Western Legenden 37: Vierzig Tage - R.S. Stone - E-Book

Western Legenden 37: Vierzig Tage E-Book

R. S. Stone

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Beschreibung

Als der alte Anderson stirbt, steht es nicht gut um die einst so stolze Firebrand-Ranch. Andersons Sohn Waylon ist dem Alkohol verfallen. Rhianna, die Tochter, kehrt aus dem Osten zurück und steht vor einem Haufen Scherben. Nur noch eine Handvoll Cowboys sind auf der Ranch geblieben.Rhianna bekommt eine Frist von vierzig Tagen, um eine Herde zum Verkauf nach Utah zu bringen. Gelingt es ihr, kann die Ranch gerettet werden. Wenn nicht, wird sie versteigert. Die Zeit ist knapp, Rhianna setzt alles auf Luke Dawson.

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Seitenzahl: 196

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Western Legenden

In dieser Reihe bisher erschienen

9001 Werner J. Egli Delgado, der Apache

9002 Alfred Wallon Keine Chance für Chato

9003 Mark L. Wood Die Gefangene der Apachen

9004 Werner J. Egli Wie Wölfe aus den Bergen

9005 Dietmar Kuegler Tombstone

9006 Werner J. Egli Der Pfad zum Sonnenaufgang

9007 Werner J. Egli Die Fährte zwischen Leben und Tod

9008 Werner J. Egli La Vengadora, die Rächerin

9009 Dietmar Kuegler Die Vigilanten von Montana

9010 Thomas Ostwald Blutiges Kansas

9011 R. S. Stone Der Marshal von Cow Springs

9012 Dietmar Kuegler Kriegstrommeln am Mohawk

9013 Andreas Zwengel Die spanische Expedition

9014 Andreas Zwengel Pakt der Rivalen

9015 Andreas Zwengel Schlechte Verlierer

9016 R. S. Stone Aufbruch der Verlorenen

9017 Dietmar Kuegler Der letzte Rebell

9018 R. S. Stone Walkers Rückkehr

9019 Leslie West Das Königreich im Michigansee

9020 R. S. Stone Die Hand am Colt

9021 Dietmar Kuegler San Pedro River

9022 Alex Mann Nur der Fluss war zwischen ihnen

9023 Dietmar Kuegler Alamo - Der Kampf um Texas

9024 Alfred Wallon Das Goliad-Massaker

9025 R. S. Stone Blutiger Winter

9026 R. S. Stone Der Damm von Baxter Ridge

9027 Alex Mann Dreitausend Rinder

9028 R. S. Stone Schwarzes Gold

9029 R. S. Stone Schmutziger Job

9030 Peter Dubina Bronco Canyon

9031 Alfred Wallon Butch Cassidy wird gejagt

9032 Alex Mann Die verlorene Patrouille

9033 Anton Serkalow Blaine Williams - Das Gesetz der Rache

9034 Alfred Wallon Kampf am Schienenstrang

9035 Alex Mann Mexico Marshal

9036 Alex Mann Der Rodeochampion

9037 R. S. Stone Vierzig Tage

9038 Alex Mann Die gejagten Zwei

9039 Peter Dubina Teufel der weißen Berge

9040 Peter Dubina Brennende Lager

9041 Peter Dubina Kampf bis zur letzten Patrone

9042 Dietmar Kuegler Der Scout und der General

R. S. Stone

Vierzig Tage

Die Erinnerungen des Luke DawsonBand 5

Diese Reihe erscheint als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2021 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mario HeyerSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-548-7Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Prolog

Den Jahreswechsel von 1910 auf 1911 begleitete ein trostloses, nasskaltes Wetter. Der Himmel bot ein düsteres Grau, und immer wieder prasselten wahre Sturzbäche heftigen Regens auf die Erde herab. Das ging schon seit Tagen so. Eine Besserung war nicht in Sicht. Im Gegenteil; es würde noch kälter werden. Und dann würde der Regen zu Schnee werden.

Als Luke Dawson an jenem Neujahrsmorgen auf die Veranda des Ranchhauses trat, war sein erster Blick hinauf zum Himmel. Dort zogen dunkle Wolken vorbei, angetrieben von einem kalten Wind, der von Norden kam. Im Augenblick regnete es nicht. Doch das würde sich in den kommenden Minuten schlagartig ändern. Luke schüttelte sich und zog seinen breitkrempigen Texashut tiefer in die Stirn. Er fluchte ungehalten, denn diese nasse Kälte liebte er nicht.

Rings um ihn war alles still. Kein Mensch, Luke ausgenommen, hielt sich augenblicklich draußen auf. Weder im Hof noch bei den Corrals. Irgendwo schnaubten ein paar vereinzelte Pferde drüben in den Stallungen. Beim Bunkhouse der Mannschaft waren die Lichter erloschen. Einige der Cowboys hatten den Jahreswechsel tüchtig begossen und schliefen gewiss noch ihren Rausch aus. Neben dem Bunkhouse grenzte ein weiteres Gebäude, das von einem einzelnen Mann bewohnt wurde, der lange Jahre Vormann auf der Firebrand-Ranch gewesen war, bis er vor einem Jahr die Verantwortung an Jim, Lukes Ältesten, abgetreten hatte – Ben Shortcross. Vor drei Monaten hatten sie noch alle Bens Siebzigsten gefeiert. Und da hatte es noch so ausgesehen, als könne ihn nichts aus dem Sattel werfen.

Für eine Weile verharrte Luke Dawsons hochgewachsene Gestalt auf den nassen Brettern der Veranda. Dann ging er rüber zu Ben Shortcross’ Hütte. Die Stiefel versanken dabei fast bis zu den Knöcheln im Matsch. Vor der Holztür blieb Luke stehen. Er lauschte einen Augenblick. Drinnen regte sich nichts. Luke presste die Lippen aufeinander, zögerte einen Augenblick und klopfte an. Als auf sein Zeichen nicht reagiert wurde, trat er ein. Ein übler Geruch schlug ihm entgegen, und er verzog unweigerlich das Gesicht. Er kannte diesen Geruch zur Genüge, wusste genau, was es damit auf sich hatte. Luke machte sich nichts vor. Ben Shortcross lag im Sterben.

Es war kalt in dem Raum, der recht spartanisch eingerichtet war. Ein roh zusammengezimmerter Tisch, drei Stühle, ein paar Regale an den Holzwänden, die alte Kommode, in der Ben seine Habseligkeiten untergebracht hatte und der uralte Holländer-Ofen in der Ecke ... das war’s. Mehr gab es hier drinnen nicht. Ben Shortcross war schon immer ein genügsamer Mann gewesen, einer, der nur das Nötigste zum Leben brauchte. Aber das Wenige, das er besaß, wurde von ihm in Ehren gehalten. Und in der Hütte war es sauber. Alles hatte seinen Platz. Seine tägliche Kleidung hing an einem Wandhaken, die ausgetretenen Stiefel standen neben seinem Bett, in dem er lag. Für Luke sah es im Augenblick aus, als würde der alte Bursche schlafen. Doch das tat er nicht. Sein Gesicht, so weiß wie die Decke, unter der er lag, drehte sich in Lukes Richtung. Ein schwaches Lächeln glitt über die blutleeren Lippen, und er krächzte Luke entgegen: „Ist der verdammte Quacksalber endlich weg?“

Lukes Antwort war ein stummes Nicken. Er warf einen flüchtigen Blick auf den alten Holländer-Ofen in der Ecke, neben dem ein kleiner Stapel Holzscheite lag. Sauber aufgeschichtet, wie es nun einmal Ben Shortcross’ Art war. Im Ofen selbst war noch wenig Glut, kaum ausreichend, um den Raum auch nur annähernd zu wärmen. Luke ging zum Ofen und bückte sich nach ein paar Holzscheiten.

„Lass bleiben, Luke. Mir ist warm genug“, rief ihm Ben Shortcross mit krächzender Stimme zu. „Hitze ertrage ich nicht.“

Luke warf ihm einen fragenden Blick zu. „Hitze? Zur Hölle, Mann! Hier drinnen ist es so kalt wie in ’nem Eisschrank. Willst du dir etwa noch ’ne zusätzliche Lungenentzündung holen?“

Ben Shortcross in seinem Bett lachte rasselnd auf. Er machte eine lapidare Handbewegung. Dann sank sein Arm schlaff herunter. „Pah, Lungenentzündung!“, schnaubte er. „Das würde nichts mehr schlimmer machen, als es schon ist. So, wie’s ist, ist es gut. Und lass den verdammten Ofen einfach Ofen sein.“

Luke zuckte mit den Schultern. „Wie du willst, Ben.“ Er erhob sich, trat vom Ofen weg und ergriff einen Stuhl. Den schob er dicht an Ben Shortcross’ Bett heran und ließ sich rittlings darauf nieder.

„Schmerzen, Ben?“

Shortcross schüttelte schwach seinen aschfahlen Kopf. „Dieser verdammte Quacksalber Ratherlac hat mich mit Morphium so vollgepumpt, dass ich glaube, ich wäre im siebten Himmel. Nein, Luke, ich habe keine Schmerzen. Mach dir deshalb keine Gedanken, alter Freund.“

Luke schluckte mühsam und nickte düster. „Du willst wirklich nicht nach El Vado ins Krankenhaus, Ben? Die Ärzte dort könnten dir ...“

„Niemals! Dieser Tablettenaugust von Ratherlac wollte mir das auch schon die ganze Zeit einreden, und ich habe ihn deshalb bis in die Hölle gewünscht! Hör zu, Luke Dawson! Fast mein ganzes Leben habe ich hier auf der Firebrand verbracht. Das ist mein Zuhause. Hier habe ich gelebt, und hier will ich sterben.“ Ben Shortcross deutete mit symbolischem Blick zur Decke. „Wenn der da oben mich holen will – und das wird bald sein –, dann soll er’s hier tun! Und nicht in so ’nem verdammten Krankenhaus, wo mich keine verdammte Menschenseele kennt. Rhianna, du und die Kinder ... ihr seid so was wie meine Familie. Das verstehst du doch, alter Junge, nicht wahr?“

„Ja, Ben.“ Lukes lassonarbige Rechte legte sich um Bens dünne Hand. Sie war kalt. Kalt wie der Tod. Er räusperte sich und raunte ihm zu: „Wahrscheinlich würde ich’s genauso sehen. Würd viel dafür geben, wenn wir beide noch mal auf Wildjagd gehen könnten, wie in alten Zeiten.“

Ben Shortcross lächelte schwach. „Wir hatten ’ne verdammt schöne Zeit – all die Jahre, Luke. Möchte nicht eine Sekunde davon missen. Aber mit dir noch einmal auf die Jagd zu gehen, dafür bleibt uns keine Zeit mehr. Das wissen wir beide doch ganz genau, nicht wahr?“

Ja, sie wussten es beide.

Und dennoch ...

Luke presste die Lippen aufeinander. Er spürte, wie seine Augen brannten, eine unsichtbare Hand schien sich um sein Herz zu krampfen. Die tückische Krankheit hatte den kleinen Mann eingeholt, und er war am Ende seines Weges angelangt. Es war nur noch eine Frage von vielleicht ein paar Tagen, Stunden oder gar Minuten. Daran gab es nichts mehr zu rütteln, und keine Macht der Welt vermochte es zu ändern.

Luke versuchte ein Grinsen, was ihm nicht so recht gelang. „Von unserem Silvesterschmaus ist noch ’ne ganze Menge übrig geblieben. Wie wär’s, Ben: Rhianna könnte dir doch ...“

„Lass gut sein, alter Junge. Ich habe keinen Hunger. Bin nur verdammt müde. Das ist alles.“

„Soll ich dich allein lassen?“

Ben schüttelte leicht den Kopf. „Nein, bleib noch ’n Weilchen und erzähl mir was ... irgendwas. Könnt ’n verdammten Whiskey vertragen. Steht hier nicht noch irgendwo ’ne Flasche rum?“

Seltsam, dass der alte Ben diesen Wunsch verspürte. Aber es machte kaum einen Unterschied aus. Luke erhob sich von seinem Stuhl und blickte sich um. Auf einem Holzregal über der Kommode erblickte er eine Whiskeyflasche. Sie war ziemlich angestaubt. Luke trat an das Regal heran, nahm die Flasche und pustete den Staub weg. Er erinnerte sich, dass er Ben diese Flasche zu dessen fünfundsechzigstem Geburtstag geschenkt hatte. Das war vor sechs Jahren gewesen, und sie war noch nicht einmal zur Hälfte geleert worden. Auch das war bezeichnend für die Genügsamkeit dieses kleinen Mannes.

Luke zog den Korken heraus und reichte Ben die Flasche, der sie in beide Hände nahm. Luke sah, wie sie zitterten. Ben hatte große Mühe, die Flasche an seine Lippen zu setzen, so schwach waren mittlerweile seine Arme. Er schaffte ein paar großzügige Schlucke, dann sanken seine Arme mitsamt Flasche kraftlos auf die Bettdecke herab. Luke nahm ihm die Flasche ab und stellte sie neben das Bett auf den lehmigen Boden.

„Tat verdammt gut“, war Bens Kommentar. „Aber länger hätte ich das Ding nicht mehr halten können. Verdammt, Luke, ich bin einfach zu schwach.“ Sein Kopf sank erschöpft zurück ins Kissen. Luke nickte nur, sagte aber nichts. Was hätte er schon darauf antworten sollen? Vor ihm lag ein Mann, der wusste, dass seine Zeit gekommen war. Nichts konnte etwas daran ändern – gar nichts. Eine Weile sahen sie sich nur stumm an. Jeder wusste, was der andere dachte, und diese Gedanken zogen sich über viele Jahre eines gemeinsamen Lebens hinweg.

Allmählich wurden Ben die Augenlider schwer. Ein paar Male versuchte er, dagegen anzukämpfen, bis ihm schließlich die Augen zufielen. Lautes Schnarchen verriet, dass er eingeschlafen war.

Eine Zeit lang stand Luke einfach nur da und blickte auf das kranke, eingefallene Gesicht des kleinen Cowboys nieder. Irgendwie wirkte dieses Gesicht entspannt. Luke glaubte sogar, ein leichtes Lächeln auf Ben Shortcross’ Lippen zu sehen. Ben schien den Tod nicht zu fürchten. Er hatte sich in seinem Leben noch nie vor irgendetwas gefürchtet. Das war einer, der selbst dem Teufel lachend ins Gesicht gesprungen wäre.

Für einen kurzen Augenblick kam es Luke in den Sinn, sich aus der Flasche zu bedienen. Doch das tat er nicht. Er ließ sie auf dem Boden stehen und verließ den Raum. An der Tür drehte er sich noch einmal um. So, als wolle er sich Ben Shortcross’ Bild noch einmal genau einprägen. Dann trat er ins Freie.

Draußen hatte es wieder zu regnen angefangen. Dieser Regen vermischte sich mit Schnee und peitschte Luke eisig ins Gesicht. Der Nordwind wehte schärfer und trieb den Schneeregen vor sich her. Sehr bald, so ahnte Luke, würde es richtig anfangen zu schneien.

*

Später stand Luke am Fenster seines Arbeitszimmers und blickte hinaus. Wie lange er dort stand, wusste er nicht. Es konnten Minuten oder Stunden gewesen sein. Er hatte jegliches Gefühl für Raum und Zeit verloren, war tief in seinen Gedanken versunken. Die Temperaturen waren gesunken. Draußen hatte es bereits zu schneien begonnen. Der Schnee überzog die Landschaft wie ein weißes Laken. Aber auch das registrierte der hochgewachsene Mann in seiner Weidetracht, die er scheinbar nur zum Schlafen ablegte, nur am Rande. Er bemerkte Rhianna auch erst, als sie hinter ihm stand und zaghaft seine Schulter berührte.

„Möchtest du nicht endlich etwas essen, Luke?“, wehte es mit leiser Stimme zu ihm heran. Luke schüttelte nur den Kopf, ohne den Blick zu wenden. Rhianna trat neben ihn ans Fenster und sah ebenfalls hinaus in das Schneetreiben, das von Augenblick zu Augenblick immer dichter wurde. Schweigend standen sie nebeneinander, bis ­Rhianna das Schweigen brach. Sie wandte ihm ihr Gesicht zu und sagte: „Wir bekommen doch noch einen Winter, so, wie es aussieht.“

Er beeilte sich nicht gerade mit einer Antwort, die dann kam: „Ja, und Ben Shortcross liegt jetzt allein drüben in seiner Hütte in seinem Bett und wartet darauf, auf den letzten Trail zu gehen. Mutterseelenallein. Dem ist’s scheißegal, ob’s schneit oder nicht.“

„Ich war vor einigen Minuten bei ihm und habe nach ihm gesehen. Er schläft, tief und fest wie ein Baby. Es war kalt in seinem Zimmer. Ich habe Feuer im Ofen gemacht.“

Luke grinste schief. „Das wollte ich auch. Aber er hatte sich geweigert. Sagte, ihm wäre warm genug. Hatte ’nen ordentlichen Schluck aus der Pulle genommen und war dann eingeschlafen. Der Bursche trägt es mit Fassung, Rhianna.“

„Das sollten wir auch, Luke.“

Erst jetzt wandte er seinen Blick vom Fenster und sah seiner Frau direkt ins Gesicht. „Mir fällt es verdammt schwer, Rhianna.“

„Ich weiß, Luke.“

„Muss die ganze Zeit an ihn denken, und an die Zeit, die wir gemeinsam verbracht hatten.“ Ein Lächeln erhellte plötzlich seine Augen. „Weißt du eigentlich, dass Ben nicht ganz schuldlos daran war, dass wir beide verheiratet sind?“

„Nein. Ich weiß nur, dass du damals plötzlich wieder aufgetaucht warst, zusammen mit ihm, nachdem du ein Jahr oder so zuvor die Ranch verlassen hattest. Das war in dem Jahr, als Dad gestorben war. Daran erinnere ich mich noch genau. Aber was hat Ben ...“

„Ben hatte ich vorher wiedergetroffen, in so ’nem Kaff – warte, wie hieß es noch gleich – ach, richtig: Gallina.“

„Gallina? Was hatte Ben denn dort zu schaffen gehabt? Gibt es vielleicht etwas, wovon ich noch nichts weiß? Oder es gar vergessen haben könnte? Raus damit, Luke Dawson.“

Luke nahm seine Frau an den Arm. „Komm, gehen wir rüber ins Wohnzimmer und trinken wir ’n Glas zusammen. Dann erzähle ich es dir. Womöglich hilft es deinem Gedächtnis wieder auf die Sprünge.“

„Oh!“, stieß sie in gespielt empörten Ton hervor. „Willst du etwa behaupten, dass ich schon verkalkt bin, mein Lieber?“

Er schüttelte den Kopf und grinste sie an. Sie erwiderte sein freches Grinsen mit einem süffisanten Lächeln. Obwohl Rhianna die sechzig bereits überschritten hatte, war sie immer noch eine attraktive Frau. Auch, wenn sich in ihrem Haar bereits deutlich das erste Silber abzeichnete und sich kleine Fältchen um ihre Augen gebildet hatten.

„Nein. So etwas würde ich niemals behaupten“, sagte er und setzte noch breiter grinsend hinzu: „Vielleicht nur etwas vergesslich.“

„Ich kann mich noch an sehr viele Dinge erinnern. Das solltest du doch am besten wissen. Aber was du eben mit Ben angedeutet hast, das hätte ich schon gern gewusst.“

Luke führte seine Frau hinüber ins Wohnzimmer. Dort setzten sie sich, tranken ein Glas zusammen, und Luke begann, die Geschichte zu erzählen, die sich damals zugetragen hatte.

Damals, vor über einunddreißig Jahren, im Frühsommer 1880, in einem Jahr, das so vieles für Luke Dawson verändert hatte.

Und nicht nur für ihn ...

Kapitel 1

Eine ganze Zeit lang war er den schlangenförmigen Windungen des Rio Chama gefolgt, bis er eine Stelle gefunden hatte, die ihm zusagte, um eine Rast einzulegen. Er führte seinen Schwarzen nahe ans Ufer heran, ließ das Tier saufen und setzte sich etwas abseits ins hohe Gras. Dabei verzehrte er den Rest seines Proviants, der aus etwas Dörrfleisch und einer letzten Dose Pfirsiche bestand. Aus dem spärlichen Rest seines Tabakbeutels drehte er sich anschließend eine Zigarette, rauchte schweigend und blickte mit zusammengekniffenen Augen über den trägen Fluss hinweg zum anderen Ufer. Ein paar Meilen südlich von hier, so erinnerte er sich, lag die kleine Stadt Gallina, vielleicht noch zehn oder elf Meilen von seinem Standpunkt aus entfernt. Eigentlich hatte er im Sinn gehabt, einen Bogen um die Stadt zu machen, aber da er dringend frischen Proviant und Tabak benötigte, würde daraus nichts werden.

Nun, dachte er, nach El Vado würde ich’s an diesem Tag ohnehin nicht schaffen. Warum also nicht die Nacht in Gallina verbringen, um dann morgen in aller Frühe weiterzureiten?

Er versuchte, sich mit diesem Gedanken anzufreunden, was ihm allerdings nicht so ganz gelang. Die letzten Monate hatte Luke damit verbracht, einen Treck nach Kalifornien zu begleiten. Dieser Treck bestand aus Einwanderern verschiedenster Herkunft, die davon überzeugt gewesen waren, in Kalifornien das Gelobte Land vorzufinden. Die ganze Zeit über schien es, als wäre dieses Unterfangen vom Pech verfolgt. Es hatte zahllose Schwierigkeiten gegeben, was zu erheblichen Verzögerungen führte. Zudem kristallisierten sich zu Lukes Leidwesen die meisten der Treckleute als enorm schwierig heraus, was die ganze Sache noch komplizierter machte, und er war heilfroh gewesen, endlich kalifornischen Boden erreicht zu haben, um dieses leidvolle Unterfangen endlich zum Ende zu bringen. Danach hatte sich Luke unvermittelter Dinge in den Sattel seines Schwarzen geworfen und war davongeritten, ohne großartig Abschied zu nehmen oder sich gar im Sattel umzudrehen. Sollte diese Schar glücklich werden in ihrem Gelobten Land. Er hatte seinen Job erledigt, war gut bezahlt worden, und nun sollten diese Menschen sehen, wie sie weiter klarkamen. Ihn, Luke, ging die Sache nichts weiter mehr an. Und je mehr er sich von Kalifornien wieder entfernt hatte, desto wohler fühlte er sich in seiner Haut. Er hatte seine gewohnte Freiheit wieder, und das war gut so.

War es das wirklich?

Als er nach einigen Wochen den Boden New Mexicos unter seinen Füßen spürte, wurde ihm klar, dass es kein Zufall gewesen war, sondern er ganz bewusst hierher zurückgekehrt war. Dorthin, wo er vor langer Zeit schon einmal gewesen war. Und dabei war er nicht, wie sonst bei ihm üblich, seinem Nordstern gefolgt.

Auch hatte ihn während des Rittes eine stetige Unruhe begleitet, die, je weiter er ins Territorium von New Mexico eindrang, immer stärker spürbar wurde. Bilder tauchten vor seinem geistigen Auge auf. Bilder, von denen er geglaubt hatte, sie längst verdrängt und vergessen zu haben. Doch das war ein Trugschluss. Sie waren da, und sie beschäftigten ihn. Und als er jetzt am Ufer des Rio Chama saß, mitten im hohen Gras, seine Zigarette rauchte, und die Strömung des Flusses träge an ihm ­vorbeizog, da wurde er sich der Tragweite seines bisherigen Lebens so richtig bewusst.

Jemand hatte mal zu ihm gesagt: „Irgendwann muss ein Mann sesshaft werden, sich etwas aufbauen. Er muss eine Frau heiraten, eine Familie gründen und einen Platz haben, an den er immer wieder heimkehren kann.“ Er wusste nicht mehr genau, wer ihm diese Sätze ins Ohr gesetzt hatte. Es spielte letzten Endes auch keine Rolle. Der Sinn dieser Worte war entscheidend. Worte, die er sich mehr und mehr ins Gedächtnis rief und die plötzlich eine völlig neue Bedeutung für ihn bekamen.

Er war ein Mann, der die vierzig bereits überschritten hatte, und solange er denken konnte, war er stets ruhelos umhergezogen, hatte von einem Job zum anderen gelebt, um dann wieder seinem Nordstern zu folgen.

Dieses Leben hatte ihm bislang gefallen. Anders wollte er es auch nicht. Doch jetzt spürte er, wie der Nordstern langsam verblasste. Dieser Stern, Symbol seines bisherigen Lebens, schien ihm, Luke, einfach nicht mehr wichtig genug zu sein.

„Zum Teufel!“, brummte er laut vor sich hin. „Werde nur nicht senil, alter Junge. Du kannst dir jetzt was einbilden oder nicht. Es ändert nichts an der Tatsache, aus welchem Holz du geschnitzt bist. Ein Mann ist, wie er nun mal beschaffen ist. Und daran ist nichts zu ändern – Basta!“

Er glaubte, mit diesen Worten für sich eine Endgültigkeit besiegelt zu haben. Doch so richtig daran glauben konnte er nicht. Zweifel blieben, und die nagten tüchtig an ihm.

Er warf mit grimmiger Geste seine Zigarette in den Fluss, um sich anschließend aus dem allerletzten Rest aus seinem Tabakbeutel eine neue zu drehen. Aber auch die rauchte er nicht bis zum Ende. Schließlich erhob er sich aus dem Gras und ging steifbeinig auf seinen Schwarzen zu. Das Tier zog seinen großen Kopf aus dem Wasser und drehte ihn Luke zu. Ein lautes Schnauben folgte. Luke strich seinem treuen Freund über die Nüstern und schwang sich in den Sattel. Er nahm die Zügel auf und ließ wieder den Blick über die trägen Fluten des Rio Chama schweifen. Aber was er sah, war nicht der Fluss, und auch nicht das, was dahinter lag. Es tauchten erneut jene Bilder auf, die ihn die ganze Zeit schon beschäftigten und deretwegen er wieder in dieses Land zurückgekehrt war, das er vor zwei Jahren verlassen hatte. In jenen Tagen, als ihn noch die ungezähmte Zügellosigkeit vorwärtsgetrieben hatte, mit dem Blick nach vorn und nicht zurück.

Er zog den Schwarzen vom Wasser weg, gab ihm einen sanften Schenkeldruck und das Tier trabte an. Er lenkte es am Ufer entlang, bis er eine schmale Holz­brücke erreichte, die das Überqueren des Flusses möglich machte, ohne dabei nass zu werden. An diese Brücke konnte er sich noch genau erinnern. Vor etwa zwei Jahren war er schon einmal an dieser Stelle gewesen.

Die Sonne war bereits im Westen hinter den fernliegenden Hügelkuppen verschwunden, und die Dämmerung setzte ein, als vor ihm die ersten Häuser von Gallina auftauchten. Gemächlich ließ Luke seinen Schwarzen über die breite Straße traben. Seine Blicke wanderten nach links und rechts. Nicht, dass es Neugier war, die ihn dazu trieb. Er tat es eher aus Gewohnheit, um sich schnell und rasch ein Bild seiner Umgebung zu machen. Es war ja ein Weilchen her, seit er das letzte Mal durch diese kleine Stadt geritten war. Verändert hatte sich kaum etwas, soweit es für ihn in Betracht kam. Damals bestand diese kleine Stadt nur aus einer Ansammlung von ein paar Häusern rechts und links, und eine einzige Straße führte durch sie hindurch. Jetzt schienen ein paar neue Bauten hinzugekommen zu sein, und ein paar kleine Gassen zweigten sich von der Hauptstraße ab. Vielleicht waren ein paar Häuser dazu gekommen. Ansonsten nichts Nennenswertes an Veränderungen. Gallina war damals wie auch jetzt ein verschlafen wirkendes Nest.

Auf den Gehsteigen tummelten sich hie und da ein paar Gestalten, von denen einige ihm ihre verstohlenen Blicke hinterherwarfen.

Er lenkte den Schwarzen direkt auf den Mietstall zu, der gleichzeitig die Schmiede war. Das Schild, welches über dem Tor angebracht worden war, wirkte recht neu, es glänzte in frischer Farbe. Möglicherweise schien dieses Gebäude den Besitzer gewechselt zu haben. An den damaligen konnte sich Luke recht dunkel erinnern. Das war ein betagtes, schmächtiges Kerlchen mit einem weißgrauen Bart, der ständig Tabak gekaut hatte. Und so, wie Luke den Burschen in Erinnerung hatte, war der ganz sicher kein Schmied gewesen.