Vom Vater ausgenutzt - Susanne Svanberg - E-Book

Vom Vater ausgenutzt E-Book

Susanne Svanberg

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Beschreibung

Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. Unzählige elektrische Kerzen tauchten die riesige Vorhalle des Theaters in funkelndes Licht, sodass die Farben der Seidentapeten und der echten Teppiche voll zur Geltung kamen. Elegant gekleidete Menschen standen plaudernd beisammen. Viele drängten sich an den Bars zu beiden Seiten des Eingangs. Längst waren die Plätze auf den hohen Stühlen besetzt. Alexander von Schoenecker, der große gut aussehende Gutsbesitzer, hatte eben zwei Gläser Sekt erstanden und bahnte sich nun einen Weg zurück zu der Säule, an der Denise auf ihn wartete. »Entschuldige bitte, es ging nicht rascher.« Stolz sah Alexander seine hübsche Frau an. Denise nahm ihr Glas entgegen und gab den verliebten Blick offen zurück. »Ich weiß«, antwortete sie mit zärtlicher Stimme. »Auf den wunderschönen Abend mit dir!« Alexander hob sein Glas. Seine dunklen Augen strahlten seine Frau an. »Du siehst wieder einmal ganz wundervoll aus, Denise. Jung, begehrenswert, schlank und schön wie eine Göttin.« »Wenn man so glücklich ist wie ich, ist das ganz selbstverständlich«, gab Denise charmant zurück. Sie liebte ihren Mann und zeigte ihm das bei jeder Gelegenheit. Hell klangen die Gläser zusammen. »Weißt du, was ich am liebsten tun würde?

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Sophienlust Bestseller – 151 –

Vom Vater ausgenutzt

Susanne Svanberg

Unzählige elektrische Kerzen tauchten die riesige Vorhalle des Theaters in funkelndes Licht, sodass die Farben der Seidentapeten und der echten Teppiche voll zur Geltung kamen. Elegant gekleidete Menschen standen plaudernd beisammen. Viele drängten sich an den Bars zu beiden Seiten des Eingangs.

Längst waren die Plätze auf den hohen Stühlen besetzt. Alexander von Schoenecker, der große gut aussehende Gutsbesitzer, hatte eben zwei Gläser Sekt erstanden und bahnte sich nun einen Weg zurück zu der Säule, an der Denise auf ihn wartete.

»Entschuldige bitte, es ging nicht rascher.« Stolz sah Alexander seine hübsche Frau an.

Denise nahm ihr Glas entgegen und gab den verliebten Blick offen zurück. »Ich weiß«, antwortete sie mit zärtlicher Stimme.

»Auf den wunderschönen Abend mit dir!« Alexander hob sein Glas. Seine dunklen Augen strahlten seine Frau an. »Du siehst wieder einmal ganz wundervoll aus, Denise. Jung, begehrenswert, schlank und schön wie eine Göttin.«

»Wenn man so glücklich ist wie ich, ist das ganz selbstverständlich«, gab Denise charmant zurück. Sie liebte ihren Mann und zeigte ihm das bei jeder Gelegenheit.

Hell klangen die Gläser zusammen.

»Weißt du, was ich am liebsten tun würde? Dich fest in die Arme nehmen und lange und zärtlich küssen.«

Denise verschluckte sich fast. »Du benimmst dich wie ein verliebter Primaner«, rügte sie lachend. »Was sollen denn die Leute denken?«

»Das ist mir gleichgültig.« Liebevoll legte Alexander den Arm um die bloßen Schultern seiner Frau. Ihr langes Kleid aus heller Seide harmonisierte einzigartig mit dem dunklen schick frisierten Haar. Das Schönste an Denise aber war ihre makellose Haut, auf der ein kostbares Collier schimmerte.

Eben ertönte der Gong, der die Pause beendete und zum zweiten Teil der Vorstellung rief. Es war ein Ballettabend mit großer Besetzung.

Die Theaterbesucher strömten zu ihren Plätzen. Alexander und Denise ließen sich Zeit. Genussvoll tranken sie ihren Sekt und stellten die leeren Gläser auf eines der bereitstehenden Tabletts.

Kurz bevor der Gong zum dritten Mal ertönte, saßen sie wieder auf ihren Plätzen. Wie ein verliebtes junges Paar hielten sie sich an den Händen.

Langsam verlosch das Licht. Der Vorhang lief lautlos auseinander und gab den Blick auf eine phantasievoll dekorierte Bühne frei.

Ein gelber Vollmond spiegelte sich in einem künstlichen See. Wasserlilien wiegten sich im sanften Nachtwind. Ein Fischerkahn schaukelte auf dem Wasser. Darin saß ein einsamer junger Mann. Zauberhafte Musik erklang. Sie schien die Geister der Nacht anzulocken. Zarte, zierliche Elfen waren es, die dem See entstiegen und einen wundervollen Tanz aufführten. Regungslos, wie erstarrt, verharrte der junge Mann in seinem Boot, atemlos den nächtlichen Spuk betrachtend.

Den Zuschauern im Saal erging es kaum anders. Auch sie waren gefesselt von dem wunderschönen Bild, das sich ihnen bot, von der Anmut und Grazie der tanzenden Körper.

Auch Denise von Schoenecker sah mit brennenden Augen zur Bühne. Erinnerungen wurden in ihr wach. Erinnerungen an jene Zeit, in der sie selbst auf großen Bühnen getanzt hatte. Es war eine Zeit des Erfolgs und Triumphes gewesen, und doch wollte sie sie um keinen Preis zurückwünschen. Denn damals war sie allein gewesen. Allein mit ihrem Sohn Nick, der den Vater durch einen Unfall verloren hatte, noch bevor er zur Welt gekommen war.

Jetzt umtanzten die Elfen eine riesige Seerose, die langsam ihre Blütenblätter öffnete. Eine Prinzessin entstieg ihr. Ein feingliedriges, zartes Mädchen in einem wunderschönen Kostüm. Es trug eine Blütenkrone im blonden Haar und bewegte sich mit unglaublicher Grazie. Ein Kind war es. Ein Kind, das wundervoll tanzte, ein Kind, das alle Blicke auf sich zog.

Der junge Mann auf der Bühne entstieg seinem Boot, tanzte nun seinerseits außerhalb des Kreises. Immer wieder versuchte er die kleine Prinzessin zu erreichen, doch die Elfen verhinderten sein Eindringen in den wogenden Reigen.

Die Musik wurde rascher, die Mädchen drehten sich schneller im Tanz. Die kleine Prinzessin warf die Arme hoch und wirbelte scheinbar leicht und schwerelos über die fantastisch ausgestattete Bühne.

Nur wer etwas vom Ballett verstand, der wusste, wie schwer, wie anstrengend dieser Tanz war und wie viel Übung dazu gehörte, ihn so vollendet vorzuführen.

Denise von Schoenecker bewunderte das kleine Mädchen, das so selbstverständlich und offensichtlich mühelos sein Solo tanzte. Da stimmte jeder Schritt, jede Handbewegung, jede Drehung des biegsamen kleinen Körpers. Welch mörderisches Training musste dieses Kind hinter sich haben.

Höchstens neun Jahre mochte die Kleine sein. Woher nahm sie die Kraft, so unvergleichlich zu tanzen?

Immer rascher wurden die Drehungen, immer mehr Energie erforderten sie. Da, ganz plötzlich, verzog die kleine Tänzerin schmerzlich das Gesichtchen. Sie öffnete den Mund, als ringe sie nach Luft. Ihre kleine Hand presste sich auf die linke Brustseite. Im nächsten Augenblick sackte sie lautlos in sich zusammen. Doch sie schlug nicht auf dem Boden auf. Der junge Mann, der werbend neben den Elfen getanzt hatte, war sofort neben dem Kind und fing es geschickt auf.

Noch wirkte alles spielerisch. Man konnte glauben, dieser Zusammenbruch gehöre zur Vorstellung. Nur wenige Theaterbesucher merkten, dass es nicht so war.

Während der junge Mann mit dem leblos wirkenden Körper von der Bühne tanzte, schlug der Vorhang zusammen. Das Publikum raste vor Begeisterung. Noch einmal erschienen die Elfen, um sich zu verneigen. Der Beifall steigerte sich. Doch er galt einem kleinen Mädchen, das sich nicht mehr zeigte.

Die Vorstellung ging weiter. Ein mexikanischer Tanz mit temperamentvollen Rhythmen folgte. Danach wurde eine moderne Einstudierung gezeigt. Phantasievoll waren die Kostüme, großartig die Leistungen der Ballett-Truppe.

Trotzdem war Denise von Schoenecker nicht mehr bei der Sache. Sie musste immerzu an das kleine Mädchen denken, das auf offener Bühne zusammengebrochen war. Sie war richtig froh, als die Vorstellung schließlich zu Ende war.

»Du solltest dir keine Gedanken machen«, meinte Alexander, der ahnte, was seine hübsche Frau bewegte. »Der Vorfall passte doch ganz gut in die Vorstellung. Also war er vielleicht doch einstudiert.«

»Das war es auf gar keinen Fall«, wehrte sich Denise. »Glaub mir, wenn man selbst beim Theater war, hat man einen Blick für solche Dinge. Die Elfen sind so erschrocken, dass die ganze Harmonie gestört war.«

»Sicher gehörte das zu ihrer Rolle.«

»Nein. Dazu wirkte es viel zu echt.« Denise schüttelte missbilligend den Kopf.

Alexander wusste genau, dass seine Frau recht hatte. »Selbst wenn das ein Schwächeanfall war, können wir doch nichts tun«, meinte er mitleidig.

»Wir können uns zumindest nach Marina erkundigen.«

»Marina?«

»Marina Thormann, neun Jahre alt. Das steht im Programmheft.«

Das schöne Paar war inzwischen auf der Straße angelangt und ging zum Parkplatz.

»Ich weiß, dass du bereits überlegst, wie du Marina helfen könntest«, meinte Alexander lächelnd. Nur zu gut kannte er die Schwäche seiner Frau für Kinder. Ihrem Idealismus war es zu verdanken, dass viele Waisenkinder in Sophienlust, dem Gut, das einst Nicks Urgroßmutter gehört hatte, eine neue Heimat fanden.

»Ich werde gleich morgen Herrn Thormann anrufen«, überlegte Denise laut. »Denn ich möchte gern wissen, ob es Marina wieder besser geht. Die Sache lässt mir einfach keine Ruhe.«

»Tu das, mein Schatz. Sicher wird man dir sagen, dass alles in Ordnung ist.« Galant war Alexander seiner Frau beim Einsteigen in den Wagen behilflich.

*

Überrascht sah Alexander von Schoenecker von den Angeboten einiger Saatgutlieferanten auf. »Denise? Du besuchst mich in meinem Büro? Wie nett von dir!«

Alexander war ehrlich erfreut, denn es kam äußerst selten vor, dass seine Frau in den Seitenflügel des großen Gutshauses kam. Gewöhnlich war sie tagsüber in Sophienlust, dem ehemaligen Nachbargut, das nun als Kinderheim diente. Bis zur Volljährigkeit ihres Sohnes Nick verwaltete Denise den großen Besitz, was allerhand Arbeit mit sich brachte.

»Hoffentlich störe ich dich nicht.«

»Du störst nie.« Alexander stand auf, ging um den Schreibtisch herum und blieb vor Denise stehen. Zärtlich legte er die Arme um ihre schmale Taille. »Du weißt doch, dass ich gar nicht oft genug in deiner Nähe sein kann.«

»Ich habe bei Thormann angerufen. Es war gar nicht so einfach, seine Adresse herauszufinden. Er wohnt nämlich nicht wie die übrigen Mitglieder des Balletts im Hotel, sondern privat.«

»Nun, wie geht es der kleinen Marina?«

Denise zögerte. »Gut, sagt ihr Vater, aber das glaube ich nicht. Dieser Oswald Thormann war reichlich komisch. Richtig unfreundlich und abweisend. So, als hätte er etwas zu verbergen.«

»Vielleicht hast du dich getäuscht«, meinte Alexander in dem Bestreben, seine Frau zu beruhigen.

»Nein. Wahrscheinlich geht es ihm darum, das Kind auszunutzen, gleichgültig, ob es dabei Schaden nimmt oder nicht. Solche Fälle gibt es am Theater häufig. Manchmal steckt ein übertriebener Ehrgeiz dahinter, manchmal aber auch nur Gewinnsucht.«

»Und was können wir tun?«

»Nichts. Das ist es ja gerade. Marina hat Eltern, die für sie verantwortlich sind. Sie werden sich jede Einmischung verbieten. Man wird ihnen nie nachweisen können, dass sie das Kind quälen, es sei denn, es trägt einen ernsten gesundheitlichen Schaden davon.«

»Du glaubst, dass die Tanzerei Marina überhaupt keinen Spaß macht, dass sie nur tanzt, weil die Eltern sie dazu zwingen?«

»Bevor Marina zusammenbrach, war sie ängstlich. Es sah aus, als fürchte sie sich davor, zu versagen. Natürlich behauptet Thormann, dass dies gar kein Zusammenbruch war, sondern eine einstudierte Rolle.«

»Meine arme mitleidige Denise. Ich fürchte, wir können hier tatsächlich nichts tun. Mach dir deshalb keine Gedanken mehr darüber.«

»Alexander Thormann lügt. Das weiß ich mit fast hundertprozentiger Sicherheit. Also hat er auch etwas zu verbergen.«

»Marina hat doch auch eine Mutter, nicht wahr? Glaubst du, dass diese ihr Kind Strapazen aussetzen würde, die ihm schaden können?«

»Vielleicht hast du recht. Vielleicht sehe ich zu schwarz.« Denise gab sich geschlagen. Müde lehnte sie den Kopf an Alexanders breite Schulter. »Ich bin sehr froh, dass ich mit dir über alles reden kann, dass du überhaupt Zeit hast, mir zuzuhören.«

Sehr sanft und behutsam streichelte Alexander das weiche duftige Haar seiner Frau. »Du vergisst, dass ich dich liebe, Denise. Du bist das Wichtigste in meinem Leben. Du gibst meinem Dasein Sinn und Inhalt. Du ganz allein.« Alexander sah in Denises schöne Augen. Es war ein Blick, der jene tiefe Zuneigung zum Ausdruck brachte, die das sympathische Paar füreinander empfand.

»Je länger wir verheiratet sind, je mehr gemeinsame Erlebnisse es für uns gibt, umso mehr brauche ich dich, Alexander«, bekannte die schöne Frau leise.

»Ganz ähnlich empfinde ich. Jede Stunde, jeder Tag, jede Begebenheit verbindet uns inniger. Ich habe dir unsagbar viel zu verdanken. Du bist nicht nur unseren Kindern eine hervorragende Mutter, du kümmerst dich auch um die vielen Waisen in Sophienlust und findest außerdem noch Zeit für mich und den Haushalt. Das ist eine Leistung, die ich immer wieder bewundere.«

Alexander beugte sich ein wenig vor. Sekundenlang schmiegte er seine Wange an Denises zartes Gesicht. Dann berührten seine Lippen sanft und doch innig ihren Mund. Es wurde ein langer Kuss. Ein Kuss, wie ihn nur Menschen tauschen können, die sich wirklich verstehen, die einander achten und lieben.

*

Es war knapp eine Stunde später, als die kleine Heidi in Sophienlust das Köpfchen schief legte, vertrauensselig zu Denise aufsah und fragte: »Stimmt es, Tante Isi, dass ein Mädchen im Theator getanzt hat?«

»Es heißt Theater, nicht Theator«, verbesserte Vicky sofort. Sie war schon zehn Jahre alt und besuchte seit Kurzem das Gymnasium in Maibach.

Die kleine Heidi, die knapp fünf Jahre alt war, ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Schwester Regine hat es uns aus der Zeitung vorgelesen«, piepste sie.

»Ja. Das Mädchen heißt Marina Thormann und ist ein Jahr jünger als Vicky.« Da waren schon wieder die Gedanken, die Denise doch eigentlich hatte vergessen wollen.

»Und es kann richtig tanzen?«, erkundigte sich Heidi staunend.

»Sehr gut sogar.« Denise dachte an die harmonischen, spielerisch wirkenden Bewegungen des Kindes.

»Das möchte ich auch können«, seufzte Vicky und ließ sich auf der Lehne des Korbsessels nieder, in dem Denise Platz genommen hatte. Dass die Kinder sowohl mit Denise von Schoenecker als auch mit der Heimleiterin und den Erzieherinnen so vertraulich sein durften, als bestünde ein Mutter-Kind-Verhältnis, war das Besondere an Sophienlust. Deshalb fühlten sich die kleinen Waisen hier wirklich zu Hause. Es war immer jemand da, der Zeit hatte, sich mit ihnen zu beschäftigen, der sich ihre kleinen Sorgen anhörte, der ihnen jene Zärtlichkeit schenkte, nach der sich alle Kinder sehnten.

Heidi benutzte die Gelegenheit, rasch auf Denises Schoß zu krabbeln und sich liebebedürftig an sie zu schmiegen.

»Vielleicht würde es dir dann gar keinen Spaß mehr machen«, wandte sich Denise an Vicky. Gleichzeitig streichelte sie Heidis Blondschopf. Wann immer es ging, stellte sie die Arbeit zurück, um sich den Kindern zu widmen, um ihnen das Gefühl der Geborgenheit zu geben.

»Warum?«

»Weil es sehr anstrengend ist, auf einer Bühne zu tanzen.« In Gedanken sah Denise wieder das zusammenbrechende Mädchen vor sich. Dieses traurige Bild würde sie wohl noch lange verfolgen.

»Glaubst du, diese Marina mag gar nicht tanzen?« Vickys Augen wurden groß und staunend.

»Ich weiß es nicht«, gestand Denise ehrlich.

»Wie sah sie denn aus?«, wollte Henrik, Denises jüngster Sohn, der ebenso wie sein Bruder Nick die meiste Zeit in Sophienlust verbrachte, wissen.

»Sehr nett. Klein, zierlich, blond.«

»Hat sie so blaue Augen wie Pünktchen?«

Pünktchen hieß eigentlich Angelina. Sie hatte den drolligen Spitznamen ihren vielen Sommersprossen auf dem Stupsnäschen zu verdanken. Sie war schon viele Jahre in Sophienlust und betrachtete das schöne Gut als ihre Heimat.

»Ich weiß es nicht. Das konnte ich nicht so genau sehen.« Liebevoll legte Denise den Arm um die kleine Heidi, die mit ihren nicht ganz sauberen Fingern mit den Knöpfen von Denises Bluse spielte. Doch was tat das? Wichtig war doch nur, dass Heidi sich geborgen fühlte.

»Wenn sie blond ist, gefällt sie mir. Blonde Mädchen sind Zucker!« Diesen Ausdruck hatte Henrik bei den Großen aufgeschnappt und musste ihn natürlich sofort anbringen.

Denise zog verblüfft die Augenbrauen hoch, erwiderte aber nichts. Sie hatte die Erfahrung gemacht, dass auf solche Ausdrücke am raschesten verzichtet wurde, wenn man ihnen keine Beachtung schenkte.

»Dürfen wir sie auch tanzen sehen?«, erkundigte sich Heidi.

»Das wird leider nicht gehen. Das Ensemble gastiert nicht länger in Maibach«, antwortete Denise und war mit ihren Gedanken schon wieder bei der unerfreulichen Szene im Theater.

Heidi blinzelte, was ein sicheres Zeichen dafür war, dass sie die geliebte Tante Isi nicht verstanden hatte. Auch die anderen Kinder machten recht verlegene Gesichter.

»Was heißt denn das?«, platzte ein kleiner Rotschopf heraus.

»Dass die Tanzgruppe weiterzieht.«

»Wohin?«

»Vielleicht nach Stuttgart oder München.«

»Dann können wir Marina gar nicht sehen?« Henrik machte ein enttäuschtes Gesicht und zog einen Schmollmund.

»Leider nicht.«

»Och, das ist doch langweilig.« Henrik trollte sich davon.

Vicky schloss sich dem Jungen an. »Wir suchen Nick und Pünktchen«, rief sie über die Schulter zurück.

»Ich darf bei dir bleiben, nicht wahr?«, fragte Heidi und kuschelte sich behaglich in Denises Arme. »Ich störe dich auch gar nicht, wenn du deine Briefe liest. Ich bin ganz ruhig.«

»Ich bin auch ganz ruhig«, versicherte der kleine Rotschopf, der in Heidis Alter war. Er ließ sich neben dem Sessel nieder und zog ein kleines Spielauto aus der Tasche.

»Ihr dürft bleiben.« Denises Stimme klang warm und mütterlich. Die junge Frau nahm einen Brief hoch und begann ihn zu lesen. Doch immer wieder wanderten ihre Gedanken ab.

*

Schon zum zweiten Mal besuchte Oberarzt Dr. Greiner an diesem Vormittag die kleine Marina. Er zog ein kleines Geduldsspiel aus der Tasche und reichte es der Patientin. »Damit es dir nicht so langweilig wird«, meinte er schmunzelnd.

»Oh, für mich?« Marinas dunkle Augen leuchteten vor Freude. Sie hatte den freundlichen Arzt sofort gemocht.

»Ja. Weil du so tapfer warst, als ich dir die Spritze gab.« Ganz nebenbei richtete Dr. Greiner das Kind auf, streifte ihm das Hemdchen hoch und horchte die Brust ab. Nachdenklich sah er auf das Elektrokardiogramm. Dank ausgezeichneter Medikamente war die Herztätigkeit wieder fast normal.

»Das ist ein Puzzle-Spiel, nicht wahr?« Marina begann bereits die Plastikklötzchen, die in einem festen Rahmen waren, zu verschieben. »Was gibt das denn für ein Bild?«

»Das wird nicht verraten. Das findest du ganz allein heraus.« Wohlwollend klopfte Dr. Greiner der Kleinen auf die Schulter und drückte das schmale Körperchen wieder sanft in die Kissen. Er machte sich einige Notizen und verließ dann das Krankenzimmer.

Draußen stieß er beinahe mit einem Mann zusammen, der etwas kleiner und schmächtiger war als er.

»Ich bin Oswald Thormann«, stellte sich der Fremde vor. »Ich möchte meine kleine Tochter abholen.«

»Marina?« Dr. Greiner betrachtete den Mann interessierter. »Das wird schlecht gehen, weil sie mindestens eine Woche Bettruhe braucht.«

»Nur, weil ihr kurz schlecht wurde? Hören Sie, Doktor, das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Sie wissen wohl nicht, dass jeder Tag hier einen empfindlichen Ausfall für Marina bedeutet?«

»Es war ein Herzanfall«, antwortete der Mediziner sachlich. »Marina hat sich – vermutlich durch Überanstrengung – während des Wachstums einen Herzschaden zugezogen.«

»Überanstrengung«, wiederholte Oswald Thormann abfällig. »Das ist doch ausgeschlossen.« Er machte ein entrüstetes Gesicht. Doch das war nur Schauspielerei. Sehr genau wusste er, dass er die Gesundheit des Kindes über Gebühr strapaziert hatte. Es gab Tage, an denen Marina acht bis zehn Stunden üben musste. Hart und unnachsichtig achtete er darauf, dass sich die Kleine nicht schonte. Denn nur so konnte sie zu Höchstleistungen kommen, zu jenen Höchstleistungen, die an großen Bühnen gefordert wurden. Und es sollten große Bühnen sein, an denen Marina tanzte.

»Es könnte auch eine unbehandelte Erkältung gewesen sein – oder beides zusammen«, räumte Dr. Greiner nachgiebig ein. »Jedenfalls lässt sich der Schaden nur dann beheben, wenn Marina sich ab sofort schont. Sie darf weder tanzen, noch Sport treiben und muss mindestens acht Tage liegen.«

Oswald Thormann schnappte nach Luft.