Broken - Akira Arenth - E-Book

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Akira Arenth

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Beschreibung

"Das Gesicht eines Menschen erkennst du bei Licht, seine Seele im Dunkeln." Broken - Farbensplitter Sammelband - Print 646 Seiten Genre: Gay / Thriller / Dark Romance Bjorn Lindqvist wuchs bei kultivierten und liebevollen Eltern im liberalen Dänemark auf, wo seine Homosexualität nie ein Problem darstellte. Er war schon immer ein selbstsicherer, leidenschaftlicher Analytiker und ging, wie einst seine Mutter, zum Studieren nach Berlin, um sich dort auf Rechtspsychologie zu spezialisieren. Er begann eine Beziehung mit dem attraktiven Daniel und steht jetzt kurz vor seinen Prüfungen zum Masterabschluss, mit dem er den Grundstein für ein gutes, wohlsituiertes Leben legen will. Jemand wie er kann sich nur schwer vorstellen, dass Dinge wie Sport, Wohlstand und beruflicher Erfolg von einem auf den anderen Tag völlig bedeutungslos sein können. Doch genau das passiert, als Nicu seinen Weg kreuzt. Dieser junge Mann, ein gepiercter, langhaariger Vamp, der eigentlich gar nicht sein Typ ist und noch dazu ganz offensichtlich unter harten Drogen steht, fasziniert ihn mit seiner hemmungslosen Art wie niemand zuvor. Als Bjorn ihn dann, wenig später und scheinbar vollkommen zufällig, in einer Gasse liegend wiederfindet, beschließt er, ihm zu helfen. Dabei ahnt er nicht, dass er mit dieser guten Tat in etwas hineingerät, das ihm jegliche Kontrolle entzieht. Diese Trilogie befasst sich mit Wahnvorstellungen, Freiheitsberaubung, schweren Psychosen, Vampirismus, einer kontroversen Art der Traumabewältigung und schließlich auch mit einer Liebe, die unter sehr ungewöhnlichen Umständen erblüht.

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Klappentext
Vorwort
Kapitel 1 - Sonnenuntergang
Kapitel 2 - Böses Erwachen
Kapitel 3 - Elende Analysen
Kapitel 4 - Allein
Kapitel 5 - Ein Licht im Dunkeln
Kapitel 6 - Vogelfrei
Kapitel 7 - Alles weiß
Kapitel 8 - Wieder vereint
Kapitel 9 - Nach Hause
Kapitel 10 - Ein ungebetener Besucher
Kapitel 11 - Zurück ins Leben
Kapitel 12 - Der Feind in meinem Bett
Kapitel 13 - Host
Kapitel 14 - Ein Netz aus Lügen
Kapitel 15 - Reue
Kapitel 16 - Zeit heilt alle Wunden
Erläuterung der Fachbegriffe
Nachwort
Danksagungen
Impressum
Fußnoten

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sammelband

Klappentext

Gay / Thriller / Romance

 

Das Gesicht eines Menschen erkennst du bei Licht,

seine Seele im Dunkeln.

 

Bjorn Lindqvist wuchs bei kultivierten und liebevollen Eltern im liberalen Dänemark auf, wo seine Homosexualität nie ein Problem darstellte. Er war schon immer ein selbstsicherer, leidenschaftlicher Analytiker und ging, wie einst seine Mutter, zum Studieren nach Berlin, um sich dort auf Rechtspsychologie zu spezialisieren. Er begann eine Beziehung mit dem attraktiven Daniel und steht jetzt kurz vor seinen Prüfungen zum Masterabschluss, mit dem er den Grundstein für ein gutes, wohlsituiertes Leben legen will. Jemand wie er kann sich nur schwer vorstellen, dass Dinge wie Sport, Wohlstand und beruflicher Erfolg von einem auf den anderen Tag völlig bedeutungslos sein können. Doch genau das passiert, als Nicu seinen Weg kreuzt. Dieser junge Mann, ein gepiercter, langhaariger Vamp, der eigentlich gar nicht sein Typ ist und noch dazu ganz offensichtlich unter harten Drogen steht, fasziniert ihn mit seiner hemmungslosen Art wie niemand zuvor. Als Bjorn ihn dann, wenig später und scheinbar vollkommen zufällig, in einer Gasse liegend wiederfindet, beschließt er, ihm zu helfen. Dabei ahnt er nicht, dass er mit dieser guten Tat in etwas hineingerät, das ihm jegliche Kontrolle entzieht.

 

Dieses Buch befasst sich mit Wahnvorstellungen, Freiheitsberaubung, schweren Psychosen, Vampirismus, einer kontroversen Art der Traumabewältigung und schließlich auch mit einer Liebe, die unter sehr ungewöhnlichen Umständen erblüht.

 

 

 

 

 

 

 

 

Sammelband

 

Akira Arenth

Vaelis Vaughan

 

 

 

 

 

 

 

 

Vorwort

 

Die Seele ist wie ein See.

Jeder Stein, der hineingeworfen wird, schlägt für eine gewisse Zeit Wellen. Irgendwann beruhigt sich die Oberfläche wieder, doch die Steine bleiben für immer am Grund liegen.

 

 

Kapitel 1 - Sonnenuntergang

 

Leises Prasseln dringt in mein Unterbewusstsein und mischt sich mit dem Rauschen der vorbeifahrenden Autos, doch ich nehme all diese Geräusche nur unterschwellig wahr.

Vollkommen versunken hänge ich über einem dicken Lehrbuch aus der Universitätsbücherei und versuche, mir die letzten, noch unsicheren Formulierungen im richtigen Wortlaut einzubläuen, während ich leise vorlese und mir immer wieder Notizen auf Karteikarten mache.

»... ist, genau wie andere komplexe Belastungsstörungen eine traumatische Genese. Es treten häufig Symptome wie Amnesie und Depersonalisation auf, die -« Plötzlich landen kalte Tropfen auf meinem Arm und ich schaue auf. »Njaah! So ein Mist!« Ich habe gar nicht bemerkt, dass es zu regnen angefangen hat, doch inzwischen schüttet es wie aus Eimern und mein halber Tisch ist nass.

Hastig springe ich auf und schließe beide Fenster, ehe ich ein bereits getragenes T-Shirt von meinem Bett nehme und damit die Bücher abtupfe. Anschließend wische ich einmal über Fensterbank und Schreibtisch, um zumindest die gröbsten Pfützen aufzunehmen.

Danach werfe ich das nun klatschnasse Kleidungsstück in den Wäschekorb und bleibe noch einen Moment stehen, um meine schmerzenden Schultern zu dehnen.

Mit den Fingern fahre ich mir durch meinen aufsteigend rasierten Nacken und stelle an den fingerlangen, hellbraunen Zotteln auf meinem Oberkopf fest, dass mein letzter Friseurbesuch schon wieder viel zu lange her ist. Dabei schaue ich zum Bahnhof Schönhauser Allee hinüber, schiebe meine Brille höher, die mir ständig von der Nase rutscht, und meine Gedanken driften ab.

Die Stargarder Straße verschwimmt hinter einem grauen Wasserschleier und die Lichter der Straßenlaternen flackern im Gewitter. Einige Menschen rennen unter die überdachten Straßenbahnhaltestellen und ein paar Jugendliche richten sogar ihre Fäuste gen Himmel, als würde es irgendwas bringen, den Wolken zu drohen.

Schließlich wende ich mich ab und überlege, ob ich mir nun, da ich schon mal stehe, schnell noch ein belegtes Brot oder eine Suppenterrine mache, ehe ich weiterarbeite. Allerdings habe ich gerade wenig Ambitionen, in die Küche zu gehen, denn dazu müsste ich am offenen Wohnzimmer vorbei, in dem Daniel, mein Freund, mit seinen drei Kumpels Mike, Bastian und Pascal sitzt. Es ist Freitagabend, sie glühen vor, sind hörbar in Partylaune und wollen noch ausgehen. Ich hingegen habe gleich gesagt, dass ich mich auf die Verteidigung meiner empirischen Masterarbeit fokussieren muss und deshalb zu Hause bleibe.

Innerhalb von sieben Monaten habe ich eine Studie zu dem vorgegebenen Thema Deliktorientierung in der Behandlung von Straftätern, welche die Analyse eines Delikts für diagnostische und prognostische Zwecke umfasst, durchgeführt. Ich musste eigene Forschungsfragen entwickeln und freiwillige Teilnehmer mithilfe einer selbst gewählten Untersuchungsmethode falsifizieren oder verifizieren. Satte achtundsiebzig Seiten sind es letztendlich geworden, und das Ganze habe ich, in mehrfacher Ausführung, als Hardcover mit dem Titel in Metallicfarben drucken lassen, um der Arbeit eine noch hochwertigere Erscheinung zu verleihen.

Kommenden Montag stehe ich nun vor dem Kolloquium meiner Universität und muss jeden einzelnen Satz meiner Arbeit fachgerecht und souverän erläutern können. Dies wird, gelinde gesagt, der wichtigste Tag meines Lebens und da muss ich mich ganz sicher nicht am Wochenende zuvor volllaufen lassen!

Noch einmal hebe ich die Arme hoch, strecke mich gähnend und bemerke dabei, dass ich mal wieder duschen müsste. Eigentlich wäre heute auch die perfekte Gelegenheit, ausgiebig zu baden, wenn nachher alle weg sind und ich das seltene Vergnügen habe, ganz allein in unserer kleinen Dreizimmerwohnung zu sein.

›Nur ein halbes Stündchen vor dem Schlafengehen. Das beruhigt sicher auch meine Nerven.‹

Seit Wochen bin ich zu nervös zum Schlafen. Woran das liegt, kann ich gar nicht genau sagen. Vermutlich an meinen Prüfungsängsten, aber mein Hirn ist auch tagsüber ruhelos und wälzt jeden Abend alle Probleme durch, die ich je hatte, gerade habe oder noch haben könnte! Es ist wirklich anstrengend.

Meine Finger gleiten über den dicken Einband des obersten Wälzers auf meinem Bücherstapel und ich kann es mir nicht verkneifen, tief zu seufzen.

Warum habe ich mich ausgerechnet auf Rechtspsychologie spezialisiert? Klar, dazu könnte ich eine einstudierte Antwort über mein unerbittliches Helfersyndrom herunterbeten, aber die Wahrheit ist: Ich weiß es nicht. Der menschliche Geist, in all seinen verkorksten Facetten, hat mich einfach schon immer interessiert. Je komplexer, desto besser, und genau deswegen habe ich auch vor, sobald ich ein paar Erfahrungen gesammelt habe, mich in der sozialtherapeutischen Abteilung für Gewaltdelikte einer Justizvollzugsanstalt als Gefängnispsychologe anstellen zu lassen.

Mein Magengrummeln erinnert mich recht nachdrücklich an mein ursprüngliches Vorhaben und ich gehe zur Zimmertür, an der ich kurz horche. Natürlich sind sie noch da. Lautes Lachen mischt sich mit eingängiger Techno-House-Mucke und dem klirrenden Aneinanderschlagen von Bierflaschen. Mit einem kurzen Blick auf mein Handy stelle ich fest, dass es bereits nach halb neun ist, also sollten sie eigentlich langsam verschwinden.

Plötzlich höre ich in all dem Gerede meinen Namen und kurz darauf Daniels Stimme, der sich in seiner typisch angesoffenen, redseligen Art echauffiert. Vermutlich allgemein über unsere eingeschlafene Beziehung oder direkt über mich, und was für ein Langweiler und Spielverderber ich doch bin, nur weil ich mein Studium ernst nehme. Manchmal betitelt er mich sogar als karrieregeil, weil ich meinen beruflichen Werdegang angeblich über alles stelle. Allerdings habe ich kein Problem damit, dass er sich bei anderen über mich auskotzt, denn wir sind jetzt fast zwei Jahre zusammen, mehr oder weniger, und da lernt man nun mal auch Seiten am Partner kennen, die man nicht so mag. Ich kann ihn schließlich auch nicht in all seinen Facetten leiden.

Entschlossen ziehe ich meine lockere Sporthose höher, öffne vorsichtig die Tür und schleiche, so gut ich mit meinen fünfundachtzig Kilo eben schleichen kann, durch den Flur. Überraschenderweise schaffe ich es tatsächlich, ungesehen am offenen Wohnzimmer vorbei in die Küche zu gelangen, denn die Jungs quetschen sich gerade alle um Daniel und seinen Laptop, auf dem es wohl irgendwas Hochinteressantes zu sehen gibt. Fast bin ich ein wenig neugierig, was die Herrschaften denn so plötzlich verstummen lässt, aber ich reiße mich zusammen und konzentriere mich auf mein Ziel.

Zum Glück finde ich zumindest noch eine Instant-Tomatensuppe für die Tasse, werfe mir dazu zwei Scheiben Brot in den Toaster und beschließe, nochmal in den Spätkauf schräg gegenüber zu gehen, bevor wir am Wochenende elendig verhungern. Wenn die vier Schnapsdrosseln alle irgendwann in den frühen Morgenstunden zurücktorkeln, wird wohl keiner von ihnen noch dazu fähig und solvent genug sein, etwas Essbares vom Bäcker mitzubringen.

»Heeeey Tigeeeeer!«

Mist. Ich wurde entdeckt.

»Hey Danny.« Eine ordentliche Bierfahne erreicht meine Nase, Hände umschlingen mich von hinten und zupfen sich gleich darauf ein Stück von meinem frisch geschmierten Butterbrot ab. Strafend schaue ich über meine Schulter, doch mein Freund grinst mich nur besoffen an. Mit seinen teilblondierten Haaren und dem modischen Long-Fade-Haircut sieht er ein bisschen aus wie der Sänger einer Popband, aber er war ja schon immer sehr stylisch. »Und? Wo gehts heute hin? Wäre vielleicht besser für dich, wenn ich weiß, wo ich dich im Notfall von der Tanzfläche kratzen muss.«

»Ha-ha!« Na zumindest ist er noch nicht so betrunken, dass er keinen Sarkasmus mehr erkennt. »Mike hat uns von einem neuen Club erzählt, der erst vor zwei Monaten aufgemacht hat. Supergeil! So ein richtiges Riesenteil!«

Prustend schüttle ich den Kopf. »Alles klar, jetzt weiß ich, warum du da unbedingt hin willst.« Ich spüre, wie er in meinen Nacken schnauft und mir dann in die Seite zwickt. »Aua! Lass das!«

»Wenn du nie mitkommst, brauchst du dich auch nicht zu wundern, wenn ich mit anderen flirte! Mehr als ein bisschen Fummeln ist außerdem noch nie passiert!«

»Ja, ich weiß«, schnaufe ich. »Ist ja bei uns auch nicht anders.«

Daniel lässt mich los und giftet mich an: »Fängst du jetzt echt wieder damit an? Mein Gott, hört das denn nie auf?«

»Ja, tut mir leid. Ich kann meine Bedürfnisse eben nicht ewig unterdrücken!«

›Mann! Wieso tue ich das schon wieder? Ich wollte ihn doch nicht mehr provozieren und einfach den Mund halten, wenn das Thema aufkommt!‹

»Miiiiiike!«, blökt mein Lover plötzlich nach seinem besten Freund und verschränkt die Arme, während er seine linke Augenbraue zucken lässt und mich mit diesem ’wir werden dich gleich in Grund und Boden argumentieren ’- Blick ansieht.

»Was ist los?« Sein Unterstützer linst sofort breit grinsend um die Ecke, nicht ahnend, in was er da mit hineingezogen wird.

»Bjorn fängt schon wieder mit seinen Vorlieben an!«

Ehe Mike richtig begreift, worum es geht, gieße ich das kochende Wasser auf mein Suppenpulver, rühre um und schnappe mir das zweite Brot, um zurück in mein Zimmer zu gehen.

»Ich hab jetzt echt keinen Nerv für solche Diskussionen. Viel Spaß euch, bis morgen!«

»Hey! Bleib hier! Du kannst nicht immer bei jedem Streit wegren-«

»Das ist kein Streit, das ist nur eine Meinungsverschiedenheit«, falle ich ihm ins Wort. »Und doch – ich kann! Bye!« Rums – schon knalle ich ihm die Tür vor der Nase zu. Nicht die feine englische Art, ich weiß, aber leider neigt Daniel zu extrem ausschweifenden Diskussionen, wenn er etwas getrunken hat, und dafür hab ich heute wirklich keinen Elan mehr.

Gefrustet setze ich mich wieder an meinen Schreibtisch, ziehe mein Lehrbuch heran, beginne zu essen und fühle mich furchtbar. Ich weiß, dass es nicht sein kann, da die Musik alles überschallt, aber ich bilde mir ein, Danny vor meiner Tür schluchzen zu hören, und das zermartert mich.

Ja, auch wenn ich im Allgemeinen eher taff und wahrscheinlich ein wenig bestimmend bin, hab ich doch einen recht weichen Kern. Wenn ein Kerl, den ich mag, vor mir in Tränen ausbricht, halte ich den Anblick kaum aus und tue praktisch alles, um ihn wieder glücklich zu machen.

Auf die Art hat Danny schon viermal verhindert, dass ich mich von ihm trenne.

Ich weiß, dass er mit meinen Neigungen nichts anfangen kann, und ich habe ihn natürlich auch nie bedrängt, weil ich der Meinung bin, dass man so etwas Intimes von selbst wollen sollte. Aber in Bezug auf seinen Hintern ist der Kerl verschlossener als die deutsche Staatskasse.

Ich weiß, seine Einstellung ist nichts Ungewöhnliches, auch nicht in der Homoszene, und die meisten unserer Freunde, egal ob männlich oder weiblich, hatten ebenfalls noch nie Analverkehr, weder aktiv noch passiv. Dabei ist es vollkommen schnurz, welches Geschlecht sie als Sexpartner bevorzugen. Aber Fakt ist auch, dass wir in unserer gesamten Beziehung noch nie über Hand- und Blowjobs hinausgekommen sind, und ich habe die ganze Zeit das Gefühl, das Beste zu verpassen. Das mag durchaus auch an den Pornos liegen, die ich mir ansehe, aber mich reizt der Gedanke eben enorm, zumindest als Top. Switchen kommt für mich nicht in Frage, dafür bin ich viel zu dominant und – ja, auch ein wenig kontrollsüchtig, das geb ich zu. Leider hatte ich aber auch noch nie einen Partner, mit dem ich so richtig in die Vollen gehen konnte, und wenn ich mit Danny zusammenbleibe, werde ich das wahrscheinlich auch niemals.

Plötzlich klopft jemand an meiner Tür, und da Daniel immer einfach hereinplatzt, muss es einer seiner Freunde sein, den er vorgeschickt hat.

Nach einem kurzen »Ja, bitte?« kommt Mike herein, lächelt verlegen und scheint sich in seiner Rolle als Botenjunge wenig wohlzufühlen.

»Wir wollen gleich los, aber Danny ist echt sauer auf dich«, beginnt er seine vorwurfsvolle Einleitung. »Willst du dich nicht schnell entschuldigen und dann doch mitkommen?«

Genervt stöhnend wiederhole ich mich: »Nein!!! Ich muss mich auf meine mündliche Prüfung am Montag vorbereiten und das weiß er genau!«

»Aber er sagt, du büffelst schon seit Monaten und kannst den ganzen Quark längst!«

›Ach? Schön zu wissen, dass mein Studium für ihn nichts als ein billiges Magermilchprodukt ist!‹

»Es würde ihm echt viel bedeuten«, quengelt er weiter. »Außerdem heult er uns sonst wieder den ganzen Abend die Ohren voll, was für ein unsensibler und egozentrischer Stubenhocker du bist.«

›Ah. Daher weht also der Wind. Er will sich also eigentlich nur nicht die ganze Zeit sein Genörgel anhören.‹

Mürrisch schaue ich noch einmal auf mein Handy und gebe mich schließlich geschlagen. »Na schön.« Zum Lernen bin ich inzwischen eh zu müde und ich will an diesem Wochenende partout keinen Beziehungsstress. »Der eine Abend wird mir wohl nicht das Genick brechen. Ich geh mich eben duschen und ziehe mich um, aber spätestens um zwei will ich zurück sein!«

***

Der Club ist weiter weg als erwartet und auch der Regen hält an, doch da wir sowieso mit dem Taxi fahren mussten, ist Letzteres nicht so schlimm. Die Musik konnte man schon zwei Straßen vorher hören, und dank der farbwechselnden Leuchtreklame mit dem Namen des Clubs sowie den opulenten Dachstrahlern ist er auch schwer zu übersehen.

Wir geben unsere Jacken an der Garderobe ab und die ganze Zeit verfluche ich mich dafür, dass ich inzwischen so gut wie jeden Menschen, der mir begegnet, unterbewusst analysiere. Das fing beim Taxifahrer an, der unignorierbar nach Opiumräucherstäbchen gestunken hat, so wie sie oft in erotischen Massagestudios und ähnlichen Etablissements verwendet werden, führte über den Türsteher mit der seltsamen Brandnarbe am Hals und gipfelt gerade in der vollständig pink gekleideten Jackenweghängefachkraft, mit dem goldenen Glitzerlipgloss, welcher zwischen gut dreißig abstoßend bunten Plastikhalsketten eine schlichte, hölzerne Gebetskette trägt. Unweigerlich rattert mein Hirn bei jeder einzelnen Person verschiedene Charakterinterpretationen durch, studiert ihre Haltung, die Wahl ihrer Kleidung, die Art ihrer Blicke oder deren Vermeidung. Es erstellt richtige Profile, in die ich alle möglichen Theorien in Bezug auf Herkunft, Familie, Gewaltpotential und Persönlichkeitsentwicklung hineininterpretiere.

Das ist verdammt anstrengend!

Ich kann nichts dafür und es liegt auch nicht an der Wahl meines Studiums, eher andersherum. Schon als kleines Kind hab ich mit Vorliebe alles durchleuchtet, was mir vor die Nase kam. Ich hoffe jedoch, dass meine zukünftige Arbeit mein permanentes, inneres Bedürfnis nach Ermittlungen stillt. Zumindest so weit, dass ich irgendwann im Alltag einfach mal wieder mit jemandem ein Bier trinken kann, ohne mir die ganze Zeit darüber den Kopf zu zerbrechen, ob er wohl von seiner Mama fleißig gestillt oder misshandelt wurde.

Wummernde Bässe, gemischt mit hochtönenden Trance-Beats, dröhnen durch meine Ohren, als wir die Treppe hinab in den riesigen, bebenden Saal gehen, der völlig überfüllt ist. Danny ist trotzdem hin und weg und bekommt kaum den Mund wieder zu.

»Guckt euch die Leute an! Nur heiße Feger«, staunt er, obwohl das kein Wunder ist, wenn der Türsteher noch penibler als die Typen im Berghain Einlasskontrolle macht. Angesichts dessen finde ich es auch mehr als seltsam, dass ich mit meiner alten Jeansjacke, dem ausgeblichenen Hemd und den abgelatschten Turnschuhen reingekommen bin. Vermutlich bin ich nur durch mein freundliches Guten Abend und meine stylischen Freunde durchgerutscht.

»Lasst uns mal nach einer freien Sitzecke suchen«, ruft Teamleader Danny und zieht mich so aus meinen Gedanken. »Sollte es überhaupt noch eine geben ... hier ist ja echt was los!«

Zum Glück habe ich mich dafür entschieden, mir Kontaktlinsen einzusetzen, allerdings steckt meine blau umrahmte Brille zur Sicherheit trotzdem in meiner Jackentasche. Den Gittertreppen, blanken Stahlträgern und Betonböden nach zu urteilen, war dieses Gebäude ursprünglich eine Fabrik. Das Dach wird durch große Säulen gestützt und über den Sitzbereichen gibt es eine Art Gitterbrückensystem zu einer offenen Lounge-Ebene, doch an den Aufgängen zu dieser, hängen frottierte Absperrketten mit VIP-Schildern.

Aufgrund meiner Größe habe ich meist einen ganz guten Überblick, doch um uns herum springt alles auf und ab, weshalb es schwer ist, nicht die Orientierung zu verlieren. Während ich also noch immer etwas hilflos im Saal umherschaue und nach einem freien Eckchen suche, bleibt mein Blick plötzlich an einem attraktiven Kerl mit sportlich-drahtiger Figur hängen, der auf einer der VIP-Treppen sitzt. Er schaut mir direkt in die Augen, als hätte er mich schon die ganze Zeit taxiert, obwohl das in dem Gemenge praktisch unmöglich ist. Dann legt er auf einmal den Kopf schief, grinst mich aufreizend an und hebt sogar die Hand, deren Finger sich wie in einem leichten Windspiel bewegen.

Sofort, als wäre eine Art Jagdinstinkt geweckt, spüre ich schlagartig, wie mein Herz schneller schlägt und sich eine Flut von kribbelndem Adrenalin in mir ausbreitet. Dabei ist er eigentlich überhaupt nicht mein Typ! Am ehesten würde ich ihn in die Gothicschiene einordnen, denn er hat sich ganz offensichtlich Kajal um die Augen gezogen und besitzt brustlange, leicht gewellte, dunkle Haare, die bläulich schimmern. Auch die offene Lederjacke, das Nietenhalsband und die schwarze Jeans im Bootcutschnitt passen ins Bild. Völlig gegensätzlich dazu trägt er jedoch ein hautenges, hellblaues Lacktanktop?!

»Da drüben«, höre ich Danny wie durch ein altes, rauschendes Telefon rufen und spüre, wie ich an meiner Hand in die andere Richtung gezogen werde. »Pascal hat was!«

Für eine Sekunde schaue ich meinen Freund an, nicke jedoch nur, weil ich gerade nicht zu sprechen fähig bin, doch als ich zurückblicke, ist der faszinierende Fremde bereits weg.

»Und? Hab ich zu viel versprochen? Um Mitternacht soll es noch eine Show mit ein paar richtig geilen Tänzern geben!« Mike ist ganz offensichtlich überaus stolz, dass er uns alle hergeschleift hat.

»Der Laden ist der Oberhammer«, bestätigt ihn Danny und schwingt seinen Körper bereits im Takt der Musik hin und her. »Aber ich will erst was trinken, bevor wir tanzen gehen!« Innerlich zähle ich schon bis drei und schnalze mit der Zunge, weil ich genau weiß, was jetzt kommt. Zack schauen mich zwei große braune Augen bettelnd an. »Bjoooorn, holst du mir ’nen Cockie? Du weißt ja, was ich mag!«

›Nein! Sag nichts! Verkneif dir jeden Kommentar!‹

Ehe ich jedoch darauf antworten kann, kommt mir Mike bereits zuvor. »Na los, komm, wir gehen schnell zusammen. Basti, Pascal, was wollt ihr?«

»Kirschbier«, bestellt der eine und »Mai Tai« der andere. Daraufhin kriege ich von Danny einen Kuss auf die Wange und werde Richtung Bar geschubst.

***

Etwa zehn Minuten später halte ich zwei randvolle Cocktailgläser in den Händen und eiere, so bedächtig es geht, durch die hüftschwingende Masse glitzerbestäubter, halbnackter Typen.

»Vorsicht. Sorry. Darf ich mal? Danke. Entschuldigung. Kann ich mal durch? Sorry. Vorsicht ...« Ich komme mir vor wie ein verfluchter, seiltanzender Papagei!

›Warum bin ich nicht einfach zu Hause geblieben?‹

Unglaublich, dass ich mich dazu habe überreden lassen. Nein, nicht zum Getränkeholen, sondern überhaupt in diesen verdammten Club zu gehen!

›Ja, dann bin ich eben ein Partymuffel! Na und? Kann ja nicht jeder so extrovertiert sein wie Danny und seine - ... Wo ist Mike eigentlich?‹

Eben lief er noch vor mir, doch nun fehlt von ihm jede Spur. Sobald er seine drei Drinks hatte, stiefelte er mit einem saloppen »Mir nach« los und ich kam kaum hinterher. Jetzt hab ich ihn tatsächlich zwischen all den zappelnden Kerlen, den Reflexionen der exorbitant riesigen Discokugel und den bunten Laserstrahlen aus den Augen verloren und meine Orientierung ebenfalls.

›Verdammt!‹

Jede Ecke in diesem blöden Saal sieht gleich aus! Genau genommen gibt es noch nicht mal Ecken, denn die fest installierten Sitzgruppen sind wellenmäßig um die gesamte Tanzfläche herum angeordnet, und in deren Mitte hüpft die schwule Legion wie schwachsinnig auf der Stelle. Irgendwann schaffe ich es, mich an eine der Randsäulen zu navigieren, und halte nach meinem Freund, dessen Kumpels oder wenigstens irgendeinem Anhaltspunkt Ausschau, doch ich finde absolut nichts, woran ich mich orientieren kann.

»Okay. Ganz ruhig.« Ich atme tief durch, was ich gleich darauf bereue, denn die Luft ist durchtränkt von Schweiß, Rauch und künstlichem Nebel, der als besonderes Gadget alle paar Minuten durch die Leute gesprüht wird. »Also, eins nach dem anderen. Das DJ-Pult ist gegenüber der Bar ... äh ... ah ja, da! Das heißt, die Jungs müssten -«

»Hey, Großer«, spricht mich plötzlich jemand von der Seite an und ich drehe mich um. Natürlich ist es ausgerechnet der Typ, mit dem ich vorhin so intensive Blicke ausgetauscht hatte. Er lehnt rücklings an einer der Säulen und erst jetzt erkenne ich, dass er Piercings in seinem Gesicht hat. In der Unterlippe trägt er einen Halbring mit Kugeln, an denen zwei feine Ketten befestigt sind. Diese führen zu seinem rechten Ohr, in dem ebenfalls mehrere silberne Ringe stecken. Wenn er damit irgendwo hängen bleibt oder ihn jemand daran zieht ... Autsch! Nein, ich möchte es mir gar nicht vorstellen! Eine seiner Augenbrauen wird von einem gedrehten, schwarzen Pfeil durchbohrt, und auch in seinen sich deutlich durch das enge Oberteil abzeichnenden Nippeln stecken anscheinend kleine Stäbe mit Kugeln an den Enden. Weiß Gott, wo der Kerl sonst noch gepierct ist, aber ich will gar nicht weiter darüber nachdenken, denn ich merke jetzt schon, wie mich sein verruchtes Grinsen und sein glasiger Blick antörnen.

»Hey«, quetsche ich irgendwann hervor, um nicht völlig gehirnamputiert zu wirken.

»Swimming Pool?«

»Häh?« Ich verstehe erst, was er meint, als er auf den blauen Cocktail in meiner rechten Hand zeigt, denn er ist so verschwitzt, dass man wirklich denken könnte, er sei gerade aus dem Wasser gekommen oder wolle dahin zurück, um sich abzukühlen. »Ähm ... nein, das ... ist ein ... Blue Lagoon«, stammle ich, was normalerweise überhaupt nicht meine Art ist, doch dieser Kerl sieht mich derart durchdringend an, dass mir richtig schwummrig wird. Könnte aber auch an der dicken Luft liegen.

»Egal. Hauptsache, die Farbe stimmt«, antwortet er frech kichernd, zieht dabei die Nase kraus und die Schultern hoch. »Ich steh auf Blau.«

Sieht man. Allerdings hat der Gute sicher nicht nur Alkohol intus, wenn ich mir seine geweiteten Pupillen so ansehe, die sich nicht mal mehr zusammenziehen, wenn einer der grellen, bunten Strahler über sein Gesicht schwenkt. Ich bemerke zwar gleichzeitig, dass er unglaublich verführerische, türkisfarbene Augen hat, dennoch besteht kein Zweifel daran, dass der Kerl vollkommen zugedröhnt ist.

»Ja, ähm ... schön«, stottere ich unbeholfen weiter und deute mit dem Zeigefinger über meine Schulter. »Ich ... muss dann jetzt mal -«

»Würdest du mir den Cocktail geben?«, fragt er plötzlich, löst sich von seiner Stütze und schwankt auf mich zu, während mich sein Blick förmlich durchbohrt.

»Äh, nein ... das geht nicht.« Automatisch weiche ich einen Schritt zurück und halte das Glas höher. So langsam fasse ich mich wieder, denn ich kann es gar nicht leiden, von Fremden im Club angeschnorrt zu werden. »Warum holst du dir nicht selbst einen? Kein Geld mehr?«

»Doch, aber ... es ist so voll ... und ich traue mich nicht bis zur Bar ...« Seine Hand schiebt sich in mein offenes Hemd. »Ich geb dir gerne das Geld dafür ... oder ich revanchiere mich anderweitig ...«

Okay. Inzwischen ist es wohl unbestreitbar, dass er mit mir flirtet. Normalerweise würde ich jetzt sehr deutlich sagen, dass ich einen Freund habe und der blaue Drink für ihn ist, aber urplötzlich fühlt sich mein Hals völlig ausgetrocknet an und ich kriege kein Wort mehr heraus. Kurzerhand trinke ich einen Schluck meines Mojitos, doch noch ehe ich die kalte Mixtur die Kehle hinunterrinnen lassen kann, greift mir mein Gegenüber plötzlich in den Nacken und küsst mich. Fast schon gierig schiebt er mir dabei seine gepiercte Zunge in den Mund, saugt die Flüssigkeit heraus und leckt mir anschließend auch noch lüstern über die Lippen.

›Wow. Bis ich Danny so küssen durfte, sind fast drei Monate vergangen.‹

»Schmeckt auch gut ...«, stöhnt mir der kleine Dieb zu. »Aber ich nehme trotzdem lieber den Blauen!« Rotzfrech friemelt er mir das andere Glas aus den Fingern, das ein wenig übergeschwappt ist, und ich stehe nur noch wie eingefroren da. »Ich bin übrigens Niculae ... aber du kannst Nicu zu mir sagen. Wie heißt du?«

»Bjorn«, antworte ich kurzatmig, denn mittlerweile presst er sich so eng an meinen Körper, dass ich deutlich seinen Harten spüre, welcher sich gegen meinen drückt. Erst jetzt fällt mir auf, dass er nur geringfügig kleiner ist als ich. Also er als Person, nicht sein Schwanz ... obwohl. Der auch.

Nicu nimmt einen großen Schluck des blauen Gesöffs und meine Gewissensbisse killen mich fast. »Also? Naturalien oder Bares?«, fragt er mich dann völlig ungeniert, öffnet in einer fließenden Handbewegung seinen Gürtel und legt grinsend meinen Arm auf seine Hüfte. Welche Option er lieber hätte, ist spätestens jetzt ziemlich eindeutig und als wäre das nicht schon schamlos genug, drängt er auch noch erneut seine Lippen an meine und küsst mich so leidenschaftlich, dass mein Hirn einen Moment aussetzt. Dabei dirigiert er meine freie Hand auf seinen festen Arsch, allerdings in seine Hose, sodass mich nur noch der dünne Boxershortsstoff von seiner nackten Haut trennt.

Ich kann nicht mehr denken. Dieser Typ ist mindestens genauso untervögelt wie ich und hätte offenbar auch kein Problem mit spontanem Sex. Seine metalldurchtriebene Zunge umspielt die meine und fordert mich ausdrücklich auf, seinen Körper eingehender zu erkunden. Sein süßlich-herber Duft benebelt meine Sinne und lässt meinen Geist alles um uns herum ausblenden. Mein Schwanz pulsiert schon vorfreudig und drängt sich nun mit voller Kraft gegen meinen Reißverschluss, was langsam zu schmerzen beginnt. Meine Selbstbeherrschung bröckelt immer mehr und dann, in einem wenig durchdachten Impuls, schiebe ich diesem notgeilen Stück zwei Finger zwischen die Pobacken und massiere ganz gezielt seinen Eingang.

Ungehemmt stöhnt er auf, lässt fast sein hart erkämpftes Glas fallen und krallt sich mit der freien Hand an meiner Schulter fest, ehe er sich mir entgegen drückt. Gleich darauf zittert er erregt, knurrt mir zu und knabbert dabei geradezu unterwürfig an meiner Unterlippe.

›Kein Zweifel. Der Kerl steht drauf ... aber so richtig!‹

Auch meine Atmung wird schwerer, denn ich spüre, wie der dünne Stoff an meinen Fingern immer glitschiger wird. Er muss sich für alle Fälle schon eine ordentliche Ladung Gleitgel reingedrückt haben, um sofort bereit zu sein, falls es dazu kommt. Nicu beißt mir erregt keuchend ins Kinn und sieht mich regelrecht fiebrig an. Dann rutscht seine freie Hand nach unten, reißt hektisch erst meinen Gürtel, dann meine Hose auf und holt meine Latte heraus, die er wie von Sinnen zu wichsen beginnt, als würde er sich hier und jetzt, vor allen Anwesenden, von mir durchnehmen lassen wollen! Obendrein stöhnt er mir nun auch noch unmissverständlich zu: »Fick mich ... bitte fick mich!«

Ich drehe fast durch. Meine Muskeln verkrampfen sich bereits und ich muss mich schwer beherrschen, ihn nicht wirklich zu packen, über die nächste Sitzecke zu schmeißen und ihm meinen Schwanz reinzurammen. Es ist fast, als wäre er einer dieser unrealistisch überrattigen Pornodarsteller, die aus dem Nichts auftauchen, ihren Auserwählten bespringen und danach wieder verschwinden.

Leider wird mir in diesem Augenblick klar, dass er tatsächlich genau so ein Typ ist. Einer, der sich anscheinend schon für kleine Gefälligkeiten von jedem vögeln lässt, der seinen Weg kreuzt. Wahrscheinlich hat er auch ein ernsthaft psychisches Problem oder wenigstens einen ordentlichen Minderwertigkeitskomplex. Dazu kommt dann sein offensichtlicher Drogenkonsum und wer weiß was sonst noch.

›Nein. Ich begehe hier gerade einen großen Fehler! Das ist nur ein Kerl für eine Nacht! Selbst wenn ich ihn mit Gummi durchnehme, weiß ich nicht, was daraus resultiert, ob er mich dann stalkt oder sonst was. Für so einen werde ich meine Beziehung nicht aufs Spiel setzen!‹

Sofort ziehe ich meine Hand aus seiner Hose und schiebe ihn unmissverständlich von mir weg.

»Behalt den Drink«, gebe ich mich großzügig und will gehen, doch da packt er grob meine Hand und hält mich fest.

»Bitte hilf mir«, ruft er plötzlich schluchzend, beißt dabei die Zähne zusammen und sieht mich aus zusammengekniffenen Augen an. Verwirrt erwidere ich seinen Blick und will mich losreißen, da sagt er doch allen Ernstes: »Mein Bruder ist einVampir! Er ist eine Gefahr für alle Menschen ... bitte! Ich ... ich komme nicht alleine gegen ihn an!«

Ich starre ihm geschockt entgegen, doch er scheint wirklich zu glauben, was er da sagt?!

›Okay, der Typ ist noch durchgeknallter, als ich dachte! Es wirkt fast, als sei er nicht nur jetzt auf einem Trip, sondern generell auf irgendwas hängen geblieben.‹

»Dann geh zur Polizei«, empfehle ich ihm knapp, reiße mich los und gehe zurück in die tanzende Masse, ohne mich nochmal umzudrehen.

***

Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich meine Gruppe wiederfinde, ist mein Mojito leer und ich könnte mich selbst ohrfeigen. Danny kommt fast schon heulend auf mich zu und umarmt mich so erleichtert, als hätte er mich zehn Jahre lang nicht gesehen.

»Ein Glück, da bist du ja! Ich hab mir solche Sorgen gemacht!!! Wo warst du denn bloß?«

»Sorry«, entschuldige ich mich sofort und küsse ihn beruhigend. »Ich hab euch einfach nicht mehr wiedergefunden. In diesem Club sieht alles gleich aus und Mike war auch plötzlich weg!«

Mein Freund wirft seinem Kumpel einen strafenden Blick zu, doch der hebt nur entschuldigend die Hände und lacht. »Jaaaaaa, tut mir leid, tut mir leid. Ich dachte, du wärst direkt hinter mir!«

Pascal sitzt schon ordentlich angeschickert auf Bastians Schoß und knutscht mit ihm herum. Die beiden scheinen gar nicht gemerkt zu haben, dass ich weg war. Außerdem sind ihre Getränke leer.

»Und wo ist jetzt mein Cocktail?«, hakt Danny nach und schaut enttäuscht auf meine leere Hand. Schnell denke ich mir eine Ausrede aus.

»Ich bin ständig angerempelt worden und der Suff ist übergeschwappt! Irgendwann war meine Hand komplett nass und das Glas so gut wie leer. Also hab ich den letzten Schluck ausgetrunken und es auf einem der Tische stehen lassen.«

»Ernsthaft?« Wütend schaut er mich an. Angesichts dieses tragischen Verlustes scheint seine Sorge um mich verflogen zu sein. »Ich warte hier seit fast einer Stunde auf dich und bleibe jetzt wieder auf dem Trockenen sitzen? Du hast mir ja nicht mal was von deinem Drink übrig gelassen!«

Das stimmt. Aber die Sucherei hat mich frustriert und durstig gemacht. »Soll ich einen zweiten Versuch starten?«, biete ich an, in der Hoffnung, dass er es angesichts meiner ersten Odyssee ablehnt, und zum Glück tut er das auch.

»Danke, aber ich will schon noch was trinken, bevor wir wieder losmüssen!« Noch ehe er irgendwas sagen muss, kommt Mike angebuckelt.

»Ich geh nochmal schnell. Was willst du?«

»Einen Blue Lagoon mit doppelt Wodka.«

»Super«, knirsche ich. »Genau den hatte ich für dich besorgt.«

***

Während ich meiner Standardbeschäftigung an gemeinsamen Ausgehabenden fröne, nämlich auf die Drinks meiner Begleiter aufzupassen, schaue ich Danny und den anderen beim Tanzen zu. Inzwischen schlürfe ich meinen dritten Mojito und mache mir gewaltige Vorwürfe. Immerhin habe ich meinen Freund ja irgendwie doch ansatzweise betrogen und das, obwohl ich selbst großen Wert auf Vertrauen und Treue lege. Gleichzeitig zermartere ich mir aber auch das Hirn über Nicu.

Schon irgendwie seltsam.

Dass ich diesen skurrilen, rolligen Goth-Junkie, warum auch immer, unglaublich heiß fand, steht außer Frage. Frisch geduscht, clean, ohne Schminke, in den richtigen Klamotten und mit einem ordentlichen Haarschnitt, glaube ich, hätte ich ihm auf jeden Fall meine Nummer gegeben. Ja, da bin ich mir ziemlich sicher.

Andererseits habe ich ja gar keine Ahnung, wie sein wahrer Charakter aussieht. Vielleicht ist er im klaren Zustand, sofern er den überhaupt noch erreichen kann, eine totale Dramaqueen, eine übersensible Heulsuse oder anderweitig unaushaltbar. Apropos - viel mehr interessiert mich, was in seinem Kopf vorgeht. Mal ernsthaft: Sein Bruder ist ein Vampir? Wie kommt man auf so einen Blödsinn? Wahrscheinlich hat er nicht nur ein massives Selbstwertproblem und ist drogenabhängig, sondern leidet auch an einem fetten Geschwisterkomplex. Würde mich nicht wundern, wenn sein Bruder älter ist, vermutlich intelligenter und stärker als er, oder er wurde einfach grundlos von ihren Eltern bevorzugt. Dadurch sah Nicu ihn irgendwann als übermenschlich an und so entstand vielleicht auch seine Vampirtheorie. Das wäre jedenfalls meine erste Spontananalyse.

›Jemand wie er, der ganz sicher die ein oder andere Beschaffungskriminalität auf dem Kerbholz hat, wäre auf jeden Fall ein perfekter Studienteilnehmer für meine Masterarbeit gewesen. Und auch zwischen den Fragen hätten wir sicherlich gut harmoniert, auch wenn er ein bisschen irre ist.‹

Da fällt mir ein, dass Freud-Schüler Ferenczi mal sehr treffend formuliert hat: »Ohne Sympathie keine Heilung«. Kaum ein Patient würde sich einem Therapeuten anvertrauen, bei dem er Gleichgültigkeit, Ablehnung oder gar Verachtung spürt. Daher sagen auch unsere Dozenten immer, dass es sehr wichtig ist, seine Patienten auf irgendeine Art zu mögen, selbst wenn sie grausame Dinge getan haben. Man muss in der Lage sein, sich in sie hineinzuversetzen, verstehen wollen, warum sie so geworden sind, und Mitgefühl entwickeln. Nur dann ist man ein guter Psychologe.

›Na ja, wahrscheinlich ist es besser so. Nicu hätte eine Einladung, an meiner Studie teilzunehmen, sicher falsch verstanden. Außerdem: Er und ich allein in einem Zimmer ... mit einem Bett ... nein, das wäre nicht gut ausgegangen.‹

Natürlich muss es nicht sein, dass er immer so drauf ist wie heute, aber vermutlich würde er mich früher oder später erneut anbaggern, und ehrlich gesagt wüsste ich nicht, ob ich ihm in einem geschützten Rahmen widerstehen könnte. Die Aktion vorhin war ja schon haarscharf und das, obwohl ich eigentlich überhaupt kein exhibitionistischer Typ bin.

›Ich könnte ja so tun, als sei ich noch nicht fertig? Gebe ihm ein paar Fragen telefonisch durch ... oder treffe mich mit ihm in einem Café? ... Dort könnte man sich notfalls aufs Klo zurückziehen und ... Nein!!! Mann! Ich bin vergeben, und später bei meinen Patienten darf ich auch nicht jedes Mal nachgeben, wenn sie mir ihren Arsch anbieten! Andererseits habe ich ihn ja nicht beruflich, sondern privat kennengelernt, also zählt er nicht als Patient‹, rechtfertigt sich meine innere Stimme und klingt dabei sehr überzeugend.

Unglaublich, dass ich bereuen kann, was ich vor zwei Stunden getan habe und gleichzeitig darüber nachdenke, es wieder zu tun.

›Aber ist es denn auch verwunderlich, dass mich ein Typ geil macht, der so offensichtlich auf dieselben Dinge steht wie ich? Danny kriegt ja schon die Krise, wenn ich beim Blasen auch nur in die Nähe seines Arschlochs komme oder ihm gar meinen kleinen Finger reinschieben will.‹

Unschlüssig seufzend lasse ich mein Gesicht auf meine Unterarme sinken.

›Nein, ich kann das nicht tun. Es wäre einfach nicht richtig. Zum einen unaufrichtig gegenüber Danny und zum anderen mies gegenüber Nicu, denn dem würde ich ja auch falsche Hoffnungen machen. Außerdem bin ich kein Typ für Affären. Ich bin Steinbock vom Sternzeichen und brauche eine gewisse Beständigkeit in meinem Leben. Wahrscheinlich lasse ich mich genau deswegen auch immer wieder auf Danny ein, statt mir was gänzlich Neues zu suchen.‹

Ich fahre mir durch die gegelten Haare und beschließe, die Sache zu vergessen, doch als ich mal wieder zur Tanzfläche blicke, kriege ich schon in der nächsten Sekunde Schnappatmung.

Danny tanzt voll besoffen mit dem äußerst spendablen Mike und das alles andere als kumpelmäßig! Eng an ihn gedrückt, hat mein Freund seine Arme auf dessen Schultern platziert und krault ihm durch die kurzen Locken, während sie Stirn an Stirn herumschwofen. Mikes Hände umschlingen Dannys Rücken, rutschen gerade sehr zielgerichtet auf seinen Hintern und walken diesen sichtbar, indessen sie im Neonlicht zu psychedelischen Alienklängen hin und her schwingen. All dies wäre ja noch zu verkraften, aber als sie dann auch noch kackendreist direkt vor meinen Augen herumknutschen, zwinge ich mich, wegzusehen und den Rest meines Mojitos auszutrinken.

Ja, nach dem, was ich vorhin getan habe, fehlt mir wohl jedes Recht, mich über seine Untreue aufzuregen, aber gerade platze ich innerlich! Seltsamerweise jedoch nicht nur vor Eifersucht, sondern vor allem, weil ich mich wegen Danny bei Nicu zurückgehalten habe und mein Freund jetzt ohne Gewissensbisse und dazu noch direkt vor meiner Nase genau das Gleiche macht!

Ich glaube, ich habe es noch nie so dermaßen bereut, auf eine Party gegangen zu sein.

Wütend stehe ich auf, knalle das Glas auf den Tisch, schaue auf mein Handy und atme auf.

›Halb zwei, wunderbar! Dann können wir endlich heim!‹

Ich will nur noch ins Bett und ein entspanntes Wochenende auf der Couch verbringen. Mit meinen Büchern! Entschlossenen Schrittes, wenn auch schon selbst etwas wankend, lasse ich den ganzen Scheiß auf dem Tisch stehen, stampfe zu Danny und stöpsele ihn grob von seinem Kumpel ab.

»Bist du fertig? Es ist halb zwei!«

Statt sich in Grund und Boden zu schämen, weil ihn sein Freund beim Fremdgehen erwischt hat, lallt er mir jedoch nur herausfordernd entgegen: »Denn jeh doch! Isch will no` nisch los! Es ist Samstach und wir ham`s janze Wochenende nüscht vor, also könn` wa ohne Probleme noch bleim!« Spätestens jetzt weiß ich, dass er rotzevoll ist, und dabei hängt er sich auch noch provokativ an seinen Knutschpartner. »Los, fahr! Isch penn heut bei Mikey!«

Wenigstens der zeigt ein wenig Reue und wirkt zumindest ansatzweise verlegen. »Sorry Bjorn, das war echt nicht geplant und -«

»Spar es dir, okay?«, unterbreche ich ihn und hebe nur die Hand, damit er den Mund hält. »Ich will keinen von euch bis Montagabend bei mir sehen! Ich hab gerade echt keinen Nerv für diesen Scheiß!«

Abermals motzt mich Daniel an. »So was kann ma nisch kontrolliern, Bjorn! Verliem’ und so ... das is -«

»Was?!! Wieso ist jetzt plötzlich von Verlieben die Rede?« Auch wenn ich mir sicher bin, dass er das spätestens heute Nachmittag bereuen wird, wenn er ohne zwei Promille im Blut neben Mike aufwacht, bringt mir diese Gewissheit keine Genugtuung.

Ich bin stocksauer und habe auch selbst nicht gerade wenig getrunken. Bevor ich also etwas Unüberlegtes tue, drehe ich mich um und verschwinde.

›Hoffentlich kotzt er ihm im dicken Strahl die Bude voll!‹

***

Es dauert fast eine halbe Stunde, bis ich meine Jacke wiederhabe und aus diesem verdammten Club raus bin. Die stickige, nach Schweiß müffelnde Luft löst sich in Rauchschwaden auf, denn direkt vor dem Eingang stehen unzählige Quarzer und blasen ihren Zigarettenqualm in die Atmosphäre.

Sobald ich auch diesen Dunstkreis hinter mir gelassen habe, atme ich erst mal tief ein und lege den Kopf in den Nacken. Trotz des Smogs kann man sogar ein paar Sterne am Himmel erkennen. Es regnet nicht mehr und die kalte Nachtluft ist Balsam für meine Seele. Ich rieche den nassen Asphalt, doch vor allem feuchte Bäume und Gräser, obwohl ich gar keine Grünflächen sehen kann. Offenbar ist ein Park in der Nähe.

›Hat Danny überhaupt einen Schlüssel? Wahrscheinlich hat er sich nur wieder ein paar Scheine in die Hose gestopft und ist damit los. Egal. Dann muss er eben klingeln, wenn er rein will. Und sollte er dabei keine herzerweichende Entschuldigung vortragen, schmeiße ich ihm direkt seine Sachen aus dem Fenster ... mitten ins Gesicht!‹ Wenn das Thema nicht so kacke wäre, könnte ich fast darüber lachen. ›Macht sich mit seiner Konsole sicher gut ...‹

Ich friemle mein Handy aus der viel zu engen Hosentasche und bemerke, dass der Akku fast leer ist. Hektisch öffne ich mein Telefonbuch, um die Nummer des Taxiunternehmens herauszusuchen, da blinkt es ein letztes Mal auf und wird schwarz.

›Verfluchte Scheiße! War ja klar! Das hat mir gerade noch gefehlt!‹

An der Steckdose hing es zuletzt gestern früh, deshalb wundert mich nicht, dass es jetzt leer ist. Schließlich hatte ich ja auch gar nicht vor, abends auszugehen, sonst hätte ich es auf jeden Fall nochmal aufgeladen. Schnaufend stecke ich es also wieder ein und sehe mich um. Die linke, unmittelbare Straße zum Club führt durch ein Gewerbegebiet, ist lang und um diese Uhrzeit fast unbefahren, aber rechts gibt es eine kurze Seitengasse, an deren Ende ich eine noch ausreichend befahrene Hauptstraße erkenne. Dort ist es sicher möglich, direkt ein Taxi rauszuwinken.

Entschlossen nehme ich die dunkle Abkürzung, obwohl diese wenig einladend aussieht und durch einige große Mülltonnen auch partiell ziemlich eng ist, aber zum Glück habe ich keine Klaustrophobie. Um überfallen zu werden, scheint sie mir außerdem zu kurz und zu einsichtig, also riskiere ich es, laufe aber trotzdem zügig, denn wirklich wohl ist mir bei der Sache nicht. Die Musik und das gemischte Rauschen der sich unterhaltenden Leute vor dem Club entfernt sich, macht dem Lärm der Autos Platz, auf die ich mit zielgerichtetem Tunnelblick zusteuere.

›Das wär‘s jetzt noch. Ausgeraubt und zusammengeschlagen zu werden. Obwohl mich bei meinem Glück heute gar nichts mehr wundern wür-‹

Auf einmal bewegt sich etwas, das ich nur aus meinem Augenwinkel wahrnehme. Als ich den Kopf jedoch in die Richtung drehe, zucke ich kurz zusammen und bleibe stehen.

›Da liegt doch jemand?!‹

Viel erkennen kann ich nicht, denn zwischen den großen Containern ist es zappenduster. Der Schein der Straßenlaterne erreicht lediglich die sauber geschnürten Stiefel und die Anfänge der Jeans des am Boden Liegenden, und diese gehören ganz sicher nicht zu einem Obdachlosen.

›Geh weiter, das geht dich nichts an!‹, flüstert mir meine innere Stimme zu, doch da dringt ein leises Keuchen an mein Ohr. Es hört sich an, als wenn er verletzt wäre? ›Vielleicht hat er sich geprügelt? Nein. Nicht so nahe am Club. Das hätte irgendwer mitbekommen. Wahrscheinlich ist er einfach nur sturzbesoffen.‹

Ich zögere und überlege, ob ich ihn ansprechen oder weitergehen soll, doch ehe ich groß darüber nachdenken kann, frage ich schon: »Hey? Ist alles okay?« Vorsichtig hocke ich mich hin. »Können Sie aufstehen? Sie sollten hier nicht liegen. Es soll die ganze Nacht regnen!«

»Hau ab!«, faucht mich plötzlich eine unwirsche Stimme an und ich zucke zusammen. »Hau ab ... hau ab ... hau ab, solange du noch kannst! Hier gibt es nichts zu sehen ... nichts zu sehen.«

Ich brauche gar nicht erst unter seiner Jacke nach dem hellblauen Oberteil zu schauen, um zu erkennen, wer da vor mir auf dem Boden liegt.

»Nicu?« Obwohl ich ganz sicher keine Schuld an seiner misslichen Lage habe, fühle ich mich trotzdem irgendwie verantwortlich und selbst mein eigener Rausch tritt in den Hintergrund. Zumindest fokussiert sich mein Verstand, so gut er kann. »Hey. Komm schon ... steh auf, Kleiner. Du holst dir den Tod, wenn du hier -«

»Du holst dir den Tod!«, blafft er mich wie geistesgestört an, wirkt erst aggressiv, dann lacht er brüchig, ehe er wieder schweigt. »Hier gibt es nichts zu sehen ... nichts zu sehen. Nur ein kranker Junge ... kranker Junge ...«

›Oh Mann.‹

Ganz offensichtlich kommt er gerade von seinem Trip runter und selbst ich als Laie weiß, dass dies der beschissenste Part eines Drogenrausches ist, vollkommen egal, was man sich reingepfiffen hat.[Fußnote 1]

»Hör zu, ich bin es, Bjorn! Der Typ, der dir den Cocktail geschenkt hat. Erinnerst du dich?«

Bedächtig greife ich nach seinen Armen und ziehe ihn hoch. Dabei bemerke ich, dass seine halb offene Jacke klatschnass ist, er aber trotzdem nicht zittert?

»Bjorn ... Bjorn ...«, blubbert er, doch dann scheint er sich zu erinnern. »Ah ... der Große ... mit den schönen grünen Augen ... gehen wir zu dir?«

»Nein!«, schmettere ich diesen Gedanken sofort ab, denn ich lasse ganz sicher keinen zugedröhnten Fremden in meine Wohnung, der mich im schlimmsten Fall noch in der Nacht absticht oder beklaut, bevor er abhaut! »Ich will dir nur helfen! Hast du ein Handy? Kann ich irgendwen für dich anrufen, der dich abholt?«

Nach Luft schnappend lässt er sich von mir hochhieven, doch er hängt wie ein Schluck Wasser an meiner Schulter. »Nein«, antwortet er kaum hörbar.

»Na schön. Dann bringe ich dich jetzt nach Hause«, keuche ich und laufe los. »Vorne an der Straße kann ich uns sicher ein Taxi rauswinken.«

Sein Blick ist erst starr auf den Boden gerichtet, doch dann hebt er den Kopf und schaut mich benommen an, während er lächelt. Seine Lippe blutet und eine der beiden Ketten ist abgerissen. Also entweder hat jemand daran gezogen oder er ist irgendwo hängen geblieben.

»Du ... du willst ... unbedingt ... mit zu mir?«

Das hört sich ziemlich falsch an. »Nein, ich will dir nur helfen, dass du nach Hause kommst«, antworte ich und schleppe ihn zur Hauptstraße. »Ich lasse niemanden einfach am Boden liegen, der von selbst nicht mehr hochkommt ... und nein, du brauchst dich auch nicht zu revanchieren!«

Nicu prustet nur »Schon klar«, doch zumindest versucht er jetzt mitzulaufen.

Während wir die Gasse durchqueren, fängt der Regen wieder an und er beginnt doch noch zu zittern. Wahrscheinlich bringt die Bewegung einiges in seinem Inneren in Gang und ich hoffe inständig, dass er sich übergibt, bevor wir ins Taxi einsteigen. Gleichzeitig projiziert mein Hirn mir vollkommen skurrile Bilder in den Kopf: Szenen, in denen ich einen radikalen Entzug mit ihm mache, ihn ans Bett fessele, ihn füttere und ihm danach als persönlicher Therapeut zur Seite stehe. Schließlich, Jahre später, sitzen wir auf der Terrasse eines kleinen Einfamilienhauses und schauen unseren Adoptivkindern im Garten beim Spielen zu.

›Was ist das? Wunschdenken? Ein Ausdruck meines Helfersyndroms, der sich mit meinen eigenen Sehnsüchten überschneidet?‹

Wir haben das Ende der Gasse erreicht und ich lehne ihn an den Pfahl einer Straßenlaterne, doch er rutscht zu Boden, sobald ich ihn loslasse. Vielleicht wäre es doch besser, ihn direkt in ein Krankenhaus zu bringen ... oder in die Geschlossene.

»Nicu, ich versuche uns jetzt ein Taxi zu organisieren. Aber vorher muss ich wissen, was du alles genommen hast. Chrystal? Amphis? Heroin?«

»Nichts«, kichert er, lässt aber den Kopf hängen. Zwar glaube ich ihm das nicht und tippe am ehesten auf Chrystal, aber vielleicht ist er ja auch wirklich einfach nur besoffen. Das wäre zumindest das geringste Übel.

»Na gut. Wie viel hast du getrunken?«

Ich höre ein Schmatzen seines Mundes, als würde er nachschmecken und dabei überlegen, was so den ganzen Abend über seine Zunge geflossen ist. »Deinen Cocktail ... und ein Veltins Energy.«

Einen Moment frage ich mich, ob er Letzteres nur wegen der blauen Flasche gekauft hat, denn das Zeug schmeckt einfach nur ekelhaft. Aber wenn ich ihn mir so ansehe, kann auch diese Mengenangabe unmöglich stimmen. Scheinbar ist es ihm peinlich, mir den wahren Umfang seines Rauschmittelkonsums zu offenbaren.

»Na schön. Warte kurz hier und versuch bitte, stehen zu bleiben!« Vorsichtig lasse ich ihn los und gehe zur Bordsteinkante, doch da höre ich ihn schon dumpf auf den Boden plumpsen.

›Verdammt!‹

Ich laufe zurück und ziehe ihn abermals hoch, doch ich bekomme unmöglich ein Taxi, wenn er so an meinem Arm hängt. Noch dazu ist er klatschnass und dreckig. Kein Berliner Fahrer nimmt Typen mit, deren Kleidung so schmutzig ist, dass sie danach die Sitze reinigen müssen, und bei denen die Wahrscheinlichkeit einer Kotzattacke bei neunundneunzig Prozent liegt. Beförderungspflicht hin oder her.

»Nicu, wo wohnst du?«, frage ich schließlich, denn ich überlege, ob ich ihn nicht einfach mit der Bahn nach Hause bringe und danach mit einem Taxi zu mir weiterfahre.

Er schließt die Augen, scheint nachzudenken und lehnt seinen Kopf derweil an meine Brust. Sein Körper wird immer schwächer. Lange werde ich ihn nicht mehr wachhalten können. »Bei ... meinem Bruder«, keucht er schließlich.

›Och nö ... dem Vampirtyp? Auch das noch!‹

Stöhnend fahre ich mir mit der freien Hand durch die Haare. »Na schön. Ich bringe dich zu ihm. Wo wohnt der genau? Gibt es da einen Bahnhof in der Nähe?«

»Adlershof«, höre ich ihn leise sagen und bin ehrlich erleichtert, denn das ist nicht weit entfernt und vereinfacht die Hilfsaktion ungemein.

***

Das gleichmäßige Ruckeln der Bahn ist auf den durchgesessenen, hellgrünen Polstern äußerst unangenehm, doch ich bin gerade einfach nur froh, zu sitzen. Mit Müh und Not habe ich es geschafft, Nicu in den Bahnhof zu schleppen, und nun sitzt er neben mir, hat sich an mich geschmiegt und schläft.

Ich bin schon seit Jahren nicht mehr mit der Bahn gefahren. Seit ich ein Moped habe, fahre ich alle längeren Strecken damit und für kürzere nehme ich das Fahrrad. Daniel nimmt meist sein Auto, obwohl er sich das mit seinem Gehalt als Kaufmann im Einzelhandel streng genommen gar nicht leisten kann. Clubbesuche sind die einzigen Ausnahmen, in denen wir beide ein Taxi bevorzugen.

Immerhin sind Nicu und ich allein im Abteil und müssen uns nicht auch noch mit irgendwelchen homophoben Proleten herumschlagen. Das ist eigentlich immer meine größte Sorge und auch der Grund, warum Daniel und ich auf die öffentlichen Verkehrsmittel verzichten, so gut es geht.

Gedankenversunken streiche ich Nicu die blauschwarzen Haare aus seinem Gesicht und bin aufs Neue verblüfft, wie attraktiv ich diesen Kerl finde. Trotz seines grauenvollen Modegeschmacks, der vielen Piercings und dem verschmierten Kajal, mit dem er ja nach wie vor so gar nicht in mein übliches Beuteschema passt. Seine vollen Lippen, die durch den Halbring in der Mitte fast schon ein wenig eingequetscht werden, schimmern feucht, und obwohl er so verdreckt ist, riecht er in erster Linie nach diesem herb-süßlichen Duft, den ich unglaublich anziehend finde.

Sein Zittern verstärkt sich und obwohl das immer noch besser ist, als wenn eine kältebedingte Muskelstarre eintritt, so muss er doch dringend aus den nassen Sachen raus. Zum Glück ist es nur noch eine Station, bis wir da sind, aber was, wenn sein Bruder gar nicht weiß, wie man mit einer Unterkühlung umgeht? Viele Menschen machen den Fehler und setzen ihre Freunde oder Angehörigen in so einer Situation unter die warme Dusche oder, schlimmer noch, lassen ihnen ein heißes Bad ein, was unausweichlich zu einem Kreislaufkollaps und zu lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen führt. Ich hingegen weiß, dass ich ihn lediglich ausziehen, auf die Couch legen und mit dicken Wolldecken zudecken müsste. Vielleicht noch ein Heizkissen auf niedrigster Stufe unter den Rücken, aber nicht mehr. Dann könnte ich versuchen, ihm einen warmen Tee mit Zucker einzuflößen, denn das ist das Hilfreichste, was man machen kann.

Einige Sekunden lang überlege ich also ernsthaft, ihn doch mit zu mir zu nehmen, aber leider ist dieses Wochenende der denkbar schlechteste Zeitpunkt für solche Experimente. Meine Dozenten hätten wohl wenig Verständnis dafür, wenn ich völlig übermüdet zur mündlichen Prüfung komme und ihnen beichte, dass ich mich leider nicht weiter vorbereiten konnte, weil ich einen Wildfremden betreuen musste. Also wird es das Beste sein, wenn ich seinem Bruder sage, was er mit ihm anstellen soll, und dann wieder gehe.

›Wenn ich ihn nach Hause gebracht habe, weiß ich ja, wo er wohnt, und kann dann, nach meinem ganzen Unistress, auch mal nach ihm sehen.‹

Die automatische Durchsage verkündet unsere Station und ich rüttle sanft an Nicus Schulter, bis er die Augen aufmacht. »Wir müssen raus. Komm hoch, gleich hast du es geschafft.« Er sieht mich nur völlig verschlafen an und reagiert nicht, doch die Bahn hält bereits, also ziehe ich ihn einfach hoch und schleife ihn durch die Tür aus dem Waggon.

Nun scheint der Punkt erreicht, an dem er gar nicht mehr laufen kann. Erst mal setze ich ihn auf eine der Metallbänke und warte, bis die Bahn abgefahren ist, damit wir Ruhe haben. Auch hier sind wir allein, drum hocke ich mich vor ihn und klatsche ihm mit der Hand leicht gegen seine Wange.

»Hey, Nicu! Ich brauche jetzt mal eine klare Ansage! Wir sind in Adlershof, hörst du? Wie ist die genaue Adresse deines Bruders? Straße? Hausnummer?«

Er antwortet nicht mehr. Sein Blick ist glasig und auch sonst scheint er mich gar nicht mehr wahrzunehmen, beziehungsweise nur noch durch mich hindurchzuschauen.

Frustration steigt in mir auf. So kurz vor dem Ziel und nun scheitere ich auf den letzten Metern?

›Verdammt! Warum hab ich ihn das nicht gleich am Anfang gefragt, als er noch ansprechbar war? Jetzt hab ich hier ewig Zeit verschwendet und stehe genauso hilflos da wie zuvor! Hätte ich doch einfach vor dem Club einen Krankenwagen rufen lassen oder gleich die Polizei. Die hätten seine Personalien überprüfen können und dann -‹ Da springt mir doch glatt eine Idee ins Hirn. ›Na klar! Sein Personalausweis! Den hat er doch sicher dabei! Vielleicht hab ich Glück und er ist auch bei seinem Bruder gemeldet.‹

»Nicu, hast du einen Ausweis?«, frage ich nach, doch wie schon vorher reagiert er nicht. »Okay, nicht erschrecken, ich greife jetzt in deine Taschen und suche, ja? Ich will dich nicht beklauen, sondern nur herausfinden, wo du wohnst!« Selbst wenn er es nicht mitbekommt, will ich es doch wenigstens einmal gesagt haben.

Bedächtig greife ich in seine nassen Jackentaschen, doch da ist nichts. Ich hoffe inständig, seine Potte liegt nicht in der Gasse, denn ich muss gestehen, dass ich völlig vergessen habe, vor Ort nachzuschauen, ob da noch irgendwas von ihm herumliegt. Die Chance wird allerdings größer, als ich auch in den Seitentaschen seiner Jeans nichts finden kann.

›Okay, bleiben nur noch die Gesäßtaschen. Wenn da ebenfalls nichts drin ist, lege ich ihn auf die Bank und ordere über die Notrufsäule einen Krankenwagen.‹

Mühsam hebe ich Nicu hoch, um an seinen Hintern zu kommen, doch in den Taschen finde ich auch nur ein kleines Schlüsselbund, sonst nichts.

»Verdammt nochmal!«, fluche ich lautstark, verfrachte ihn schließlich in die stabile Seitenlage und verfolge Plan B, doch auf dem gesamten Bahnsteig kann ich keine einzige dieser rotblauen SOS-Säulen finden. Ich weiß, dass die Dinger, genau wie Telefonzellen, seit Jahren überall abgeschafft werden, aber ich hatte angenommen, dass es sie wenigstens auf den Bahnhöfen immer noch gibt.

»Diese Nacht ist wirklich verflucht.«

So langsam steigt auch in mir, der ich normalerweise stets rational und ruhig bin, Panik auf, denn die Situation wird für Nicu von Minute zu Minute lebensgefährlicher. Klar, eigentlich geht es mich nichts an! Ich könnte mich in die nächste Bahn setzen und einfach wegfahren, aber so ein Mensch bin ich eben nicht. Schließlich drehe ich mich einmal im Kreis und entdecke an der gegenüberliegenden Straße ein Tankstellenzeichen.

›Ja! Endlich! Die haben sicher noch offen und können auf jeden Fall einen Krankenwagen rufen! Außerdem ist es im Laden deutlich wärmer als hier draußen.‹

Bis dorthin muss ich ihn allerdings tragen und das sind gut zweihundert Meter, inklusive den Treppen der Überführung. Aber das kriege ich schon hin. Immerhin gehe ich nicht umsonst zweimal die Woche ins Fitnessstudio.

»So, komm her! Ich bringe dich jetzt da rüber zur Tanke«, warne ich Nicu vor, ehe ich ihn auf die Arme nehme. »Da besorge ich dir einen Krankenwagen und die kümmern sich dann um dich!«

Murrend lässt er sich von mir hochnehmen, dann stiefle ich eiligen Schrittes los. Wenn ich nachher ins Bett falle, werde ich mit Sicherheit sehr tief und sehr lange schlafen, das steht mal fest!

Als ich die Treppe und die Überführung hinter mir habe, fangen meine Lungen doch schon ganz schön zu rasseln an. Alkohol und Müdigkeit fordern ihren Tribut. Trotzdem steuere ich zielgerichtet in die Seitenstraße, in der ich das Logo der Tankstelle leuchten sehe. Kurz bevor ich sie erreiche, hebt Nicu plötzlich den Arm und zeigt auf einen grauen, alten, vierstöckigen Wohnblock.

»Da ...«, keucht er, doch mehr kommt nicht.

»In dem Haus wohnt dein Bruder?«, hake ich schnaufend nach und setze zumindest kurz seine Beine ab, um durchzuatmen. »Sicher? Ich will dich echt nicht umsonst da rüber tragen und dann erneut umkehren müssen!«

Er nickt erst und ich bin erstaunt, dass er mich plötzlich wieder versteht, doch gleich darauf schüttelt er abrupt den Kopf. »Nein. Nicht ... nicht hingehen. Bitte ... bitte zu dir.«

»Nein, zu mir steht nicht zur Diskussion!« Eigentlich ist mir die Sache inzwischen gänzlich zu heiß. Sein Zustand ist kritisch und wer weiß, wie sein Bruder drauf ist? Schlimmstenfalls lässt er ihn einfach im Flur liegen! »Hör zu, ich glaube, es wäre das Beste, wenn du die Nacht in einem Krankenhaus verbringst! Du bist völlig unterkühlt und -«

»Nein ... bitte nicht«, wimmert er mir zu. »Kein ... Krankenhaus.«

Vermutlich hat er Angst, auf der Rechnung sitzen zu bleiben. Durch mein Studium weiß ich, dass es eine gesetzlich festgeschriebene Leistungsbeschränkung bei Selbstverschulden gibt und seine Sorge daher durchaus begründet ist. Ich hebe sein Kinn an und schaue ihm in die Augen. Seine Pupillen sind noch immer geweitet, aber vielleicht nimmt er ja doch keine Drogen und das ist nur eine Art Stressreaktion ... die sehr lange anhält? Wird der Körper in einen Ausnahmezustand versetzt, zum Beispiel durch Stress, hat dies ja oft eine massive Erweiterung der Pupillen zur Folge.[Fußnote 2]

»Na schön«, erwidere ich schließlich japsend, nehme ihn wieder hoch und überquere die Straße. »Aber wenn dein Schlüssel nicht passt und du doch nicht dort wohnst, dann gehen wir zur Tankstelle und ich rufe dir einen Krankenwagen!« So langsam hab ich nämlich echt die Schnauze voll von dieser Odyssee und will einfach nur noch nach Hause!

Als wir endlich den Aufgang erreichen, setze ich Nicu erneut ab und atme durch, doch ich muss ihn trotzdem festhalten, damit er nicht umkippt. Danach überfliege ich die acht Namensschilder neben den Klingeln und erinnere mich erst dann, dass ich gar nicht weiß, wonach ich überhaupt suche. Da ich auch keine Lust mehr auf Fragereien habe, ziehe ich kurzerhand den Schlüssel aus seiner Gesäßtasche und stecke den hochwertigsten davon in die Eingangstür.

Er passt!

»Halleluja!«, stoße ich hervor und öffne die Tür. »Welcher Stock?«, muss ich dann aber doch wieder fragen und suche nach einem Fahrstuhl, den es natürlich nicht gibt. Abermals hebt Nicu die Hand und zeigt auf die rechte Tür im Erdgeschoss. »Die Wohnung da?« Er nickt. Wir gehen hin und ich betätige eine viereckige Klingel, auf der Negrescu steht. Hört sich nach einem rumänischen Namen an.

Trotz kurzen Wartens macht niemand auf. Sein Bruder ist also entweder ganz tief im Traumland oder ebenfalls ausgeflogen. Da ich auch keinen Hund höre, der mir gefährlich werden könnte, stecke ich einen Schlüssel nach dem anderen in die Tür, bis einer passt.

Vor mir erstreckt sich ein sauberer, fast schon akkurat aufgeräumter Flur, den ich so nicht erwartet hatte, und nachdem ich das Licht angeschaltet und die Tür hinter uns geschlossen habe, rufe ich noch einmal laut »Hallo?«, doch niemand antwortet. Ein Blick auf die silberne Wanduhr gegenüber lässt mich zusammenzucken.

›Halb vier ist es schon? Mann, jetzt muss ich mich aber echt beeilen, dass ich nach Hause komme!‹

»Na schön, los, raus aus den Klamotten!«

Mühsam ziehe ich meine und Nicus Schuhe aus, denn der Besitzer dieser Wohnung scheint ja sehr viel Wert auf Sauberkeit zu legen. Dabei fällt mein Blick auf ein schwarzes Glanzlack-Sideboard, auf dem eine silberne Schüssel steht. In dieser liegen Wohnungs- und Autoschlüssel, es muss also jemand hier sein.

Ich helfe Nicu aus seiner triefenden Jacke, schaue mich um, finde das minimalistisch eingerichtete Wohnzimmer, ebenfalls vollständig in Schwarzweiß gehalten, und setze meinen Begleiter auf die Couch. Dort befreie ich ihn endlich auch von seiner klatschnassen Hose, nur das hellblaue Oberteil und seine eng anliegenden Shorts lasse ich ihm an. Auf dem Fernsehsessel liegt zumindest schon mal eine Wolldecke, in die ich ihn sofort einwickele.

»Nicu, wie heißt dein Bruder? Ich geh ihn jetzt wecken, damit er sich um dich kümmert.«

Wie schon zuvor sieht er mich mit diesem leeren, bedrückten Blick an, fast, als hätte er Angst, doch dann haucht er beinahe tonlos: »Kaelan.«

»