Das Erbe der Hofdame - Elizabeth Chadwick - E-Book

Das Erbe der Hofdame E-Book

Elizabeth Chadwick

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Beschreibung

Historischer Schmökerstoff vom Feinsten!

England, 1238. Die junge Joanna wächst behütet am Hof von König Heinrich III. auf, als Hofdame der Königin. Eines Tages bekommt sie eine Nachricht, die alles verändert: Gänzlich unerwartet wird sie zur Erbin von Ländereien und Besitztümern. Damit steht sie als eine vielversprechende Kandidatin auf dem Heiratsmarkt da. Der König, dem sie sehr am Herzen liegt, bemüht sich einen guten Ehemann für sie auszusuchen. Die Wahl fällt auf William de Valence, seinen jüngsten Halbbruder. Während Joanna und William versuchen, sich ein gemeinsames Leben aufzubauen, versinkt England im Bürgerkrieg. William ist gezwungen zu fliehen, und Joanna bleiben nur ihr Verstand und ihr Mut, um die Feinde zu überlisten …

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Seitenzahl: 779

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Buch

England, 1238. Die junge Joanna wächst behütet am Hof von König Heinrich III. auf, als Hofdame der Königin. Eines Tages bekommt sie eine Nachricht, die alles verändert: Gänzlich unerwartet wird sie zur Erbin von Ländereien und Besitztümern. Damit steht sie als eine vielversprechende Kandidatin auf dem Heiratsmarkt da. Der König, dem sie sehr am Herzen liegt, bemüht sich, einen guten Ehemann für sie auszusuchen. Die Wahl fällt auf William de Valence, seinen jüngsten Halbbruder. Während Joanna und William versuchen, sich ein gemeinsames Leben aufzubauen, versinkt England im Bürgerkrieg. William ist gezwungen zu fliehen, und Joanna bleiben nur ihr Verstand und ihr Mut, um die Feinde zu überlisten …

Autorin

Elizabeth Chadwick lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen in Nottingham. Sie hat inzwischen über 20 historische Romane geschrieben, die allesamt im Mittelalter spielen. Vieles von ihrem Wissen über diese Epoche resultiert aus ihren Recherchen als Mitglied von »Regia Anglorum«, einem Verein, der das Leben und Wirken der Menschen im frühen Mittelalter nachspielt und so Geschichte lebendig werden lässt. Elizabeth Chadwick wurde mit dem Betty Trask Award ausgezeichnet, und ihre Romane gelangen immer wieder auf die Auswahlliste des Romantic Novelists’ Award.

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ELIZABETH CHADWICK

Das Erbe der Hofdame

Historischer Roman

Deutsch von Nina Bader

Die Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel »A Marriage of Lions« bei Sphere, an imprint of Little, Brown Book Group, Hachette UK Company, London.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © der Originalausgabe 2021 by Elizabeth Chadwick

Copyright © 2024 der deutschsprachigen Ausgabe by Blanvalet Verlag, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Ulrike Buergel-Goodwin

Umschlaggestaltung: Johannes Wiebel | punchdesign; unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com (BERLIN-BELICHTET.DE; Greg Brave; Lustre; Birgit Reitz-Hofmann; Анастасия Смирнова) und Kwiatek7 / Shutterstock.com

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

LH ∙ Herstellung: sam

ISBN 978-3-641-31500-9V001

www.blanvalet.de

Für meinen Vater, Robert »Bob« Chadwick22. Januar 1928 – 27. März 2020In Erinnerung an Crispin’s Capers

DIE HAUPTPERSONEN DES ROMANS

In der Reihenfolge ihres Auftretens

Joanna de Munchensy

Achtjährige Enkelin des großen William Marshal, ehe­maliger Regent von England. Sie wird am Hof aufgezogen und im Haushalt der Königin ausgebildet.

Madam Biset

Eine Angehörige von Königin Alienors Haushalt.

Mabel

Joannas Kinderfrau und Dienerin.

Cecily de Sandford

Joannas Lehrerin und Mentorin, eine ältere Edelfrau des Haushalts.

Sausagez

Ein flauschiger weißer Schoßhund, der Dame Willelma ­gehört.

Dame Willelma

Königin Alienors Kinderfrau, eine ältere Angehörige des Haushalts, die seit der Kindheit der Königin bei ihr ist.

Mistress Roberga

Eine von Königin Alienors Kammerfrauen.

Henry III., König von England

Sohn des berüchtigten Königs John, ihm aber sehr unähnlich und ein künstlerisch veranlagter Familienmensch – kein Krieger.

Gilbert Marshal, Earl of Pembroke

Joannas Onkel mütterlicherseits.

Sybil Giffard

Eine weitere von Königin Alienors Kammerfrauen und erfahrene Hebamme.

Alienor von der Provence, Königin von England

Zu Beginn des Romans sechzehn Jahre alt.

Johan de Munchensy

Joannas Bruder, zwei Jahre älter als sie.

Simon de Montfort

Earl of Leicester, verheiratet mit Eleanor, der Schwester des Königs.

Eleanor de Montfort

Simon de Montforts Frau und auch Schwester von König Henry III. und Halbschwester der später erwähnten Lusignans.

Lord Edward

Sohn von Henry III. und Königin Alienor, Thronerbe.

Richard of Cornwall

Bruder von Henry III.

Isabelle Marshal

Erste Frau von Ärichard of Cornwall und Joannas Tante mütterlicherseits.

Mahelt Marshal, Countess of Surrey

Mutter von John de Warenne und auch von Roger und Hugh Bigod, Joannas Tante mütterlicherseits.

John de Warenne

Joannas Vetter und Erbe der Grafschaft Surrey.

Margaret

Tochter von Henry III. und Alienor von der Provence.

Warin de Munchensy of Swanscombe

Joannas Vater.

Peter von Savoyen

Onkel der Königin und Earl of Richmond, Vormund von John de Warenne.

Isabel of Angoulême

Mutter von König Henry III., Richard of Cornwall und Eleanor de Montfort. Durch ihre zweite Heirat auch Mutter der Lusignans, William de Valence miteingeschlossen.

Aliza de Lusignan

Halbschwester von Henry III. durch ihre Mutter Isabel of Angoulême. Spätere Frau von John de Warenne.

Guy de Lusignan

Sohn von Isabel of Angoulême und Halbbruder von Henry III.

Geoffrey de Lusignan

Sohn von Isabel of Angoulême und Halbbruder von Henry III.

William de Valence

Jüngster Sohn von Isabel of Angoulême und Halbbruder von Henry III., späterer Mann von Joanna de Munchensy.

Beatrice

Tochter von Henry III.

Edmund

Sohn von Henry III.

Henry of Almain

Sohn und Erbe von Richard of Cornwall und seiner ersten Frau Isabelle Marshal, Joannas Vetter.

Elias

Diener von William de Valence.

Aymer de Valence

Sohn von Isabel of Angoulême und Halbbruder von Henry III., für das Priesteramt bestimmt, wird Bischofselekt von Winchester.

Master Peter

Arzt des königlichen Haushalts.

Adam Marsh

Ein Mönch im königlichen Haushalt.

Jacomin

Englischer Diener von William de Valence.

Richard de Clare

Joannas Vetter, Sohn ihrer Tante Isabelle aus erster Ehe.

Robert

Joannas Koch.

Bonifaz

Erzbischof von Canterbury und ein weiterer Onkel von ­Alienor.

Johan

Joannas erstgeborener Sohn.

Dionysia

Joannas Stiefmutter.

Guillaume de Munchensy

Joannas Halbbruder aus der zweiten Ehe ihres Vaters mit Dionysia.

Agnes

Joannas älteste Tochter.

Emma

Serviermädchen vom Land und spätere Mätresse von ­Aymer de Valence.

Eustace de Lenn

Ein Beamter in den Diensten von Erzbischof Bonifaz.

Isabelle

Zweite Tochter von John de Warenne.

Louis IX

König von Frankreich und Schwager von Henry III.

Marguerite

Frau von König Louis, Königin von Frankreich, Schwester von Königin Alienor von England.

Katherine

Jüngste Tochter von Henry III. und Königin Alienor.

William (Will)

Zweiter Sohn von Joanna und William de Valence.

Leonara von Kastilien

Frau von Lord Edward.

Albricht

Ein Londoner Pastetenverkäufer.

Henry de Montfort

Ältester Sohn von Simon und Eleanor de Montfort.

Nicolas

Joannas Kaplan.

Isabelle

Joannas jüngste Tochter.

1

Königlicher Palast von Woodstock, OxfordshireSeptember 1238

Joanna erwachte im Dunkeln in dem weichen Federbett, das sie mit ihrer Kinderfrau teilte, und rang nach Luft, als sie aus dem Würgegriff ihres Traums auftauchte. Neben ihr verankerte Mabels vertrautes warmes Gewicht, das in die Matratze einsank, sie mit der tröstlichen, beseligenden Reali­tät. Im körnigen Licht der Nachtkerze waren die Umrisse der schlafenden Kammerfrauen der Königin wie ­Hügel vor der inneren Kammer zu erkennen, in der der König mit seiner Frau schlief.

Der Traum verblasste bereits, aber er hatte von ihrem Heim in Swanscombe und ihrer Mutter gehandelt – wie alle ihre Träume. Sie rollte sich auf den Rücken und blickte zu den gemalten goldenen Sternen an der Kammerdecke hoch, die im schwachen Flackern der Kerze schimmerten. Sechs Monate waren vergangen, seit sie an ihrem achten Geburtstag am Hof eingetroffen war, um im Haushalt der jungen Königin aufzuwachsen und ausgebildet zu werden. Fast ohne sich noch einmal umzudrehen, hatte ihr Vater sie dort zurückgelassen und war zu seiner neuen Frau und seinem Kind nach Hause zurückgekehrt.

Joanna erinnerte sich lebhaft daran, wie sie in dem Wissen, dass ihre Mutter in ihr Leichentuch gehüllt nur Inches entfernt und doch unerreichbar unter dem Stein lag, die kalte Grabplatte berührt hatte. Das Ehegelübde besagte, dass kein Mensch ein Paar trennen sollte, das Gott zusammengefügt hatte, aber Gott selbst hatte das Band zwischen ihren Eltern durchtrennt, und eine neue Frau hatte den Platz ihrer Mutter eingenommen und einen Sohn geboren. Die Vergangenheit, sie selbst miteingeschlossen, war als von nur geringer Bedeutung beiseite gewischt worden – eine Bemühung, die sich als vergeblich erwiesen hatte. Ihr Vater sagte, ein Platz im königlichen Haushalt wäre eine große Ehre und eine fantastische Möglichkeit für eine Tochter, die über bessere Verbindungen als Aussichten auf Wohlstand verfügte, aber Joanna wusste, dass der wahre Grund war, dass weder ihr Vater noch ihre Stiefmutter sie in Swanscombe in ihrer unmittelbaren Nähe dulden wollten.

Durstig kroch sie aus dem Bett und schlich auf Zehenspitzen gewandt und barfuß zwischen den Schlafenden hindurch zu dem Krug mit Quellwasser, der auf dem Büfett stand. Dame Willelmas flauschiger weißer Schoßhund Sausagez hob den Kopf, um sie zu beobachten, und rollte sich dann, die Nase unter den Schwanz geschoben, wieder in seinem gepolsterten Körbchen zusammen.

Hinter der geschlossenen Tür der inneren Kammer hörte Joanna Königin Alienors helle Stimme und dann die grollende Antwort des Königs, die mit einem kehligen Kichern endete. Seit ihrer Ankunft in Woodstock hatte er seine junge Frau fast jede Nacht besucht, und Joanna hatte ihre anfängliche Scheu verloren und sich an seine Anwesenheit ­gewöhnt. Ihre Lehrerin Dame Cecily sagte, es wäre nun, da sie alt genug war, die Pflicht der Königin, Kinder zu gebären, und die Pflicht des Königs, diese zu zeugen.

Joanna mochte den König. Seine Haut roch nach Rosen und Weihrauch. Manchmal strich er ihr über den Kopf und fragte sie mit einem freundlichen Lächeln nach ihren Fortschritten im Unterricht. Er machte der Königin aufmerksame kleine Geschenke und betete sie eindeutig an. Für Joanna war das etwas Magisches – ein Mann, der seine Frau liebte und ihr den Hof machte.

Als sie ihr Wasser trank, bemerkte Joanna, dass die äußere Tür einen Spalt offen stand und Licht dahinter schimmerte, was hieß, dass Madam Biset wieder in ihre Gebete versunken war. Vielleicht würde sie auch gerne etwas trinken. Joanna füllte sorgsam einen frischen Becher, schlüpfte in das Vestibül und näherte sich Madam Biset, die vor einem kleinen Tisch kniete und vor einer Statuette der Jungfrau Maria ihre Rosenkranzperlen zählte. Joannas Ankunft verdunkelte die Kerzenflamme, und Madam Biset blickte mit zwei dünnen vertikalen Furchen zwischen den Augenbrauen auf.

»Kind, was tust du mitten in der Nacht außerhalb deines Bettes?«

Joanna knickste und hielt ihr den Becher hin. »Ich bin aufgewacht, und ich hatte Durst, Madam. Ich wusste, dass Ihr betet, und da dachte ich an Euch.«

Die gerunzelte Stirn entspannte sich. »Gesegnet seist du für deine Freundlichkeit, Kind.« Madam Biset nahm den Becher entgegen. »Die Königin hat mich gebeten, für ihre Fruchtbarkeit zu beten, damit sie heute Nacht vielleicht einen Erben für England empfängt. Komm, du kannst ein Gebet mit mir sprechen.« Sie klopfte auf den zusammengefalteten Umhang neben sich.

Joanna kniete sich gehorsam auf den Stoff, faltete die Hände und heftete den Blick auf die exquisite kleine Statue. Das Gewand der Jungfrau war blau, und sie trug eine zierliche goldene Krone. Das Jesuskind lag mit einem zur Welt ausgestreckten Arm auf ihrem Schoß. Die Königin war so bestrebt, dem König einen Sohn zu gebären. Erst an diesem Morgen hatte sie eine Abhandlung über Empfängnis der medizinischen Schule von Salerno zu Rat gezogen, und heute Abend hatte Joanna geholfen, die Wanne mit speziellen Kräutern und Rosenwasser vorzubereiten, in der die Königin gebadet hatte, bevor sie sich mit ihrem Lord in ihr Bett zurückgezogen hatte.

Madam Biset beschwor die Jungfrau, der Königin in dieser Angelegenheit Gnade und Unterstützung zu gewähren, zählte bei jeder Bitte eine Perle ab, hielt aber plötzlich mitten in der Bewegung inne, als wütende Rufe erschollen, gefolgt von mehrmaligem lautem Krachen, das klang, als würden Möbel zertrümmert.

Eine trunkene Stimme brüllte: »Wo ist er? Wo ist der Mann, der meine Krone gestohlen hat? Wo ist der Lügner, der sich selbst König nennt? Ich werde ihm sein noch schlagendes Herz aus dem Leib schneiden und es an die Krähen verfüttern!«

Ein Mann torkelte aus der Dunkelheit auf Joanna und Madam Biset zu. Seine Kleider waren fleckig und unordentlich, ein Bein seiner Hose ringelte sich um seine Wade und entblößte einen behaarten Schenkel. Er schwang ein langes Messer durch die Luft und stach wild auf einen unsichtbaren Gegner ein.

Joanna schrie und packte Madam Bisets Arm.

»Du, Frau, wo ist der König?« Er bleckte die Zähne, und Joanna schlug der Gestank von saurem Wein und Erbrochenem aus seinem offenen Mund entgegen.

Madam Biset, jetzt auf den Füßen, deutete auf die kleine Kammer, die von den Sekretären genutzt wurde. »Dort drinnen«, sagte sie. »Er ist vor einem Moment hineingegangen.«

Der Mann drehte sich um und stolperte mit gezücktem Messer auf den Raum zu.

Madam Biset zerrte Joanna in die Schlafkammer, schlug die Tür zu und schob mit voller Wucht den Riegel vor. »Geh zu Cecily«, befahl sie. »Ich werde den König wecken.«

Die Frauen regten sich, erschreckt aus dem Schlaf gerissen, mit geweiteten Augen und alarmiert. Mistress ­Roberga beeilte sich, mehr Licht zu bringen. Joanna rannte zu ihrem Bett, wo ihre Kinderfrau Mabel nach ihren Kleidern tastete. Dame Cecily war bereits angekleidet und befestigte einen Schleier über ihrem langen grauen Zopf. Sausagez raste durch den Raum, bellte aus vollem Hals und attackierte blindlings die Knöchel der Frauen.

»Draußen ist ein Mann mit einem großen Messer!« Joan­nas Stimme zitterte. »Er …, er sagte, er würde dem König das Herz herausschneiden. Ich habe Madam Biset etwas zu trinken gebracht, und er kam aus dem Dunkeln auf uns zu …« Sie erschauerte, als sie sich an das Blitzen der in die Luft stechenden Klinge erinnerte, an den offenen, stinkenden Mund.

Cecily nahm Joannas Umhang vom Fußende des Bettes und schlang ihn um ihre bebenden Schultern. »Nur ein Mann?«

Joanna nickte. »Er s…sagte, der König hätte seine Krone gestohlen.« Sie zuckte vor Schreck zusammen, als draußen vor der Tür weitere wüste Geräusche ertönten – Rufe, Flüche und Schläge.

Cecily drückte tröstend Joannas Schulter und schob sich schützend vor sie. Dame Willelma war es gelungen, ihren Hund zu packen und unter ihren Arm zu klemmen, wo er weiterhin heftig um sich schnappte und kläffte.

Vor der verrammelten Tür fluchte jemand gotteslästerlich. »Der König wird sterben! Der König wird st…« Das letzte Wort endete mit einem Hieb, einem wilden Schrei und dann einem dumpfen Krachen. Mit geweiteten Augen schmiegte Joanna sich an Cecily.

Hinter ihnen flog die Tür der inneren Kammer auf, und der König kam mit totenblassem Gesicht heraus. Mit der rechten Hand umklammerte er ein Schwert. Er hatte sich einen Umhang über sein Unterhemd geworfen, und seine Beine waren nackt.

Draußen hämmerte eine Hand gegen die Tür, und Joanna schrak zusammen. »Sire, Madam, ich bin es, Gilbert Marshal – wir haben den Schurken festgenommen.«

Der König machte ein Zeichen, und die Frauen zogen den Riegel weg, um Joannas Onkel Gilbert Marshal, Earl of Pembroke, einzulassen, einen breitschultrigen Mann mit dichten Brauen und wachsamen dunklen Augen. Er und Henry waren gleich groß, aber der Earl wirkte größer, weil er so breit gebaut war.

»Sire«, sagte er, wobei er sich verneigte, »wir haben den Eindringling, der Euch Böses wollte, überwältigt und ent­waff­net. Er wartet darauf, dass Ihr ihn verhört.«

Henry nickte steif. »Wie ist er hereingekommen?«

»Durch Euer Kammerfenster geklettert, Sire – das glaube ich zumindest.« Der Earl fuhr sich mit einer Hand durch sein schütter werdendes Haar. »Ich wollte gerade zu Bett gehen, als ich einen Tumult hörte, und habe die Wächter alarmiert. Wenn Ihr nicht die Königin besucht hättet …« Er ließ das, was er nicht sagte, für sich sprechen.

Henry stieß vernehmlich den Atem aus. »Lasst den Rest des Palastes durchsuchen – jeden Raum, jede Truhe, jeden Schrank. Schaut hinter die Wandbehänge und Vorhänge. Überlasst nichts dem Zufall. Sorgt dafür, dass ich angekleidet werde, dann werde ich mit ihm sprechen. Gott sei Dank, Mylord Marshal, dass Ihr so spät noch wach wart.«

»In der Tat Gott sei Dank«, sagte Earl Gilbert, verbeugte sich und verließ den Raum.

Henry drehte sich zu den Frauen, und Joanna bemerkte, dass er zitterte, so wie sie, und die Nacht war nicht kalt. Hatte der König Angst? Aber er hatte den Mut gehabt, sich der Gefahr mit dem Schwert zu stellen, genau wie ihr ­Onkel. Entschlossen, ebenso tapfer zu sein wie sie, ballte sie die Fäuste.

»Ladys, alles ist gut«, sagte der König mit bebender Stimme und beschrieb mit seiner freien Hand eine Geste. »Unser Dank gilt Madam Biset – ihr rasches Denken hat uns alle gerettet. Bitte beruhigt Euch und geht wieder zu Bett, wenn Ihr dazu bereit seid.« Mit einer Grimasse des Abscheus reichte er das Schwert seinem Knappen und zog sich in seine Schlafkammer zurück, um angekleidet zu werden.

Die Kaminmagd stocherte in der Glut, bis diese zu neuem Leben erwachte, und Lady Giffard machte sich daran, heißen, gewürzten Wein zuzubereiten, um jedermanns Nervosität zu lindern.

Dame Cecily küsste Joanna auf die Wange. »Komm, Kind, es ist vorbei, und es wurde kein Schaden angerichtet. Tatsächlich könnten wir sogar davon profitieren, weil wir jetzt gewarnt sind und bessere Vorsichtsmaßnahmen treffen können. Es gibt Mittel und Wege für jede Situation, wenn du Gott um Hilfe bittest und den Verstand einsetzt, den Er dir gegeben hat.«

Joanna nickte stumm. Die Furcht brannte immer noch in ihrem Magen, als hätte sie ihn sich verdorben, aber Cecilys Worte beruhigten sie.

Der König tauchte vollständig angekleidet aus seiner Schlafkammer wieder auf, gefolgt von Königin Alienor, die einen Umhang über ihrem Hemd trug und der ihr Haar wie ein loser brauner Wasserfall über den Rücken floss. »Seid vorsichtig, Sire«, bat sie und berührte ihn am Arm.

Er nahm ihre Hände und zog sie an die Lippen. »Ich verspreche es dir, hab keine Angst. Ich werde später zurückkommen, und deine Frauen werden dir in der Zwischenzeit beistehen. Für den Rest der Nacht wird die Tür scharf bewacht werden.« Er küsste sie auf die Stirn und ging.

Die Königin sah zu, wie er die Tür schloss, und setzte sich dann mit einem Seufzer an das Feuer.

Cecily gab Joanna ein paar Schlucke gewürzten Wein aus ihrem Becher, bevor sie sie mit Mabel in das Bett zurückschickte. »Geh schlafen«, sagte sie sanft. »Am Morgen wird all das hinter uns liegen.«

Joanna kroch zwischen die Decken, zog die Knie an die Brust und drehte sich mit dem Gesicht zum Feuer und Kerzenschein, um die vor dem Kamin versammelten Frauen zu beobachten. Während sie deren mit leiser Stimme geführtem Gespräch lauschte, als sie bei ihrem Wein saßen, schob sie den Daumen in den Mund – etwas, was sie seit vielen Monaten nicht mehr getan hatte, aber heute Nacht brauchte sie diese Sicherheit. Als Sausagez neben ihr auf das Bett sprang und sich, die Nase unter den fedrigen Schwanz geschoben, zusammenrollte, scheuchte sie ihn nicht weg.

»Gott sei Dank war der König bei mir«, sagte die Königin. »Er hätte getötet werden können. Tatsächlich hätten wir ohne Dame Margarets raschem Verstand alle in unseren Betten ermordet werden können.«

»Ihr solltet nicht länger darüber nachgrübeln, Madam.« Dame Cecilys Stimme klang beschwichtigend. »Gott hat es für angemessen erachtet, uns alle zu verschonen.«

Alienor strich ihr im Feuerschein satt hellbraun schimmerndes lose herabfallendes Haar über die Schultern und fuhr mit den Fingern hindurch. »Aber wir sollten es Gott nicht schwerer machen als nötig. Ich werde darauf bestehen, dass mein Lord morgen alle unteren Fenster vergittern lässt.«

Joannas Lider flatterten nach unten. Gitter vor allen Fenstern. Würden sie auch wie Gefangene leben müssen? Vor ihrem geistigen Auge sah sie wieder den Mann auf sich zu stürmen, bereit zu morden, und sie erschauerte, aber zugleich erinnerte sie sich an Madam Bisets schnelle Reaktion auf die Krise und Cecilys ruhige beschützende Art. Sie dachte an den König, der kampfbereit sein Schwert hielt, obwohl er Angst gehabt hatte. Sie lag sicher in ihrem Bett und beobachtete die Frauen, die kameradschaftlich und sich gegenseitig beruhigend im Schein des Feuers saßen. Die Lektion hier bestand darin, der Herausforderung ins Auge zu blicken, sich ihr zu stellen und nie die Furcht die Oberhand gewinnen zu lassen, egal wie verängstigt man war.

Am Morgen sprach Königin Alienor mit dem König über passende Gitter für alle unteren Fenster des Palastes. Joannas Bruder Johan war unter den Dienern der Höflinge, die sich zusammengefunden hatten, um über den nächtlichen Aufruhr zu diskutieren, und Joanna brachte ihm einen ­Becher Buttermilch. Er war elf, drei Jahre älter als sie, und Page ihres Onkels Gilbert, des Earl of Pembroke, eines großen und mächtigen Lords, dessen Position es ihm erlaubte, die Karriere seines Neffen zu fördern. Johan war der Erbe von Swanscombe, hatte eine glänzende Zukunft vor sich und betrachtete Joanna mit einer gewissen Überheblichkeit, denn im Vergleich zu ihm waren ihre Aussichten bescheiden und von geringer Bedeutung.

»Der Mann, den Onkel Gilbert gefangen genommen hat, ist gestern bereits dem König vorgeführt worden. Er behauptet, er wäre der wahre Thronerbe, aber der König hat ihn als Irrsinnigen abgetan, mit dem man Mitleid haben sollte«, sagte Johan, als er die Buttermilch entgegennahm. »Onkel Gilbert sagt, er hätte nie freigelassen werden dürfen. Er hat eines der großen Messer aus der Küche gestohlen, um den König zu ermorden, und hätte es auch getan, wenn wir nicht gekommen wären.« Er warf sich in die Brust und sprach, als hätte er bei der Verhaftung eine aktive Rolle gespielt.

»Ja, ich habe ihn gesehen.« Joanna berichtete von ihrer eigenen Rolle bei den Ereignissen der letzten Nacht.

»Nun, es ist jedenfalls gut, dass wir ihn festgenommen haben«, sagte Johan, denn es wurmte ihn, dass er seines Ruhmes beraubt wurde. »Wir haben euch allen das Leben gerettet, so viel steht fest.«

Joanna erwiderte nichts darauf. Sie lernte von Cecily, welche Kämpfe es sich auszutragen lohnte, vor allem solche mit Männern. »Was wird jetzt mit ihm geschehen?«

Johan zuckte mit den Achseln und trank die Buttermilch, wobei ein weißer Schnurrbart auf seiner Oberlippe zurückblieb. »Er hat gestanden, die Ermordung des Königs geplant zu haben, also wird er hingerichtet werden. Er wird zwischen zwei Pferde gebunden und zerrissen und dann als Warnung für andere geköpft werden.« Genuss und zur Schau gestellte Tapferkeit schwangen in seiner Stimme mit.

Das Bild ließ Joanna erschauern.

»Es bringt nichts, ein Verräter zu sein«, fügte er hinzu, verschränkte die Arme vor der Brust und musterte sie streng. Sie erkannte seinen Versuch, seine Überlegenheit aufrechtzuerhalten, indem er sie einschüchterte. Sie würde nie in Gedanken oder Taten zur Verräterin werden, aber es wäre furchtbar, wenn jemand so etwas denken würde, obwohl sie unschuldig war.

»Ich bin froh, dass du und Onkel Gilbert hier seid, um für unsere Sicherheit zu sorgen«, sagte sie, um ihn zu besänftigen. Worte kosteten nichts, und sie war in der Tat froh, beschützt zu werden. Cecily sagte, dieser Instinkt müsste gefördert und in die Männer geleitet werden.

Johan spreizte sich und wirkte hochmütig.

Der König und die Königin beendeten ihr Gespräch beim Fenster und kamen in den Raum, und Joanna knickste rasch, als sie sich ihr näherten.

Henry blieb stehen, zog sie behutsam auf die Füße und legte seinen Zeigefinger unter ihr Kinn. »Eine ereignisreiche Nacht, kleine Demoiselle«, sagte er reumütig. »Ich hoffe, dass es dir nach dieser Tortur nicht schlechter geht.«

Joanna schüttelte den Kopf. »Nein, Sire.« Die Augen des Königs leuchteten in einem warmen Blau, und das Morgenlicht ließ seinen Bart wie Gold schimmern. Er roch nach Weihrauch.

»Das freut mich zu hören.«

»Für jemanden, der noch ein Kind ist, hat Joanna einen vernünftigen Kopf auf den Schultern«, sagte die Königin, die selbst noch keine sechzehn Jahre alt war. »Sie dient mir gut und führt oft Aufträge für Willelma aus. Cecily ist mit ihren Fortschritten sehr zufrieden.«

»Nun, dann mach weiter so, und wer weiß, was aus solchem Fleiß erwächst.« Henry strich ihr über den Kopf und löste eine fein gearbeitete Silberbrosche von seiner Tunika. »Hier!« Er befestigte sie an ihrem Kleid. »Trage sie immer als Zeichen des Dankes für deine Dienste.«

»Ja, Sire.« Joanna knickste, von Freude und Verlegenheit überwältigt, erneut.

Die Königin lächelte wieder, und sie und der König setzten Arm in Arm ihren Weg fort. Der Duft nach Weihrauch und Blumen wehte hinter ihnen her.

Ihr Onkel Gilbert, der ihnen folgte, blieb stehen und lächelte ihr ebenfalls zu. Er hatte eine rötliche Gesichtsfarbe, und feine Fadenadern durchzogen seine Wangen.

»Es freut mich, gute Nachrichten bezüglich deiner Fortschritte zu hören, Nichte«, sagte er. »Gut gemacht, und möge es lange anhalten.« Er machte seinem jüngsten Knappen ein Zeichen. »Johan, komm mit und wisch dir diesen Bart von der Lippe, sei ein guter Junge. Ich habe Arbeit für dich.«

Johan rieb sich hastig mit dem Handrücken über den Mund, schnitt Joanna eine Grimasse, nachdem er sich vergewissert hatte, dass ihr Onkel es nicht sah, und folgte ­Gilbert aus dem Raum.

Joanna blickte den schimmernden Silberreif an ihrem Gewand an und schwor mit ganzem Herzen, genau das zu tun, was der König befahl.

2

Königlicher Palast von WoodstockOktober 1238

Joanna streichelte das Maul des Ponys und hielt ihm auf der flachen Handfläche einen halben Apfel hin. Mit aufgerichteten Ohren nahm es den Leckerbissen von ihrer Hand und kaute genüsslich, während Joanna es stolz beobachtete. Wenn der Hof auf Reisen war, saß sie gewöhnlich in einem geschlossenen Karren, aber diesmal hatte ihr Onkel Gilbert ihr seinen hübschen grau gescheckten Wallach mit rotem Zaumzeug und Sattel gegeben. Er sagte, gut zu reiten wäre wichtig, denn ihre Mutter sei eine Marshal gewesen, und alle Mitglieder ihrer Familie mütterlicherseits seien geborene Künstler im Sattel gewesen.

Ihr neues Reittier stammte von dem Landsitz ihres Onkels in Goodrich an der walisischen Grenze, und sein Name war Arian, das walisische Wort für »Silber«. Sie hatte ihn heute das erste Mal geritten, und er hatte rasch auf ihre Stimme und ihren Zügeldruck reagiert. Sie konnte ihr Glück kaum fassen.

»Er ist eine Schönheit«, sagte Johan mit widerwilliger Bewunderung. Er lehnte mit verschränkten Armen an der Stalltür. Sausagez schnüffelte im Stroh herum und machte Jagd auf Nagetiere. Joanna hatte ihn mitgebracht, um ihm Bewegung zu verschaffen.

»Ja, das ist er.« Von überschäumendem Glück erfüllt streichelte Joanna Arians warmen, gescheckten Hals.

Die letzten Strahlen der Abendsonne überzogen die Bäume hinter der Palisade mit glänzendem Gold. Ein Mann führte einen mit zwei Körben voller Kastanien aus den Wäldern beladenen Esel in Richtung der Küchen.

»Natürlich ist er für mich viel zu klein«, fuhr Johan herablassend fort. »Onkel Gilbert lässt mich mit bei den Schlachtrossen helfen.« Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Er durfte die Geschirre polieren und das Futter mischen, aber der oberste Stallknecht und die älteren Knappen kümmerten sich um alles, was näheren Umgang mit den mächtigen Hengsten erforderte.

Eine Fanfare kündigte die Ankunft von Gästen an, und einige Momente später kamen Pferde in den Hof gedonnert. Ihr Fell dampfte und triefte vor Schweiß. Es waren Sergeanten und Ritter, Knappen und Herolde, von denen einer ein Banner mit dem Emblem eines Löwen mit gegabeltem Schwanz auf rotem Grund trug.

»Simon de Montfort, zurück aus Rom«, stellte Johan wissend fest. »Seine Boten haben dem König heute Morgen die Nachricht überbracht.«

Joanna musterte die Männer auf ihren großen, stampfenden Pferden voller Beklommenheit – ihre offenen Münder, das Lachen, die Unerschrockenheit und die im glänzenden Licht leuchtenden Farben. Sie hatte im Frauengemach zahlreiche Geschichten über die heimliche Heirat der Schwester des Königs, Eleanor, mit dem französischen Ritter Simon de Montfort gehört. Die Heirat hatte stattgefunden, kurz bevor sie zum Hof gekommen war. William, der Bruder ihres Onkels Gilbert, war Eleanors erster Mann gewesen. Nach seinem plötzlichen Tod hatte Eleanor ein Keuschheitsgelübde abgelegt, dieses jedoch aus Liebe zu de Montfort gebrochen. Die Werbung hatte heimlich stattgefunden – diskret, aber nicht diskret genug, und es mangelte nicht an Gerüchten, dass sie verbotenerweise das Bett geteilt hatten. Der König hatte ihnen erlaubt zu heiraten, und sie waren hastig im Geheimen in seiner Privatkapelle in Westminster getraut worden. Das Geheimnis war fast augenblicklich ans Licht gekommen, und als sich die Neuigkeiten öffentlich verbreiteten, waren der Skandal und der Aufruhr enorm.

Eleanor hatte sich nach Kenilworth zurückgezogen, um die Geburt des Kindes abzuwarten, das so rasch empfangen worden war, dass viele tuschelten, sie wäre schon bei ihrer Hochzeit schwanger gewesen. Simon de Montfort war unter viel zynischem Murren über das Verriegeln der Stalltür, wenn das Pferd entlaufen war, und über Geflüster hinausgehende Bemerkungen über Neuankömmlinge, die sich durch unehrenhaftes und unverschämtes Benehmen rangmäßig nach oben kämpften, nach Rom gereist, um einen päpstlichen Dispens für die Verbindung zu erwirken. ­Richard, der Bruder des Königs, und Joannas Onkel Gilbert hatten wegen der Auswirkungen für ihre eigenen Familien und ihren Status wütend protestiert, und obwohl Frieden geschlossen wurde, blieb dieser schwankend. Sie hatte mit­angehört, wie ihr Onkel Gilbert grimmig zu einem seiner Anwälte gesagt hatte, dass de Montfort bitter enttäuscht sein würde, wenn er glaubte, durch die Rechte seiner neuen Frau aus ihrer ersten Ehe Ansprüche erheben zu können, denn er würde keinen einzigen Penny bekommen.

Joanna rief Sausagez zu sich und leinte ihn an, weil sie entschieden hatte, dass es an der Zeit war, zu der Königin zurückzukehren. Johan bewunderte die von ihren Pferden steigenden Männer und ihre Ausrüstung, war aber verkrampft vor Anspannung.

Joanna nahm seinen Arm. »Wirst du mich zum Frauengemach zurückbegleiten?«

Sein gereizter Gesichtsausdruck war nur aufgesetzt, und sie sah die Erleichterung in seinen Augen. »Also schön, aber nur, weil du meine Schwester bist und du Schutz brauchst. Bilde dir nicht ein, ich wäre dein Diener.«

Joanna verbiss sich die Erwiderung, dass Cecily sagte, alle Männer sollten den Damen in höfischer Manier dienen. Sie tätschelte Arian ein letztes Mal und verließ dann mit Johan an ihrer Seite und dem an seiner Leine zerrenden Sausagez den Stall.

De Montfort, in einen kostbaren pelzgefütterten Umhang gekleidet, zügelte direkt vor ihnen sein mit den Hufen scharrenden rotbraunen Hengst. Belustigung erhellte seine harten Züge. »Wen haben wir denn da?«, fragte er. »Seid ihr beide nicht noch ein bisschen jung für ein Stelldichein?«

Joannas Wangen leuchteten hochrot. Sausagez fletschte die Zähne und begann so schrill zu kläffen, dass das Pferd die Ohren anlegte.

»Ich begleite meine Schwester zu der Königin«, verkündete Johan mannhaft, obgleich seine Stimme schwankte.

»Deine Schwester?« De Montfort musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Erinnere mich doch daran, wer du bist.«

»Johan de Munchensy, Sohn von Warin de Munchensy von Swanscombe, Sire.« Johan schob das Kinn vor.

De Montforts Lächeln verlor etwas von seinem ­Humor. »Ein Marshal mütterlicherseits«, sagte er. »Nun, die Familie deiner Mutter kam aus den Ställen, nehme ich an.« Er blickte sich zu seinen Gefährten um und lachte, dann presste er seinem Pferd die Fersen in die Seiten. Das Tier beschrieb mit tanzenden Hufen einen Satz auf Joanna zu. Sie sprang zurück. Ihr war übel, als sie den hysterischen Sausagez aufhob. Johan schob sich vor sie, sein Körper bildete einen starren Schild. De Montfort lächelte, dann kam er näher und ließ sein Pferd erneut tänzeln. Der heiße Atem des Hengstes wehte zu ihnen herüber, die beschlagenen Hufe blitzten auf. Joanna wimmerte. De Montfort gab einen verächtlichen Laut von sich und zog den großen Kastanienbraunen zurück. »Was für ein prächtiger kleiner Heckenritter du bist, Johan of Swanscombe«, sagte er. »Geh zu deinem Kindermädchen. Ich führe keinen Krieg gegen Schwächlinge und Mischlinge.« Abrupt wendete er sein Pferd und trabte über den Hof zu seinem wartenden Stallburschen.

Joanna zwinkerte, entschlossen, nicht zu weinen. Johan schlang die Hände um seinen Gürtel. »Keine Angst, de Montfort wird nicht lange bleiben.«

»Woher weißt du das?«

»Weil seine Frau hochschwanger ist. Er wird sich zu der Geburt nach Kenilworth begeben, sowie er dem König Bericht erstattet hat.«

Joanna erschauerte. Das ersterbende blutrote Licht im Westen, die dampfenden Pferde und die rohe männliche Kraft erschienen ihr wie ein schweres Gewicht, das sich voller Drohungen auf ihre Schultern senkte.

»Er macht mir keine Angst«, behauptete Johan.

Sie glaubte ihm nicht. Sie hatte sich entsetzlich gefürchtet, und er war nicht mutiger als sie.

An diesem Abend versammelte sich der Hof in der ­großen Halle von Woodstock, um sich bei Unterhaltung, ­Musik und Schach- und Würfelspiel zu vergnügen. Simon de Montfort war jetzt, wo seine Verbindung mit der Schwester des ­Königs vom Papst abgesegnet worden war, wieder im königlichen Haushalt willkommen geheißen worden. Henry zeigte sich seinem neuen Schwager gegenüber versöhnlich, und die Königin gab sich überschwänglich, weil Simons Frau bald ihr erstes Kind bekommen würde, und sie machte sich Hoffnungen auf eigene Fruchtbarkeit.

Während der König zu seinem eigenen Vergnügen mit den Künstlern und Handwerkern beschäftigt war, die ein neues Wandgemälde für die Schlafkammer der Königin entwarfen, stand de Montfort mit einer Schar von Rittern und Höflingen am Feuer und röstete auf der breiten, flachen Klinge eines Serviermessers Kastanien. Sie befanden sich in ausgelassener Stimmung, und die Scherze und das Geläch­ter wurden lauter, je mehr der Pegel in den Weinkrügen sank.

Das prasselnde Feuer im Kamin erhitzte Joannas Wangen und schien sie fast mit den rotgesichtigen, lachenden Männern zu verbinden. Ihre Kraft und vitale Männlichkeit schüchterten sie ein und faszinierten sie. Sie blickte sich um, suchte Trost, doch Cecily hatte sich diskret zurückgezogen, um ihre Blase zu entleeren, und Lady Giffard und Madam Biset spielten auf der anderen Seite des Raumes Schach.

De Montfort fing Joannas Blick auf und fixierte sie. »Komm her, Kind.« Er machte ihr ein Zeichen.

Joannas Magen brannte, aber die Höflichkeit bewog sie dazu, aufzustehen und auf ihn zuzugehen wie ein vom Fuchs behextes Huhn.

»Ah, meine kleine Mistress von Swanscombe«, sagte er mit einem wölfischen Lächeln. »Du hast mir vorhin deinen Namen nicht gesagt. Wie lautet er denn nun?«

Joanna schluckte, denn Anonymität bot Schutz, und sie hasste es, irgendwie hervorzustechen. »Joanna, Sire.«

»Nun denn, Joanna of Swanscombe, möchtest du eine schöne geröstete Kastanie?«

Sie betrachtete die auf der flachen Klinge des Messers hüpfenden Früchte, dann blickte sie ihm in die Augen, die so stählern waren wie das Metall.

Er zwinkerte ihr zu und beugte sich dann zu einem Haufen geschwärzter Kastanien in einer flachen Schale auf dem Kamin. »Hier, nimm diese – sie kühlt schon ab.« Er hielt sie ihr auf seiner Handfläche hin. Seine Finger waren dick und kräftig, muskulös vom Beherrschen temperamentvoller Pferde und dem Führen von Waffen.

Joanna stand wie gelähmt mit an den Seiten geballten Fäusten da. Die Männer bei de Montfort kicherten und beobachteten sie.

»Nimm sie!«, drängte er. »Ich verspreche, dass es nicht wehtut.«

Gegen ihren Willen streckte sie die Hand aus, senkte aber den Blick. Die Frucht war heiß, aber nicht heiß genug, um sie zu verbrennen.

»Iss sie, junge Mistress, sie schmeckt gut.«

Sie beobachteten sie mit dem Hunger einer gierigen Meute, der ihr Entsetzen darüber einflößte, im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit zu stehen. Sie hob die Kastanie zum Mund und biss in die verbrannte Schale, bevor sie diese in ihre Hand zurückspuckte, die Reste in den Kamin warf und dann mit tränenverschleierten Augen flüchtete. Ein beißender Geschmack brannte auf ihrer Zunge, und sie fühlte sich von dem Gelächter, das hinter ihr her wehte, gedemütigt. Sie war so außer sich, dass sie Dame Cecily erst sah, als sie mit ihr zusammenprallte.

»Aber Kind!« Cecily fasste sie bei den Schultern und hielt sie fest. »Komm, komm, das ist doch nicht meine gefasste, vernünftige Joanna. Was ist denn passiert?«

Joanna schluckte und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen.

Sanft, aber bestimmt nahm Cecily ihre Hand und untersuchte sie. »Was ist das?«

»Die Männer …« Joannas Stimme kippte. »Sie rösten Kastanien, und … und Messire de Montfort hat mich dazu gebracht, eine zu nehmen.« Laut ausgesprochen klang die Geschichte schwach, aber ihre Erniedrigung war immens.

Cecily presste die Lippen zusammen. Sie umschloss Joannas Hand fester, marschierte in die Halle zurück, ging auf die lachenden Männer zu und sprach sie so furchtlos an, als wären es widerspenstige Jugendliche.

»Was denkt Ihr Euch? Habt Ihr nichts Besseres zu tun als ein Kind zu schikanieren?« Sie durchbohrte besonders de Montfort mit einem durchdringenden Blick.

Er verbeugte sich lächelnd vor ihr. »Madam, ich habe dem Mädchen nur eine geröstete Kastanie angeboten, und noch nicht einmal eine heiße. Es ist nicht meine Schuld.«

»Das ist es nie, Mylord!«, gab Cecily in einem Tonfall zurück, den Joanna noch nie von ihr gehört hatte, ruhig zwar, aber schneidend wie eine Peitsche.

De Montfort verbeugte sich erneut. »Ich werde meiner Frau Eure herzlichen Grüße ausrichten, Lady Sandford.«

»Wie Ihr wünscht«, erwiderte Cecily. »Sagt ihr, dass ich sie ständig in meine Gebete einschließe.«

Einen Arm beschützend um Joannas Schulter gelegt, verließ sie die Halle. »Wenn Männer sich in Gruppen zusammenscharen, um zu trinken und zu feiern, werden sie zu einer Meute«, sagte sie voller Abscheu. »Der König ist natür­lich nicht so, aber andere sind aus rauerem Stoff ­gewebt, und du tätest gut daran, auf der Hut zu sein.«

In ihrer Kammer angelangt, führte sie Joanna zu einem in die Wand eingelassenen steinernen Becken und goss aus einem danebenstehenden Krug kühles Wasser hinein. »Komm, wir wollen dich säubern.« Sanft wischte sie die Rußspuren von Joannas Gesicht und Händen. »Lerne aus dieser Erfahrung, Kind. Lass dir nie von Männern sagen, was du tun sollst, weil sie deiner Seele nicht würdig sind – keiner von ihnen. Tatsächlich solltest du sie Würdigkeit lehren.«

Joanna biss sich auf die Lippe, denn sie konnte sich nicht vorstellen, so etwas zu tun. Dame Cecily konnte jedem furchtlos die Stirn bieten, und sie sehnte sich danach, so zu sein wie sie, aber wie sollte sie sich gegen erwachsene Männer behaupten, wenn diese Wölfe waren und sie nur ein kleines Reh?

»Komm mit«, sagte Cecily, »und wir werden beten.«

Sie nahm Joannas Hand und führte sie in die intime Privatkapelle der Königin. Die Bienenwachskerzen spendeten vor dem Altar ein honigfarbenes Licht, und eine rote Glaslampe beleuchtete eine exquisite Statue der Heiligen Jungfrau mit dem Christuskind auf dem Knie.

Als sie niederknieten, drückte Cecily Joannas Hand. »Mach deinen Frieden«, sagte sie. »Sei ganz ruhig und bitte Gottes heilige Mutter, dich zu lenken. Sie wird dir zuhören, denn sie ist eine Frau, und sie wird stets einer anderen solchen antworten.«

Joanna presste die Hände gegeneinander und schloss die Augen.

Cecilys glatte hölzerne Rosenkranzperlen klickten gegeneinander, als sie sie von ihrem Gürtel löste und zwischen die Finger nahm.

Nach und nach beruhigten der Friede und die Stille Joannas überreizte Nerven, und ihre Atemzüge normalisierten sich. Die Demütigung und die Panik, in das Visier anderer geraten zu sein, ebbten zu einem unbehaglichen Flackern ab. Cecilys Unterstützung und ihre Lehren hatten in den letzten Monaten ihre Widerstandskraft gestärkt, aber nach dem Zwischenfall hatte ihre Furcht davor, wie machtlos und entbehrlich sie war, wieder aufleben lassen. Ein verletzliches kleines Mädchen, das man aus Spaß quälen konnte. Sie schlug die Augen auf und betete zu der Jungfrau um die Weisheit und Stärke, so zu sein wie Cecily und jede Prüfung, die ihr auferlegt wurde, mit Würde durchstehen zu können.

Endlich hob Cecily den Kopf. »Du darfst dich von Zwischenfällen wie diesem nicht zerstören lassen«, sagte sie fest. »Lass sie deine Kraft stärken. Du wirst innerlich ebenso wachsen, wie dein Körper wächst, und solche Dinge werden mit der Zeit bedeutungslos werden. Vergiss nie, aber lass dich nicht davon quälen. Lass sie hier bei Gott und bring stattdessen deine Gebete und deine Seelenstärke ein.«

»Ja, Dame Cecily«, erwiderte Joanna und hob von neuer Entschlossenheit erfüllt den Kopf.

»So ist es besser.« Cecily tätschelte ihre Hand. »Komm, wir haben ein paar Süßigkeiten, und Eunice soll für uns Harfe spielen.«

Joanna nickte, erpicht darauf, den Augenblick hinter sich zu lassen und mit allem Neuen, was sie lernte, weiterzumachen.

3

Königlicher Palast von WoodstockNovember 1238

An einem grauen Morgen im Spätnovember war der Königin zum dritten Mal in Folge übel, und der königliche Arzt verkündete, was jeder zu ahnen begonnen hatte – dass Alie­nor ein Kind erwartete.

Ein vor Freude überschäumender Henry besuchte seine junge Frau und überschüttete sie mit Geschenken und Aufmerksamkeit. Die Königin, schwach, aber stolz, nippte vorsichtig an einem von Lady Giffard, der Hebamme, zubereiteten Ingwertee und badete in der Anerkennung ihres Mannes.

Joanna, die sah, wie ihre Schultern sich berührten und wie sie ineinander aufgingen, fühlte sich warm und geborgen – sicher im Herzen einer Familie. Überdies war gerade die Nachricht eingetroffen, dass Henrys Schwester, Lady Eleanor de Montfort, in Kenilworth einen gesunden Jungen zur Welt gebracht hatte. Das Baby sollte zu Ehren seines königlichen Onkels Henry genannt werden, und die glücklichen jungen Eltern hatten den König gebeten, Pate seines Neffen zu sein.

Alienor nahm Henrys Hand. »Es wäre großzügig von dir, diese Rolle bei ihrem Kind zu übernehmen«, sagte sie. »Und außerdem heilend.« Sie legte die andere Hand auf ihre Taille und schenkte Henry ein schüchternes Lächeln.

»Du hast recht, meine Liebe. Differenzen sollten beige­legt werden«, stimmte Henry zu. »Ich werde nach Kenilworth hinüberreiten und meine Schwester und meinen neuen Namensvetter besuchen.« Er zog ihre Hand an die Lippen. »So jung und schon so weise!«

Alienor errötete verschämt, aber der Blick halb unter den Augenlidern hervor war wissend und strategisch.

Joanna hatte gehört, dass Eleanor de Montfort und die Königin gute Freundinnen gewesen waren, bevor der Skandal der heimlichen Heirat mit Simon de Montfort den Hof gespalten hatte. Joanna hatte oft gesehen, wie Boten mit Briefen und kleinen Geschenken für die Schwester des ­Königs nach Kenilworth geschickt wurden, wenn die Köni­gin die heikle Rolle der Friedensstifterin spielte und versuchte, Löcher im Tuch der Familie zu flicken.

Henrys Gesicht hellte sich auf. »Ich werde ihnen die gute Nachricht überbringen, dass sie, obwohl ich einen neuen Neffen zu feiern habe, im kommenden Sommer den Thronfolger kennenlernen werden.« Er strahlte seine Frau an. »Was soll ich als Geschenk mitbringen, was meinst du? Vielleicht einen gravierten Silberbecher?« Er stürmte davon, während er entschied, welche Gaben er mitnehmen sollte. Seine Begeisterung glich einem hellen Licht wie immer, wenn es um Feiern und das Verteilen von Geschenken ging.

Joanna war froh, dass sich alle freuten, hoffte aber bei sich, Simon de Montfort würde auf Abstand bleiben, selbst wenn die Bande neu geknüpft wurden.

Drei Monate später feierte der Hof im Februar in Winchester das Fest Mariä Lichtmess, das an die Reinigung der Jungfrau Maria vierzig Tage nach der Geburt Christi erinnerte. Königin Alienor, prächtig anzusehen in blauer Seide, mit jetzt schon stolz gerundetem Bauch, zog alle Augen auf sich, als sie anmutig mit einer brennenden Kerze in den Händen durch das Mittelschiff der Kathedrale auf den ­Altar zuschritt. Joanna liebte den Duft von Weihrauch und die feierliche, heilige Atmosphäre – die Teilnahme an einem Ritual, das heilig, alt und auf Frauen konzentriert war. Der Chorgesang jagte ihr eine Gänsehaut über die Arme.

Nach dem Gottesdienst verlieh der König Simon de Montfort offiziell den Titel Earl of Leicester. Joanna, sicher und anonym inmitten der Gemeinde, verlor sich in dem Wunder des Ereignisses – den Ritualen, der Beschaffenheit und den Farben vor allem. Sie bewunderte den prächtigen juwelenbesetzten Gürtel, den der König um Simons Taille schlang, und die Earlskrone mit Kreuzblumen aus goldenen Rosen, die er auf de Montforts welliges dunkles Haar setzte und die der ohnehin schon beachtlichen Größe und Breite des neuen Earls eine majestätische Aura verliehen.

Er war seit Weihnachten zurück am Hof, doch Joanna war es gelungen, ihm aus dem Weg zu gehen. Sie lernte, sich unsichtbar zu machen. Wenn er der Königin seine Aufwartung machte, fand Joanna Vorwände, um sich zu entschuldigen, oder sie erfüllte ihre Pflichten mit stillem Fleiß, hielt sich innerhalb der Gruppe und brachte sich nie in eine Position, wo sie auffallen und ausgesucht werden konnte – so blieb sie sicher.

Sowie das öffentliche Feiern und Tafeln vorüber war, zog sich die Königin aus der Halle zurück, aber in ihrer privaten Kammer herrschte immer noch geschäftiges Treiben. De Montforts Amtseinsetzung hatte zahlreiche Barone und ihre Familien zum Hof gerufen, und eine Reihe von Ladys wartete darauf, Alienor ihre Reverenz zu erweisen. Joanna war ständig auf den Füßen, um Getränke und Süßigkeiten zu servieren und Verschiedenes zu holen und fortzutragen.

Joanna hatte Eleanor, die Schwester des Königs und neue Countess of Leicester, nur kurz in der Kathedrale gesehen, doch jetzt kam sie in ihr näheres Umfeld. Sie war eine Schönheit mit zarten, fast scharfen Zügen und blauen Augen so klar wie Glas. Kleine doppelschwänzige Löwen tanzten mit Goldfäden gestickt den Saum ihres Seidengewandes entlang, und Henry hatte ihr ebenfalls einen juwelenbesetzten Gürtel geschenkt, der an ihrer Taille schimmerte. Joanna wusste vom Gerede in der Kammer und Cecilys eigenen sparsamen Informationen her, dass Cecily die Countess erzogen hatte und zwischen ihren Ehen einige Jahre lang ihre Gefährtin gewesen war.

Nachdem sie Alienor begrüßt hatte, umarmte die Countess Cecily mit Nachdruck und machte ihr ein kleines geschnitztes Kästchen zum Geschenk, das ein kleines Goldkreuz mit blauer und grüner Emaille enthielt.

Cecilys Augen wurden feucht, als sie das Geschenk behutsam berührte. »Mylady, Ihr habt keinen Anlass, mir etwas so Schönes zu schenken«, sagte sie leise.

»Ich würde Euch gern ein Dutzend davon schenken.« Die neue Countess nestelte an ihrem Ehering herum. Rote Flecken prangten auf ihrem Hals und ihren Wangen, als sich Cecilys Aufmerksamkeit auf die Geste richtete.

»Ich danke Euch von ganzem Herzen, aber ein einfaches Gebet hätte genügt. Geht es Euch gut? Und dem Kleinen?«

»Ja, in der Tat. Unser Sohn wächst und gedeiht«, entgegnete die Countess mit einem spröden Lächeln.

»Es freut mich, das zu hören, und ich hoffe, ihn zu sehen. Ich werde Euch immer in meine Gebete einschließen, meine Liebe, das wisst Ihr.«

Joanna hatte darauf gewartet, Cecily einen Becher mit gekochtem Quellwasser zu reichen, und es gelang ihr zu knicksen, ohne den Inhalt zu verschütten.

»Das ist Joanna de Munchensy of Swanscombe«, stellte Cecily sie Eleanor vor. »Ihr werdet sie nicht kennen, da sie erst seit weniger als einem Jahr hier ist.«

Der glasblaue Blick der Countess heftete sich kühl und abschätzend auf Joanna. »Nein, aber ich kannte ihre Mutter, und ich bin natürlich mit ihrer Verwandtschaft recht gut vertraut. Du kannst dich glücklich schätzen, diese Position einzunehmen und diese Ausbildung zu erhalten«, wandte sie sich direkt an Joanna.

»Ja, Madam.« Joanna schlug die Augen nieder. Sie fühlte sich unbehaglich, sie wusste, dass sie beurteilt wurde, und wollte aus irgendeinem Grund keinen Fehler erkennen lassen. Die Worte »ihre Verwandtschaft« waren bedeutungsschwanger gewesen.

Die Countess ging davon, um mit einer anderen Lady zu sprechen, und Joanna servierte Cecily, die aufmunternd lächelte, das Quellwasser. »Die Countess hat recht, du hast in der Tat Glück, aber ich auch. Ich hatte selten eine so begabte Schülerin.«

Cecilys Blick war besorgt und ein wenig traurig, als er auf Eleanor de Montforts anmutiger Gestalt ruhte. Eleanors Kälte ihr gegenüber verwirrte Joanna, aber sie beschloss, dass sie sie meiden würde, so wie sie ihren Mann mied.

»Onkel Gilbert sagt, bei den de Montforts dreht sich alles um Geld und Land«, teilte Johan Joanna mit, als sie am nächsten Tag gemeinsam einen müßigen Moment in der großen Halle verbrachten. »Er sagt, deswegen mögen der Earl of Leicester und seine Frau uns nicht.«

Sie standen nebeneinander und betrachteten das kürzlich fertiggestellte Wandgemälde »Das Rad des Schicksals«, das der König in Auftrag gegeben hatte und das zeigte, wie ein Mann mit einer Drehung des Rades aufsteigen und auf den Thron gelangen konnte, nur um bei der nächsten von oben herabzustürzen und von einem ehrgeizigen Rivalen ersetzt zu werden. Joanna blickte auf die goldene Krone, die vom Kopf des Königs in Richtung des zerlumpten Mannes am Fuß des Rades fiel, der danach griff, um sie aufzufangen, als Fortuna, gekleidet wie eine Königin, die Kurbel drehte.

»Aber wir haben kein Geld«, sagte sie.

»De Montforts Frau war einmal mit unserem Onkel William verheiratet.«

»Ja, ich weiß.«

Johan blies die Wangen auf, weil er eine Erklärung abgeben musste. »Als er starb, stand ihr als Williams Witwe ein Drittel seines Besitzes zu, aber das war eine große Summe. Niemand hat damit gerechnet, dass unser Onkel ohne einen Sohn stirbt, aber genau das ist passiert. Unser ­Onkel ­Richard erbte und willigte ein, ihr eine jährliche Geldsumme zu zahlen, statt ihr das Land zu überlassen. Jetzt ist er ebenfalls tot, und die Pflicht ist auf Onkel Gilbert übergegangen. De Montfort sagt, diese Abmachung hätte Lady Eleanor ungerecht übervorteilt, als sie vor Kummer außer sich war, und die Summen wären weitaus geringer als das, was ihr eigentlich zustand. Er verlangt mehr, mit Zinsen, aber ­Onkel Gilbert sagte gestern, eher würde die Hölle zufrieren, bevor er das durchsetzt.« Er verzog das Gesicht. »Du musst nichts tun, um den Earl und die Countess of Leicester zu verärgern, außer durch Verbindungen ein Marshal zu sein. Sie hassen uns alle.«

»Aber das ist nicht fair!«

Johan zuckte mit den Achseln. »So ist es nun einmal. Sie sagen, es ist nicht fair ihnen gegenüber, und Onkel Gilbert sollte ihnen viel mehr zahlen. De Montfort ist bis über beide Ohren verschuldet. Er musste dem Papst eine große Summe zahlen, um seine Ehe anerkennen zu lassen – er musste sich sogar Geld vom Onkel der Königin borgen.«

»Woher weißt du das alles?«, erkundigte sich Joanna.

Er wirkte nonchalant. »Ich schenke Wein ein, ich führe Aufträge aus. Ich höre Dinge.« Er musterte sie von der Seite her. »Ich wette, das tust du auch, wenn du zu den Füßen der Königin sitzt.«

Joanna erwiderte nichts darauf, sondern fuhr fort, das Rad des Schicksals zu betrachten – den König und den gefallenen König.

»Na, tust du das nicht?«, bohrte Johan nach. »Was erzählt die Königin dir?«

»Cecily sagt, Dinge, die man mithört, sind wie Goldstücke, die in einen Brunnen geworfen werden«, erwiderte ­Joanna zurückhaltend. »Und der, der sie hört, sollte darauf achten, dass sie für immer auf dem Boden des Brunnens bleiben, und sie nicht heraufholen, um sich daran zu berei­chern.« Sie maß ihn mit einem harten Blick. »Ich werde nicht wiederholen, was die Königin zu irgendjemandem sagt. Wie könnte mir noch jemand trauen, wenn ich das täte?«

Johan lief rot an und ballte die Fäuste. »Nun, ich traue dir, und was ich dir erzähle, ist zum Besten unserer Familie, aber ich werde dir nie wieder etwas erzählen.« Er stolzierte davon.

Joanna seufzte. Sie wollte seine Unterstützung nicht verlieren, aber sie konnte nicht zulassen, dass er ihre Integrität untergrub.

Sie ging zu den Frauen zurück, griff nach ihrer Näh­arbeit und setzte sich still etwas abseits in eine Ecke, wo es unwahrscheinlicher war, dass sie Dinge hörte, die sie in den Brunnen werfen und geheim halten musste.

Cecily gesellte sich zu ihr und musterte sie forschend. »Was gibt es, Kind?«

Joanna führte mehrere kleine, saubere Stiche aus. Das Band zwischen Cecily und Countess Eleanor ließ sie ebenso zögern wie ihr Wissen um Eleanors hochrangige Verbindungen und Freundschaften. Andererseits vertraute sie Cecily, die ihre eigenen Quellen des Wissens und Schweigens hatte. »Mein Bruder hat mich nach Dingen gefragt, die ich in der Kammer der Königin gehört habe«, sagte sie endlich. »Ich weigerte mich, ihm davon zu erzählen, weil das einen Vertrauensbruch bedeutet hätte.«

Cecilys Miene wurde weicher. »Du hast einen klugen Kopf auf sehr jungen Schultern. Es werden dich oft Leute bitten, das Vertrauen zu brechen, und du musst ihnen das immer verwehren – tust du das, wird das deinem guten Ruf dienlich sein. Schäme dich nie dafür.«

Joanna strich ihre Näharbeit glatt. »Er hat mir auch Dinge erzählt – Dinge, die er mitangehört hat.«

»Dann hoffe ich, deine Weigerung, es ihm gleichzutun, wird ihn dazu bringen, nächstes Mal zweimal darüber nachzudenken. Ich bin froh, dass du die Kraft und die Reife hattest, dich ihm zu widersetzen. Am Hof wird ohnehin schon zu viel geredet.«

Joanna dämpfte ihre Stimme zu einem Flüstern. »Er sagte, der Grund, warum Countess Eleanor mich nicht mag, läge darin, dass ich ein Teil der Familie Marshal bin.«

»Unsinn, Kind!«, entgegnete Cecily scharf. »Es ist nicht so, dass die Countess of Leicester dich nicht mag. Tatsächlich kennt sie dich gar nicht. Achte nicht darauf, was andere sagen – vertrau nur auf dein eigenes Urteil.«

Joanna schluckte. Das Problem bestand darin, dass ihr Urteil ihr sagte, dass Eleanor de Montfort sie nicht mochte, und Johan hatte ihr einen Grund dafür geliefert.

Cecily sagte schroff: »An den Hof zurückzukehren erfordert Anpassung seitens der Countess of Leicester. Sie wird sich mit dir abfinden – du wirst schon sehen. Sie mag mit deinem Onkel Gilbert im Streit liegen, aber das sind rechtliche Angelegenheiten, weit außerhalb deines Wirkungskreises und haben nichts mit dir zu tun – ich hoffe, du verstehst das.«

»Ja, Madam«, erwiderte Joanna pflichtschuldig, obwohl sie zum ersten Mal nicht sicher war, ob sie Cecily glaubte.

»Ich passe immer auf dich auf, vergiss das nicht«, sagte Cecily bestimmt. »Jetzt nimm deine Näharbeit zum Sitz am Fenster mit. In dieser kleinen dunklen Ecke kannst du weder genug sehen, noch solltest du dich freiwillig dort verstecken. Such immer das Licht.«

Im Lauf der nächsten Tage kam Johan aus seinem Schmollwinkel hervor, und die angespannte Atmosphäre zwischen Bruder und Schwester lockerte sich allmählich, obwohl ­Johan durchblicken ließ, dass er absichtlich nicht mehr von Hofangelegenheiten sprach. In den Gemächern der Königin befahl die Countess of Leicester Joanna oft zu sich, damit sie Aufträge für sie ausführe oder ihr beim Tanz aufwarte. Eleanor war selbstherrlich und kurz angebunden, und sie verwies Joanna schroff auf ihren Platz als Untergebene.

Cecily beobachtete alles und sagte nichts, aber sie übertrug Joanna, wann immer es ging, unauffällige Aufgaben, die sie nicht in Eleanors Nähe führten. Sausagez kam in den Genuss von doppelt so vielen Spaziergängen wie sonst.

Wenn sich Joanna in der Nähe der Countess aufhalten musste, verhielt sie sich zurückhaltend und gehorsam, was Eleanors kritische Haltung zu beschwichtigen schien. Als die Countess drei Wochen später auf einem schwarzen spanischen Reitpferd und mit Geschenken des Königs heim zu ihrem kleinen Sohn nach Kenilworth aufbrach, seufzte ­Joanna erleichtert.

Simon de Montfort blieb jedoch an der Seite des Königs und beherrschte den Hof mit seinen Gefühlsausbrüchen und seinem Charisma. Ihm konnte man leichter aus dem Weg gehen als seiner Frau, und Joanna achtete darauf, das zu tun, und obgleich sie auf der Hut war, kehrte das Leben zu einer angenehmen Routine zurück.

Zu ihren regelmäßigen Pflichten gehörte es, der Königin die Füße zu massieren. »Du hast von allen meinen Frauen die sanftesten Hände«, sagte Alienor und lehnte sich in ihre Kissen zurück. »Du erinnerst mich an meine kleine Schwester Sancha – ich vermisse sie so sehr. Dein Haar gleicht ihrem mit den kastanienfarbenen Lichtern im Sonnenschein, und es ist genauso dicht und weich.«

Verlegen konzentrierte sich Joanna auf ihre Aufgabe. Sie hatte manchmal in den Elfenbeinspiegel der Königin gespäht, aber schöne Frauen waren goldhaarig und blauäugig wie ihre Tante Isabelle und die Countess of Leicester. Ihre eigenen Augen waren ebenso wie ihr Haar braun, und sie hatte Sommersprossen.

Die Königin lächelte. »Wenn du erwachsen und verheira­tet bist, wirst du immer noch meine Favoritin sein, und ich werde dich bei mir am Hof behalten. Ich werde dafür sorgen, dass der König einen guten und würdigen Mann für dich findet. Wäre das nicht wundervoll?«

Die Worte der Königin glichen der Verlängerung einer der Geschichten, die in Mußestunden laut im Frauengemach vorgelesen wurden, aber Joanna hegte bereits Zweifel. Entscheidungen, die ihr Leben betrafen, wurden immer von anderen getroffen, egal was Cecily sagte. Was, wenn der »würdige Mann« war wie Simon de Montfort oder einer der anderen kraftstrotzenden Barone bei Hof, die voll selbstsicherer Arroganz umherstolzierten? Sie würde bei lebendigem Leib verspeist werden. War er wie der ­König, wäre es vielleicht nicht ganz so schlimm, denn sie hatte bemerkt, dass Henry großzügig, freundlich und rücksichtsvoll war, aber solche Charakterzüge waren selten und wurden nie in Betracht gezogen, wenn es darum ging, eine Ehe zu arrangieren.

»Ja, Madam«, erwiderte sie unterwürfig. »Danke!« Sie gab die korrekte Antwort, aber ohne Begeisterung.

»Du bist noch sehr jung«, murmelte Alienor, dabei öffnete sie ein Auge. »Mach dir keine Sorgen. Wenn die Zeit kommt, wirst du bereit sein, das verspreche ich dir.«

4

Palast von Westminster in LondonJuni 1239

Im Vorraum der Geburtskammer faltete Joanna die Leinentücher und Windeln, damit sie für die Ankunft des neuen Babys bereit waren. Lady Sybil Giffard hatte ihr diese Aufgabe übertragen, um sie zu beschäftigen, während sie warteten. Die Königin lag seit dem Morgengrauen in den ­Wehen, und jetzt war der Himmel im Westen tiefblau und mit Sternen wie neue silbern schimmernde Nadelköpfe gespickt. Joanna hatte die Kerzen entzündet, als die Dämmerung hereinbrach, und jetzt loderten sie in jedem Wandleuchter und Kerzenhalter.

Joanna betete, während sie arbeitete. Ihre Mutter war bei der Geburt eines totgeborenen Sohnes gestorben, und sie fürchtete um die Sicherheit der Königin, obwohl sie wusste, dass Lady Sybil eine allgemein respektierte und erfahrene Hebamme war. Der König hielt in seiner Privatkapelle eine Gebetswache ab und schickte ständig Diener, um sich zu erkundigen, wie die Dinge standen. Diese erhielten trotz Lady Sybils Ärger über die ewigen Fragen immer dieselbe geduldige Antwort. Alles verlief gut. Die Geburt würde zu gegebener Zeit erfolgen, sie sollten die Frauen nur ihre heilige Arbeit verrichten lassen.

Joanna hielt mit dem Falten der Tücher inne, und ihr Herz begann zu rasen, als sie aus der inneren Kammer ein langes, gequältes Stöhnen hörte. Dann noch eines, und Lady Sybils ruhige, ermutigende und gleichzeitig drängende Stimme. Und plötzlich noch ein Geräusch – das Greinen eines Babys, das die Ankunft einer neuen Seele in der Welt verkündete. Die anderen Frauen, die zusammen mit Joanna in der Vorkammer warteten, wechselten Blicke, bekreuzigten sich und spähten zur Tür.

Die Schreie wurden lauter. Willelma öffnete die Tür. Ihr von Falten durchzogenes Gesicht strahlte vor Freude und Erleichterung. »Die Königin ist sicher von einem gesunden Sohn entbunden worden.« Trotz etlicher fehlender Zähne war ihr Lächeln breit und schön. »Benachrichtigt den ­König, damit er sich freuen kann. Preist Gott, ein gesunder Prinz wurde geboren.«

Nur Momente nachdem er die Nachricht erhalten hatte, stürmte Henry mit vor innerem Gefühlsaufruhr gerötetem Gesicht in die Kammer. Die Frauen knieten bei seiner ­Ankunft nieder, waren aber von dem Verstoß gegen die Etikette aus der Fassung gebracht, denn ein Mann hatte keinen Platz in der Wochenbettkammer, selbst dann nicht, wenn er der König und dies sein erstgeborener Sohn war. »Ladys!« Er maß sie mit einem freudigen Blick, bevor er das innere Heiligtum betrat und die Tür hinter sich schloss.

Vor Aufregung und leisem Schock über das unziemliche Verhalten des Königs begannen alle durcheinanderzureden. Roberga schenkte Wein ein, und sie brachten einen Toast auf den neuen Prinzen und seine Eltern aus. Joanna hätte am liebsten getanzt und sich gedreht, es kostete sie Anstrengung, den Anstand zu wahren und die Füße still zu halten. Sie nippte an einem der Weinbecher, die herumgereicht wurden, und fragte sich eifrig, wann sie das neue kleine Mensch­lein sehen dürfen würde.

Die Glocken der Abtei begannen zu läuten und in jubelnden Klängen, die über den Nachthimmel hinwegzogen, in Joannas Körper widerhallten und ihre Seele berührten, die Geburt des königlichen Erben zu verkünden.

Endlich wurde die Tür der Schlafkammer geöffnet, und der König kam heraus. Tränenspuren glänzten auf seinen Wangen. »Ich habe einen Sohn! Gelobt sei Gott, ich habe einen Sohn! Ladys, ich danke euch allen für eure Fürsorge und Hingabe für die Königin. Ich werde es nicht vergessen. Ihr werdet alle Geschenke erhalten!« Er blickte zu den offenen Fensterläden hinüber. »Hört ihr die Glocken?« Mit verzückter Miene hielt er inne, um zu lauschen, dann lächelte er sie alle an. »An diesen Moment werde ich mich auf ewig erinnern«, sagte er und verließ den Raum, dabei wischte er sich über die Augen.

Joanna trat zum Fenster und beugte sich in die Luft hinaus. Rufe erfüllten den warmen Juniabend, und brennende Fackeln wurden wild geschwenkt, als die Bewohner des Gebäudekomplexes von Westminster die zu Beginn des Mittsommers erfolgte Geburt eines zukünftigen Königs feierten. Er sollte nach einem lange verstorbenen König von England Edward heißen, der ein gottesfürchtiger Mann und ein Heiliger gewesen war. Ein frommer Friedensstifterkönig. Henry wollte dieses Band wie eine goldene Kette erneuern, die Vergangenheit durch einen Sohn, der einen englischen Königsnamen eines alten Vorfahren trug, mit der Gegenwart verknüpfen.

Während sie den Feiernden, den Glocken und den Schreien des Neugeborenen lauschte, füllten sich Joannas Augen mit Freudentränen.

Am Morgen besuchte Joanna mit den anderen Frauen die Messe, bevor sie mit Brot und Käse ihr Fasten brach. Die Kirchenglocken läuteten immer noch, und im Palast herrschte geschäftiges Treiben, als Boten kreuz und quer durch das Land geschickt wurden, um die Nachricht von Prinz Edwards Geburt zu verbreiten. Im Frauengemach wurde von nichts anderem gesprochen.

Joanna nahm ihre Näharbeit zu der hellen Fensterlaibung mit und hielt ab und an mit der Arbeit inne, um den unter einem wolkenlosen Himmel funkelnden Fluss zu beobachten. Handelsschiffe glitten unter Ruder und Segel zwischen den verschiedenen Kais hin und her, und rote Viehherden tranken am gegenüberliegenden Ufer.