Vom Kap zum Kilimandscharo - Ludwig Witzani - E-Book

Vom Kap zum Kilimandscharo E-Book

Ludwig Witzani

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Lebensstil
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Wer von Afrika spricht, muss mindestens drei Afrikas unterscheiden, den arabisch-islamischen Norden und Westen inklusive der Sahara und der Sahelzone, sodann Zentralafrika, das dunkle Herz des Kontinents, und schließlich das sehr stark vom europäischen Kolonialismus und dem Christentum geprägte Süd- und Südostafrika. Dieses Buch handelt von dem "dritten Afrika" und beschreibt eine Reise vom Kap der Guten Hoffnung bis auf den Gipfel des Kilimandscharo. Ludwig Witzani beginnt seine Reise in Kapstadt, der vermeintlich "schönsten Stadt der Welt", er reist über die Gartenroute und die Wild Coast die Küsten des Indischen Ozeans entlang nach Osten bis an die Grenzen Mosambiks, um dann quer durch KwaZuluNatal den Krügerpark und Johannesburg zu erreichen. Hier trifft er auf den Hexenkessel einer Nation im Umbruch, auf beschauliche Plätze in Pretoria und die Agonie der Townships von Soweto, auf überbordende Kriminalität ebenso wie auf hoffnungsvolle Zeichen eines Neufanfangs in den Peripherien von Johannesburg. Weiter führt die Reise in einem umgebauten Lastwagen zum Okawangodelta und den Chobe Nationalpark quer durch Botswana bis zu den Viktoriafällen in Simbabwe. Dem Tal des Sambesi folgend besucht der Autor den Luangwe Nationalpark in Sambia und folgt der Küste des Malawisees weiter nach Norden. Jenseits der Livingstone Mountains passiert der Autor die Grenze nach Tansania und setzt nach Sansibar über, wo ihn die vielleicht fruchtbarste Insel der Erde – und die Malaria – erwartet. Höhepunkt und Abschluss der Reise bilden der Besuch des Ngogoronkraters, der Serengeti und die Besteigung des Kilimandscharos. Anschauliche Reisebeschreibungen, persönliche Reflexionen und der intensive Einbezug geschichtlicher Hintergründe verbinden sich zu einem Reisebuch, wie in dieser Form im deutschen Sprachraum noch nicht vorliegt.

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Ludwig Witzani

Vom Kap zumKilimandscharo

Reisen durch dengroßen Süden Afrikas

Impressum

Vom Kap zum Kilimandscharo

Ludwig Witzani

published by: epubli GmbH, Berlinwww.epubli.de

Copyright: © 2018 Vom Kap zum Kilimandscharo Lektorat: Tina Wolf Konvertierung: Sabine Abels | www.e-book-erstellung.de

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung

Erster Teil:SÜDAFRIKA

Die Straßenfriseure von Johannesburg

oder: Wie gefährlich ist es, durch Südafrika zu reisen?

Stadt mit doppeltem Boden

Tage in Kapstadt

„Stolz, ein Mensch zu sein“

Auf Robben Island

Vexierbild der Welten

Am Kap der Guten Hoffnung und in der südafrikanischen Weinprovinz

Die schönste Straße der Welt

Auf der Gartenroute

Das Reservat der Weißen und der Elefanten

Port Elisabeth, Addo und Grahamstown

Die Schlacht am Blood River ist noch nicht zu Ende

Vom Indischen Ozean zum Blyde River Canyon

Ein Drive-In Park in Afrika

Der Krüger Nationalpark

Der Panga Man hat wieder zugeschlagen

Johannesburg- Pretoria - Soweto

Zweiter Teil:BOTSWANASIMBABWESAMBIA

Vom Trostlosen ins Lebensfeindliche

Highveld - Kalahari - Makgadigadi

Ein Archipel mitten in Afrika

Das Okawangodelta

Elefantenattacke am Savuti-Gate

Von Maun nach Kasane durch den Chobe Nationalpark

Der schönste Bungee Sprung der Welt

Der Sambesi und die Victoria Fälle

A Stranger is in the House

Zwischenstopp im Matabeleland

Kam die Königin von Saba aus Simbabwe?

Geschichte und Gegenwart von Great Zimbabwe, dem größten Steinmonument in Schwarzafrika

Abenteuer im Hippoland

Mit dem Kanu durch das Sambesi Valley

Auf der Suche nach dem Leoparden in der Nacht

Tage am Luangwa-River in Zentral-Sambia

Dritter Teil:MALAWI UND TANSANIA

Ein Meer mitten in Afrika

Mit David Livingstone am Malawisee

Unter einem Baum bist du nie der erste

Vom Malawisee nach Daressalam

Die grüne Schlange Im Ozean

Auf der Insel Sansibar

Die offene Hand der Schöpfung

Ngorongoro - Olduvai - Serengeti

Eine Lehrstunde der Natur

Die Besteigung des Kilimandscharo

Ausklang

Anhang:

Reisehinweise

Reiseliteratur

Weitere Veröffentlichungen von Ludwig Witzani

Vorbemerkung

Für die Menschen meiner Generation ist Afrika eine biografische Etappe. Nicht das wirkliche Afrika, sondern das Afrika der wilden Tiere, der Entdecker und Abenteurer. Bevor die Massenmedien durch die Überfütterung mit immer neuen Bildern der Fantasie die Flügel stutzten, nährten sich meine Vorstellungen über „den schwarzen Kontinent“ aus den Tagebuchaufzeichnungen David Livingstones, von der Kongo-Reise Henry Morton Stanleys oder gruseligen Geschichten von Löwen und Krokodilen. Unvergessen ist mir der Film „Serengeti darf nicht sterben“, den ich als kleiner Junge sah. Dass es so viele wilde Tiere gab, überstieg damals mein Verständnis, und als eine der Hauptfiguren des Films, der jugendliche Michael Grzimek, mit seinem Flugzeug über dem Ngorongorokrater abstürzte und starb, war ich tagelang nicht ansprechbar.

Solche ersten Gefühle hafteten, auch wenn meine weitere Biografie im Hinblick auf Afrika auch ganz andere Einsichten und Erlebnisse ergab. Die Faszination, die Afrika auf mich ausübte, veränderte sich nicht, auch wenn die Kluft zwischen Imagination und Wirklichkeit immer größer wurde. Diese Kluft zu überbrücken und sie mit eigenen Erfahrungen anzureichern, war einer der Gründe für die Reisen, die in diesem Buch beschrieben werden. Vielen der unklaren Bilder, die meine frühen Träume von Afrika auf eine vage Weise illustrierten, bin ich auf dieser Reise auf eine beglückende Weise wieder begegnet - auf der Gartenroute, im Okawangodelta, an den Viktoriafällen, am Malawisee oder in der Serengeti. Manches war aber auch ganz anders, bitterer, bedrohlicher - wie etwa Johannesburg, Port Elisabeth, Daressalam oder andere Orte, die trotzdem mit in das Gesamtbild gehören. Und vieles war neu wie etwa die wunderbare Geschichte Nelson Mandelas, dem Versöhner eines ganzen Weltteiles.

Afrika, so erscheint es mir im Nachherein, gleicht einem Kolossalgemälde mit den unterschiedlichsten Facetten, Stilen und Motiven, in dem jeder Betrachter etwas anderes sucht und sieht. Eigentlich handelt es sich sogar mindestens um drei Kolossalgemälde, genauer gesagt drei „Afrikas“, die man unterscheiden sollte. Da ist zunächst der arabisch-islamisch geprägte Norden und Westen inklusive der Sahara und der Sahelzone. Sodann Zentralafrika, das dunkle Herz des Kontinents und schließlich das sehr stark vom europäischen Kolonialismus und dem Christentum geprägte Süd- und Südostafrika.

Dieses Buch handelt von dem „dritten Afrika“ und beschreibt eine Reise vom Kap der Guten Hoffnung bis auf den Gipfel des Kilimandscharo. Eine ambitionierte Tour, aber natürlich nicht vollständig, es fehlen Namibia und Madagaskar, die ich in anderen Zusammenhängen besuchte, ganz zu schweigen von Angola oder Mosambik, Lesotho oder Swasiland.

Diese Reise habe ich, so wie beschrieben, unternommen, wenngleich – das gehört zur Wahrheit - nicht in einem einzigen Rutsch sondern berufsbedingt durch zwei Heimflüge unterbrochen. Aber immer habe ich genau dort wieder eingesetzt, wo die letzte Reise endete, einmal in Johannesburg und einmal in Victoria. In den entsprechenden Kapiteln finden sich dazu kurze Verweise.

Alle Namen von Reisebegleitern und –bekanntschaften wurden aus Gründen der Diskretion verändert. Alle Beschreibungen dessen, was ich sah und erlebte, sind real und beruhen im Wesentlichen auf den Aufzeichnungen meiner Reisetagebücher. Nur an ganz wenigen Stellen habe ich wegen der Lesbarkeit einige Abläufe verdichtet. Wenn es hier und ein wenig zu historisch wird, bitte ich um Nachsicht, denn mein Herz hängt an der Geschichte. Für alle Urteile, die in diesem Buch gefällt werden, bin ich selbstverständlich ganz alleine verantwortlich.

Reinhold Messner hat in seinem autobiografischen Buch „Über Leben“ geschrieben: „Solange wir das Glück suchen oder herbeisehnen, erfahren wir es nicht. Glück ist vielleicht das, was uns hinterher als solches erscheint.“ In diesem Sinne war es für mich ein Glück, dieses Buch als ein Spiegel dessen, was ich erleben durfte, zu verfassen. Wenn es dem einen oder anderen Leser ein wenig Freude bereiten sollte, wäre das für mich Lohn genug. Noch besser wäre es natürlich, sich aufzumachen, und selbst zu sehen ….

Erster Teil:SÜDAFRIKA

Die Straßenfriseurevon Johannesburg

oder:Wie gefährlich ist es,durch Südafrika zu reisen?

Ich war zum ersten Mal in Johannesburg eingetroffen, hatte in einem Innenstadthotel eingecheckt, ausgepackt, gegessen und blickte aus dem achten Stock meines Hotelzimmers auf die Lichter der nächtlichen Stadt. Johannesburg. reichste Stadt Afrikas, Wirtschaftszentrum des gesamten Südens, Hoffnung für Millionen, die aus allen Teilen des Landes zu dir streben - was hältst du für mich bereit? Die Lichter der großen Stadt leuchteten tief unter mir in warmen, verlockenden Farben und schienen mir zuzuraunen: Komm herunter und sieh, was es in unseren Straßen zu erleben gibt!

Um die Wahrheit zu sagen: Für solche Impulse bin ich mehr als empfänglich. In den ersten Tagen einer Reise leide ich an einer Art Reise-Manie, die so weit geht, dass ich am liebsten aus dem Hotel heraus und in die Nacht hineinlaufen würde, um das Neue nicht zu verpassen. So griff ich zum Lonely Planet Guide Südafrika, blätterte im Johannesburg-Kapitel nach vorne und nach hinten und suchte nach etwas Interessantem, das ich an diesem Abend noch unternehmen könnte - und stieß auf einen Bericht über die Straßenfriseure von Johannesburg. Nach der Darstellung des Autors handelte es sich dabei um schwarzafrikanische Friseure, die in Johannesburg von morgens bis spät in die Nacht ihre Kundschaft auf der Straße bedienten, wobei es so munter und entspannt zugehe, dass es für einen Reisenden kaum einen besseren Ort gäbe, afrikanisches Originalkolorit zu erleben als eben hier. Das hörte sich gut an, und wenn ich dem Autor glauben konnte, war ein Besuch dieser Veranstaltung ebenso ungefährlich wie ein Freiluftauftritt der Bremer Stadtmusikanten. Nach einem kurzen Studium der Stadtkarte stellte ich fest, dass sich der Standort der Straßenfriseure nur drei Blocks von meinem Hotel entfernt befand. Das passte. Außerdem überzeugte mich ein kurzer Blick in den Spiegel, dass ich einen neuen Haarschnitt ganz gut vertragen konnte. Welch ein Brüller, mir bei einem Straßenfriseur in Johannesburg vor meiner afrikanischen Reise die afrikataugliche Frisur verpassen zu lassen.

Nach einem letzten Blick auf den Stadtplan machte ich mich auf den Weg. Meine Kameratasche nahm ich mit, denn ich wollte nicht darauf verzichten, meine Erlebnisse fotografisch festzuhalten. Über das erstaunte Gesicht des Hotelangestellten in der Eingangshalle machte ich mir noch keine Gedanken. Allerdings traf mich die plötzliche Stille, die vor dem Hoteleingang über mich hereinbrach, wie ein Schock. Normalerweise steigt der Geräuschpegel an, wenn man am Abend ein Hotel verlässt. Lachen, Rufen, Hupen, Musik aus Bars und Restaurants vereinen sich zu einem akustischen Lockruf der Urbanität, dem man gerne nachgibt. Nicht aber in Johannesburg. Kein Mensch war auf den Straßen zu sehen. Kein Straßenverkehr. Auch die Lichtverhältnisse waren mehr als spärlich. Immerhin befand ich mich in der Innenstadt einer Wirtschaftsmetropole, doch auf eine Entfernung von zweihundert Metern erleuchteten gerade mal drei Laternen die Straßenränder. Das hatte von oben noch ganz anders ausgesehen. Nun kam doch ein Fahrzeug die Straße heruntergefahren, überfuhr eine rote Ampel und bog an der nächsten Kreuzung ab.

Ich ging nun etwas schneller und verfiel schließlich in einen leichten Trab. Ein zweites Auto fuhr an mir vorüber, reduzierte einen Moment seine Geschwindigkeit, als es meine Höhe erreicht hatte, um dann wieder zu beschleunigen. Auf der andern Straßenseite erkannte ich zwei Gestalten in einem Hauseingang. Sie wandten ihren Kopf in meine Richtung und schienen sich über mich auszutauschen. Was bin ich nur für ein Hasenherz, dachte ich, als ich begann, etwas schneller zu laufen. Meine Kameratasche schlenkerte mir um den Körper, als ich um die letzte Ecke bog und den Ort der Straßenfriseure erreichte.

Zuerst sah ich nichts, weder einen Friseur, noch einen Kunden, allerdings erkannte ich in einiger Entfernung einen hell erleuchteten Laden mit einer Fensterfront, vor der sich eine Gruppe von Männern versammelt hatte. Es waren Schwarzafrikaner, bekleidet mit Steppjacken, Jeans und Turnschuhen, denn es war empfindlich kühl. Einige trugen Wollmützen auf ihren Köpfen, fast alle hatten einen Schal um den Hals geschlungen. Verdutzt blickten sie mich an, als ich an ihnen vorbeiging und den Laden betrat. Es war tatsächlich ein Friseursalon, sehr einfach eingerichtet, mit schadhafter Holzverkleidung, alten Spiegeln und mehreren Friseurstühlen. Drei junge Frauen waren mit Kamm und Schere zu Gange, um drei Schwarzafrikanern die Haare zu schneiden. An der Wand hingen sechs Bilder, die die verschiedenen Frisuren darstellten, die man in diesem Salon ordern konnte.

Sofort verstummten alle Gespräche. Die wartenden Männer schauten von ihren Zeitschriften auf, die jungen Friseusen ließen von ihrer Arbeit ab und blickten konsterniert in eine Ecke des Raumes, in der hinter einer Kasse ein großer Schwarzafrikaner saß. Er war offenbar der Boss, eine korpulente, respekteinflößende Gestalt mit breiten Schultern und einem massiven Widderkopf, der sich langsam in meine Richtung wandte. Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, dass die Männer von der Straße in den Laden gekommen waren, um zu sehen, was sich nun ereignen würde. Einer der Männer, ein Jugendlicher mit einer blond gefärbten Irokesenfrisur rückte nahe an mich heran und schaute mir ins Gesicht. Ein anderer fixierte mit unverhohlener Neugierde meine Kameratasche.

Der Boss erhob sich und trat an mich heran. Er war einen Kopf größer als ich und wahrscheinlich doppelt so schwer. Er hatte unbestreitbar das Sagen in diesem Laden.

„Whatyoudoingheeere?“ fragte er mit einer Stimme, so tief, als käme sie aus einem unsichtbaren Keller.

Ich machte ein so harmloses Gesicht, wie es mir nur möglich war und antwortete: „I need a haircut“.

Einen Augenblick stutzte der Inhaber, als könne er nicht glauben, was er soeben gehört hatte. Dann schüttelte er den Kopf, trat an mich heran und griff mir mit beiden Händen an die Schultern. Seine Hände waren wie Pranken, und ich spürte die Kraft, die in ihnen steckte, als er mich einfach umdrehte und durch die Eingangstüre wieder nach draußen schob. Dort blieb er neben mir stehen, sein großes Gesicht dem meinen so nahe, dass ich die Poren auf seiner Haut erkennen konnte. Eine Hand noch immer auf meiner Schulter, wies er mit der anderen in die Richtung, aus der ich gekommen war und sagte mit Nachdruck: „Run Man, run as fast as you can!“

Der Inhaber ließ mich los, hob den Kopf und sagte etwas zu den Umstehenden, was ich nicht verstand. Zum ersten Mal hörte ich die Klickgeräusche der Xhosa Sprache, die ich später noch so oft hören würde, ohne sie jemals verstehen zu können. Die Männer nickten zustimmend, einige, die mich anblickten, schüttelten missbilligend den Kopf. Hinter der Glasscheibe sah ich die drei jungen Friseusen, die mich wie einen Totgeweihten anstarrten. War ich denn wirklich in einer derartigen Gefahr?

Ich nickte dem Boss zu und entfernte mich von der Gruppe, zuerst bewusst langsam, um meinen Abgang nicht ganz ohne Würde zu gestalten, dann etwas schneller, ehe ich wieder in einen leichten Trab verfiel. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass mir auf einen Wink des Inhabers zwei Männer folgten.

Obwohl mir zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich klar war, in welcher Situation ich mich befand, begann ich schneller zu laufen. Auch meine beiden Verfolger erhöhten ihre Geschwindigkeit, kamen mir aber nicht näher. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite erkannte ich nun vier Männer in einem dunklen Häusereingang, ein Auto stand vor einer grünen Ampel und fuhr nicht weiter. Ich schlug einen Bogen, um dem Wagen auszuweichen, meine Verfolger machten das gleiche. Nun beschleunigte ich noch mehr und rannte wie von Furien gejagt die letzten hundert Meter zum Hotel. Als ich den Eingangsbereich des Marison Hotels erreicht hatte, blieben meine Verfolger stehen. Sie warteten, bis ich die Eingangshalle betreten hatte, drehten sich dann um, und gingen, die Hände in den Taschen vergraben, gemächlich nebeneinander zurück.

Auch wenn ich meine Leichtfertigkeit aus dem Abstand der Jahre noch immer nicht ganz verstehen kann, wurde dieses weit zurückliegende nächtliche Erlebnis für mich zur halb kuriosen, halb makabren Ouvertüre meiner späteren afrikanischen Reisen. Dreierlei habe ich daraus gelernt:

(1) Die Darstellung Südafrikas, wie sie sich in vielen Büchern, Zeitungen und einem großen Teil der öffentlich-rechtlichen Medien darstellt, ist gelinde gesagt, geschönt, um nicht zu sagen, krass falsch. Kennzeichnend dafür war die idiotische Empfehlung meines Reiseführers die Straßenfriseure von Johannesburg zu besuchen, wobei ich aber der Gerechtigkeit halber sagen muss, dass es sich um bei dem Lonely Planet Guide um eine sehr alte Ausgabe handelte. In den Neuauflagen ist man in dieser Hinsicht erheblich vorsichtiger geworden. Natürlich war vor meiner Abreise in Deutschland darüber berichtet worden, dass nach dem Machtwechsel am Kap die Kriminalität in den südafrikanischen Städten explodiert sei. Es hatte aber auch ganz andere, positivere Nachrichten gegeben. Ihr Tenor war, dass Südafrika einen neuen Anlauf wage, dass der neue Präsident Nelson Mandela das Land versöhnen und in eine friedlichere Zukunft führen würde. Ja, man solle Südafrika gerade jetzt besuchen und Zeuge einer epochalen Umwälzung werden, wie sie die Welt noch nicht gesehen habe. Weil mir solche Nachrichten viel besser gefielen, als die düsteren Unkenrufe, hatte ich sie schließlich geglaubt und war in meiner Arglosigkeit in die Johannesburger Nacht hinausgegangen.

All das ist lange her, trotzdem hat sich die geschönte Berichterstattung über Südafrika bei den meinungsführenden Medien kaum geändert. Auch wenn sich die Sicherheitslage in den großen Städten immer weiter verschlechtert, widerstrebt es vielen Redakteuren offenbar noch immer, die Schattenseiten des neuen Südafrikas ungeschminkt darzustellen.

(2)Heute weiß ich, dass in dem Jahr, in dem ich Südafrika zum ersten Mal besuchte, die öffentliche Ordnung auf der Kippe stand. Die Knute der Apartheid war überwunden, Millionen Menschen waren dabei, die Townships und Homelands zu verlassen, um in die Städte zu strömen, allen voran nach Johannesburg. Dort staunten sie über den Reichtum der Weißen und forderten ihren Anteil, wenn nötig, mit Gewalt - wobei paradoxerweise die Gewalt dann vor allem ihresgleichen traf. Ein innergesellschaftlicher Bürgerkrieg zwischen den schwarzafrikanischen Ethnien der Zulus und Xhosas, zwischen Arm und Reich, Stadt und Land drohte das gerade erst frei gewordene Land zu zerreißen. Dieser latente Konflikt dauert an und hat zusammen mit der „normalen“ Kriminalität in der Zeit zwischen 1994 bis 2006 weit über hunderttausend (!) Todesopfer gefordert. Ganz zu schweigen von den Vergewaltigungsopfern, namentlich unter schwarzen Frauen, die nach Millionen zählen.

Allerdings trifft diese Massengewalt die Menschen in ganz unterschiedlicher Weise. Wer sich als Weißer nur am Tage durch die Zentren der großen Städte bewegt und die Nacht ebenso meidet wie die Vorstädte, bleibt meistens verschont. Das gilt in noch höherem Ausmaß für Touristen, die sich in den Städten kaum aufhalten und vorwiegend die Nationalparks besuchen.

Mein Ausflug auf die nächtlichen Straßen von Johannesburg war also eine ahnungslose Grenzübertretung gewesen, ich war ohne Not von einer Zone relativer Sicherheit in den Naturzustand gewechselt, von dessen Gefährlichkeit ich noch nichts ahnte.

(3) Glimpflich war es in der Nacht von Johannesburg wahrscheinlich nur abgelaufen, weil mich der Inhaber des Friseursalons beschützt hatte. Ich bin mittlerweile überzeugt davon, dass die beiden Männer, die mich verfolgten, mir zu meiner Sicherheit hinterhergeschickt worden waren. Obwohl es vor allem die schwarzafrikanische Bevölkerungsmehrheit ist, die unter der überbordenden Kriminalität am meisten leidet, sind es oft gerade die Schwarzafrikaner, die ahnungslose Weiße bei der Hand nehmen und auf den richtigen Weg weisen, wenn sie sich wie die Lämmer in einem Wolfsrudel verirren. Ähnliches habe ich später immer wieder erlebt. Auch wenn ich es nicht ganz verstehe, kommt es mir so vor, als betrachtete die Mehrheit der Schwarzafrikaner trotz ihrer eigenen Not die Weißen als eine besondere, zarte Spezies, die man nach dem Verlust ihrer Vorrechte vor einem Geschick behüten müsse, dem sie nicht gewachsen sind. Nelson Mandela selbst hat diese Merkwürdigkeit in seiner Autobiografie „Der lange Weg zur Freiheit“ am Beispiel einer weißen Bettlerin beschrieben, die ihn unverständlicherweise mehr rührte als ein schwarzer Bettler.

Sollen diese Zustände den Reisenden abhalten, Südafrika zu besuchen?

Nein, dreimal nein.

Denn die Sicherheitslage für Touristen ist noch immer vertretbar - wenn sie sich vor Eskapaden hüten und bestimmte Sicherheitsvorschriften beachten. Außerdem sind die Verhältnisse in den einzelnen Landesteilen unterschiedlich - in der Kapprovinz sind die Zustände besser als in der Transkei, in Pretoria besser als in Durban. Und am allerbesten, weil kaum von Kriminalität betroffen, sind die Nationalparks, in denen man vor den Menschen sicher ist und sich nur vor wilden Tieren hüten muss.

Wer sich wirklich für die sozialen Zustände in Südafrika interessiert, dem empfehle ich einen geführten Besuch in einem Township im Umkreis von Kapstadt oder Johannesburg. Dabei handelt es sich nicht um den Besuch eines „Menschenzoos“, wie es oft abwertend heißt, sondern um einen schockierenden Intensivkurs zum Verständnis einer afrikanischen Wirklichkeit, die dem Touristen ansonsten fast immer verborgen bleibt (vgl. S. 189ff.).

Wer eine Vorstellung von dem Zauber erhalten will, der die Europäer jahrhundertelang in den Süden Afrikas trieb, der bereise die sogenannte „Gartenroute“ zwischen Kapstadt und Port Elisabeth. In Plettenberg, Knysa oder im Tsitsikamma Nationalpark weiß die blühende Natur nichts von den Nöten der großen Städte, und allenthalben stößt man auf vertraute Spuren Europas in einem ganz anderen Winkel der Welt (vgl. S. 78ff.). Erheblich heikler war es in der Transkei und Durban, die ich mit den Büchern von J.M. Coetze im Gepäck bereiste. (vgl. S. 119ff.). In der alten Provinz Natal, zwischen den Stränden des Indischen Ozeans und dem Krüger Nationalpark begegnete ich der Geschichte Südafrikas auf Schritt und Tritt. Vom Schlachtfeld am Blood River bis zum Burenmonument von Pretoria führte mich die Reise durch eine vielfach geschichtete Wirklichkeit, deren Konturen und Farben täglich wechselten – schwarz waren die Dörfer, blutrot die Bougainvilleas neben alten anglikanischen Kirchen, blütenweiß die Kleider der weißen Mädchen, die die Sonntagschule in Ladysmith besuchten, korrodiert die alten Kanonen aus den Zulukriegen und obszön-martialisch der Gesichtsausdruck des burischen Schwertträgers am Vortrekker-Monument. Dann wieder das Afrika aus dem Touristenkatalog, der Drive-in Krüger Nationalpark, in dem die Tiere mittlerweile so adaptiert sind, dass sie die Fahrzeuge auf den Asphaltstraßen kaum noch beachten und ihre Leben leben, als wären die Menschen gar nicht da. Kurz und gut – es gibt reichlich Gründe, Südafrika zu bereisen. Nur in Johannesburg braucht man sich nicht über Gebühr lange aufzuhalten.

Stadt mit doppeltem Boden

Tage in Kapstadt

Die 747 flog eine Schleife und leitete den Landeanflug ein. Unter uns erstreckte sich eine grüne Hügellandschaft wie ein verdoppeltes Europa am anderen Ende der Welt. Ineinander verkeilte Wolkentürme markierten den Schnittpunkt zweier Ozeane, die Ausläufer ihrer stürmischen Winde versetzten die Maschine in leichte Vibration. Gebirgszüge umrahmten weite Anbauflächen, die von oben einer Strichzeichnung glichen, als wolle sich die Fruchtbarkeit des Südens als abstrakte Skizze in den Himmel projizieren. Willkommen in einer der schönsten Landschaften der Erde.

Noch beeindruckender war die Anreise über Land. Nach der langen Wüstenfahrt durch die lebensfeindliche Leere der Namib und die nördliche Kapprovinz wurde die Bucht von Kapstadt sichtbar. Zunächst war es nur der Tafelberg, der wie ein Monolith am Horizont emporwuchs. Dann differenzierte sich das Bild. Vom Bloubergstrand aus waren die weißen Gebäude der Stadt wie eine zweite Dünung zu erkennen. Weit und menschenleer zog sich die Bucht nach Süden, vorüber an Sandstränden, Pinguinkolonien und der ehemaligen Sträflingsinsel Robben Island, vorbei an Restaurants und Strandhäusern, bis die Straße das unmittelbare Einzugsgebiet Kapstadts erreichte, wo der gigantische Tafelberg alles überwölbte.

Was ist die schönste Stadt der Welt? An Nominierungen für diesen Ehrentitel besteht kein Mangel. Alexander von Humboldt hatte Salzburg in die engere Wahl gezogen. Für André Malraux war es Venedig, für den brasilianischen Romancier Jorge Amado Salvador de Bahia, und für Woody Allen stand New York ganz oben auf dem Treppchen. Meine Favoriten waren Rio de Janeiro und Istanbul, aber Kapstadt gehörte zweifellos mit in die engere Wahl. Aber was waren die Elemente dieses Rankings? Historisches Flair? Die Landschaft, in die die Stadt eingebettet war? Ihre Bausubstanz, ihr kulturelles Leben? Oder ihre Peripherie - dann allerdings müsste Kapstadt als Kandidat sofort von dieser Liste verschwinden,

Denn wenn man sich der Stadt von Osten näherte, vorbei an den Squattersiedlungen und Townships im Umkreis des Flughafens, dann verschwanden Schönheit und Wohlgestalt wie weggeblasen. „Er ist nicht einmal drei Monate fortgewesen“, ließ der südafrikanische Nobelpreisträger J.M. Coetze dseinen Protagonisten David Lurie in dem Roman „Schande“ sinnieren, „doch während diese Zeit waren die Elendsviertel über die Autostraße hinweg gewachsen und hatten sich östlich vom Flughafen ausgebreitet.“ Das war nun auch schon einige Jahre her, und längst hatten sich die Townships noch näher an Flughafen und Peripherie herangearbeitet Überall an den Straßenrändern standen Männer, Frauen, Jugendliche und suchten nach einer Mitfahrgelegenheit in die Stadt, weil der öffentliche Nahverkehr nicht funktionierte. Zigtausende fuhren aus den Cap Flats alltäglich in die Stadt zur Arbeit, hinein in das Zentrum der glänzenden Metropole, um sie am Abend wieder zu verlassen, um in die Tristesse ihrer Blechhütten zurückzukehren.

Eine Generation nach dem großen Wandel am Kap hatte sich die Situation der schwarzafrikanischen Mehrheitsbevölkerung nicht entschieden verbessert. All die Mittel, die für Elektrifizierung der Townships und Vorstädte, für Abwasserkanäle, Schulen, Krankenhäuser und Verkehrsverbindungen ausgegeben worden waren, hatten den Lebensstandard nicht angehoben. Mit dem explosionsartigen Wachstum der schwarzafrikanischen Bevölkerung hielt die Ausweitung des öffentlichen Wohlfahrts- und Infrastruktursektors einfach nicht mit. Das Land stöhnte unter überbordender Kriminalität, exzessivem Alkoholismus und Drogenmissbrauch - nicht überall sichtbar, aber an den Rändern der großen Städte schmerzhaft präsent. Die Zeitungen waren voll von Berichten über „Tik“, eine leicht herzustellende Massendroge auf Amphetaminbasis, die persönlichkeitsverändernd wirkte und die sozialen Beziehungen zerstörte. Längst war der ANC, der African National Congress, der vor einer Generation den Wandel am Kap erkämpft hatte, in Inkompetenz und Korruption erstarrt. Auf Nelson Mandela, die Lichtgestalt des späten 20. Jahrhunderts, war Präsident Zuma gefolgt, ein Vergewaltiger und Schieber, der nur durch die noch leidlich funktionierenden Institutionen der Gewaltenteilung an der Aufrichtung einer Diktatur gehindert wurde.

Dann wieder ganz andere Bilder im Zentrum von Kapstadt, so krass und unvermittelt, als hätte man das Fernsehprogramm gewechselt. Die bunten Straßenszenen an der St. Georges Mall, die einladenden Restaurants an der Waterfront und die herausgeputzten Fassaden des Bo-Kaap-Viertels befanden sich ein Universum entfernt von den überfüllten Townships, die ich gerade erst passiert hatte. Kapstadts urbanes Zentrum präsentierte sich wie eine Prosperitätszone aus einem anderen Kontinent, eine Region der Reichen und Etablieren, die in ihren Premium-Limousinen vor Markengeschäften parkten, in denen die gleiche Mode verkauft wurde wie in London oder New York. Große Bürokomplexe beherbergten die Firmenzentralen internationaler Konzerne, die die immensen Bodenschätze vermarkteten, die Südafrika noch immer zum wirtschaftlich stärksten Land Afrikas machten.

Erst auf den zweiten Blick wurde eine Doppelbödigkeit sichtbar, die mir auf meiner Reise durch Südafrika noch oft begegnen sollte. In einem Hauseingang lag ein schwarzafrikanischer Obdachloser, betrunken oder vom Rauschgift benebelt. Bettler saßen vor den Eingängen der Kaufhäuser, und in den Seitenstraßen türmten sich die ersten Müllhaufen - wohlgemerkt, alles nicht so aufdringlich und bildfüllend wie in Daressalam oder Lusaka, aber unverkennbar gegenwärtig als Indiz dafür, dass auch diese Stadt der Ersten Welt von den Armeen der Armut bedroht wurde. Noch fuhren die Weißen in stattlichen Limousinen durch die Stadt, während ihnen die schwarzen Dienstleister die Parkplätze freihielten, aber die Zahl der bettelnden Kinder, die wie ausgemergelte kleine Trolle vorbeihuschten, nahm zu. So schnell konnte die Polizei sie gar nicht wegschaffen, dass die Touristen ihre Auftritte nicht bemerken würden.

Beim Abendessen im Hotelrestaurant hoch über der Stadt saßen zwei Touristen aus England am Nebentisch, beide waren leger gekleidet, einer trug eine Kappe auf dem Kopf. Ein Kellner trat an den Gast heran und bat ihn, die Kappe abzunehmen, was den Gast offenbar erstaunte, ehe er nach kurzem Zögern dem Wunsch nachkam. Die Pointe dieser Szene bestand darin, dass der Restaurantangestellte, der den Gast aufgefordert hatte, seine Kappe abzunehmen, ein Schwarzer war und der Gast weiß. Ich blickte mich um und sah, dass alle Kellner schwarz waren und die Gäste weiß. Nur eine indische Familie, Mutter Vater, zwei Töchter, saßen an einem Fenstertisch, alle akkurat gekleidet und ersichtlich darauf bedacht, die Formen zu wahren.

Eine Metapher von Peter L. Berger fiel mir ein, der in der globalisierten Welt zwei Kategorien von Menschen unterschied: die „Wahlschweden“ und die „Wahlperser“. Die „Wahlschweden“ lebten in der belle Etage, ihr Alltag und ihre Fortbewegung vollzogen sich einfach und unkompliziert, weil in der Parterre die „Wahlperser“ die Dienstleistungen und Kärrnerarbeiten ausführten

In der Nacht fielen Schüsse. Dann hörte ich Geschrei auf den Straßen, schließlich die Sirene eines Polizeiwagens. Am Morgen wurde berichtet, dass sich vor dem Hotel ein Überfall ereignet hatte. Ein japanisches Paar war von einem Jugendlichen mit einer Pistole bedroht worden. Als die Angegriffenen fliehen wollten, hatte der Räuber geschossen, sein Ziel aber verfehlt. Dann war er verschwunden, die Polizei fahndete nach ihm.

„Ist das normal hier in der Innenstadt?“ fragte ich den Rezeptionisten. Sein Name war William, er war ein junger Schwarzafrikaner, der seinen Dienst mit großer Zuverlässigkeit versah und den Touristen Taxifahrer für Stadtrundfahrten vermittelte. Williams Hemd war faltenlos gebügelt, die Krawatte saß wie angeschweißt, seine langen, schlanken Hände waren gepflegt. „Manchmal geschieht so etwas nach Anbruch der Dunkelheit“, antwortete er mit einer sonoren Stimme. „Meistens handelt es sich um Drogensüchtige, die Geld für ihre tägliche Ration benötigen“, fügte er hinzu. „Tik?“ fragte ich. „Ja, Tik und alles Mögliche“, antwortete er. „Aber die Polizei hat die Lage im Griff.“

Da hatte ich meine Zweifel, denn bekanntermaßen war die Polizei chronisch unterbezahlt und für Mauscheleien und Schiebungen anfällig, Kaum ein Tag verging, in dem nicht ein entsprechender Fall im Fernsehen oder in den Tageszeitungen veröffentlicht wurde. Was sollten sich die Polizisten denn auch an Recht und Gesetz halten, wenn selbst der Präsident korrupt war? Als ich den Wagen aus der Tiefgarage fuhr, wartete ich an einer Kreuzung. Die Ampelanlage war ausgefallen, ein Polizist versuchte, den Verkehr zu regeln, doch niemand achtete auf seine Signale.

***

„Das Wetter ist das Einzige, was sich in den letzten Jahren nicht verschlechtert hat“, hieß es in Kapstadt. Wenigstens das schien zu stimmen. Ein strahlender Himmel wölbte sich über der Stadt, keinerlei Schwüle war zu spüren, denn die Wärme des Indischen Ozeans wurde durch die kühlen Winde des kalten atlantischen Benguela-Stroms gemildert. Gemeinsam erzeugten sie eine Atmosphäre der Mediterranität, für die Kapstadt berühmt war. Auch von den Smogproblemen, unter denen andere afrikanische Großstädte litten, blieb Kapstadt verschont, denn der "Cape-Doctor", wie die Einheimischen den Wind von Kapstadt nannten, zog wie eine immerwährende Frischluftzufuhr durch die Stadt. Allerdings erzeugte der Cap Doktor zugleich eine nahezu notorische Wolke über dem Wahrzeichen Kapstadts, dem Tafelberg. „Tischtuch des Teufels“ nannten die Capetonians die schwarzdunkle Wolkenfront, die tatsächlich wie eine zu lang geratene Tischdecke über die Ränder des Tafelberges schwappte und fast bis an die Dächer der Wohnviertel reichte.

Aber nicht heute. Der Berg war frei, keine Wolke nirgends. Ich fuhr zur Talstation der großen Tafelberg-Seilbahn, reihte mich in eine lange Menschenschlange ein, die sich aber schnell auflöste, weil die Gondeln riesig waren. Die Kabinen der Tafelberg-Seilbahn waren komplett verglast und drehten sich langsam um ihre eigene Achse, eine Vorsichtsmaßnahme, die verhindern sollte, dass Schieflagen während der Fahrt entstanden, wenn alle Insassen immer zu den besten Aussichtspunkten strebten.

Der Rundblick von den Höhen des Tafelberges auf das Südende des afrikanischen Kontinents gehört zu den großen Panoramen der Erde. Wie der Fantasie von Renaissancemalern entsprungen, erhoben sich die Berge an den Rändern des Bildes und rückten an die Stadt heran. Es sah so aus, als griffe die afrikanische Topografie aus dem Norden nach Afrikas südlicher Stadt. Dann ein ganz anderer Anblick in südlicher Richtung. Von Wolken wie von Lametta umgeben, verloren sich die Ausläufer der Kap Halbinsel im Dunst, während sich tief unter mir die große Stadt wie ein weichgezeichnetes Fresko aus Straßen, Plätzen und Fassaden präsentierte. Und doch war es der Ozean, der mit seiner Unendlichkeit die Szenerie beherrschte. Seine undimensionierte Weite besaß eine fast bestürzende Präsenz, gerade so, als sei es möglich, mit bloßen Händen den Horizont zu berühren.

Aber was war mit der Stadt zu meinen Füßen? Eine besondere Kontur konnte ich nicht erkennen, außer dem Signal Hill, der die Waterfront und das Hafenbecken von den Wohnvierteln am Atlantik trennte. Sonst erstreckte sich die Stadt in ganz leichter Schräge vom Tafelberg dem Meer entgegen, wurde immer flacher, je mehr der Blick in die Peripherie schweifte.

Die ersten Europäer, die von der Spitze des 1085 Meter hohen Tafelbergs auf das südliche Afrika herabgeblickt hatten, waren die Portugiesen gewesen. Fast ein ganzes Jahrhundert lang hatten sie die Küsten Afrikas erkundet, um einen Seeweg nach Indien zu finden, immer weiter hatte sie der Drang nach Süden geführt, vorüber an Wüsten, Riffen und Urwäldern, bis der Portugiese Bartholomeo Diaz im Jahre 1487 das Kap erreichte. Hier war er in einen lebensgefährlichen Sturm geraten, den er nur mit Glück überstanden hatte, weswegen er dem Kap den Namen „Kap der Stürme“ gab. Bekanntlich hatte König Manuel I von Portugal diesen Namen später in „Kap der Guten Hoffnung“ geändert, seine Seefahrer aber trotzdem angewiesen, ihre Versorgungstationen etwas weiter östlich, in der Mossel Bay, einzurichten. Erst im Jahre 1503 - der unglückliche Bartholomeo Diaz war auf einer zweiten Kap-Reise bereits mit Mann und Maus ertrunken – hatte eine portugiesische Expedition den Tafelberg etwas genauer erkundet. Außer Heidekraut und Klippschiefern fanden sie nichts und rückten wieder ab.

So gingen weitere anderthalb Jahrhunderte ins Land, ehe sich die Holländische Ostindiengesellschaft dazu entschloss, in der Tafelbucht einen Stützpunkt einzurichten. Längst hatte das portugiesische Kolonialreich den Zenit seiner Macht überschritten. Holländische Handelsschiffe beherrschten den Welthandel auf der langen Route zwischen Amsterdam und den Gewürzinseln östlich von Java. Gesagt, getan, mit drei Schiffen und neunzig Mann Besatzung landete der niederländische Expeditionsleiter Jan van Riebeeck am 6. April 1652 in der Bucht von Kapstadt. Allerdings traf er dort auf kein leeres Land. Schon seit vielen Jahrtausenden war der Süden Afrikas von dem kleinwüchsigen Volk der Khoisan bewohnt, die, aufgeteilt in zahllose Stämme, als Nomaden und Viehzüchter zwischen Sambesi und Kap lebten. Jan van Riebeeck hatte übrigens ausdrücklich nicht den Auftrag erhalten, eine Kolonie zu gründen. Seine Mission sollte sich auf die Sicherstellung der Versorgung holländischer Schiffe beschränken. Da kamen die Khoisan als Handelspartner und Fleischlieferanten ganz recht. Soweit die Pläne der Handelsherren in Amsterdam. Leider gab es bald Krach zwischen Holländern und Khoisan, weil die sich die Khoisan weigerten, ihre elementare Subsistenzwirtschaft auf die Bedürfnisse der Holländer auszurichten. Sie aßen ihr Gemüse lieber selber und hatten keine Lust, ihr Vieh für holländische Matrosenmahlzeiten zu schlachten. So mussten die Holländer selber ran, zuerst als ehemalige Angestellte der Ostindiengesellschaft, die sich in Farmer verwandelten, dann kamen die ersten Freibürger aus Europa. Sie wurden als Viehzüchter und Gemüsefarmer die ersten Buren (=Bauern).

Die holländische Landnahme am Kap ist oft mit anderen europäischen Kolonisationsbewegungen verglichen worden. In den nordamerikanischen Neuenglandstaaten hatten es die Briten von Anfang an auf die Ansiedlung und Inbesitznahme neuer Gebiete durch Massenansiedlung abgesehen. Dieses Projekt führte langfristig zur faktischen Vernichtung der Ureinwohner. In Brasilien hieß das Modell Vermischung – Portugiesen, Spanier, Holländer, Schwarzafrikaner und Indios vermischten sich in einem jahrhundertelangen Prozess im Melting Pot der brasilianischen Nation. In Südafrika war es eine Landnahme per Separation. Die Weißafrikaner und Schwarzafrikaner vermischten sich nicht sondern separierten sich zu einer in zwei große Ethnien gespaltenen Bevölkerung.

Ich setzte mich auf einen Felsvorsprung und blickte über Stadt und Bucht. Es war Nachmittag geworden. und die Konturen des tief unter mir liegenden Kapstadts traten schärfer hervor. Wo war das historische Zentrum der Stadt? Mit dem Fernrohr suchte ich die Straßenzüge ab, identifizierte die City Hall, den Botanischen Garten, das Parlament und schließlich das Castle of Good Hope, den städtebaulichen Ursprung der Stadt. Es waren winzige Reste einer langen Geschichte, die im Betonmeer der neuesten Zeit kaum noch erkennbar waren. *

Auch aus der Nähe betrachtet war das Castle of Good Hope nichts weiter als eine kleine Festung, die anfangs nur die Grenzen der holländischen Niederlassung markiert hatte. Als die Beziehungen zu den Khoisan schlechter geworden, waren, hatte man Mauern und Schießschächte hinzugefügt. Trotzdem war das Fort eine verhältnismäßig kleine Anlage geblieben, eine Art Bonsai-Festung, die niemals einem ernsthaften Angriff standhalten musste. Ohne einen Kanonenschuss war die Festung im Jahre 1795 in die Hand der Briten gefallen, die die Kapkolonie von den Holländern übernahmen. Fast genau zweihundert Jahre später, als Nelson Mandela nach seiner Freilassung im Februar 1990 vor Hunderttausenden Schwarzafrikanern seine erste Rede vom Balkon der benachbarten City Hall hielt, hatten weiße Soldaten auf den begrünten Mauern des Forts gestanden und den Anbruch einer neuen Zeit beobachtet. Vier Jahre später, nach den ersten freien Wahl in Südafrika, war der Machtwechsel am Kap durch die Schlüsselübergabe des Castles of Good Hope an die neue Mandela-Regierung symbolisch vollzogen worden. Damit war die kleine Festung an das Ende ihrer aktiven Geschichte angekommen und verwandelte sich folgerichtig in ein Museum.

Ob man die Gebrauchsgegenstände, Dokumente, Zeichnungen und Karten, die das Museum präsentierte, wirklich gesehen haben musste, wollte ich nicht beurteilen. Beeindruckend aber war die Anlage als solche, der Hof, das Tor, die niedrigen Wälle, auf denen das Gras der Geschichtslosigkeit wuchs - ein Memento mori der Vergänglichkeit, um die eine Millionenstadt herumgewachsen war.

Nur wenige Gehminuten vom Castle of Good Hope entfernt befand sich die zweite Keimzelle der Stadt, "The Company´s Garden". Es handelte sich um jenen Ort, an dem sich die Holländer zuerst mit dem Anbau von Gurken, Tomaten, Karotten und Spinat versucht hatten, um die holländischen Seeleute auf der Durchreise mit einer gesunden Kost zu versorgen. Nur mit dem Weinanbau hatte es in "The Company´s Garden" nicht klappen wollen. Was die Vögel von den Trauben übriggelassen hatten, soll derart nach Essig geschmeckt haben, dass die Matrosen den Kapstädter Fusel in den Indischen Ozean kippten. Erst mit der Ankunft der Hugenotten am Ende des Siebzehnten Jahrhunderts sollte die Etablierung des Weinanbaus in Constantia, Stellenbosch und Franshoek gelingen.

Heute war „The Company´s Garden“ der Botanische Garten der Stadt, ein weiträumiger Erholungspark, in dem sich die Capetonians, ob schwarz oder weiß, an Springbrunnen, schattigen Bänken und einem Querschnitt der südafrikanischen Vegetation erfreuen könnten – wenn sie nur Zeit hätten und darauf achten würden, vor Einbruch der Dunkelheit das Weite zu suchen.

Die Skulpturen, die die Parkwege und kleinen Plätze säumten, wirkten in ihrer Beliebigkeit wie eine Bekräftigung dafür, dass die Entstehungsgeschichte Kapstadts langsam im Halbdunkel der historischen Vergesslichkeit verschwand. Nur für das Standbild des Briten Cecil Rhodes galt das nicht. Stolz, überlebensgroß und gerade stand das Abbild des in Wahrheit kränklichen Mannes auf einem Podest im Botanischen Garten und wies mit dem rechten Arm nach Norden. Vom „Kap bis Kairo“ sollte sich das Britische Empire erstrecken, und zur Verwirklichung dieses Zieles war Cecil Rhodes jedes Mittel recht gewesen. Als zeitweiliger Premierminister der britischen Kapprovinz und Miteigentümer des Diamantenmonopolisten de Beers war er zum Todfeind der freien Burenstaaten geworden, die den Briten durch ihre bloße Existenz am Ende des 19. Jahrhunderts die Ausdehnung nach Norden versperrten. An der Vorbereitung des Großen Burenkrieges und der Unterwerfung der Matabele und Shona im heutigen Simbabwe war er ebenso beteiligt gewesen wie an der Ausbeutung der schwarzafrikanischen Arbeiterschaft in den Diamantenminen. Dass sein Denkmal überhaupt noch im Botanischen Garten von Kapstadt stand, war Nelson Mandela zu verdanken, der verkündet hatte, man müsse auch von den Fehlern großer Männer lernen.

Hundert Jahre nach Cecil Rhodes Tod war die Zeit über ihn hinweggegangen. Die nach ihm benannten Kolonien Nord- und Südrhodesien waren als Sambia und Simbabwe längst eigene Staaten geworden. Und auch in Kapstadt war vom berühmt-berüchtigten Premierministers der Kapprovinz nichts weiter geblieben als eine rege Population graubrauner Eichhörnchen, die Rhodes von Europa nach Kapstadt gebracht hatte und die sich heute von den Touristen in "The Garden" durchfüttern ließen.

Während meiner Spaziergänge durch den Botanischen Garten lag eine eigenartige Leere über dem Park Zeitweise kam es mir so vor, als befände ich mich wie schon im Castle of Good Hope in einem verwunschenen Garten, in einem Stück eigener Wirklichkeit, das mit dem realen Leben der Menschen dieser Stadt nichts mehr zu tun hatte. Ich hörte das Knacken der Zweige, das Rascheln im Gras, Vogelgezwitscher in den Bäumen, vermischt mit dem entfernten Rauschen der Stadt. Dann wurde ich müde, legte mich auf die Wiese und schlief ein.

Ich erwachte, als ein Kind versuchte, mir die meine Kameratasche unter dem Kopf wegzuziehen. Ich hatte mir die Schlaufe vorsichtshalber um den Hals gewunden, so dass der Versuch misslang. Trotzdem dauerte es einige Sekunden, ehe ich begriff, was geschah. Der Junge, ein mageres Bürschchen mit kurzer Hose und zerrissenem Shirt, war genauso erschrocken wie ich, als ich die Augen öffnete. Sofort ließ er den Gurt los und verschwand wie der Blitz im Unterholz. Warum hatte er mich nicht nach etwas Geld gefragt, ich hätte es ihm freiwillig gegeben.

Als ich ins Hotel zurückkam, entnahm ich den Schlagzeilen der ausliegenden Tageszeitungen, dass am Signal Hill zwei Überfälle stattgefunden hatten. Eine Touristengruppe war von einer Horde Jugendlicher umzingelt und gezwungen worden, ihre Wertsachen herauszurücken. In der Nähe des Western Boulevards war ein Anwohner bei einem Einbruch erschossen worden.

Beim Abendessen im Hotelrestaurant trug niemand eine Kappe. Ich kam mit einem deutschen Geschäftsmann ins Gespräch, der sich im Auftrag einer Baufirma in Kapstadt aufhielt. Er stellte ich als Wilfried vor, war leger gekleidet und verfügte über einen gesegneten Appetit. Er aß eine Suppe, ein Straußensteak mit Beilage samt Nachtisch und trank eine ganze Flasche Chardonnay, ehe er die nächste Flasche Wein bestellte und mich zu einem Glas einlud.

Er fragte mich nach meinen Reiseplänen, hörte aber kaum zu und begann seinerseits von seinen Reisen zu erzählen. Wie es aussah, saß ich mit einem Afrikakenner am Tisch, der geschäftlich sehr weit herumgekommen war. Wilfried war ein Freund des „schwarzen Kontinents“, aber mit der Richtung, die dieser Kontinent nahm, nicht einverstanden. Das galt sowohl für die allgemeine Entwicklung, die der afrikanische Süden eingeschlagen hatte, wie auch für die konkreten Missgeschicke die Wilfried widerfahren waren. Der Taxifahrer hatte ihn übers Ohr gehauen, ein herbeigerufener Polizist hatte sich als unkooperativ erwiesen, und außerdem war ihm sein Hotelzimmer viel zu laut.

„Früher war Kapstadt einmal der Himmel auf Erden gewesen“, beschloss er seine anekdotischen Klagen. „Ich habe zeitweise sogar überlegt, nach Südafrika auszuwandern.“

Ich erzählte, dass mein älterer Bruder in den Sechzigern einige Jahre in Südafrika gelebt und immer nur von dem Land geschwärmt habe.

„Ja, in den Sechzigern“, antwortete Wilfried und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Da herrschten hier für einen Weißen paradiesische Zustände“. Er machte eine Pause und blickte mich prüfend an, ob ich begriffe, was er sagte. „Aber das ist vorbei. Hier gehen bald die Lichter aus“, fuhr er fort. „Freunde von mir, die im Norden von Kapstadt ein kleines Haus gekauft haben, sind bereits sechsmal ausgeraubt worden. Nun wollen sie es verkaufen und zurück nach Deutschland. Nur, es kauft keiner zu vernünftigen Preisen. Sie werden darauf sitzen bleiben.“

„Und es ist keine Besserung in Sicht?“ fragte ich.

„Nein“, erwiderte Wilfried. „Ganz im Gegenteil. Jetzt ist das Drogenproblem von Johannesburg nach Kapstadt übergeschwappt. Die meisten Jugendlichen sind doch süchtig und machen alles, um an Geld für Drogen zu kommen. Da man aber die eigenen Leute in den Townships nicht mehr ausrauben kann, weil sie einfach nichts haben, unternehmen die Jugendlichen nun Raubzüge in die Innenstadt.“

Ich dachte, an den Kleinen, der meine Fototasche hatte stehlen wollen. Ob der auch schon ein Drogenproblem hatte? fragte ich mich.

„Wollen sie noch etwas Wein?“ fragte Wilfried.

Ich lehnte dankend ab.

***

Die nächsten Tage in Kapstadt ließ ich mich treiben, nicht unbedingt in die Vorstädte, aber durch die Straßen des Zentrums, über die Märkte und Plätze bis hin zur Waterfront. Im Botanischen Garten hielt ich Ausschau nach dem kleinen Dieb, sah ihn aber nicht wieder. Ganz allein stand ich vor der neoklassizistischen Fassade des Parlamentsgebäudes. Kapstadt war eine der beiden Hauptstädte Südafrikas und Sitz des Parlaments. Die andere Hauptstadt Pretoria im Norden war der Sitz der Regierung. Die obersten Gerichte saßen übrigens weder in Kapstadt noch in Pretoria sondern in Bloomfountain und Johannesburg.

Überall in der Innenstadt waren Plakate geklebt worden, auf denen eine Politik der Harmonie propagiert wurde, eine Art Zusammenklang von Erster und Dritter Welt als sogenannte „Regenbogennation“, die mir aber vorkam wie eine schadhafte Tünche, die jeden Tag durch den bloßen Augenschein widerlegt wurde. Ich besuchte den Busbahnhof von Kapstadt und sah fast nur Schwarzafrikaner. Die wenigen Weißen, denen ich auf den Rampen begegnete, wirkten abgerissen und erschöpft. Auf dem Greenmarket Square trank ich einen Kaffee und beobachtete Passanten, die apathisch auf den Bänken saßen und in die Luft starrten. Mehrfach wurde ich angebettelt, aber auch in Ruhe gelassen, wenn ich nichts geben wollte. Einmal gab ich etwas und war sofort von einer ganzen Meute umringt, die auch eine Spende haben wollte. Eine Gruppe farbiger Jugendlicher sang vor der Grote Kerk an der Adderley Street fetzige Gospels, die Kasse klingelte, das Geschäft florierte, doch die Stimmung hatte etwas Maskenhaftes, gerade so, als agiere man

in einer surrealen Performance, die im nächsten Augenblick umschlagen konnte. In einer Seitenstraße rappten die Verkäufer zum Takt der Musik und brachten mit Humor und Geschick ihre Platten und Kassetten für wenige Rand an den Mann. Doch ein flüchtiger Blick unter den Tisch zeigte, dass dort Handfeuerwaffen bereitlagen. Schwarzafrikaner offerierten ihre Waren auf dem Grand Parade Market vor der City Hall, weiße Kundschaft aber war kaum zu sehen, als gehöre das Warenangebot in eine andere Welt.