Dark Beast - Drucie Anne Taylor - E-Book

Dark Beast E-Book

Drucie Anne Taylor

0,0
4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Anatolij Leonow wuchs als Waisenkind bei seinem Ziehvater auf, der als Leibwächter für die Bratwa tätig ist. In seinem Leben als Handlanger von Ivan Wolkow hat er viele furchtbare Dinge gesehen, aber selten etwas Schönes, bis Vania Worobjowa zufällig in sein Leben rennt. Die junge Russin kam nach LA, um berühmt zu werden, endete jedoch als Stripperin in einer Spelunke, die der tschechischen Mafia gehört. Als sie nach der Arbeit einen Mord beobachtet und verfolgt wird, ist es Anatolij, der sie vor der Bedrohung rettet und zu Ivan Wolkow bringt, um sie in Sicherheit zu wissen, die ihr nur gewährt wird, wenn Vania ihm Informationen über ihren Arbeitgeber preisgibt. Anatolij, der durch nichts aus der Ruhe zu bringen ist, stößt bei der jungen Frau an seine Grenzen, doch mit ihrer direkten Art gelingt es Vania, sein Herz zu erobern. Allerdings liegt ein Schatten über Anatolijs Vergangenheit, der auch Vanias Familie umgibt, und den byk schon bald alles infrage stellen lässt ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Dark Beast

GEGEN JEDE BEDROHUNG

DANGEROUS HEROES

BUCH FÜNF

DRUCIE ANNE TAYLOR

Copyright © 2019 Drucie Anne Taylor

Korrektorat: S.B. Zimmer

Satz & Layout © Julia Dahl

Umschlaggestaltung © D-Design Cover Art

Auflage 01/2023

Angelwing Verlag / Paul Dahl

6 Rue Saint Joseph

57720 Obergailbach / Frankreich

[email protected]

Alle Rechte, einschließlich das, des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Dies ist eine fiktive Geschichte, Ähnlichkeiten mit lebenden, oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Alle Markennamen, Firmen sowie Warenzeichen gehören den jeweiligen Copyrightinhabern.

Dieses Buch

Anatolij Leonow wuchs als Waisenkind bei seinem Ziehvater auf, der als Leibwächter für die Bratwa tätig ist. In seinem Leben als Handlanger von Ivan Wolkow hat er viele furchtbare Dinge gesehen, aber selten etwas Schönes, bis Vania Worobjowa zufällig in sein Leben rennt. Die junge Russin kam nach LA, um berühmt zu werden, endete jedoch als Stripperin in einer Spelunke, die der tschechischen Mafia gehört. Als sie nach der Arbeit einen Mord beobachtet und verfolgt wird, ist es Anatolij, der sie vor der Bedrohung rettet und zu Ivan Wolkow bringt, um sie in Sicherheit zu wissen, die ihr nur gewährt wird, wenn Vania ihm Informationen über ihren Arbeitgeber preisgibt.

Anatolij, der durch nichts aus der Ruhe zu bringen ist, stößt bei der jungen Frau an seine Grenzen, doch mit ihrer direkten Art gelingt es Vania, sein Herz zu erobern.

Allerdings liegt ein Schatten über Anatolijs Vergangenheit, der auch Vanias Familie umgibt, und den byk schon bald alles infrage stellen lässt ...

Inhalt

Vorwort

Prolog

1. Anatolij

2. Vania

3. Anatolij

4. Vania

5. Anatolij

6. Vania

7. Anatolij

8. Vania

9. Anatolij

10. Vania

11. Jurij

12. Anatolij

13. Vania

14. Anatolij

15. Vania

16. Anatolij

17. Vania

18. Vladimir

19. Anatolij

20. Vania

21. Anatolij

22. Vania

23. Anatolij

24. Vania

25. Anatolij

Epilog

Danksagung

Über die Autorin

Weitere Werke der Autorin

Dark Wolf: Gegen jede Regel (Dangerous Heroes 1)

Dark Butcher: Gegen jeden Widerstand (Dangerous Heroes 2)

Dark Predator: Gegen jedes Risiko (Dangerous Heroes 3)

Dark Reaper: Gegen jede Vernunft (Dangerous Heroes 4)

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

Dieses Buch ist voller Brutalität, Schimpfwörter, Flüche und vielen weiteren Beschreibungen, die dich schockieren könnten. Wenn du einen rosaroten Liebesroman erwartest, der sich strikt an die Realität hält, wird dich dieses Buch enttäuschen. Diesmal habe ich bewusst Grenzen ausgelotet und überschritten. Dieses Buch ist reine Fiktion, nichts von dem, was darin geschieht, passiert wohl so im wahren Leben und wenn doch, dann in den Schatten, in die wir nicht blicken.

Also wenn du zartbesaitet bist oder empfindlich auf Gewaltdarstellung reagierst, kann ich dir nur von dieser Geschichte abraten. Denn ich weiß, dass sie dir in diesem Fall nicht zusagen wird. Du wirst es hassen, mich verfluchen und das Buch oder deinen E-Book-Reader womöglich an die nächstbeste Wand werfen wollen. Aus dem Grund möchte ich hiermit anmerken, dass ich keinerlei Haftung für beschädigte Einrichtungsgegenstände oder ähnliches übernehme.

Jedem anderen wünsche ich viel Spaß mit Anatolijs und Vanias Geschichte.

Prolog

ANATOLIJ

Fünfundzwanzig Jahre zuvor

Nowosibirsk

Es war laut.

Es knallte.

Mama sagte, dass wir nicht aus dem Kriechkeller kommen dürfen, bevor Ruhe eingekehrt ist.

Sie schrie.

Papa nicht.

Meine Schwester war bei mir.

Viktoria hielt mir den Mund zu, damit ich kein Geräusch machte. Ich wusste nicht, was los war, auch nicht, warum ich zitterte, aber ich hatte Angst.

»Du musst still sein, Tolij«, wisperte Viktoria – Vicky – meine große Schwester.

Ich schaute zu ihr hoch.

Sie sah mich mit großen Augen an – sie hatte auch Angst. Ihre Finger legten sich fester auf meine Lippen, damit ich wirklich keinen Mucks von mir gab. »Mama sagt uns Bescheid, wenn wir rauskommen können«, fuhr sie leise fort. So leise, dass ich sie wegen des Krachs über uns kaum hören konnte.

Über uns wurde getrampelt, geschrien und gestöhnt.

Ich wusste nicht, was Mama passierte, aber sie hörte sich an, als hätte sie Schmerzen. Ich wollte zu ihr, aber Viktoria hielt mich fest. Ihr Griff tat mir weh, aber ich zappelte zu viel, deshalb ließ sie mich nicht los.

Staub rieselte durch die Dielen, fiel in meine Augen und ließ sie brennen. Ich wollte sie reiben, aber meine Schwester gab nicht nach.

Warum hatte Mama gesagt, dass wir Verstecken spielen?

Das war nicht lustig.

Es war blöd und es machte keinen Spaß. Etwas zwickte mich in den Zeh. Als ich den Kopf ein wenig drehte, sah ich eine Ratte.

Ruckartig zog ich meinen Fuß weg und kniff die Augen zu. Wenn ich die Monster nicht sah, waren sie nicht da. Das hatte Mama mir beigebracht.

* * *

Es war still.

Gespenstisch still.

Mama gab keinen Laut von sich und Schritte waren auch nicht mehr zu hören.

»Tolij?«, flüsterte Viktoria. »Ich nehme jetzt meine Hand weg, aber du darfst nicht reden, ja? Du musst ganz leise sein und darfst erst rauskommen, wenn ich dich rufe. Hast du das verstanden?«

Ich nickte hektisch.

Sie tat, was sie mir zuvor versprochen hatte, und nahm langsam ihre Hand von meinem Mund.

Ich holte tief Luft. Hier unten war es stickig und muffig, einfach widerlich. Ich mochte den Gestank nicht. »Mamushka?«, fragte ich leise aber hoffnungsvoll.

»Ich schaue nach ihr, aber du bleibst hier, bis ich dich hole. Das ist wirklich wichtig, Tolij, verstehst du das?«

Ich nickte wieder. »Ja.«

»Gut.« Viktoria drückte mir einen Kuss auf die Stirn. »Ich hab dich unendlich doll lieb, Tolij.«

»Ich dich auch, Vicky«, flüsterte ich.

Danach kroch sie zu der Falltür, durch die wir hier runter geklettert waren. Mama hatte sie zugemacht, damit man uns nicht finden konnte. Sie sagte, dass wir mit ihr Verstecken spielen würden. Sonst machte es mir immer großen Spaß, aber Vicky und ich waren schon so lange hier unten, dass ich keine Lust mehr hatte.

Ich schaute zu ihr. Sie kletterte gerade durch das Loch zurück ins Haus. Mir war so furchtbar kalt. Ich unterdrückte das Klappern meiner Zähne, indem ich mir selbst die Hand auf den Mund drückte, aber es half nicht.

»Wen haben wir denn da? Hatte der alte Lew seine Tochter also doch im Haus, statt sie bei ihrer Großmutter untergebracht zu haben. So ein Scheißlügner«, sagte jemand lachend – Vicky schrie. »Ist dein kleiner Bruder auch da?«

»Ich habe keinen Bruder«, antwortete sie fest.

»Das halte ich für eine Lüge«, erwiderte der Mann – er klang böse.

Ich wollte Vicky folgen, aber sie hatte gesagt, dass ich nicht rauskommen darf, bevor sie mich holen würde. Weil ich nicht ausgeschimpft werden wollte, blieb ich hier unten. Ich hielt mich hinter einer Erdaufschüttung versteckt, zu der Vicky mich gebracht hatte, nachdem Mama uns nach unten geschickt hatte. Es war so eiskalt, dass ich meine Füße kaum noch spürte.

Meine Schwester schrie wieder, aber ich durfte nicht rauskommen. Vielleicht spielten wir doch Verstecken und das war nur ein Versuch, mich herauszulocken, damit Papa mich finden konnte.

»Sukin syn!«, schimpfte Vicky. Das musste ich Mama sagen, weil sie den Mann schlimm beschimpft hatte. Das durften wir nicht sagen, weil es böse war.

Niemand durfte das!

»Lass mich lo…« Vicky verstummte plötzlich und etwas tropfte durch die Dielen auf mein Gesicht. Ich wischte über meine Wange, dann sah ich meine Fingerspitzen an, aber ich erkannte nicht, was mir auf die Haut getropft war.

* * *

Ich wusste nicht, wie lange ich mich schon hier unten versteckte, aber ich hatte furchtbar großen Hunger. Mama und Papa hatten mich immer noch nicht gefunden und Vicky war auch nicht zurückgekommen. Weil ich unbedingt einen Apfel vom Küchentisch haben wollte, krabbelte ich zu der Falltür. Schritte hatte ich schon ganz lange keine mehr gehört, Stimmen auch nicht.

Vielleicht hatten sie mich vergessen und waren schlafen gegangen.

Als ich die Falltür erreicht hatte, kletterte ich in die Küche. Der Boden war voller roter Farbe, die meine nackten Füße nässte.

Angst.

Sie war wieder da.

Ich schaute mich um, holte mir den begehrten Apfel und polierte ihn an meinem Supermanschlafanzug. Danach machte ich mich auf die Suche nach Mama, Papa und Vicky.

Im Wohnzimmer lag Vicky auf dem Boden. Unter ihr und um sie herum war auch so viel rote Farbe, ihr schönes langes Haar war ganz nass davon. »Vicky, steh auf«, sagte ich, lief zu ihr und stupste sie an, aber sie schlief. »Vicky?« Als ich meine Hand auf ihre Schulter legte, war sie eiskalt.

»Vicky, jetzt wach auf!«, bettelte ich.

Keine Reaktion.

Ich fing an zu weinen. »Vicky, bitte sag etwas.«

Nichts.

Weinend legte ich mich neben sie, rutschte dicht an sie heran und schloss die Augen.

Wenn ich am Morgen aufwachen würde, würde sie mich bestimmt anlächeln und mir sagen, dass Mama Waffeln gemacht hat.

* * *

Es war noch dunkel, als ich aufwachte. Vicky war immer noch kalt und reagierte einfach nicht auf mich. Ich hatte Pipi in die Hose gemacht, weil ich mich allein nicht durch das dunkle Haus traute. Meinen Apfel hatte ich bis auf das Kerngehäuse gegessen und seitdem nichts mehr.

Mein Hals war trocken.

»Lew?«, rief jemand.

Angst ergriff Besitz von mir, weil ich glaubte, dass die Männer, wegen derer Vicky geschrien hatte, zurückgekommen waren.

Ich schloss die Augen, damit sie nicht merkten, dass ich wach war.

Das Licht ging an. »Boshe moy«, stieß die Person aus und schnelle Schritte näherten sich. »Kleiner?« Die Schritte entfernten sich wieder. »Der’mo, Lew, Maria?«, fragte er laut. Scheiße. Er sprach die bösen Wörter auch aus.

Weil ich mich fürchtete, kniff ich die Augen zu.

»Es ist alles gut, mein Kleiner«, sagte der Mann und ich schaute ihn durch zusammengekniffene Lider an.

Es war Fjodor, ein Freund von Papa.

Zitternd wollte ich wegrücken, aber er hielt mich an meiner Schulter fest. »Wo sind deine Mama und dein Papa?«

»Weiß ich nicht.« Ich sah zu Vicky. »Aber Vicky schläft.«

Er stieß die Luft aus, dabei machte er ein Geräusch, das so traurig klang, dass ich es niemals vergessen würde. »Lass mich deine Schwester zudecken«, sagte er leise und hob mich von ihr weg.

»Ist ihr kalt?«

»Ganz bestimmt«, erwiderte er mit warmer Stimme und erhob sich. Er holte die Wolldecke von der Couch, ging zurück zu Vicky und legte die Decke sogar über ihr Gesicht.

»Mama sagt, wir dürfen uns die Decke nicht über den Kopf ziehen«, ließ ich ihn wissen, lief zu meiner Schwester und zog sie von ihrem Gesicht. »Jetzt ist ihr warm und Mama schimpft nicht mit ihr, wenn sie das sieht.«

»Du hast recht, Kleiner«, meinte er und hob mich hoch. »Heute schläfst du bei mir, Anatolij.« Fjodor trug mich nach draußen. Mir war kalt, aber er legte seinen weiten Wollmantel um mich. Er roch wie Papa.

»Wo sind Mama und Papa?«

»Mama und Papa schlafen auch, Malysch«, antwortete er heiser. »Wir lassen sie schlafen.«

»Habe ich das Versteckspiel gewonnen?«, wollte ich wissen.

»Ja, Tolij, du hast gewonnen.«

* * *

Anatolij

Schweißgebadet wachte ich auf.

Schon wieder hatte ich von dem Überfall auf meine Familie geträumt, den ich damals als Einziger überlebt hatte. Bis heute wusste ich nicht, wer die Mörder meiner Familie waren.

Schwer atmend richtete ich mich auf, griff nach den Tabletten auf dem Nachttisch und warf zwei davon mit einem großen Schluck Wasser ein.

Blyad, warum hörte es nicht auf?

Ich war verfickte vier Jahre alt, als es passierte, und ich träumte immer noch davon. Seufzend rollte ich mit dem Kopf, was meine Knochen knacken ließ, und hoffte, dass das Herzrasen bald aufhören würde.

Kaum war mein Geist richtig wach, klingelte der Wecker. Ich schaltete ihn aus und rutschte aus dem Bett. Mein Schlafzimmer in Ivan Wolkows Haus war nicht besonders groß, aber ich hatte meine Ruhe. Und das war mir das Wichtigste. Ich bevorzugte es, allein zu sein, wenn ich meinen Arbeitstag – oder die Nacht – hinter mich gebracht hatte. Im Gegensatz zu den anderen, musste ich mir kein Zimmer mit einem anderen byk teilen.

Ich schwang die Beine aus dem Bett und schnappte mir den dunkelbraunen Anzug, den ich am Abend an den Schrank gehängt hatte. Ivan Wolkow bevorzugte es, dass die Männer vernünftig gekleidet waren, die in seinem Haus arbeiteten. Die nochnoy storozh – die Nachtwächter – mussten sich, mit Ausnahme von Aleksandr Romanow, nicht so herausputzen. Manchmal fragte ich mich, warum ich nicht zu ihnen versetzt wurde, denn ich arbeitete ständig mit ihnen zusammen. Bestimmt war es Samara Wolkowas Wunsch, dass ich bei ihr blieb. Ich beschützte sie und die Kinder vor der Bedrohung, die von anderen Clans ausging. Näher würde ich an eine eigene Familie niemals herankommen. Als byk war es mir verboten, mich an jemanden zu binden, weil die Überzeugung überwog, dass man sich eher vor seine Partnerin als seinen Pakhan oder dessen Familie werfen würde, sollte man in einen Kugelhagel geraten. Verständlich, denn jeder würde sich vor die Frau werfen, die er liebt, statt vor einen Mann, dessen Hände mit literweise Blut befleckt waren.

* * *

Nachdem ich geduscht, mich angezogen und meine Haare mit Wachs in Form gebracht hatte, verließ ich meine Schlafkammer. Eine Duschkabine hatte ich hier drin, ebenso ein Waschbecken, sodass ich für meine morgendliche Routine nicht einmal den Raum verlassen musste.

Ich machte mich auf den Weg in die zweite Etage, wo ich Mrs. Wolkowa in Empfang nehmen würde. Vor der Suite meines Schützlings bezog ich neben Jurij Stellung.

»Guten Morgen, Anatolij.«

»Guten Morgen, Jurij.«

»Du siehst übernächtigt aus.«

Ich winkte ab. »Das wirkt nur so.«

»Wie lange hattest du Dienst?«

»Bis Mitternacht«, entgegnete ich und schaute zu ihm. »Du?«

»Stehe seit Mitternacht hier und warte darauf, dass Boris mich ablöst.«

»Sicher verspätet er sich wieder«, merkte ich nachdenklich an und steckte das In-Ear-Funkgerät in mein Ohr.

»Das sollte er sich langsam abgewöhnen, sonst wird der Pakhan ihn sicher nicht mehr mit wichtigen Aufgaben betrauen.«

Ich nickte. »Vergiss nicht, dass wir alle mal angefangen haben.« Jurij war genauso wie ich schon für Sergej Sorokin tätig, als dieser noch lebte. Er war von seinem eigenen Neffen, Vladimir Wolkow, dem Bruder des heutigen Pakhans hingerichtet worden, nachdem er meinen Schützling an einen Menschenhändler verkauft hatte. Das alles geschah nur wegen des Bruchs einer drakonischen Regel, die älter als wir alle war.

Heute galt sie nicht mehr.

Ivan Wolkow hatte sie abgeschafft, nachdem er das Zepter der Macht ergriffen hatte.

Es herrschten nur wenige Regeln – für uns byki waren es drei, die wir uns selbst auferlegt hatten.

Erstens: Vergiss niemals, wem du zur Loyalität verpflichtet bist.

Zweitens: Verrate niemals die Bruderschaft.

Drittens: Verliebe dich nie.

Und diese Regeln befolgte ich seit meiner Kindheit.

Meine Unschuld hatte ich an eine Prostituierte auf St. Petersburgs Straßen verloren, Zerstreuung suchte ich bei jenen LAs – Liebe hatte ich nie gefunden, gewollt oder gar herbeigesehnt. Für mich war sie fremd, bekannt sollte sie mir nicht werden, denn sie ließ starke Männer schwach werden. Und Schwäche durfte ich mir niemals erlauben, weil sie Samara Wolkowa und ihre Kinder in Lebensgefahr bringen könnte. Dieses Risiko wollte ich nicht eingehen, außerdem würde mein Versagen meinen Tod bedeuten.

Die Tür zu meiner Linken öffnete sich. »Guten Morgen, Anatolij«, sagte Samara Wolkowa freundlich.

Ich nickte ihr zu. »Guten Morgen, Mrs. Wolkowa.«

Sie trug beide Kinder auf den Armen, was mich wunderte, da sie gewachsen und sicher schwer geworden waren. »Du siehst müde aus.«

»Es war eine kurze Nacht«, gab ich zu.

»Möchtest du dich lieber hinlegen?«

Daraufhin schüttelte ich den Kopf. Ich würde sie niemals im Stich lassen, dafür nahm ich meine Aufgabe zu ernst. Bis sie sich zurückziehen würde, würde ich in ihrer Nähe sein, außer der Pakhan hatte eine andere Aufgabe für mich. Aber dann waren immer noch genug byki im Haus, die sich um die Sicherheit der Hausherrin kümmern würden.

»Könntest du eines der Kinder nehmen? Die Nanny ist krank«, fragte sie verlegen.

»Sicher.« Ich neigte den Kopf. »Wen von beiden?«

Sie drehte sich so zu mir, dass ich ihr die kleine Anastasia abnehmen konnte.

»Guten Morgen, Printsessa«, sagte ich lächelnd und hob sie auf meine Arme. »Möchten Sie frühstücken?«, erkundigte ich mich, während die Kleine an meiner Krawatte zog.

Sie nickte. »Ja, Ivan wird gleich auch kommen.«

Wie jeden Morgen brachte ich sie ins Esszimmer. Dort angekommen setzte ich Anastasia in ihren Hochstuhl und schnallte sie an, während Samara dasselbe mit Viktor machte. Danach bezog ich meine Position neben der Tür und verschränkte die Hände hinter dem Rücken.

Der Pakhan wirkte gehetzt, als er den Raum betrat. Er setzte sich an den Tisch, griff sofort zum Kaffee und hatte überhaupt keine Augen für seine Frau und seine Kinder, da er auf sein Handy fixiert war.

»Stimmt etwas nicht?«, fragte sie.

Er sah sie an, dann zu mir und nickte zur Tür. Für mich das Zeichen, den Raum zu verlassen. Ich schloss die Flügeltür hinter mir und blieb davor stehen, damit niemand das Esszimmer betrat, der nichts darin zu suchen hatte.

»Guten Morgen, Anatolij.«

»Guten Morgen, Mr. Sorokin«, erwiderte ich freundlich und sah seinen kleinen Sohn an. »Der Pakhan möchte gerade nicht gestört werden.«

»Ich komme nicht wegen des Pakhans, sondern wegen einer Frage.«

Ich sah ihn skeptisch an.

»Alexej hat die ganze Nacht geschrien und Julijana und ich sind uns nicht sicher, was ihm fehlt, deshalb wollte ich Samara fragen, ob sie einen Rat für mich hat.«

»Sie ist gerade beim Pakhan.«

»Ist es in Ordnung, wenn ich im Wohnzimmer auf sie warte?«

»Ich gehe davon aus«, erwiderte ich. »Ich sage ihr Bescheid, dass Sie hier sind, sobald sie fertig sind.«

»Danke, Anatolij.«

Ich nickte ihm zu.

* * *

Nachdem ich meine Schicht hinter mich gebracht hatte, hatte ich mich im Fitnessraum der byki verausgabt und danach noch einmal geduscht.

Gleich musste ich mich auf den Weg ins Velvet Rose machen, um die Einnahmen abzuholen, Valentin würde mich begleiten. Früher hatte sich Wolkows Schwester um den Club gekümmert, heute hatte er die Leitung einem der Nachtwächter übertragen. Dort wurden auch Drogen verkauft, die zu zusätzlichen Einnahmen führten. Da sie sich momentan im Safe häuften, sollte ich sie holen, um sie dem Pakhan zu übergeben. Manchmal fanden dort auch Verhandlungen statt, jedoch häufiger in einem Stripclub.

Mrs. Wolkowa wusste nichts davon, laut des Pakhans durfte sich das auch nicht ändern, denn jeder von uns wusste, dass sie es nicht gutheißen würde.

Sie war die Blutkönigin, die vieles nicht wusste und noch weniger ahnte.

»Bist du so weit, Bratan?«

Ich nickte Valentin zu. »Bin ich.«

»Machen wir uns auf den Weg?«

»Einen Moment noch.« Ich zog meine Smith & Wesson und warf einen Blick ins Magazin.

Voll geladen.

In meinen Hosentaschen hatte ich weitere Magazine und im Handschuhfach des BMWs, den ich während meiner Botenfahrten fuhr, befand sich ebenfalls Munition. Ich steckte die Waffe zurück ins Holster, knöpfte das Jackett zu und machte mich gemeinsam mit Valentin auf den Weg zum Velvet Rose.

* * *

Vania

Tiefer konnte ich definitiv nicht mehr sinken.

Ich arbeitete als Stripperin, obwohl ich mir etwas ganz Anderes erträumt hatte. Ich kam mit dem Traum in die USA, Schauspielerin und, oder Model zu werden. Ich rannte ständig zu Castings, bloß um wenig später, eine Absage zu kassieren – eine nach der anderen. Also zog ich blank, um etwas zum Anziehen bezahlen zu können – und Lebensmittel, die Miete und einige andere laufende Kosten. Ich hasste mein Leben, wollte aber nicht zurück nach Nowosibirsk kriechen, wo meine konservativen Eltern nur darauf warteten, dass ich scheiterte.

Sie hatten sich ein anderes Leben für mich gewünscht. Ich sollte einen ehrbaren russischen Mann heiraten, am liebsten einen der Superreichen, aber nicht mit mir. So ein Leben hatte ich nie angestrebt. Ich hatte mich nicht daran gewöhnen können, dass sie versuchten, mich auf Ehe zu drillen, deshalb hatte ich mit zwanzig Jahren meine Sachen gepackt, meine Ersparnisse für ein Flugticket ausgegeben und war nach Amerika geflogen. Es hatte ein wenig gedauert, bis ich eine Aufenthaltserlaubnis bekommen hatte, zuvor hatte ich ein Touristenvisum. Der Sprachtest war eine Herausforderung, der ich mich zwischen allen möglichen Gelegenheitsjobs gestellt hatte, dennoch sprach ich nicht perfekt Englisch.

Ich wollte mich nicht mehr ausziehen, sondern endlich als Schauspielerin durchstarten oder als Model entdeckt werden. Vielleicht würde ich in zwei Wochen erfolgreich sein, denn dann würde Hollywood noch einmal zum Casting laden. Für eine Romanverfilmung und in diesem Buch spielte eine Russin die Hauptrolle. Für mich war es ein Leichtes, dann zu überzeugen, denn ich wusste, wie das Leben in Russland und auch in den USA lief.

Einmal im Leben musste ich doch Glück haben!

Gleich würde ich nach Hause gehen, meine Schicht war vorbei und ich hatte mir einen Wolf getanzt. Boshe moy, ich hatte sogar Muskelkater, weil ich den ganzen Abend an der Poledancestange zugange war. Ich war daran geschwungen, hochgeklettert, runtergerutscht, und so weiter. Man hätte sagen können, dass ich das Teil mit meinem knappen Schlüpfer poliert hatte.

Ich sah mich im Spiegel an. Das Make-up hatte ich abgewaschen, das Haarspray ausgekämmt und ich war umgezogen. Zwar kleidete ich mich gern sexy, aber bei der Arbeit war es dann doch etwas zu viel des Guten. Oder zu wenig.

Nachdem ich mich von meinem Chef verabschiedet hatte, verließ ich den Stripclub durch den Hinterausgang.

»Dein Boss wird wissen, wer dich auf dem Gewissen hat, wenn er dich findet, du Hurensohn!«, sagte jemand aggressiv.

Ich sah mich um, konnte aber niemanden ausmachen. Mit einem tiefen Atemzug machte ich mir Mut, dann lief ich die Treppe hinunter und weiter zur nächsten Querstraße.

»Sukin syn!«, erwiderte ein anderer. Sohn einer Hündin.

Das waren Russen oder zumindest ein Russe.

»Wie niedlich«, sagte der erste Kerl lachend.

Ich hasste, dass diese Gasse nur spärlich beleuchtet war. Aber noch mehr hasste ich, dass ich die Szene unfreiwillig beobachten konnte. Ich erstarrte, als ich eine Pistole aufblitzen sah.

»Grüß deine Freunde in der Hölle«, sprach er weiter, hielt dem Kerl die Waffe an den Kopf und drückte ab. Der Russe ging zu Boden und blieb reglos liegen.

Der Knall löste einen Tinnitus in meinen Ohren aus und ich schrie vor Schreck auf.

Blyad, warum hatte ich mich nicht einfach versteckt?

Sie schauten sich um und ich stolperte zur Seite, um mich bei den Mülltonnen zu verstecken. Allerdings fiel ich über etwas und stürzte in die Blechtonnen. »Scheiße«, stieß ich leise aus.

»Wer ist da?«, rief jemand.

Klar, als ob ich nun antworten würde, um ihnen zu verraten, wo ich mich verstecke. Ich rappelte mich auf und rannte in die andere Richtung zur Hauptstraße.

»Da hinten!«, sagte er laut.

»Bleib stehen, du Schlampe!«

Verdammt, warum hatte ich denn hohe Stiefel an?

Die Absätze erschwerten mir das Rennen. An meinem Kopf zischte etwas vorbei, weshalb ich aufschrie.

Wieso hörte mich denn niemand schreien?

Ich erreichte die Hauptstraße und wandte mich nach links, obwohl ich nach rechts gemusst hätte, um zu meiner Wohnung zu gelangen, allerdings wollte ich sie nicht dorthin locken.

»Jetzt bleib endlich stehen!«

Ich wagte einen Blick über meine Schulter und sah die Kerle näherkommen. Sie waren zu zweit, aber selbst gegen einen würde ich nicht ankommen. Ich rannte weiter. Wenigstens hatte ich dank meines Jobs Ausdauer, aber ich wusste ja nun, dass sie mehrere kleine Freunde hatten, die schneller fliegen als ich rennen konnte. Jedoch hoffte ich darauf, dass sie hier auf der Hauptstraße nicht auf mich schießen würden. Sie würden die wenigen Menschen auf sich aufmerksam machen, die um diese Uhrzeit unterwegs waren. Ich war in keinem besonders gehobenen Teil der Stadt unterwegs und den meisten war bestimmt egal, dass ich verfolgt wurde.

Niemand machte Anstalten, mir zu helfen. Blyad, warum musste ich immer so ein Pech haben?

* * *

Ich war drei Blocks weit gekommen, als mich meine Kraft langsam verließ. Meine Schritte wurden langsamer, meine Atmung schwerfälliger und die Kerle kamen immer näher.

»Gleich haben wir dich, du kleine Hure!«

Noch einmal mobilisierte ich all meine Energie.

Wenigstens hatte ich es versucht, sollten sie mich doch kriegen.

Plötzlich kollidierte ich mit einer Mauer.

»Vorsicht«, sagte eine tiefe Stimme mit russischem Akzent, die dazugehörigen Hände hielten mich an den Schultern fest.

»Loslassen«, erwiderte ich panisch und versuchte, mich von ihm zu befreien.

»Ist alles in Ordnung?«

Ich deutete hinter mich. »Diese Kerle …«

»Haben wir dich, du kleines Miststück!«, knurrte einer von ihnen.

Der Hüne, in dessen Körper ich gerannt war, schob mich hinter sich. »Ich wüsste nicht, was ihr in unserem Revier zu suchen habt.« Er klang ruhig, unerschütterlich – sehr bewundernswert in Anbetracht der Tatsache, dass er nicht bewaffnet zu sein schien.

»Geh zur Seite, Genosse«, verlangte einer von ihnen. »Die kleine Hure gehört uns.«

»Und warum gehört sie euch?«, wollte er wissen.

»Weil sie etwas gesehen hat, das sie besser nicht gesehen hätte.«

Ich lief rückwärts weiter, stieß aber mit einem weiteren Hindernis zusammen, was mich aufschreien ließ.

»Du solltest in seiner Nähe bleiben, er ist der Einzige, der dir gerade helfen kann.«

Ich zitterte am ganzen Körper.

»Allerdings solltest du jetzt nicht hinsehen.« Er packte um mich herum und drehte mich, sodass ich mit dem Rücken zu meinen Verfolgern und meinem vermeintlichen Retter stand. Ich starrte seinen Freund an.

»Woher kommst du?«

»Russland.«

»Das höre ich, aber woher?«, fragte er auf Russisch.

Mein Mund klappte auf und zu, aber Worte drangen nicht über meine Lippen. Es kam mir so vor, als hätte ich schlagartig das Sprechen verlernt. Womöglich lag es an dem Mann vor mir. Er strahlte Gefahr aus und das machte mir Angst. Noch größere Angst.

Hinter mir wurde diskutiert, aber nicht auf Russisch oder Englisch, sondern auf Tschechisch. Ich schloss die Augen, atmete tief durch und sah den Mann vor mir an. »Ich möchte bitte gehen.«

»Das lassen wir Anatolij entscheiden.«

Kopfschüttelnd wollte ich an ihm vorbeigehen, aber er schnitt mir den Weg ab.

»Du bleibst.«

»Hören Sie, ich will nur hier weg. Ich werde niemandem sagen, dass ich Sie gesehen habe, okay?«

»Du bleibst«, knurrte er, als ich ein weiteres Mal an ihm vorbeischlüpfen wollte. »Und wenn du jetzt noch einmal versuchst abzuhauen, werde ich handgreiflich.«

Ich schnaubte. »Mudak.« Arschloch

Er verengte die Augen zu Schlitzen. Sie waren so dunkel, dass sie beinahe schwarz wirkten, nun hatte auch sein Blick etwas Bedrohliches. Und er machte seine Drohung wahr, als ich noch einmal entwischen wollte. Er drehte mir den Arm so fest auf den Rücken, dass mir Tränen in die Augen schossen. »Ich habe dich gewarnt.« Er hatte mich durch seinen gezielten Griff so gedreht, dass ich nun vor ihm stand.

Mein Blick fiel auf den Rücken des Mannes, der meine Häscher in Schach hielt.

»Wir kriegen dich noch, du kleine Hure«, warnte mich einer von ihnen schließlich, dann wandten sie sich ab und gingen.

Der Freund dieses Wichsers, der mich festhielt, drehte sich zu uns um. Er hob eine Augenbraue. »Muss das sein, Valentin?«

»Sie wollte abhauen.«

»Lass sie los.«

»Alles klar.« Er gab mich frei.

»Wer bist du, Kleine?« Er kam näher. Seine braunen Haare hatte er mit Wachs in Form gebracht, seine rechte Augenbraue war von einer Narbe geteilt, und sein Gesicht so markant, wie ich es noch nie gesehen hatte. Ein Grübchen teilte sein Kinn, seine Lippen waren voll und hatten einen sinnlichen Amorbogen.

Wow.

Wäre dieser Mann nicht absolut bedrohlich gewesen, hätte ich mich ihm sofort an den Hals geworfen.

Ich schluckte.

Er neigte den Kopf. »Ich habe dich etwas gefragt.«

»Und ich will nach Hause.«

»Diese Kerle wollen dich umbringen, weil du etwas gesehen hast, das du besser nicht gesehen hättest, also solltest du besser nicht nach Hause gehen«, meinte er und sah zu seinem Freund. »Wir nehmen sie mit.«

Daraufhin packte mich der Penner, der mir den Arm verdreht hatte, und dirigierte mich zu einem schwarzen BMW. Jener, der die Entscheidung getroffen hatte, dass sie mich mitnehmen, öffnete die hintere Beifahrertür und sah mich an. »Die Kindersicherung ist aktiviert, die Fensterheber sind gesperrt, du wirst kein Theater machen, verstanden?«

Ich nickte.

»Und nun gibst du mir dein Handy«, sagte er entschieden.

»Nein.« Ich schüttelte den Kopf und umklammerte meine Handtasche.

»Das war keine Bitte, Kleine.«

Feindselig knurrte ich. »Ich werde diesem Befehl sicher nicht nachkommen.«

»Na schön.« Er kam einen Schritt näher und nahm mir die Handtasche weg. Ungeduldig durchsuchte er sie, bis er mein Smartphone in der Hand hielt. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, ließ er es zu Boden fallen und rammte den Absatz seiner Ledertreter auf das Display.

»Sie mieses Arschloch!«, schrie ich ihn an.

Er hob es auf, steckte es zurück in die Tasche und drückte sie mir in die Hände. »Einsteigen!«

Ich bewegte mich nicht, weshalb mich sein Kumpel auf den Rücksitz schubste, dabei schlug ich mir den Kopf an der Karosserie an und sank benommen auf die Lederpolster.

* * *

Jemand tätschelte meine Wange. »Hey, Kleines!«

Ich kniff die Augen zu. Mein Hirn fühlte sich an, als würde es gegen meine Schädeldecke knallen, wann immer ich den Kopf bewegte.

»Sieh mich an«, verlangte die Stimme. Sie gehörte nicht zu den beiden Männern, denen ich in die Arme gelaufen war.

Blinzelnd schlug ich die Lider auf, hielt die Augen verengt und sah den Kerl vor mir an.

»Wer bist du?«

Ich schluckte. »Wo bin ich?«, fragte ich leise.

»Sag mir, wer du bist.«

»Vania.«

»Vania und weiter?«, hakte er nach.

Ich holte tief Luft. »Worobjowa.«

»Vania Worobjowa?«, wiederholte er meinen vollen Namen. Er war Russe, das hörte ich. Niemand sprach so markant wie meine Landsleute.

»Da«, erwiderte ich.

»Überprüf das später, Anatolij.«

»Ja, Sir«, erwiderte der Kerl, der mein Handy zerlegt hatte.

»Wer sind Sie?«

Der vor mir zog einen Stuhl heran und setzte sich vor mich. »Mein Name ist Ivan Wolkow.«

Überrascht schnappte ich nach Luft. Ivan Wolkow, der Wolf der Bratwa, jeder Russe kannte den Namen dieser Familie. Mein Körper fing an, unkontrolliert zu zittern.

»Schön, ich schätze, du hast von mir gehört.«

Paralysiert war ich nicht in der Lage, etwas zu sagen oder zu nicken. Es war unmöglich.

»Meine byki haben dich vor zwei Tschechen gerettet, stimmt das?«

Das Herz schlug mir bis zum Hals.

Er neigte den Kopf und hob eine Augenbraue. »Ich wiederhole mich nicht gern.«

»Ha-haben sie, d-d-denke ich«, stammelte ich ängstlich.

»Du denkst es?«

Ich schluckte, atmete tief durch. »Ich bin Ihren Männern in die Arme gelaufen, Gospodin Wolkow.« Meine Stimme war leise.

»Und dann?«

»Hielt der eine mich fest und der andere sprach mit meinen Verfolgern«, erklärte ich ängstlich. Das Blut rauschte in meinen Ohren, so heftig schlug mein Herz.

»Wer hielt dich fest und wer sprach mit den Männern?«

Ich schaute hoch, erkannte den Mann. »Er sprach mit den Männern.«

»Und der andere hielt dich fest?«

Nickend senkte ich den Blick.

»Hat er dich verletzt?«

»Er hat mir wehgetan, aber ich denke nicht, dass ich verletzt bin«, erwiderte ich aufrichtig. »Und er hier hat mein Handy kaputtgemacht.«

Ivan Wolkow schnaubte. »Die Männer, die dich verfolgt haben, werden nicht ruhen, bis sie dich gefunden haben, das ist dir bewusst, oder?«

»Nein«, stieß ich aus. »Ich will nach Hause, dann verlasse ich meinetwegen die Stadt.«

»So weit würden Sie nicht einmal kommen, Miss Worobjowa«, sagte er ernst. »Ich kann Ihnen Schutz bieten, allerdings erwarte ich eine Gegenleistung dafür.«

Irritiert zog ich die Augenbrauen zusammen. »Und welche?«

»Sie sind laut Ihren Verfolgern aus einem Stripclub gekommen, der den Tschechen gehört. Sie werden mir sagen, wer in diesem Etablissement ein und ausgeht.«

»Ich kenne keine Namen«, sagte ich leise.

»Man wird Ihnen Fotos zeigen.«

»Und dieses Wissen verschafft Ihnen welche Vorteile?«

»So einige, mehr müssen Sie nicht wissen.«

Ich wollte niemanden ans Messer liefern. Aber mit der russischen Mafia legte man sich besser nicht an. Ihnen würde auffallen, wenn ich lügen würde, weshalb es vielleicht besser wäre, zu behaupten, dass ich niemanden kenne, wenn sie mir diese Fotos vorlegen würden. Ich achtete sowieso nie auf die Gäste, sondern nur auf die Dollarnoten, die in meinen knappen Kostümchen landeten. Nein, ich entschloss mich für die Wahrheit. »Ich bin Stripperin, meistens sehe ich die Gäste gar nicht wegen des Lichts, das auf die Bühne scheint. Ich … ich weiß nicht, ob ich Ihnen helfen kann.«

»Dann sollten Sie sich anstrengen.«

»Ich will Ihren Schutz aber gar nicht«, wandte ich ein. »Also, kann ich nun gehen, oder?«

»Nein, weil Sie sich unseren Schutz gerade verdient haben, denn ich bin der Überzeugung, dass Sie etwas wissen.«

»Ich möchte nach Hause.«

»Sie werden bleiben.«

Ich schnaubte.

»Sie können sich gern die Zeit damit vertreiben, für die byki zu tanzen«, sagte er amüsiert und erhob sich. »Oder Sie verhalten sich ruhig, dann bekommen Sie ein Schlafzimmer und wir kümmern uns um die Kerle, die Sie verfolgt haben.«

»Sir?«, mischte sich der Mann ein, der mich hierher gebracht hatte.

»Bitte?«

»Sie haben einen unserer Männer erschossen.«

»Wen?«

»Zbigniew.«

»Den Polen?«, hakte Wolkow nach.

»Ja, Sir.«

»Zeig ihr so lange die Fotos, bis sie einen der Kerle erkennt, Anatolij«, entschied Wolkow und sah mich finster an. »Und Sie erinnern sich besser an diese Männer, sonst werde ich Ihr schlimmster Albtraum sein.«

»Wo soll sie untergebracht werden?«

»Gib ihr die alte Suite meiner Frau und achte darauf, dass immer jemand vor ihrer Tür steht, damit sie nicht türmt.«

»Wenn ich Ihnen sage, wen ich kenne, können Sie mich doch gehen lassen«, mischte ich mich ein.

Wolkow drehte sich zu mir, beugte sich vor und stützte seine Hände auf die Stuhllehnen, von denen ich glücklicherweise meine Arme genommen hatte. »Ich muss sichergehen, dass Sie die Wahrheit sagen.«

Ich presste meine Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. Blyad, ich wollte nicht hierbleiben, sondern nach Hause, meine Sachen packen und die Stadt verlassen. Hauptsache, ich kam aus der Schusslinie.

»Bring sie in die Suite, Anatolij«, sagte Wolkow entschieden. Der Pakhan verschwand und ich blieb wie festgewachsen sitzen.

»Steh auf.«

Ich schaute zu Anatolij hoch, bewegte mich aber nicht. Kurzerhand packte er meinen Arm und zog mich auf die Beine. »Ich habe keine Lust auf deine Spielchen. Tu, was ich dir sage, wenn ich es dir sage. Ebenso solltest du bei meinen Brat’ya verfahren, sonst wird das kein angenehmer Aufenthalt für dich. Denn der Pakhan sagte nicht, dass dir kein Haar gekrümmt werden darf.«

»Die Bratwa hat Regeln. Ich weiß, dass ihr mich nicht verletzen würdet, weil ich euch weder gefährdet noch verraten habe«, hielt ich mutig dagegen.

Anatolij schnaubte unzufrieden, dann zerrte er mich zur Tür.

»Schon gut, Mann, ich kann alleine gehen«, beschwerte ich mich, entriss ihm meinen Arm und wartete darauf, dass er mir den Weg wies.

Fünf Minuten später stand ich in einer Art Wohnung. Wolkow hatte es eine Suite genannt. Ich sah mich um, Luxus umgab mich, aber es fühlte sich nicht so gut an, wie ich es mir erträumt hatte.

»Wir können es uns beiden leicht machen und du sagst mir, ob du irgendwelche Leichen im Keller hast, oder du machst es uns schwer und ich forsche nach, dabei fördere ich meistens eine Menge Dreck zutage, der deine Familie in ein völlig neues Licht rücken wird«, sagte Anatolij stoisch.

Ich schaute zu ihm. »Forsch doch nach, Mudak, ich werde dir einen Scheiß über mich verraten.« Wahrscheinlich war ich zu feindselig, aber ich hatte die Schnauze voll. Ich hatte niemanden um Schutz gebeten, sie hatten ihn mir aufgezwungen und mich in diese Lage gebracht.

Er kam auf mich zu und blieb direkt vor mir stehen. Anatolij griff in mein Haar, zog ruppig meinen Kopf in den Nacken und sah mich feindselig an. »Du solltest kooperieren, statt dich wie ein bockiges Kind zu verhalten!« Danach stieß er mich nach hinten, sodass ich auf eine Couch plumpste. »Rede.«

»Nein.«

»Du wirst mir nun jeden Namen nennen, den du schon einmal in diesem billigen Stripschuppen gehört hast.«

»Nein!«, beharrte ich und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Dein Schweigen kann deinen Tod bedeuten.« Er räusperte sich. »Und den Tod meiner Brüder, also wirst du nun reden.«

»Lies es mir von den Lippen ab: Nyet!«, herrschte ich ihn an.

Er schnaubte abermals, setzte sich auf den Couchtisch vor mir und starrte mich an. Der Kerl hatte etwas Finsteres an sich, das Gänsehaut über meinen Körper jagte. »Ein letztes Mal: Rede oder ich forsche nach. Ich habe schon über andere Menschen Dinge herausgefunden, die deren Leben zerstört haben. Willst du das wirklich riskieren?«

Ich wandte den Blick ab. »Hören Sie, ich habe wirklich keine Ahnung, wer diese Männer sind. Ich weiß nichts über die Geschäfte meines Chefs und noch weniger über den Mord, den ich beobachtet habe. Ich habe wirklich keine Ahnung und will einfach nur nach Hause.«

»Dorthin kann ich dich nicht gehen lassen.«

»Warum nicht?«

»Weil du in Gefahr bist und der Pakhan beschlossen hat, dir Asyl zu gewähren. Ich werde mich nicht über seinen Befehl hinwegsetzen.«

Tränen traten in meine Augen. »Ich möchte zurück zu meiner Familie.« Hoffentlich deckte er meine Lüge nicht auf, denn ich wollte keinesfalls zurück zu meinen Eltern, allerdings war das allemal besser, als von irgendwelchen Männern erschossen zu werden, weil ich sie bei einem Mord beobachtet hatte.

Anatolijs Miene versteinerte. »Du hast Mann und Kinder?«

Ich sagte nichts.

»Wo?«

»In Russland.«

Daraufhin hob er eine Augenbraue. »Wo in Russland?«

Ich schluckte, antwortete ihm aber nicht.

»Wo in Russland lebt deine Familie?«

Stur wandte ich den Blick ab, woraufhin er mein Kinn mit einer Hand umklammerte und mich zwang, ihn anzusehen. »In Nowosibirsk«, sagte ich undeutlich.

»Mann und Kinder?«

»Mutter und Vater«, erwiderte ich und er gab mich endlich frei.

»Wissen diese Kerle deinen Namen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, aber mein Chef kennt ihn und wenn sie zu ihm gehören, werden sie meinen Eltern sicher einen Besuch abstatten.«

Anatolij neigte den Kopf. Er betrachtete mich aus grünen Augen, die mich unfreiwillig an Smaragde erinnerten. »Ich werde mit dem Pakhan sprechen, sobald wir hier fertig sind.«

»Sie wollten mir doch Fotos zeigen«, wechselte ich das Thema.

»Ich werde sie holen.« Danach erhob er sich und verließ die Wohnung, Suite oder was auch immer es war.

Ich erhob mich und ging ans Fenster. Als ich hinaus sah, erkannte ich einen groß angelegten Park, anders konnte man es nicht beschreiben, denn einen Garten stellte ich mir wesentlich kleiner vor.

Aber warum wunderte ich mich darüber?

Ich war im Haus des Kopfs der russischen Mafia und würde ich mich hier nicht einwandfrei verhalten, würden sie mich sicher verschwinden lassen. Zwar gab es das Gerücht, dass diese Männer einer Frau nichts zu Leide taten, aber darauf konnte und wollte ich mich nicht verlassen.

Auf meinen Armen breitete sich Gänsehaut aus, die sich über meinen Körper fortbewegte und mich frösteln ließ.

Hinter mir räusperte sich jemand. Ich war mir sicher, dass Anatolij zurückgekehrt war. Langsam drehte ich mich um. »Hier sind die Fotos.«

Mit hängenden Schultern näherte ich mich der Couch und hielt die Hand auf. Er übergab mir eine Mappe. Ich setzte mich hin, dann fing ich an, die Aufnahmen durchzugehen. Ich hatte jeden einzelnen erkannt, dennoch legte ich die ersten zehn Aufnahmen zur Seite. Es waren freundliche Männer und ich wollte sie nicht ans Messer liefern.

»Jemanden erkannt?«

Ich schüttelte den Kopf. »Diese Männer habe ich noch nie gesehen, deshalb habe ich die Fotos weggelegt.«

Er musterte mich. »In Ordnung.« So wie er mich ansah, schien er mir nicht zu glauben.

Könnte ich doch nur besser lügen!

* * *

Anatolij

Ausgerechnet eine Stripperin, die für die Tschechen tätig war, musste mir in die Arme laufen, als ich mit Valentin unterwegs war. Ich kannte die Männer, die sie verfolgt hatten, mit ihnen hatte ich öfter am Verhandlungstisch um die Reviere gesessen, vermutlich hatten sie deshalb keinen Ärger angefangen. Sie sah sich die Fotos an, die ich beim Pakhan geholt hatte, und legte immer wieder welche zur Seite.

---ENDE DER LESEPROBE---