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Ludwig Witzani ist als Individualtourist durch die ganze Welt gereist, hat aber noch niemals an der Kreuzfahrt teilgenommen. Aber einmal erwischt es jeden, und nun ist es soweit. Er ist älter und ruhiger geworden und bucht auf der "AIDAdiva" und der "Mein Schiff 6" je eine Reise in die östliche und die westliche Karibik. Wie der Frosch auf dem Rücken eines Wals erkundet er auf Ausflügen und selbst organisierten Exkursionen die Kleinen Antillen, die Küsten Jamaikas, Mexikos, Belizes, Honduras´, Costa Ricas, Panamas, Kolumbiens und der Dominikanischen Republik. Als Passagier eines Luxus-Kreuzfahrtschiffes erlebt er sich aber zugleich auch als Objekt eines umfassenden Betreuungszusammenhangs, der die Illusion eines so genannten "Traumurlaubs" erzeugt, im Detail aber doch zahlreiche Anpassungsleistungen erfordert. Mit Sympathie und Humor wird diese doppelte Reise in dem vorliegenden Buch aus der Perspektive eines absoluten Kreuzfahrtnovizen beschrieben. Die ideale Einführung für Karibikliebhaber und Kreuzfahrteinsteiger, aber auch für Personen, die Kreuzfahrten weder verachten noch verherrlichen und nur wissen wollen, was es damit auf sich hat.
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Seitenzahl: 244
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Ludwig Witzani
Mit der AIDAdiva und der Mein Schiff 6 durch die östliche und westliche Karibik
Impressum
Mit der AIDAdiva und der Mein Schiff 6 durch die östliche und westliche Karibik
Ludwig Witzani
published by: epubli GmbH, Berlinwww.epubli.de
www.ludwig-witzani.de Lektorat: Regine Goede Konvertierung: sabine abels | www.e-book-erstellung.de
Mit der AIDAdiva durch die östliche Karibik 3.3.-18.3.2017
Mit der Mein Schiff 6 durch die westliche Karibik 22.2.-9.3.2019
AIDAdiva Mein Schiff 6
Einleitung:Wie ich zu meiner ersten Kreuzfahrt kam und was Sie in diesem Buch erwartet
Karibisches Reisetagebuch IMit der AIDAdiva zu den Kleinen Antillen
Die Anreise
Das Schiff
Die Geschichte
1. Die indigenen Völker
2. Die Europäer
3. Die Schwarzafrikaner
Das ostkaribische Reisetagebuch
Divi Divi und danki, danki auf ARUBA
Willemstad, so bunt – CURACAO
Das Schönste unter Wasser: BONAIRE
Bis der Sarg voll ist – GRENADA
Wochenmarkt in Kingston – ST. VINCENT
Flach, alt und vornehm – BARBADOS
Wahrzeichen der Karibik – ST. LUCIA
Die letzten Kariben in DOMINICA
Frankreichs Schaufenster – GUADELOUPE
Insel der Reichen und der Schönen – ANTIGUA
Abschied von der AIDA
Karibisches Reisetagebuch IIMit der Mein Schiff 6durch die östliche Karibik
Das Schiff
Die Geschichte
1. Die indigene Bevölkerung und die Mayas
2. Die schwarzafrikanische Bevölkerung
3. Die Weißen
4. Die neuesten Entwicklungen
Das westkaribische Reisetagebuch
Der erste Seetag
Die Reise nach Kingston Town OCHO RIOS/ JAMAIKA
Ein Besuch im Rastafari Village MONTEGO BAY / JAMAIKA
Der zweite Seetag
Die fliegenden Männer von El Tajin COZUMEL /MEXIKO
Der Weg nach Altun Ha BELIZE
Wiedersehen mit den Garifuna ROATAN /HONDURAS
Der dritte Seetag
Erinnerungen an eine weit zurückliegende Reise nach COSTA RICA
Streiflichter auf ein wunderliches Land – Puerto Limon, Tortuguero und Cahuita/Costa Rica
Schnittpunkt der Ozeane DER PANAMAKANAL UND PANAMA-STADT
Die weiße Bucht: CARTAGENA / KOLUMBIEN
Der vierte Seetag
Wo alles begann: SANTO DOMINGO DOMINIKANISCHE REPUBLIK
Abschied in La Romana
Die Kreuzfahrtreise in der Kritik
1. Die ökologische Kritik
2. Ökonomische Kritik: Steuer- und Lohndumping
3. Touristischer Overkill der Zielorte
4. Schluss
Anhang
Reisepraktische Hinweise
Literaturhinweise
Bildnachweis
Über den Autor
Notorisch Fernwehkranke gleichen ewig Hungrigen, die die Schüssel auch noch nach den letzten Essensresten auskratzen. Sie werden einfach nicht satt. Was mich betrifft, so hätte ich längst satt sein müssen, doch Neugier und Langeweile ließen mir keine Ruhe.
Ich liebte es, mit dem Finger über die Landkarte zu fahren und nach Gegenden zu suchen, in denen ich noch nicht gewesen war, und wenn ich eine gefunden hatte, fuhr ich hin. Auf diese Weise habe nach und nach die meisten weißen Flecken auf meiner persönlichen Weltkarte getilgt – allerdings in einem moderaten Tempo, denn ich wollte die Erkundung der Welt mit dem Ablauf meines Lebens am liebsten so synchronisieren, dass ich gerade „durch war“ wenn ich den Löffel abgab.
Was also blieb also noch zu sehen? Der Kongo, die Antarktis, die Nordwestpassage – und die Kleinen Antillen. Viele denken bei den Kleinen Antillen an eine Vogelart oder Hundewelpen, was natürlich falsch ist. Bei den Kleinen Antillen handelt es sich um ein Zuckerstück unserer Welt mit einzigartiger Natur, Geschichte und Bevölkerung – übrigens auch um ein sehr persönliches Stück Leseerinnerung, das mich zurückführt in eine Zeit, in der die Piraten John Hawkins, Francis Drake und Henry Morgan meine Helden gewesen waren.
Die Kleinen Antillen erstecken sich in einem weiten Bogen über zweitausend Kilometer lang von der Nordküste Venezuelas bis zu den Virgin Islands und waren lange Zeit die Perlen der europäischen Kolonialreiche.
Da musste ich hin. Aber wie?
Wer von Santo Domingo aus diese Reise von Insel zu Insel selbstorganisiert durchführen wollte, wer auf Flug- und Fährverbindungen angewiesen wäre, würde jede Menge Zeit mitbringen und sich auf endlose Querelen bei Ein- und Ausreisen einstellen müssen. Musste das wirklich sein? Hatte ich das denn das in Malawi, Bolivien oder Laos nicht schon zur Genüge erlebt?
Nein, das musste nicht sein, denn schon nach überschlägiger Recherche ergab sich eine andere Möglichkeit. Ob man es glauben will oder nicht – für eine stramme Bereisung der Kleinen Antillen bei begrenztem Zeitbudget existiert kaum ein besseres Transportmittel als ein Kreuzfahrtschiff. Ein Preisvergleich ergab außerdem, dass eine Erkundung der östlichen Karibik per Kreuzfahrt noch nicht einmal übermäßig teuer war, jedenfalls nicht viel teurer als eine selbstorganisierte Reise. Die Karibik hat noch nie zu den Regionen gehört, in denen Individualreisende im Unterschied zu Gruppenreisenden besonders viel Geld sparen konnten.
Bedenken blieben. Viele meiner reiseenthusiastischen Freunde rümpften die Nase über diese Form des rundumbetreuten Reisens. Allerdings hatte ich mir mein Leben lang in asiatischen Bussen den Hintern genug platt gesessen, um mir jetzt guten Gewissens auch einmal eine Kreuzfahrt zu gönnen. Ganz überzeugt war ich trotzdem noch nicht, vor allem weil das Kreuzfahrtgeschäft inzwischen in Verruf geraten war. Als „Dreckschleuder der Meere“ und „Ausdruck einer barbarischen Zivilisation“ werden die großen Schiffe von ihren Kritikern beschimpft. Auf diese und ähnliche Einwände soll im letzten Kapitel eingegangen werden.
Am Ende schlug ich alle Einwände in den Wind und buchte eine Reise mit der „AIDAdiva“ zu den Kleinen Antillen. Aber wenigstens mit selbstorganisierter Anreise, so viel Unabhängigkeit musste sein. Diese Reise wird im ersten Teil des Buches beschrieben.
Ich kam also zu meiner ersten Kreuzfahrtreise über das Zielgebiet. Bei meiner zweiten Kreuzfahrtreise war es genauso, nur dass es sich diesmal nicht um die östliche sondern um die westliche Karibik handelte.
Auf diese Weise habe ich die beiden bedeutendsten Anbieter im deutschsprachigen Raum, „AIDA“ und „Mein Schiff“, kennengelernt. Außerdem bekam ich Kontakt zu einer mir bis dahin unbekannten touristischen Spezies, den Kreuzfahrtreisenden, über die ich im nachherein nichts Schlechtes sagen kann, außer dass sie sich von den Reisenden, mit denen ich bis dato unterwegs war stark unterschieden. In welcher Weise zeigen etwa die Kapitel über die Seetage.
Am Ende eine dreifache Warnung. Erstens: Dieses Buch ist kein Kreuzfahrtführer sondern der Erlebnisbericht über zwei Kreuzfahrten aus der Perspektive eines passionierten Individualreisenden, der zum ersten Mal in seinem Leben eine solche Reiseart erprobt.
Zweitens: So beeindruckend die AIDAdiva oder die Mein Schiff 6 auch sein mögen und so Interessantes es über sie auch zu berichten gibt – im Mittelpunkt des Buches steht das Zielgebiet, die Karibik.
Und drittens: Dieses Buch ist ein wenig geschichtslastig, das aber mit gutem Grund. Ich habe Städte, Tempel oder Naturpanoramen niemals mit Freude besichtigen können, ohne nicht die Historie wie eine zweite Wirklichkeit über die erste zu legen. Im besten Falle ergibt sich auf diese Weise eine Art Doppelbelichtung, die das Reiseerlebnis optimiert. Wer sich durch diese Warnungen nicht abschrecken lässt, ist hier genau richtig. Gute Reise!
Route der AIDAdiva durch die Kleinen Antillen
KaribischesReisetagebuch I
Mit der AIDAdivazu den Kleinen Antillen
Straßenszenen aus La Romana
Bei dem Iberia Flug in die Dominikanische Republik gab es eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute Nachricht war, dass der Anschluss in Madrid kaum Wartezeit verursachte. Die schlechte Nachricht war, dass man mit der Iberia wie in einer Sardinenbüchse über den Atlantik flog. Auch die Einreise in die Dominikanische Republik war kein Vergnügen. In zwei langen Schlangen mussten wir uns anstellen, um zuerst die Tourismus-Steuer zu entrichten, und dann die Passkontrolle inklusive der Abnahme der Fingerabdrücke hinter uns zu bringen.
Nach knapp anderthalb Stunden waren wir endlich durch und trafen in der Eingangshalle unseren vorbestellten Taxifahrer, einen jungen, gut aussehenden Dominikaner, der uns für 100 Dollar in einem bequemen SUV in zwei Stunden nach La Romana brachte. Wir fuhren abwechselnd durch wenig attraktive, flache Landschaften und ausgedehnte Uferstädte. Ich hatte ganz vergessen, wie nervig die Durchquerung verstopfter Stadtzentren war. Lauter überfüllte und verbeulte Kleinbusse versperrten den Durchgangsverkehr. Wie eine Insektenplage schossen die Motorradfahrer links und rechts aus den Seitenstraßen heraus.
Unsere Bed- und Breakfast Unterkunft „table d´hote“ in La Romana wurde von Madame Catharine geleitet, einer schlanken Französin, die uns in weiten Gewändern und mit einem Punsch empfing. Madame Catharine war 65 Jahre alt, hatte sich aber die zeitlose Schönheit einer Elbin bewahrt. Braun gebrannt und faltenlos war sie die Herrin von fünf Hunden, vier Katzen und einer Schar von Bediensteten, über die sie wie eine Königin regierte. Soweit ich sie verstanden habe, hatte sie die Liebe zu einem Dominikaner nach La Romana geführt. Diese Liebe muss böse gescheitert sein, doch im Zuge einer komplizierten Scheidung hatte sie das schöne Haus oberhalb von La Romana mit Meerblick und Garten erworben. Unsere Mitgäste bei Madame Catherine waren August und Marianne aus Overath bei Köln. Auch August und Marianne wollten wie wir am nächsten Tag auf der AIDAdiva einchecken. August besaß die Hakennase eines Renaissancefürsten und kräftige Beine, mit denen er wie der Herrscher des Abendlandes durch das Guesthouse lief. Seine Frau Marianne war kleiner und auf eine mädchenweise Weise hübsch, wenngleich ein einziger Satz von ihrer Seite genügte, um zu erkennen, dass sie eine kleine Katze war.
Der lange Anreisetag schloss mit einem Abendspaziergang durch La Romana. Der Ort zog sich in dichter Bebauung einen Hügel empor und war völlig gesichtslos. Das einzig Bemerkenswerte waren die selbst in den Seitengassen bunt angestrichenen Fassaden. Sie kontrastierten mit einer lückenlosen Vergitterung von Türen und Fenstern. Mir fiel ein, dass ich diese Vergitterungen schon oft gesehen, aber nie wirklich zur Kenntnis genommen hatte. Ich erinnerte mich an Spaziergänge durch Lima oder Quito, in denen alle Wohnhäuser lückenlos vergittert gewesen waren. Das andere Extrem repräsentierte eine Erinnerung an eine Kanufahrt durch die schwedischen Fjorde, an deren Ufern wir die Ferienhäuser samt und sonders unverschlossen gefunden hatten. Das Ausmaß der Vergitterung als ein sichtbarer Indikator für die Kriminalität im Hintergrund?
AIDAdiva
Am nächsten Morgen sahen wir von der Terrasse des table d´hote, dass die AIDAdiva bereits angelegt hatte. Was für ein Pott! Zusammen mit August und Marianne nahmen wir ein Taxi zum Kai. Immer raumgreifender wuchs das gewaltige Schiff vor uns empor, ein Wunder des 20. Jahrhunderts, das auch Technikkritiker ins Staunen brachte. Es war 251 Meter lang und 32 Meter breit und hatte über 300 Millionen Euro gekostet, eine Stadt auf dem Meer mit sechshundert Mann Besatzung und einer Kapazität von über zweitausend Passagieren.
Die AIDAdiva war aber nur eines von aktuell dreizehn Schiffen einer ganzen AIDA-Flotte. Sie gehörte über diverse eigentumsrechtliche Verschachtelungen zur US-amerikanischen Carnival Corporation, dem mit Abstand weltgrößten Kreuzfahrtanbieter der Welt mit Hauptsitz in Miami. Ursprünglich war das AIDA Konzept eines „Cluburlaubs auf See“ bereits in den Neunziger Jahren von der „Arkona Touristik“ in Deutschland entwickelt worden, hatte sich aber zunächst auf dem Markt nicht durchsetzen können. 1999 hatte die britische Reederei P&O Princess Cruise das Kreuzfahrtgeschäft der „Arkona Touristik“ erworben. Als die P&O Princess Cruise ihrerseits am Beginn der Nuller Jahre von der US-amerikanischen Carnival Corporation „geschluckt“ wurde, kam die AIDA gleichsam zufällig zum größten Kreuzfahrtkonzern der Welt. Dieser Transfer sollte sich als Glücksfall erweisen, denn die Carnival Corporation investierte zwischen 2007 und 2013 mehr als zwei Milliarden US-Dollar in den Bau einer ganzen Generation neuer AIDA-Kreuzfahrtschiffe. Nicht weniger als sieben Riesenschiffe, darunter auch die AIDAdiva, wurden innerhalb von sieben Jahren auf Kiel gelegt und gebaut. Die imposanten schneeweißen Kreuzfahrtschiffe mit ihrem Kussmund-Logo am Bug und ihrem All-Inclusive-Konzept fanden beim Publikum enthusiastischen Anklang. Schnell wurde AIDA als klar erkennbare „Marke“ fest etabliert und stieg mit 1,7 Milliarden Euro Gesamtumsatz zum Marktführer in Deutschland auf. Damit war die AIDA-Gruppe am Umsatz gemessen doppelt so groß wie der etwas später entstandene Hauptkonkurrent TUI-Cruises mit der „Mein Schiff“-Flotte. Aus steuerrechtlichen Gründen segeln die dreizehn AIDA-Schiffe heute unter italienischer Flagge, ebenso wie die Costa-Schiffe, die auch zum Carnival-Konzern gehören.
Man sollte es nicht für möglich halten, aber innerhalb der AIDA Flotte gehörte die AIDAdiva mit ihren knapp 70.000 Bruttoregistertonnen (BRT) und ihrer Kapazität von ca. zweitausend Betten inzwischen zu den eher „kleineren“ Schiffen. Das inzwischen neueste und größte Schiff der AIDA Flotte, die AIDAnova, war 183.900 BRT schwer und mit ihrer Passagierkapazität von etwa fünftausend Betten das zweitgrößte Schiff der Welt.
Aber zurück zur AIDAdiva. Das Einchecken in einem besonderen Abfertigungsbereich verlief professionell und problemlos. Wir gaben die Koffer ab, erhielten zwei AIDA-Kreditkarten, mit denen wir während der Reise auf dem Schiff bezahlen konnten. Der Altersschnitt der Passagiere war gut gemischt, wir gehörten durchaus zu den älteren Semestern. Ein kleiner Fauxpas meinerseits trübte jedoch die Stimmung. Als ich Marianne bei dem Betreten des Schiffes nach ihrer Kabinennummer fragte, gab sie zurück: „Auf dem vierten Deck“. Als ich antwortete, dass sich unsere Kabine auf dem siebten Deck befinde, antwortete sie schnippisch: „Wie schön für euch.“ Erst später wurde mir klar, dass mich meine Frage als absoluten Kreuzfahrtneuling enttarnt hatte. Nach der Kabine fragt man unter Kreuzfahrtgästen nicht, denn alles, was unterhalb des sechsten Decks liegt, ist popeliges Kreuzfahrt-Economy, und wer will schon gerne zugeben, dass er dort wohnt? Jedenfalls waren durch meinen Lapsus unsere Beziehungen zu Marianne und August beschädigt. Wir sollten uns zwar noch dann und wann auf dem Schiff oder auf dem Land sehen, wurden aber gemieden. So schnell kann man Freunde fürs Leben verlieren.
Unsere Kabine auf dem 7. Deck übertraf unsere Erwartungen bei weitem. Sie war hell, keineswegs zu eng und besaß einen Balkon mit freier Aussicht auf das Meer – um genauer zu sein: unsere Kabine war inklusive Balkon 23 m² groß, etwa sechs Meter lang und dreieinhalb Meter breit. Das Bad war klein, aber funktional, es besaß eine Stehdusche und ein Waschbecken. Die Kabine enthielt weiterhin einen Schrank mit Safe und einen schmalen, mehr angedeuteten, als realen Schreibtisch mit Stuhl und Spiegel unter dem Fernseher, der etwas erhöht an der Wand angebracht war. Hinter den beiden Betten gab es noch eine kleine dreiteilige Sitzgruppe vor der breiten Fensterfront. Auf dem etwa sechs Quadratmeter großen Balkon befanden sich zwei Stühle und, wie wir erst einen Tag später entdecken sollten, sogar eine Hängematte. Auch die von uns bestellte Kaffeemaschine war bereits da, so dass wir mit einem frischen Kaffee auf unserem Balkon unsere Ankunft feierten. Auf dem Balkon eines Kreuzfahrtschiffes zu sitzen, Kaffee oder Wein zu trinken und auf Land und Meer zu blicken, gehört zweifellos zu den größten Genüssen, die eine Kreuzfahrt zu bieten hat. Wir blickten auf die Küste von La Romana, sahen den Hügel oberhalb der Stadt, wo Madame Catherine residierte und beobachten, wie zwei Busse vor der Ankunftshalle stoppten. Sie brachten jene AIDA-Passagiere zum Schiff, die den schweineteuren Direktflug von Frankfurt nach La Romana gebucht hatten.
Wie neugierige Kinder liefen wir den ganzen Tag durch die AIDAdiva, passierten das monumentale Auditorium, besuchten diverse Bars und Restaurants, Wellnessbereiche und Sporträume und lernten erst nach geraumer Zeit, uns innerhalb der Vielfalt der Treppen und Gänge zu orientieren.
Einen ersten Dämpfer erlebten wir beim Anblick des Pooldecks. Eine kaum überschaubare Menschenmenge, häppchenweise auf ihren Liegen parzelliert, briet in der Sonne, fußläufig entfernt von der Cocktailbar, an der es sich bereits die ersten Kreuzfahrtteilnehmer gutgehen ließen. „Macht nichts“, meinte Lilia. „Wenn es uns zu voll wird, bleiben wir einfach auf unserem Balkon.“ Ich fragte mich, was die Gäste machten, die nur eine Innenkabine gebucht hatten. Neugierig riskierte ich auf dem Rückweg einen Blick in eine der Innenkabinen, die gerade gereinigt wurde. Fast so groß wie die unsere, stellte ich fest, allerdings einem ewigen Dämmerlicht ausgesetzt, das den Leuten aufs Gemüt schlagen musste. Da würde auch das Bild eines prachtvollen Horizontes, das anstelle eines Fensters an der Wand hing, nicht helfen.
Eine freudige Überraschung bot das Abendessen, dessen Opulenz überraschte. Fleisch und Fisch bis zum Abwinken, Pasta, Salate, Krabben, Suppen, Vor – und Nachspeisen und durchaus trinkbare Weine standen zur Verfügung. Nur die Zahl der Tische in den Restaurants war vielleicht etwas knapp bemessen, so dass man gezwungen war, sich zu anderen Gästen an die Tische zu setzen, was allerdings kein Problem darstellte. Auf diese Weise unterhielten wir uns mit einer Reihe von Paaren und lernten, dass die Konversation unter Kreuzfahrtteilnehmern vor allem darin bestand, sich gegenseitig von seinen bereits absolvierten Kreuzfahrtreisen zu erzählen. Da wir Neulinge waren, konnten wir in dieser Hinsicht wenig anbieten, denn von Backpackerreisen durch Südamerika wollte auf der AIDAdiva niemand etwas hören. Eine Tischnachbarin erzählte, dass sie schon zwölf Kreuzfahrtreisen mit allen namhaften Anbietern hinter sich gebracht hatte, wobei sie nicht unwitzig anmerkte, dass dieses Leben von Kreuzfahrt zu Kreuzfahrt sie in einen Kugelfisch verwandelt hätte, das hieß, dass sie auf den Kreuzfahrten mächtig zunahm und in den kreuzfahrtfreien Intervallen alles wieder abhungern musste. Ihr Mann folgte dieser Erzählung ohne sichtbare Anteilnahme, weil er diese Geschichte wahrscheinlich schon hundertmal gehört hatte. Mir aber war sie neu, ich nickte artig und lachte an den richtigen Stellen, trank und trank und war nach dem Abendessen fast zu knülle, um an der obligatorischen „Rettungsübung“ teilzunehmen. Diese Rettungsübung gehörte übrigens zu den wenigen Pflichtterminen, die ein Kreuzfahrtpassagier auf keinen Fall versäumen durfte. Punkt 20:00 Uhr erklang ein markerschütterndes Alarmsignal als Zeichen dafür, dass jedermann mit seiner Rettungsweste zu einem bestimmten Ort des Schiffes rennen musste. Dort warteten bereits die Offiziere, die die Anwesenheit penibel kontrollierten, um uns nach einer Viertelstunde wieder wegzuschicken.
Der Tag endete schließlich mit dem ersten Höhepunkt unserer Reise. Langsam legte das Schiff ab, und während aus riesigen Boxen Enya-Musik erklang, fuhr die gigantische AIDAdiva in die schwarze Nacht hinein. Ein Moment der Ergriffenheit, dessen Intensität mich verwunderte. Wie schön wäre es gewesen, jetzt mit meiner Gattin einen Merlot zu trinken, doch leider war die Rotweinflasche, die ich im Koffer mit aufs Schiff geschmuggelt hatte, geplatzt und ausgelaufen. Dass ich eine Rotweinflasche mit auf ein All-Inklusive Schiff geschmuggelt hatte, zeigte einmal mehr, was für ein Kreuzfahrt-Depp ich noch war.
Seetag auf der AIDAdiva. Aufgabenstellung: Finden Sie die freie Liege
Unsere Kreuzfahrt begann mit einem „Seetag“, während dem unser Schiff einen Tag lang von der Dominikanischen Republik quer durch die östliche Karibik zu den niederländischen Antillen fuhr. Unter „Seetag“ versteht man jene Reisetage, in denen das Schiff nur Strecke macht und nirgendwo anlegt. Die Reiseprospekte suggerieren, dass man an solchen Tagen die Beine am Pool lang legen, sich rundum entspannen und die Seele baumeln lassen kann. Das sollte sich als glatte Lüge herausstellen. Möglicherweise war man bei der Planung des Schiffes davon ausgegangen, dass ein Viertel der zweitausend Passagiere den Seetag verschlief, ein Viertel shoppte, ein weiteres Viertel aß, so dass sich dann nur noch gut fünfhundert Menschen auf dem Pooldeck drängeln würden. Diese Rechnung war natürlich irreal, denn schon am frühen Morgen unseres ersten Seetages herrschte ein hektisches Gedränge auf dem Oberdeck. So früh sie konnten, blockierten die Leute die Liegen, um auf ihnen unverdrossen, fast verstockt, in der Sonne zu braten. Mein Leben lang hat mir vor überfüllten Stränden gegraut, nun sah ich mich auf der AIDAdiva einer endzeitlichen Ballung nackten Fleisches auf engstem Raum gegenüber. Überall Bewachung persönlich beanspruchter Räume, misstrauisches Beäugen von Neuankömmlingen oder Nachbarn, die möglicherweise in den eigenen Bezirk vordringen wollten. Geräusche wie in einem Hallenschwimmbad, konterkariert von den Klängen einer karibischen Kombo, die emsig vor sich hin dudelte. Natürlich war keine Liege mehr frei, als wir nach dem Frühstück den Poolbereich betraten. Mit Mühe ergatterten wir zwei freie Stühle, mit denen wir uns an die Reling setzten und aufs Meer blickten. Dieser Anblick war schön, aber auf Dauer langweilig, so dass wir uns schon nach zwei Stunden wieder in unsere Kabinen zurückzogen.
Wer während eines Seetages auf dem Pooldeck keine Liege erhielt, konnte sich immerhin mit dem Essen trösten. Essen und Trinken konnte man praktisch den ganzen Tag, angefangen um 6:00 Uhr in der Pizzeria May beim „Kaffeetrinken für Frühaufsteher“ dann wurde zwischen 7-11 Uhr in mehreren Restaurants das Frühstück serviert. Eine der beiden essensfreien Perioden am Tag war die Zeit zwischen 11 Uhr, wenn das Frühstück endete und 12:30 Uhr, dem Beginn des Mittagessens. Am frühen Nachmittag überschnitten sich das Ende des Mittagessens und der Beginn der Kaffee- und Kuchenzeit. Zwischen dem Ende der Kaffeezeit um 17:00 Uhr bis zum Beginn des Abendessens um 18:00 Uhr war wieder essensfrei, was man dazu nutzen konnte, ausgiebig auf die Toilette zu gehen. Warme Speisen inklusive Wein in Karaffen gab es bis 21:30 Uhr, dann blieb noch die Pizzeria, die bis Mitternacht geöffnet hatte. Danach waren 6 Stunden Schlaf angesagt, ehe es um 6:00 Uhr mit dem „Kaffee für Frühaufsteher“ wieder losging.
Immerhin war es bemerkenswert, wie sich der Dresscode bei den Essterminen schon nach kurzer Zeit auf einen Mittelwert zwischen „noch nicht ganz schlampig“ und „fast zu fein“ einpendelte. Ich selbst befand mich mit meinen langärmligen Hemden fast schon im oberen Segment. Mein mitgenommenes Dinner-Jackett aber würde ganz bestimmt nicht zum Einsatz kommen.
Das abendliche Programm war erstklassig, professionell und gekonnt, aber für die Künstler unbefriedigend. Denn die Zuschauer im „Theatro“ waren zwar interessiert und gutmütig, aber über alle Maßen mit der Verdauung beschäftigt.
Eine wesentliche Einnahmequelle von Kreuzfahrtschiffen bestand im Angebot von sogenannten „Tagesausflügen“. Man erreichte eine Insel, wurde als kompakte Gruppe in einen Bus verfrachtet und nahm an einem Halb- oder Ganztagesausflug ins Hinterland, zu Kulturattraktionen, Wasserfällen oder Stränden teil. Diese Touren kosteten in der Regel zwischen 50 und 120 Dollar und gingen ganz schön ins Geld. Erfahrene Kreuzfahrt-Profis begegneten diesen Preisen durch Webseiten wie „Auf eigene Faust“ oder Ähnlichem, auf denen man bereits vor der Reise Mitstreiter suchen konnte, um mit Hilfe von einheimischen Anbietern die Inseln preiswert zu erkunden. Die Taxifahrer, die vor Ort auf solche Kreuzfahrt-Touristen warten, waren bereits kreuzfahrtadaptiert und wussten, dass sich die Kreuzfahrtteilnehmer untereinander auf Internetseiten austauschten und dass man deswegen nicht folgenlos die Sau rauslassen konnte. Wir als Kreuzfahrtneulinge mussten erst nach und nach in diesem Geschäft heimisch werden. So vollzog sich unsere Reise als eine Mischung aus selbstorganisierten Touren und gebuchten Ausflügen.
Eine Reise durch die Karibik ist ein merkwürdiges Ding. Man bereist Räume, in den nichts, aber auch gar nichts mehr an die schrecklichen Verwüstungen erinnert, die die karibische Geschichte prägten. Bridgetown auf Barbados war einer der größten Sklavenumschlagplätze der Welt, heute erinnert daran nichts mehr als die kümmerliche Skulptur eines rebellischen Sklaven am Stadtrand. Fast völlig verschwunden sind die Indianer, sowohl auf den Kleinen wie auf den Großen Antillen, und die Weißen, die heute nur noch als Minderheit etwa auf den Kleinen Antillen leben, haben nichts mehr gemein mit den brutalen Menschenschindern früherer Jahrhunderte. Geblieben sind nur das Meer, die Palmen und die Sonne, der zauberhafte Schauplatz einer blutigen Geschichte, die für die Welt weit wichtiger war, als man gemeinhin annimmt. Dazu einige kursorische, einführende Bemerkungen. Auf weiterführende Literatur wird im Anhang verwiesen.
Die Besiedlung der karibischen Inseln und vor allem der Kleinen Antillen vollzog sich in drei Schüben. Schon im 2. vorchristlichen Jahrtausend erschienen (1) die sogenannten „Ciboney“ als Jäger und Sammler auf den Inseln. Ihnen folgten um die Zeitenwende (2) die „Arawak“-Indianer, die schon den Feldanbau von Mais, Hirse, Maniok und Bohnen mitbrachten. Auch die in der Überlieferung oft erwähnten „Taino“- Indianer gehörten zu dieser Großgruppe. Ihre Kultur wurde vernichtet durch die (3) sogenannten „Kariben“, kriegerische Stämme aus Venezuela und Guyana, die einige Jahrhunderte vor Kolumbus auf die „karibischen“ Inseln übersetzten. Folgte man der spanischen Überlieferung, handelte es sich bei den Kariben um blutrünstige Eroberer, die die bereits ansässigen Indianer gnadenlos ausrotteten. Ob es sich wirklich so düster mit den Kariben verhielt, sei dahingestellt, dass die Kariben aber Menschenfresser waren, steht fest. Wenn sie keine Taino mehr fanden, die sie massakrieren konnten, bekämpften und verspeisten sie sich auch gegenseitig, bis sie in Gestalt der Europäer auf noch größere Schlächter trafen, als sie es selbst es waren. Soweit die Perspektive einer eurozentrischen Geschichte, die man gerechterweise durch eine karibische Überlieferung ergänzen müsste. Da es die aber nicht gibt, schwankt das Bild der Kariben ganz erheblich in der Geschichte, wenngleich das, was man über ihren Untergang weiß, dazu angetan ist, mindestens Anteilnahme zu erwecken – denken wir nur an die kriegerischen „Black Caribbeans“, die sich nicht unterpflügen ließen und es als „Garifuna“ bis nach Belize und Honduras schafften (vgl. S. 55ff. und S 157ff.). Fest steht auf jeden Fall, dass die Kariben der Kleinen Antillen länger durchhielten als ihre Verwandten auf den Großen Antillen, also auf Kuba, Hispaniola, Puerto Rico oder Jamaika, ganz einfach, weil die Kleinen Antillen kaum Bodenschätze besaßen und deswegen von den Europäern lange Zeit links liegen gelassen wurden. Übrigens leben die letzten halbwegs „unvermischten“ Kariben heute in einem „Reservat“ (!) im Norden Dominicas, das jeder verlassen muss, der exogam heiratet. Ein auf diese Weise schrumpfender Genpool, der unausweichlich Schwachsinn und Missbildungen generiert, markiert das traurige Finale der karibischen Ethnie.
Die Geschichte der europäischen Mächte in der Karibik ist kompliziert, kann aber auf einige vereinfachte Grundmuster zurückgeführt werden. Am Anfang waren die Spanier, die die Großen Antillen unterjochten, die Indianer versklavten oder durch eingeschleppte Seuchen ausrotteten. Ihre Zentren waren und blieben Hispaniola, Kuba und die Festlandskaribik Mittelamerikas. Ihnen ging es nicht in erster Linie um Plantagenwirtschaft sondern um die Ausbeutung von Bodenschätzen und die Sicherung der Karibik als Ausgangspunkt ihrer Silberflotten nach Europa.
Schon ab dem frühen 17. Jhdt. begannen Niederländer, Engländer und Franzosen in die Karibik einzudringen. In einem wechselvollen Auf und Ab setzten sie sich auf verschiedenen Inseln fest und verteidigten jede Eroberung mit Zähnen und Klauen. So behaupteten sich die Niederländer auf Aruba, Curacao und Bonaire, die Franzosen eroberten Martinique, Guadeloupe und eine Reihe benachbarter Inseln, während die Engländer nach der Eroberung Jamaikas auch in den Kleinen Antillen mehr und mehr die Vorherrschaft gewannen.
Die hohe Zeit der karibischen Piraterie, die noch heute das Bild der karibischen Geschichte prägt, währte hingegen nur kurz. Nachdem in der 2. Hälfte des 17. Jhdts. auf der Insel Tortuga nördlich von Hispaniola und in Port Royal auf Jamaika regelrechte Piratenzentren entstanden waren, von denen aus die gesamte Karibik terrorisiert wurde, sorgten die europäischen Seemächte bis zur Jahrhundertwende dafür, dass das einträgliche Plantagengeschäft nicht durch das Piratenunwesen beeinträchtigt wurde. Übrigens besaßen die Kleinen Antillen für die Überfahrt nach Europa eine optimale geographische Position, weil sie sich als „Insel über dem Wind“ in einem Windkanal befanden, in dem die Segelschiffe jener Tage schnell und sicher nach Europa segeln konnten.
Bei der im 17. Jhdt. entstehenden und im 18. Jhdt. blühenden Plantagenwirtschaft handelte es sich vor allem um den Anbau von Tabak und Zuckerrohr, wobei diese Nutzpflanzen ganz unterschiedliche ökonomische und soziale Implikationen besaßen. Tabak war „die Frucht des kleinen Mannes“, weil der Tabakanbau sich auf kleinen Plantagen vollzog, auf denen die Eigentümer selber mit Hand anlegten. Der Zuckerrohranbau, den die Holländer in die Karibik einführten, erforderte dagegen viel größeren Kapitaleinsatz, weil die teuren Maschinen und die Zuckermühle amortisiert werden mussten.
Die höhere Nachfrage nach Zucker führte zur sogenannten „Zucker-Revolution“ des 17. Jhdts., die zum Verschwinden von Kleinbesitz und zur Entstehung großer Plantagen führte. Es war nicht zuletzt diese ausgedehnte und profitable Plantagenwirtschaft auf den Kleinen Antillen, die die millionenfache Verschleppung afrikanischer Sklaven nach sich zog. Damit kommen wir zur Sklaverei, die untrennbar mit der Geschichte der Karibik verbunden ist, weil die Mehrzahl ihrer Bewohner aus den Nachkommen verschleppter Sklaven besteht.
Der transatlantische Sklavenhandel der europäischen Mächte gehört zu den dunkelsten Kapiteln der europäischen Geschichte, und das ganz unabhängig davon, dass dieser transatlantische Sklavenhandel ohne die Mithilfe afrikanischer Reiche unmöglich gewesen wäre und dass es auch einen ähnlich umfangreichen Sklaventransfer in den islamischen Kulturraum gegeben hat.
Hinsichtlich der quantitativen Ausmaße des transatlantischen Sklavenhandels existiert mittlerweile eine zuverlässige Datengrundlage in Gestalt der Dokumentation „The Transatlantic Slave Trade“ aus dem Jahre 1999, die seit 2008 in einer erweiterten Fassung vorliegt. Sie dokumentiert 34.808 transatlantische Sklavenfahrten, das sind 77 Prozent aller vermuteten Fahrten. Auf diesen Fahrten wurden zwischen dem 16. und 19. Jhdt. insgesamt 10.125.456 Afrikaner eingeschifft und 8.733.592 ausgeschifft, was einen durchschnittlichen Verlust von 13,7 Prozent auf der Reise bedeutet. Zusammen mit einigen anderen Parametern ergibt sich eine geschätzte Gesamtzahl von etwa 12,5 Millionen Sklaven, die vornehmlich aus dem Westen und dem Südwesten Afrikas über den Atlantik verschleppt wurden.
Weitgehend unbekannt ist, dass der Großteil des transatlantischen Sklaventransfers zwischen Südwestafrika und Brasilien abgewickelt wurde. Etwa 45 % der 12,5 Millionen Sklaven gingen zwischen 1500 bis 1888 nach Brasilien. Rio de Janeiro und Salvador de Bahia waren die beiden größten Sklavenumschlagplätze der Welt, der Hafen von Recife in Nordbrasilien folgte auf dem vierten Platz.
22 % der 12,5 Millionen Sklaven, also fast drei Millionen Afrikaner, wurden in die englisch-französisch-niederländische Karibik verschleppt. Rechnet man die spanische Karibik mit Kuba und Hispaniola hinzu (12%), war die Gesamtkaribik der Zielort für etwa ein Drittel aller transatlantischen Sklaventransporte. Das spiegelt auch die Liste der bedeutendsten Anlaufpunkte des transatlantischen Sklavenhandels wieder. Nach Rio und Salvador de Bahia als größten Sklavenumschlagplätzen der Geschichte folgten Kingston auf Jamaika auf dem dritten, Brigdetown auf Barbados auf dem fünften und Martinique auf dem neunten Platz. Havanna auf Kuba belegte den fünften Platz vor Haiti auf dem sechsten Rang. Charleston in South Carolina, der größte Sklavenumschlagplatz Nordamerikas, taucht in dieser traurigen Liste erst an 10. Stelle auf.
Bei diesen Zahlen hätte man eigentlich von einer Explosion der Sklavenbevölkerung ausgehen müssen. Dem war aber nicht so. Die Sklavenbevölkerung in der Karibik (aber auch in Brasilien) stagnierte lange Zeit oder sank sogar, so dass eine unablässige Sklavennachfuhr erforderlich war. Das lag nicht nur an der hohen Sterblichkeit angesichts extremer Arbeitsbedingungen sondern auch an der geringen Zahl der Frauen und einer extrem hohen Kindersterblichkeit. Bemerkenswert auf der anderen Seite war, dass sich trotz der gnadenlosen Arbeit auf den Zuckerplantagen im Laufe der Zeit eigene kulturelle Strukturen herausbildeten, die das Leben der schwarzafrikanischen Bevölkerung bis heute mitbestimmen. (Candomble, Santeria, Voodoo etc., ebenso eigene Formen der Musik und der Instrumentierung).