, bis ein solches Vehikel erst einmal Fahrt aufgenommen hatte.

Linda Crawford bemerkte seine verkrampfte Haltung und sagte: „Sie sind wohl nicht ans Autofahren gewöhnt, Mister Dawson? Besitzen Sie kein eigenes Auto?“

Er lächelte verzerrt. „Doch, Miss. Ich ziehe allerdings die klassische Variante des Reitens vor. Aber keine Sorge, ich werd’s schon überleben.“

Sie lachte und sogleich legte sie mit lautem Krach den nächsten Gang ein. Der Ford machte einen Ruck und Luke Dawson einen kleinen Hüpfer auf dem Beifahrersitz. Unweigerlich sausten seine Hände an den Hut, damit dieser nicht vom Kopf purzeln konnte. Dann allerdings konzentrierten sich seine Blicke aus dem Fenster zu den vorbeihuschenden Gebäuden hin. Ja, die Stadt hatte sich verändert und an Größe zugenommen. Er hätte sich im Leben nicht mehr zurechtgefunden. Und während der kleinen Rundfahrt, die Linda mit ihrem Ford machte, erfuhr er von vielen Dingen, die sich nach seiner Zeit hier ereignet hatten. Sogar an den Namen des Marshals konnte sich Linda Crawford erinnern. Obwohl sie ihn auch nur aus Erzählungen ihrer Mutter kannte. Frank Burdette hatte vor vielen, vielen Jahren schon den Stern abgelegt und Sunbow Falls verlassen. Gemeinsam mit einer Frau, deren Name Linda allerdings nicht mehr im Gedächtnis geblieben war. Von Frank Burdette wurde seitdem nie wieder etwas gehört oder gesehen. Spekulationen zufolge musste sich der ehemalige Marshal mit jener Frau irgendwo in einem friedlichen Gebiet am Oberlauf des Missouri zur Ruhe gesetzt haben. Genaueres allerdings wusste man nicht.

Weiter draußen in den Hügeln, einige Meilen vor der Stadt, so erinnerte sich Luke Dawson, hatten sich einst die Gräber von Floyd und Myra Kimbrough befunden, direkt bei den Trümmern ihrer Ranch. Beides gab es dort schon lange nicht mehr. Stattdessen war dort eine Siedlung entstanden.

Nach einer Weile erreichten sie den Friedhof von ­Sunbow Falls. Luke wusste, dass es schon damals einen gab, nur nicht mehr, dass er sich etwas außerhalb der Stadt befand. Eine sauber geschnittene Hecke zäunte ihn ein, Bäume ragten zwischen den Gräbern empor.

Linda war die ganze Zeit der Fahrt über redselig gewesen. Als sie Luke zu den nebeneinanderliegenden Gräbern von Diane und Milton Crawford führte, tat sie es mit einem ernsten Schweigen. Luke nahm seinen Texashut ab. Schneeweißes Haar trat zutage, das sich an den Ecken bereits tüchtig lichtete. Auch er sagte eine Weile kein Wort, blickte nur zu den beiden Gräbern hinab, auf denen frische Blumen lagen.

Hier lag sie nun, in ewigem Frieden ... die Frau, derentwegen er einen Abstecher unternommen hatte, um ein Versprechen einzulösen, das er vor über drei Jahrzehnten gegeben hatte. Er legte seinen Hut neben sich auf einen Stein und faltete die Hände zu einem stummen Gebet.

Nach einer Weile hörte er Linda fragen: „Wie hatte es angefangen, damals, als sie zum ersten Mal ins Sweetwater-­Tal gekommen waren, Mister Dawson? Erzählen Sie mir alles, von Anfang an, und lassen bitte dabei nichts aus.“

Ja, wie hatte es angefangen?

Vor Luke Dawson tauchten die Bilder auf.

Zuerst war es der lange, weite Weg von Texas rauf gewesen. Dann kam der Schnee.

Und dann ...

1. Kapitel

Windstill war es und ruhig. Wie in einem Grab. Pferd und Reiter beschrieben einen winzigen Punkt, der sich nur langsam in der noch schneebedeckten Weite der Landschaft vorwärts zu bewegen schien. Es war bereits Mitte März und immer noch bitterkalt. Ein mörderisch harter Winter hatte Einzug in Wyoming gehalten und das Ende war noch längst nicht abzusehen.

Dem Mann, der sich Luke Dawson nannte, schien dies allerdings nicht zu stören. Und wenn, war ihm nichts davon anzusehen. Er hielt den Kopf gesenkt, seinen breitkrempigen Texashut tief ins Gesicht gezogen. Der Schwarze unter ihm bewegte sich mit stoischer Gleichmütigkeit. Die Hufe schlugen im gleichmäßigen Rhythmus knirschend über die festgefrorene Schneedecke. Das waren die einzigen Geräusche weit und breit. Denn es gab nichts, das irgendwie auf weiteres Leben hindeutete.

Bis zu jenem Moment, als ein Schrei die Stille durchbrach. Der unverkennbar schrille Schrei einer Frau, der gleichzeitig für plötzliches Leben sorgte. Ein Vogelschwarm brach aus den Ästen schneebedeckter, blätterloser Bäume hervor, und stob aufgeschreckt gen Himmel. Ein Wildkaninchen schoss in Windeseile aus einem Bau und schnellte in Zickzackbewegungen davon. Luke Dawsons Kopf ruckte hoch. Die Lethargie, die ihn die ganze Zeit umgeben hatte, war wie weggeblasen. Er richtete sich im Sattel auf, spähte aus zusammengekniffenen Augen umher. Wieder drang ein Schrei an seine Ohren, die zum Kälteschutz mit einem Schal bedeckt waren.

Er gab dem Schwarzen einen leichten Schenkeldruck, trieb das Tier in die Richtung der Schreie, und lenkte den Rappen zwischen schneebedeckten Baumgruppen hindurch, deren Äste wie knorrige Greifarme aus der weißen Masse ragten.

Brüchige Wortfetzen wehten zu ihm heran, begleitet von einem kläglichen Wimmern. Und einige Augenblicke später wusste Luke Dawson Bescheid. Vor ihm tat sich eine leichte Talsenke auf, die einen weitreichenden Blick auf das dortige Geschehen bot. Sogleich verfinsterte sich sein Blick, und er brachte seinen Schwarzen mit einem Zügelruck zum Stehen.

Vier Männer in dicken Pelzmänteln, die ihnen bis zu den Stiefeln reichten, hatten sich vor einem aufragenden Cottonwoodbaum postiert. Dort hing ein Mann an einem dicken, stabilen Ast, mit den Füßen nach oben und dem Kopf nach unten. Man hatte ihm Jacke, Hose und Hemd ausgezogen. Er hing nur in Unterwäsche bekleidet am Seil. Die Kleidungsstücke lagen verstreut im Schnee. Seine Hände waren auf dem Rücken gefesselt. Offensichtlich hing er dort schon eine geraume Weile, denn er zitterte am ganzen Körper. Dicht daneben hockte eine Frau im Schnee. Auch sie zitterte. Wie Espenlaub. Und das, obwohl ihr Körper in eine dicke Jacke gehüllt war. Strähniges, blondes Haar hing wirr in ihrem Gesicht. Die Augen waren weit geöffnet. Flehend starrte sie zu dem Quartett auf.

Wie ein Kaninchen, das einen Wolf beäugt, schoss es Luke Dawson grimmig durch den Kopf.

Er wusste sofort, was dort unten im Gange war. Und ihm war klar, um was für eine Sorte es sich bei diesem Quartett handelte. Kerle wie diese kannte er zur Genüge. Die gab es sowohl in Texas, als auch anderswo. Immer der gleiche Schlag. Das waren Hartgesottene, Strandgut eines verpfuschten Lebens, und bereit, für ein paar harte Dollar jegliche Schmutzarbeit zu übernehmen. Skrupel kannten sie nicht. Weder die noch jegliche Spur von Mitleid.

Für solche Burschen gibt es nur eine Sprache, die sie verstehen, dachte Luke. Er öffnete den schweren Mantel und schob die rechte Mantelhälfte zurück. Mit einer glatten, geschmeidigen Bewegung langte seine behandschuhte Rechte zum Holster und brachte einen langläufigen 45er zum Vorschein. Er balancierte die Waffe aus, wog sie in der Hand. Ein kurzes Überprüfen der Trommel, dann wanderte sie mit einer schnellen Drehung wieder zurück ins Holster.

Langsam lenkte er den Schwarzen auf die Gruppe zu, ohne, dass sie ihn zunächst bemerkten.

*

„In Gottes Namen, Lou Sparks! Lasst uns laufen. Wir haben euch doch nichts getan.“

Der Mann, der kopfüber am Baum hing, sprach mit bebenden Lippen, die von der Kälte bereits blau gefärbt waren. Lou Sparks machte einen Schritt auf ihn zu. Dicht vor ihm blieb er stehen. Breitbeinig, mit einer zusammengerollten Peitsche in den schweren Lederhandschuhen haltend. Seltsam grünliche Augen starrten zu ihm herunter.

„Hör zu, Matt Stevens! Du weißt, was euch verdammten Squattern blüht, die Rinder von der Weide des ­Colonels stehlen. Du weißt das genau, denn der Colonel hat’s euch eindringlich eingeimpft. Es gibt kein Pardon für verdammte Rinderdiebe. Und du bist einer. Wir kriegen euch alle.“

Die blonde Frau erhob sich aus dem Schnee, warf sich zwischen Sparks und ihren Mann. Ihre kleinen Fäustchen trommelten gegen Sparks Pelzmantel.

„Was seid ihr nur für mitleidlose Dreckskerle?“, schrie sie Sparks ins Gesicht. „Ein Rind. Ein einziges Rind! Der Colonel hat Tausende davon. Ja, Lou Sparks, wir nahmen uns eins, denn wir wären vor Hunger fast gestorben. Dieser Winter war hart und grausam. Ja, was macht da schon ein Rind?“

Sparks stieß sie von sich. So heftig, dass sie in den Schnee fiel. Er spie aus und traf dabei beinahe ihre rechte Hand.

„Das war genau eins zu viel, Lady. Ein Fehler. Und wir sind hier, weil wir keine Fehler zulassen.“ Ohne sie weiter zu beachten, rollte Sparks die Peitsche aus, schlug damit ein paarmal auf den schneebedeckten Boden. Dann trat er zwei, drei Schritte zurück, hob die Peitsche, um sie Stevens über den Körper zu schmettern. Mitten in der Bewegung hielt er plötzlich inne, als einer seiner Männer rief: „Sparks! Warte mal ’nen Moment.“

Sparks drehte sich zu dem Mann um. Der hatte seinen Arm ausgestreckt und wies aufgeregt mit seiner behandschuhten Hand auf einen Reiter, der einige Meter vor ihnen im Sattel eines schwarzen Rappen saß und das Szenario beobachtete. Keiner hatte ihn kommen hören. Keiner hatte ihn gesehen. Bis zu diesem Augenblick. Nun war er plötzlich aufgetaucht und bis auf Revolverschussweite herangekommen. Das bemerkte Sparks sofort. Und noch etwas entging seinen giftgrünen Augen nicht. Die Aufschläge des schwarzen Mantels waren zurückgeschlagen und der Griff eines Revolvers ragte aus dem Holster.