Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Zwischen den Reisfeldern im Süden Burmas und den Deichen des Roten Flusses in Nordvietnams, zwischen Luang Prabang im laotischen Bergland und dem Delta des Mekong durchreiste Ludwig Witzani den "Garten der Welt", der all das zu bieten hat, von dem Reisende träumen: Zeugnissen großer Geschichte wie in Angkor oder Pagan, Naturszenerien wie in Ha Long oder Traumstrände wie in Nhatrang oder Krabi, dazu Menschen, die unter der Geschichte der letzten fünfzig Jahre schrecklich haben leiden müssen, die sich aber nun anschicken, eine bessere Zukunft zu gestalten. Mit Fahrrädern und Bussen, mit Booten und Eisenbahnen ist Ludwig Witzani kreuz und quer durch Thailand und Burma, Laos, Kambodscha und Vietnam gereist und fand Monumentalität und Vergänglichkeit, Orte des Grauens aber auch Plätze, die unwillkürlich den Eindruck nahelegten, hier hätte sich ein göttlicher Schöpfer an seinem eigenen Werk berauscht. Ein sehr persönlich gehaltener Reisebericht mit einer Schwäche für Ruinen und Geschichte.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 283
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Titel
Copyright
Karte
Der Garten der Welt
- THAILAND -
Einleitung
BANGKOK, du machst mich fertig
Wie daheim, nur schön weit weg
Lächeln nur gegen Bares
Für Buddha sind tausend Jahre wie ein Tag
Melancholie am Golf von Siam
Alles dreht sich um die Kokosnuss
- BURMA -
Einleitung
Im Schatten der großen Pagode
Zu Besuch beim Maha Muni Buddha
Die Stadt der hunderttausend Pagoden
Der Pilger büßt im Dormitorium
Fünf Buddhafiguren wie vergoldete Riesenkartoffeln
- LAOS -
Einleitung
Ein Denkmal für die Plünderer der Staatskasse
Laos ist zuallerst ein Gemütszustand
- KAMBODSCHA -
Einleitung
Die Totenschädelpagode will niemand sehen
Die hundert Augen des Lokesvara
- VIETNAM -
Einleitung
Kaffee mit Ei im Reich des Konfuzius
Ein Gottesbeweis aufgrund der Schönheit der Natur
Mit dem Bummelzug über den Wolkenpass
Reisen im Lande der Cham
Dollar und Dong einträchtig am Strand
Auf allen Vieren ins dunkle Loch
Kanäle, Pagoden und eine Million Hondas
Statt eines Nachwortes
Literaturhinweise
Nachweise
Über den Autor
Weitere Veröffentlichungen
Ludwig Witzani
Der Garten der Welt
Reisen durch Thailand,
Burma, Laos,
Kambodscha und Vietnam
Ludwig Witzani; Der Garten der Welt
Reisen durch Thailand, Burma, Laos Kambodscha und Vietnam
_________________________________________________________________________
(“Weltreisen” Band V)
Lektorat: Tilman Griebenow
epubli Verlag, Berlin 2016
www.ludwig-witzani.de
Copyright: Ludwig Witzani 2016
Indochina
Der Garten der Welt
„Im Laufe meines langen Lebens habe ich mir einen Sport daraus gemacht, sämtliche Länder dieser Erde zu bereisen“, schrieb Peter Scholl Latour kurz vor seinem Tod. „Das ist mir auch gelungen, mit Ausnahme von ein paar Atollen im Pazifik und ein paar winzigen Eilanden in der Karibik. Ich war stets auf der Suche nach der Authentizität fremder Kulturen und den Spuren ihrer oft brutalen Exotik. Immer wieder wurde mir die Frage gestellt, wo ich mich denn am wohlsten gefühlt, welche Region mich am tiefsten beeindruckt und in ihren Bann gezogen hat. Die Antwort war stets die gleiche, und sie kam immer spontan: `Indochina, mon amour´“.
Tony Wheeler, der Gründer des Lonely Planet Verlages und einer der Väter der internationalen Backpackerkultur, wurde einmal gefragt, wo in der Welt es für ihn am schönsten sei. Von allen Gegenden der Welt, die ich gesehen habe, möchte ich keine missen, antwortete der Meister sinngemäß. Wenn ich aber einen Weltteil als den schönsten auswählen sollte, dann wäre es Indochina.
Nirgendwo in der Welt existieren auf so engem Raum derartig exotische und zugleich atemberaubende Zeugnisse großer Geschichte. Angkor Wat und Pagan, Sukothai, Luang Prabang und Ayutthaya vereinen die Monumentalität des Erhabenen mit der Melancholie der Vergänglichkeit. Die Landschaftsszenerien von Hoa Lu, Ha Long und Phang Nga gehören zu jenen Plätzen auf der Welt, an denen man unwillkürlich den Eindruck gewinnt, hier hätte sich ein göttlicher Schöpfer an seinem eigenen Werk berauscht. Und die Palmenstrände von Ko Samui, Krabi, Nhatrang und Phi Phi Island scheinen dem Archetypus des idealen Strandes, den ein jeder in sich tragen mag, in eindringlicher Evidenz zur Erscheinung zu verhelfen. Wer aber nur von Tempeln und Landschaften, Stränden und Städten spricht, wird der Vielfalt Indochinas nicht gerecht. Indochinas Menschen und ihre Feste, Riten und ihre Gastfreundschaft finden in der Welt nicht ihresgleichen. Wo andere Völker in stolzer Distanz sich ihren Besuchern verschließen und wieder andere ihre Vielfalt nicht teilen wollen, breiten Thais und Khmer, Vietnamesen, Laoten und Burmesen ihre Alltagskultur wie einen großen Gabentisch vor den Besuchern aus und heißen sie willkommen. Damit sollen Probleme, die auch in diesen Ländern existieren, nicht schön geredet werden. Abgesehen von einigen Halunken, die es überall gibt, aber habe ich es genau so erlebt. Der „Garten der Welt“ besitzt die Menschen, die zu ihm passen.
Umso bedauerlicher, dass diese Menschen im „Garten der Welt“ in den letzten beiden Generationen so viel haben leiden müssen. Denn in den Siebziger Jahren, als mit Tony und Maureen Wheelers Erstling „South East Asia on a Shoestring“ der internationale Backpackertourismus begann, gingen rund um Thailand die Lichter aus. Der Vietnamkrieg endete mit dem Sieg des kommunistischen Nordens, und für die verratenen Menschen im Süden begann die lange Nacht der Unterdrückung. In Kambodscha ermordeten die Roten Khmer anderthalb Millionen Menschen. In Burma, das ab 1989 Myanmar genannt werden wollte, herrschte eine inkompetente Militärjunta, die jeden Ansatz einer demokratischen Opposition verfolgte.
Aber der Wind des Wandels, der in den späten Achtziger und frühen Neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Weltgeschichte durcheinander wirbelte, blieb auch in Indochina nicht ohne Folgen. Vietnam rief „Doi MoI“, die Erneuerung, aus und hat inzwischen, zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht, den Kommunismus praktisch abgeschafft. Zwar herrscht noch immer nur eine einzige Partei im Land, doch die Menschen zwischen Hanoi und Saigon sind dabei, ihr individuelles Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Eine der wenigen Friedensmissionen der Vereinten Nationen, die von Erfolg gekrönt war, schuf in den frühen Neunziger Jahren die Voraussetzungen für eine fragile, aber zählebige kambodschanische Demokratie. Sogar Laos, das Land hinter dem Mekong, beendete seine Abschottung und folgte, wenngleich zaghafter, dem vietnamesischen Weg. Nur Burma erwies sich trotz der bewundernswerten Widerstandsleistung der Friedensnobelpreisträgerin Aug San Kyi lange Zeit als Hort der Despotie. Erst in den letzten beiden Jahren scheinen sich nun auch in Rangun die Verhältnisse zu verändern, auch wenn die Entwicklungen noch unklar und unübersichtlich sind.
Das sind gute Nachrichten für Reisende in einer Welt, deren Bereisbarkeit zwar im Hinblick auf die Transportmittel zunimmt, aber wegen politischer Unwägbarkeiten schrumpft. Es sind aber schlechte Nachrichten für Reisende, die es lieben, ein Land in seiner Ursprünglichkeit zu entdecken. Denn nach Thailand sind nun auch Burma, Vietnam, Kambodscha und selbst das abgelegene Laos vom internationalen Fernreisetourismus entdeckt worden. Wo es für mich in den Neunziger Jahren unmöglich war, von Pegu in Burma aus zum fliegenden Felsen von Kyiathko zu fahren, weil in der Monsunzeit die Lehmpisten schlicht unpassierbar waren, fahren heute klimatisierte Busse bis in die hintersten Winkel der Berge. Dafür hat sich der Umkreis der Pagode in einen einzigen Rummelplatz verwandelt, auf dem sich jeden Tag tausende Besucher auf den Füße treten und jede Magie zum Teufel geht. Ein Beispiel von vielen. Mit Mandalay, Hoa Lu oder Luang Prabang verhält es sich ähnlich.
Aber das ist bei weitem nicht der einzige Wandel, der sich im Garten der Welt ergeben hat. In nur einer Generation hat sich die Gesamtbevölkerung der fünf Länder, die in diesem Buch unter dem Begriff „Indochina“ zusammengefasst werden, von gut 125 Millionen Menschen auf fast eine Viertel Milliarde Menschen erhöht. Kann man unter diesen Umständen überhaupt noch von einem „Garten“ sprechen? Ich habe diesen Wandel in den fünfundzwanzig Jahren, in denen ich Indochina bereise, in einer ganz eigentümlichen Weise erlebt. In den Neunziger Jahren begann ich meine Reise als noch relativ junger Mann auf der Suche nach alten Kulturen. Inzwischen durchreise ich als reifer Mensch die Territorien junger Völker, deren Bevölkerungsmehrheit unter 20 Jahre zählt.
Ich habe die Länder, die in diesem Buch beschrieben werden, jeweils mehrfach und ausgiebig bereist – und zwar immer selbstorganisiert. Weit davon entfernt, organisierte Reisen kulturell interessierter Menschen gering zu achten, glaube ich doch, dass man ein Land, das man kennenlernen möchte, möglichst nahe an sich heranlassen muss. Man sollte es fühlen, auch wenn es gelegentlich schmerzt, man sollte es riechen, auch wenn es stinkt, seine Gewürze auf den Märkten, den Muff seiner Zimmer, die Abwässer in den Unterstädten und den besonderen Duft der Garküchen. Die Vorstellungswelt, die auf diese Weise entsteht mag richtig oder falsch sein, auf jeden Fall ist sie voller Leben und Abenteuer, und das ist es doch, was wir vom Reisen erwarten.
Das vorliegende Reisebuch erhebt deswegen keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Es ist, wie alle Reisebücher durch und durch subjektiv, redlicherweise aber auch der Idee verpflichtet, dass Subjektivität nicht einfach nur Beliebigkeit bedeutet, sondern auch die Offenlegung einer bestimmten Perspektive, die im besten Falle ihre eigenen Scheuklappen mit reflektiert. Ob mir das immer gelungen ist, kann ich nicht beurteilen. Ich habe es aber immerhin versucht. In diesem Sinn wünsche ich eine gute Reise durch den „Garten der Welt.“
Uferlandschaft am südchinesischen Meer
Königstempel von Ayutthaya / Thailand
THAILAND
Einleitung
„Was zuerst in den Topf kommt, danach schmeckt er“, sagten die Römer. Genauso verhält es sich mit Thailand. Die meisten Indochina-Reisenden beginnen ihre Erkundung dieses Weltteils in Thailand, einfach weil die Verkehrsanbindungen die günstigsten sind und Unterkunft und Transport am wenigsten Schwierigkeiten bereiten. Auch die erste Traveller-Szene, ja, die erste interkontinental agierende Zentrale des weltweiten Backpackertourismus entstand in Thailand, genauer gesagt, in der Khao San Road von Bangkok, die im Kapitel „Wie daheim, nur schön weit weg“ vorgestellt wird.
Auch ich habe mein außereuropäisches Reiseleben in der Khao San Road begonnen, und ich entsinne mich noch ganz genau an das Erstaunen darüber, wie einfach und unkompliziert sich der Eintritt in die wunderbare Welt der Tropen von der Khao San Road aus darstellte. Von hier aus ließ sich problemlos ganz Thailand erkunden, und als die Nachbarländer Schritt für Schritt ihre Grenzen öffneten, starteten von der Khao San Road aus die Backpacker als Trendsetter mit der Erkundung von Burma, Lao, Kambodscha und Vietnam. Der „ordentliche“ Tourismus kam später.
Eigentlich gibt es in Thailand drei Anlaufpunkte, auf die sich der größte Teil des seriösen Tourismus konzentriert. Bangkok, die Stadt der Engel, die in den letzten Jahren auch immer mehr eine Stadt der Sünde geworden ist, die wunderbaren Inseln und Strände des südchinesischen Meeres und der Norden um Chiang Mai und Chiang Rai, wohin es die Thailand-Novizen zieht, die in Indochina nicht nur beachen sondern auch ein wenig trekken wollen. Davon handelt der Bericht „Lächeln nur gegen Bares“.
Wer sich die Mühe macht, von Chiang Mai aus nicht direkt, sondern etappenweise nach Bangkok zurückzufahren, kann seine Tour wie eine Zeitreise gestalten. Zuerst nach Sukothai, zur ersten Hauptstadt Thailands, dann nach Ayutthaya, der zweiten Hauptstadt, um schließlich in Bangkok, der aktuellen Metropole, anzukommen. „Für Buddha sind tausend Jahre wie in Tag“ beschreibt eine solche Reise durch die thailändische Geschichte.
In Bangkok aber endet das Begreifen. Gegenüber der ausufernden Zehnmillionen-Metrople am Chao Praya versagen die Verständniskategorien. So oft habe ich mich in Bangkok aufgehalten, ohne wirklich einen dauerhaften Zugang zu dieser Stadt zu finden. „Bangkok, du machst mich fertig“ spiegelt diese Hilflosigkeit ein wenig wieder.
Ein deutscher Bundespräsident hat die Menschen seines Landes einmal in „Helldeutschland“ und „Dunkeldeutschland“ eingeteilt. Wenn man so will, gibt es auch in Thailand einen „dunklen“ Bereich, der aber vielleicht mehr über einen bestimmten Typ von Besucher als über das Land selbst aussagt: Pattaya, eine der weltweit bekanntesten Anlaufadressen des Sextourismus. „Melancholie am Golf von Siam“ beschreibt eine Begegnung mit Pattaya und dem mit dieser Stadt unauflösbar verbundenen Sextourismus.
Seine zauberhafteste Seite aber zeigt Thailand zweifellos in seinem Süden, in der Wunderwelt der Berge von Phangh-Nga, in Phi-Phi-lsland, das sich inzwischen von den Verheerungen des großen Tsunamis erholt hat, in Krabi, Surathani oder auf den Inseln des südchinesischen Meeres. Einen Einblick in diese Welt der Strände von Ko Samui, Ko Tau, Krabi oder wie immer diese Orte auch heißen mögen, werden sie in diesem Buch nicht finden, weil es an diesen Stränden vornehmlich um die Touristen und nicht um Thailand geht. Einen alternativen Einblick in die Tropenregion des Südens bietet stattdessen das Kapitel über „Die Affenschule von Surathani.“
Seenlandschaft in Phang Nga / Südthailand
BANGKOK, du machst mich fertig
Ein Stoßseufzer
,,Den ganzen Tag sieht man Buddhas" schreibt Ces Nooteboom über Bangkok ,,In der Halle des Hotels, im stinkenden Bus oberhalb des Rückspiegels, im Süßwarenladen, in der Vitrine." Ach, wenn es doch so wäre! Die Wahrheit ist: in Bangkok sieht man viel mehr Automobile als Buddhas. Scheppernde, lackierte, rostige, zerbeulte, aufgemotzte, überfüllte, hupende Fortbewegungsmittel auf zwei, drei oder vier Rädern, die sich wie eine bösartige Prozession über die Hauptverkehrsstraßen quälen - das ist der erste Eindruck, den der Besucher auf seiner Fahrt vom Don Muang Airport in die Innenstadt erhält. Wo er das Land des Lächelns erwartete, empfangt ihn der permanente Verkehrskollaps, und statt des ewigen Frühlings erwartet ihn die Schwüle einer Zehn-Millionen-Stadt.
Bangkok, Du Schöne, wo dereinst die keusche Anna mit dem König flirtete - was ist aus Dir geworden? ,,Ein gigantischer mobiler Parkplatz", sagen die einen, denn die Gesamtheit der zugelassenen und nicht zugelassenen Fahrzeuge ergibt aneinandergereiht die zwanzigfache Länge des städtischen Straßensystems. ,,Die Welthauptstadt der üblen Gerüche" ergänzen die anderen, denn wo früher am Chao Phraya Grünflächen die schmucken Häuser umgaben, da stinkt der träge Strom heute beinahe so zum Himmel wie die Abgase aus Millionen Auspufftöpfen. Hochstraßen, die entweder nicht fertig werden oder wegen der Mautgebühren nur von wenigen befahren werden können, Hochhausruinen, die seit der Asien-Krise des Jahres 1998 verrotten, Energie-, Müll- und Abwassersysteme, die unter der Beanspruchung der Millionen regelmäßig zusammenbrechen - man kann es drehen und wenden wie man will: aus Bangkok, der zauberhaft-verschlafenen Hauptstadt der siamesischen Hinterwelt, ist ein urbaner Moloch geworden, der im eigenen Blech und Beton zu ersticken droht. Trotzdem besuchen alljährlich Millionen ausländischer Touristen vollkommen freiwillig und ganz ohne Bezahlung die Stadt. Wie ist das möglich?
Mit den Touristen, die eine Stadt besuchen, verhält es normalerweise wie mit den Gästen, die in einem Lokal verkehren - man passt irgendwie zusammen, ohne dass man recht weiß, wieso. Nicht so in Bangkok, das zwar millionenfach besucht wird, mit seinen Touristen aber in Wahrheit genauso wenig am Hut hat wie diese mit der Stadt. Die meisten Pauschalurlauber erleben von Bangkok ohnehin nur die Prospektfassade: Tempelbesuche, Klong-Ausflüge, Sightseeing-Touren und der Besuch der unsäglichen schwimmenden Märkte von Damnoen Saduak bestätigen in ihrer Gesamtheit genau die Klischees, die die Besucher vom exotischen Siam erwarten. Gehorsam wie eine Herde Lämmer verspeisen sie in Touristenlokalen ihr grotesk überwürztes Thai-Food, lassen sich von ihren Fremdenführern in Souvenirläden schleppen und sind heilfroh, endlich ihren vorgebuchten Badeurlaub in Phuket oder Kosamui anzutreten. Die Individualtouristen haben mit der Stadt genauso wenig im Sinn. Als würden ganze Nester dieser juvenilen Spezies in Bangkok ausgebrütet, wohnen sie zu Tausenden in und um die Khan San Road, legen vor oder nach anstrengenden Reiseetappen durch Java, Burma oder Vietnam in der exzellent organisierten Travellerszene von Bangkok die Beine lang und lassen sich vom musikalischen, sprachlichen und kulinarischen Ambiente der fernen Heimat verwöhnen. Je mehr Länder diese weitgereisten Westler auch gesehen haben, desto mehr scheinen sie sich zu gleichen: ärmelloses T-Shirt, Germanenschwänzchen, Reispflückerhose, Sandalen und Bauchtasche - so sitzen die Kinder von Tony Wheeler und Paul Theroux in den Restaurants und achten mit Argusaugen darauf, dass kein Baht zu viel in den Taschen der Frauen landet, die ihnen die Wäsche waschen, das Essen kochen und die Zimmer schrubben.
Werden die Pauschalurlauber mit ihren eigenen Klischees und die Individualreisenden mit den Vibrationen ihres eigenen Milieus befriedigt, bleiben für die Sextouristen, die in unbekannter aber sicher beachtlicher Zahl tagaus tagein in Bangkok einfallen, nur die Fiktionen. Im Umkreis des Rotlicht- und Vergnügungsviertels rund um die Patpong Road ist nichts wirklich das, was es zu sein vorgibt: die Thai-Boxer präsentieren nichts weiter als eine artistische Show, und die jungen Frauen, die die Getränke ausschenken, machen den westlichen Dickbäuchen schöne Augen. Umlagert von rösigen Junggesellengemeinden aus Bombay, Hamburg oder Taipeh tanzen blutjunge Mädchen in völlig verspiegelten Sälen, die Lichtorgel flackert, die Bässe dröhnen und über der ganzen Szene liegt eine derartige Aura der Tristesse dass man heulen könnte: wie seelenlose Barbiepuppen agieren die Frauen, und die Gier steht der internationalen Kundschaft wie ein Kainsmal im Gesicht geschrieben.
Gibt es denn in Bangkok außer der Khao San und der Patpong rein gar nichts zu sehen? Doch schon, aber nur wenn es nicht zu heiß ist und wenn man genügend Zeit mitbringt. Aber Hand aufs Herz: wer findet wirklich einen Bezug zu den steinernen Tempelwächtern, den Mandalas und all den Glöckchen an den Klostersimsen? So eklektisch und elektrisch wie den Wat Phra Keo stellen sich die meisten Touristen die Regierungssitze von Aliens vor, und fast schon wieder sehenswert in seiner scheußlichen Geschmacklosigkeit ist der Königspalast neben dem Wat Phra Keo, ein schrilles Neuschwanstein, in dem die Touristengruppen in ihren grellen Klamotten einherwandeln wie eine farblich abgestimmte Staffage. Weltsehenswürdigkeiten wie die Schwedagon-Pagode in Rangun oder den Bayon Tempel in Angkor wird man in Bangkok vergeblich suchen- allenfalls am Wat Arun, dem Kloster der Morgenröte, oder auf der Aussichtsempore des Wat Saked auf dem Goldenen Hügel, wird man kurz nach Sonnenaufgang und in der Abenddämmerung ein wenig von jenem Glück empfinden können, das Asien seinen Besuchern in so reichem Maße schenken kann.
Doch was die Touristen auch immer treiben mögen, die überwiegende Mehrheit seiner Bewohner kümmert es wenig. Marktfrauen und Tuk-Tuk-Fahrer, Busschaffner, Garküchenköche, Schuhputzer, Lastenschlepper - all die Menschen, die im Unterschied zu den touristischen Dienstleistern nicht vom ausländischen Besucherstrom profitieren, haben genug damit zu tun, sich von morgens bis abends um den eigenen Lebensunterhalt zu sorgen. Sie kämpfen alle Tage mit dem chaotischen Verkehrsgewühl und geben doch nie die Hoffnung auf, einmal im Leben eine wirkliche Abkürzung zu erwischen. Sie leiden nicht weniger als die Touristen im April unter den Hundstagen des Vormonsuns und danken doch Buddha für jedes Gewitter, das sich während der Regenzeit über der dampfenden Stadt entlädt und Smog und Schmutz wenigstens für eine glückliche Stunde davon schwemmt. Und auch wenn sie ein blindes Geschick in eine der unwohnlichsten Großstädte der Erde verschlagen hat, schmücken sie alljährlich zu Songkran, dem buddhistischen Neujahrsfest, ihre Geisterhäuser und danken Buddha für die kleinen Freuden des vergangenen Jahres ,,Krung Tep Mahanakhon", die ,,großen Stadt der Engel", ist Bangkoks offizieller Name, und die einzigen wirklich guten Geister in der großen Stadt findet man unter ihren Bewohnern.
Khao San Road / Bangkok
Wie daheim, nur schön weit weg
Die Khao San Road in Bangkok
Man stelle sich in ferner Zukunft eine große Stadt in Deutschland vor, vielleicht Köln mit Blick auf den Dom oder Berlin in unmittelbarer Nachbarschaft zum Kurfürstendamm, in der nur Asiaten logieren, die von deutschen Bäckern, Fleischern, Hoteliers, Schneidern, Taxifahrern auf das Emsigste hofiert werden. Deutsche Küche wird nur am Rande serviert, dafür füllen Angebote wie Sate Ayam, Schweinefleisch mit Bambussprossen, Schlangensteaks oder Chicken Curry die in Hindi, Thai oder Chinesisch geschriebenen Speisekarten. Die zum Teil erstaunlich jungen Inder oder Chinesen, mit Rucksack und bequemer Kleidung angereist, testen gerne auch mal die deutsche Lederhose oder das Tiroler Hütchen, während die deutschen Schneider oder Fremdenführer sich der besseren Geschäftsanbahnung wegen in Turban oder Sarong präsentieren. Und weil man so scharf auf Rupies, Baht oder Renmimbi ist, durchstreifen deutsche Frauen in eindeutiger Absicht die Lokale, und wer von den Asiaten keine Lust verspürt, im Air-Con-Bus allein den Schwarzwald oder Heidelberg zu besuchen, kann sich für ganz kleines Geld ein blondes Mädel mit auf die Reise nehmen.
Ein befremdliches Bild? Das genaue Gegenteil gibt es bereits: eine Straße in Bangkok, in der die dienstwilligen Einheimischen lange Hosen und europäische Hemden tragen und sich die westlichen Touristen in völliger modischer Freiheit aus dem Arsenal des asiatischen Kleiderschrankes bedienen und in Saris, Longhies oder Reispflückerhosen über die Straßen laufen: die Rede ist vor der Khao San Road im Stadtbezirk Banglamphoo, der größten Anlaufstelle des Individualtourismus weltweit.
Auf den ersten Blick ähnelt die Khao San Road einer beliebigen asiatischen Großstadtstraße, nur dass das Gewirr der Stromkabel über den Straßen, die Verschachtelung der Fassaden und das Wirrwar der Reklameschilder womöglich noch eine Spur trostloser ist. Erst der zweite Blick lenkt die Aufmerksamkeit auf die fast lückenlose Reihe von Guesthäusern, Garküchenrestaurants, Internetcafés, Textil- und Ledergeschäften, Kurzwarenläden, Seidenschneidereien, Reisebüros Wäschereien, Fotoshops und Stempelfälschern – kurz: auf einen leistungsfähigen touristischen Mikrokosmos, in der nahezu jeder, der eine Asienreise auf eigene Faust unternimmt, irgendwann einmal integriert wird.
Die Geschichte der Khao San Road reicht zurück bis in die Anfänge des internationalen Backpackertourismus. Als sich in den Neunzehnhundertsechziger und -siebziger Jahren die damals noch spärlichen Anlaufstellen für Individualreisende schnell zu üblen Treffpunkten von Drogenhändlern und Prostitution entwickelten, begann unter dem Druck polizeilicher Razzien der Umzug der seriösen Anbieter in die Khao San Road in der unmittelbaren Nachbarschaft des Democracy Monuments in der Radjamnoen Klang. Hier entstand in den nächsten zehn Jahren eine in ihrer Art damals einzigartige Enklave der westlichen Welt, ein effizientes Dienstleistungszentrum, dessen preiswerte Zuverlässigkeit sich im Zuge des anhebenden Backpacker- und Fernreisetourismus schnell herumsprach.
Zuerst erscheinen die notorischen Asien-Fans, die von diesem Kontinent nie genug gesehen haben werden und die in Thailand inzwischen nur noch wie bei einer lieben, aber etwas langweiligen Tante auf dem Weg von Flores nach Goa Station einlegen. Zur Befriedigung der oft recht komplizierten Reisepläne dieser vagabundierenden Klientel entstanden die ersten leistungsfähigen Reisebüros, die sich auf die schnellstmögliche Beschaffung von Visas und Graumarkttickets konzentrierten. Wo zunächst gerade nur wenige Guesthäuser ihre Dienste anboten, ließ die Konkurrenz nicht lange auf sich warten, so dass der Reisende heute auf der Khao San Road und in den etwas ruhigeren Nachbarstraßen unter einer kaum noch überschaubaren Zahl von Anlaufstellen wählen kann. Die Kommunikationskanäle zwischen den unscheinbaren Reisebüros und den Airlines auf der einen und den Botschaften der Nachbarländer auf der anderen Seite funktionieren inzwischen so gut, dass es schon lange keinen schnelleren, bequemeren und preisgünstigeren Startplatz für die Durchreisung Asiens mehr gibt als in Bangkok.
Dementsprechend bilden die Gäste der Khao San Road einen multikulturellen und altersunspezifischen Querschnitt durch die Population westlicher Gesellschaften. Abiturienten auf ihrer interkontinentalen Jungfernreise ebenso wie gewiefte Asienenthusiasten, junge Familien mit Kindern, graue Panther mit einem Rucksack voller Erwartungen und noch unausgelebter Träume, Einzelreisende beiderlei Geschlechts, Hetero- und Homosexuelle, Gutbetuchte und die sogenannten Low Budget Traveller, die jeden Baht dreimal umdrehen müssen, ehe sie ihn ausgeben können, geben sich auf den fünfhundert Meters dieser Straße ein immerwährendes Stelldichein. Zwar sind mit dem Ruhm der Straße auch die Preise gestiegen, aber noch immer gilt in der Khao San Road die Schmerzgrenze von einhundert Baht (umgerechnet knapp drei Euro). Dafür erhält man alternativ ein Bett im Schlafsaal, ein Essen eine strapazierfähige Baumwollhose, drei Paar Socken oder Unterhosen, einen Telefonanruf in die Heimat, einige raubkopierte Musikkassetten oder die Komplettreinigung eines mittelgroßen Rucksackinhaltes. Bettler und Prostituierte allerdings haben schlechte Karten in diesem Ambiente. Nicht, dass ihre Bemühungen gänzlich unnütz wären, aber einerseits erfordern die ambitionierten Reisepläne einen strikten Sparkurs und zum anderen gilt: Was man untereinander regeln kann, dafür braucht man auch nicht zu bezahlen.
Auf die Farben und Lichter Asiens, die in der Nudelwerbung so vorteilhaft zur Geltung kommen, kann man in der Khao San Road leicht verzichten, weil hier die internationale Backpackerszene selbst für ausreichende Kolorierung sorgt. Die vor einigen Jahren in den Feuilletons diskutierte These von einer Rückkehr des Mittelalters und seiner extravertierten Selbstdarstellung fände in den Freiluftrestaurants der Khao San Road eine anschauliche Bebilderung. Da diskutiert ein Brite mit einem prägnanten Germanenzöpfchen auf der Glatze mit einem behaarten Deutschen, dem der Flachmann aus der Tasche lugt. Eine bildschöne afroamerikanische Studentin flirtet mit einem rothaarigen Australier, knalleng sind ihre Radler Hosen, während ihr präsumtiver Partner sein Gebein in einer grellgelben Ali-Baba-Hose verbirgt. In dieser farbenfrohen Umgebung mit all den Saris, Seidenblusen, Kurdenhosen, Lederhüten und philippinischen Käppis wird sogar das milde Grau des Studienassessors neben dem pechschwarzen Pagenschnitt einer japanischen Studentin zum farblichen Kontrast, und wer es nicht geglaubt hätte, wie weit und wie früh die Kinder der entwickelten westlichen Gesellschaften bereits in der Welt herumgekommen sind, den belehrt ein einziger Blick durch das Restaurant von Wallys Guesthouse eines anderen: wie Positionsmarken einer imaginären Weltkarte lassen sich die typischen Weltreiserouten von den T-Shirts der Gäste ablesen. Hawaii und Ko Samui essen eine Nudelsuppe, Boracay nippt an einem Bier, während Goa und Hongkong (männlich) mit Columbia University (weiblich) flirten.
In den vormodernen Zeiten, als die juvenile Bildungsreise nicht weiter als bis nach Rom oder Neapel führte, hatte sich schon der junge Herder in seinem Reisejournal von 1769 über die eigentümliche „Verjüngung“ gewundert, die immer dann eintritt, „wo die Seele mit einer großen Anzahl starker und eigentümlicher Sensationen hat beschwängert werden können“. Auch wenn sich die klassische Bildungsreise inzwischen zur Grand Tour für jedermann gewandelt hat, bleibt das Ziel das gleiche: die Suche nach dem stimulierenden Elixier der Jugendlichkeit im starken Eindruck – nur dass an die Stelle des Forum Romanums die Riesentempel von Angkor Wat oder die Ruinen von Pagan getreten sind.
Man würde allerdings das Wesen des massenhaften Individualtourismus verkennen, sähe man darin den ernsthaften Versuch, sich die Grundzüge fremder Kulturen wirklich anzueignen. Abgesehen von einigen Ausnahmen durchreisen die Jünger von Tony Wheeler und Paul Theroux Rajastan, Bali oder Myanmar als stiegen sie in große Bilderbücher, in denen sie die asiatischen Riesenstädte, die prachtvollen Tempel, Palmen und Strände mit einer lustvollen Mischung aus Fremde und Geborgenheit erleben können – wobei sich der Genuss dieser Unmittelbarkeit nicht zuletzt aus der Gewissheit speist, dieses Fotoalbum jederzeit und sicher wieder verlassen zu können. Vom kolonialistischen Erbe der westlichen Welt will man nichts mehr wissen und reist doch in der komfortablen Membrane günstiger Wechselkursrelationen unbekümmert und preisbewusst durch den großen asiatischen Garten. Diese Art des Reisens, die die Vielfalt der Welt als Resonanzboden der eigenen Subjektivität benutzt, hat etwas von der Weltexplorierung neugieriger Kleinkinder, die die Mutter gleichwohl nie aus den Augen verlieren. Und so erstaunt es nicht, dass entlang der klassischen Fernreiserouten in Goa, Hikkaduwa, Kathamdu, Yogjakarta, Candi Dasa und neuerdings auch in Saigon und Phnom Penh jene Enklaven der Heimatlichkeit entstanden sind, deren größte und älteste die Khao San Road in Bangkok ist.
Sogar die Versorgung mit einheimischem Lesestoff wird in der Khao San Road organisiert: gegen einen kleinen Aufpreis tauschen die Traveller ihre ausgelesenen Schmöker gegen neues Lesefutter ein und hinterlassen so – ohne es zu wollen – in den Bücherregalen einen literarischen Fingerabdruck ihrer selbst. Mustert man die Bestände der Book-Shops auf der Khao San Road in dieser Hinsicht, wird man feststellen müssen, dass die weiten Reisen den literarischen Geschmack nicht wesentlich verfeinern, denn es dominieren die Saft- und Kraftschinken im Strickmuster der Clavell-, Ludlum und Robbins-Romane, aber immerhin – vielleicht als Bodensatz aus älteren Zeiten – existiert auch eine kleine Hesse Ecke in deutscher Sprache, in der der eine oder andere einfach mal aus alter Anhänglichkeit ein wenig blättert. „Auf allen Gesichtern lag eine traurige Öde und Gedämpftheit, jener Ausdruck von Welke und milder Apathie, die man nur bei Menschen trifft, die sehr viel auf Reisen sind, vereinigt mit der Mattigkeit und nervösen Unfrische, die den Weißen in den Tropen anhaftet“, notierte Hesse als eine Impression seiner großen Asienreise im Jahre 1911, und bei der Fixierung seines ersten Eindrucks von Palembang auf Java nahm er kein Blatt vor den Mund: “Zur Zeit der Ebbe aber ist diese Stadt eine schwarze Gosse, die kleinen Hausboote liegen schräg im toten Sumpf, braune Menschen baden harmlos in einem Brei von Wasser, Schlamm, Marktabfällen und Mist, das Ganze schaut blind und farblos in den unbarmherzig heißen Himmel und stinkt unsäglich.“
Wie sehr sich die Zeiten und die Umstände des Reisens geändert haben, belehrt ein abendlicher Gang durch die Khao San Road. In den Gesichtern der zechenden jungen Gäste ist von Öde und Apathie nichts zu erkennen. Eng beieinander sitzend wie in der klassischen Schülerpinte nehmen sie ihr Abendessen unter der obligatorischen Musik- und Filmberieselung zu sich und fühlen sich rundum wohl. Terminator, Dirty Harry oder Darkman feuern ihre Salven gegen eine imaginäre Welt von Feinden, und draußen fährt ein asiatischer Langnese-Mann auf einem beleuchteten Fahrrad mit einer Drehorgel vorüber. Morgen oder übermorgen geht die Reise weiter, zum nächsten Bild im großen Garten der Welt, denn das asiatische Fotoalbum scheint unendlich, und die Heimat ist nicht weit.
River Rafting während des Chiang Mai Trekkings
Lächeln nur gegen Bares
Endlich die Wahrheit
über die berühmte Trekking-Tour
von Chiang Mai
Im „Rama Guesthouse" in Chiang Mai lief die Wirtin Chrissi zur Hochform auf. Stolz reichte sie Dankesschreiben und Grußadressen in den verschiedensten Sprachen von Tisch zu Tisch. Auf Schnappschüssen erkannte ich wackere Wanderer vor grünen Horizonten, ich sah Reisfelder, Opiumblüten, Elefanten, Flöße, Eingeborenendörfer. Wer konnte da widerstehen? Kurz entschlossen blätterte ich 1300 Baht (etwa 35 Euro) auf den Tisch des Hauses und wurde das achte Mitglied einer Gruppe, die noch heute zu einer dreitägigen Trekking-Tour in das thailändisch burmesische Grenzgebiete aufbrechen sollte. „Good Decision!“ sagte Chrissi und klopfte mir auf die Schulter.
„Gallia est divisa in partes tres“ hatte unser Lateinlehrer erzählt. Nun erkenne ich, dass auch Thailand dreigeteilt ist – in Bangkok, wo man auf den Putz hauen kann, in den Süden, wo die Touristen unter Palmen in der Sonne schmoren und in den Norden, wo gewandert, nein: wo getrekkt wird. Und nirgendwo wird mehr getrekkt als in der Umgebung von Chiang Mai. Gestern Abend war ich mit dem Nachtzug in Chiang Mai, der zweitgrößten Stadt Thailands, eingetroffen, und es hatte mir auf Anhieb gefallen. Hier gab es weniger Stress, Smog und Prostituierte als in Bangkok, die Temperaturen und die Preise waren niedriger, und sogar die Malaria soll in den letzten Jahren ausgerottet worden sein. Eine Gegend, in der ich mich von den Verlockungen Bangkoks erholen und mich asketisch trekkend revitalisieren wollte.
Ich war zum ersten Mal in Thailand und besaß von dem bevorstehenden Ausflug in den Dschungel nur ungenaue Vorstellungen. Ich wusste nur so viel: In Nepal benötigt der Trekker vor allem festes Schuhwerk, um durchzukommen, am Amazonas einen gesunden Magen, um die unvermeidliche Maniok-Suppe zu verdauen und im Hoggar Gebirge ist vor allem anderen das Wasser wichtig. Was aber brauchte ein Trekker, der sich von Chiang Mai aus in die Wildnis begab?
Einige Stunden später wartete unsere Gruppe vor dem Rama Guesthouse auf den Minibus, der uns in die Berge bringen sollte. Unser Führer Ray erschien, ein thailändischer Twen mit einer asketischen Mönchsfigur, der jedem zuerst die Hand schüttelte und uns dann so bedeutungsvoll in die Augen schaute, also prüfe er, ob wir den Belastungen dieser Trekking-Tour auch gewachsen wären. Ein älterer Japaner war mit festen Hochgebirgsschuhen zum Treffpunkt erschienen. Auf seinem Rücken trug er einen mittelgroßen Rucksack, in dem sich alles befand, was für das Überleben im Dschungel von Nutzen sein könnte: Schwimmweste, Taschenmesser, Wasserflasche und Fernglas ebenso wie Mikropur, Kompass und Tropenhelm. Sein jüngerer Gefährte gab sich erheblich unbekümmerter. Seine Ausrüstung bestand im Wesentlichen aus einer fabrikneuen, noch verpackten Billig-Kamera, die er sofort vor unseren Augen auspackte, um damit den stoisch dreinblickenden Ray zu fotografieren. Ihre Namen konnte sich kein Mensch merken, weswegen sie in den folgenden Tagen immer nur „Jap1“ und „Jap2“ gerufen wurden. Auch zwei Holländer waren mit von der Partie. Sie hießen Marten und Wim und waren große, freundliche Brummbären in den späten Zwanzigern, die mit Sonnenhut und kurzen Hosen auf Tour gingen. Sie sollten in den nächsten drei Tagen jedermann freundlich zunicken, wenig sprechen und meistens über ihre Ohrsticks Rockmusik hören. Waren die Japaner und Holländer recht schweigsam, konnte man das von Elli, Jackie und Sue nicht behaupten. Elli, Jackie und Sue brabbelten in einem fort, wobei ihr Englisch kaum zu verstehen war, kicherten an jeder nur denkbaren Stelle, waren aber anstellig, belastbar und nur mit einem einzigen Rucksack unterwegs, den sie abwechselnd trugen. Wie zu erfahren war, hatten sie die Schule gerade erst abgeschlossen und von ihren Eltern so viel Geld erhalten, dass ein halbes Jahr Südostasien bereisen konnten. An ihnen war noch jede Menge Babyspeck, doch die Hitze Indochinas und die reishaltige Ernährung würde schon dafür sorgen, dass er am Ende der Reise verschwunden sein würde.
Eng zusammengepfercht fuhren wir in einem offenen Pickup in nordwestlicher Richtung der burmesischen Grenze entgegen, Ray mit zwei Begleitern vorne, wir acht im Fond des Wagens. Bald war Chiang Mai verlassen, und der Wagen raste über staubige Buckelpisten, die serpentinenartig in die Berge führten. Dass wir noch vor Beginn der Trekkingtour auf den unebenen Straßen kräftig durchgeschüttelt wurden, war in Ordnung, denn immerhin verließen wir die Zivilisation, und da musste man Unbequemlichkeiten in Kauf nehmen. Wim wechselte gerade die Batterien seines Walkmans, als wir in einem kleinen Dorf von einer Horde Kinder jubeln begrüßt wurden. Wer hätte gedacht, dass die einheimische Bevölkerung uns so freundlich empfangen würde? Aber was wollten die Kinder mit den Eimern? Im nächsten Augenblick wurde der Innerraum des Pickups mit mehreren Eimern Wasser geflutet. Elli, Jackie und Sue kreischten, nur unsere Begleiter lachten, denn sie wussten Bescheid: In diesen Tagen, in denen das thailändische Neujahrsfest Songkran gefeiert wurde, liebten es die Thais, sich gegenseitig möglichst überraschend mit Wasser zu begießen und Glück fürs neue Jahr zu wünschen. Und für Touristen wurden ganz offenbar keine Ausnahmen gemacht.
Die vermeintlich harte Tour durch unwegsames Gelände begann äußerst moderat. Da bereits der frühe Nachmittag angebrochen war, ließen wir das Gepäck im Auto und machten uns auf einen Spaziergang durch den Wald. Von Dschungel und Schlingpflanzen war nirgendwo etwas zu sehen, stattdessen bewegten wir durch so adretten Laubwald, wie ich ihn zuletzt in der Eifel durchwandert hatte. Auch Kompass und Machete würden wir für diese Tour nicht benötigen, denn vor uns hatten schon genügend andere Touristen einen breiten Trampelpfade gut ausgetreten. Bald erreichen wir einen kleinen Wasserfall, an dem gerade eine andere Trekking Gruppe das Feld räumte, um uns Gelegenheit zum Baden zu geben. Dass erinnerte mich an das Nationalmuseum in Kairo, in dem man die wichtigsten Exponate gruppenweise auch nur dann besuchen konnte, wenn die andere Gruppe das Feld räumte. Sollte es sich im thailändischen Mischwald ähnlich verhalten?
Nach einem kurzen Planschen unterhalb des Wasserfalls, wanderten wir zu einem Meo-Dorf, in dem wir auch übernachten würden. Von den Meos hatte ich in meinem ganzen Leben noch nie etwas gehört, nun erfuhren wir von Ray, dass die Meos ebenso wie die Akha, die Yao oder Lahu zu den chinesischstämmigen Bergvölkern Nordthailands gehörten. Noch weiter im Norden bezögen diese Bergstämme ihr Einkommen unter anderem aus dem Anbau und Verkauf von Opium, was der Regierung in Bangkok keine geringen Probleme bereitete. Das Meo-Dorf, in dem wir übernachten würden, sei jedoch „clean“, so dass wir uns keine Sorgen zu machen brauchten.