Wir zwei sind unzertrennlich - Susanne Svanberg - E-Book

Wir zwei sind unzertrennlich E-Book

Susanne Svanberg

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Beschreibung

Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. Das kleine Mädchen presste vor Schreck beide Hände auf den Mund. Starr sahen die blauen Kinderaugen auf die flimmernde Scheibe des Fernsehers. Irmela fasste unwillkürlich nach dem Arm der jüngeren Freundin. Hart und schmerzhaft war dieser Griff. Doch Pünktchen, die diesen lustigen Spitznamen den vielen Sommersprossen auf ihrem Stupsnäschen zu verdanken hatte, spürte es gar nicht. »Das ist doch …«, wisperte die blonde Angelika. »Pst!« Nick legte den Zeigefinger über die Lippen und zog unwillig die Stirn in Falten. Interessiert verfolgte er den Bericht. Doch als der Tagesschausprecher auf ein anderes Thema überging, schnellte er hoch und lief rasch aus dem Zimmer. Ohne anzuklopfen stürmte er ins Büro der Heimleiterin, Frau Rennert. Nick wusste, dass sich seine Mutti im Moment dort aufhielt, und ihr musste er unbedingt erzählen, was er eben erfahren hatte. Denise von Schoenecker, die sich mit Frau Rennert eben über einige geplante Anschaffungen unterhielt, hob überrascht den Kopf mit dem glänzenden dunklen Haar. Noch immer wirkte sie jung und schön. »Mutti, es ist etwas Schreckliches geschehen«, platzte Nick heraus, ohne sich für die Störung zu entschuldigen. »Wir haben es eben in der Tagesschau gesehen.« Die Wangen des Jungen waren vor Aufregung heiß und rot. Ruhig sah Denise auf ihren ältesten Sohn Nick.

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Beliebtheit




Sophienlust Bestseller – 157 –

Wir zwei sind unzertrennlich

Susanne Svanberg

Das kleine Mädchen presste vor Schreck beide Hände auf den Mund. Starr sahen die blauen Kinderaugen auf die flimmernde Scheibe des Fernsehers.

Irmela fasste unwillkürlich nach dem Arm der jüngeren Freundin. Hart und schmerzhaft war dieser Griff. Doch Pünktchen, die diesen lustigen Spitznamen den vielen Sommersprossen auf ihrem Stupsnäschen zu verdanken hatte, spürte es gar nicht.

»Das ist doch …«, wisperte die blonde Angelika.

»Pst!« Nick legte den Zeigefinger über die Lippen und zog unwillig die Stirn in Falten. Interessiert verfolgte er den Bericht. Doch als der Tagesschausprecher auf ein anderes Thema überging, schnellte er hoch und lief rasch aus dem Zimmer. Ohne anzuklopfen stürmte er ins Büro der Heimleiterin, Frau Rennert.

Nick wusste, dass sich seine Mutti im Moment dort aufhielt, und ihr musste er unbedingt erzählen, was er eben erfahren hatte.

Denise von Schoenecker, die sich mit Frau Rennert eben über einige geplante Anschaffungen unterhielt, hob überrascht den Kopf mit dem glänzenden dunklen Haar. Noch immer wirkte sie jung und schön.

»Mutti, es ist etwas Schreckliches geschehen«, platzte Nick heraus, ohne sich für die Störung zu entschuldigen. »Wir haben es eben in der Tagesschau gesehen.« Die Wangen des Jungen waren vor Aufregung heiß und rot.

Ruhig sah Denise auf ihren ältesten Sohn Nick. Er war ein großer, ausgesprochen hübscher Junge mit blau-schwarzem Haar und einer sonnengebräunten Haut. Oft gaben ihm die Mädchen offen zu verstehen, dass er ihnen gefiel. Doch das interessierte Nick überhaupt nicht. Noch war er jener liebenswerte Junge, der begeistert auf Bäume kletterte und nicht an Flirts dachte.

»Das Flugzeug ist abgestürzt«, sprudelte Nick jetzt hervor. »Es war ein technisches Versagen gleich nach dem Start. Der Pilot wollte eine Notlandung versuchen, aber es war bereits zu spät. Da war ein Filmstar im Flugzeug, und die Fotografen, die gefilmt hatten, standen noch in der Halle, als der Riesenvogel zu schwanken begann. Mit ihren Teleobjektiven haben sie den Absturz gefilmt. Deshalb konnte man in der Abendschau alles genau sehen.«

»Es war grässlich«, bestätigte Irmela, die inzwischen ebenfalls aus dem Aufenthaltsraum herübergekommen war. Hinter ihr drängten sich Angelika, Pünktchen und Fabian.

»Hat man gesagt, um welches Flugzeug es sich handelt?«, erkundigte sich Denise von Schoenecker vorsichtig. Eine geheime Ahnung hatte sie bereits.

»Das Flugzeug, das heute früh nach Thailand gestartet ist«, berichtete Nick ein wenig außer Atem. »Stell dir vor, Mutti, es hat überhaupt keine Überlebenden gegeben.«

»Aber das ist doch die Maschine, mit der die Ertels in den Urlaub fliegen wollten.« Denise von Schoenecker wurde blass, denn jetzt schien sich ihre unheimliche Vorahnung zu bestätigen.

»Die Eltern von Tanja und Torsten?«, erkundigte sich Frau Rennert erschrocken.

»Es war das Flugzeug, mit dem sie starten wollten«, piepste Pünktchen weinerlich. »Ich weiß das so genau, weil Torsten und Tanja am Vormittag immer wieder auf die Uhr geschaut haben. Immer, wenn es in der Luft brummte, sind sie hinausgerannt und haben gewinkt.«

»Mein Gott«, murmelte Frau Rennert und ließ den Kopf sinken.

»Der Tagesschausprecher hat mehrmals erwähnt, dass die Maschine nach Thailand fliegen wollte«, berichtete Irmela sachlich. Ohne es zu merken, faltete sie die Hände und drückte die Finger so fest gegeneinander, dass die Knöchel weiß hervortraten.

Die Kinder von Sophienlust wussten, was es hieß, die Eltern zu verlieren. Fast alle hatten sie diese traurige Erfahrung gemacht, fast alle wussten sie, was es bedeutete allein auf dieser Welt zu sein. Deshalb waren sie Denise von Schoenecker, die sie in Sophienlust aufgenommen hatte, auch so dankbar. Denn hier war man bemüht, den kleinen Waisen nicht nur Essen und Kleidung, sondern auch Geborgenheit und Liebe zu schenken.

Denise, die in jeder Situation ihre beruhigende Gelassenheit behielt, legte die Prospekte, die sie eben studiert hatte, weg. »Es könnte ja auch sein, dass die Ertels gar nicht an Bord gegangen sind. Vielleicht waren sie verhindert.«

»Glaubst du das, Mutti?« Nick legte den Kopf schief und musterte seine hübsche Mutter eingehend. Irgendwie spürte er, dass sie ihn und die Kameraden nur trösten wollte.

»Wir müssen abwarten«, wich Denise aus. Nein, auch sie glaubte nicht an diesen Zufall. Die Ertels hatten sich zu sehr auf diese Reise gefreut, um im letzten Moment darauf zu verzichten. Denise erinnerte sich, wie strahlend ihr das sympathische Paar von den Zielen dieser Reise berichtet hatte. Weil dieser Urlaub für die Kinder zu strapaziös gewesen wäre, hatte es Tanja und Torsten vorübergehend nach Sophienlust gebracht. Die beiden hatten sich gut eingelebt und sofort Kontakt zu den anderen Kindern gefunden.

»Bitte, sagt Tanja und Torsten nichts davon und lasst euch auch nichts anmerken.« Denise sah ihren Schützlingen fest in die Augen. Sie wusste, sie würde sich auf ihre »Großen« verlassen können.

»Wie gut, dass unsere Jüngsten schon im Bett sind«, jammerte Frau Rennert. »Es wäre furchtbar, wenn die Kinder auf diese Weise von dem Unglück erfahren hätten.«

»Mutti, können wir denn gar nichts tun?« Nicks dunkle Augen bettelten.

»Ich werde nachher gleich beim Flughafen anrufen, um Gewissheit zu bekommen.«

»Und wenn …, und wenn die Ertels tatsächlich in der Maschine waren?« Fabian zitterte bei dem Gedanken. Torsten und Tanja waren noch so klein, erst fünf und sieben Jahre alt. Er selbst war etwas älter gewesen, als er die Eltern verloren hatte. Trotzdem war die Erinnerung daran für ihn schrecklich.

»Dann müssen wir alle sehr tapfer sein und die Geschwister trösten, so gut es geht.« Denises schönes ebenmäßiges Gesicht war sehr ernst.

»Bleiben Sie dann bei uns?«, erkundigte sich Pünktchen. Ihr helles Stimmchen wirkte dünn und zittrig.

Ratlos ließen die sonst so fröhlichen Kinder von Sophienlust die Köpfe hängen.

»Ich weiß es noch nicht«, meinte Denise wahrheitsgemäß. »Ich glaube, Herr Ertel hat einen älteren Bruder.«

Frau Rennert nickte zustimmend. »Johannes Ertel hat eine große Schuhfabrik in der Nähe von Maibach. Unheimlich reich ist er. Mein Schwager arbeitet seit achtzehn Jahren als Meister dort.«

»Wenn er reich ist, ist er sicher nicht nett«, murmelte Fabian. Er dachte dabei an seine Großmutter, die sich ihm, dem Waisenjungen gegenüber, sehr herzlos benommen hatte.

»Auf jeden Fall müssen wir abwarten.« Denise sah auf ihre Armbanduhr. »Und für euch ist es Zeit, zu Bett zu gehen. Nick, hole bitte deine Schulmappe. Wir fahren nach Hause.« Damit meinte sie Gut Schoeneich, das ihrem Mann gehörte und das ganz in der Nähe von Sophienlust lag. Es war schon viele Jahre her, dass sie ihren Nachbarn Alexander von Schoenecker geheiratet hatte. Und doch war sie mit ihm so glücklich wie am ersten Tag. Mit Alexander konnte sie über all ihre großen und kleinen Probleme sprechen. Er war immer auf ihrer Seite, wusste immer Rat.

Gehorsam verließen die Buben und Mädchen das kleine Büro und gingen mit gesenkten Köpfen durch die Halle.

»Sie werden heute lange nicht schlafen«, meinte die Heimleiterin und sah ihnen traurig nach.

Denise nickte zerstreut. Erst jetzt erfasste sie eine unglaubliche Nervosität. Sie zog das Telefon zu sich heran und wählte mit zitternden Fingern die Nummer des Flughafens.

*

Denise war auch beim Frühstück am nächsten Morgen noch nervös und unkonzentriert.

Alexander von Schoenecker beobachtete seine hübsche Frau besorgt. Nachdem Nick und Henrik sich verabschiedet hatten und den Schulweg antraten, stellte er sich hinter den Stuhl seiner Lebensgefährtin und legte liebevoll den Arm um ihre Schultern.

»Ich verstehe dich sehr gut«, raunte er dicht an ihrem Ohr. »Doch es wird ja nichts anders, wenn du traurig bist. Gegen das Schicksal sind wir machtlos, Denise. Das haben wir auch schon so oft erfahren.«

Denise lehnte sich etwas zurück. »Das Schlimmste ist, dass ich den Kindern sagen muss, was passiert ist. Ich muss ihnen alle Hoffnung nehmen, muss sie schrecklich enttäuschen.«

»Ich würde dir diese traurige Pflicht sehr gern abnehmen, Denise. Aber wir wissen doch alle, dass niemand so gut mit Kindern umgehen kann, wie du.«

Alexander beugte sich hinab und hauchte einen zärtlichen Kuss auf die Wange seiner Frau.

»Du bist so gut zu mir«, flüsterte Denise und griff nach der Hand ihres Mannes. Wie haltsuchend klammerten sich ihre Finger an dessen Hand. »Ohne dich hätte ich oft nicht die Kraft, trotz der vielen traurigen Schicksale, fröhlich zu sein. So fröhlich, wie es Kinder erwarten.«

»Du bist wundervoll, Denise. Ich möchte es dir immer wieder sagen, jeden Tag. Du bist nicht nur schön und klug, du bist so charmant und gütig, wie ich es noch nie bei jemandem erlebt habe.«

»Schmeichler!« Denise gab der Hand, die über ihre Schulter griff, einen kleinen Klaps.

»Es ist keine Übertreibung«, wehrte sich Alexander. Seine Stimme hatte einen weichen dunklen Ton. »Ich liebe dich, Denise«, gestand er leise.

Die dunkelhaarige Frau mit den samtig glänzenden, ausdrucksvollen Augen hörte diese Worte oft. Und doch waren sie immer wieder neu, immer wieder erregend für sie.

Lächelnd wandte sie sich nun zu ihrem Mann um, sah liebevoll zu ihm hoch. »Du schenkst mir so viel Glück, Liebster. Jeder Tag mit dir ist schön, auch wenn er Leid bringt.«

Alexander von Schoenecker griff nach Denises zarten Händen. Sanft zog er die schmale Gestalt hoch und schloss sie zärtlich in die Arme. »Von dir geliebt zu werden, Denise, ist das Schönste, das Höchste, das es auf dieser Welt geben kann. Mein ganzes Leben lang werde ich dir dankbar dafür sein.«

Sehr zart, sehr behutsam legten sich die Lippen des Mannes auf Denises reizvollen Mund. Sein Kuss war sanft und doch von einer beglückenden Innigkeit.

*

Knapp eine Stunde später ging Denise von Schoenecker mit den Ertel-Kindern durch den herbstlichen Park von Sophienlust. Der Morgen war sonnig, aber kühl. Von der alten Rotbuche segelten lautlos einige Blätter zu Boden. Das bunte Laub auf den Wegen raschelte bei jedem Schritt.

Denise fröstelte. Rasch schloss sie die beiden obersten Knöpfe ihrer Nappalederjacke. Torsten und Tanja hüpften unbekümmert neben ihr her. Sie genossen es, mit der von allen Kindern geliebten »Tante Isi« allein einen Spaziergang machen zu dürfen. Noch ahnten sie nicht, wie traurig der Anlass dazu war.

Zutraulich fasste Torsten nach Denises Hand. Seine grauen Augen sahen fragend zu ihr empor. »Warum muss ich heute nicht zur Schule, wie die anderen Kinder?«, fragte er ohne Misstrauen.

»Weil ich mit euch reden wollte«, antwortete die charmante Frau bedrückt. »Es ist gestern etwas sehr Schlimmes geschehen. Etwas, was euch betrifft.«

»Haben wir etwas angestellt?«, erkundigte sich Torsten ein bisschen schuldbewusst. »Vielleicht weil ich Pünktchen mit der Wasserpistole nassgespritzt habe?« Treuherzig blinzelte er Denise an.

Denise schüttelte leicht den Kopf. »Ihr wisst doch, dass eure Eltern ihre Reise mit dem Flugzeug angetreten haben.« Die Stimme gehorchte ihr nicht richtig. Doch noch merkten die Kinder nichts davon.

»Es war eine ganz große Maschine. Wir haben sie auf Fotos gesehen.« Tanjas blonde Zöpfchen schaukelten lustig.

Es fiel Denise unglaublich schwer, die Heiterkeit der Kinder zu zerstören. Doch es ging nicht anders. Sie musste Tanja und Torsten informieren.

»Leider war dieses Flugzeug nicht ganz in Ordnung. Es ist kurz nach dem Start abgestürzt.«

Torsten blieb ruckartig stehen. Seine großen Kinderaugen wurden kugelrund. »Abgestürzt?«, wiederholte er ungläubig. »So ein modernes Flugzeug kann doch nicht …«

»Bis auf einen alten Mann sind alle Passagiere ums Leben gekommen«, gab Denise die traurige Nachricht weiter, die sie noch am Tag zuvor von der Fluggesellschaft erhalten hatte. Zugleich blieb sie neben Torsten stehen.

Tanja, die einige Schritte vorausgehüpft war, kam zurückgelaufen. Sie hatte die letzten Worte genau verstanden und begriff sofort, um was es ging. Ihr hübsches kleines Gesichtchen wurde erschreckend ernst. Die lustigen Zöpfchen baumelten nicht mehr, sondern hingen jetzt schlaff bis zur Schulter herab.

»Und Mami und Papi?«, erkundigte sich die Kleine ängstlich.

»Sie sind ganz in Ordnung, nicht wahr, Tante Isi?« Eine flehende Bitte war in Torstens Blick.

»Ich würde das ja so gern bestätigen, aber leider kann ich es nicht.« Denises Stimme klang weich und mütterlich. »Was ist mit Mami und Papi?« Torstens warme Händchen krampften sich fe­ster um Denises Finger.

Die jugendliche Frau führte die Kleinen behutsam zu einer nahen Parkbank.

»Eure Eltern werden euch nicht abholen können.« Denise zwang sich, die Kinder anzusehen. Deren ängstlich forschende Blicke ließen sie das Unglück noch deutlicher empfinden.

»Warum?«, piepste Tanja sofort.

»Weil sie eine Reise angetreten haben, von der sie nicht zurückkommen können. Eine Reise zum lieben Gott.«

Torsten zog die runde Kinderstirn in viele Falten. Trotzig ließ er die Unterlippe hängen. »Das glaube ich nicht«, stieß er keuchend hervor.

Um Tanjas Mund zuckte es verräterisch. »Zum lieben Gott kommt doch nur der, der gestorben ist.«

Denise von Schoenecker legte zärtlich die Arme um die beiden Kinder. Sanft, fast unmerklich zog sie Tanja an sich.

»Eure Eltern sind bei dem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen«, bestätigte sie leise.

»Das ist nicht wahr!« Torsten nahm eine drohende Haltung ein. »Das kann gar nicht wahr sein. Mami und Papi sind jung und gesund.«

»Leider ist ein Irrtum ausgeschlossen. Ich hatte auch Hoffnung, dass man sich getäuscht haben könnte. Aber inzwischen hat man alles noch einmal überprüft. Es gibt nur einen einzigen Überlebenden.«

Tanja bekam vor Schreck das Mündchen nicht mehr zu. Sie verstand nicht alles, was Tante Isi eben sagte, aber sie begriff, dass sie die geliebten Eltern nie mehr sehen würde. Enttäuschung und Schmerz brachen über sie herein. Die blauen Kinderaugen füllten sich mit Tränen.

Torsten reagierte anders. Es war, als wollte er um sein Glück kämpfen. Er ballte beide Hände zu Fäusten. Einen Augenblick lang sah es aus, als wollte er damit auf Denise losgehen.

»Ich glaub das nicht!«, schrie er erregt. »Die Leute am Telefon haben gelogen.« Seine Stimme überschlug sich fast.

»Wie schön wäre das«, seufzte Denise und strich der kleinen Tanja über das blonde Haar. Durch einen tragischen Unglücksfall waren diese beiden Kinder über Nacht zu Waisen geworden.

»Mami«, schluchzte Tanja und schmiegte sich schutzsuchend an Denise. »Mami, liebe, gute Mami!« Tanja empfand wohl unbewusst, dass das Glück ihrer Kinderzeit verloren war, dass die Mutti sie nie mehr zärtlich in die Arme schließen würde, dass sie nie mehr sanft und liebevoll ihre Bäckchen streicheln würde.

»Deine Mami ist dir immer nahe, auch wenn du sie nicht sehen kannst. Und sie möchte nicht, dass du traurig bist, Tanja«, versuchte Denise zu trösten. »Hab keine Angst, mein Kleines. Zunächst bleibst du hier und hast es gut bei uns. Alle wollen lieb zu euch sein, wollen euch helfen.« Am liebsten hätte Denise die schimmernden Kindertränen weggeküsst, doch sie wollte Tanja nicht erschrecken.

»Mein Vati ist nicht tot!«, behauptete Torsten jetzt in wilder Verzweiflung. »Er kommt wieder, und dann schimpft er mit diesen dummen Leuten vom Flughafen.« Doch seine Stimme hatte keine Festigkeit mehr. Auch er hatte inzwischen eingesehen, dass es keinen Sinn hatte, sich gegen das unerbittliche Schicksal aufzulehnen. Er wusste, dass er Denise von Schoenecker vertrauen konnte. Sie belog ihn nicht. Also war alles schreckliche, grausame Wahrheit. Sein Widerstand fiel in sich zusammen. Er ließ das Köpfchen sinken und weinte plötzlich hemmungslos.

Mütterlich streichelte Denise das Kind und zog es tröstend in die Arme. Heiße Tränen benetzten ihre Hände. Zitternde kleine Körper übertrugen den ganzen Jammer dieses Tages auf sie. Jetzt füllten sich auch ihre dunklen Augen mit Tränen. Was hätte sie darum gegeben, wenn sie den Geschwistern den schlimmsten Kummer, den es für Kinder geben konnte, hätte ersparen können. Doch sie konnte nur trösten und versuchen, den Kleinen ihr schweres Los etwas zu erleichtern.

»Warum …«, schluchzte der Junge, »… warum dürfen Mami und Vati nicht zurückkommen? Warum behält sie der liebe Gott bei sich?«

Das war die Frage, auf die auch Denise keine Antwort wusste. Die Frage, vor der sie sich gefürchtet hatte.

»Ich weiß es nicht«, gestand sie offen und ehrlich. »Wir müssen uns damit abfinden, müssen weiterleben. Auch ich habe einmal einen Menschen verloren, den ich sehr lieb hatte.«

Denise dachte an jene schlimme Zeit, da sie ihren ersten Mann durch einen Unfall verloren hatte. Kurz danach war Nick zur Welt gekommen, und zum Leid waren auch noch drückende finanzielle Sorgen gekommen. Sie hatte arbeiten müssen, bis Nick von seiner Urgroßmama Sophienlust und ein beträchtliches Vermögen geerbt hatte.

»Hast du ihn wiedergefunden?«, wisperte Tanja und wischte sich mit beiden Händchen im Gesicht herum.

»Nein. Aber ich habe einen anderen Menschen gefunden, der gut zu mir war, und der mir vergessen half.«

»Wir wollen aber niemand anders. Nur unsere Mutti und unseren Vati«, erklärte Torsten weinend und schnupfte laut. Die Tränen zogen schmutzige Spuren über sein hübsches Gesichtchen. Seine Mundwinkel waren traurig nach unten gezogen. Alles Leid dieser Welt schien sich in den hellen Kinderaugen widerzuspiegeln.

Denise von Schoenecker musste fest die Lippen aufeinanderpressen, um nicht selbst die Beherrschung zu verlieren, so herzergreifend war der Jammer der beiden Kinder.

Tanjas Atem ging hart und laut. »Dürfen …, dürfen wir jetzt nie mehr nach Hause?«, fragte sie schluchzend und griff mit der freien Hand nach den Fingern des Bruders.

»Ihr dürft nach Hause, aber ihr könnt nicht allein dort leben. Deshalb ist es besser, wenn ihr vorerst bei uns bleibt.«

»In Sophienlust?« Torsten sah alles ganz verschwommen.

»Wollt ihr nicht?« Besorgt streichelte Denise ihre kleinen Schutzbefohlenen.

»O doch!« Torsten schlang seine kurzen Ärmchen um Denises Oberkörper und schmiegte sein tränennasses Gesichtchen an die hübsche Wildlederjacke.